Raben im Winter
Raben Im Winter
Raben im Winter
Der Oberst in Rabenstein
Autoren: RekkiThorkarson und IseWeine
Phex 1040 B.F.
Mit wuchtigem Flügelschlag schwang sich ein Rabe aus dem Geäst eines nahen Baumes, strich segelnd über den Bergpfad und gewann durch einige wohlgezielte Schwingenschläge an Höhe. Schweigend kreiste er vor dem Fahlen Winterhimmel und verschwand schließlich über den dunklen Wipfeln der Nadelbäume, als habe die undurchdringliche Wacht des Waldes ihn verschlungen.
Der Schnee des Winters lag noch einen halben Schritt hoch, festgetreten und zu Eis gefroren auf dem kaum sichtbaren Weg. Daneben türmte er sich noch übermannshoch zu beiden Seiten, Abhänge überdeckend und den unvorsichtigen Wanderer zu einem Fehltritt in die vermeintlich weiche, weiße und fast unberührte Schneedecke ladend.
Die Bäume lehnten sich über dem Weg zusammen, dämmrig dort, wo sich Tannen und Föhren trafen heller, wo die kahlen Finger von Kirsche und Eschen über die dürren Stecken der Ahornschößlinge strichen. Abendlicher Wind kam auf, strich über das knisternde Eis und setzte sich in die Kronen der Bäume. Das Zischen des Winterwindes war das einzige Geräusch, während am dunkler werdenden Himmel die ersten Sterne erglommen.
Hinter dem jenseitigen Kamm des Rahakath, dessen schwarze Formen sich auf der anderen Seite der Schlucht abzeichneten versank die Sonne und die Finsternis schickte ihre dämmrigen Kundschafter. In einem Waldstück, fern des Weges, begann ein einzelner Graupelz sein schauriges Lied.
Kaum noch erkennbar war der Weg im wachsenden Zwielicht. Er umrundete einige Felsen und trat auf einer steinernen Brücke über einem weiteren Einschnitt in den dunklen Felsen hervor unter den Bäumen und hinaus zwischen umfriedete Weiden.
Und dort, gegenüber der Spalte, auf einer Felszunge, weit hinausragend über die tosenden Wasser, lag ein dunkler Schatten vor dem fahlblauen Himmel: Burg Rabenstein.
Im immer noch kühlen Phexmond des Jahres 1040 nach Bosparans Fall war es, als eine kleine Delegation von acht zwergischen Soldaten Burg Rabenstein erreichte und der Oberst des eisenwalder Garderegiment Ingerimms Hammer um eine Audienz beim Baron bat.
Es war die erste, größere Reise die Dwarosch nach dem vergangenen überaus strengen Winter antrat und sie hatte sowohl dienstlichen, als auch privaten Charakter. Einerseits wollte der Angroschim dem alten Herrscher der bergigen Baronie im Eisenwald einen militärisches Vorhaben erläutern und ihm einen damit zusammenhängenden Vorschlag unterbreiten, andererseits die junge Menschenfrau besuchen, welcher er sein Leben verdankte seitdem sie ihm mit Hilfe des Unergründlichen auf dem zurückliegenden Feldzug von seinem seelischen Leiden befreit hatte und die er in sein Herz geschlossen hatte.
Während die kleine Gruppe Angroschim im Innenhof der Burg auf Antwort wartete, drehte Dwarosch sich neugierig auf der Stelle und reckte den Hals um die Mauern und Wehrgänge der ehrwürdigen Burg in den Bergen abschätzen zu können, ihren Zustand, ihre Wehrhaftigkeit. Sein geschultes Auge registrierte alles auf den ersten Blick offensichtliche und vermerkte es im Geiste für einen späteren Zeitpunkt.
Die Burg war ein trutziger, wuchtiger Bau aus den grauen Knochen dieser Berge, der Wehrgang überdacht, die Dächer schiefergedeckt. Die Läden, die angesichts der fortschreitenden Dämmerung geschlossen waren, schmückten wechselnde weiße und schwarze Schrägbalken. Direkt über der Schlucht der Sirralein, den äußersten Punkt des Bergspornes, auf dem sich die Festungsanlage drängte, markierend, stand ein Turm, alt, gut gepflegt, eventuell ein ehemaliger Wohnturm, nun aber in die Wehrmauer eingebunden. Über den Hof wachte ein Bergfried mit quadratischem Grundriss, den Eingang in im zweiten Stockwerk, begehbar über eine leichte Holztreppe, die am Turm lehnte, aber nur am Eingang mit diesem verbunden war.
