Trauer Auf Dem Richtwald
Trauer auf dem Richtwald
Eigentlich war es ein schöner Morgen gewesen, dachte sich Vea. Gewesen, denn die Nachricht des Boten, der sich erst einmal ausruhen musste, hatte dies drastisch geändert. Eigentlich hatte er ihre geliebten Gatten benachrichtigen wollen, aber dieser war in weiter Ferne auf dem Weg nach Mantrash’Mor. Also war es an ihr gewesen die Nachricht aus dem firunwärts gelegenen Junkergut der Richtwalds in Empfang zu nehmen. Erschöpft und hungrig hatte der Bote sich nicht davon abhalten lassen erst seine Nachricht vorzubringen, bevor er irgendetwas anderes tat. Denn Wohlgeboren Firunhard, wie er sagte, habe sich unvermittelt mit schmerzverzerrten Gesicht an die Brust gegriffen und war zusammengebrochen. Schlimmer noch, auch wenn er nun gepflegt wurde stand es scheinbar nicht gut um ihn.
Es war ein schöner Morgen gewesen, jetzt aber bereitete er ihr nur Sorge um ihren Schwiegervater. Ihre Base Oda, die ihr einer Leibwächterin gleich nur selten von der Seite wich, war sofort losgeeilt – um Pferde satteln zu lassen, um die heilkundige Hofmaga aufzutreiben und um nach der Peraine-Geweihten in Fußterpurg schicken zu lassen. Vea hingegen war in ihre Gemächer geeilt und hatte sich umgezogen. Hatte ihr schlichtes und doch elegantes Kleid gegen robuste Reitkleidung eingetauscht. Dieser Morgen war schön gewesen, nun bedrückte die Sorge um Firunhard ihr Herz. Die Sorge dass der alte Ritter im Bett sterben könnte genauso wie die Angst ihrem Mann die traurige Kunde überbringen zu müssen.
Gemeinsam mit einer kleinen Bedeckung ritten die drei so ungleichen Frauen eilig davon. Die erfahrene Ritterin Oda, die besorgte Baronin und Schwiegertochter Vea und die hoffentlich rechtzeitig eintreffende Hilfe Shafiria. Weder sich selbst, noch die Pferde schonend ritten sie mit nur wenigen Pausen. Anfangs gen Rahja, an der Tommel entlang bis sie das beschauliche Weihern erreichten und dort, gen Firun, in den Gellerstock einlenken konnten. Hier waren sie langsamer vorangekommen, sodass es bereits anfing zu dämmern als sie Lichterfeld passierten um schließlich im Dunkeln in Neu-Foerttingen ankamen. Auf Baldurswehr waren sie erschöpft eingekehrt. Paraylla Stachelbeer die Peraine-Dienerin war nur kurz vor ihnen angekommen und hatte zu Veas großer Überraschung auch gleich ihre Schwägerin mitgebracht. Aurea von Richtwald war als Dienstritterin am vairninger Hof und wie es Vea nun schien an diesem Praioslauf in Fußterpurg gewesen. Nur schwer konnte sie ihr verwehren das sie an die Seite ihres kranken Vaters eilen wollte. Hatte sie doch die gleiche Sorge ins Heim ihres Vetters Dragowin getrieben.
Am nächsten Morgen hatte die Motivation einen weiteren Praioslauf im Sattel zu verbringen deutlich gelitten, Wunsch und Wille noch rechtzeitig anzukommen überwogen jedoch. Dennoch kamen sie an diesem Tag langsamer voran. Um schneller an ihr Ziel zu gelangen mussten sie den Karrenweg nach Schnakensee verlassen und sich auf den schmaleren Pfaden von Praios aus dem Gut nähern. Versetzt ritten sie so schnell es ging und dennoch kamen sie erst am Abend in Waidwacht an. In der Nacht schlief Vea schlecht, zu sehr sorgte sie sich. Würden sie es noch rechtzeitig schaffen oder waren sie bereits zu spät? Zwei Praiosläufe hatten sie bereits im Satten verbracht, zwei Praiosläufe die ihr Schwiegervater womöglich eines erfahrenen Medicus bedurfte und dabei durfte sie nicht vergessen das der Bote erst den Weg bis zu ihr hatte zurücklegen müssen. Das bedeutete vier wenn nicht gar fünf Tage bis jetzt und einen weiteren halben Tag würden sie noch brauchen um auf dem Richtwald anzukommen. Was sollte sie nur Basin sagen, wenn sie es nicht schaffen würde – fragte sie sich immer wieder. Er würde ihr sicherlich keine Schuld geben, dennoch würde er sehr über dem Verlust des geliebten Vaters trauern und sie wäre es, die sich selbst Vorwürfe machen würde.
