Im Perainetempel

Besuch in Storchengarten

Ort: Baronie Herzöglich Fuchsgau, das Kloster Storchengarten

Zeit: Rahja 1042 BF

Autoren: RekkiThorkarson, Galebquell und IseWeine

Inhalt:

Hochwürden Ivetta von Leihenhof zum Storchengarten von empfängt einen zwergischen Oberst und seine Begleitung auf einem Pilgergang zu Ehren Peraines. (Dokument hängt an).

Inhalt:

Besuch in Storchengarten

Ankunft

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Rahja, 1042 BF Es war am Jahrestag des Überfalls auf das Lazarett während des Feldzuges gen Mendena, dass der Oberst der Eisenwalder der Göttin der Saat, der Ernte, und nicht zuletzt der der Heilkunst ein Opfer darbrachte.
Dwarosch war selbst in die tiefen Höhlen Isnatoschs herabgestiegen, um in den riesigen Gärten, die das Bergkönigreich besaß, Pilze zu pflücken. Einen großen Korb voll davon stellte er nun vor den Altar im Haus der Segensreichen Mutter im Storchengarten der Peraine, dem großen Tempel der gütigen Göttin Peraine nur wenig südlich von Elenvina. Im Geflecht aus dünnen Weidenzweigen befanden sich ebenfalls Tiegelchen mit mineralischen Gewürzen, welche die Angroschim so liebten. Es waren allesamt kostbare Gaben, doch nach der Auffassung des Sohns des Dwalin war ihr Wert immer noch zu gering im Vergleich zu dem großen Wunder, dass ihm zuteil geworden war.

Dwarosch hatte seine linke Hand im Kampf gegen einen Dämon verloren, als er die Verletzten und Versehrten im Lazarettzelt verteidigte und war dem ewigen Schmiedefeuer sehr nah gekommen, als er infolge mit dem Tod gerungen hatte.
Doch Dwaroschs Zeit war noch nicht gekommen gewesen. Peraine hatte ihm Heilung geschenkt und ihm darüber hinaus dank eines ihm immer noch unbegreiflichen Aktes seine Hand zurück geschenkt. Sie war wieder angewachsen.
Das geistesabwesende Öffnen und Schließen seiner Linken gehörte seither zu ihm wie seine Hand selbst.
Der Tempel stand mitten auf dem Hof einer uralten, mächtigen Burg, deren Grundmauern und älteste Fundamente noch aus bosparanischen Zeiten des Jel-Horas stammten. Immer noch erinnerte der efeuumrankte Bau mit seinem Säulengang und dem breiten Giebeldach an Gottesheiligtümer des alten, vorsilemischen Bosparan. Einige Stufen führten hinauf in die Tempelhalle, die sich groß und weit öffnete. Geöffnete Fenster ließen das Licht des hellen Tages ein und fielen auf das Herz des Tempels:
In der Mitte der Kapelle erhob sich eine wunderschöne Statue der Göttin Peraine, gemeißelt aus feinem weißem Marmor. Sie stellte die Göttin in bosparanischer Darstellung und Tracht dar, eine Brust entblößt, in einer Armbeuge einen Korb mit unzähligen Heilkräutern haltend. Sie beugte sich herab zu einigen Menschen unterschiedlichen Alters, die an verschiedenen Krankheiten und Verletzungen litten und streckte ihnen mit der freien Hand eine Vielfalt an Kräutern entgegen. Die Göttin lächelte die Menschen zuversichtlich an und die Statue wirkte dabei so lebensecht, dass man sich am liebsten an sie schmiegen mochte.
Vor der Statue standen einige schwere Holzbänke, auf denen man sich niederlassen und im stillen Gebet an die Göttin versenken konnte. Auf einer der hinteren Bänke saß auch eine ältere Priesterin der Peraine in ihrem schlichten, grünen Ornat, das faltenreiche Gesicht umrahmt von einem lindgrünen Schleier. Die alte Geweihte beschäftigte nicht nur ihren Geist, sondern auch ihre Hände mit einer Näharbeit, welche vermutlich bald einen Kittel darstellen würde. Sie lächelte während der Arbeit und der Meditation.

Eine junge Frau in einem einfachen grünen Kittel, vermutlich eine Novizin, reinigte gerade mit Besen und Wedel den Tempel und ging dabei so zielstrebig und gemessen vor, dass auch diese Arbeit beinahe ein heiliges Ritual darstellte.
In einer Schale zu Füßen der Statue glomm auf feinem Sand Räucherkohle, einige darauf gestreute Kräuter verbreiteten einen angenehmen, erfrischenden Duft.
An den Wänden rechterhand und linkerhand sowie ein Stück hinter der großen Perainestatue standen drei kleinere Schreine auf scheinbar nachträglich angebrachten Podesten, eingerahmt von aranischen, aber in stimmigen Blattmustern bemalten Wandschirmen. Linkerhand stand die Statue einer wunderschönen, dezent verhüllten Frau mit einer echten Harfe in der Hand. Rechterhand, also ihr gegenüber fand sich die Statue einer gütig lächelnden Matrone mit einem großen Kessel und Brotkorb. Und hinter der Perainestatue spielte auf dem Podest eine fröhliche, schwangere junge Frau mit zwei Kindern und einer Eidechse. So vereinten sich hier die vier gütigen Schwestern Peraine, Rahja, Travia und Tsa im Haus der Segensreichen Mutter.
Kurz hörte der Zwerg ein Rascheln, er sah noch, wachsam wie er geworden war, aus dem Augenwinkel, wie sich mit knackenden Gliedern die alte Geweihte erhob und mit ihrem Nähwerk den Tempel durch den Haupteingang verließ.

Er wandte sich wieder dem Altar zu und versuchte sich auf das Gebet einzustimmen.
Wie bei jeder persönlich motivierten Reise dieser Tage war Dwarosch nicht allein unterwegs. Marbolieb und ihre Tochter Mirla, oder Mirlaxa, wie der Oberst das junge Mädchen liebevoll nannte, begleiteten ihn.

Um das Regiment musste sich Dwarosch indes nicht sorgen. Antharax würde ihn wie stets würdig vertreten, daran hatte er keine Zweifel. Sein Freund war ein gewissenhafter Befehlsnehmer, dem es weder an Fleiß noch Disziplin mangelte und der sein Vertrauen noch nie enttäuscht hatte. Zudem wusste er Barox und Xadresch an seiner Seite, verdiente Veteranen, die seinen ersten Hauptmann mit Rat und Tat unterstützten.
Der Tempelraum war nun leer. Kein Geweihter war mehr zu sehen und auch die Novizin war nicht mehr in der Halle. Man hatte wohl von den Gästen Notiz genommen, da man den Oberst aber bereits kannte, sah man sich nicht veranlasst, ihn bei seinem Gebet zu stören.
Dwarosch ging auf die Knie und senkte das Haupt. Dies tat er für gewöhnlich nicht, wenn er betete, zumindest nicht zu Kor. Zum Söldnergott pflegte Dwarosch einen eher streitbaren Umgang. Der Oberst wusste darum, dass der blutige Schnitter ihn erwählt hatte, sein Werk zu vollbringen. Mit seinen Mitteln hingegen war Dwarosch gelinde ausgedrückt nicht immer glücklich und so haderte er mit ihm.
Bedeutend mehr Respekt brachte Dwarosch dem Allvater der Angroschim entgegen, jedoch sprach er nicht sehr häufig zu ihm. Angrosch hatte auf sein bisheriges Leben vermeintlich wenig Einfluss gehabt. Doch das war etwa,. das sich mit dem Ende seiner aktiven Söldnerlaufbahn und der Rückkehr in den Isenhag langsam änderte, zumindest in Dwaroschs eigener Wahrnehmung.

Zu Boron und nicht zuletzt Peraine betete er seit dem Haffaxfeldzug, der sein Leben in mehrfacher Hinsicht umgekrempelt hatte.
"Gütige Peraine. Tiefe Dankbarkeit ist das, was ich empfinde, wenn ich an jenen Tag zurückblicke, an dem du mir mehr als nun mein Leben schenktest. Du gabst mir darüber hinaus auch die Chance, es nach meinem eigenen Willen zu gestalten. Ohne meine linke Hand wäre dies nur schwer möglich gewesen. Dank dir lebt mein Traum weiter, kann ich meiner Bestimmung weiter folgen.
Auch wenn ich als Mann der Waffe vermeintlich wenig mit deinen Belangen zu tun habe, weiß ich doch, welche Bedeutung du für den Großteil der Bevölkerung hast, denn du ernährst uns und schenkst uns Gesundheit, Dinge die unerlässlich sind für das Leben in all seinen Facetten und seiner Gesamtheit.
Dein ist daher meine bescheidene Opfergabe und mein Dank.“
Unsicher, ob seine Worte würdevoll genug, ihr Inhalt passend gewesen war, blickte Dwarosch zu Marbolieb auf.
Diese jedoch bemerkte seinen Blick nicht und wandte sich abgelenkt einer Frau in grünem Ornat zu, die gerade den Tempel betreten hatte und leise zu Marbolieb gegangen war. Eine einfache grüne Kutte aus einem Leinen, darüber ein dunkelgrüner Überwurf mit gelben Ähren darauf wies sie als Priesterin der Göttin aus. Ihr langes, dunkelbraunes Haar war zu einem einfachen Zopf gebunden und fiel ihr über die Schulter auf die Brust. Einzelne graue Strähnchen sowie die dezenten Falten um Augen und Mundwinkeln deuteten auf ihr nicht mehr ganz so junges Alter hin. Die etwas eng beieinanderstehenden Augen leuchteten gütig, der Mund zeigte ein mütterliches Lächeln. Um ihren schlanken Hals hing an einer kupfernen Kette ein Kupferamulett in Form einer ebenmäßigen Scheibe, auf der zwei Ährenbündel eingraviert waren.

Als die Priesterin bemerkte, dass die Aufmerksamkeit nun ihr galt, lächelte sie. „Peraine zum Gruße, meine Kinder.“ Sie nickte erst Marbolieb, dann Dwarosch zu und hob die Hand zu einem Segen. „Ich wollte euch nicht in eurer Andacht stören. Man berichtete mir, dass unser Haus hohen Besuch empfangen hat.“
Die kahlköpfige Borongeweihte, die neben den Oberst kniete, trug eine einfache Robe, die ursprünglich wohl einmal schwarz gewesen, inzwischen aber zu einem verwaschenen Grau verblichen und vielfach geflickt war. Dennoch war sie, wie die junge Frau, die sie trug, peinlich sauber. Die Priesterin schien wenig auf derischen Besitz zu geben, jedenfalls waren ihre Füße bar und bloß und trugen Spuren des staubigen Weges, der sie hierher geführt hatte. „Die Zwölfe zum Gruße, Peraine voran, Euer … Hochwürden?“ Marbolieb lächelte, in Richtung der Geweihten gewandt. Dezent festigte sich ihr Griff, nachdem ihre Hand bisher locker auf dem Unterarm des Zwergen gelegen hatte. Die Ansprache der Hausherrin war eindeutig an ihren Begleiter gerichtet, immerhin war er es gewesen, der sie auf seiner Reise in den Tempel mitgebracht hatte. Ein leises warmes Lächeln verharrte auf ihren hübschen Zügen – viel zu lange war es her, dass sie einen Tempel eines der Zwölfgötter besucht hatte – das letzte Mal war das Haus eines Halbgottes, des blutigen Schnitters gewesen. Aufmerksam wartete sie, was ihr Begleiter zu sagen hatte – in der halbwegs berechtigten Hoffnung auf dessen häufig vorhandene diplomatische Ader.
Zunächst Überraschung, dann Freude wechselten sich auf dem Gesicht des Zwergen kurz nacheinander ab. Er machte sich nicht die Mühe seine Emotionen zu verhehlen, warum auch? Er war an einem Ort, wo es dazu keinerlei Notwendigkeit gab.
„Hochwürden, es erfreut mich, Euch zu sehen!“ Begrüßte Dwarosch die Hüterin der Saat mit herzlicher Stimme und erhob sich. Gleichzeitig half er Marbolieb auf und sprach weiter. „Ich hatte gehofft, Ihr würdet anwesend sein.
Es ist lange her, dass wir uns begegneten. Seit der Heimkehr aus dem Osten bringe ich Eurer Göttin Opfer dar und nun befand ich die Zeit für reif, diesen Weg zu gehen, nach Storchengarten.“
Marbolieb legte eine Hand auf Dwaroschs Schulter und lauschte schweigend. Es tat gut, ein Haus eines der Zwölfe zu besuchen, das Gefühl von Eintracht und Güte, das dieser Tempel ausstrahlte, in sich aufzunehmen und zu spüren, wie sie mit jedem Atemzug mehr zur Ruhe kam. Zunehmend versunken in ihre Gedanken traten die Worte der beiden mehr und mehr in den Hintergrund, ein leises Beiwerk für das umfassende Gefühl der Zugehörigkeit, des – fast - richtigen Ortes, dass dieses Bauwerk ausstrahlte.