Um den Hof gruppierten sich Wohnhaus, Wirtschaftsgebäude, das von zwei kleinen Türmen geschützte Torhaus und die Stallungen.
Alles schien, so wie es sich auf den ersten Blick präsentierte, in solidem, gut gepflegten Zustand.
Seine Soldaten und er selbst waren allesamt dick eingepackt, trugen lange Fellmäntel über ihren Kettenrüstungen, als sie so vor dem wuchtigen Palas der Burg standen.
Der warmen Tee der ihnen alsbald angeboten wurde löste kurz wortreiche Verwirrung unter den Angehörigen des kleinen Volkes aus, da er eben keinen scharfen Beigeschmack hatte. Das warme, dampfende Bier, welches sie dann nur einige Zeit später beim Ablegen der Winterkleidung in der Vorhalle des Hauptgebäudes erhielten, beruhigten die Gemüter jedoch recht schnell wieder.
Einzig der Oberst und sein Adjutant waren es, welche dem Hausdiener schließlich folgten und sich im Arbeitszimmer des Barons einfanden.
Die Nacht war hereingebrochen, lugte durch die Fenster und kroch aus den Ecken hervor. Der Diener war – für Menschenverhältnisse – steinalt und hatte die siebzig Winter gewiss überschritten. Er führte den Oberst und seinen Adjutanten im Erdgeschoss des Palas durch lange Gänge, und das Echo ihrer Schritte hallte von den Wänden wider, an denen die Lampe, die der Domestik trug, Lichtflecken und tanzende Schatten zum Leben erweckten.
Vor einer eisenbeschlagenen Tür hielt der Diener inne, klopfte und trat nach erteilter Erlaubnis ein, seine Gäste anzukündigen.
„Oberst Dwarosch, Sohn des Dwalin, nebst Adjutant.„
Die Tür öffnete sich in ein großes Arbeitszimmer. Ein Schrank aus altersdunklem Holz nahm eine Seite des Raumes ein, die Wand der Tür gegenüber wies ein bleiverglastes, von schweren Vorhängen gerahmtes Fenster auf, dessen Läden nun jedoch geschlossen waren. Ein fast zwei Schritt langer Schreibtisch, seitlich des Fensters, der auf geschnitzten Löwenklauen ruhte, teilte das Zimmer. In dem großen Kamin mit einer Einfassung aus schwarzem Basalt an der Wand zur rechten Hand brannte ein ruhiges Buchenholzfeuer auf einem schwarzen, eisernen Feuerbock auf Vogelklauen. Zwei fünfarmige Kerzenleuchter aus altem Silber standen auf dem Schreibtisch, nichts sonst zierte das karge Zimmer. Einzig die Holztäfelung aus altem, im herbstlichen Licht schimmerndem Holz bedeckte die Wände bis unter die hohe Decke.
Hinter dem Schreibtisch saß der Baron, ein schlanker, mittelgroßer Mann Anfang Sechzig. Er hatte sehr helle Haut und schwarzes, glattes, kurz geschorenes Haar, in das sich silberne Strähnen mischten. Sein linkes Auge bedeckte eine Augenklappe, darüber teilte eine weiße Strähne wie ein heller Hieb sein Haar. Die Farbe seines verbliebenen Auges war ein tiefes, durch keine Farbsprengsel aufgehelltes Schwarz. Ein schmaler, exakt geschnittener Oberlippenbart betonte die scharf geschnittenen Gesichtszüge.
Der Baron blickte beim Eintritt seines Gastes auf. Er trug ein einfaches Hemd aus schwarzem Leinen und darüber ein Wams aus feinem, schwarzen Wollstoff. Um die Kehle hatte er ein Halstuch aus silbergrauem Seidenstoff gewunden; gehalten von einer Krawattennadel mit einer einzelnen, silbergefaßten Perle als Kopf. Diese und sein Siegelring, über gleichfalls schwarzen Handschuhen getragen, waren sein einziger Schmuck.
„Herr Oberst? Nehmt Platz.“ Eine gemessene Handbewegung wies dem Gast einen geschnitzten, hochlehnigen, aber ungepolsterten Stuhl vor dem Schreibtisch.
