Schönhaar

Zeit: Travia 1045 BF bis Travia 1046 BF
Ort:

Autoren: StLinnart, HoepDa, PiNa

Dramatis Personae:


Schönhaar

Der Hag, Baronie Weidenhag, Mitte Efferd 1045 BF

Es regnete in Strömen, als Rainald von Gugelforst durch das Tor des Hags ritt. Bedingt durch eben jene Witterung wirkte der sonst so lebhafte Baronssitz der kleinen heldentrutzer Baronie Weidenhag auch wie ausgestorben. Der Blick des Ritters schweifte über den Tempel der gütigen Herdmutter, über das große Gutshaus hin zu den Stallungen und den Behausungen der Dienstritter. Hier lebte auch Rainald für einige Götterläufe bis seine Base Gwidûhenna ihm eine neue Aufgabe als ihr Vogt in Südhag übertrug.

Der Ritter schwang sich aus dem Sattel, grüßte knapp den herbeigeeilten Stallknecht und machte sich dann auf den Weg zum Haupthaus. Er freute sich auf ein paar trockene Kleider und etwas Wärme, um die nasse Kälte aus seinen Gliedern zu bekommen. Egal, weshalb Gwidûhenna ihn auch her bestellt hatte, dazu musste einfach noch Zeit sein.

Eine Annahme, die sich nur sehr kurze Zeit später als unwahr herausstellen sollte. Als Rainald seine wartende Base Alina erspähte, wurde dem Ritter sehr bald klar, dass das Ansinnen der Baronin wohl pressierte und keinen Aufschub duldete.

“Gut, dass du endlich kommst”, war die Begrüßung der weisen Frau genauso wenig herzlich wie er erwartet hatte. “Henna wartet bereits …”, abschätzig blickte die rotblonde Frau im weinroten Kleid ihren triefend nassen Widerpart an, “... und ich denke nicht, dass sie einen Aufschub dulden würde.”

Der Gugelforster seufzte während er auch selbst an sich herab blickte; “Und ihr das ganze Arbeitszimmer anzusauen?” Rainald hob seine Augenbrauen. "Nein, lass mal. Sag ihr, dass ich gleich komme. Etwa ein halbes Stundenglas.”

Kurz huschte darauf ein Lächeln über die Züge Alinas. “Wie du meinst”, entgegnete sie vielsagend.

Rainald kannte den Hag wie seine Westentasche. Er erfragte welches Zimmer für seinen Aufenthalt vorbereitet wurde - dass eines fertig war, wusste er, denn am Hag wäre es undenkbar einem Gast keine Bleibe zu bereiten - legte seinen nassen Mantel ab, reinigte seine Stiefel und kämmte seine Haarpracht durch. Nun, da er wieder halbwegs repräsentabel aussah, machte sich der Ritter auf zum Arbeitszimmer seiner Base.

Gwidûhenna von Gugelforst saß hinter ihrem schweren Schreibtisch und vor großen Fenstern aus Butzenglas, durch welche just im Moment seines Eintretens Sonnenstrahlen herein fielen, die die Silhouette der Baronin zum Leuchten brachten - ganz so als wollten die Götter dem Moment noch mehr Dramatik verleihen. Die Herrin Weidenhags trug ein dunkelgrünes Kleid und ihre rabenschwarzen Haare fielen ihr offen über die Schultern. Dass sie gerade mit einer ihrer Locken spielte, alarmierte Rainald, denn die Leute, die Gwidûhenna gut kannten, wussten, dass sie auf diese Art und Weise ihrer Nervosität Ausdruck verlieh.

“Du kommst spät, Rainald”, die Baronin erhob sich aus ihrem Stuhl und deutete auf einen ihr gegenüber. “Aber besser spät als gar nicht. Bitte … nimm Platz.”

“Bitte entschuldige …”, antwortete Rainald schuldbewusst, “... aber das Wetter.” Er setzte sich, nachdem ihm seine Dienstherrin eine beschwichtigende Geste geschenkt hatte. “Du wolltest mich sehen?”

“Ja, wollten wir”, setzte Gwidûhenna nach einem bedeutungsschwangeren Schweigen an. “Du musst für mich in die Nordmarken … Schweinsfold genauer gesagt.”

Der Ritter grübelte für ein paar Herzschläge vor sich hin. Irgendetwas klingelte bei dem Namen. “Geht es um Weidenwald … um diese Ritterin?” Er wusste, dass die Baronin schon vor kurzem einen Boten dorthin entsandte.

“Nein … und ja”, antwortete Gwidûhenna kryptisch. “Es geht um besagte Ritterin, aber nicht um die Sache in Weidenwald. Das haben wir bereits geklärt … mehr oder weniger.”

Rainald verzog darauf kurz sein Antlitz. “Und ich soll ihr eine Nachricht überbringen? Geht es um deinen Sohn?”

Ein kurzes Kopfschütteln beantwortete zumindest die letzte Frage des Ritters. “Keine Nachricht, ein Angebot.”

Rainald hob seine Schultern. “Henna du weißt, dass ich mache, was du mir aufträgst … aber denkst du, dass ich der richtige für diesen Auftrag bin. Warum schickst du nicht Algrid, oder Sigiswild? Ich habe in Südhag …”

“Südhag wird demnächst eine neue Vögtin bekommen, Rainald”, schnitt Gwidûhenna ihm mit bedenklich ruhiger Stimme das Wort ab.

Wie von der Maraskantarantel gestochen, sprang der Ritter aus seinem Stuhl. “Waaaaas?” War dies etwa der Grund für diese Einladung? “Bist du …”

Weiter kam der Ritter nicht, vernahm er aus dem Augenwinkel eine Bewegung zu seiner Linken. Die Baronin war nicht die einzige Person im Raum - dessen wurde der Gugelforster sich erst in diesem Moment gewahr. Die Frau, die herangetreten war, bestach durch ihre Optik; feuerrote, beckenlange Locken fielen ihr über die schmalen Schultern und rahmten ein ebenmäßig blasses Gesicht ein, das bezaubernd, verwegen, aber auch abweisend zugleich wirkte. Rainald kannte sie aus der Rabenmark, auch wenn er nie genau wusste, wer sie war - irgendwie musste sie mit seiner Familie zu tun haben.

“Du wirst heiraten, Rainald”, meinte die Rothaarige in sanftem Ton, während ein sanftes Lächeln über ihre Züge huschte. “Zumindest ist das der Plan.”

“Ähhhhh”, mehr brachte der Ritter in diesem Moment nicht über seine Lippen. Sein Blick fiel auf den geschliffenen Rubin, der in das Halsband der Unbekannten eingearbeitet war. Vielfach spiegelte der Schliff des Steines Licht des Praiosmales wieder.

Gwidûhenna jedoch schien nicht allzu glücklich über die Direktheit der Anderen zu sein - zumindest konnte man das leichte Augenrollen der Baronin so deuten. “Du wirst das Angebot überbringen und dich um die Hand der Junkerin bemühen. Mit ihrer Mutter ist alles vereinbart … sie hat im Großen und Ganzen Interesse. Aber ihre Tochter ist … nun …”, die Baronin suchte nach den richtigen Worten, “... noch nicht ganz überzeugt von ihren dynastischen Pflichten.”

Dass die Heiratspolitik seiner Familie strikt und immer auf eine Ausweitung von Macht, Einfluss und Beziehungen ausgelegt war, ist auch Rainald bekannt gewesen. Die Familie Gugelforst war jung, etwa 200 Sommer alt und schon sehr früh hatte man es geschafft, in höchste Kreise aufzusteigen - ohne, dass ein Kaiser, König oder Herzog sie für eine Tat oder einen Gefallen mit hohen Ämtern belohnt hätte. Sie hatten es sich selbst erarbeitet - ihr Ruf, ihre Bündnisfähigkeit und dem einnehmenden Wesen vieler ihrer Angehörigen zum Dank.

Dennoch musste der Ritter schlucken. “Na großartig! Habe ich denn eine Wahl?”, fragte er nach einem Moment des Schocks, doch erntete er lediglich ein wortloses Kopfschütteln - von beiden anwesenden Frauen.

...

Schloss Ulmen, Baronie Schweinsfold, Ende Efferd 1045 BF

Ein jammerndes Maunzen riss Silvagild von Ulmentor aus ihrem tiefen Schlummer. Verschlafen rieb sie sich die Augen und blickte direkt in das Gesicht des Störenfrieds. Wie beinahe jeden Morgen wurde sie von ihrem kleinen Firunsbärchen geweckt, das mit diesem Verhalten der Herrin sein Bedürfnis nach Streicheleinheiten signalisierte. Inzwischen bereute die junge Junkerin es, dass sie sich das Fellknäuel vom letzten Markt in Herzogenfurt mitgenommen hatte. Sie war zwar nicht so störrisch wie ihr Blaufalke Bandit, aber dennoch genauso folgsam wie Silvagild selbst es eben auch war.

Die junge Frau streckte die Hand nach dem Tier aus und begann, es sanft zu kraulen, was das Firunsbärchen wiederum dazu verleitete sich auf dem weichen Himmelbett Silvagilds niederzulassen und sich wohlig schnurrend in die weichen Laken zu kuscheln.

Eine Idylle, die nicht lange halten sollte, denn schon wenige Augenblicke später klopfte es an der Tür zu Silvagilds Gemächern. Ohne einen Laut der Bereitschaft von sich zu geben öffnete sich die weiße Holztür und es war Silvagilds Mutter Miriltrud, die plötzlich im Zimmer stand. Wie immer war die Sturmfelserin penibel frisiert und züchtig gekleidet gewesen - ganz zum Gegensatz zu ihrer Tochter, deren dunkelblonde Haarpracht zerstört war, ihr der Schlaf in den Augen stand und sie nackt schlief, wie Tsa sie schuf - gerade letzteres wurde deutlich, als sich die Junkerin aufrichtete und die abrutschende Decke den Blick auf ihre Brust freigab.

“Mutter …”, begrüßte die junge Hausherrin ihre Mutter verschlafen und streckte sich dann, was ihren Leib noch deutlicher exponierte.

“Silvagild”, ermahnte sie die Sturmfelserin daraufhin zischend. “Bedecke deine Blöße.”

Eine Anweisung, die Unverständnis der Junkerin hervorrief. “Wozu? Bist ja nur du da?”

Das Schnauben Miriltruds sprach Bände, doch wollte sie sich nicht schon wieder auf eine Diskussion mit ihrer Ältesten einlassen. “Gut, dass du wach bist”, fuhr sie stattdessen fort und die bereits sehr fortgeschrittene Tageszeit ließ diese Worte wie Hohn erscheinen. “Ich möchte dir einen Besuch ankündigen.”

“Besuch?”, wieder rieb sich Silvagild den Schlaf aus den Augen.

“Ja, morgen bekommen wir Besuch aus Weiden”, antwortete Miriltrud mit selbstsicherem Lächeln.

“Wie, schon wieder? Ist diese Sache denn immer noch nicht ausgestanden?”, die Junkerin schien nun munter zu sein. Für einen Moment schwieg sie vor sich hin und da ihre Mutter nicht auf die Frage einging, artikulierte sie den ersten Gedanken, der ihr in den Kopf schoss. “Du wirst dich darum kümmern müssen, Mutter. Ich bekomme nämlich auch Besuch.”

Eine Ankündigung, die Miriltrud eine Augenbraue hochziehen ließ.

“Nun schau nicht so, du erzählst mir ja auch nichts davon, wenn sich Besuch ankündigt. Denn dass die Weidener auf einen spontanen Besuch vorbeikommen, halte ich für unwahrscheinlich.” Am liebsten hätte Silvagild ihrer Mutter die Zunge entgegengestreckt. Sie wusste, dass sie sie damit auf dem falschen Fuß erwischen würde - ja, so musste es sein. “Hardomar wird uns besuchen. Pflege nachbarschaftlicher Verbindungen.” Es war eine Lüge gewesen, zumindest hatte sie den Hadinger noch nicht eingeladen und wusste gar nicht, ob er überhaupt daheim war. Sie würde Aelfwin schicken müssen, denn für einen Brief war es zu knapp und einer der weniger verschwiegenen Diener hier im Schloss würde wohl bei ihrer Mutter petzen.

“Soso …”, grummelte Miriltrud. Ob sie ihren Bluff durchschaute, war unklar. “Nun, du wirst Zeit für beide Besuche finden müssen, Silvagild. Das lässt sich bewerkstelligen … und nun zieh dir bitte etwas an. Das Mittagessen steht am Tisch.”

...

Dorf Hadingen, Baronie Schweinsfold, am nächsten Morgen

Das Licht des Praiosmales blendete den jungen Aelfwin in seinen verschlafenen Augen, als er aus dem Gasthaus Avesruh ins Freie trat. Es war ein Abend, wie er ihn schon oft erlebt hatte, sich aber beinahe ebenso oft am nächsten Morgen nicht mehr daran erinnern mochte. Sein Kopf fühlte sich an, als hätte Väterchen Angrosch mit seinem Hammer Malmar darin gewütet.

Beinahe war ihm der Grund für seinen Ausflug nach Hadingen entfallen gewesen und viel zu viel Zeit hatte er inzwischen verstreichen lassen - Silvagild würde nicht erfreut sein, er konnte ihr Gezeter jetzt schon hören und höchstwahrscheinlich würde sie ihn auch in den Schwitzkasten nehmen oder er eine Backpfeife kassieren.

Eher lustlos schleppte sich der junge Mann zum Herrenhaus der Hadinger Ritter - wo er sein Pferd ließ, hatte er vergessen und es würde auch zu lange dauern, es zu suchen -, welches er kannte, aber noch nie besucht hatte. Hatte Silvagild ihm nicht eine Nachricht mitgegeben? Aelfwin nestelte in seinen Taschen, gab aber auch dieses Ansinnen bald wieder auf. Er würde es bestimmt aus seinem Gedächtnis rezitieren können - dachte er zumindest.

Angekommen beim Hadinger Herrenhaus suchte Aelfwin eine Möglichkeit, sich anzumelden.

Das Hadinger Gutshaus lag an jenem späten Vormittag im hellen Schein des Herrn Praios. Der hellgelbe Putz war erst vor drei Sommern neu aufgetragen worden und die dunkelgrünen Fensterläden rochen bei Aelfwins Eintreffen nach frischer Farbe. Das einzelne Türmchen des kleinen Schlosses wurde gekrönt von einer Zwiebelkuppel und einer schmiedeeisernen Wetterfahne. Und auf dem hohen Walmdach aus schwarzen Schieferziegeln wehten stolz die Flaggen Hadingens und Schweinsfolds. Als Aelfwin die halbrunde Auffahrt hinaufgeschritten war und an den eisernen Türklopfer schlug, öffnete sich nur wenige Herzschläge später die Pforte. Ein kleinerer Mann Mitte der fünfzig Götterläufe, mit grauem, schütteren Haar und breiten Schultern, gekleidet im Livree eines Dieners, öffnete langsam die Tür. “Recht herzlich willkommen auf der Residenz des Hauses von Hadingen”, waren zunächst die förmlichen Worte des Kammerdieners. Als er sein Gegenüber musterte, fügte er noch vorsichtig leise hinzu: “Ähm, wir kaufen nichts.” "Das ist gut", antwortete der junge Mann. Hier war er anscheinend richtig. Er war es gewohnt, unter Rustikalen zu verkehren, weshalb er nur wenig Dünkel in sich trug. "Ich komme mit einer Nachricht für den Gutsherrn. Von meiner Cousine."

“Sehr wohl”, entgegnete der Hausdiener und verneigte sich höflich, während er überlegte, wer dieser schmucke junge Mann sein könnte. “Verzeiht bitte, wen darf ich Seiner Wohlgeboren denn ankündigen?”

“Aelfwin”, antwortete der junge Mann knapp, doch besann er sich eines besseren: “Aelfwin von Ulmentor”, stellte er sich dann doch in vollem Namen vor, bevor wieder eine Nachfrage kam, die dem Zustand seines Kopfes bestimmt nicht zuträglich gewesen wäre.

Es war dem Kammerdiener anzusehen, dass ihm nun ein Licht aufging. “Ich bitte um Vergebung, edler Herr, dass ich Euch nicht gleich erkannt habe. Folgt mir doch gerne umgehend.” Er bat den jungen Ulmentorer, ihm in das Vestibül und durch den linksseitigen Flügel des kleinen Schlosses zu folgen. Sie durchschritten zunächst ein kleines Kaminzimmer mit einigen gemütlichen Sesseln, dessen Wände in grünen Farben und mit firungefälligen Motiven und Dekorelementen gestaltet waren. Dann folgte das Arbeitszimmer, welches von einem schweren Schreibtisch geprägt war, auf dem diverse Schriftrollen und Pergamente ausgebreitet lagen. Vor dem Wust von Papier saß hochkonzentriert eine schwarzhaarige junge Dame, während auf dem Teppich zu ihren Füßen ein ungefähr zweijähriges Kleinkind mit zwei Holzpferden herumhantierte. Der Diener schien etwas verdutzt, überspielte dies jedoch mit einem vorsichtigen Räuspern.

“Was gibt es denn, Niando?” Die Frau am Schreibtisch drehte sich zu dem Hausdiener um und bemerkte den Gast in seinem Schlepptau. Mit fragendem Blick stand sie auf und strich ihr schlichtes, bequem wirkendes Kleid aus einfachem hellen Leinenstoff glatt, das an Revers und Ärmeln mit bunten Blumenranken bestickt war.

Der Kammerdiener deutete dezent auf seinen Begleiter: “Der edle Herr von Ulmentor wünscht den Herrn Hardomar zu sprechen. Ich nehme an, dass seine Wohlgeboren mit seinem Pagen im Garten zu finden ist?” Die zierliche junge Frau, vielleicht Mitte der zwanzig Götterläufe, zuckte mit den Schultern und rollte leicht mit ihren großen, dunklen Augen. "Ja, das vermute ich auch. Lange hält er es nie über den Büchern aus. Das Aufeinandereinschlagen mit Holzschwertern und Lanzen hat selbstverständlich Priorität." Sie seufzte leise, dann wandte sie sich mit einem einladenden Lächeln und einer angedeuteten Verbeugung dem Besucher zu: "Die Götter zum Gruße, edler Herr von Ulmentor! Ich bin Mokaschka Alhanjeff, Vögtin dieses Gutes. Vielleicht kann ich Euch ja auch mit Eurem Anliegen weiterhelfen?"

“Ich hätte eine Nachricht für Euren Herrn Gemahl”, meinte Aelfwin, nachdem er Mokaschka mit einem Nicken begrüßt hatte. Von einer Verbeugung nahm der junge Mann Abstand - zu groß war die Gefahr, dass diese Bewegung darin mündete, dass ihm etwas aus dem Gesicht fiel, das besser in seinem Magen blieb. “Von meiner Cousine Silvagild … es … äh …”, er tippte sich theatralisch auf das Kinn, “... ist glaube ich dringend.”

