Abschied auf Raten

Abschied auf Raten – ein Gespräch unter Geschwistern

Setting

Personen

Hintergrund

Drei der Weissenquellgeschwister (Gudekar, Gwenn und Mika) treffen sich zu einem Picknick und besprechen ihre Pläne.

Ein Picknick

Es war ein warmer Sommertag. In der Nacht hatte es ein wenig geregnet, doch nun ließ Praios sein strahlendes Antlitz wieder auf die Landschaft scheinen und hatte die Wiese getrocknet. In einiger Entfernung versuchten Flussfischer einen guten Fang zu machen. Waschfrauen hatten an einer seichten Uferstelle weiße Tücher zum trocknen ausgebreitet, während die Kinder nebenan Fangen spielten oder Enten über die Wiese scheuchten.

Etwas abseits, an einem seichten Hügelhang saßen drei Menschen, zwei junge Frauen und ein Mann, der unschwer als Magier zu erkennen war, auf einer Decke. Sie aßen ein Picknick. Gudekar von Weissenquell, ein Anconiter aus dem Albenhuser Kloster hatte ein Laib Brot und verschiedene Früchte mitgebracht, seine jüngste  Schwester ein Stück Räuchschinken von einem Steinbock, den sie auf Ihrer Reise nach Ishna Mur selbst geschossen hatte. Und schließlich war da noch Gwenn, die Haushofmeisterin der Albenhuser Gräfin. Sie war gerade dabei, eine Flasche Wein zu öffnen, die sie auf dem Weg bei einem Krämer gekauft hatte.

„Wie habe ich das vermisst, hier mit euch zu sitzen!“ bemerkte die junge Jägerin.

„Ja, hier scheint die Welt noch in Ordnung zu sein.“ Der Anconiter wirkte nachdenklich, bedrückt. „Ach, wenn es doch immer so friedlich sein könnte.“ Er brach sich ein Stück Brot ab und kaute darauf, dann spülte er das Brot mit einem Schluck Wein hinunter. “So, Schwesterherz, Vater hat dich nun also nach Rosenhain an einen Lakaien des Mersingers verschachert?” stichelte er gegen Gwenn mit einem Grinsen.

“Ja, Meister Gudekar, es waren harte Verhandlungen”, frotzelte sie zurück. Dann blickte sie jedoch ernst. “Nein, wirklich, der Herr Herrenfels ist ein sehr galanter Mann. Ich glaube, ich hätte es schlimmer treffen können.”

“Nun ja, das kann ich nicht beurteilen, ich kenne lediglich seinen Herren. Aber du gibst viel auf für eine ungewisse Zukunft. Ich denke, du solltest lieber warten, bis du einen Mann triffst, der dein Herz berührt.” Gudekar hatte ernste Bedenken, was diese Beziehung anbelangte.

“Das sagt der Mann, der sich gleich an die erste Frau gebunden hat, die ihm hübsche Augen gemacht hat!” Grinsend piekste Gwenn Gudekar in die Seite, sodass er vor Schreck fast seinen Wein verschüttete.

“Wer sagt denn, dass Merle die erste war, die mir schöne Augen gemacht hat?” Gudekar schaute empört.

“Ich denke schon, aber selbst wenn, du hättest es doch eh nicht bemerkt, wenn die Mädchen dich umschwärmt hätten.”

“Und das sagt die, die mit 27 Götterläufen noch unverheiratet ist”, spielte Gudekar den Ball zurück.

“Nur weil ich noch keinen Gemahl habe”, warf Gwenn ein, “heißt das doch nicht, dass ich bisher nicht die Aufmerksamkeit der Männer genossen habe. Am Hofe gab es da durchaus die eine oder andere Gelegenheit.”

“Wenn das Vater wüsste! Und warum nun ausgerechnet dieser Herrenfels?” wollte Gudekar wissen.

“Ach, das verstehst du eh nicht, das ist Politik. Aber er ist auch wirklich keine schlechte Partie. Und auch als Mann hat er durchaus seine Qualitäten.” Gwenn wurde rot.

Mika beobachtete derweil grinsend das Wortgefecht ihrer beiden älteren Geschwister, wusste sie doch, dass beide ihre Geheimnisse hatten.

Eine Weile saßen die drei still nebeneinander und genossen das Picknick, bevor Gwenn wieder das Wort ergriff. “Sag, Gudekar. hat Vater heute schon mit dir gesprochen?”

“Ja, er war heute bereits ganz früh zum Kloster geritten. Er möchte also, dass ich dich nach Rosenhain begleite, um auf deine Ehre zu achten, ja?”

“Als ob du der richtige dafür wärst…” lachte Gwenn. “Aber vielleicht denkt er ja, du weißt, worauf du achten müsstest. Nein, aber im Ernst. Ich werde zur Krönungsfeier der Gräfin nach Elenvina reisen, und da solltest du auch hin, nachdem, wie du an den Ermittlungen mit der Vögtin Witta zusammen agiert hast. Anschließend werde ich mit dem Herrn Herrenfels nach Rosenhain weiterreisen, um mein zukünftiges Zuhause kennenzulernen und dort einige Dinge zu regeln. Vater denkt, es wäre gut, es würde noch jemand aus der Familie mitreisen, um für meine Sicherheit zu sorgen und zu schauen, dass alles mit rechten Dingen abläuft. Als ob ich das nicht selber könnte. Aber es würde mich freuen, wenn du mich auf der Reise begleitest, wenn es deine Verpflichtungen zulassen.”