Der Hausherr wartete, bis Sein Gast sich gesetzt hatte. „Was führt Euch auf meine Burg?“
Der Oberst lächelte. “Eure Hochgeboren, es freut mich euch wiederzusehen. Dies hier”, er nickte in Richtung des anderen Zwergen , ”ist Boringarth, Sohn des Borintosch. Borin hat etwas für euch.”
Der angesprochene nickte kurz zurückhaltend in Richtung des Barons und griff zu der gewachsten Umhängetasche die er an einem breiten Lederriemen über die Schulter trug. Was er daraus herausholte und auf den Schreibtisch vor sich legte war ein kleines zusammengebundenes Bündel gesiegelter Briefe.
“Dieses sind Schriftstücke des Vogt von Nilsitz. Borindarax bat mich sie euch auszuhändigen”, erklärte Dwarosch.
Aber das ist nicht der Grund warum ich hier bin. Ich habe ein dienstliches Anliegen und natürlich will ich euch nicht verschweigen, dass ich ebenfalls gekommen bin um Marbolieb wiederzusehen. Ich bin gespannt wo sie die Heiligenstatue platziert hat die ich ihr geschenkt habe.
Ich hoffe sehr sie hat auch gefallen in euren Augen gefunden. Immerhin wart ihr es der ihre Gnaden zu mir schicktet und mir somit geistige Heilung angedeihen ließet.
Bitte, seht sie als Zeichen meines Glaubens.”
„Die Statue ist eine wahrlich kunstvolle Arbeit. Sie macht Euch und Eurem Glauben große Ehre. Habt Dank dafür.“ Der Baron nahm die Schriftstücke entgegen, blickte kurz darüber und legte sie dann zur Seite und fasste den Angroscho genauer ins Auge. Einige Herzschläge lang herrschte Schweigen in dem karg eingerichteten Raum und wie ein großes, wartendes Tier saß die Stille in den Ecken. Jäh brach es der alte Baron.
„Marbolieb wird sich freuen, Euch zu sehen. Sie lebt im Tempel in Calmir, drei Tagesreisen von hier.“
Er lehnte sich zurück und stützte die Fingerspitzen seiner Hände, die in glatten, feinledernen Handschuhen steckten, gegeneinander. „Doch zuerst die Arbeit. Was führt einen Oberst der Eisenwalder in dienstlichen Angelegenheiten zu mir?“
Dwarosch kraulte sich den grau melierten Bart, welcher praktisch zu zwei dicken Zöpfen gebunden war, während der Baron sprach und machte ein zufriedenes Gesicht. Als dieser geendet hatte nickte der Oberst kurz und fasste sich, um dessen Frage zu beantworten.
“Was den eigentlichen Grund meines Besuches betrifft, so handelt es sich hierbei um ein persönliches Vorhaben, welches ich jedoch selbstredend mit meinen Vorgesetzten erörtert habe. Sie sind in Kenntnis gesetzt.”
Er machte eine Pause, überlegte offenbar wie er beginnen sollte.
“Mein Wunsch ist es den Isenhag so sicher wie möglich zu machen. Ich habe in dieser Hinsicht auch die Unterstützung des Vogtes von Nilsitz, welcher seinerseits mit den Baronen und Vögten unserer Grafschaft Kontakt aufnimmt. Er versucht nicht nur die nilsitzer Berghörner als Warnkette in den Bergen weiter zu verbreiten, nein er will auch anregen dass es eine dichtere Vernetzung über Taubenschläge gibt. Auch dies wird er meinem Wissen nach in den Briefen ansprechen die ich euch mitgebracht habe.” Der Oberst blickte kurz vielsagend auf die Briefe auf dem Schreibtisch.
“Mein Teil an diesem Unterfangen gestaltet sich folgendermaßen.
Im Spätsommer, wenn alle Banner Ingerimms Hammer neu formiert sind und den ersten Schliff bekommen haben, werde ich die Sappeure auf die Reise schicken. Jeder Adlige, der an den Wehranlagen seiner Liegenschaften etwas reparieren oder ausbessern muss, kann sich an mich wenden und wir sehen was wir tun können.
Unter den Männern haben fast alle eine Handwerksausbildung und können anpacken. Wenn ein Baumeister vorhanden ist, biete ich Hände und Muskelkraft. Und ihr seid der erste zu dem ich komme.”