Mokaschka musterte den leicht abgekämpft, aber durchaus hübsch anzusehenden Gast mit halb irritierter, halb amüsierter Miene. "Nun, der wohlgeborene Herr ist nicht länger mein Gemahl", erklärte sie in bemüht leichtherzigem Tonfall, begleitet von einer schnellen, wegwerfenden Handbewegung. "Oder er war es vielmehr nie. Die Travia-Geweihte hat damals etwas mit dem Segen, ähm… verpfuscht... lange Geschichte. Ich wundere mich, dass Klatsch und Tratsch noch nicht zu Euch vorgedrungen sind. Egal." Mit einem besonders strahlenden Lächeln versuchte die junge Norbardin die kurz in ihr aufkeimende Verbitterung zu vertreiben. "Nunmehr darf ich dem Gut Hadingen als Vögtin dienen. Wenn die Nachricht Eurer Cousine also Verwaltungsangelegenheiten des Lehens betreffen sollte, seid Ihr bei mir an rechter Stelle."

"Und damit könnt Ihr leben?", fragte Aelfwin direkt und legte dabei seine Stirn in Falten. "In den Diensten eines Mannes, mit dem Ihr einst eine Verbindung und auch einen gemeinsamen Sohn habt?" Der junge Ulmentorer war verblüfft über das, was Mokaschka ihm erzählte. "Aber ich fürchte, die Nachricht hat nichts mit der Verwaltung des Lehens zu tun."

Mokaschka lächelte traurig. Es war wirklich nett, dass der Mann sich nach ihren Gefühlen erkundigte; das taten die wenigsten. "Hm, es ist vielleicht nicht das beste Leben, aber es ist ein Leben", konstatierte sie mit einem zärtlichen Blick zu dem spielenden kleinen Jungen. "Mein Dragowin wird das Gut einmal erben. Und ich kann hier bei ihm sein. Das ist gut." Für einen Moment schien die Norbardin in melancholische Gedanken abzugleiten, dann straffte sie sich und wandte sich an den wartenden Hausdiener: "Niando, bitte geh' und hole den wohlgeborenen Herrn Hardomar. Sag ihm, dass er Besuch hat." “Sehr wohl! Ich werde umgehend mit ihm zurückkehren”, verneigte sich der Kammerdiener, dessen albernische Herkunft in seinem Dialekt kaum zu vernehmen war. Er schritt sogleich durch die nächste Tür des Flügels, um den Ritter im Schlosspark zu suchen.

Dann wies Mokaschka auf ein kleines Tischchen, auf dem einige Karaffen und Flaschen bereitstanden, und schaute den jungen Ulmentorer fragend an. "Darf ich Euch derweil etwas zu Trinken anbieten? Mögt Ihr vielleicht einen der hiesigen Obstweine probieren? Oder lieber einen Boronswalder Kirsch? Den lässt meine Mutter in Ulenau produzieren. Ist ein sehr süßer und sehr dunkler Dessertwein aus Schwarzkirschen."

Aelfwin lebte nach dem Grundsatz, dass man mit dem anfangen sollte, mit welchem man am Vorabend aufgehört hatte. Nun konnte sich der junge Mann daran nicht mehr erinnern, aber Dessertwein würde bestimmt in die richtige Richtung gehen. “Ja, sehr gerne. Ich koste sehr gerne vom Dessertwein.” Er lächelte vorfreudig.

Mokaschka füllte zwei Tonbecherchen mit der schwarzroten Flüssigkeit und reichte eines davon Aelfwin. "Pojechali!" prostete sie dem Ulmentorer zu und präsentierte ein breites Grinsen makelloser weißer Zähne. "Das heißt sowas wie 'Hinunter damit!' auf Alaani."

"Pololani", versuchte sich Aelfwin in dem norbardischen Trinkspruch und kostete dann vom Trunk. Anerkennend nickend lächelte er. "Das ist gut."

Die junge Norbardin erwiderte sein Lächeln, während sie selbst langsam an ihrem Becher nippte. "Habt Dank! Freut mich, dass der Boronswalder Kirsch Euch behagt." Nach einem prüfenden Blick zu Dragowin hob sie anbietend die Flasche. "Sagt Bescheid, wenn ich nachschenken soll, edler Herr. Und wenn Ihr ein paar Flaschen - oder vielleicht auch Fässchen davon ordern möchtet, kann ich Euch einen ganz besonders guten Preis machen…" Sie zwinkerte dem jungen Mann zu, um ihm zu signalisieren, dass das Angebot nur zum Teil ernst gemeint war; dann beobachtete sie wieder für einige Augenblicke schweigend das spielende Kind, bis sie den Blick hob, um Aelfwin forschend in die Augen zu schauen. "Und Eure wohlgeborene Base Silvagild ist wohlauf, hoffe ich?"

Der junge Mann war immer noch damit beschäftigt darüber nachzudenken, wie er Silvagild aus den Rippen leiern würde, hier ein Fass von dem Trunk zu bestellen, als ihn die Frage Mokaschkas aus seinen Gedanken zu reißen schien. "Silvagild geht es ganz gut, denke ich", meinte Aelfwin, begleitet von einem Schulterzucken. "Wiewohl sie gestern etwas unentspannt schien. Ihre Mutter macht wohl wieder Stress."

“Ah ja.” Die Miene der jungen Frau schien undurchschaubar. Sie war immer noch überzeugt, dass ihre Ehe ohne Hardomars kopflose Entbranntheit für die Ulmentorerin vielleicht zu retten gewesen wäre… aber eigentlich war das inzwischen auch egal. Seufzend hob sie die Schultern. “Nun, die wenigsten von uns haben es wirklich leicht mit ihren Müttern”, bemerkte sie leise, mehr zu sich selbst, bevor sie ihren Becher leerte.

“Ach, wem sagt Ihr das”, lächelte Aelfwin. “Die meine führt den Haushalt am Baronshof … wobei mir das auch oft zum Vorteil gereicht; so hat sie nicht viel Zeit dafür, sich in das Leben ihres Sohnes zu mischen.”

“Oh, dankt den Göttern dafür, edler Herr!” lachte Mokaschka einverständlich. “Man könnte eigentlich erwarten, meine Frau Mutter hätte als Junkerin von Ulenau mehr als genug um die Ohren; doch wundersamerweise schafft sie es dennoch immer wieder, sich in einfach alles einzumischen…”, die junge Frau hielt inne, als sie sich nähernde Schrittgeräusche wahrzunehmen glaubte.

Zunächst waren die eiligen Schritte der schweren Stiefel des Hadingers zu hören, bevor dieser in die kleine Arbeitsstube trat. Sein weinrotes Leinenhemd war weit geöffnet und wie meist trug er eine eng anliegende Hose aus schwarzem Leder. Gegürtet hatte er einen Langdolch und in seiner Hand trug er ein Holzschwert. Von den intensiven Schwertübungen mit seinem Pagen gezeichnet, wischte sich mit einem Tuch, auf welchem das Emblem der Udenauer Partisanen gestickt war, die Stirn ab. Als Hardomars suchender Blick Aelfwin fand, begannen seine Augen zu leuchten. “Aelfwin von Ulmentor, was für eine große Freude!” rief er und sah zu Mokaschka. “Der junge Herr ist ein ausgezeichneter Künstler und ich bin ein großer Bewunderer seiner Werke!” Der Ritter versuchte lässig sein hölzernes Übungsschwert in der Hand rotieren zu lassen, wobei er darauf achtete, den Schreibpult nicht zu treffen. Doch streifte er zu seiner Überraschung mit einem ‘Peng’ einen kleinen Glaskristall des Kronleuchters über sich, der auf den Teppich darunter fiel. “Ohhh!”, kommentierte Hardomar sein Missgeschick, woraufhin Dragowin geschwind dem Glasstein hinterher krabbelte.

“Pass’ doch auf!” fuhr Mokaschka den Ritter anklagend an. “Du wirst noch das ganze teure Mobiliar zerschlagen!” Sie eilte zu ihrem Sohn, um ihn auf den Arm zu nehmen und den Kristall seinen kleinen Fingern zu entwinden. “Und nicht auszudenken, wenn er das verschluckt!”

“Hat er ja nicht und es ist nichts passiert; den Klunker kann man einfach wieder anhängen", winkte Hardomar mit gerötetem Kopf ab und schenkte seine Aufmerksamkeit wieder seinem Gast: “Mein lieber Aelfwin, was führt dich zu mir? Ich sehe, du bist schon gut versorgt mit Boronswalder Kirsch?”

Der junge Ulmentorer hatte sich von seinem Stuhl erhoben und verbeugte sich knapp vor dem Ritter. Offensichtlich freute er sich über jene Worte, die Hardomar zu seinen Werken fand. “Ja, ein ausgezeichneter Trunk”, nickte Aelfwin lächelnd. “Ich komme mit einer Einladung meiner Cousine … für äh heute Abend.”

“Oh, das ist ja nett!”, kommentierte Hardomar die Nachricht des Ulmentorers ein wenig überrascht, schrieb ihm Silvagild doch normalerweise ein paar Tage im Vorfeld eines Treffens. Neugierig wandte er sich an seinen Gast: “Gibt es denn einen besonderen Anlass für die Einladung? Es ist doch nicht etwa wegen meines Tsatages von letzter Woche?”

“Äääääh”, Aelfwin rieb sich den Nacken. “Ja, genau …”, er räusperte sich und senkte verschwörerisch seine Stimme, “... aber bitte tut überrascht.” Der Ulmentorer sah sich um. “Können wir los?”

“Ahh ja, verstehe!”, flüsterte Hardomar vertraulich zurück, blickte den Ulmentorer allerdings mit hochgezogener Augenbraue musternd an, kam ihm Aelfwins Antwort doch seltsam vor. “Nun, also, wenn das so ist, dann sollte ich mich wohl in was Gutes kleiden und mich frisch machen. Und ich gebe meinem Pagen Bescheid, dass er mein Pferd derweil zum Aufbruch bereit machen soll.” Mit einem Räuspern wandte er sich Mokaschka zu. “Würdest du dich bitte während der Wartezeit um den edlen Herrn Aelfwin kümmern? Ach, und kannst du auch Imelda informieren? Wir wollten doch eigentlich heute Abend die neuen Wurfäxte von ihr ausprobieren, die sie mir geschenkt hat.”

Mokaschka nickte zustimmend, legte dann aber fragend den Kopf schief. “Boronmin willst du hier lassen? Und wie lange wirst du ungefähr dort bleiben? Du weißt, dass wir die jährlichen Steuerabgaben der Obstbauern besprechen müssen…”

“Ja, ja, weiß ich doch. Schätze, ich werde nur ein oder zwei Nächte auf Schloss Ulmen verweilen und spätestens am Rohalstag wieder hier sein!”, erklärte Hardomar, während er sein Holzschwert ablegte und eilig begann, unter einem Stapel von Pergamenten eine große Mappe herauszusuchen. “Da ist sie ja!”, rief er aus und hielt dem Ulmentorer die Mappe stolz entgegen. “Eine kleine Sammlung meiner Kohlestift-Zeichnungen. Es sind einige Landschaftsdarstellungen dabei.”

Mokaschka rollte leicht mit den Augen und starrte ihrem ehemaligen Gatten unbeeindruckt ins Gesicht. “Das heißt also, dass ich mich bis Rohalstag um deinen Pagen kümmern darf?”

Aelfwins Blick ging zwischen den beiden hin und her. “Nehmt Euren Pagen doch einfach mit. Ich bin mir sicher, dass Silvagild nichts dagegen hat.”

Hardomar nickte dem Ulmentorer mit einem dankbaren Lächeln zu. “Sehr wohl. Boronmin freut sich immer, wenn er auf Schloss Ulmen weilen und die Junkerin sehen darf.” Der Ritter drückte Aelfwin die Mappe in die Hand und verneigte sich vor den Anwesenden. “Deine ehrliche Meinung bezüglich der Zeichnungen würde mich wirklich interessieren, Aelfwin. Wir könnten uns hierzu auf der Reise ja vielleicht ein wenig austauschen. Ich beeile mich, sodass wir schon bald zum Aufbruch bereit sind.”

Etwas unsicher nahm Aelfwin den Block entgegen und nickte dabei dem Ritter zu. “Ich werde es mir ansehen … und ich werde Euch den ein oder anderen Tipp geben wiewohl …”, er räusperte sich, “... Euer Stil sollte unverändert bleiben. Ich möchte Euch nicht ändern … also Eure Art und Weise wie ihr malt.”

“Ich verstehe! Am Anfang habe ich ja vor allem versucht, die Werke anderer Künstler nachzuahmen, doch inzwischen bemühe ich mich, in meine Bilder mehr Individualität hineinzubringen; mehr von meiner Persönlichkeit.” Der Ritter lächelte und fuhr fort. “Von den ersten Zeichnungen in dieser Mappe habe ich übrigens immer noch zwei Kopien angefertigt. Es handelt sich nämlich um ein paar ausgewählte Bilder der Pilgerreise, welche ich mit deiner Base und meinem Pagen unternommen habe. Ich wollte den beiden demnächst die Bilder schenken, quasi als Erinnerung an die schöne Zeit, die wir in Weiden erleben durften.”

Derweil hatte sich Dragowin wieder seinen Holzpferdchen zugewandt und ließ die darauf platzierten Ritter ordentlich zusammenkrachen, was er akustisch lauthals untermalte und Hardomar zum Schmunzeln brachte. Nun klopfte der Ritter mit einem Augenzwinkern Aelfwin freundschaftlich auf die Schulter. “Wie gesagt, wir beeilen uns, dass wir bald aufbrechen können. Gönne dir doch bis dahin noch einen Boronswalder Kirsch!”

Mokaschka hatte ein bisschen mit den Augen gerollt, als Hardomar darauf bestand, dem Ulmentorer seine Fingerzeichnungen präsentieren zu müssen, doch nun trat sie lächelnd mit der Flasche heran, um ihrem Gast von dem Dessertwein nachzuschenken. “Nehmt gerne noch ein Schlückchen. Oder sagt, ob Euch der Sinn nach etwas anderem steht."

"Oh, sehr gerne noch ein Schlückchen”, meinte der junge Ulmentorer lächelnd. Seit er wieder begann zu trinken, wurde sein Kopf besser. Währenddessen blätterte er den Zeichenblock durch, erhob sich von seinem Stuhl und schien mit seinen Fingern die gemalten Striche nachzustreichen. Ab und an, so konnte Mokaschka sehen, schloss Aelfwin dabei sogar seine Augen.

Mokaschka störte ihn nicht in seiner Betrachtung, sondern kniete sich neben Dragowin, um leise mit ihrem Sohn zu sprechen und zu spielen. Nur hin und wieder warf sie einen neugierigen Blick zu Aelfwin herüber. Schließlich, nachdem sie ihm seine Zeit gelassen hatte, Hardomars Zeichnungen durchzusehen, erkundigte sie sich dann doch mit vorsichtiger, leiser Stimme: “Wenn ich fragen darf, was tut Ihr da, edler Herr? Also wenn Ihr, ähm… die Augen schließt?”

“Ich konzentriere mich”, meinte der junge Mann lächelnd. “Ich versuche dem Motiv in meinen Gedanken … Leben einzuhauchen.” Erst jetzt wandte sich Aelfwin der jungen Dame und ihrem Sohn zu. “Zeichnet Ihr auch?”, fragte er interessiert, fuhr dann jedoch ohne eine Antwort abzuwarten fort; “Unsere Kunst sagt immer auch sehr viel über uns selbst aus. Sie ist ein Teil von uns und macht uns verwundbar. Deshalb rechne ich es Eurem Ma … Eurem ehemaligen Gemahl hoch an, mir seine Bilder zu zeigen.”

Mokaschka schüttelte lächelnd den Kopf. "Zeichnen, ich? Oh nein! An mir ist jegliches künstlerische Talent leider vorbeigegangen, fürchte ich!" Ihre Mutter hatte auch stets sehr viel mehr Wert auf Geschäftssinn und Verhandlungsgeschick gelegt als auf die Förderung musischer Fähigkeiten. Die junge Norbardin drückte Dragowin einen Kuss auf die Wange, stand auf und trat hinter den Ulmentorer, um ihm über die Schulter zu blicken. "Und? Was sagt Ihr? Taugen seine Bilder was?"

Der Angesprochene ging noch nicht auf die zuletzt gestellten Fragen ein. Er schüttelte sanft seinen Kopf. “Jeder Mensch kann zeichnen”, meinte er lächelnd. “Ihr auch, versucht Euch einmal.” Dann ging sein Blick wieder auf den Zeichenblock. “Die Bilder des Herrn Ritter sind gut, ja. Ab und an ein bisschen ungeschliffen, ja, aber im Großen und Ganzen ist hier ein gutes Fundament vorhanden.”

"Hm, ich weiß nicht", Mokaschka legte skeptisch den Kopf schief. "Ich hab schon genug schlechte 'Kunstwerke' gesehen, fürchte ich, um zu bezweifeln, dass 'jeder' zeichnen kann..." Sie zuckte verschmitzt mit den Achseln. "Aber ja, vielleicht sollte ich es auch mal probieren. Auch Dragowin ein paar Kreidestifte in die Hand geben. Wer weiß, vielleicht hat er ja das Talent seines Vaters geerbt." Liebevoll und ohne sichtbaren Groll beobachtete sie ihren Sohn beim Spielen, dann wandte sie sich mit prüfend hochgezogener Augenbraue wieder Aelfwin zu. "Davon leben kann man aber nicht wirklich, oder? Von der Kunst?"

“Schönheit liegt im Auge ihres Betrachters”, warf Aelfwin ein. “Was Ihr als hässlich erachtet, möchte sich ein anderer in die gute Stube über den Kamin hängen.” Der junge Mann wollte Mokaschka mit diesen Worten nicht maßregeln, sondern bloß ihren Horizont erweitern. “Davon leben können aber die Wenigsten, da habt Ihr recht. Das Problem ist hier nämlich, dass sich Bewunderer finden müssen, die bereit sind Gold dafür auszugeben und die Reputation besitzen tatsächlich die wenigsten …”

"Ihr habt recht; es gibt für alles einen Markt... man muss ihn nur finden." Nachdenklich kaute Mokaschka auf ihrer Unterlippe. "Vielleicht ist es so wie mit den meisten Waren. Vielleicht muss man den Leuten erst einmal aufzeigen, wie sehr sie etwas brauchen. Und wie dringend sie ihr Gold dafür ausgeben wollen. Habt Ihr", sie schaute dem Ulmentorer interessiert ins Gesicht, "habt Ihr Eure Kunstwerke schon einmal in größerem Stil präsentiert, bei einer Warenmesse oder Festivität? Man könnte ja auch eine besondere Ausstellung organisieren, welche Sammler und Kunstliebhaber von weither anzieht..." Ihre wachen, dunkelbraunen Augen schienen enthusiastisch aufzufunkeln.