“Das würde ich sehr gerne, und nach Elenvina zu der Feier werde ich es auch tun. Doch im Anschluss muss ich in einer dringenden und geheimen Angelegenheit ins Liebliche Feld reisen. Und es wäre gut, wenn ihr mit niemandem darüber sprecht.” Gudekar wandte sich nun an die jüngere Schwester. “Hörst du, Mika, erzähle niemandem in der Familie davon, und schon gar nicht Vater! Du kannst doch ein Geheimnis für dich bewahren?”

Mika schaute entrüstet. “Aber selbstverständlich! Dein Geheimnis ist bei mir sicher!”

“Moment”, warf Gwenn ein. “Heißt das, du hast Vater zugesagt, mich zu begleiten, obwohl du etwas ganz anderes vor hast?”

“Nun”, überlegte Gudekar, “vielleicht ist es ja eine halbe Lüge, denn ich begleite dich ja bis Elenvina. Und wenn Vater fragt, kannst du ihm ja sagen, dort hätte ich einen wichtigen Auftrag erhalten, dem ich umgehend folgen musste.”

“Deine Lügen kannst du Vater selber auftischen. Verlange das nicht auch noch von mir!” Gwenn war äußerst entrüstet.

Gudekar sah dies ein und es tat ihm leid, Gwenn mit in die Geschichte hineinziehen gewollt zu haben. So wendete er seinen Blick von ihr ab und schaute schweigend in Richtung des Flusses.

Nach einer Weile wandte sich der Anconiter seiner jüngsten Schwester zu und fragte sie neugierig: ”Erzähl, Mika, wie war es in Ishna Mur? Du bist länger geblieben als geplant. War es so schön dort?”

“Oh ja!” schwärmte die junge Frau. “Es war unglaublich. Ich habe so viel gelernt. Und stell dir vor: auf der Feier habe ich eine neue Freundin kennengelernt. Sie heißt Imelda.” Keck schaute Mika ihren Bruder an, der mit großen, erschrocken-überraschten Augen zurückblickte.

“Eine neue Freundin? Namens Imelda? Aha”, stammelte er.

Gwenn durchschaute das Mienenspiel ihrer Geschwister. Dazu kannte sie die beiden zu gut. “Sag, Gudekar, kennst du diese Imelda?”

“Er schüttelte schnell den Kopf. “Sicherlich nicht. Es gibt wahrscheinlich Dutzende Imeldas in den Nordmarken.”

“Da hat Imelda aber etwas anderes erzählt!” warf Mika mit einem schelmischen Lächeln ein. “Sie meinte, ihr habt euch in Schweinsfold getroffen.”

Gudekar lief rot an. “Ach, diese Imelda. Ja, lass mich überlegen. Imelda von… von Ha…”, tat er so, als erinnerte er sich nicht mehr.

“Von Hadingen”, ergänzte Mika schnell.

“Ja, richtig. Ich lernte sie kennen, nachdem ich ihren Bruder von einer schweren Verletzung geheilt hatte. Wir kamen dann irgendwie ins Gespräch.”

“Und getanzt habt ihr auch, hat Imelda erzählt”, warf Mika ein.

Nun wurde Gwenn hellhörig. “Das ist aber eine andere Dame, als…”, setzte sie zu einer Frage an.

“Pscht!” machte Gudekar und deutete mit einem Blick an, vor Mika nichts weiter zu sagen.

“Gudekar, Mika weiß Bescheid über Tsalinde. Du weißt doch, vor uns kannst du keine Geheimnisse haben.” Gwenn musste lachen und Mika stimmte in das Lachen mit ein, nur Gudekar war nicht nach lachen zumute. Nachdenklich schaute er zu Boden und fing an, Grashalme auszureißen.  Gwenn beobachtete ihn dabei eine ganze Weile, bevor sie weitersprach. “Gudekar, was ist los? Du bist so verändert seit einiger Zeit. Hat dies mit deiner Mission zu tun? Oder empfindest du doch etwas für Tsalinde? Du wendest dich immer mehr von Merle ab, selbst jetzt, wo euer Mädchen da ist. Und auch der Familie weichst du aus, wann immer es geht. Mika und ich können ja schon fast dankbar sein, dass du uns hier beim Picknick Gesellschaft leistest. Irgendetwas stimmt doch nicht. Und sag mir nicht, es ist nur wegen dem, was mit Reto geschehen ist!”

„Ich werde Albenhus verlassen“, war die überraschende Antwort des Magiers.

„Ja, ich weiß, du wirst mich nächste Woche nach Elenvina begleiten!“ erwiderte Gwenn, um mehr aus ihm herauszulocken.