Dwarosch machte eine erneute Pause, diesmal jedoch um das gesagte wirken zu lassen.
“Nie wieder darf der Krieg bis in den Isenhag getragen werden können und dann auch noch Schaden anrichten. Dies ist unser aller Heimat und darüber hinaus der Ursprung aller Völker Angroschs.“
„Ein großzügiges Angebot, Herr Oberst.“ Der Baron bedachte den Zwergen mit ruhigem Blick, was er denken mochte, das gab seine Mimik nicht preis. „Doch ist die Rabenstein in einem adäquaten Zustand, so dass Ihr Eure Unterstützung gerne einem anderen Baron zukommen lassen mögt. Wie ich hörte, wird der Herr von Bollharschen gewiss dankbar für Eure Unterstützung sein.“ Und wenn die Burg des Bollharscheners hernach etwas fester stand, so mochte dies so sein.
„Den Krieg werdet Ihr nie zur Gänze verhindern wissen. Der Isenhag ist schroff und ein Bollwerk in sich – doch hat dies in den Kaiserlosen Zeiten niemanden gehindert, dennoch sein Glück in seinen Zinnen zu versuchen – nicht Rhondara, nicht Perval. Genutzt hat es beiden wenig – wer hier Land sein eigen nennt, weiß es üblicherweise zu verteidigen.“ Ähnlich genug waren sich die Menschen in manchen Belangen mit den Zwergen hier – zumindest einen ebensolche Entschlossenheit sagten die Elenviner ihnen nach. Nicht zu unrecht.
„Doch erfreut es mich, wieder in engeren Kontakt mit den Bewohnern Isnatoschs zu kommen. Lange waren die Wege beider Völker verschiedene. So werde ich Euch künftig des Öfteren in Rabenstein begrüßen?“ Halb Frage, halb Feststellung war der letzte Satz, der auffordernd im Raum hing und widerzuhallen schien von der Stille, die in den Ecken wohnte.
Aufmerksam lauschte der Oberst den Worten des Barons. Bei dessen Hinweis auf Bollharschen nickte Dwarosch offenbar wohlwissend und blickte kurz zu Borin, welcher inzwischen eine Mappe in Händen hielt und einen Vermerk zu machen schien.
„ Danke für den Hinweis. Mein Weg wird mich auch dorthin führen. Und ja, da Calmir Teil der wichtigsten Route durch den Eisenwald ist wird man mich dort des Öfteren sehen. Meine Aufgabe wird erfordern das ich viel unterwegs bin, auch wenn der Großteil der Truppen in Nilsitz und Wedengraben stationiert ist.“
Dwarosch räusperte sich. „Darüber hinaus war mir der gute Zustand eurer Burg selbstverständlich bekannt, doch möchte ich niemanden auslassen und mir selbst ein Bild machen, nicht nur von den Mauern, sondern auch von der Umgebung und den Straßen.
Auch will ich euch nicht verschweigen, dass ich dabei bin eine taktische Karte mit Angaben von Marschstunden für die Nordmarken zu erstellen. Meine Gebirgsjäger werden in Zukunft die für sie günstigsten Wege erproben, um schnellstmöglich zur entsprechenden Burg zu kommen, falls einmal Entsatz nötig seien sollte. Dies beinhaltet Strecken über und unter dem Berg. Sie sollen den anderen, schwer gerüsteten Einheiten die Zeit erkaufen die sie auf befestigten Wegen benötigen.
Das Banner wird das ganze Jahr unterwegs sein und mit Sicherheit auch nach Rabenstein kommen. Das heißt wenn ihr damit einverstanden seid das wir solche Marschübungen in eurem Territorium durchführen?
Was den Kontakt nach Isnatosch betrifft bin ich davon überzeugt das andere Zeiten anbrechen. Ich teile durchaus nicht alle Ansichten des neuen Vogtes von Nilsitz, aber als Urenkel des Bergkönigs und mit dem Enthusiasmus den er seiner Aufgabe entgegenbringt, werden wir die kommenden Jahre sicher die eine oder andere Überraschung erleben.“
Kurz hielt er inne, lächelte und schüttelte dabei gleichzeitig den Kopf. „Worüber ich mir hingegen nicht sicher bin ist, ob unser Graf über alles so erfreut sein wird was Borindarax in den Kopf kommt.“ Und dieser Gedanke schienen Dwarosch sehr zu amüsieren.