"Oh, ich hatte schon ein paar Mal eine Vernissage bei uns im Schloss, aber …”, der Ulmentorer wog sein Haupt hin und her, “... ich arbeite auch nur sehr ungern, wenn ich das Gefühl habe, dass ich muss. Meine Mutter hat mir auch einmal eine Auftragsarbeit eines Tempels vermittelt, aber Buchmalerei ist nicht so das Meine … genauso wie das Setzen von Fristen, die dann ständig in meinem Hinterkopf herumschwirren.”

"Hmm, ach so." Mokaschka nickte mit einem durchaus freundlichen, verständnisvollen Lächeln. "Hat sicher mit dieser 'Inspiration' zu tun, von der die Leute immer reden, was?" Ihr Grinsen wurde breiter. "Meldet Euch gerne mal, wenn Ihr wieder mal so eine... Vernisage veranstaltet. Dann kann ich ja schauen, ob ich mit Kunst wirklich nichts anfangen kann. Oder ob das bisher nur an den jeweiligen Künstlern lag."

“Ah, reden die Leute davon …”, meinte der Ulmentorer amüsiert. “Ich werde Euch eine Einladung zukommen lassen und wer weiß … vielleicht inspiriert Ihr mich ja auch zu einem Werk.”

"Ach nein, so ein Werk würde doch niemand sehen wollen", winkte Mokaschka bescheiden ab, doch war dem Strahlen ihrer Wangen anzusehen, wie sehr sie sich insgeheim von seinen Worten geschmeichelt fühlte. "Aber interessieren würde mich schon, womit Ihr Euch so den ganzen lieben langen Tag beschäftigt..." Die junge Frau lächelte und schien noch etwas hinzufügen zu wollen, als von draußen Hardomars schwere Schritte seine Rückkehr ankündigten.

Schritte, die auch Aelfwin wahrnehmen konnte, weshalb auch er selbst schwieg.

Es sollte nur ein gutes halbes Stundenglas dauern, bis der Hadinger Ritter mit seinem Pagen zur Abreise bereit war. In Begleitung des jungen Henjasburgers schritt Hardomar mit geschwellter Brust in die Schreibstube. Er trug noch immer die gleichen Kleider wie zuvor, doch hatte er die Zeit genutzt, um sich ein wenig zu erfrischen und einige Kleidungsstücke einzupacken, welche für einen feierlichen Anlass angemessener wären. Reisetasche und Schwert hatte er bereits auf Trollwulf verschnürt. In seiner Linken hielt er ein halbes Dutzend roter Rosen, die er aus dem frisch angelegten Rosengarten des Hadinger Schlossparks geholt hatte. Mit der rechten Hand schob er Boronmin einen Schritt vor. “Dies ist Boronmin von Henjasburg, mein Page, welcher mich auch schon auf der heiligen Queste gemeinsam mit Silvi… ähm, Silvagild begleitet hat”, Hardomar deutete auf seinen Gast. “Und dies ist Aelfwin von Ulmentor, ein wahrlich begabter Künstler!”

“Heilige Queste?” fragte Mokaschka mit hochgezogener Augenbraue. “Und Rosen?” Ihr Lächeln wurde spöttischer. “Hardomar, das wäre doch nicht nötig gewesen.”

´Heilige Queste hörte sich so gar nicht nach Silvagild an´, befand Aelfwin sinnierend. Und überhaupt, hatte Silvagild in Weiden nicht ein Dorf niedergebrannt? Er verdrängte den gefassten Gedanken wieder und wandte sich Boronmin zu. Von ihm hatte er tatsächlich schon öfters gehört. “Freut mich dich kennen zu lernen”, begrüßte der Künstler den jungen Pagen.

Der neunjährige Page verbeugte sich tief und enthusiastisch vor dem Gast, den er mit seinen großen dunkelbraunen Augen aufmerksam musterte. "Die Götter zum Gruße, edler Herr! Ich freue mich auch sehr, Euch kennenzulernen!" Der Junge schien kurz zu überlegen, ob er es wagen sollte, noch etwas hinzuzufügen, beherrschte sich aber und schaute stattdessen erwartungsvoll zu seinem Schwertvater.

Hardomar drückte seinem Pagen den Strauß in die Hand und kam mit einer einzelnen roten Rose auf Mokaschka zu. Mit einer höflichen Verbeugung hielt er ihr die Blüte entgegen. “Diese ist für dich, Mokaschka. Deine Mühen sind für unser Haus von unschätzbarem Wert und ich bin dir von ganzem Herzen dankbar. Dragowin kann sich glücklich schätzen, eine so wundervolle Mutter zu haben.” Sein Lächeln ging zu seinem kleinen Sohn, welcher gerade damit beschäftigt war, einen Turm aus Bauklötzen zu errichten. Der Ritter kniete sich zu dem Jungen herunter und nahm ihn hoch. “Dann passe mal gut auf deine Mutter auf!”, rief er und wirbelte das Kind einmal ordentlich im Kreis, um es dann schwungvoll auf seine Schultern zu setzen. Oben angekommen jauchzte Dragowin und hielt sich an Hardomars Ohren fest. “Keine Sorge!”, rief Hardomar zu Mokaschka. “Ich habe den Kronleuchter diesmal bedacht.”

Auch wenn die Geste nett gemeint war, empfand sie Aelfwin als grausam, wenn man bedachte, dass sich hier zwei Menschen gegenüberstanden, die einst ein Bett teilten und durch einen, zumindest mündlichen, Ehebund verbunden waren. Um solcherlei Dinge zu verhindern, ließ sich der Künstler erst gar nicht auf eine ernsthafte Beziehung ein - bisher war er ganz gut damit gefahren.

Mokaschka hatte die Rose mit einem leichten Augenrollen angenommen und bei Hardomars übertrieben schwülstigen Worten die Stirn gerunzelt, schenkte dem Ritter aber, als dieser so liebevoll mit seinem Sohn umging, ein durchaus ehrliches Lächeln. "Dann wünsche ich dir eine gute Reise, Hardomar. Übermittle Ihrer Wohlgeboren bitte herzliche Grüße." Sie wandte sich an Aelfwin und neigte leicht den Kopf. "Euch kennenzulernen, edler Herr, hat mich sehr erfreut. Gehabt Euch wohl!"

“Dragowin, du wirst ja immer größer und schwerer! Bald brauchen wir einen Schwertvater oder eine Schwertmutter für dich, die dich auf den Schultern herumträgt.” Hardomar hob den Jungen ächzend von seiner Schulter und setzte ihn zu seinen Spielsachen zurück. “Bestelle ich!”, rief er Mokaschka zu und nahm den Strauß wieder von Boronmin an sich. “Also dann bis nächste Woche!”

Aelfwin verbeugte sich vor der Dame des Hauses und schloss sich dann den anderen an. Nun - mit Hilfe des guten Likörs - konnte sich der junge Künstler auch daran erinnern wo er sein Pferd gelassen hatte … Boronmin verbeugte sich noch schnell, aber sehr tief vor Mokaschka, die dem Jungen mit einem freundlichen Lächeln den Kopf täschelte. “Gehabt Euch wohl, edle Dame!” Dann beeilte der Page sich, seinem Schwertvater flinken Schrittes zu folgen.

...

Es wurde dann doch später als von Silvagild erhofft und erwartet, dessen war sich Aelfwin sicher, als die kleine Gruppe zusammen mit den letzten Strahlen des Praiosmales das Schlösschen Ulmen inmitten der Au des Flusses Folde erreichte. Stille hatte sich über das Anwesen seiner Familie gelegt und der junge Ulmentorer sog tief die abendliche Luft ein. Bald schon würde diese idyllische Ruhe sein Ende haben, dessen war er sich sicher, denn dann würde Silvagild ihn lauthals anschnauzen, warum er denn erst jetzt auftauchte. Wer weiß, vielleicht war sie ja auch schon verlobt. Amüsiert kicherte Aelfwin vor sich hin.

Es dauerte nicht lange, bis die Ankunft der drei registriert wurde und im Tor eine Frau erschien, die Hardomar als Mirnhilde erkannte. Sie hatte ihre Arme in die Hüften gestemmt und schüttelte beim Anblick Aelfwins knapp mit ihrem Haupt. “Die Gütige zum Gruß, hoher Herr”, begrüßte sie Hardomar und knickste leicht.

Mit jedem Schritt, mit dem sie sich Schloss Ulmen genähert hatten, stieg die Vorfreude des jungen Ritters. Freudig erhob er die Hand zum Gruße. “Die Gütige auch mit dir, Mirnhilde!”, rief er ihr entgegen. “Du kommst spät, Aelfwin”, wandte sie sich dann dem Cousin ihrer Herrin zu. “Silvagild hat schlechte Laune.”

“Stehst du deshalb hier draußen”, schien sich der junge Mann der Tragweite dieser Worte offensichtlich nicht bewusst zu sein. Er erhielt auch keine Antwort der Zofe, die sich von der Gruppe abwandte und wieder in Richtung des Portals schritt.

Etwas irritiert sah der Hadinger Ritter der Zofe hinterher, lenkte sein Pferd direkt neben Aelfwin und sprach diesen vertraulich mit flüsternder Stimme an: “Sag’ mal, was meint sie denn mit ‘wir wären spät dran’?”

Boronmin schaute sich interessiert mit großen Augen um. Er war ein überaus aufmerksames Kind und schien jedes Detail seiner Umgebung in sich aufzusaugen. Auf Mirnhildes Worte, die Junkerin hätte schlechte Laune, zog der Neunjährige nachdenklich die Stirn kraus. Er war sich fast sicher, dass sein Rat hier nicht gefragt war, dennoch konnte er sich nicht zurückhalten, seinem Schwertvater hoffnungsvoll zuzuraunen: "Aber bestimmt freut die Frau Silvagild sich, wenn sie die Rosen bekommt, oder?"

“Äh, das weiß ich nicht …”, antwortete der Künstler auf die Frage des Ritters, doch biss er sich dann auf seine Unterlippe; “... nun ja, vielleicht hat Silvagild auch gesagt, dass ich mich beeilen soll.” Er hob seine Schultern und ließ seinen Blick dann von den Rosen über Boronmin schweifen.

“Beeilen?”, fragte Hardomar stirnrunzelnd, unterließ es jedoch weiter nachzuhaken. Stattdessen hob er seinen Pagen vom Pferd und nahm aus seinem Gepäck den Strauß Rosen. “Dann sollten wir Silvagild nicht länger warten lassen. Das Gepäck lassen wir auf unsere Zimmer bringen und kleiden uns für den Abend, nachdem wir die Junkerin begrüßt haben. Und die Rosen werden ihr ganz sicher gefallen!”, behauptete er mit einem Augenzwinkern zu Boronmin.

Der Page nickte seinem Schwertvater bestätigend zu. Er freute sich darauf, Silvagild wiederzusehen, die er sehr mochte und bewunderte.

...

Die kleine Gruppe begab sich durch das Hauptportal ins Schlösschen. Hardomar selbst kannte sich hier bereits aus, war es doch nicht das erste Mal, dass er durch die Räume und Flure des Anwesens der Familie Ulmentor schritt. Bereits im zweiten Raum wurde sich der Hadinger dessen gewahr, dass Aelfwin sich wohl still und heimlich davon gestohlen hatte. Viel Zeit, sich darüber zu wundern, verblieb dem Ritter dann jedoch nicht; es war abermals Mirnhilde, die Hardomar und Boronmin aufgabelte und in die ´Große Halle´ führte. Hier befand sich ein großer offener Kamin, eine Tafel, um die gepolsterte Stühle standen und einiges an Kunst an den mit Holz vertäfelten Wänden.

An besagter Tafel saß neben Silvagild und ihrer Mutter ein unbekannter Mann. Silvagild war in ein einfaches, aber hübsches grünes Kleid gewandet und hatte ihre dunkelblonden Haare zu einem dicken Zopf geflochten. Ihre Mutter Miriltrud hatte das braune Haar hochgesteckt und war in ein hochgeschlossenes blaues Kleid mit Stehkragen gewandet. Der Mann bestach durch sein langes, glattes Haar, den gepflegten Bart und das getragene Wams aus rotem Bausch, welcher in den Nordmarken beinahe unerschwinglich teuer war. Die Junkerin wirkte nicht unbedingt begeistert, während sich die Sturmfelserin und der groß gewachsene Mann angeregt unterhielten.

Diese Szenerie wurde durch das Erscheinen der beiden Neuankömmlinge unterbrochen, die von Mirnhilde angekündigt wurden.

Es war Silvagild, die sich erhob, ganz so, als hätte sie schon lange auf diesen Moment gewartet. “Hardomar”, meinte sich freundlich und verdrängte dabei den zuvor in sich kochenden Ärger über die enorme Verspätung ihrer spontan hinzu geladenen Gäste. “Schön, dass ihr da seid. Ich darf euch den hohen Herrn Rainald von Gugelforst vorstellen”, tat sie dann der Etikette genüge. “Meine Mutter kennt ihr ja schon.”

Der Ritter erhob sich von seinem Stuhl und grüßte Hardomar mit der rondrianischen Schwertfaust zum Herzen. “Sehr erfreut.”

Es fühlte sich für den Ritter gut an, wieder auf Schloss Ulmen zu weilen. Ein Ort, an dem er sich wohl fühlte und wo die Sorgen daheim wie weggeblasen schienen. Sichtlich gut gelaunt betrat er den Raum, in welchem er empfangen wurde. Seine Blicke wurden gleich von Silvagild gefesselt. Doch überkam ihn ein unangenehmes, beklemmendes Gefühl in der Magengrube, als er den Weidener Ritter neben ihr erspähte. Hardomars Augen wanderten zu Miriltrud und nun erinnerte er sich daran, dass er sich eigentlich vorgenommen hatte, bei seiner Ankunft sein weit geöffnetes Hemd anständig zuzuknöpfen.

Langsam aber sicher ahnte der Hadinger Ritter, dass es wohl keine Überraschungsfeier zu seinem Tsatag sein würde, die ihn erwartete. Sichtlich perplex wollte er den Rondragruß des Fremden erwidern, als er die Rosen in seiner Hand bemerkte. Eilig nahm er den Strauß in die andere Hand, grüßte im Zeichen Rondras und verneigte sich dann höflich samt Kratzfuß. “Die Götter zum Gruß! Hardomar, Ritter zu Hadingen, in Begleitung meines Pagen, Boronmin von Henjasburg. Es freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen, hoher Herr!”

"Rondra zum Gruße!" stimmte auch der neunjährige Page mit seiner hellen Kinderstimme in die Begrüßung ein und verneigte sich ehrerbietig vor den Anwesenden.

Noch bevor jemand der Anwesenden etwas erwidern konnte, war eine Magd heran und brachte den bisher Anwesenden Kelche mit Wein. Hardomar und Boronmin konnten dabei erkennen, dass Silvagild auch einen Zettel zugesteckt bekam, den sie nur leidlich verborgen auffaltete und las.

“Es ist immer wieder schön, Euch in unseren Hallen begrüßen zu dürfen, hoher Herr”, begrüßte Miriltrud den Hadinger und es war nicht schwer herauszuhören, dass diese Worte wohl nicht gänzlich der Wahrheit entsprachen. “Meine Tochter hat mir gar nicht erzählt, dass sie Euch für heute geladen hatte …”

“... Tsatag …”, brach es dann aus Silvagild hervor, bevor ihre Mutter sie noch mehr in Verlegenheit brachte. “Hardomar hatte erst Tsatag … und die Einladung sollte eigentlich eine Überraschung sein …”, sie wies auf den Weidener in der Runde, “... es gab da eine terminliche Kollision, ich hoffe das stört dich nicht. Wir werden nach dem Essen noch Zeit haben, auf deinen Geburtstag anzustoßen.” Insgeheim hoffte sie, dass Aelfwin sich auf die Schnelle auch ein Geschenk überlegt hatte, schließlich hatte sie Hardomars Tsatag ganz vergessen.

Boronmin strahlte voller Vorfreude auf das Essen übers ganze Gesicht, überließ aber seinem Schwertvater das Wort.

Für Hardomar gab es keinen Zweifel, dass Silvagild die Informationen gerade von Aelfwin zugeschanzt bekommen hatte. Auch war ihm jetzt klar, weshalb er wirklich hier war. Silvagild hatte ihn hergebeten, weil sie seine Hilfe benötigte - daher entschied er sich, ihr Spiel mitzuspielen. “Ganz recht, Silvi. Nach dem Essen stoßen wir an!”, verkündete er feierlich. Dann drückte er Boronmin seinen Kelch in die Hand, schritt zu der Junkerin und verneigte sich vor ihr: “Ein kleiner Dank für die Einladung. Du siehst wie immer ganz bezaubernd aus und ich hoffe, der Duft der schönen Rosen wird dir etwas Freude schenken.” Daraufhin überreichte er der Ritterin den Strauß.

"Oh, wie nett von dir”, nahm Silvagild lächelnd den Strauß entgegen. “Die werden wir in eine Vase geben und auf den Tisch stellen. Er sieht mir …”, ihr Blick schweifte über die Tafel, “... etwas zu schmucklos aus.”

“Silvagild …”, ermahnte sie ihre Mutter mit leicht drohendem Unterton.

“Ach, wo bleiben meine Manieren”, fasste sich die Junkerin dann theatralisch an die Stirn. “Bitte setzt euch zu uns … der Hohe Herr Rainald wollte gerade von seiner Familie erzählen … die ihn hergeschickt hat um um meine Hand anzuhalten. Das ist ja lustig. Findest du nicht auch, Hardomar?”

Boronmin musterte Silvagild mit aufmerksamem Blick. Er wurde aus dem Gebahren der Junkerin nicht schlau und war sich nicht sicher, ob sie sich wirklich so sehr über den Antrag des stattlichen Weidener Ritters freute. Aber sollte sie das nicht eigentlich? Verunsichert schaute der Junge zu seinem Schwertvater.