Dwarosch hatte sie erkannt. Ivetta von Leihenhof, Hüterin der Saat des Hauses der Segensreichen Mutter und des Storchengartens sowie Äbtissin des hier angeschlossenen Therbûnitenklosters. Sie waren sich vor einigen Jahren auf dem Feldzug gegen den Reichsverräter Haffax begegnet, wenngleich der zwergische Oberst mehr an der Front beschäftigt war, sie hingehen im Lazarett. An die Schrecknisse dieser Zeit erinnerte sich die Perainegeweihte noch gut, aber besser noch an den Zwerg.

„Oberst Dwarosch…“ lächelte sie ihn an. „Ich freue mich, Euch und Eure Begleitung zu Begrüßen.“ Sie schenkte auch Marbolieb und dem Kindlein auf ihrem Arm ein herzliches Lächeln. „Die Türen stehen jedem Suchenden offen, ob er nun Heilung an Körper oder Geist erhofft. Oder einfach nur seine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen möchte.“ Sie trat an Marbolieb heran, bemühte sich direkte Schritte zu machen. Das Verhalten der Borongeweihten zeigten ihr, dass sie blind war, suchte sie doch nicht den direkten Blickkontakt. So reichte sie ihr auch nicht die Hände. „Mein Kind, Boron zum Gruße. Ich freue mich, dich kennenzulernen. Ich habe schon von der Borongeweihten gehört, welche den wackeren Oberst Dwarosch begleitet. Und wen haben wir hier?“ Sie strich dem Kind über das weiche, flaumige Haar.
Das Mädchen mochte ungefähr anderthalb Götterläufe zählen, hatte rabenschwarzes, zu einem dünnen Zopf geflochtenes Haar und eine nur wenig hellere Haut als seine Mutter, die ihre südlichere Herkunft nicht verbergen konnte.
„Das ist Mirla.“ Ein warmes Lächeln glitt über die Züge der jungen Geweihten, als sie mit ihrer freien Hand über die zarte Wange des kleinen Kindes strich. „Sag' ihrer Hochwürden Guten Tag, mein Schatz.“ Das Kind, das gerade noch angelegentlich an seinem Daumen gelutscht hatte, hob den Blick und schaute Ivetta aus kugelrunden, großen dunklen Augen an. Sie besaß eine kleine Stupsnase und ein noch ganz feines, ungezeichnetes Kleinkindergesicht, das große Neugier und ein tiefes Vertrauen in die augenblickliche Lage ausstrahlte.
„Möchtet Ihr Euch in unseren Baderäumen frisch machen und waschen? In nicht einmal einem Stundenglas findet das gemeinsame Mittagsessen im Großen Saal statt. Es gibt heute Geflügel und frischen Fisch, dazu reichlich Gemüse.“
Sie berührte Marbolieb sanft an der Schulter. „Sag, mein Liebes, brauchst du vielleicht ein Paar Schuhe und eine Kutte oder einen Umhang oder hast du vor Boron ein Armutsgelübde abgelegt?“ Sie sprach mit sanfter Stimme, ohne Hochmut, sondern ruhig und anteilnehmend.
Marbolieb erstarrte, und Dwarosch spürte, wie sich ihre Hand in seinen Arm grub. Sie senkte den Kopf. „Nein, Hochwürden, das habe ich nicht. Doch bin ich nicht hier, um Almosen zu erbitten.“ Sie schluckte und senkte den Kopf. „Es tut mir leid, wenn meine Kleidung unangemessen ist.“ War ihre Robe wirklich derart schäbig? Sie grub ihre Zähne in ihre Unterlippe und trat einen halben Schritt hinter Dwarosch, diesen dezent zwischen sich und die Herrin dieses Hauses manövrierend.

Dwaroschs Kopf wanderte, derweil die Frauen sprachen, irritiert von der einen ihm gegenüber zu derjenigen, die vor kurzem noch an seiner Seite gestanden hatte. Er brauchte jedoch auf die Schnelle keine erklärenden Worte vor. Das nahm ihm die Hausherrin kurzerhand ab.
„Oh weh… nein, mein Kind, keine Sorge.“ Die Perainegeweihte wunk abwehrend mit den Händen. „Jeder ist hier im Haus der Göttin willkommen, es gibt hier keine unangemessene oder angemessene Kleidung. Ich wollte nur hilfreich sein – denn die Straßen sind staubig und steinig und wenn möglich, bieten wir hilfesuchenden Reisenden Speise und Kleidung an.“ Sie faltete die Hände vor dem Bauch zusammen. „Ich bitte um Entschuldigung, falls ich dich gekränkt haben sollte.“
„Wir nehmen euer Angebot gerne wahr, Hochwürden. Meine Kleidung ist ebenfalls verstaubt“, eröffnete der Oberst. „Mich trieb der innige Wunsch, dies Opfer darzubringen.“ Dwarosch wies auf den Korb, den er vor den Altar gestellt hatte. „Deswegen haben wir uns noch keine Unterkunft gesucht.“
Er trat einen Schritt auf Seite und legte Marbolieb den breiten Arm um die Hüfte, um ihr Halt und Sicherheit zu geben. Es war ihm sichtlich unangenehm, dass Marbolieb sich schlecht fühlte.
Die hielt betreten den Kopf gesenkt. Dass sich nun auch noch die Tempelvorsteherin ausgerechnet bei ihr entschuldigte, erhöhte ihr Unwohlsein nochmals. Ihre Hochwürden hatte es doch nur gut mit ihre gemeint. Jedes weitere Wort hätte die Situation aber schwerlich verbessert. So nahm sie sich vor, heute Abend ihre Robe besonders genau auf Risse und fadenscheinige Stellen zu untersuchen – der Stoff war schon etwas mürbe, doch das war der Lauf der Zeit – und war glücklich damit, dem Oberst das Wort zu überlassen.
„Wir werden uns waschen und unsere Sachen ausbürsten, damit wir uns in angemessener Weise an euren Tisch setzen können. Habt Dank für die Einladung. Wir nehmen sie gerne an.“

Das ehrliche Lächeln Dwaroschs konnte Ivetta nur so deuten, dass es ihm ernst war. Der Oberst war gekommen, um die Nähe Peraines zu spüren, nicht, um eine vermeintliche Pflicht vor den Göttern zu erfüllen. Ein kleines Missverständnis würde ihn nicht davon abhalten.
Die Aussicht auf eine Waschgelegenheit – eine große Waschschüssel mit Wasser und Seife – klang äußerst verlockend. Marbolieb fischte ein neugieriges Händchen Mirlas aus ihrem Kragen und hielt ihre Tochter fester. Die war schwer geworden in den vergangenen Monden – und aktiv. Schneller als sie – was jeden Ausflug des Kindes zu einem Abenteuer für beide werden ließ und ihr vor Augen führte, was es mit dem sprichwörtlichen Flöhehüten auf sich hatte. Langeweile war kein Wort, dass die Geweihte in den vergangenen Monden für sich beansprucht hätte.
Die Perainepriesterin nickte. „Ich werde eine meiner Novizinnen zu euch schicken, sobald die Zimmer bereit sind. Sie wird euch auch zeigen, wo ihr den Großen Saal findet.“ Sie schaute zum Zwerg, der sich sehr nah an die Borongeweihte gestellt hatte. Das kleine Kind fischte mit seiner winzigen Hand nach ihm und tapste ihm auf den Kopf. „Ihr möchtet Peraine ein Opfer darbringen?“ Sie lächelte. „Wenn Ihr etwas dafür benötigt, so helfen wir gerne. Ansonsten lasse ich Euch gerne die Ruhe und die Zweisamkeit mit der gütigen Mutter Peraine.“
Der Oberst nickte. „Das möchten wir in der Tat, Hochwürden.“

Er nahm Marbolieb kurzerhand das Kind ab, das seine Arme nach ihm ausgestreckt hatte und daraufhin sogleich glucksend seine Hände im Bart des Angroschos versenkte, um mit den vielen, kleinen Metallkuben und -kugeln, die darin verflochten waren, zu spielen.
Sanft führte Dwarosch die Borongeweihte einen Schritt auf Seite, so dass die Tempelvorsteherin den Korb, welcher vor dem Altar stand, sehen konnte.
„Es sind Pilze aus den unterirdischen Gärten Isnatoschs, sowie allerlei mineralische Gewürze“, erklärte der Oberst. „Ich würde daraus gerne selbst ein Essen bereiten für die Speisung im Tempel. Marbolieb wird mir helfen. Vielleicht am morgigen Tag. Das heißt, natürlich nur, wenn es euch recht ist.“
Dwarosch hatte über diesen Teil länger nachgedacht, hatte am Ende aber für sich befunden, dass es einem Akt der Demut gleichkam, den die Göttin wohlwollend betrachten würde.

Marbolieb nickte auf die Aussage Dwaroschs. Dass sie keine Ahnung hatte, wie die Pilze zuzubereiten waren, würde die höhere Expertise des Zwergen hoffentlich mehr als aufwiegen. Inzwischen war sie immerhin richtig gut darin, das benutzte Kochgeschirr zu reinigen – in Senalosch hatte sie so manche Stunde zusammen in der Küche mit der Haushälterin verbracht, das Gespräch – oder auch einfach nur das Schweigen – zusammen mit der anderen Frau genießend, während sie gemeinsam das Schlachtfeld, das jede Mahlzeit dort hinterließ, wieder in Ordnung brachten. Mit Letzterem kannte sich Marbolieb aus.
Die Hochgeweihte strahlte, das breite Lächeln erhellte ihr Gesicht. Es fehlte nur noch, dass sie in die Hände klatschte. „Oberst, das ist eine wunderbare Idee. Das wird Peraine sehr gefallen.“ Sie stutzte, runzelte die Stirn, hob die rechte Augenbraue. „Aber… ich gehe davon aus, dass die mineralischen Gewürze auch für Menschen verträglich sind?“
Sie lachte. „Ich wurde einmal von dem Angroschgeweihten aus Hügelbinge bekocht. Er hatte nicht daran gedacht. Gütige Göttin, was war mir schlecht.“ Ihr Lachen, in das Dwarosch mit einfiel, ging in ein Grinsen über. „Ich werde unsere Köchin darauf hinweisen, dass Euch die Küche gehören wird. Freiwillig wird sie das Zepter nicht abgeben.“

„Könntet Ihr uns zuvor noch zeigen lassen, wo wir uns reinigen können?“ richtete die Boroni nochmals ein Wort an die Hausherrin. Die wirklich großartige Idee der Hochgeweihten drohte im Geplänkel unterzugehen – dabei war sie verschwitzt, staubig und erschlagen von dem langen Marsch. Dass der Oberst diesbezüglich keine Müdigkeit kannte, war ihr inzwischen auch klargeworden – aber sie hatte auf dem längsten Teil der Strecke ihre Tochter auf den Armen geschleppt, und deren Gewicht, obwohl sie zierlich für ihre anderthalb Jahre geraten war, spürte sie inzwischen überdeutlich in Armen und Rücken. Natürlich hätte sie jetzt auch noch gerne bis zum Abendessen der Göttin ihre Würdigung erwiesen – aber wieviel angemessener würde sie dies mit frisch gewaschenem Gesicht und Händen tun (vom Rest besser geschwiegen).