„Und Ihr erachtet es als eine gute Idee, wenn der neue Vogt die Gemütsruhe des Grafen erprobt?“ Der Rabensteiner legte entspannt die Arme auf den Tisch und musterte den Oberst der Eisenwalder. Letztlich waren diese Dinge dessen Sache – und der alte Freiherr würde keine so weitreichende Kooperation eingehen, dass er selbst in den Unmut des Grafen hineingeraten würde. Wenn es sich als notwendig erweisen sollte, den Grafen wider den Strich bürsten, dann würde er es selbst tun – und genau so viel, als für seine eigenen Zwecke notwendig.
Der Gesichtsausdruck des Zwergen ging zu einem Schmunzeln über. Mehr war von ihm nicht zu vernehmen. Offenbar wollte er nicht weiter auf diese Sache eingehen.
„Eure Karte hingegen mögt Ihr gerne auch in Rabenstein erstellen – doch Ihr werdet mir eine Kopie davon übergeben.
Ein gutes Kartenwerk war wertvoll – allerdings, den Zwölfen sei’s geklagt, befand es sich allzu oft in zu vielen Händen. „Bis wann werdet Ihr damit beginnen? Und wie lange wollt Ihr die Erfassung in Rabenstein durchführen?“ Dem energischen Angroscho würde bei der Vermessung des Eisenwaldes die eine oder andere Überraschung gewiss sein – zumindest aber seinen Handlangern, welche die tatsächliche Arbeit ausführen würden.
Der Oberst nickte gelassen und blickte kurz zu seinem Adjutanten, der pflichtbewusst einen Vermerk in seiner Mappe machte.
„Wir werden mit den Marschübungen beginnen sobald es das Wetter zulässt eure Hochgeboren. Der Frühling ist ja nun nicht mehr fern und meine Hauptleute sind allesamt entsprechend instruiert. Derzeit sind die Einheiten dabei die unterirdischen Routen durch bestehende Tunnel im Eisenwald und Ingrakuppen zu erproben und deren Wegstrecken aufzunehmen.
Wie lange die Erfassungen in eurer Baronie dauern wird vermag ich derzeit nicht exakt zu sagen, da wir aber nur Marschdauern auf unterschiedlichen Routen erproben und diese in vorhandene Landkarten vermerken, denke ich nicht das wir allzu lange in Rabenstein verweilen werden. Rechnet mit einem halben Mond.
Was das Ergebnis betrifft, so wollte ich zumindest die oberirdischen Karten allen Lehnsherren auf Burg Nilsitz zugänglich machen. Wenn ihr dies aber wünscht, so werde ich ein Duplikat für euch anfertigen lassen und dieses persönlich überbringen. Dies wird sich einrichten lassen.“
Das leichte Lächeln was der Oberst bei dem Zugeständnis an den Tag legte deutete darauf hin das es ihm nicht nur nichts ausmachte, sondern das ihm der Gedanke nach Rabenstein zurückzukehren durchaus gefiel.
„Ich gehe davon aus, dass Ihr es mir meldet, wenn Eure Leute mein Lehen betreten. Dies wird bedauerlichen Missverständnissen vorbeugen.“ Er überlegte kurz, verwarf dann aber den Gedanken daran, auf die Zahl der Wanderer hinzuweisen – die Leute des Angroscho waren keine Kinder und würden gegebenenfalls aus Erfahrungen lernen, nicht allein durch die Wälder zu schleichen. Oder zu stampfen. (Tina [Lucrann] 24.7.17)
„Reiter werden die jeweiligen Lehnsherren vorher informieren, wenn ihre Ländereien durchquert werden, selbstverständlich. Mir ist an einem reibungslosen Ablauf gelegen. Das Letzte was ich will ist Ärger.“
Schon dachte der Rabensteiner der Oberst hätte geendet, da hob dieser eine Augenbraue und fuhr fort. „Eine Sache wäre da noch eure Hochgeboren. Könnt ihr mich an einen Waidmann verweisen, welcher uns mit seiner Kenntnissen Rabensteins hilfreich seien könnte?“
Der Baron verzog keine Miene. „Ihr mögt Euch der Unterstützung meiner Jagdmeisterin, Aldaia Deringer, versichern. Sie residiert in Calmir. Ich werde Euch eine Botschaft für sie mitgeben, da Ihr in Bälde sowieso dorthinreisen werdet, nicht wahr?“
„Das werde ich“, sagte Dwarosch und nickte zur Bestätigung.