“Toll…”, kommentierte Hardomar die Frage der Ulmentorerin, wobei in seiner Stimme ein sarkastischer Unterton mitschwang. Fast musste er bei Silvagilds theatralischer Geste grinsen, wäre die Sache nicht so ernst. Zwar hatte er bereits geahnt, worum es ging, doch die Umstände von der Frau zu hören, welche er mehr als alles auf dem Dererund von Herzen liebte, versetzte ihm ein beklemmendes Gefühl in der Brust, sodass er einen Moment lang meinte, er würde kaum Luft bekommen. Es stand für ihn fest, dass er seiner Freundin helfen und verhindern musste, dass dieser Weidener Ritter erfolgreich war. Auch wenn der Hadinger noch keine Ahnung hatte, wie er es angehen sollte, so war es nun zunächst wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren.

Hardomar nahm mit einem vertrauten Augenzwinkern zu Silvagild ihr gegenüber Platz und versuchte ihr zu suggerieren, dass er für sie da war. Boronmin bedeutete er, sich auf den Nachbarplatz zu setzen. “Ich finde, die Tafel sieht wieder einmal ganz besonders festlich aus”, versuchte er es in Miriltruds Richtung mit Konversation.

Auch an Rainald selbst schien das sich entfaltende Schauspiel nicht vorbei zu gehen, doch beschränkte sich der Ritter darauf, ahnungslos mitzuspielen. Auch dem Gugelforster lag nichts daran, die junge Dame in einen Bund zu zwingen - vor allem weil sie offensichtlich noch viel zu unreif dafür schien. Auch interessierte es den Weidener nicht, sein Leben in einem schönen Schloss zu verbringen; er war ein Krieger, der einen Kriegssattel unter sich spüren wollte. So wie er es Jahre lang an der Seite des Familienoberhauptes Geppert von Gugelforst-Gareth in den Besitzungen der Familie in der Rabenmark oder an der Seite Baronet Wilfreds in Weidenhag tat. Er war ein Diener Rondras und seiner Schutzbefohlenen und was Frauen anging, gab es bisher nur eine die sein Herz längerfristig erwärmen konnte; dass er über längerer Zeit in wilder Ehe mit der Ifirngeweihten Alwen lebte, war bestimmt auch mit ein Grund warum er heute hier war … oder besser, sein musste.

Es war der Wunsch seiner Familie, dass er sich um die Hand der jungen Dame bemühte, und was die Familie vorgab, war bei den Gugelforstern Gesetz. Insgeheim beruhigte ihn die Unwilligkeit Silvagilds jedoch - in diesem Fall bestand die Möglichkeit, dass er unverrichteter Dinge wieder abziehen konnte. Niemand würde es ihm zum Vorwurf machen, dass der Bund nicht zustande kommt, wenn die Gegenseite ihn schlicht und einfach ablehnte. Dennoch galt es für Rainald, den Anschein zu erwecken, dass er sich ehrlich darum bemühte.

“Wir haben uns bemüht”, meinte derweil Miriltrud an Hardomar gewandt, wollte sie den Versuch seines Lobs nicht unbeantwortet lassen. Dass diese Wortmeldung kühl wirkte, war der Hadinger von der Sturmfelserin inzwischen gewohnt. “Mirnhilde soll sie in eine Vase geben”, diktierte sie weiter, bevor sie sich wieder ihrem Weidener Gast zuwendete.

“Hoher Herr, wir haben Euch zuvor unterbrochen …”, nun versuchte Miriltrud sich in ihrem sympathischsten Gebaren.

“Natürlich …”, räusperte sich Rainald, “... meine Eltern sind beide gegen die Schwarzen Horden gefallen. Meine Mutter vor Ysilia, als ich und meine beiden Geschwister noch Kleinkinder waren. Mein Vater, der nach jener Schlacht in das Noviziat der Traviakirche eintrat, vor wenigen Götterläufen vor Mendena. Trotzdem er bereits ein hoher Bruder der Kirche der Gütigen war, blieb er auch seinem Stand als Ritter treu. Die Menschen Weidens nannten ihn liebevoll ´Ritter Gans´”, lächelte Rainald. Er wusste, dass seine Eltern nun unter Travias Schwingen wieder vereint waren - ein schöner Gedanke. “Meine ältere Schwester Alwen fiel als Jungritter am Nôrrnstieg gegen die Orks, mein Bruder Ademar hat in ein gutes Haus geheiratet und ist Junker in Garetien. Grafschaft Waldstein, um genau zu sein.”

Miriltrud maß ihre Tochter mit einem strengen Blick, die nicht ganz bei der Sache zu sein schien. Dann wandte sie sich wieder dem Gugelforster zu; “Ich habe gehört, dass auch Ihr ein bisher sehr bewegtes Leben gelebt habt?”

Der Angesprochene wog einen Moment lang ab wie diese Worte wohl gemeint waren, nickte dann jedoch leicht. “Nun, wie man es nimmt. Meine Pagenschaft habe ich in Rommilys beim Hauptmann der Friedensgarde abgeleistet, die Knappschaft dann beim Reichsvogt von Gugelforst. In dessen Diensten blieb ich dann auch bis vor wenigen Sommern. Wir kämpften gegen die Besatzer unserer Ländereien in der Rabenmark und nach deren Befreiung gegen deren Hinterlassenschaften. Erst als das Schlimmste hinter uns lag, ging ich wieder zurück nach Weiden, wo meine Base, die Baronin von Weidenhag, mich damit betraute, ihr Gut in Südhag zu verwalten.” Pflichteifrig zählte Rainald auf, was er gefragt wurde, hoffte jedoch insgeheim, dass er nicht allzu guten Eindruck hinterließ.

“Sehr interessant …”, bemerkte Miriltrud freundlich, “... meinst du nicht auch, Silvagild?”

Diese nickte bloß und begann damit, mit ihrem Zopf zu spielen.

Ein kurzer Moment des Schweigens, den Rainald dazu nutzte, um auch die anderen am Tisch in eine Unterhaltung einzubeziehen, die sich vom Traviabund weg bewegte. “Ich habe Euren Namen die letzte Zeit öfter vernommen, hoher Herr”, wandte sich der Gugelforster Hardomar zu. “Ihr habt in meiner Heimat wohl Eindruck hinterlassen … ebenso wie die hohe Dame.”

Boronmin hatte der Erzählung des Ritters gebannt gelauscht. Gerne hätte Rainald mit Nachfragen bestürmt, besonders, als dieser die Kämpfe in der Rabenmark erwähnte, doch biss er sich brav auf die Zunge. Er wusste, dass er in der Regel mehr zu hören bekam, wenn die Erwachsenen seine Anwesenheit vergaßen. Bei der Erwähnung der gemeinsamen Abenteuer in Weiden schlich sich jedoch ein breites Grinsen auf das Gesicht des Neunjährigen und seinen Wangen begannen vor Stolz zu glühen.

Der Hadinger Ritter folgte ohne große Regung der Unterhaltung zwischen der Ulmentorerin und dem Gugelforster Ritter. Immer wieder verloren sich seine Gedanken darin, was Silvagild jetzt wohl genau von ihm erwartete. Was konnte er tun, um ihr zu helfen? Hatte sie überhaupt einen Plan gehabt, als sie ihn hierher rief?

Als Hardomar plötzlich angesprochen wurde, hob er überrascht die Augenbraue. “Oh, wirklich? Nun, wir hatten auf unserer Reise durch Euer Land die Ehre, Eure Base kennenzulernen. Sie hat uns sehr geholfen und ich bin ihr noch immer für ihre Gastfreundschaft und alles, was sie für uns getan hat, sehr dankbar.” Der Hadinger räusperte sich und sah mit seinen blauen Augen Rainald stirnrunzelnd an. Was der Gugelforster Ritter wohl bereits alles wissen mochte? Flüchtig kratzte er sich am Hinterkopf und entschied sich, nicht tiefer auf jene Geschehnisse einzugehen, welche sich in Weiden zugetragen hatten. “Ich hoffe doch, Ihre Hochgeboren Gwidûhenna erfreut sich bester Gesundheit?”

“Ihrer Hochgeboren geht es sehr gut. Sie ist wohlauf und die Baronie auf einem guten Weg”, beantwortete Rainald die Frage nach bestem Wissen und Gewissen.

“Ja, wir sind ihr sehr dankbar”, schien auch Silvagild nun aus ihrer Lethargie aufzuwachen. “Auch, weil sie die Sache mit dem Dorf nicht an die große Glocke gehängt hat und sich hinter mich gestellt hat.” In Weiden selbst schien ihr ‘Überfall’ tatsächlich nicht viel Staub aufgewirbelt zu haben, was wohl dem Einsatz der Baronin geschuldet war.

Rainald wunderte sich, dass die Junkerin dieses Thema anschnitt, nickte ihr jedoch lediglich zu.

“Ich hoffe, dass es Euch und Eurer Familie auch gut geht, hoher Herr? Und auch dem jungen Herrn”, wandte er sich nun Boronmin zu. Mit den Henjasburgern bestanden familiäre Bande und diese wogen bei den Gugelforstern immer schwer - egal wie dünn diese sein mögen.

Boronmin nickte eifrig. "Ja, meine Familie ist wohlauf, soweit ich weiß! Meine große Schwester Boromada wird im nächsten Jahr bestimmt ihre Schwertleite erhalten. Und sie sagt, danach besuchen wir gemeinsam die Verwandten meines Vaters in Weiden! Das fände ich nämlich wundervoll, die einmal kennen zu lernen! Vater will nichts davon wissen, weil seine Eltern damals wohl gemein zu ihm waren, und dann hatte ihn ja eine Vision Borons nach Herzogenfurt geführt... aber ich möchte so gerne die Espe wiedersehen und Fenia und Trudi und Alwen... und die andere Alwen natürlich auch!", der junge Page, der in aufgeregtes Plappern verfallen war, musste einmal tief Luft holen, bevor er den Weidener Ritter fragend anschaute und zu einem neuen Wortschwall ansetzte: "Hoher Herr, könntet Ihr vielleicht Grüße von mir überbringen, also wenn es Euch keine allzu großen Umstände macht... Ich hoffe nämlich wirklich, dass es allen in Weiden gut geht und dass die Orks nicht mehr so viele Probleme machen - und ist die Prinzessin Vernossiel in letzter Zeit noch mal aufgetaucht... oder der Warg?" Als ihm der Gedanke kam, dass Miriltrud damit vielleicht gar nichts anfangen konnte, fügte er mit Blick zu der Ritterin erklärend hinzu: "Das ist so ein großer schwarzer Wolf. Der ist wirklich gewaltig und im ersten Moment auch sehr, sehr unheimlich mit seinen Zähnen und so, aber zu Espe und mir war er eigentlich ganz nett!"

Zunächst schmunzelte Hardomar über den Redeschwall seines Schützlings. Doch als dieser von Vernossiel und dem Wargen berichtete, begann er immer unruhiger hin- und herzurutschen. Er war unendlich stolz auf den Jungen, welcher sich, als er zu ihm kam, kaum getraut hatte, den Mund aufzumachen, auf jener Reise nach Weiden aber sichtlich aufgeblüht und zusehends gesprächiger und aufgeweckter geworden war. Was inzwischen manchmal ins andere Extrem umschlug… Schließlich legte der Hadinger sanft die Hand auf Boronmins Schulter, um diesem zu signalisieren, dass er nun lieber selbst das Wort ergreifen wollte, bevor sein Page noch mehr Fantastisches erzählte. “Die Sage des Wargen hatte Boronmin gleich begeistert, als er das erste Mal davon gehört hatte, nicht wahr?” Flüchtig zwinkerte er dem Jungen zu, um dann fortzufahren: “Jedenfalls war ich wirklich froh, als alle wieder wohlauf in Sicherheit waren. Ohne die Hilfe Boronmins und der vielen wundervollen Leute in der Heldentrutz wäre es uns nicht gelungen, Silvagild aus der Gefangenschaft der Schwarzen Henya zu befreien. Zumindest nicht so schnell. Ich hätte es mir nie verziehen, wenn ihr etwas zugestoßen wäre - und bis an mein Lebensende versucht, sie zu retten.” Sein Blick ging zur Junkerin und er sah sie einen Moment lang mit einem verträumten Lächeln an. Es lag ihm auf der Zunge, zu Silvagild zu sagen, dass die gemeinsame Zeit mit ihr in Weiden die beste Zeit seines Lebens gewesen war, doch hielt er sich zurück, schaute stattdessen zu Miriltrud und neigte leicht seinen Kopf vor der älteren Ritterin: “Hohe Dame, ich kann gar nicht ausdrücken, wie dankbar ich Euch dafür bin, dass Ihr mir erlaubt habt, diese Reise mit Eurer Tochter antreten zu dürfen.”

Die Angesprochene war immer noch verblüfft über den Redeschwall des Pagen gewesen, den sie immer noch mit einer hochgezogenen Augenbraue anstarrte. Warg? Prinzessin Vernossiel? Sie wollte gar nicht wissen, ob diese Worte der Fantasie des Knaben oder der Realität entsprachen. Silvagild selbst hatte nie was genaues über ihre Reise nach Weiden erzählt - neben der Sache mit dieser Henya und dem Überfall auf das Dorf.

“Ihr braucht mir nicht danken”, meinte Miriltrud dann in die entstandene Stille hinein. “Silvagild ist Ritterin und Junkerin und die Entscheidung auf Reisen zu gehen, obliegt ihr alleine.” Dass dem nicht ganz so war, was vor allem mit Silvagilds Tätigkeit als Wächterin des Ulmentors zusammenhing, war kein Thema für diesen Tisch gewesen. “Aber wenn ich gewusst hätte, was ihr alles blüht … ich hätte ihr wahrscheinlich davon abgeraten.”

Rainald blickte daraufhin einen Moment lang auf Miriltrud und als er sich dessen vergewissert hatte, dass sie nichts mehr hinzufügen wollte, erhob er das Wort; “Es geht Alwen und Trudi gut”, beantwortete er die Frage des Pagen. Die Ifirngeweihte hatte ihn auch von den Abenteuern erzählt, weshalb die Sturmfelserin tatsächlich die einzige am Tisch war, die die Geschichten nicht kannte. “Eine Espe und eine Fenia kenne ich leider nicht, aber ich werde Alwen und Trudi deine Grüße ausrichten. Die Orks haben wir jedenfalls auch unter Kontrolle.”

Silvagild selbst beobachtete den Weidener Ritter sehr eindringlich. Als er Alwens Namen nannte, nahmen seine Augen einen seltsamen Glanz an … sie kannte diesen Ausdruck und witterte ihre Chance. “Ihr kennt ihre Gnaden Alwen näher, hoher Herr?”

Ertappt räusperte sich Weidener; “Ja, wir sind befreundet. Deshalb kenne ich auch Helchtruda, ihre Freundin sehr gut.”

“Ihr mögt sie wohl sehr?”, stichelte Silvagild nach, auch wenn ihr der Ritter dabei sehr leid tat. Sie wusste, dass es für ihn wohl auch ein sehr großer Schritt war, hierher zu kommen und um sie zu werben, wenn sein Herz doch einer anderen gehörte.

Rainald jedenfalls beantwortete die Frage nicht gleich, sondern sah zu Hardomar und Boronmin, ganz so, als hoffte er auf deren Hilfe, das Thema wieder zurück zu den vorherigen Punkten zu leiten. “Eigentlich gibt es zwei Alwens!” mischte sich Boronmin erneut vorlaut in das Gespräch ein. “Und ich mag beide sehr gerne! Die eine Alwen ist Pagin bei Hochwürden Leudara. Wir haben zusammen Puppen für die heilige Matissa gebastelt. Und dann durften wir Hochwürden sogar bei der Andacht helfen!” Der Junge strahlte mit glänzenden dunklen Augen voller Stolz in die Runde. “Die andere Alwen ist Geweihte der Ifirn. Sie trägt einen langen weißen Pelzmantel und ist großartig mit dem Bogen! Und ihre Base, die ist Ritterin, die haben wir auch kennengelernt! Die Grimmberta hat einen schönen großen Hund und ihr Pferd heißt Vernossiel, so wie die Prinzessin!”

Der Hadinger hatte Silvagilds Versuch, bei dem Weidener Ritter in dessen scheinbarer Wunde zu stochern, genau beobachtet. Typisch Silvi, dachte er und als sein Page erneut auf die Elfenprinzessin zu sprechen kam, mischte sich Hardomar schnell wieder in die Unterhaltung ein: “Ja, Ihre Gnaden Alwen ist wirklich eine Wucht mit dem Bogen. Als wir im Wargenforst von Schwarzpelzen angegriffen wurden, da hat sie dem Ork, gegen den ich gekämpft habe, gekonnt zwei Pfeile verpasst.” Die Augen des jungen Ritters strahlten vor Enthusiasmus und er fuhr in Erinnerung schwelgend fort: “Also, dieser Khurkach hatte so eine doppelblättrige Axt”, er deutete mit den Händen die Größe jener Waffe an und erzählte eifrig weiter, “...er war damit viel geschwinder, als ich erwartet hätte. Die Pfeile von Alwen haben jedoch genau gesessen und ihn so sehr verletzt, dass er immer langsamer wurde. Ich schulde ihr wirklich einen großen Gefallen.” Der Hadinger fuhr sich durch sein verwuscheltes Haar und sah Rainald aufrichtig an. “Grüßt sie bitte ganz herzlich von uns! Sie ist eine beeindruckende Frau. Ich habe mich sofort ganz hervorragend mit ihr verstanden und konnte spüren, dass zwischen ihr und dem Wald mit seinen Kreaturen eine ganz besondere Bindung besteht.” Auch wenn Hardomar diese Worte mit großer Ernsthaftigkeit aussprach, entschied er sich - in der Hoffnung, Silvagild damit irgendwie zu unterstützen - ganz bewusst dafür, beim Thema der Ifirngeweihten zu bleiben. Vielleicht konnte er den Ritter damit von Silvi ablenken. Betont interessiert lehnte er sich in Rainalds Richtung. “Wie habt Ihr Ihre Gnaden denn eigentlich kennengelernt, hoher Herr?”

Der Blick, den Miriltrud ihrer Tochter zuwarf, sprach eine deutliche Sprache. Die Sturmfelserin wollte ihre Tochter dazu anhalten wieder etwas Struktur ins Gespräch zu bekommen und die Fragestunde ihrer Gäste zu unterbinden. Silvagild war die Hausherrin, ihr oblag es hier einen Riegel vorzuschreiben. Doch die Junkerin dachte nicht daran, vielmehr schien sie die Blicke ihrer Mutter zu ignorieren. “Nun, ich lebe in Südhag”, erklärte Rainald auf Hardomars Frage hin. Es war offensichtlich, dass es ihm nicht allzu leicht fiel, das Thema Alwen zu besprechen. “Das liegt am praioswärtigen Rand des Dûrenwaldes und Alwen ist oft in der Gegend. Also vor allem beim Hain der Weißen Maid, nahe dem Dorf Mittenwalde. So lernt man sich über die Zeit kennen.”