„Nein, ich meine, ich werde das Kloster für immer verlassen. Nicht sofort, nicht nach Elenvina. Und wahrscheinlich auch nicht nächstes Jahr. Aber sobald meine Pflicht bei den Anconitern abgegolten ist, werde ich von dannen ziehen.“

Gwenn musterte ihren Bruder ernst. „Ich dachte mir schon, dass du so etwas meinst. Was hast du vor?“

“Ich weiß es noch nicht. Ich will einfach nur weg von hier. Weit weg. Weg vom Lützeltal, weg vom Kloster.” Er machte eine kurze Pause. “Weg von Merle.”

“Dann ist es doch wegen dieser Tsalinde? Liebst du sie?” fragte Gwenn nach.

“Quatsch!” schaltete sich jetzt Mika ein. “Doch nicht die!”

Erschrocken blickte Gwenn zu ihrer Schwester. Auch Gudekar verschlug es die Sprache. Was wusste Mika? Und woher?

“Ach Gudi”, seufzte Mika, als sie Blicke auf sich gerichtet sah. “Imelda hat mir von der Knappin erzählt. Aber keine Sorge, dein Geheimnis ist bei mir sicher!”

Gudekar spürte Gwenns fragenden Blick. Es bedurfte keiner Worte, um die Fragen zu verstehen, die in seiner Schwester aufkeimten. Deshalb begann er von sich, zu erzählen. “Ja, sie heißt Meta Croy und ist Knappin beim Edlen vom Traurigenstein. Aber keine falsche Gedanken, sie ist bereits im Alter einer Frau.” Er versuchte zu lachen. “Man könnte sagen, sie ist eine Langzeitknappin.”

“Und wie ernst ist es dir?” interessierte Gwenn.

“Sehr ernst. Sie ist…”, er machte eine Pause, dann schaute er Gwenn in die Augen.. “Sie ist die Liebe meines Lebens!”

Gwenn nickte nur mit dem Kopf. Dann schüttelte sie den Kopf. Ihr gingen unzählige Fragen durch den Kopf. Wie lange ging dieses Verhältnis schon? Was würde mit Merle sein? Wie hat sich Gudekar das ganze gedacht? Wusste diese Knappin, dass er durch einen Traviabund auf ewig an Merle gebunden war? Was würde Gudekar tun, wenn sie ihn irgendwann verließ, weil sie ihn nicht ganz für sich haben konnte? Wie würden Vater und Kalman damit umgehen? Die Familie war schon fast an seinem Ausrutscher mit Tsalinde zerbrochen - was würde geschehen, wenn nun auch noch das zweite Verhältnis herauskam, das ihm noch dazu angeblich ernst war? War vielleicht auch diese junge Dame schwanger? Würde er sie vielleicht genauso behandeln wie diese Tsalinde, wenn auch sie ein Kind von ihm erwartete?

Die Hofdame schaute den Magier lange an. In seinem Blick lag eine Trauer und Sehnsucht, die eine deutliche Sprache sprachen. Es schien ihm wirklich ernst zu sein. Nun verstand sie. Sie verstand, warum sich Gudekar in letzter Zeit so verhalten hat, wie er sich verhielt. Wieso er sich dermaßen verändert hatte. Wieso er weg wollte. Sie liebte ihren Bruder. Sie liebte die ganze Familie, einschließlich Merle. Aber zu Gudekar und Mika hatte sie ein besonderes Verhältnis. Egal, wie er sich entschied, sie würde zu ihm stehen, solange das, was er tat, ganz nach seinem Herzen war.  “Du musst mir alles von dir und dieser Meta erzählen. Aber erst auf unserer Reise, wenn wir ungestört sind.”

“Hey, und was ist mit mir?” beschwerte sich Mika.

“Mika”, sprach Gwenn ihre Schwester ernst an. “Es ist ganz wichtig, dass du all dies für dich behältst. Kein Wort zu Vater, oder zu Kalman. Auch Ciala darfst du nichts erzählen.”

Gudakar lächelte seine Schwester sanft an. “Kleines, auch du wirst Meta früher oder später kennenlernen, keine Sorge. Ich werde dir alles erzählen. Falls es dir nicht deine Freundin schon erzählt hat. Aber nicht heute. Bitte!”

“Na klar”, Mika streckte ihre rechte Hand aus. “Wir sind doch die Weissenquells, wir halten zusammen! Wir helfen uns, wie einst Mada dem Jost geholfen hat!”

Gwenn schlug ein und legte ihre Hand auf Mikas. “Wir sind die Weissenquells.”

Gudekar musste schmunzeln und folgte auch ihrem alten Ritual, dass sie schon als Kinder pflegten, wenn sie zusammen etwas angestellt hatten. “Wir sind die Weissenquells! Ich danke euch!”

Als sie ihre Hände wieder auseinander zogen, bemerkte Mika forsch: “Dann sind wir ja bald alle weg!” Nun trafen sie die fragenden Blicke ihrer Geschwister. “Nun ja”, stotterte sie, “hoffe ich zumindest. Ich möche Firunnovizin werden und Vater will seine Gnaden Firumar fragen, ob er mich aufnimmt.”