Kurz sann der Zwerg infolge nach. Alle Fragen waren ausreichend behandelt worden. „Eure Hochgeboren, ich habe kein weiteres Anliegen und möchte euch nicht unnötig noch mehr eurer kostbaren Zeit rauben.“
„Das erfreut mich.“ bemerkte der Rabensteiner trocken und erhob sich. „Ihr werdet Eure Abreise vorbereiten wollen.“
Dwarosch stand auf und Boringarth beeilte sich es ihm gleich zu tun. „Eure Hochgeboren. Es war mir eine Ehre. Habt Dankt für das konstruktive Gespräch und eure Gastfreundschaft. Wir werden morgen in aller Früh aufbrechen, wenn ihr Borin das Schreiben vorher überstellen lasst.“
„Mein Diener wird es Euch überbringen.“ Mit diesen Worten fanden sich die beiden Angroschim aus der klammen Atmosphäre des Arbeitszimmers entlassen. ---
In einem trüben Grau dämmerte der Morgen, und Nebel hingen über der tiefen Schlucht der Sirralein, über der sich die Rabenstein auf einem Bergsporn erhob. Mehr seines Elementes vermochte an diesem Morgen der Heimliche indes nicht zu verbreiten – der Eishauch des Grimmen Jägers hielt die Berge noch in gestrengem Griff und ließ des grauen Fuchses Schleier zu Frostnadeln erstarren.
In der vorhergehenden Nacht hatte der uralte Diener noch eine gesiegelte Schriftrolle dem Oberst übergeben, zusammen mit einer Beschreibung der Jagdmeisterin, einer Frau in den Vierzigern, die zusammen mit ihren Hunden bei Calmir lebte.
Zwei Tagesmärsche lang hoch zu Roß – oder Zwergenpony – war der Weg nach Calmir, das sich nördlich der Via Ferra zwischen den hohen Graten des Reiakath und des Tabalasch, des Kupferbergs, den die Menschen Sirrah Kalai nannten, in einen schmalen Talstreifen kuschelte wie die Küken unter die Flügel einer Glucke. Einer finsteren Glucke, denn dunkel und still zogen sich die Tannen und Fichten an den steilen Hängen der Berge entlang, nur selten unterbrochen von den kahlen, Ästen einzelner Blutulmen, Eichen und Ahorne, die sie wie schwarze, starre Knochenfinger in den bleigrauen Himmel streckten.
Mehr als einmal schickten die hohen Bäume sich an, die Straße selbst zu umschließen. Nur selten deuteten vereinzelt aufsteigende Rauchsäulen auf einen einsamen Köhler hin, der in den Wäldern seinem Tagewerk nachging.
Der Finsterbach, von Süden kommend, kreuzte bei Calmir die Via Ferra auf seinem Weg zum Großen Fluss.
Das Dorf selbst, gebaut aus spitzgiebligen Fachwerkhäusern mit Bruchsteinsockel und umgeben von einem Etter aus Dornendickicht, verfügte über zwei Gasthöfe, den ‚Kelch und Rabe’ und die ‚Graue Gans’, ein solides, wenn auch etwas bäurisches Haus. Eine Taverne, die ‚Goldene Rebe’, versprach Speis’ und Trank, aber kein Nachtlager. Das Haus des Dorfschulzen lag neben dem Tempel der Heimeligen Göttin am Dorfplatz, auf dem sich über dem Dorfbrunnen eine Linde ausbreitete. Am Rande der Siedlung befand sich, von einer separaten Hecke umschlossen, der Boronsanger mit seinem Tempel, vom anderen Ortsausgang, am Bach, erklang das muntere Klappern einer Mühle.
Die Häuser um den Dorfplatz zeigten die Werkstätten eines Grobschmieds, eines Wagners, einer Schusterin, einem Küfer, einem Schneider, einem Töpfer und gleich zweier Krämer, während sich neben der Mühle eine große Kelter befand, die, bedachte man die Lage, eher Apfelwein als Rebenblut pressen würde. Eine ansehnliche Siedlung, trotz ihrer abgelegenen Lage. Doch der Verkehr auf der Via Ferra würde einiges an Silber und Gütern hierherbringen.