Fast schien es als würde der Ritter damit enden, als er noch einmal nachsetzte; “Als ein Mensch, dem Alwen sehr wichtig ist, freue ich mich jedoch, dass sie eure Herzen erreicht hat. Sie ist eine sehr gute Seele.”

“Das kann ich nur unterstreichen. Alwen ist ein herzensguter Mensch.” Der Ritter nickte zustimmend, hob seinen Weinkelch und nippte vorsichtig daran. “Beim Hain der Weißen Maid?”, murmelte er dann nachdenklich in die entstandene Stille hinein und begann am Stiel einer der Rosen des Straußes zu spielen. Es war für ihn offensichtlich, dass Rainald selbst an keinem Bund mit der Junkerin interessiert war. Sollte er trotzdem weiter in der Wunde bohren? Für Silvagild, die Frau, die er abgöttisch liebte? Er kam sich schlecht dabei vor, doch war es offensichtlich, dass seine Freundin ihn hierher bestellt hatte, damit er ihr gegen den Ritter und dieses Verlöbnis zur Seite stand. “Ich glaube, Trudi hatte mir von diesem heiligen Ort Ifirns erzählt. Also, neben ganz vielen anderen Sachen…”, Hardomar schmunzelte, als er sich an die doch sehr gesprächige junge Frau erinnerte, die gar nicht mehr aufhörte zu reden. Was nichts daran änderte, dass er die Hexe gleich ins Herz geschlossen hatte. “Eine Lichtung, auf welcher sich stets jagdbares Wild aufhalten soll. Leider war es mir nicht vergönnt, den Hain aufzusuchen, auch wenn ich es liebe, die göttergegebene Schönheit der Natur zu erkunden und mit allen Sinnen zu genießen. Ich hoffe, Ihr vermisst die Heldentrutz und Eure Liebsten nicht zu sehr, hoher Herr Rainald, solltet Ihr zukünftig fern der Heimat weilen.”

“Ich bin dort, wo die Pflicht mich hin verschlägt, hoher Herr”, erklärte der Gugelforster ruhig. “Den Großteil meines Lebens verbrachte ich in Rommilys, der gleichnamigen Mark und der Rabenmark … in die Trutz hat es mich ja erst vor wenigen Sommern verschlagen … auch meine Eltern lebten am Grafenhof zu Olat. Ich bin also ein gebürtiger Bärwaldener, wenn Ihr so wollt.” Er wollte den Hadinger damit nicht verbessern, denn im Grunde genommen würde es ihm tatsächlich sehr schwer fallen, die Menschen und das Land hinter sich zu lassen.

Miriltrud ging bei den Worten des Mannes das Herz auf - ach, wie schön wäre es gewesen, Kinder zu haben, die die Pflicht über ihre persönlichen Befindlichkeiten stellten? Stattdessen prüften die Götter sie mit einer störrischen, sturen und naiv-freigeistigen Meute, bei der sie in ständiger Sorge leben musste, dass die drei ihr und der Familie keine Schande machten. Wahrscheinlich war es das Dryadenblut in deren Adern, welches Miriltrud fehlte und das es ihren Kindern wohl schwerer machte … sich selbst zu zügeln. Leise seufzend hoffte sie, dass die Ehe und eine eigene Familie diesem Treiben einen Riegel vorschieben würde, wie es auch bei Silvagilds Vater schlussendlich war.

Besagte Junkerin schien den schmachtenden Blick ihrer Mutter zu bemerken und versuchte deshalb, das Thema weg vom pflichtbewussten gewünschten Schwiegersohn zu lenken; “Der Hain, habt Ihr den schon einmal gesehen, hoher Herr? Wie Hardomar sagte, konnten wir ihn damals nicht besuchen.”

Rainald schüttelte verneinend sein Haupt. “Der Hain ist kein Pilgerort, Wohlgeboren. Die Menschen suchen ihn nur in Stunden größter Not auf … sie beten an einem Schrein, der zwischen dem Dorf und der Lichtung liegt, weiter wagen sie sich aus Ehrfurcht nicht hinein. Die Menschen meinen, dass Ifirn an diesem Ort einst höchstselbst gewandelt sein soll. So erzählt es uns zumindest die Mär von Yann dem Waydmann.”

“Tatsächlich? Möchtet Ihr sie uns erzählen?”, fragte Silvagild, nun doch etwas interessiert. Wiewohl, im gegenwärtigen Zeitpunkt würde sie sich auch lieber über Schweinezucht, denn ihre angedachte Zukunft als Ehefrau unterhalten.

Der Ritter nickte der Junkerin zu. “Natürlich”, er räusperte sich, nahm einen Schluck und begann dann zu erzählen; “In längst vergangenen Tagen, da unsere Länder, die Wälder und Flüsse, heute nicht mehr bekannte Namen trugen, lebte zwischen zwei Wasserläufen, die wir in der Gegenwart als Pergel und Dergel kennen, ein junger Waydmann, der von seinen Eltern Yann gerufen wurde. Er war nicht der beste Schütze und auch nicht der beste Fährtenleser, lebte aber in einem kleinen Holzhaus nahe dem heutigen Dorf Mittenwalde im Dûrenwald.

Yann liebte es, durch die Weiten des Forsts zu schreiten und man sagte ihm nach, sich gleichermaßen mit Tieren und Pflanzen unterhalten zu können. Ja, selbst die Dûren schienen ihn in ihrem Wald zu akzeptieren und ließen ihn während seiner lang ausgedehnten Wanderschaften und Jagden unbehelligt.

Eines Abends erblickte der junge Mann eine liebliche weiße Maid, im Beisein einiger Hirsche und Hasen, an einer Waldlichtung auf einem Baumstumpf sitzen und weinen. Sie trug ein weißes Kleid, hatte blasse Haut und schneeweißes Haar. Aus ihren blauen Augen fielen Tränen, als wären es Schneeflocken. Gleich kleiner Steine blieben sie auf dem Waldboden liegen und wurden über die Augenblicke, da Yann die Szenerie mit offenem Mund bewunderte, mehr und mehr.

Angetan vom Anblick der jungen Frau, inmitten der Ansammlung von Tieren, fasste sich der Waydmann ein Herz und schritt an sie heran. Ohne zu wissen, dass es sich bei der Unbekannten um die leibhafte Ifirn handelte, die dort das Verschwinden ihrer Tochter betrauerte, schwor er ihr, betört durch ihren göttlichen Liebreiz, das Silberschwänlein Lidari zu finden.

Doch sollte sich diese Aufgabe nicht so einfach darstellen. Die Weiße Maid erzählte davon, dass Lidari sich in einen schwarzen Wolf verliebte, der hier in der Nähe lebte. Eben jenes Tier soll von eindrucksvollem Wuchs gewesen sein; das Fell schwarz glänzend gleich feinster Seide, der Körper schlank und kräftig, die Zähne weiß wie Schnee und Augen blau wie die Tiefen des Pandlarin verliehen dem Wargen ein erhabenes, beinahe königliches Aussehen, das einer Halbgöttin würdig zu sein schien.

Die Tochter der Weißen Maid soll ihrem Geliebten bereitwillig in die Welt der Menschen gefolgt sein, wo er sie, eifersüchtig wie er war, jedoch festsetzte und nicht dazu bereit war, sie gehen zu lassen. Yann jedoch wusste, dass es sich bei eben jener Kreatur um den Herren des Wargenforst handeln musste. Er kannte die Geschichte von Alari und auch, was es Perdan abverlangt hatte, sie zu befreien. So wandelte der tapfere Yann auf den Spuren des Recken Perdan in den düsteren Wargenforst, welchen er Zeit seines Lebens gemieden hatte und machte sich daran, nach Lidari zu suchen. Das Silberschwänlein fand sich tatsächlich am vermuteten Ort und wie ihre göttliche Mutter schien sie todtraurig über ihr Schicksal zu sein.

Der Waydmann wusste jedoch, dass er kein strahlender Ritter war, wie Perdan vor ihm und er dem Wargen nicht mit dem Schwert begegnen konnte. Deshalb appellierte er an die Arroganz und Überheblichkeit der Kreatur und schlug ihm einen Wettkampf vor. Wenn er es innerhalb eines Stundenglases schaffte, einen Eisflockenquarz aufzutreiben, würde Lidari frei sein. Schaffte er es nicht, würde er schwören, nie wieder einen Fuß in den Wald zu setzen.

Der Warg, sich seines Sieges sicher, willigte ein. Er kannte den Wald wie seine Westentasche und wusste, dass sich solche Steine hier nicht fanden. Yann jedoch holte schief grinsend eine Hand voll Eisflockenquarze aus seiner Tasche, just nachdem sein Gegenüber eingewilligt hatte. Es waren Ifirns Tränen gewesen, die sie für ihre Tochter auf jener kleinen Waldlichtung vergoss, auf der der Waydmann sie getroffen hatte.

Auch heute noch gilt eben jene Waldlichtung, nahe dem Dorf Mittenwalde, an der Ifirns Tränen Dere berührten, als der Weißen Maid heilig, da diese als Jagdziel in größter Not schon so einige Menschen vor dem Hungertod bewahrte. Es befindet sich dort immer jagdbares Wild, wie Ihr schon sagtet.

Der Warg ließ die beiden ziehen und groß war die Freude der Weißen Maid, als sie ihre silbern gefiederte Tochter in die Arme schließen konnte. Yann der Waydmann wird in Weidenhag auch heute noch als Tagesheiliger verehrt - zusammen mit Lidari rufen wir ihn an, wenn wir um die sichere Rückkehr aus der Wildnis bitten. Die eigene und jene unserer Lieben. Die Eisflockenquarze, Ifirns Tränen, sollen es mit den ersten Welkensteiner Baronen auf den Weidenhager Baronsreif geschafft haben … so zumindest der Volksglaube.”

Mit großen, staunenden Augen starrte Boronmin den Ritter an, völlig gebannt von den lebendigen Bildern, die die Geschichte vor seinem geistigen Auge entstehen ließ. Für ihn gab es keinerlei Zweifel, dass es sich ganz genauso zugetragen haben musste. "Aber… warum wollte Lidari nicht bei dem Wargen bleiben?" fragte der Junge nach kurzem Zögern nach, sehr andachtsvoll und fast flüsternd. "Wenn sie ihn doch so geliebt hat?"

Der Hadinger verdrehte die Augen, als Silvagilds Mutter den Ritter so offensichtlich anschmachtete. Vielleicht wäre es besser, Miriltrud würde den Gugelforster ehelichen? Sie schienen auf einer Wellenlänge zu sein und Rainald passte in seinem ganzen Wesen viel mehr zu ihr. Während Hardomar der schönen Geschichte lauschte, schweifte er in seine Gedanken ab. Heute Morgen war er noch davon ausgegangen, dass er mit Imelda die neuen Wurfäxte ausprobieren würde, welche sie ihm geschenkt hatte. Doch dass er heute noch in Ulmen versuchen würde, Silvagilds Mutter zu bremsen, hätte er sich nicht träumen lassen. Als es plötzlich wieder um den Wargen ging, warf er schmunzelnd einen Seitenblick zu seinem staunenden Pagen. Der Junge liebte Märchen und Legenden, und auch wenn gerade Imelda, seit ihrer Rückkehr, besonders gruselige Gute-Nacht-Geschichten mit viel Knall-Puff zu erzählen pflegte, wo zwischenzeitlich alles in Flammen aufging, so waren ihre fiktiven Erzählungen etwas anderes als fantastische Wesen, welche sie im echten Leben getroffen hatten. Nachdem Rainald die Sage beendet hatte, legte der junge Ritter gutmütig lachend den Arm um die Schulter seines Pagen, abwartend, was der Weidener auf Boronmins Frage antworten würde.

“Hm”, Rainald blickte für einen Moment schweigend auf den Pagen. “Vielleicht wollte sie dennoch nicht eingesperrt werden?”, stellte der Ritter in den Raum. “Schwäne sind sehr freiheitsliebend und vielleicht wog eben jene Zuneigung ihrer Freiheit gegenüber schwerer als jener ihres Geliebten gegenüber.” Für einen Moment blickte Rainald auf die Tischplatte - aufmerksamen Geistern wurde klar, dass diese Worte wohl nicht nur die Situation der Liebenden im Märchen beschrieb, sondern auch jene zwischen ihm und Alwen.

Dass sich Miriltruds Antlitz etwas verfinsterte, ließ den Schluss zu, dass sie es wohl verstanden hatte.

“Die Liebe kennt keine Dünkel, sie kennt keine Grenzen…”, flüsterte Hardomar leise vor sich hin, nachdenklich auf seinen Becher starrend. Er blickte zu dem Weidener Ritter auf und sprach sanft: “Dies waren die Worte, welche mir Perdans Geist im Wargenforst mit auf den Weg gab. Mir war es vergönnt, mit ihm zu sprechen.” Musternd sah er Rainald an. “Wahre Liebe ist nicht an einen Ort gebunden; sie überwindet auch Zeiten der Trennung. Man liebt den anderen einfach so, wie er ist und freut sich, wenn es ihm gut geht.” Ein leichtes, verträumtes Lächeln machte sich auf Hardomars Lippen breit, als er an die Begegnung mit dem Rahja-Heiligen zurückdachte, die ihn sehr bewegt hatte. “Ich würde jedenfalls niemals wollen, dass die Frau, die ich liebe, in einen Käfig gesperrt wird und ihren Bedürfnissen nicht mehr folgen kann. Für mich heißt Liebe auch, loszulassen und dem anderen Freiheit zu schenken.”

Mit zusammengekniffenen Augen musterte Rainald den Hadinger. Was hatte er da eben gesagt? “Aus Euren Worten spricht Weisheit”, meinte er knapp. “Doch sind wir Menschen dafür gemacht, jene, die wir Lieben, immer weit von uns zu wissen? Ihr seid ein stärkerer Mann als ich, wenn Ihr das könnt, ohne dass Euch Wehmut übermannt und ihr zu zaudern beginnt ...”

Fast schien es, als hätte Rainald beim Philosophieren vergessen wo er war … und vor allem, warum er hier war. Noch bevor er sich weiter in Schwierigkeiten reden konnte, öffnete sich die Tür in den Saal und es war Aelfwin, der hinein trat - in seinen Armen hielt der Künstler eine lederne Rolle.

“Ah … sehr schön … dein …”, Silvagild stockte kurz und wartete ein Nicken ihres Cousins ab, “... dein Geschenk, Hardomar. Alles Gute noch einmal”, tönte die Junkerin feierlich. Auch ihr schien es nicht unrecht zu sein, die Reden rund um die unsterbliche Liebe beendet, oder zumindest pausiert zu wissen.

Hardomar sah seine Freundin amüsiert an. Auch, wenn es für ihn recht offensichtlich war, tat er so, als hätte er keinen Schimmer, dass das Geschenk erst kürzlich entstanden war. “Vielen Dank, Silvi! Das wäre doch wirklich nicht nötig gewesen. Da bin ich aber gespannt, was du mir schenkst!” Geschwind erhob sich der Hadinger und eilte zu Aelfwin, um das Präsent mit einem höflichen Nicken entgegenzunehmen. Flüchtig überlegte er, ob er gleich hinein schmulen sollte, doch kam er damit zunächst zurück an den Tisch, wo er die lederne Rolle neugierig zu öffnen begann.

Auch Boronmin reckte ungeduldig seinen Hals, um so schnell wie möglich einen ersten Blick auf den Inhalt erhaschen zu können.

In der Lederrolle befand sich ein Gemälde. Das Motiv war Hardomar bekannt gewesen, es glich jenem Bild des Hofes der Lilienkönigin, welches der Hadinger von seinem Besuch noch in Erinnerung hat.

Die tiefblauen Augen des jungen Ritters staunten vor Begeisterung, als er das Gemälde erblickte. “Bei den Göttern, das ist wahrhaft wunderschön!”, flüsterte er leise, betrachtete näher die Details des Bildes und fuhr mit dem Finger über ein paar Linien. “Schau’, Silvi! Ist es nicht zauberhaft?” In Gedanken schweifte er ab zu der fantastischen Welt der Lilienkönigin und stellte sich vor, wie es wäre, noch einmal dorthin zu reisen. Mit einem verträumten Lächeln erinnerte sich daran zurück, wie Silvagild in diesem prächtigen Kleid ausgesehen hatte. Augenzwinkernd wandte er sich ihr zu. “Also, dieser Fruchtpunsch, den du mir damals eingeflösst hattest, der war schon verdammt gut! Das war eine wundervolle Feier, was?” Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, lief er etwas rot an. Denn zugegebenermaßen hatte er von dem eigentlichen Fest nur wenig mitbekommen, da die Junkerin dann doch recht viel seiner Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hatte. “Vielen Dank Euch beiden! Das ist ein wirklich großartiges Geschenk. Ich werde es an einen besonderen Platz hängen, um mich immer daran zu erinnern!” Hardomar fuhr sich durch sein lockiges Haar und wandte sich direkt an Silvagild: “Wie geht es denn eigentlich Tsalr…” Der Hadinger biss sich auf die Unterlippe, als er sich fast verquatscht hätte. Schnell versuchte er das Thema zu wechseln: “...den zahlreichen Tieren, die du besitzt? Du hattest dir doch neben Adelar und Bandit auch noch ein Firunsbärchen geholt, nicht wahr?”

Interessiert horchte Boronmin auf. Ein neues Kätzchen? Das würde er sich gerne anschauen. Vielleicht versteckte es sich ja hier irgendwo? Unwillkürlich blickte der Junge sich suchend im Raum um. Silvagild waren beinahe die Gesichtszüge entglitten, als Hardomar sich anschickte nach ihrem Bruder zu fragen, doch kratzte der Ritter noch die Kurve. “Ähm ja … du meinst Matissa … mein Firunsbärchen … sie ähm … hält mich auf Trab.” Insgeheim wunderte sich die Junkerin, dass Aelfwin eines seiner liebsten Gemälde als Geschenk darbot, welches er damals direkt am Hof der Lilienkönigin malte - sie nickte ihrem Cousin zu, der die Geste verstand und sich knapp verneigte.

“Ein schönes Motiv”, warf auch Rainald anerkennend ein. “Ihr seid sehr talentiert, Meister …”, fragend zog der Gugelforster seine Augenbrauen hoch.

“Aelfwin, hoher Herr”, stellte sich der Künstler vor.

“Meister Aelfwin …”, wieder nickte Rainald anerkennend, “... meine Base ist immer auf der Suche nach förderwürdigen Künstlern. Wenn Ihr Interesse habt, übermittle ich ihr ein paar Eurer Referenzen.” Dankend verbeugte sich Aelfwin auf diese Worte hin, sagte jedoch nichts. Im Endeffekt lag ihm nichts daran sich in die Abhängigkeit einer Adeligen zu begeben, doch wollte er das gut gemeinte Angebot nicht gleich ausschlagen.