„Natürlich, mein Kind. Bitte verzeih.“ Sie wunk einer Novizin, die eben gerade den Tempel betreten hatte und einen Reisigbesen in der Hand hielt. „Giduberga, komm doch einmal her.“ Das vielleicht 14 Jahre zählende Kind mit einem dichten, kaum zu bezähmenden blonden Haarschopf kam näher, ein wenig scheu, aber höflich. „Giduberga, dies hier sind der Oberst Dwarosch groscho Dwalin und Ihre Gnaden Marbolieb. Sie sind unsere geehrten Gäste. Bitte bringe sie doch zu den Zimmern und zeige ihnen dann die Baderäume.“

Ivetta schien kurz zu grübeln, war doch ihr Blick ein wenig abwesend. Sie wandte sich an das ungewöhnliche Duo. „Braucht Ihr heißes Wasser?“
„Ein Krug davon wäre wunderbar.“ Marbolieb lächelte dankbar und der Oberst nickte nur bestätigend. Die Aussicht, sich den Staub des Weges vom Leib zu waschen, weckte die Lebensgeister der jungen Frau. Ein Bad war eine wunderbare Aussicht.
Sie sah wieder zu der jungen Giduberga. „Bereite alles vor, sei so gut. Welcher Trakt ist denn gerade bereit?“
Die Maid verlagerte das Gewicht des Reisigbesens von der linken auf die rechte Hand. „Wallbrick hat heute Morgen den Rahja-Trakt gereinigt.“
Ivetta nickte, ihr Zopf wippte. „Gut, dann bringe unsere Gäste doch in den Rahja-Trakt und weise ihnen zwei nebeneinanderliegende Zimmer zu. Würdest du dann, während der Oberst und Ihre Gnaden sich waschen, die Betten vorbereiten. Lass Orchit doch eines der Kinderbettchen in das Zimmer Ihrer Gnaden stellen.“
Das Mädchen lauschte aufmerksam, sie blinzelte nach jeder Anweisung und nickte. Dwarosch sah, dass nach jeder Anweisung das Mädchen einen Finger der linken Hand ausstreckte. Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger, kleiner Finger, dann doch noch der Daumen. Die Hand schloss sich wieder, dann zählte sie wohl wieder jeden Finger durch. „Ja, ja, Mutter. Werde ich… alles…äh… gerne.“ Sie nickte dann dem Oberst und der Borongeweihten zu.
Ivetta lächelte und drehte sich wieder ebenfalls zu den beiden um. „Darf ich Euch beide in die fleißigen Hände meiner Novizin Giduberga geben?“
„Habt vielen Dank für das freundliche Willkommen, Hochwürden.“ Die Boroni senkte den Kopf und wartete auf Dwarosch – in der Hoffnung, dass er ihr zeigen würde, wohin die Novizin sie zu führen gedachte. Das Zimmer allein mit ihrer Tochter würde schon in sich eine spannende Angelegenheit werden – die kleine Mirla hätte es vermutlich in kürzester Zeit ausgekundschaftet.

Wie selbstverständlich hakte sich der Oberst bei der Boroni ein und führte sie gut gelaunt der jungen Novizin hinterher, wobei er immer wieder die Größe der Burganlage bewunderte und gleichzeitig fachkundig deren Wehrhaftigkeit abschätzte. Ein Umstand, den er nicht unterdrücken konnte, es lag in seiner Natur. Während die Novizin in einem einfachen grünen Kittel die Gäste aus dem Tempel heraus führte, schweifte sein Blick umher. Wehrhaftigkeit – nun, ja… das Tor stand weit offen, er erkannte keine Bewaffnung und an manchen Stellen war das Mauerwerk rissig und die Zinnenwehr eingebrochen. Aber an anderen Stellen arbeiteten Handwerker daran, den Zustand der Burg zu halten. Die Burgmauern waren indes dick und stark. Aber offenbar legte man hier Wert auf andere Aufgaben – waren doch im Kräutergarten hinter dem Tempel deutlich mehr Personen beschäftigt als an den Mauerabschnitten.
Gleichzeitig amüsierte Dwarosch eine Sache. Er fand es unnötig, dass er und Marbolieb getrennte Zimmer bezogen, aber das war wohl so üblich, sie waren ja schließlich nicht in Senalosch. Dass diese züchtige, den Gesetzen der Travia zur Ehre gereichende Trennung aber ausgerechnet im Rahja-Trakt Storchengartens stattfand, entbehrte nicht einer gewissen Ironie.

Mirla, sehr zufrieden auf dem breiten Arm des Oberst, lachte und hielt sich mit beiden Händen in der dichten Mähne des Angroscho fest. Mit wachen Augen betrachtete das Mädchen seine Umgebung, während ihre Händchen sich in die Flechten des schwarzen, silberdurchschossenen Haupthaars des wuchtigen Kriegers gruben. „Dado – da!“ deutete sie begeistert nach vorn, in der entschiedenen Aufforderung, den Schritt etwas zu beschleunigen – sie liebte es, im Laufschritt durchgeschüttelt zu werden, doch es war ein seltenes Vergnügen, dass ihr einer der Großen diesen Gefallen einmal tat.
Ihre Mutter indes war vollauf glücklich damit, in der relativ gemächlichen Gangart Richtung Baderaum zu wandern. Zuerst einmal das Wasser – dann alles andere.
Giduberga führte das Paar direkt über den Burghof an der großen Linde vorbei. Rechterhand neben dem Tempel befand sich ein zweigeschossiges Gebäude mit niedrigem Dach, dann folgte ein kleiner abgegrenzter Innenhof, an den offenbar der Palas anschloss. Schon allein dieser mochte deutlich mehr Platz bieten als die Personen, die Dwarosch bisher gezählt hatte, benötigten. Immerhin war er zwei Geschosse hoch, wies noch ein Dachgeschoss auf und war wer weiß wie tief. Doch die Novizin führte sie noch an diesem Palas vorbei! Dahinter schloss sich ein weiteres Gebäude an, welches über einen Gang mit dem Palas verbunden war. Sie steuerte nicht auf dieses Gebäude zu. Auf Dwaroschs fragenden Blick hin erklärte die Novizin: „Dies ist unser Hospital. Dort behandeln wir die Kranken und Verletzten. Im oberen Geschoss haben wir Zimmer für die Erkrankten und auch einen Quarantäne-Raum.“ Sie ging auf den flacheren Bereich zu. Es war eine Art eingeschossiges Verbindungsgebäude zwischen dem Palas und dem Hospital. Das Dach war flach und eingefasst mit einer Art Steinmauer. Vermutlich konnte man auch über das Dach zwischen dem Palas und dem Hospital hin- und herwechseln. „Dies hier ist unsere Therme. Hier kann man sich im Frigidarium und im Caldarium waschen und im Tepidarium entspannen.“ Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Ich muss nur leider sagen, dass das Tepidarium nur zu besonderen Anlässen befeuert wird. Derzeit ist es nicht beheizt. Und auch das Caldarium ist derzeit nicht beheizt, wir haben im Moment wenig Gäste und Patienten, die es benötigen.“ Sie öffnete die Tür, an der in kusliker Lettern Thermae stand. „Ich werde Euch aber heißes Wasser bringen.“ Sie trat ein in das Dunkel, welches den Raum noch erfasste. Durch die niedrigen Fenster fiel nur wenig Licht, doch die Novizin begann damit, die an den Wänden hängen Laternen zu entzünden. Sie standen in einem Vorraum, von dem mehrere Türen abgingen. Sie deutete nach rechts. „Diese Tür führt in den Palas zurück, diese dort…“ Sie wies nach links. „In das Hospital.“ Sie trat zu der dritten Tür und öffnete diese. „Wir betreten die Therme. Dort findet Ihr hinter den Wänden die Umkleidebereiche für die Herren und für die Damen. Ich werde die Zuber füllen, im Frigidarium ist bereits frisches Wasser. Es wird aus dem Bach gespeist und ist sehr klar.“ Sie lächelte. „Die Burg ist uralt und stammt noch aus den Zeiten Bosparans. Daher haben wir hier noch eine bosparanische Therme. Der Geschichte nach hat sogar Jel-Horas hier gebadet.“ Die drei betraten die große Halle, die sich beinahe über die hintere Hälfte des Gebäudeteils erstreckte. Auch dort begann die Novizin die Fackeln und Laternen zu entzünden. Das blakende Licht erhellte den Raum und eröffnete den Blick auf eine wirkliche bosparanische Therme. Linkerhand markierten Wände einen abgeschlossenen Bereich, ein Schild zeigte eine gemalte Frau, rechterhand war ein ähnlicher Bereich, nur zeigte hier das Schild einen Mann. In der Mitte befanden sich hintereinander zwei in den Boden eingelassene Becken. Beide waren mit Wasser gefüllt. Im hinteren linken Bereich standen mehrere Badezuber, auf der rechten Seite war ebenfalls eine Art Raum in die Halle eingefügt worden. Eine schwere Tür versperrte den Zugang. Im Licht der Fackeln erkannte man das Wort „Tepidarium“.
Giduberga kehrte zu den beiden Ankömmlingen zurück und hielt zwei Leinenbeutel in den Händen. Sie reichte Dwarosch beide, hatte sie doch schon bemerkt, dass Marbolieb nicht sehen konnte. „In diesen Beuteln findet Ihr Schwämme, Bürsten und auch unsere eigene Seife, die wir sieden. Ich werde Euch sogleich aus der Küche Krüge mit heißem Wasser bringen und auch dafür sorgen, dass Ihr saubere Kleidung bekommt. Dann können wir Eure von der Reise staubige Kleidung ausklopfen oder waschen. Ich glaube, wir haben sogar Kleidung in Zwergengröße, aber bitte, entschuldigt, es sind einfache Hosen und Hemden und Kutten.“
Welch ein Wunder! Wie in einem Hotel! Einfacher vielleicht – aber, bei Travia – welch ein Empfang!

Die Novizin schaute in die Zuber und lächelte. „Ah, jemand hat sie heute bereits mit frischem Wasser gefüllt. Es ist wirklich frisch, es muss vor kurzem gewechselt worden sein.“ Sie schaute den Oberst und die Borongeweihte an.
Giduberga verließ die Therme auf flinken Füßen, um alles für die Gäste, die eine weite Reise hinter sich hatten, vorzubereiten.

Dwarosch half Marbolieb zunächst, sich in der neuen, fremden Umgebung zurechtzufinden, so dass er sich mit Mirla noch einmal auf den Weg begeben konnte, ihre Rucksäcke zu holen, die sie vor dem Tempelraum abgestellt hatten.
Ohne Eile schritt der Angroscho kurz darauf mit dem kleinen Kind auf dem Arm durch die Burg, wusste er doch, dass Marbolieb die Zeit der Ruhe nach der anstrengenden Reise genießen würde. Und so blieb er hier und da stehen, bewunderte immer wieder gewisse Eigenheiten der Architektur der Burg und erklärte Mirla dabei wie selbstverständlich, warum dies und jenes so gebaut worden war und ob dies nun einem Zweck diente, oder schlicht dem Auge gefallen sollte.