Mit vom Frühnebel klammen Fellmänteln marschierten die acht Zwerge, ihre kräftigen Ponies an den Zügeln führend nach Calmir ein. Sie strebten zunächst den Dorfplatz an, tränkten die Reittiere und Dwaroschs Adjutant eilte davon um zu sehen ob einer man in einem der Gasthöfe ein kräftiges Mahl bekommen konnte um die frühe Morgenstunde.
Als Boringarth dem Oberst berichtet hatte ging der kleine Trupp zur Grauen Gans, wo die Ponies von einem Knecht versorgt und untergestellt wurden, so dass sich die Soldaten dem behaglich warmen Schankraum zuwenden konnten.
Man entledigte sich der feuchten Kleidung, den schweren Rüstungen und nahm an einem großen, runden Tisch nah dem Feuer Platz, um sich zu wärmen.
Die deftige Küche und ein starkes, wenn auch leider für menschliche Geschmacksnerven gebrautes Bier entschädigte für den wenigen Schlaf und den kräftezehrenden Nachtmarsch durchs Gebirge.
Nach dem Mahl entließ Dwarosch seine Mannen in den Schlafsaal. Broingarth sollte sich noch nach dem Weg zum Haus der Jagdmeisterin umhören, wohingegen der Oberst selbst den Weg zum Tempel des Schweigsamen antrat.
Der Borontempel bestand aus grauem, grob behauenem Granit, sein Dach lief in einer von Fachwerk gestützten und mit schwarzem Schiefer gedeckten Kuppel zu. Die Front war als Halbkreis gebaut, dunkel und abweisend und vom gefrorenen Schnee mit einer Reifschicht überhaucht. Gefroren, fest, unverrückbar, gebaut für die Ewigkeit.
Der Boronanger dahinter, dick überzogen mit einem weißen Laken, machte einen nur leidlich gepflegten Eindruck, die Hecken aus Eibe und Schwarzdorn, die in einem dichten Verhau umgaben, waren verwildert und in Breite und Höhe geschossen.
Die Kälte begann, in die Knochen des Angroscho zu kriechen, kaum ein Wunder nach der Nacht und dem Vorfall mit dem Wolfsrudel, bei dem es nur dank der Kampfkraft der Zwergen beim Verlust eines Ponys und ein paar Kratzern und Bissen geblieben war. Nun, am Ende des Winters, waren die grauen Jäger fast irr vor Hunger und hatten sich auch von der großen Gruppe nicht abschrecken lassen.
Zum Andachtsraum des Tempels führten fünf Stufen nach unten. Kühl und dunkel war es im Innenraum, spärlich eingerichtet nur, an der Stirnseite des Raums, dem Eingang gegenüber, der Altar, ein schwarzer Basaltblock, über dem, eingehauen in der Wand als Halbrelief, ein aufsteigender Rabe seine Schwingen ausbreitete.
Die kühle Luft trug einen Hauch von kaltem Rauch und verbrannten Kräutern.
Vor dem Altar kniete eine einzelne, zierliche Gestalt in einer schwarzen Robe, die Kapuze tief über den Kopf gezogen.
Beim Eintritt Dwaroschs drehte sich die Boroni um. Tiefe Falten standen um ihre Mundwinkel und ihre Haut war so bleich, dass sie fast grau wirkte. Ihre Augen waren unter der Kapuze verborgen, doch streng zeichneten sich die Knochen in ihrem Gesicht unter ihrer Haut ab und sie ließ ihre Schultern hängen. Ihre gesamte Körpersprache erzählte von einem: unendlicher Müdigkeit.
Dwarosch zog besorgt die Augenbrauen zusammen, als er Marbolieb sah. Er schritt langsam auf sie zu, um die Ruhe des Tempels nicht zu stören und versuchte etwas in der Mimik der Geweihten zu lesen. Trotz seiner Sorge um den Zustand Marboliebs lächelte der Oberst. Es fühlte sich richtig an, hier zu sein.
Mühsam erhob die Geweihte sich und schritt langsam auf Dwarosch zu. Einen Schritt vor ihm verharrte sie. Stille kroch aus den Ecken, umschlich die beiden Lebenden und kauerte sich vor sie, wartend, lauernd.