“Ihr spracht, als wärt Ihr schon einmal dort gewesen”, wandte sich Rainald dann an den Hadinger.

Hardomar hatte der Unterhaltung nur mit halbem Ohr zugehört und war noch immer in das Gemälde vertieft. Erst als er direkt angesprochen wurde, blickte er auf. “Äh, wie? Ich?” Der Hadinger, welcher geschworen hatte, bis zu seinem Lebensende die Feenwelt, das Ulmentor und Silvagild als dessen Hüterin zu schützen, setzte geistesgegenwärtig ein belustigtes Schmunzeln auf. “Der Kostümball Ihrer Hochgeboren Selinde. Feen und Fabelwesen waren das Motto!” Er versuchte sich vor dem geistigen Auge einen solchen Ball vorzustellen, um glaubwürdiger zu wirken. Mit enthusiastisch strahlenden Augen stupste er seinen Pagen neben sich an, während er unauffällig schon einmal das Bild zusammenrollte. Der Weidener Ritter sollte keine Möglichkeit haben, noch einen weiteren Blick auf dieses zu werfen. “Silvi sah natürlich atemberaubend aus in ihrem Feenkleid und ich hatte ein Kostüm, was wirklich albern war und überhaupt nicht gesessen hat. Aber das war egal bei so einem zauberhaften, rauschenden Fest. Schade, dass du damals noch nicht dabei warst, Boronmin. Wir hätten dich als Wurzelbold oder Schweinebiestinger verkleiden können.” Er zwinkerte dabei dem Jungen auf eine Art und Weise zu, dass dieser wusste, dass sein Schwertvater ihn nur aufziehen wollte.

Boronmin kniff irritiert die Augen zusammen. Wurzelbold?! Zwar kannte er solche Neckereien nur zu gut von Hardomar, war aber dennoch nicht sonderlich begeistert, dass sein Schwertvater ihn anscheinend immer noch nicht richtig ernst nahm und wie ein kleines Kind behandelte - und dann auch noch in der Gesellschaft anderer Rittersleute! Der junge Page sagte nichts dazu, reckte sich auf seinem Stuhl aber betont gerade und aufrecht nach oben.

Sein Schwertvater erwiderte Boronmins Blick mit einem einnehmenden Lächeln. “Oder vielleicht doch besser als Warg? Würde dir das eher zusagen?”

“Ja, der Warg, den mag ich…”, nickte der Page vorsichtig, auf dessen Lippen sich nun wieder ein schüchternes Lächeln schlich.

“Apropos Warg”, warf Silvagild ein, der die Unterhaltung am Tisch sichtlich unangenehm schien. “Möchtest du Matissa kennenlernen, Boronmin?”, fragte sie den jungen Pagen. “Wenn du willst, zeige ich sie dir?”

"Au ja, auf jeden Fall!" Boronmin nickte begeistert mit dem Kopf, dann schaute er bittend zu seinem Schwertvater. "Darf ich, Herr Hardomar?"

“Selbstverständlich!”, beantwortete er die Frage seines Pagen. “Lass’ dich aber nicht kratzen.”

“Danke, Herr Hardomar!” Boronmin war schon von seinem Stuhl aufgesprungen und eilte, sich schnell noch vor Rainald und Miriltrud verbeugend, voller Vorfreude in Richtung Ausgang.

Schmunzelnd blickte Hardomar seinem Pagen hinterher, während er unbewusst mit den Fingerspitzen über die Narbe fuhr, die ihm Silvagild einst verpasst hatte.

Nachdem die Junkerin ihre Gäste verlassen hatte, sah Rainald etwas unsicher in die Runde. Er war es nicht gewohnt, dass Gastgeber ihre Gäste allein ließen. “Ähm, das hört sich ja nach einem sehr eindrucksvollen Ball an, hoher Herr”, lenkte er das Thema wieder zurück auf das Gemälde. “Kommt das hier denn öfters vor?”

“Leider nein…”, gab der Hadinger mit einem Kopfschütteln als Antwort. “Jener Kostümball fand anlässlich der Hochzeit unserer Baronin statt.” Hardomar versuchte eher zügig das Thema zu wechseln, indem er von anderen Festivitäten in Schweinsfold zu erzählen begann: “Ansonsten gibt es hier auf Schloss Ulmen das Klangfeuer und in Hadingen das Obstweinfest, welches letztes Jahr schon zum 78. Mal stattfand. Früher war ich auch im Preisgericht, um die Silbernen und Goldenen Kruken für die besten Obstweine zu prämieren. Doch seit letztem Jahr überlasse ich das lieber meiner Schwester.” Hardomar ergriff seinen Becher und sah neugierig zu Rainald. “Hoher Herr, die Junkerin und ich hatten die Freude, in Eurer Heimat das Sankta-Matissa-Fest zu besuchen. Gibt es in Eurer Baronie noch weitere solcher Feiertage?”

Der Ritter nickte. “Es gibt derer mehr”, bestätigte er. “Der Heiligenkult wird bei uns sehr hoch gehalten … eigentlich hat fast jeder Tag einen Heiligen. Wir sprechen da gerne auch von Tagesheiligen.” Der Blick des Gugelforsters ging zwischen Miriltrud und Hardomar hin und her. “Obwohl Sankta Matissa schon eine sehr wichtige Heilige ist. Zusammen mit Sankt Perdan und Sankt Yann wahrscheinlich die Wichtigste in unseren Breiten.” Der Blick des Ritters blieb auf seinem Kelch liegen. “Ihr keltert Obstwein in Hadingen?”

“Oh ja!”, erwiderte der Hadinger freudig, war ihm dieses Thema doch recht angenehm. “Wir haben ein von Peraine gesegnetes Land und bauen viel Obst an. MIt dem Obstwein haben sich einige Bauern ein gutes zweites Standbein aufgebaut.” Während er redete, überlegte Hardomar, ob es nicht vielleicht ein guter Moment wäre, sich den Weidener Ritter unter vier Augen zur Brust zu nehmen. Doch erzählte er zunächst weiter: “Und mit dem Obstweinfest, was mehrere Tage andauert, werden auch andere lokale Produkte präsentiert. In den Gärten der Leute werden dann neben dem Wein auch Schmalzstullen, Gegrilltes, Suppen, Hadinger Eselsaugen und andere Leckereien verkauft. Die Leute sitzen bei hoffentlich schönem Wetter und netter Musik unter den blühenden Kirschbäumen oder genießen von den weiter oben am Hang gelegenen Gärten den Blick auf die Folde. Das hebt die Stimmung und verbindet das Volk. Es ist ein wundervolles Fest für groß und klein.” Hardomar lehnte sich nach vorne und sah den Weidener Ritter mit einem warmen, sichtlich interessierten Lächeln an. “Was gibt es denn in Eurer Heimat für lokale Spezialitäten? Etwas, das man unbedingt probiert haben sollte?” Auch wenn ihn die Frage tatsächlich interessierte, so war der Hintergedanke dabei, sich mit Rainald gut zu stellen. Vielleicht könnte er den Weidener tatsächlich in einem persönlichen Gespräch für sich gewinnen.

Rainald nickte, während er sich das Obstweinfest bildlich vor seinem inneren Auge vorstellte. “Für Gebranntes greifen wir am ehesten auf die Haferpflaume zurück. Sonst gibt es bei uns auch noch den als Bärentod bekannten Roggenbranntwein. Auch der Met ist bei uns sehr beliebt.”

Miriltrud schien sich an der Unterhaltung der beiden Herren nicht länger beteiligen zu wollen, sie entschuldigte sich für einen Moment und verließ dann den Saal. Rainald selbst schien darüber alles andere als unglücklich. Nun blieben nur noch der Gugelforster, Hardomar und Aelfwin zurück am Tisch.

Hardomar hörte dem Weidener Gast aufmerksam zu und nickte freudestrahlend bei den letzten Worten des Ritters. “Ach, Met auch? Meine Schwester Imelda ist ja eine ganz große Met-Liebhaberin.” Lachend winkte er ab. “Im Grunde liebt sie alles, was lecker ist. Sie war auf ihrer Walz in verschiedenen Ländern unterwegs und hat mir einmal im Monat haarklein geschrieben, was sie alles gegessen und getrunken hat. Sie meint, dass man Land und Leute am besten über deren Küche kennen lernt und da hat sie sicherlich auch recht. Auf dem Heimweg hatte sie noch einige kleine Fässchen Zwergenbier mitgebracht, was nun bei uns lagert.”

Rainald nickte. Zwergenbier hatte er damals in Rommilys kennengelernt - in Weiden selbst kam man nur sehr schwer daran und wenn, dann war es unerschwinglich teuer. Die Finsterkammzwerge in seiner Heimat, der Heldentrutz, hielten sich von den Menschen fern. “Wo hat es Eure Schwester denn überall hingezogen? Durften wir sie auch in Weiden begrüßen?”

Ein sanftes Kopfschütteln beantwortete die Frage des Weidener Ritters. “Nein, meine Schwester ist Geweihte im Zeichen des Feuergottes Ingra. Sie ist über Elenvina und die Ingrakuppen in Richtung Zyklopeninseln aufgebrochen. Seit sie in Grangor war, bin ich nun auch stolzer Besitzer eines horasischen Federhuts, den sie mir mitgebracht hat.” Hardomar schmunzelte, als er daran dachte, wie ihn Imelda nach ihrer Rückkehr als Horasier ausstaffieren wollte, samt Mantel und Degen und der Meinung war, dass man in den Nordmarken keine Ahnung von höfischer Mode hätte. Er verdrängte den Gedanken und fuhr fort, zu erzählen: “Jedenfalls auf den Zyklopeninseln befinden sich wohl einige Höhlen und Berge, in welchen flüssige heiße Lava zu sehen ist und meine Schwester war auf diese Weise ihrem Gott sehr nah, als sie jene heiligen Stätten besichtigt hat. Außerdem hat sie viel über die Schmiedekunst anderer Länder gelernt. Und als ehemalige Weinkönigin auch über deren Winzer- und Braukunst!”, fügte er lachend hinzu und winkte ab. “Einmal hat sie sogar einen richtigen Zyklopen kennengelernt, Ihr wisst, diese einäugigen Riesen, was ein besonders aufregendes Erlebnis gewesen sein muss.”

“Das würde ich gerne malen”, warf nun Aelfwin verträumt in die Unterhaltung ein. “Feurige Berge, Zyklopen … haben Zyklopen eigentlich auch Frauen?”, fragte er interessiert.

Hardomar kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf und zuckte dann ratlos mit den Schultern. “Von weiblichen Zyklopen habe ich noch nie gehört. Aber eigentlich muss es die ja geben, oder?” Dann sah er schmunzelnd den Ulmentorer an. “Warum besuchst du uns nicht irgendwann nächste Woche und fragst meine Schwester selbst? Sie wird dir sicherlich sehr gerne ausführlich von den Zyklopeninseln und ihren Erlebnissen dort berichten.” Flüchtig überlegte er, ob es wohl eine gute Idee wäre, wenn Imelda und Aelfwin bei Met oder anderen Getränken, welche die Stimmung heben, einen feuchtfröhlichen Abend verbringen würden. Seit dem Tod ihrer Eltern fühlte sich Hardomar verantwortlich für seine jüngere Schwester. Doch spätestens seit ihrer Walz und ihren Briefen von der Insel Hylaïlos, in denen sie von der kurzen, jedoch intensiven Liebschaft mit einem jungen Dichter oder Schreiberling namens Spiros berichtet hatte, hatte der Ritter sich damit abgefunden, dass seine Schwester nun auch ihre eigenen Wege ging und für sich selbst verantwortlich war. “Du weißt ja, Aelfwin, du bist bei uns in Hadingen jederzeit auf das Herzlichste willkommen!” Nach einem halben Herzschlag fügte er höflich hinzu: “Ihr natürlich ebenso, Herr Rainald.”

“Ich danke Euch für die Einladung”, meinte der Weidener nickend. “Ich werde diese sehr gerne wahrnehmen.” Auch Aelfwin nickte lächelnd.

Als ein kurzer Moment der Stille eintrat, sah der Hadinger Rainald nachdenklich an. War nun, wo weder Miriltrud noch Silvagild anwesend waren, der Moment gekommen, wo er den Ritter ansprechen und in die Offensive gehen sollte? Er schluckte und räusperte sich leise. “Verzeiht, hoher Herr Rainald. Dürfte ich Euch eine persönliche Frage stellen?”

“Selbstverständlich”, meinte der Ritter knapp.

Entschlossen lehnte der junge Hadinger sich Rainald entgegen. Seine Stimme war eher leise und sanft, wollte er doch sichergehen, dass wirklich nur seine beiden Tischnachbarn von der Unterhaltung etwas mitbekamen. “Nun, ich weiß, dass Eure Familie Euch hierher entsandt hat, um um die Hand der Junkerin anzuhalten. Und mir ist klar, dass Ihr damit der Erwartung Eurer Baronin nachgekommen seid. Doch…”, Hardomar sah Rainald prüfend an, “...es scheint mir, dass sich Eure eigene Begeisterung, Silvagild zu heiraten, eher in Grenzen hält und ich frage mich, ob Ihr sehr enttäuscht wärt, wenn die wohlgeborene Dame Euch eine Abfuhr erteilen würde.”

Rainald lächelte. “Ihr seid wohl sehr aufmerksam, hoher Herr”, meinte er schmunzelnd, bevor er sich noch einmal im Saal umsah - ganz so als wolle er sicherstellen, dass Miriltrud nicht noch irgendwo anwesend war. “Es würde mich nicht stören, nein, aber ich werde es auch nicht unterminieren. Der Wunsch meiner Familie führte mich hier her und dem werde ich auch entsprechen, was auch immer am Ende dann herauskommt.” Wieder folgte ein Lächeln. “Ihr seht also, dass es nichts mit meiner Begeisterung zu tun hat, warum Ihr mich hier heute trefft. Aber wann hat es das schon? Ehen sind ein Politikum und ich denke, dass man es schlechter treffen könnte, als mit der jungen Junkerin hier. Sie scheint mir sehr nett zu sein … etwas unreif vielleicht, aber das wird mit der Zeit.”

Hardomar zog eine Augenbraue hoch. Das, was der Weidener an Silvagild als ‘unreif’ ansah, war seiner Ansicht nach ihrem Feenblut zuzuschreiben. Nur knapp antwortete er: “Darauf würde ich eher nicht wetten, hoher Herr… also, dass sie sich ändern wird.” Der Hadinger sah Rainald eindringlich an. “Um ehrlich zu sein, ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass sie genauso bleibt, wie sie ist.” Flüchtig sah er zu Aelfwin, welcher am ehesten verstehen würde, wovon Hardomar sprach und wie ernst es ihm war. Er wusste, dass sein kommender Ausspruch gewagt war, dementsprechend nahm er den Weinkelch und kippte das halbvolle Glas mit einem Schluck herunter. “Mit Verlaub und ich hoffe, Ihr nehmt es mir bitte nicht übel, doch werde ich nicht zulassen, dass jemand versucht, sie zu ändern.”

Rainald machte auf diese Worte hin eine beschwichtigende Handgeste. “Es liegt mir fern jemanden zu ändern, aber oft sind es die Umstände unseres Lebens, die uns ändern, meint Ihr nicht? Ihr habt einen Pagen, vielleicht auch Kinder … würdet Ihr nicht sagen, dass Euch diese Aufgaben verändert haben?” Der Gugelforster nahm einen Schluck von seinem Trinkgefäß. “Und ich denke, dass es auch der Junkerin so gehen wird. Sie scheint mir gerade noch nicht bereit für einen Ehebund … und das meine ich nicht negativ. Es wäre besser wenn sie sich noch etwas Zeit nimmt, aber wie Ihr vielleicht auch wisst; Zeit ist etwas, das wir Adeligen nicht immer gewährt bekommen, wenn es darum geht dynastische Pflichten zu erfüllen.”

Mit einem sanften Lächeln ergriff Hardomar seinen Becher und prostete den beiden Männern am Tisch zu. “Herr Rainald, Ihr habt ganz recht. Silvagild ist noch nicht soweit. Aber sie ist ja noch sehr jung und muss ihren dynastischen Pflichten nicht umgehend nachkommen. Sie hat da gewiss noch ein paar Jährchen Zeit.” Hardomar biss sich nachdenklich auf die Unterlippe und fuhr fort: “Ich hingegen habe zwar bereits einen Erben, aber mein Großvater drängt mich, dass ich bald einen zweiten zeugen und auch heiraten soll. Also, wenn ich Silvagild heute ein Versprechen geben würde, dann, dass ich sie in drei oder vier Götterläufen heirate und sie bis dahin ihre Ruhe hat. Sich langsam daran gewöhnen kann, dass sie eine Familie gründen muss. Bis dahin würde sich ihr Leben kaum ändern.”

“Möchtet Ihr das denn?”, fragte der Weidener direkt. “Die Dame Silvagild heiraten?”

Hardomar ließ sich auf seinem Stuhl zurückfallen und strich sich lässig durch sein wuscheliges Haar. “Es ging mir die letzten Götterläufe schon immer auf die Nerven, dass die ganzen jungen Damen mir hinterher liefen und mich heiraten wollten. Sicher war die eine oder andere ganz nett, aber…”, der junge Ritter zuckte mit den Schultern, “...gerade, seitdem ich Silvagild kennengelernt habe, konnte ich mir nicht mehr vorstellen, eine andere als sie zu heiraten.”

Schmunzelnd lehnte er sich auf seine Oberarme vor, während der Gugelforster eine Augenbraue hochzog. Er war sich nicht sicher, ob die Worte zuvor als Scherz gemeint waren. Hardomar senkte seine Stimme, ganz so, als wolle er besonders vertraulich mit den beiden Männern am Tisch reden. “Wisst Ihr, Silvagild erinnert mich an eine Wildkatze. Oft kratzt und beißt sie, aber sie hat auch ihre guten und herzlichen Seiten. Es gibt nicht viele Menschen, die auf Dauer gut mit ihr auskommen und ich weiß, dass sie denkt, sie würde mich vergraulen. Aber dem ist nicht so. Irgendwie komme ich ganz hervorragend mit ihr aus…”, nachdenklich blickte er auf den Strauß Rosen und betrachtete die spitzen Dornen, “...vielleicht sind wir uns auch ein wenig ähnlich. Wir vertrauen einander und sie muss sich mir gegenüber nicht verstellen, kann so sein wie sie ist - und ich weiß, wann ich sie in Ruhe und ihr ihre Freiheiten lassen muss. Ich glaube, sie denkt auch, sie würde mich auf Dauer als Freund verlieren. Aber das stimmt nicht; dafür kenne ich Silvagild zu gut und ich liebe sie von ganzem Herzen ganz genau so wie sie ist mit all ihren Facetten; wenn sie nett und liebevoll ist - oder auch wenn sie ihre Krallen ausfährt.” Ungewollt fuhr Hardomars Hand zu jener Stelle an seiner linken Brust, an welcher sich die Kratzspuren Silvagilds verbargen.