Weit mehr als ein halbes Stundenglas war vergangen, da Ziehvater und Töchterchen wieder vor dem Baderaum standen und Dwarosch anklopfte, nur um nach kurzer Wartezeit einzutreten. „Wir sind wieder da, mein Räblein“, sprach er dabei sanft.
Marbolieb wandte sich zum Eingang und über ihre Züge glitt ein warmherziges Lächeln. Das Licht der Laternen streichelte über ihre Haut und spielte darauf mit honigfarbenen Lichtern. Sie stand neben einem der Bottiche in einer flachen Wanne und wischte sich mit einem feuchten Leintuch über ihr Gesicht. Neben ihr, auf einem über den Bottich gelegten Brett, stand einer der Krüge mit warmem Wasser sowie eine Schüssel mit Seife und Schwamm. Das Wasser im Bottich mochte zwar frisch sein, war aber auch eiskalt – nichts, das zu einem ausgiebigen Bad einlud, weshalb sie sich, wie üblich, nur mit Schwamm und Wasserkrug wusch.
Sie schloss die Augen und ein genießerischer Ausdruck stand auf ihren hübschen Zügen bei dem wundervollen Gefühl des warmen Wassers auf ihrer bloßen Haut, das zusammen mit der herrlich duftenden Kräuterseife zu feinem Schaum geriet.
Fast so schön wie das einmalige Erlebnis des Bades im Badehaus der Burg ihres Barons, damals ebenfalls mit Dwarosch und zwei der Golgariten, vor so vielen Jahren und noch in einem ganz anderen Leben, waren diese Empfindungen. Ein heißes Bad in einem Zuber war unglaublich aufwendig zu bereiten und entsprechend teuer – und damit bestenfalls etwas für Adlige und reiche Leute. Der Krug voll sauberen, heißen Wassers, den ihr die Novizin gebracht hatte, stand dem kaum nach – und so genoss sie die ausgiebige Reinigung aus vollen Zügen, so sehr, dass sie darüber die Zeit vollkommen vergessen hatte.
Ein kleiner Klecks feiner weißer Blasen sammelte sich an ihrem Halsansatz und folgte dem sanften Schwung ihres Rückens talabwärts, eine glitzernde Spur hinter sich herziehend, während ein vorwitziger Wassertropfen sich an ihrem Kinn sammelte, im Lampenlicht aufleuchtete wie ein einzelner, klarer Kristall, sich zitternd löste und auf ihrer Brust in tausend glänzende Splitter zerbarst.
Marboliebs Mundwinkel zuckten.
„Das Wasser ist herrlich! Möchtest Du auch?“
Der Zwerg lachte, schloss die Tür wieder hinter sich und trat näher. „Oh ja, das will ich“, entgegnete er. „Es ist ja nicht so, dass ich nicht auch geschwitzt hätte während unserer Reise. Außerdem muss ich dringend Haare und Bart waschen. Du weißt ja, dass dies etwas aufwendiger ist als bei dir.“ Wiederum lachte Dwarosch.
„Doch keine Eile. Trockne dich ab und kleide dich in aller Ruhe wieder an. Ich wasche derweil Mirlaxa und gebe sie dir dann, wenn du soweit bist.“
Marbolieb nickte und senkte den Kopf, ehe sie nach dem Brett tastete und bedauernd das Tuch zur Seite legte, nach einem Leintuch suchte und es sich lose um den Leib schlang, was ein beachtlich rahjagefälliges Bild abgab.
„Es ist noch warmes Wasser da.“ bemerkte sie, zu dem Oberst gewandt.
„Hast du meine Kleidung mitgebracht?“ Eine zweite Robe, ein Hemd, das je nach Bedarf als Unter- oder Nachthemd herhielt, und ein dicker Lodenumhang – mehr besaß sie nicht. Es reichte aus.
Sie hielt das davonrutschende Leintuch fest, und brachte es wieder in eine halbwegs schickliche Position.
„Ja Räblein. Ich habe alle Sachen mitgebracht“, antwortete der Angroscho mit ruhiger, tiefer Stimme. „Ich lege sie dir gleich zurecht.“
„Gibt es hier einen Eimer? Könntest du ihn mit Wasser füllen? Dann wasche ich unsere Kleider und Mirlas Windeln.“
Sie trat, eine Hand an dem Leinen, vorsichtig aus der Schüssel und drückte sich ihre freie Hand in den Rücken. Der lange Fußmarsch und das Gewicht ihrer Tochter sorgten dafür, dass nicht nur ihr Rücken schmerzte. Das hatte nicht einmal das schöne und durchaus ausgiebige Bad beheben können.
Das Licht der Laternen spielte über ihre bloße Schulter und zeichnete ihren wohlgeformten Leib in Licht und Schatten, doch ihr Gesicht lag im Dunkeln, als sei ihr Blick in Gefilde gerichtet, denen Dwarosch nicht folgen konnte.

„Einen Moment“, entgegnete Dwarosch und setzte Mirlaxa kurzerhand auf den Boden, um Marbolieb einen großen Holzeimer zu füllen und ihr zu bringen.
„Beschäftigt dich etwas?“, fragte er, als er ihre Hände kurz darauf behutsam zum beschlagenen Rand des Eimers führte, den er auf einen kleinen Tisch an der Wand gestellt hatte.
„Ich bin müde.“ Marboliebs Hand strich über die Pranke des Zwergen, nur der Abglanz einer sanften Berührung. Sie klang erschöpft, und Dwarosch bemerkte, wie ihre Schultern nach unten sanken. Es war ein langer Tag – und ein anstrengender Marsch - gewesen.
„Das glaube ich dir Räblein.“ Dwarosch klang mitfühlend. „Auch ich habe schwere Beine und die sind mindestens drei Mal so dick wie deine.“ Er lächelte bei den Worten und sie spürte dass es so war. „Wir werden uns nach dem Essen gleich zur Ruhe begeben.“
Während sie sprach klaubte Dwarosch die dreckigen Sachen vom Boden auf und legte sie neben dem Eimer, so dass Marbolieb sie ertasten konnte.
Danach widmete er sich ihrem Reisegepäck und platzierte die Wechselgarderobe, nachdem er sie gefunden hatte, ordentlich zusammengelegt zu der seinigen. Er würde ihr beim Ankleiden helfen und bis dahin ihren Anblick genießen.

Dwarosch schritt zurück zu dem kleinen Mädchen, hob es wieder auf seine Arme und begab sich mit ihr zu einem der gefüllten Zuber. Er legte Schwamm und Handtuch bereit, entkleidete danach erst sich, dann Mirlaxa und stieg mit ihr im Arm in das angenehm kühle Nass.
Nur um festzustellen, dass es frisch war – sehr frisch. Das frische Wasser, dass die Magd heute Morgen eingegossen hatte, war vermutlich nie warm gewesen. Mirla zerknautschte ihr Gesicht und drückte sich schutzsuchend an ihren Ziehvater, ehe die Neugier die Oberhand bekam und das kleine Händchen begeistert auf die Wasseroberfläche patschte, so dass die Tropfen in alle Richtungen stoben. Das Mädchen juchzte auf und begann, einen wahren Sturm zu entfesseln – der ein jähes Ende fand, als sie die Seife in einer Holzschale erspähte. „Dado – das da!“ bettelte sie und streckte ein Ärmchen in Richtung des Objekts ihres Begehrens – das wenige Augenblicke später als Boot auf der Oberfläche des Zubers schwamm, angetrieben von Mirla, die sich keinerlei Gedanken darüber machte, dass das Wasser tief genug war, um sie ohne Federlesens untergehen zu lassen.

Über Marboliebs Züge glitt ein kurzes Lächeln, als sie die Freudenrufe ihrer Tochter hörte. Sie tastete nach der schmutzigen Wäsche und warf die erste Ladung in den Eimer. Ihr Rücken und ihre Arme protestierten brennend gegen die neuerliche Pflicht, so dass ihr das Lächeln recht schnell aus dem Gesicht rann. Sie holte tief Luft, griff nach der Seife und rückte mit dem Mut der Verzweiflung dem durchschwitzten, staubigen Stoff zu Leibe.
Dwarosch hatte seine Sinne zu diesem Zeitpunkt jedoch vollends auf Mirlaxa gerichtet, da er Angst hatte, sie könne ihm entgleiten und untergehen. Lachend sah er dem kleinen Mädchen bei ihrem bunten Treiben zu und bemühte sich nicht, sie in irgendeiner Weise zu bremsen.
Da er Mirla mit einer Pranke permanent sichern musste, war das Waschen etwas mühselig und nahm mehr Zeit in Anspruch als üblich, doch das kümmerte ihn nicht.
Erst nach einer Weile sah Dwarosch wieder zu Marbolieb hinüber und bemerkte ihre gequälte Körperhaltung.
„Räblein, lass gut sein“, sprach er sanft. „Weiche die Sachen einfach ein und lass sie stehen. Ich geh später ohnehin noch raus eine Pfeife rauchen, wenn Mirlaxa und du im Bett liegen. Da kann ich die Arbeit auch erledigen und die Sachen zum Trocknen aufhängen.“
Die Priesterin wuchtete den triefenden, steinschweren, aber gründlichst durchgewalkten Stoff aus dem Wasser und klatschte ihn auf die Oberfläche des Tisches. Sie reckte sich, tastete nach dem Rest der Wäsche und beförderte sie in den Eimer. Marbolieb nickte dankbar auf die Worte des Oberst. „Eine Hälfte habe ich.“
Die Geweihte atmete tief aus und drückte beide Händen in den Rücken. Was auch nicht wirklich gegen das Zerren half. Sie schloss die Augen. Widersprechen würde sie nicht.
„Den Rest lasse ich dir. Danke.“
Vorsichtig tastete sie sich einige Schritte zur Wand, bis sie eine halbwegs trockene Stelle gefunden hatte, und setzte sich zu Boden, den Kopf gegen das Mauerwerk gelehnt, die Hände über den Knien verschränkt. Das Tuch, das sie um sich geschlungen hatte, legte sich wie ein Wasserfall über ihre zarte Gestalt, spielte mit Licht und Schatten und verbarg ebensoviel, wie es andeutete und zeigte.
Die kleine Mirla dagegen zeigte weniger Anzeichen von Müdigkeit. Begeistert juchzend jagte sie das kleine Seifenboot, wohin es auch segeln wollte, und hechtete sich dabei manches Mal todesmutig um ein Haar aus den Pranken des Oberst, der seine liebe Mühe hatte, alles im Griff zu behalten und nebenbei doch noch irgendwie seinen prachtvollen Bart zu reinigen – eine Sache, die ohne Kind gewisslich schneller vonstattengegangen wäre.