Als die Frauen und ihre Bedeckung endlich Goldeich und den darüber wachenden Richtwald erblickten war die allgemeine Stimmung abgespannt bedrückt. Waren sie Rechtzeitig eingetroffen? Hatten sie das Rennen gegen die Zeit gewonnen? Und wenn es ein Rennen gewesen ist, war es denn überhaupt fair gewesen? Hatten sie überhaupt eine Chance gehabt? Feucht schwül hing eine niedrige Wolkendecke über dem Wehrbau, drohte sich jeden Augenblick abzuregnen und seinen Wassermassen freien Lauf zu lassen. Den ganzen Weg über war ihnen keine Menschenseele begegnet, erst als sie sich der kleinen Veste näherten war es die Wache die sie mit trauriger Miene einließ. War es die Trauer um den Erkrankten oder betrauerte er bereits dessen Gang über das Nimmermeer? Vea wusste es nicht und es bereitete ihr große Sorgen, schnürte ihr die Brust zu und ließ die sonst so lebensfrohe Frau entmutigt zurück. Als sie im Karree der Häuser abstieg öffnete sich die Tür zum Herrenhaus und Aurea, sie die Nacht durchgeritten war, kam müde und traurig heraus. Es bedurfte keiner Worte, denn alles am Auftreten ihrer Schwägerin beantwortete ebenso wortlos war ihr Verstand sich weigerte zu akzeptieren. Boron konnte grausam sein. Der Tod war grausam, nicht nur für den Sterbenden sondern genauso für jene die zurückblieben. Firunhard war ein Ritter gewesen, ein Mann der für den Schutz der Schwachen und für den Kampf gelebt hatte. Er hätte es verdient in der Schlacht zu fallen, jetzt aber war er vom Alter niedergestreckt wurden. Tröstend umarmte sie Aurea, während ihre Begleiter von den Pferden abstiegen und sich unauffällig etwas vom zehrenden Ritt lockerten. Den Tränen nahe flüsterte sie: „Wir hatten nie eine Chance…“ Als ihre Stimme auch bereits brach. Eine Träne rann ihr über die Wange, während sie mit ihrer Fassung rang. „… Golgari holte ihn bereits am Morgen des 18.“ Wie sehr es keine guter Morgen mehr gewesen ist, wurde Vea erst in diesem Augenblick bewusst. Denn als der erschöpfte Bote bei ihr Vorsprach, hatte Boron Firunhard womöglich grade zu sich berufen. Mit ihren Begleiterinnen und der anwesenden Familie ihres Gatten saß Vea an der Tafel und trank auf den Verstorben, während unterdessen ihre Bedeckung anderswo versorgt wurde und sich ausruhen konnte. Sie konnte sich keine Vorwürfe machen, denn es war ihr nie bestellt rechtzeitig hier einzutreffen und dennoch tat sie es ein ganz klein wenig. Allgemein herrschte Trauer unter den Anwesenden oder zumindest respektvolle Betroffenheit. Eine Ausnahme stellte lediglich Basins Vetter dar, tief in sich gekehrt seitdem er als Knappe in der 3. Dämonenschlacht gefochten hatte. war ihm nichts anzusehen – doch allein der Umstand das er hier mit gleich sieben Frauen an der Tafel aushielt sprach Bände. Pagol mied Menschen, vertraute sich nur wenigen von ihnen an und beschäftigte sich stattdessen lieber mit den Beizvögeln der Falknerei. Schließlich war es die Geweihte die die Stille durchbrach, indem sie fragte ob der Verstorbene bereits beigesetzt war. Eine berechtigte Frage wie Vea fand, auch wenn sie selbst bis zu diesem Augenblick noch überhaupt nicht daran gedacht hatte.
Tatsächlich hatte man ihn vorerst in Goldreich aufgebahrt, sodass sich seine ehemaligen Untertanen von ihm verabschieden konnten. Ein Angebot von dem die Bewohner des Junkergutes reichlich Anspruch nahmen, war der alte Ritter wenn auch ein gestrenger Herr, für seine Führsorge und Bemühungen hatten sie ihn sehr geschätzt. Zwischen den Schreinen lag er, still und friedlich, fast so als würde er schlafen und könnte jeden Moment aufstehen. War es so wenn man sich von jemanden verabschieden konnte? Musste sich Vea die Frage stellen, denn sie selbst hatte den Verlust ihrer Mutter mit kaum mehr als den Worten des herzoglichen Boten verkraften müssen. Seitdem ihre Mutter zum Feldzug aufgebrochen war hatte es keine letzten Worte gegeben, keine letzte Umarmung keinen letzten Ratschlag und keinen letzten führsorglichen Blick. Sie hatte ihr nie sagen können dass sie Großmutter werden würde, sie hatte sich nie richtig verabschieden können. Trotz aller Vernunft und Bestätigung hoffte sie manchmal noch immer dass sich alle geirrt haben und ihre Mutter den Raum betrat. Würde es Basin nun genauso mit seinem Vater ergehen? Stumm rannen ihr die Tränen herunter, während sie sich aufgewühlt und von ihren Gefühlen überwältigt verabschiedete. Zur gleichen Zeit öffnete der Himmel seine Schleusen und regnete sich über dem Dorf ab. Gefolgt vom Trauerzug trugen Freiwillige den alten Herrn einen schmalen, feucht glitschigen Pfad hinauf in die Berge. Die Abendsonne erstrahlte in ihren Rücken, erleuchtete den Eingang der aus dem Fels geschlagenen Familiengruft. Auch wenn Vea nie hier gewesen ist so wusste sie, dass viele dieser Gräber leer waren. Fern der Heimat im Dienst für Reich und Herzogtum gefallen, haben ihre sterblichen Überreste die Heimat nie wieder gesehen und dennoch wurde ihrer hier Gedacht. Tief in der Höhle würde Firunhard seine letzte Ruhe finden, der 25. Junker von Richtwald gesellte sich zu seinen Ahnen. Veas Gedanken galten in diesen Augenblicken jedoch seinem Erben und dem Umstand dass der 26. Junker noch viele Götterläufe Zeit lassen würde eh auch er hier seine Ruhe fände.
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Kategorie: Briefspielgeschichte
-- Main.VonRichtwald - 07 May 2018