Für einen Moment schwieg Rainald vor sich hin, während Aelfwin betreten ins nahe Kaminfeuer blickte. “Und Ihr habt diesen Wunsch und Eure Gefühle schon an sie und ihre Mutter herangetragen?”, wollte Rainald dann wissen.

“Nun, ähm…”, Hardomar fuhr verlegen mit der Hand zum Hinterkopf. “Also, was die Junkerin angeht, so hatte ich sie schon mal wissen lassen, dass ich theoretisch als Ehepartner zur Verfügung stehen würde.” Ein breites Schmunzeln machte sich auf seinem Antlitz breit. “Aber Ihr wisst ja, wie sie zu dem Thema steht und sie hatte mir da auch gar nicht richtig zugehört, meine ich. Das ändert aber nichts an dem Versprechen, welches ich ihr einst gegeben habe. Ob verheiratet oder nicht, ich werde für den Rest meines Lebens für sie da sein, sie beschützen und immer ein offenes Ohr für sie haben. ‘Halbes Leid ist geteiltes Leid’”, wiederholte er die Worte von damals. “Und ich würde für sie durch die Niederhöllen gehen, sollte es notwendig sein. Bisher war es allerdings nur eine Räuberhöhle…”, scherzte er mit ein wenig schwarzem Humor. Hardomar blickte zu dem Künstler, welcher gerade noch betreten beiseite geschaut hatte und stieß mit einem aufmunternden Augenzwinkern gegen dessen Kelch, welcher sich auf dem Tisch befand. “Also kein Grund, Trübsal zu blasen.” Sein zuversichtlicher Blick wanderte wieder zu Rainald. "Übrigens, Silvagilds Mutter kann mich nicht ausstehen. Liegt wohl daran, dass ich in meiner Knappenzeit den Ruf eines Schürzenjägers hatte. Dabei waren das gar nicht so viele Liebschaften, die machten halt nur schnell die Runde… Aber wie Ihr schon sagtet, Herr Rainald, die Menschen ändern sich und ich bin schon lange nicht mehr der verrufene Herzensbrecher, der ich einst war… also meistens…”, winkte er amüsiert ab. Er fragte sich nach all den Jahren noch immer, ob Miriltrud damals sein Tagebuch in die Finger bekommen hatte und gab ein sanftes Seufzen von sich. Suchend ging sein Blick eher zu Aelfwin als zu dem Weidener: “Meint ihr, ich sollte Silvagilds Mutter trotzdem mal eröffnen, wie ich zu ihrer Tochter stehe? Ganz im Ernst, ich wäre ein guter Ehemann, ein liebevoller Vater und ich weiß, wie man erfolgreich ein Lehen führt.”

“Hm …”, war es jedoch Rainald, der einen Moment lang vor sich hin überlegte. Anders als viele seiner Landsmänner und -Frauen, war er ein eher vorsichtiger und zurückhaltender Geselle. “Die werte Frau Mutter der Junkerin hatte mir eröffnet, dass es schlussendlich die Entscheidung der wohlgeborenen Dame ist, ob und wen sie heiratet. Dies war wohl ein Versprechen, das ihr verstorbener Herr Gemahl der Dame von Sturmfels abgerungen hatte”, wiederholte der Gugelforster, was Hardomar schon wusste. “Deshalb wäre wahrscheinlich sogar Silvagild die bessere Ansprechperson … wiewohl … ich bezweifle, dass sie sich derzeit mit dem Gedanken zu heiraten beschäftigen möchte.” Wieder blickte der Weidener einen Moment vor sich hin. “Vielleicht würde sie es sogar schlecht auffassen, wenn Ihr zu ihrer Mutter geht. Lasst ihr Zeit, so sie Euch wirklich soviel bedeutet.”

Aelfwins Blick lag bei den letzten Worten nun ebenfalls auf Hardomar. Ein schwaches Nicken schien diesem zu signalisieren, dass er mit der Meinung des Gugelforsters konform ging.

Der Hadinger erwiderte dankbar das Nicken Aelfwins und wandte sich an die beiden edlen Herren: “Ihr Zeit zu lassen, das war sowieso von Anfang an mein Gedanke. Ich habe es ganz und gar nicht eilig.” Zufrieden winkte er ab und verwarf für den Moment das Thema des Traviabundes. Nach einem Herzschlag der Stille fuhr er mit der Konversation fort. “Unsere beiden Väter waren übrigens gemeinsam im Krieg und sind beide nicht mehr lebend heimgekehrt. Nur eins von vielen Dingen, welche ich mit der Junkerin gemein habe”, erklärte er mit einem flüchtigen, melancholischen Lächeln. “Leider kann ich mich nur noch dunkel an Silvagilds Vater erinnern, aber ich bilde mir ein, dass sie viele Charakterzüge von ihm geerbt hat.” Neugierig schaute er zu Aelfwin. “Hast du Silvagilds Vater näher kennenlernen können?” Der junge Künstler nickte. “Natürlich konnte ich mich an Onkel Gernot erinnern … er war … anders … als der Rest der Familie. Und Ihr habt recht, Silvagild tritt hierbei in seine Fußstapfen.” Nun musste Aelfwin für einen Moment lang schmunzeln. “Die Sturheit und das Temperament hat sie wohl von ihrer Mutter, aber das Interesse an rondrianischen Tugenden, der Stolz aber auch die Selbstüberschätzung kommt ganz klar von meinem Onkel.”

Hardomar stieg in Aelfwins Schmunzeln ein. “Ach, die Selbstüberschätzung mag ich ganz besonders an ihr!”, winkte er mit einem liebevoll gemeinten Lachen ab.

Rainald nickte auf diese Worte hin langsam. “Da ich nicht wusste, ob mir die junge Dame überhaupt Einlass gewährt …”, der Gugelforster räusperte sich, “... habe ich meine Werbung auch in schriftlicher Form mit mir. Ich denke, dass ihre Antwort darauf klar sein sollte, muss jedoch darauf bestehen, dass sie mir eine übergibt … alleine schon, um dem Wunsch meiner Familie zu entsprechen.” Rainald sah sich noch einmal im Raum um. Beide Gastgeberinnen waren immer noch nicht wieder zurückgekehrt. “Ich möchte die junge Dame zu nichts drängen, noch sie weiter mit einer Anwesenheit oder dem Grund meines Kommens bedrängen. Ich würde sie lediglich darum bitten, mir ihre Ablehnung in schriftlicher Form vorzubereiten. Ich bitte Euch darum, Herr Hardomar, ihr diese Worte auszurichten. Ich werde morgen wieder aufbrechen … nach Rommilys … als Pilger in den Schoß der heiligen Familie.”

“Das werde ich gerne für Euch tun und es genauso vortragen, wie Ihr es wünscht, Herr Rainald.” Hardomar nickte mit aufrichtiger Miene. “Mein Angebot steht, falls es Eure Zeit noch erlauben würde für ein paar Stundengläser Hadingen zu besuchen, so seid Ihr auf das Herzlichste mein Gast, jederzeit!” Für einen kurzen Moment runzelte Hardomar die Stirn. “Ihr reist nach Rommilys als Pilger? Rommilys ist doch auch die Heimat, in welcher Ihr aufgewachsen seid, nicht wahr?”

“Genau”, nickte der Ritter. “Ich brachte den größten Teil meines Lebens in den darpatischen Marken zu, einen großen Teil auch in Rommilys. Meine Familie hat dort auch ein Stadthaus, aber mein Weg soll der eines demütigen Sinnsuchenden sein und keine Lustreise”, meinte der Gugelforster mit einem Lächeln. “Eure Einladung nehme ich gerne ein anderes Mal an, ich möchte Euch schließlich auch nicht von ihrer Wohlgeboren fernhalten, weiß ich doch nicht, wie lange sie Eure Anwesenheit hier wünscht.”

“Das ist sehr rücksichtsvoll von Euch, Herr Rainald. Dann wünsche ich Euch den Segen der Götter und dass Eure Pilgerreise erfolgreich sein möge. Hoffentlich werdet Ihr jene Antworten finden, welche Ihr sucht.” Der junge Ritter erhob sich und ergriff das Geschenk des Ulmentorer Künstlers. “Das bringe ich noch schnell in mein Gästezimmer, bevor ich die Junkerin aufsuche… nicht, dass Matissa ein zu großes Interesse daran findet. Das wäre bedauerlich. Ich danke dir vielmals für dieses wertvolle Geschenk, Aelfwin. Es ist wirklich schön und bedeutet mir viel!” Mit einer höflichen Verneigung entschuldigte er sich und ließ die beiden Männer allein.

...

Dass Silvagild gar nicht schnell genug von ihrem Gast und ihrer Mutter wegkommen konnte, wurde auch Boronmin sehr schnell klar. Anders war es auch nicht zu erklären, warum die Junkerin in einem Tempo durch die Gänge von Schloss Ulmen rauschte, dass die Röcke ihres Kleides nur so flogen. Erst vor einer großen, doppelflügigen Tür blieb sie stehen und öffnete diese, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass der Page aufgeschlossen hatte.

Boronmin war das erste Mal hier. Silvagilds Gemach war ein großer, heller Raum, der unter Tags bestimmt mit Sonnenlicht geflutet war. Große Fenster gaben den Blick auf die Au der Folde frei, in der Ferne würde man bestimmt auch die Stadt Herzogenfurt erkennen können.

Das Bett war groß und sah so aus, als wäre gerade noch jemand darin gelegen. Zumindest war es nicht gemacht worden. Auf der Schlafstatt hatte es sich aber auch ein kleines weißes Fellknäuel bequem gemacht.

“Matissa schläft gerne hier …”, erklärte Silvagild flüsternd. Firunsbärchen war die kleinste Rasse an Edelkatzen - sie galten allgemein als faul und dumm, was jedoch nicht weiter von der Realität entfernt sein konnte.

Boronmin trat auf Zehenspitzen, so vorsichtig wie er konnte, in das Zimmer herein und näherte sich ganz langsam dem Bett. Mit großen Augen bewunderte er die schlafende Katze. "Sie ist so klein! Und so weiß und flauschig!" Auch der Page flüsterte, um das Kätzchen nicht zu wecken, doch in seiner Stimme war deutlich die überschäumende Begeisterung für das hübsche Tier zu vernehmen. "Wächst Matissa noch oder bleibt sie so klein? Sind alle Firunsbärchen weiß? Muss man sie oft bürsten und baden? Was frisst sie denn so?" begann er die Junkerin mit Fragen zu löchern. “Und kann sie Mäuse fangen?" Silvagild musste ob der vielen Fragen lächeln. “Matissa wächst noch ein bisschen, aber sie wird nie wirklich groß werden”, erklärte die Junkerin, während sie sich aufs Bett setzte und begann, die kleine Katze zu streicheln. Damit war es um den Schlaf des Stubentigers geschehen und Silvagild erntete dafür einen empörten Blick aus bernsteinfarbenen Augen. “Sie bekommt in der Küche immer etwas vom Fleisch, das wir essen. Jagen habe ich sie noch nie gesehen”, lächelte sie. “Und um ihr Fell kümmert sie sich meistens selbst. Das ist der Vorteil an Katzen.” Die Junkerin winkte den Pagen zu sich. “Komm streichle sie mal.”

Boronmin trat zögerlich näher und setzte sich mit einem verlegenen Lächeln auf den äußersten Rand des Bettes, dann streckte er den Arm aus und versuchte die Katze vorsichtig am Köpfchen zu streicheln. Als Matissa sich das gefallen ließ, begann er sie hinter den Ohren und dann am Nacken zu kraulen. "Sie ist so weich!" flüsterte er andächtig und betrachtete das Tier, als wäre es ein kleines Wunder. "Ich glaube, sie fühlt sich ganz wohl, oder?” Der Page ging breit lächelnd dazu über, die sich räkelnde Katze unter dem Kinn zu liebkosen und sprach diese direkt an: “Nicht wahr, Matissa? Du hast es hier richtig gut, was?”

Die kleine Katze begann zu schnurren und kneifte ihre Augen zusammen. “Ich hoffe es”, meinte Silvagild lächelnd. Hier war sie lieber als im Saal bei ihrer Mutter und einem fremden Mann, den sie heiraten soll. “Ich freue mich immer, wenn sie mir Gesellschaft leistet … außer vielleicht zu zeitig in der Früh, wenn ich noch schlafen will”, lachte die Junkerin. “Hast du denn auch ein Haustier?” Boronmin schüttelte schüchtern den Kopf, während er weiter behutsam das Kätzchen liebkoste. “Naja, ich hab Seestern. Er ist ein sehr gutes und freundliches Ross! Aber so ein richtiges Haustier eigentlich nicht. Das hätte ich schon gerne.” Nachdenklich legte der junge Page den Kopf schief. “Ich hab den Herrn Hardomar aber auch nie gefragt, ob ich eines haben kann. Vielleicht denkt er ja, dass es auf dem Hadinger Gutshof schon genug Getier gibt. Und außerdem sind wir ohnehin ganz viel draußen in der Natur unterwegs.” Nach seiner leutseligen Rede schaute er fragend zu der Junkerin. “Wenn Ihr den hohen Herrn Rainald heiratet, müsst Ihr dann auch oft nach Weiden reisen, Frau Silvagild? Nehmt Ihr Matissa dann mit?”

“Ich werde nicht …”, Silvagild riss ihre Augenbrauen hoch, beruhigte sich aber sogleich wieder, “... ich denke nicht, dass ich den hohen Herrn heiraten werde. Es ist der Wunsch meiner Mutter, aber mein Vater hat mit meiner Mutter ausgemacht, dass ich selbst wählen darf. Das Versprechen hat er ihr abgerungen bevor er auf seinen letzten Feldzug zog und daran wird sich meine Mutter halten.” Nun lächelte die junge Frau. “Meiner Mutter kann man viel vorwerfen, aber sie ist ein grundehrlicher Mensch und sie respektiert ihre Versprechen. Du siehst, Matissa wird nicht nach Weiden müssen. Sie bleibt hier bei mir … und Bandit auch.”

Boronmin nickte eifrig. “Das ist auch besser so! Ich meine, dem Bandit könnte es in Weiden vielleicht gefallen, mit den ganzen wilden Wäldern und so, aber für die arme Matissa wäre das nicht der richtige Ort. Der Warg würde sie bestimmt auffressen wollen! Oder die Orks.” Für einen Moment hing der Page seinen Gedanken nach, dann blickte er die Junkerin treuherzig an. “Meine Mutter hatte meine Schwester Boromada auch erst mit so einem alten Ritter vermählen wollen, aber dann hat Hochwürden Rahjania mit ihr geredet und sie durfte doch den Palinor heiraten, von dem sie ja nämlich auch schwanger war”, plapperte er drauf los. “Bestimmt wird es bei Euch auch so sein, Frau Silvagild, da bin ich mir ganz sicher!”

“Ach weißt du …”, meinte Silvagild lächelnd, “... ans Heiraten will ich noch gar nicht denken. Und ich glaube auch nicht, dass es einen Mann gibt, der das zeitnah ändern könnte. Ich muss halt damit leben können, dass meine Mutter mir immer wieder Kandidaten vorsetzt. Das ist noch etwas schwer für mich … deshalb bin ich ja auch froh, dass ihr beide da seid.”

“Ich freue mich auch immer, wenn wir herkommen dürfen! Es ist sehr schön hier!” bestätigte der Page mit einem treuherzigen Lächeln, woraufhin er seine Aufmerksamkeit aber gleich wieder dem Firunsbärchen zuwandte. Matissa hatte sich auf den Rücken geworfen, rollte sich auf dem Bett herum und angelte mit den Tatzen nach Boronmins Fingern, mit denen er die Katze neckte, die Hand aber immer noch rechtzeitig fortzog, bevor er gekratzt werden konnte. “Ich glaube, der Herr Hardomar würde Euch sehr gerne heiraten, Frau Silvagild”, erklärte der Junge plötzlich. “Manchmal zeichnet er Bilder, wo Ihr drauf seid. Und dann grübelt er ganz lange.”

Silvagild wusste darüber Bescheid, was der Page hier ansprach. “Hardomar ist mir ein lieber Freund”, meinte sie nachdenklich. “Und das ist viel mehr wert als ein Ehebund, mit dem eine ganze Reihe Erwartungen verbunden sind. Noch dazu war er ja schon verheiratet und hat auch schon seinen Erben. Er sollte sich darüber freuen und es genießen”, nun lächelte die Junkerin.

“Dragowin ist auch unheimlich niedlich! Letzte Woche hat der Herr Hardomar ihn mal auf ein Pony gesetzt und ihm ein kleines Holzschwert in die Hand gegeben, da sah er schon aus wie ein richtiger kleiner Ritter.” Boronmin kicherte, während er versuchte, Matissas aufgeregt herumpeitschenden Schwanz zu erhaschen. “Aber seine Wohlgeboren Ehrfried sagt immer zum Herrn Hardomar, dass er recht bald wieder heiraten soll. Weil Dragowin könnte ja was passieren und dann bräuchte man einen Ersatzerben.” Während der Page leise vor sich hin plapperte, streichelte er weiter gedankenverloren das Kätzchen. “Ich hoffe ja, dass dem Dragowin nichts geschieht. Auch wenn er manchmal nervt, weil er laut schreit und so. Und der Herr Hardomar sagt, wenn er schon wieder heiraten muss, dann diesmal eine Frau, die er wirklich gut leiden mag. Auch wenn ich finde, dass die Dame Mokaschka eigentlich recht nett ist. Na ja, sie schreit den Herrn Hardomar manchmal auch an, aber nicht mehr so viel wie früher, und mich nicht. Neulich hat sie mir sogar eine ganze Tüte mit Anisplätzchen geschenkt!”

“Und du meinst, dass er mich heiraten will?”, fragte Silvagild etwas amüsiert. “Ich muss ja auch für Erben sorgen … wieviele Kinder sollen es denn dann sein, wenn ich für den Nachwuchs beider Dynastien verantwortlich wäre?” Es war eine Frage, die nicht ganz so ernst gemeint war, wie sie geklungen hatte. “Nein, der Herr Hardomar wird bestimmt eine tolle Frau für sich finden. Ich hätte auch noch eine Schwester”, setzte sie dann lächelnd hinzu.