Nach dem ausgiebigen Bad trocknete Dwarosch zunächst Mirla ab und wickelte sie in ein Tuch, um das glückliche Bündel ihrer Mutter zu überreichen. Er legte sie Marbolieb in den Schoss und küsste die Geweihte dabei auf die Stirn. Wassertropfen perlten von seiner noch nassen Haut in ihr Gesicht.
„Ich trockne mich selbst nur schnell ab und ziehe mir etwas an, Räblein, dann helfe ich dir mit Mirlaxa und wir kleiden dich an“, erklärte er mit liebevoller Stimme.
Gesagt getan. Dwarosch gab sich nicht viel Mühe sich abzutrocknen, das Gefühl der kühlen Feuchtigkeit auf der Haut war ihm willkommen. Nur bei Haupthaar und Zopf ging er sehr gewissenhaft vor.
Da der Oberst im Folgenden auf die ihm sonst scheinbar angewachsene Rüstung komplett verzichtete dauerte es nur kurz, bis er in schlichtem Hemd und Hose aus robuster, eisenwalder Wolle vor Marbolieb stand.
Dwarosch nahm Mirla wieder an sich und zog die Geweihten dabei in einer fließenden Bewegung wieder auf die Beine.
Marbolieb stolperte und hielt sich erschrocken an Dwarosch fest. Das Tuch, das die blinde Priesterin um sich geschlungen trug, verlor ihren Halt und glitt zu Boden. Einen Atemzug lang sprach niemand und der Zwerg spürte den raschen Atem der an ihn geklammerten Frau, die sanft ihren Kopf an den seinen legte.
„Du hältst mich immer, nicht wahr?“ Ein ehrliches Lächeln wärmte ihre Stimme bei diesen Worten.
„Ich werde nicht immer da sein können, Räblein. Aber wenn es nach mir geht, dann würde ich gern immer Leute um dich und Mirlaxa wissen, denen ich vollends vertrauen kann … und du natürlich auch.“
Der letzte Satz klang in Marboliebs Ohren nach einem breiten Grinsen, doch das ging nahtlos in einen langen, leidenschaftlichen Kuss über.
Ein Knarzen einer schweren Tür riss beider Aufmerksamkeit an sich. Schritte näherten sich. Dwarosch unterbrach den Kuss und griff nach einem Leinentuch, um Marbolieb nicht splitterfasernackt dem Störenfried entgegenblicken zu lassen.
Marbolieb rang nach Luft und ihre Brust senkte sich in Rhythmus ihres raschen Atems, als der Oberst das Tuch um sich sie schlang. Das Rot ihrer von rahjagefälligen Spiel gekosten Lippen spiegelten sich in der Farbe ihrer Wangen wider, als sie verschämt den Kopf senkte und sich das Leinen über die Schultern zog.
Giduberga kehrte zurück. Die etwas scheue Novizin kam näher. „Ich hoffe, es war entspannend, das Bad und Ihr fühlt Euch wieder sauber nach der langen Reise?“ Als die beiden nickten fuhr sie fort. „Eure Zimmer sind auch bereit und Ihr könnt dort Euer Gepäck ablegen. Die Köchin wurde von Mutter Ivetta informiert.“
Sie wartete geduldig etwas abseits, bis Marbolieb und Dwarosch sich getrocknet und angezogen hatten. Danach führte sie die beiden aus dem Badehaus durch den Zwischengang in den Palas. Einige Treppen hinauf ging es in das erste Obergeschoss. Die Flure der Burg waren recht dunkel, da sehr weitläufig und verwinkelt. Wer hier lebte musste entweder einen guten Orientierungssinn oder einen Plan der Burg haben. Dwarosch fragte sich, für wie viele Personen diese Festung einstmals ausgelegt worden war ... viele würden es gewesen sein.

Behaglich wurden die Flure mit den blanken Grobsteinmauern durch zahlreiche Wandteppiche mit unterschiedlichen Mustern, teilweise Bildern, aber auch durch regelmäßig angebrachte Laternen oder Fackeln, die jedoch nicht entzündet waren. Licht fiel durch einzelne Fenster in die Gänge, deren Läden geöffnet waren. Strategisch vielleicht nicht unbedingt zu empfehlen, aber wer würde dieser Tage in diesen Landen ein Kloster der Therbûniten angreifen wollen?
Marbolieb hatte sich bei Dwarosch eingehakt und folgte ihm, ihre Schritte mit langer Übung den seinen angepasst. Nach vier Kehren hatte sie die Orientierung fast vollkommen verloren – aber die Zeit, an die sie sich daran geklammert hätte, jeden Schritt zurück zu finden, hatte sie mit ihrer Blindheit – notgedrungen? das traf es nicht genau. Resigniert ebensowenig. Jedenfalls: hinter sich gelassen. Und damit ein weiteres Mysterium ihrer Kirche zumindest erahnt: die Aufgabe der Illusion von Kontrolle und das Annehmen der Dinge, wie sie waren – ohne sie zu formen. Dinge anzusehen – und ziehen zu lassen, die sich doch nicht halten ließen. Oder verleugnen.
Dafür jedoch hatte sie das unbedingte Vertrauen gewonnen, sich auf ihren Gefährten zu verlassen, zu wissen, dass er sie nicht willentlich straucheln lassen würde.
Um ihre Lippen zuckte ein Lächeln, als die diese Pole einmal wieder betrachtete und gegeneinander abwog. Sie hatte entschieden den besseren Teil erhalten.
Sanft wie der Fall einer Feder strichen ihre Fingerspitzen über den Ärmel des Zwergen, während sie ihre Tochter irgendwie auf einem Arm bugsierte. Das Winden und Strecken des glücklich erzählenden Kindes verriet Mirlas Fischen nach dem Ziel ihrer Begierde – die sich auf die Bartperlen ihres Begleiters und einmal mehr die unaufhaltsame Inanspruchnahme der bis dato so gepflegten Bartflechten des Oberst erstreckte.

Schließlich stand Giduberga vor einer Tür. Dwarosch nahm wahr, dass man sich an der rahjawärtig gelegenen äußeren Mauer des Palas befinden musste. Die Novizin öffnete die erste Tür aus rötlichen Holzbrettern, darauf in kupfernen Lettern die Kennzeichnung „R 1-5“ angebracht. Neugierig schaute Dwarosch hinein. Es war eine nicht sehr große, aber doch geräumige Kammer. Ein schweres Bett, eine Truhe vor dem Fenster mit feinen Leinenvorhängen, ein Beistelltisch mit Krug, Schale und Becher und ein kleiner Sekretär mit Stuhl waren darin. Sauber und ordentlich, wenn auch nicht luxuriös. „Das Zimmer daneben …“ Sie wies auf die letzte Tür in diesem Gang mit der Kennzeichnung R 1-6. „ … ist gleich eingerichtet. Ich hoffe, Ihr fühlt Euch wohl hier. Die Küche findet Ihr im Wirtschaftshaus. Es ist das kleinere der beiden Hauptgebäude, an denen wir vorbeigegangen sind.“
Marbolieb und Dwarosch erinnerten sich an die verschiedenen Düfte, die aus diesem Gebäude drangen. Vermutlich war es früher die Garnisonsküche gewesen und mochte nur Hartwurst und Schwarzbrot gekannt haben. Jetzt aber befand sich offenbar dort alles, was mit dem Wirtschaften auf der Burg zu tun hatte.

„Aber gleich beginnt auch das gemeinsame Mittagsmahl im Großen Saal.“ Ihr Magen knurrte vernehmlich und sie errötete. „Wenn Ihr möchtet, könnt Ihr mir gleich folgen. Es ist am Ende des Gangs gleich die Treppe hinunter.“

Dwarosch, der das Reisegepäck geschultert hatte und Marbolieb, die ihr Kind im Arm hielt, führte, bat um einen kurzen Moment. Er legte die beiden großen Rucksäcke in den Zimmern ab und begab sich danach sogleich wieder an Marboliebs Seite, um ihr Halt zu sein in der unbekannten Umgebung.
Während sie Giduberga der Treppe hinab folgten nahm Dwarosch Mirla in den linken Arm und führte Marbolieb mit der rechten. „Das Essen wird dir gut tun, Räblein. Danach legst du dich mit Mirlaxa hin und schöpfst Kraft. Ich wecke dich heute Abend. Dann wird es dir besser gehen.“
„Danke Dir.“ erwiderte diese schlicht. Ihr Rücken und ihre Arme brannten, und die Sohlen ihrer Füße schmerzten nach dem energischen Marsch über die Landstraßen, auch wenn dieser heute nur einen halben Tag betragen hatte.
Dennoch konnte Dwarosch ihre deutliche Erleichterung unschwer in ihrer Stimme ausmachen.

Schon während des Mittagsmahl, an dem viele Bewohner der Burg – einige Geweihte, einige Laiendiener, viele Bedienstete, sogar der eine oder andere Ritter – teilgenommen hatten, hatte Mutter Ivetta die beiden Reisenden mit der Köchin bekannt gemacht. Gerhalla Kupferwich war eine kräftige, untersetzte und grauhaarige Frau von etwas zwischen 60 oder 70 Jahren, wer mochte das schon so genau wissen? Sie wirkte wie ein brummelnder, wortkarger Dachs und schien auch ebenso kurzsichtig zu sein. „Ein Zwerg will kochen? Für das Abendessen also?“ Ivetta nickte mit einem weisen Lächeln. „Und er hat Euren Segen?“ Ivetta nickte mit einem weisen Lächeln.
Die kantige Frau, die kaum größer als Marbolieb war, nestelte an ihrem Gürtel und zog einen wuchtigen, großen Holzlöffel hervor, der bestimmt ebenso alt war wie seine Trägerin und dessen Zweck es eher schien, unartigen Novizen den Hintern zu versohlen als Suppen abzuschmecken. Sie reichte ihn Dwarosch mit der Würde eines Königs, der ein Zepter an seinen Nachfolger reichte. „Ihr dürft meine Küche benutzen.“ Meine Küche.
„Aber ich bitte Euch…“ Warnen traf es eher. „… keine Unordnung zu hinterlassen.“

„Gerhalla …“ mahnte Ivetta nun leise aber deutlich. „…unser Gast möchte Peraine mit einem Mahl ehren, was ein sehr schöner Gedanke ist. Da ist es nicht zu wenig verlangt, dass wir ihm dieses Ansinnen nicht verwehren.“ Die Köchin senkte die Augenlider. Für einen kurzen Moment.
„Ja, Ihr habt Recht, Mutter Ivetta.“ Klang es ein wenig formalisiert, so als spielte sich dieser kleine Konflikt nicht zum ersten Mal ab.
„Keine Sorge, meine Mutter ist eine gewissenhafte Frau und hat mir schon in frühester Jugend Ordnung beigebracht“, eröffnete der breitschultrige Zwerg gutmütig, als die Köchin sich wieder den Gästen zuwandte. Die Köchin brummte wie ein Dachs vor seinem Bau, in dem er einen Fuchs witterte. „Zudem werde ich für die Pilzsuppe nicht sonderlich viel benötigen und werde kaum die Chance haben sonderlich viel Unheil anzurichten.“
Dwarosch überlegte kurz, dann erklärte er was er vorhatte. „Zunächst muss ich die Pilze waschen und vorbereiten, Gewürze habe ich zu großen Teilen selbst dabei. Es wird aber viel davon übrigbleiben.
Ich kann euch gern ihren Gebrauch erklären, so ihr euch noch nicht mit den mineralischen Gewürzen auskennt, die wir Angroschim im Essen so lieben.“ Ein warmes, herzliches Lächeln machte sich bei diesen Worten auf Dwaroschs Miene breit.