“Natürlich würde man die Kinder gerecht auf beide Häuser aufteilen”, antwortete Boronmin ernsthaft, mit einem leicht altklugen Tonfall in der Stimme. “Also, weil Herr Hardomar mit Dragowin ja schon einen Erben hat, da wäre Euer erstes Kind mit ihm ein Erbe für Ulmentor, das zweite dann wieder ein Hadinger und dann abwechselnd so weiter.” Boronmin nickte zufrieden zu sich selbst. “Und weil es nicht so weit zwischen den beiden Lehen ist, könnten wir alle uns ganz oft sehen. Ich glaube, dass würde dem Herrn Hardomar schon sehr gut gefallen.”

“Wir können uns doch auch so oft sehen”, warf Silvagild ein. An den Gedankenspielen des Pagen wollte sie sich nicht beteiligen, wobei … ein Gedanke kam der Junkerin dann doch noch in den Sinn; “Hardomar könnte doch auch meine Schwester Ivrea heiraten. Sie ist sehr klug und mehr … nun … damenhaft als ich. Schlank und hübsch … wenn ich mir Mokaschka so ansehe, ist sie ihr sogar sehr ähnlich.” Nun lachte die Ulmentorerin, was die Ernsthaftigkeit ihrer Worte in leichten Zweifel zog.

“Ihr seid aber auch sehr schön, Frau Silvagild!” versicherte der kleine Page energisch. “Und sehr mutig!” Er nickte mehrmals. “Der Herr Hardomar meint, Ihr seid nicht so etepetete und geziert wie die Hofdamen in Herzogenfurt. Mit Euch könnte man Esel stehlen, sagt er." Boronmin lächelte verschmitzt. "Aber ich glaube nicht, dass er das wirklich vorhat."

“Meinst du?”, Silvagild zog eine Augenbraue hoch. Sie war sich dabei nicht mehr so sicher gewesen. “Ich weiß ja nicht. Aber wenn der Herr Hardomar auf Freiersfüßen ist, kann er ja eine Brautschau ausrufen. In Schweinsfold gibt es einige hübsche Damen, die nicht so … etepetete sind wie jene am Hof.”

“Eine Brautschau hatte seine Wohlgeboren Ehrfried auch schon mal vorgeschlagen”, nickte Boronmin. “Der Herr Hardomar schien das aber gar nicht so gut zu finden, glaube ich.” Nachdenklich runzelte der Page die Stirn. “Vielleicht würde ihm ein Turnier besser gefallen… Ach, das könntet Ihr vielleicht auch machen, wenn Ihr einen Ehemann braucht, Frau Silvagild!” Die Wangen des Jungen röteten sich, als er sich offenbar für die Idee zu erwärmen begann. “Genau, Ihr könntet sagen, dass Ihr nur den Ritter heiratet, der im Tjost alle anderen bezwingt. Dann habt Ihr am Ende den besten Gemahl, den es gibt! So wie in den Geschichten von irgendwelchen Prinzessinnen.” Insgeheim gefiel ihm die Vorstellung auch, weil dann sein Schwertvater seiner Einschätzung nach keine schlechte Chance hätte, die Hand der Junkerin doch noch zu erringen, doch behielt er diesen Gedanken für sich und kraulte stattdessen weiter eifrig das Kätzchen.

Die Junkerin musste beim Gedanken daran schmunzeln. “Nein, am Ende muss ich dann irgendeinen alten Stelzbock heiraten, der sein ganzes bisheriges Leben im Gestechsattel zubrachte.” Silvagild winkte ab. “Ich weiß nicht, aber wenn ich heirate, dann muss es ein Mann sein, den ich wirklich mag. Das versteht meine Mutter halt auch nicht, die möchte unbedingt Enkeln haben, aber meine Schwester und ich lassen sich damit noch etwas Zeit und mein Bruder … ja …”, betreten sah die junge Frau auf ihre Katze.

Boronmin blickte Silvagild verwirrt an. Es wusste nicht, was gegen einen Ritter sprechen sollte, der im Gestechsattel eine gute Figur machte und Turniere gewann. Und seinen Schwertvater mochte die Junkerin doch auch… Aber vielleicht kam es den Damen bei der Minne ja eher auf andere Dinge an. Vielleicht… Die Miene des kleinen Pagen, der eben noch grübelnd die Stirn in Falten gezogen hatte, hellte sich schlagartig auf und seine Augen begannen zu leuchten. “Ah, ich weiß es, Frau Silvagild! Ich weiß, wen Ihr heiraten könnt!”

Die Augenbrauen der Junkerin wanderten nach oben. “So? Wen denn?”, fragte sie lächelnd.

"Na, Meister Dyderich!" verkündete Boronmin mit der Attitüde eines Marktschreiers. "Er ist nett, stattlich und kann schön musizieren! Und wenn Ihr den Bund mit ihm eingeht, Frau Silvagild, dann ist Daithi auch ganz oft hier. Wäre das nicht prima?"

Die Junkerin lachte daraufhin und strubbelte ungefragt Boronmins schwarzen Haarschopf. “Ich denke nicht, dass Dyderich sein Leben für mich ändern würde … ich denke nicht, dass er ein Mann für einen Ehebund ist.” Dass der Barde nicht oft hier wäre, käme Silvagild zupass, aber dass er sich auch immer mit anderen Frauen rumtrieb … das wollte sie dann doch nicht und die Junkerin bezweifelte, dass sie ihm diesen Drang austreiben konnte.

“Wir sollten vielleicht wieder zurück in den Saal, was meinst du?”, fragte die Hausherrin ihren jungen Gast.

"Ich glaub' schon, dass er sich ändert", beharrte Boronmin. Auch diese Gewissheit zog er aus den zahlreichen Geschichten und Legenden, die er in großer Menge in sich aufzusaugen pflegte. Darin wurden ganz oft auch schurkische Räuberhäuptlinge - die jedoch stets ein Herz aus Gold besaßen - am Ende ganz brav, wenn sie eine schöne junge Dame ehelichten. Doch war jetzt nicht die Zeit zum Märchenerzählen, also ertrug er mit tapferem Gleichmut Silvagilds wuschelnde Hand in seinem Haar und nickte dann würdevoll. "Ja, wahrscheinlich braucht der Herr Hardomar mich jetzt auch wieder." Ein letztes Mal kraulte er Nacken und Hals des Kätzchens, dann erhob er sich von der Bettkante. "Habt vielmals Dank, Frau Silvagild, dass ich Matissa besuchen durfte!"

...

Am nächsten Tag im Park des Schlosses Ulmen

Silvagild saß an ihrem liebsten Platz im kleinen Park des Schlosses Ulmen. Die angelegte Gartenanlage erstreckte sich vom Schloss selbst bis hinunter zum Fluss Folde und war über und über mit Ulmenbäumen gesäumt. Im Herzen des Parks fand sich ein besonders majestätisches Exemplar und genau in dessen Schatten hatte es sich die Junkerin und Hausherrin auf einer Bank bequem gemacht. Eingeweihte wussten, dass es sich bei diesem Herzbaum nicht nur um ein sehr ansehnliches Exemplar seiner Gattung handelte, sondern es auch ein Tor in die Globule der Lilienkönigin war. Wie oft schon war Silvagild hier durchgetreten und hatte alles hier hinter sich gelassen; ihre Verpflichtungen … die Erwartungen, die man in sie setzte. Auf der anderen Seite war alles unbeschwert und oft beneidete sie ihren jüngeren Bruder Tsalrik, der der Wächter auf der anderen Seite des Feentors war.

Die Ulmentorerin hatte sich an diesem lauen Morgen in ein einfaches lindgrünes Kleid aus festem Wollstoff gewandet. Ihr Haar war zu einem dicken Zopf geflochten und ihre sonst rehbraunen Augen, nahmen im Schatten des Herzbaumes jene grasgrüne Farbe an, die sie auch hatten, wenn Silvagild in den Feenwelten weilte.

“Wie stellst du dir das eigentlich vor, Silvagild”, war es die strenge Stimme ihrer Mutter Miriltrud, die die Junkerin in ihrem Rücken vernehmen konnte. Sie hatte bereits damit gerechnet, dass es eher früher denn später zu diesem Gespräch kommen würde.

“Weiß nicht wovon du sprichst”, gab sich die Angesprochene naiv und unwissend, wandte sich jedoch nicht zu ihrer Mutter um.

“Such es dir aus”, kam es in genervtem Ton zurück. “Entweder dass du wieder einen Werber vergrault hast … oder, dass du dein Versprechen mir gegenüber nicht bereit bist einzuhalten.” “Versprechen?”, nun wandte sich Silvagild erstmals zu ihrer Mutter um.

“Vor deiner Reise nach Weiden … dass du nach deiner Rückkehr heiraten wirst?” Miriltrud hob eine ihrer Augenbrauen an.

“Ah … das …”, ließ die junge Ritterin eine wegwerfende Handbewegung folgen. “Ja, wenn sich ein Mann findet, den ich heiraten … WILL.”

Miriltrud schnaubte. “Du weißt genau, dass es nicht einfach ist, dir einen anständigen Mann zu finden …”, die Sturmfelserin machte eine nickende Kopfbewegung hin zum Herzbaum, “... ja, es mag sogar gefährlich sein. Für dich und deine ganze Familie.”

“Jaja …”, antwortete Silvagild immer noch unwillig. “Es wird sich schon was ergeben … irgendwann.”

“Irgendwann”, wiederholte Miriltrud und ließ ihre Augen rollen. “Bald.”

“Ja, bald”, bestätigte die junge Junkerin genervt.

“Ich gebe dir noch 12 Monde jemanden zu finden, dann werde ich ihre Hochgeboren hinzuziehen und wir werden eine Brautschau initiieren. Im Gegensatz zu dir hat sie nämlich Interesse daran, dass ihr Gefolge stabil aufgestellt ist und ihre Verbündeten den dynastischen Pflichten nachkommen. Nach allem was mit ihrem Vater war, möchte sie zukünftige Unsicherheiten wahrscheinlich vermeiden.” Nun war es Silvagild gewesen, die ihre Augen rollen ließ.

“Dann noch einen schönen Tag, Silvagild”, fuhr ihre Mutter in strengem Ton fort. “Und kümmere dich um deine Gäste.”

Mit diesen Worten entfernte sich die Sturmfelserin von ihrer Tochter und die Ankunft von Hardomar und Boronmin im Park war bestimmt ein Mitgrund dafür gewesen.

Der Hadinger Ritter hatte die Nacht tief und fest geschlafen und kam fröhlichen Schrittes des Weges. Sein Page Boronmin führte über der Schulter Bogen und Köcher mit sich und er selbst trug eine kleine hölzerne Zielscheibe von einem Spann, auf deren Mitte anstatt eines roten Punktes das Gesicht eines Hasen mit Schlappohr zu erkennen war, welcher dem Schützen frech die Zunge herausstreckte. Hardomar ahnte, dass die davon stürmende Miriltrud mit ihrer Tochter ein ernstes Wort gewechselt hatte. Noch immer sichtlich gut gelaunt trat er an die Ulmentorerin heran und verneigte sich höflich vor ihr wie gewohnt mit Kratzfuß. “Ich wünsche dir einen schönen Morgen, Silvagild. Ich hoffe, du hast gut genächtigt und dich nach dem gestrigen Tag erholt. Wir wollten gerade zum Bogenschießen an die Folde.” Er hob kurz die Zielscheibe hoch und schmunzelte, als er das Gesicht des Hasen betrachtete. Dann sah er zur Junkerin auf der Bank unter dem legendären Ulmenbaum. “Was für ein zauberhafter Ort, nicht wahr? Von hieraus hat man eine herrliche Sicht auf die Anlagen des Parks, die Folde und kann mit allen Sinnen die Schönheit Deres genießen und die Sorgen baumeln lassen. Darf ich mich zu dir setzen, Silvi?”

Boronmin blieb ein Stückchen von den Erwachsenen entfernt unter der Ulme stehen und nestelte verlegen an der Sehne seines Jagdbogens herum. Er war sich nicht sicher, ob er hier bleiben oder schon einmal vorgehen sollte; auf gar keinen Fall wollte er die Privatangelegenheiten seines Schwertvaters belauschen - also versuchte der Page, so gut es ihm möglich war, sich still und unauffällig zu verhalten, als wäre er gar nicht anwesend. Langsam und methodisch holte er seine Pfeile aus dem Köcher und kontrollierte bei einem nach dem anderen den Zustand von Spitze, Nock und Befiederung.

Silvagilds Blick für einen Moment zwischen Hardomar und Boronmin hin und her. “Du darfst, aber dafür hätten wir auch später noch Zeit.” Mit einem Kopfnicken wies sie auf den jungen Pagen nahebei. “Ich möchte mich bei dir bedanken, Hardomar”, schien die Junkerin sofort wieder das Thema zu wechseln. “Dass du so kurzfristig gekommen bist … es war … schön, dich dabei zu haben. Ich fühle mich oft verloren, wenn meine Mutter wieder den Drang verspürt, mir diese Galane vorzuführen.”

Nun lächelte die Hausherrin befreit, erhob sich von ihrer Bank und strich sich den Rock zurecht. “Lasst uns Bogenschießen gehen.”

...

Zur selben Zeit vor dem Schloss

Rainald von Gugelforst prüfte mit kündigen Griffen den richtigen Sitz der Satteltaschen. Er war zum Aufbruch bereit und wie er sich erwartet - und insgeheim auch erträumt - hatte, würde er ohne eine Verlobung abreisen. Es war von Anfang an eine auswegslose Situation gewesen, aber es störte ihn nicht. Rainald war nie ein Mann, der sich in einem solchen Schloss leben sah. Eine zugige Burg und täglich lange Stunden am Pferderücken war das was er gewohnt war und was ihn glücklich machte. Und genau dieser Leidenschaft würde er sich die nächsten Monde auch hingeben. Er würde nach Rommilys reisen, als Pilger … und um seine Familie zu besuchen. In jenen Landen, die seine Jugend so sehr geprägt hatten.

Voller Vorfreude und ohne einen Funken Gram über die unnötige Reise in die weit entfernten Nordmarken, schwang sich der Ritter in den Sattel und machte sich auf den Weg. Dass er bald wieder in den Nordmärker Landen Weilen würde, dafür fehlte ihm in diesem Moment die Fantasie, aber die Wege der Götter waren unergründlich.


Ein neuer Beginn

Burg Kerbelberg, Herzoglich Bollharschen, Anfang Travia 1046 BF

Es war noch früh morgens. Das Praiosmal versteckte sich noch hinter der mächtigen Zackenreihe der weit entfernten Koschberge und es pfiff ein kalter Wind über die Lande der Grafschaft Elenvina. Ein einzelner Ritter stand hoch oben an der Burgmauer der alten Höhenburg Kerbelberg. Der Wind zerrte an seinem Mantel und der prächtigen braunen Mähne am Haupt des Mannes.

Es war ein sehr ereignisreiches Jahr gewesen, eines, bei dem es Rainald klar war, dass die Götter ihre Hände über ihn hielten. Erst wurde ihm sein Lehen in Weiden entzogen und er auf die weite Reise gen die Nordmarken geschickt, um der Junkerin von Ulmentor eine Heirat anzubieten. Der Ritter war nicht begeistert über diesen Umstand gewesen, hatte sich jedoch dem Wunsch seiner Familie gefügt - ganz so, wie es im Haus Gugelforst üblich war. Wie erwartet hatte die junge Dame Silvagild kein Interesse an dieser Verbindung und Rainald reiste unverrichteter Dinge wieder ab.

Doch was wie das Ende der Reise wirkte, stellte sich erst als Anfang einer für ihn lebensverändernden Zeit heraus. Der Weg von Ulmentor führte Rainald nämlich nicht nach Hause in weidener Gefilde, sondern in die Capitale der Rommilyser Mark. Dort, wo der Ritter seine Ausbildung und lange Jahre seines Lebens verbrachte, wollte er sich zur Kontemplation zurückziehen, denn dass die Weidenhager Baronin ihn aus ihren Diensten entließ, ließ in Rainald eine gewisse Leere entstehen. Vielleicht, so seine Gedanken, würde er wieder in die Dienste des Reichsvogten Geppert von Gugelforst-Gareth treten.

Und genau diese kombinierten Umstände schienen den Gugelforster schlussendlich ins Glück geführt zu haben. Denn gleichzeitig mit seinem Gang nach Rommilys, brach auch die eben erst verwitwete Junkerin von Züchtelsen in die Rommilyser Mark auf. Ihr Weg sollte sie nach Gennshof, nahe der Capitale führen, wo die Schwester ihres von einem Paktierer ermordeten Gemahls lebte, die ihrerseits mit dem Junker Wolfrat von Gugelforst verheiratet war, der wiederum ein entfernter Verwandter und Jugendfreund - Rainald leistete seine Pagenschaft bei Wolfrats Vater ab - des Ritters war.

Im kleinen Tempel der gütigen Mutter zu Gennshof, dem Gänsehof, von wo aus einst erfolglose Versuche unternommen wurden, die nahen Elfensippen zu bekehren, hatten sie sich das erste Mal getroffen. Beide waren sie im Gebet gewesen und es schien als habe die Tempelmutter Hildelind, eine ehemalige Ritterin vom Bund zum Schutze von Heim und Herdfeuer und darüber hinaus noch eine entfernte Base Rainalds, schien die Bindung der beiden recht schnell zu spüren, wiewohl sie die heilige Zeit der Trauer Aureas selbstverständlich respektierte.

Es sollte das Zureden Mutter Hildelinds auch nicht gebraucht haben - die Zeit heilte Wunden und man kam sich näher, während Aurea als Gast im Stadthaus der Familie Gugelforst zu Rommilys lebte. Aus Tage wurden schließlich Monde und aus der anfänglichen Freundschaft und Erleichterung jemanden gefunden zu haben, der Verständnis und Halt ins Leben des anderen brachte, wurden schließlich tiefere Gefühle. Gefühle, die nicht lange danach darin mündeten, dass Aureas Mondblut ausblieb und sie so schnell wie möglich heiraten mussten, um keine Schande über die Familien und das ungeborene Kind zu bringen.

So kam es dann auch, nach kurzer Verhandlung zwischen den beiden Häusern legten sie im Rahja 1045 BF den Schwur vor Praios und Travia ab.

Rainald seufzte. Ein Laut, der vom Wind geschluckt wurde. Aber es war kein Ausbruch von Wehmut oder Trauer gewesen - nein, im Gegenteil; der Ritter hatte sich vor einem Götterlauf als Entwurzelter auf den Weg nach Rommilys gemacht und war mit einer Familie und Sinn in seinem Leben wieder zurückgekommen. Den Göttern sei Dank, denn die güte Mutter und ihre ewigschöne Schwester hatten bestimmt ihre Finger mit im Spiel gehabt.

-Fin-