„Die Pilze werden im Fett angebraten und dabei verfeinert. Parallel bereite ich eine Brühe vor, dazu benötige ich auch frische Gartenkräuter, von denen ihr sicher reichlich habt.
Ich würde vorschlagen wir machen kleine Stücke Erdäpfel hinein, damit die Suppe reichhaltiger wird. Aber kein Gemüse, denn der starke Eigengeschmack der Pilze soll nicht verfälscht werden.“
Dwarosch nickte, wohlwissend, dass der Geschmack der Pilzsuppe Menschen überraschte, denen viele Teile der zwergischen Küche vollkommen fremd waren, das schloss die meisten von ihnen verwendeten Gewürze mit ein.
„Als erstes brauche ich heute Abend dann einen großen Topf Wasser von euch.“

Die Köchin hatte die Arme vor der massigen Brust verschränkt gehabt, während Dwarosch seine Vorhaben erläuterte. „Ihr sollt alles bekommen, Herr Oberst. Ich weiß zwar mit mi… minololo… Euren Gewürzen nicht viel anzufangen, aber Mutter Ivetta sagte mir, Ihr wisst was Ihr tut.“ Sie nickte, entfaltete ihre Arme und schmunzelte – das erste Mal so richtig, wie Dwarosch bemerkte. „…der große Topf Wasser wird bereitstehen.“

Am Abend

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Die Küche in dem Nebengebäude war riesig Fast eine ganze Herdanlage mit Töpfen, Pfannen, Flammen, Krügen, Wasser und vielem mehr stand mitten im Raum, so dass alle Köchinnen im Kreis drum herumlaufen konnten. Türen führten in die Vorratsräume, in denen wahlweise Nahrungsmittel in Töpfen, Krügen oder Fässern aufbewahrt wurden, oder das eigentliche Kochgeschirr. Von hier aus konnte man ein ganzes Regiment versorgen.
Kochstellen und Öfen waren bereit zum Braten, Kochen, Backen und Sieden. Kräuterbündel und Knoblauchzöpfe hingen von Stangen über der Herdanlage aus Naturstein, offene Fenster ließen Licht herein.
"Mein Reich…“ verkündete Gerhalla mit sichtbarem Stolz, denn dieses Reich schien deutlich besser organisiert als die Reichskanzleien selbst. Ein Umstand, der Dwarosch ein anerkennendes Nicken abforderte.
Auf der Feuerstelle stand auch schon ein gewaltiger Topf bereit, das Feuer war entfacht, ein großes Bündel verschiedenster frischer Kräuter lag auf der Arbeitsplatte bereit.
Der Oberst, der die kleine Mirlaxa in einem Tragetuch vor dem Bauch gewickelt hatte und deren Mutter mit dem linken Arm in die Küche geführt hatte, lächelte und stellte den großen Korb voller Pilze und zwergischer Gewürze auf die Arbeitsfläche vor sich ab. Alles war vorbereitet und er freute sich darauf zu kochen.
Etwas, dass er zuhause nur selten tat, zu selten. Oft blieb nicht die Zeit, zumeist aber wurde für ihn Essen bereitet. In Senalosch war es Boraxs Haushälterin Topaxandrina, auf Burg Nilsitz der Regimentskoch.

Dwarosch trug an jenem Abend lediglich ein ärmelloses, schlichtes Leinenhemd und eine Hose aus gleichem Stoff, seine breiten Füße steckten in einfachen Sandalen. Solche Kleidung trug er sonst nur während dienstfreier Zeit, zuhause in Senalosch. Doch Dwarosch wollte Peraine nicht durch martialisches Auftreten brüskieren. Diese Stunden gehörten ganz allein IHR. Details waren Dwarosch immer wichtig gewesen. Alles musste stimmen.
Für den Oberst war Peraine in erster Linie die Göttin der einfachen Landbevölkerung. Die Früchte der Felder und ihr Gedeihen standen im Mittelpunkt ihrer Anbetung. Erntedankfeste kannte auch er schon aus frühester Jugend aus Nilsitz. Den Aspekt Heilung, sowohl von Verletzten, wie auch Kranken, selbst seelisch Versehrter hatte er erst als Söldner auf Reisen kennengelernt. Er war es schließlich, der ihn mit IHR in Verbindung gebracht hatte und ihn letztendlich nach Storchengarten geführt hatte.
Mit einem kräftigen Klatschen in die Hände richtete Dwarosch das Wort an Gerhalla. „Darf ich euch bitten, Kartoffeln zu schälen und zu kleinen Würfeln zu schneiden? Marbolieb und ich waschen derweil die Pilze und schneiden sie.
Marbolieb zuckte zusammen und legte Dwarosch die Hand auf den Arm. „Das kann ich gerne machen. Gerhalla, wenn Ihr mir zeigen würdet, wo alles liegt, dann schäle und schneide ich.“ Dass die Köche mehr auf ihren Rang und die Hierarchie in der Küche achteten als Soldaten in ihrem Regiment, das hatte sie deutlich mitbekommen. Gemüseputzen war eine Sache der Lehrlinge und einfachen Knechte und Mägde. So war ihr auch nicht das tiefe Atemholen der Köchin auf Dwaroschs Ansinnen entgangen.
Sicher würden die Würfel nicht ganz so regelmäßig gelingen wie bei der Herrin über Küche und Keller Storchengartens, doch sie war im vergangenen Götterlauf oft genug Topaxandrina zur Hand gegangen, so dass sie einigermaßen zuversichtlich war, das Gemüse nicht mit geschnittenen Fingerspitzen zu versetzen. Sie schmunzelte. Diese einfachen Küchendinge hatten etwas ungemein Beruhigendes – sie mochte diese Arbeit, an deren Ende zumeist ein leckeres Mahl stand.

Dank des mäßigenden Einflusses hatte Gerhalla nicht zu einem Donnerwetter angesetzt. Womöglich hatte die Borongeweihte tatsächlich das aufkommende Seufzen der Köchin gehört, vielleicht war es auch einfach Intuition gepaart mit dem Verständnis von Hierarchien in der Küche. Dies war ihr Schlachtfeld und sie würde sich nicht zum Fußsoldaten degradieren lassen, auch wenn sie den Marschallsstab kurzfristig weitergereicht hatte.
Sie schluckte ihren Unmut herunter. „Gerne, Euer Gnaden. Ich lege Euch alles bereit, dann habt Ihr es leichter.“
Sie rauschte mit wogenden Röcken davon und kehrte kurz darauf mit einigen Messern, Kneipchen, zurück. Sie legte sie sorgsam sortiert auf den Tisch und daneben ein großes Brett und daneben schließlich zwei Schalen, eine aus Stahl, eine aus Töpfergut. „Hier liegt nun alles, Euer Gnaden. Soll ich Euch zeigen, was wo liegt und in welche der Schalen Ihr die Kartoffelstücke und in welche die Schalen tun könnt?“ Sie schaute ein wenig skeptisch – was Marbolieb leider oder zum Glück nicht offenbar wurde. Würde eine blinde Borongeweihte die Kartoffeln zu schälen und schneiden können, ohne dass es zu großen Verletzungen kam? Aber immerhin waren sie hier in einem Perainekloster, irgendein Heiler lief hier immer herum und hatte nichts zu tun.
Und so ging es ans Werk. Während die Boroni die Früchte der Erde schälte und sie anschließend in mundgerechte, kleine Stücke verarbeitete, erhitzte Dwarosch Fett in einer großen Pfanne. Er ließ sich Zwiebeln und auch Knoblauch geben, um sie zu schneiden. Dies wurde mitsamt den gesäuberten und ebenfalls zu passenden Stückchen geschnittenen Pilzen angedünstet.
Der Geruch, den dieser Vorgang verursachte, war intensiv und ließ Dwarosch sich an lang zurückliegende Tage seiner Kindheit erinnern. Er erzählte freimütig und fast ein wenig beseelt von großen Feiertagen, wie dem ersten Ingerimm in Senalosch, an die er sich noch erinnern konnte und zu denen er seiner Mutter Calderaxscha beim Kochen zur Hand gegangen war.
Auch Marbolieb hatte Dwarosch selten von seiner Mutter sprechen hören. Von seinem Vater sprach er so gut wie nie, doch wusste die Geweihte, dass die beiden Männer zerstritten waren.
Nachdem die Kartoffeln schließlich gar und die Pilze präpariert waren, wurde Wasser aus dem großen Kochtopf entnommen und die Pilze samt ihrem Sud hinzugefügt.
“Jetzt wird es interessant.” Dwarosch griff nach den kleinen, verschnürten Beutelchen, die als einziges im Weidenkorb übriggeblieben waren. Insgesamt waren es acht, die zum Vorschein kamen und im Anschluss vom Zwergen fingerfertig geöffnet wurden.

„Interessant?“ raunte die Köchin. Sie blinzelte und wagte einen konsterierten Blick in den Topf. „Nach Madalin sagt das Ihre Hochwürden immer, kurz bevor im Labor irgendwas in Flammen oder zu Bruch geht und alle rauchschwarz dastehen!“
Mit aller Ruhe gab Dwarosch Marbolieb und Gerhalla dann jeweils ein paar Krümelchen der mineralischen Gewürze in die Hand und ließ die beiden Frauen riechen und schmecken. Währenddessen erklärte er sehr ausführlich, wo die Mineralien am häufigsten zu finden waren und wie sie gewöhnlich in der Küche der Angroschim Verwendung fanden, aber auch, bei welchen man bei der Dosierung besonders vorsichtig sein musste, was die Verträglichkeit gerade in Hinsicht auf die menschliche Verdauung betraf.

Die blinde Geweihte schnupperte vorsichtig an den Krümeln in ihrer Hand. Topaxandrina, die Haushälterin in Senalosch, der sie fast jeden Tag in der Küche half, hatte die besonderen Gewürze der Angroschim bislang mit eiserner Hand unter Verschluss gehalten. Ihr „Das ist nichts für Dich, Kind“ klang ihr deutlich in den Ohren. Umso neugieriger kostete sie von den kleinen Krümeln in ihrer Handfläche – und sog scharf die Luft ein, als die Gewürze auf ihrer Zunge kribbelten und gleichzeitig scharf, beißend und doch zugleich wie irgendein Pflanzengrün, das sie nicht ganz zuordnen konnte, das sie aber irgendwie an Mumienbalsam erinnerte, schmeckten. Eigenartig. Aber nicht uninteressant. Sie ließ auch die restlichen Krümel in ihrem Mund zergehen, gespannt, ob ihr die fehlende Komponente noch einfiele.
Wer hätte gedacht, dass sich Dwarosch so gut in einer Küche auskannte – geschweige denn, dass er dies gerne unterfing. Es gab wohl noch so eine ganze Menge, dass sie von ihm nicht wusste. Ein kleines, geheimnisvolles Lächeln spielte über ihre schönen Lippen und fing sich in ihren Augenwinkeln, ehe es mit einem Blinzeln wieder verschwunden war.

Neugierig, aber vorsichtig, als könne es sich durchaus um ein magenschädliches Gift handeln, schnupperte die Köchin erst einmal an dem Gewürz, dessen Name irgendwie nach ‚Rompompelpompombosch‘ klang. Ihr Rogolan war eher wenig bis gar nicht ausgeprägt, was man halt so aufschnappt, wenn gebildetere Leute um einen waren. Der Duft war für etwas mina… mino… minelonisches sehr würzig. Minololisch. Auch so’n gelehrtes Wort. Sie wusste, dass meinte besondere Steine aus der Erde. Und Metalle. Sie hatte noch nie mit Steinen und Metallen gewürzt. Gerhalla schmunzelte bei der Vorstellung, wie sie dem Schmied aus Storchengarten einen Stahlbarren entwendete und mit ihrer Küchenreibe Späne abfeilte. Ob das funktionierte? Nein, eine Feile musste her. Ob man Stahl auch zum Würzen nehmen konnte? Wie schmeckte denn bloß Stahl? Sie schaute auf ihr bestes Messer, dessen Klinge gefühlt beinahe unterarmlang war. Ob sie einmal daran lecken… Sie schauderte, was ihrem dachsartigen Gesicht dann doch etwas mopsiges gab. Vielleicht war es gefahrloser einfach zu fragen? Sollte sie sich diese Blöße geben? Aber der Zwerg redete doch sowieso schon die ganze Zeit wie ein Kobold, so hatte sie noch keinen Zwerg reden hören. Auch wenn sie noch nicht viele Zwerge getroffen hatte, geschweige denn mit ihnen gesprochen. Aber geredet hatten die alle nicht. Nicht viel zumindest.

Sie streckte die Zunge so weit heraus, wie es ihr nur möglich war und ließ sie so vorsichtig nach unten züngeln, als könne dieses … Mineral … auf ihrer Hand plötzlich Feuer fangen. Sie zuckte zusammen, als die Zungenspitze nur ein wenig das Gewürz berührte – und erschauderte, als etwas salziges mit metallischem Nachgang und einer sehr harten Note von etwas wie Dill zu schmecken war. Interessant!
„Herr Zwerg, wie schmeckt denn eigentlich Stahl? Kann ich auch damit meine Suppe würzen?“

Achtsam – und deutlich langsamer, als dies je eine Köchin tun würde – zerschnitt Marbolieb die Kräuter. Der Duft der frischen Pflanzen hüllte sie ein und stieg in ihre Nase und brachte die Erinnerung an einen sommerlichen Anger und summende Bienen mit sich. Und die Aussicht auf ein überaus leckeres Mahl. Die Geweihte seufzte zufrieden, stutzte und atmete heftig durch die Nase aus, als die Frage der Köchin erklang. Musste man dieses ausprobieren – und wirklich wissen? Nichtsdestrotz wartete sie nicht uninteressiert auf die Antwort im polternden Bass des Oberst.
Dwarosch war ob der Frage zunächst scheinbar etwas verwundert, dennoch hatte er schnell eine passende Antwort parat. „Das kann ich euch nicht beantworten. Stahl ist eine künstlich hergestellte Legierung und als solche unverträglich für den Körper, selbst für uns Angroschim.
Metalle selbst gehören zu den Mineralen, richtig, aber nur einige wenige, die in der Natur vorkommen, eignen sich für die Verwendung in der Küche.

Als die Vorstellung der Gewürze ihr Ende gefunden hatte, machte sich Dwarosch daran die Suppe abzuschmecken und bezog auch bei diesem Arbeitsschritt die beiden Frauen mit ein. Hinzu kamen nun, zum Ende auch Gartenkräuter wie zerhackte Petersilie, Schnittlauch, Basiliskum, Rosmarin und Thymian.
Mit einem schnellen Klacken fuhr das Messer an den Fingern der blinden Boroni vorbei auf das Hackbrett, schaffte es mehrmals um Haaresbreite, ihre Fingerspitzen zu verfehlen und traf fast immer die Kräuter, die sich damit in mehr oder minder irreguläre Stückchen teilten. Der Duft der Suppe durchzog verheißungsvoll die Küche und versprach ein wundervolles Abendessen.

Die kantige Köchin schaffte Töpfe und Pfannen herbei und Marbolieb bemerkte, dass sie langsam unter all den Erklärungen des zwergischen Oberst, der nun in zivil in einer Küche im Perainekloster stand und kochte, doch ruhig und entspannt die Herrschaft abgegeben hatte. Als die von Dwarosch vorbereiteten Pilze auf dem Brett lagen und Gerhalla dieses nehmen und auf zwergische Anweisung in den Topf entleeren wollte, fragte sie: „Zwerge leben doch in Häusern unter der Erde. Dort wachsen doch keine Kräuter und kein Getreide. Kocht ihr nur mit Pilzen?“
Sie nahm das breite Hackmesser und strich die gewürfelten Pilze in den Topf mit der kochenden Brühe.

Schmunzelnd wog Dwarosch einmal den Kopf hin und her, bevor er zu einer aussführlichen Antwort ansetzte.
„Häuser gibt es in Isnatosch keine. Ich kenne tatsächlich nur einen Ort, an dem Untertage Häuser stehen und das ist die Bergwacht Ârxozim drüben im Kosch. Dort existieren riesige, natürliche Höhlen, in denen Gebäude errichtet wurden.
Unter dem Eisenwald jedoch gibt es nur in das Gestein gehauene Gewölbe und Clanhallen, deren Wände aus schierem Felsen bestehen. Dies ist die übliche Art der Angroschim, ihre Städte zu bauen.
Was die Pilze betrifft, sie gehören zu unseren Grundnahrungsmitteln. In jeder größeren Stadt unserer Rasse existieren Räume, in denen Pilze gezüchtet werden. Ihr würdet euch wundern wie groß sie werden können und wie wichtig dabei das richtige Klima ist - nicht zu feucht, nicht zu trocken, in Koexistenz mit bestimmten Flechten oder nicht, ... .“
Dwarosch hob beide Hände und zuckte gleichzeitig mit den Schultern. „Aber in dieser Hinsicht bin ich auch nur ein Laie. Ich weiß lediglich, wie man sie auf zwei, drei Arten schmackhaft zubereitet.

Kräuter und vor allem Getreide stehen bei uns weniger auf dem Speiseplan, aber Senalosch, das Tor nach Isnatosch, verfügt über einen großen Markt, auf dem auch Vorräte eingekauft werden, um sie durch das Widdertor nach Isnatosch zu bringen. Bedeutender sind aber wie gesagt mineralische Gewürze für uns. Unsere Küche hat sich meines Wissens nach in mehreren tausend Jahren Kulturgeschichte wenig verändert, sieht man von unseren friedfertigen Nachbarn im Kosch ab, die das Essen zum Lebensinhalt erkoren haben.“
Die Köchin nickte bei jeder Erklärung und lauschte wie eine Novizin der Lehrmeisterin, während der Zwerg von seiner Heimat und deren kulinarischen Genüssen erzählte. Und könnte Ivetta sie jetzt sehen, würde die Hochgeweihte lächeln oder sogar ein Lachen unterdrücken.
Die knorrige Königin der Küche nahm demütig und aufmerksam Anweisungen von einem Zwerg an, der auf seinem Hocker stehend den Kochlöffel, das Heiligtum Gerhallas, wie einen Dirigierstab schwang.
Und so arbeiteten die blinde Borongeweihte, der kochende Zwergenoberst und die knorrige Köchin gemeinsam in der Klosterküche an einem gelungenen Abendessen.


Das Abendessen

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Auf Gerhallas Frage erklärte der zwergische Küchenmeister das Abendessen bald für fertig. „Dann rufe ich die Novizen, sie sollen den Speisesaal vorbereiten. Braucht Ihr Brot?“ Sie lächelte. „Wir haben gerade heute Morgen gerade frisches gebacken. Und Rahm haben wir auch noch, würde er ebenfalls dazu passen?“ Sie lugte zu dem gewaltigen Topf, aus dem es herrlich würzig duftete.
Dwarosch lächelte, er schien zufrieden. „Ja, das wäre eine gute Ergänzung.“

Gerhalla hatte einer über den Hof eilenden Magd gewunken und diese hatte auf die kurze, aber einprägsame Anweisung der Köchin drei weitere Knechte mitgebracht. Die schlanke, hochgewachsene Utsinde mit dem kurzen weizenblonden Haar und den grünen Augen. Markwart, klein und breitschultrig, dessen Haar schon schütter wurde. Und die Zwillinge Hildrun und Wildrun, nicht einmal fünfzehn Jahre alt, braunhaarig und braunäugig, neugierig, aufgeweckt, aber Hildrun war feurig und hitzköpfig und Wildrun ruhig und zurückhaltend.

„Ihr vier seid heute mit Tischdienst dran?“ Alle vier nickten. „Bereitet alles so vor, wie Meister Dwarosch es braucht. Wir wollen bald zu Abend essen. Als sputet euch.“ Sie lächelte und wandte sich an den Angroscho. „Sie sind ganz die Euren.“
Das Lächeln des Zwergen wurde breiter. Er klatschte einmal und rieb dann die Handflächen in einem Akt der Vorfreude aneinander. „Ich benötige in der Mitte des Tisches Platz für den großen Topf hier.“
Dwarosch deutete auf die reichhaltige Pilzsuppe, die inzwischen nur noch vor sich hin köchelte, um noch etwas zu reduzieren. Das würde sie dickflüssiger machen.
„Dazu stellt bitte tiefe Teller und Löffel auf den Tisch“, fuhr er fort. „Eine Schöpfkelle habe ich ja schon. Das Brot stellt bitte in zwei Körben auf den Tisch, lasst die Laiber aber ganz.“ Nach diesen Worten hielt der Zwerg inne, als überlege er, ob er etwas vergessen hatte.
„Räblein“, fragte er schließlich, „fällt dir noch etwas ein?“

Marbolieb schloss die Augen und schnupperte. Angesichts des herrlichen Duftes, der sich in der Küche ausbreitete, lief ihr das Wasser im Munde zusammen.
"Butter für das Brot?" fragte sie. Zuhause in Senalosch reichte Topaxandrina meist Schmalz oder Butter, wenn zu einer Suppe Brot auf den Tisch kam.
"Es riecht verheißungsvoll." Schüchtern lächelte sie in die Richtung, aus der der tiefe Bass des Oberst klang. "Ich wusste nicht, dass Du so gut kochen kannst."
„Schmalz“, beschied Dwarosch energisch in Richtung der Gehilfen. „Wir benötigen Schmalz für das Brot, wenn ihr welches habt. Das passt zur Suppe.“
Hildrun und Wildrun schossen davon, um das Gewünschte zu holen.

An Marbolieb gewandt zuckte der Zwerg mit den Schultern. „Können ist viel gesagt, Räblein. Ich bin nicht als Söldner geboren und bin immerhin 35 Jahre alt gewesen, als ich die Clanhallen meiner Sippe verlassen habe, um in die weite Welt hinauszuziehen. Ich habe als Kind meiner Mutter dann und wann dabei geholfen, die gemeinsame Mahlzeit, zumeist das Abendessen, vorzubereiten. Das heißt, wenn sie mich dazu verdonnert hat, weil ich mal wieder etwas ausgefressen habe. Meine Brüder sind schon früh in den Werkstätten gewesen, um dort ein Handwerk zu erlernen. Bei mir war man zumeist froh, wenn ich nichts kaputt gemacht habe.“ Dwarosch lachte. „Ich war wohl kein einfaches Kind.“
Die Geweihte lächelte versonnen. "Dann habe ich diesen das wundervolle Mahl zu verdanken. Deine Mutter muss eine wunderbare Köchin sein. Und Du verstehst in einem Handwerk Schönes zu schaffen. Leckeres."
Ihr lief bei der Aussicht auf das Mahl bereits das Wasser im Munde zusammen. Es würde ganz sicher mehr als halb so gut schmecken, wie es bereits jetzt roch. Gedankenverloren befeuchtete sie ihre Lippen und schloss einen Herzschlag lang die Augen.

Zufrieden standen die Köchin und der Oberst mit verschränkten Armen vor den wuchtigen Tafeln mit den zahlreichen Tellern und den Brotlaiben, Schmalz- und Rahmtöpfen. „Herr Dwarosch, soll ich die Glocke zum Essen läutern?“ fragte Gerhalla lächelnd und freudig grinsend nickte Dwarosch.

Donnernd dröhnte der Glockenklang über das Kloster und die umliegenden Weiden, sodass ein jeder Klosterbewohner, sofern ihn oder sie gerade nicht wichtige Pflichten abhielten, das Zeichen zum Abendessen hörte.

Nicht lang darauf saßen alle Störchlein versammelt an den Tafeln, fein säuberlich nach Rang und Funktion sortiert. Die Hohepriesterin und Äbtissin Ivetta von Leihenhof saß am Kopfende einer der beiden Tafeln, zu ihrer rechten Seite die beiden Ehrengäste Dwarosch und Marbolieb, zu ihrer linken Seite ihr Prior und Stellvertreter Gundeland von Hornisberg, wie sie ein magisch begabter und ausgebildeter Priester der gütigen Göttin. Ein kaum wahrnehmbares Raunen glitt durch den Raum, sahen doch viele der Geweihten, Akoluthen, Novizen, Knechte und Mägde den Zwerg und die Borongeweihte zum ersten Mal.
Ivetta klingelte mit einer Handglocke und sorgte für Stille. „Meine lieben Kinder, Peraine ist auch wieder heute mir uns nach diesem harten, aber lohnenden Tagwerk.“ Sie lächelte. „Doch heute wird nicht einer von uns das Abendgebet sprechen, sondern unser geschätzter Gast Oberst Dwarosch groscho Dwalin. Er war es, dem wir für dieses herrlich duftende Abendessen danken. Aber … ich rede zu viel … ich übergebe das Wort nun an unseren Gast.“ Und sie reichte die Glocke weiter.

Der bullige Zwerg, dem nun das Wort erteilt worden war, blickte durch den Saal und erfasste jeden Anwesenden mit Augen, die weit mehr als ein Jahrhundert gesehen hatten.
Unter den Versammelten waren seine Gnaden Meinhard von Kropfenhold, die Medica Elfgyva Selbling und die Wundärztin Dhana Ungelter, wobei Dwarosch verstanden hatte, dass letztere beide den Therbûnitern angehörten. An die Namen der anderen, angesehene Persönlichkeiten des Klosters, konnte sich der Sohn des Dwalins nicht entsinnen. Die Vorstellung war zu kurz gewesen und Menschennamen waren nach seiner Auffassung auch viel weniger prägnant, als die Namen der Völker der Angroschim.
Aber nicht nur die Leitung des Heiligtums waren zugegen, sondern auch viele andere einfache Bewohner, wie Akoluthen, Novizen und einfache Knechte und Mägde. Letztere saßen an einem gesonderten Tisch.

Erst nachdem er die Stimmung im Saal auf diese Weise in sich aufgenommen hatte, räusperte sich Dwarosch, um zu sprechen anzusetzen.
"Viele von euch werden sich sicher wundern, warum ein Angroscho, warum gerade ich es bin - ein Mann des Waffenhandwerkes, der heute vor euch steht, um zu euch zu sprechen, um das Essen unter euch zu verteilen und mit euch zu speisen? Ihr fragt euch was mich nach Storchengarten führt?" Ein Lächeln umspielte die Lippen des Oberst bei diesen Worten.
"Nun, die vordergründige Antwort ist denkbar einfach. Während des vergangenen Feldzuges nach Mendena verlor ich im Kampf gegen einen Dämon meine Schildhand."
Dwarosch streckte seine vollkommen intakte linke Hand aus und spreizte die Finger, nur um sie daraufhin wieder zu einer Faust zu ballen und sinken zu lassen.
"Eure Ordensmeisterin war es", Dwarosch sah kurz in Ivettas Richtung, "die sie durch ein wahrlich großes Wunder ihrer, eurer Göttin rettete." Tiefe Dankbarkeit zeigte sich auf den Zügen des Zwergen, während er eine kurze Redepause einlegte.

"Mein Besuch bei euch schließt einen großen Kreis. Eure Göttin schenkte mir die körperliche Unversehrtheit und gab mir dadurch Hoffnung. Ich überstand den Heerzug und kehrte als Oberst in die Heimat zurück. Ohne das Wirken eurer Göttin wären die Dinge- wäre mein Leben aller Wahrscheinlichkeit anders verlaufen.
Voller Demut seht ihr mich vor euch stehen.
PERaine segnet die Saat und sorgt für eine gute, eine ertragreiche Ernte. Ein Bauer muss vorausplanen und mit seiner Arbeit über das ganze Jahr die Voraussetzungen dafür schaffen den Erlös seiner Bemühungen einholen zu dürfen. Dafür braucht es Weitsicht, Beharrlichkeit, Geduld - allesamt Tugenden, die mir in jungen Jahren fehlten.” Dwarosch schmunzelte und war versucht sich für einen Moment Gedanken an seine ‘wilde Zeit’ hinzugeben, doch er riss sich zusammen und fuhr fort.

“PERaine schenkte mir nicht nur die Heilung meiner Hand. Nein, sie schenkte mir durch IHR eingreifen auch so etwas wie Einsicht. Einsicht, dass es in meinem zukünftigen Leben, meiner jetzigen Berufung auf Dinge ankommt, die sich erst viel später ‘auszahlen’.
Dies ist IHR zweites Geschenk an mich gewesen und ich habe es dankbar angenommen.
Und so wie der Bauer seine Ernte einfährt, werde ich die Ergebnisse meiner beharrlichen Pläne ernten, werde Ziele erreichen, deren Grundlage ich weit in der Vergangenheit gelegt und deren Erlangen ich geduldig verfolgt habe - zur Sicherung des Friedens unserer Heimat.
Doch wollte ich IHR auch etwas zurückgeben, etwas das unmittelbarer den Menschen und den Angroschim dient. Dank IHRER Hilfe und dem Rang des Oberst”, und nicht zuletzt dem Wohlwollen des Rogmarog - des Ehrenoberst, der Dwarosch weithin freie Hand ließ in der Ausübung seines Amtes, “ist es möglich, das neu geschaffene Banner der Gebirgsjäger im Winter in Nilsitz und anderen Regionen des Isenhag dazu einzusetzen, abgeschiedene Dörfer zu versorgen oder gar deren Bewohnen in Sicherheit zu bringen, sollten sie abgeschnitten sein durch Eis und Schnee.
Wir können nicht alle Ortschaften erreichen”, beeilte sich Dwarosch einzuschränken, “doch stehen uns Wege zur Verfügung, die anderen nicht offenstehen.” Dem Rogmarog gegenüber waren solche Einsätze schlicht ‘Wehrübungen’, was im Grunde nur eine großzügige Umschreibung war.

“Ich habe zudem die Zusage des Priesters des Kor, dass die Kasernen des neuen Tempels von Senalosch im Winter als Notquartiere genutzt werden können, für Menschen der Region, die vor der Witterung Schutz suchen müssen.” Das in der kalten Jahreszeit nur wenige Söldner in Senalosch kamen und gingen beziehungsweise überwinterten kam diesem Ansinnen entgegen.
Dwarosch hatte lange mit Marbolieb über seine Pläne gesprochen und die Geweihte hatte zurecht angemerkt, dass die Dinge, die er plante, sehr wohl der Allgemeinheit dienten und somit in PERaines Sinne waren, die Göttin aber auch persönlichen Einsatz einfordere und dass damit kein einmaliges Engagement gemeint war, sondern etwas von Dauer.

Lange hatte der Oberst überlegt was er tun könne und hatte sich dabei eingehender mit der Kirche der Hüterin des Lebens und ihren Laienorden beschäftigt, bis er zu einem Entschluss gekommen war.
“Doch dies sind Dinge, die kaum imstande sind, meine Dankbarkeit auszudrücken.” Dwarosch blickte kurz zu Marbolieb, die neben ihm auf ihrem Stuhl saß und ergriff ihre Hand.
“Ich werden nach Tobrien gehen, um dort wo ich IHR Wunder empfing etwas für die Menschen zu tun, die nirgendwo anders so sehr gelitten haben. Ich selbst war als Befehlshaber an den Kämpfen, wie dem Sturm auf Mendena beteiligt.
Ich führe schon seit längerer Zeit Korrespondenz mit einem Prälaten des Ordens der drei guten Schwestern und weiß daher, dass einige Meilen flussaufwärts von Mendena ein Ordenshaus gebaut wird. Dort werde ich mithelfen, es zu errichten und dabei lernen, IHR Wesen besser zu verstehen, um ihr auch in Senalosch, meiner Heimat einen Ort zu schaffen, der SIE ehrt. Und ich hoffe dabei auf Rat eurer Herrin Oberin."

Dwarosch sah lächelnd zu Ivetta und nickte ihr kaum merklich zu.

Marbolieb lächelte bei diesen Worten still vor sich hin und drückte die Hand des Oberst. Er würde nicht alleine gehen - und nicht alleine Peraine Dank sagen für ihre Gnade, die sie doch ebenso genießen durfte. Doch dies hier heute war sein Abend - und seine Gelegenheit, Dank zu sagen, an ihre Hochwürden, aber auch an alle die vielen Helfer, die dieses Kloster erst ermöglichten und zu dem machten, was es war.
Eine Pilgerfahrt nach Mendena würde ein Abenteuer werden - und sie beide zu anderen Wesen machten, als aufgebrochen waren, so wie es eine gute Pilgerreise tun sollte.
Das versonnene Lächeln der Boroni erhielt eine entschieden geheimnisvolle Note, die sich über ihre Lippen zog, die zusammen mit der Spitze ihres Näschens das Einzige waren, was unter ihrer Kapuze hervorragte.

Die Hochgeweihte dieses Tempels war sichtlich gerührt ob dieser Geschichte. Es waren schlimme Zeiten gewesen, damals, der Feldzug in die Schwarzen Lande. Sie hatte mit ihren Feldschern, Heilerin und Therbuniten viele Schrecken erlebt, viele Leben gerettet und noch mehr verloren. Umso mehr erfreute sie, dass ein Angroscho, ein Zwerg, sich der gütigen Mutter so dankbar zeigte. Sie erhob sich von ihrem Stuhl, lächelte Dwarosch herzlich zu. Ihr Schleier auf dem Schapel wehte bei der Bewegung als sei es offenes Haar. Das Holz des Stuhles kratzte über dem Boden. „Meine lieben Kinder. Ich kann und möchte nicht die das Herz rührende Schilderung unseres Gastes – und Freundes – durch unnötige Worte zerstören. Daher möchte ich gemeinsam mit euch allen die so liebevoll bereiteten Speisen im Namen Peraines segnen.“
Sie breitete die Arme aus, als wolle sie alle am Tisch Anwesenden in diese Umarmung einschließen. „Herrin Travia, Schwester meiner Herrin Peraine, segne diese Speise, auf dass sie ihren Zweck erfüllt, uns nährt und unseren Hunger stillt.“ Der würzige Duft der Suppe drang in alle Nasen ein, erfrischte die Gesellschaft, weckte Erinnerungen an Großmütter und Mütter und Großväter und Väter, die gutes Brot gebacken hatten, saftige Kuchen oder süße Plätzchen. Es war heimelig, gemütlich. Ivetta lächelte und setzte sich wieder zurück auf ihren Stuhl.

Nach dem erteilten Speisesegen, ergriff nun wieder der Oberst das Wort.
“Ich habe euch heute eine reichhaltige Suppe bereitet, wie sie für meine Rasse typisch ist. Die Pilze kommen aus den unterirdischen Gärten Isnaloschs.
Die Gewürze mögen für euren Geschmack etwas fremdartig sein, denn sie sich fast allesamt mineralisch. Keine Sorge, ich bin behutsam mit ihnen umgegangen, denn ich weiß, dass sie nicht jeder verträgt. Dazu gibt es frisches Brot und Schmalz.
Für die Hilfe bei der Zubereitung möchte ich mich ganz herzlich bedanken, besonders bei der Küchenmeisterin.” Dwarosch nickte Gerhalla lächelnd zu.

“Die Zeit der Einkehr bei euch habe ich genossen und würde mich glücklich schätzen, wenn ich im kommenden Jahr wiederkommen dürfte.
Nun aber reicht mir eure Teller. Ich bin hungrig und ich hoffe ihr seid es auch.

Übrigens, ich bin Dwarosch. Lasst es uns dabei bewenden.”

-- Main.IseWeine - 26 Sep 2020