Sie hob ihre Rechte und richtete sie mit ausgetreckten Fingern in Dwarosch Richtung, verharrte aber eine Haaresweite vor seiner Stirn. Ihre Kapuze reichte ihr bis zur Nasenspitze; ihre hübsch geschwungenen Lippen gaben nichts von dem Preis, was sie denken mochte. Trotzdem – oder eben deshalb – erinnerte ihre Geste vor allem an eines: einen Hilferuf.
Dwaroschs innere Unruhe wuchs sprungartig. Ihm wurde heiß und kalt, sein Herz begann zu hämmern, so dass er das Blut in den Ohren rauschen hören konnte. Was ging hier vor?
‘Bitte lass sie nur entrückt sein! Ich bete, dass ihr Geist in deinen Gefilden weilt, wo du auf sie acht gibst und ihr kein Leid widerfahren kann, Unergründlicher.’
Er ergriff ihre Hand mit seiner Linken und drückte sie. Nicht schmerzhaft, aber so, als wolle er einen Träumenden wecken. Gleichzeitig streifte er ihr mit der anderen Hand die Kapuze vom Haupt.
Er musste sicher sein, dass sie nur in Trance war, Schlafwandelte oder dergleichen. Ohne Grund wollte er die fast körperlich greifbare Stille an diesem geweihten Ort nicht brechen.
Die Priesterin betrachtete den Oberst aus tief in den Höhlen liegenden Augen. Wie mit schwarzer Tusche gemalt zeichneten sich Schatten unter ihnen ab. Sie atmete tief ein und aus und umklammerte die Hand des Agroscho mit der Ihren. Ihr Blick war müde und leer, doch bei Dwaroschs Anblick erwachte ein winziger Funken Hoffnung, der sich hartnäckig in ihren Augen hielt.
Einige Augenblicke lang hielt sie inne, bis sie, zu müde, weiter zu grübeln, vor Dwarosch auf die Knie sank und ihre Arme um den Zwergen schlang. Erschöpft lehnte sie ihren Kopf an seine Brust und er spürte, dass sie in seinen Armen zitterte.
Allein das Entsetzen verhinderte, dass Dwarosch sofort handelte. Als er die Beklemmung abgeschüttelte hatte, welche sein Herz im eisernen Griff hielt und ihm noch dazu die Luft abschnürte, so dass er kaum atmen konnte, führte er Marboliebs Hand unter seinen Mantel, dorthin, wo sein Herz hämmerte wie der Schmiedehammer auf dem Amboss.
Danach ging er selbst in die Knie, griff Marbolieb unter Armen und Beinen und hob sie hoch, als wiege sie nichts. Mit forschen Schritten, den leichten Körper der Geweihten eng an sich gepresst, schritt er zum Ausgang. Sie musste an die frische Luft, hinaus aus dem Tempel, Leben sehen, spüren und atmen.
Eisig und klar schlug beiden die kalte Luft ins Gesicht, als sie aus dem Halbdunkel des Tempels in den Morgen. Die ersten Strahlen des Praiosmals kämpften sich durch die dichten Nebel und legten sich wie ein Gruß auf Dwaroschs Gesicht.
Marbolieb hatte die Augen geschlossen, als der Angroscho sie hochhob, und ihren Kopf an seine Schultern gelehnt. Ihre langen, dunklen Wimpern flatterten, als das Licht des Tages sie traf. „Dwarosch.“ Ihre Stimme war nicht lauter als das Flüstern des leichten Morgenwindes auf dem gefrorenen Firn. Tief atmete sie aus und ein und genoss die wenigen, überaus kostbaren Augenblicke des Friedens.
Ein leises Geräusch wie das Miauen eines Katze drang auf die Straße. Marbolieb zuckte zusammen und wand sich in dem kraftlosen Bemühen, sich aus den Armen des Zwergen zu befreien.
Sanft und behutsam setzte der Zwerg die Geweihte zurück auf ihre eigenen Füße. Dwarosch behielt seine kräftigen Pranken jedoch zunächst noch an ihren Hüften, um sicherzugehen, dass Marbolieb auch alleine zu stehen vermochte und nicht entkräftet in sich zusammensackte. Dann ließ er sie los und blickte sie sorgenvoll an.
„Was ist geschehen? Du hast mir einen gehörigen Schrecken eingejagt. Soll ich dir Wasser holen oder brauchst du etwas Stärkeres?“
„Wasser. Bitte.“ Auf ihren Lippen klang es wie eine Frage. Sie wandte sich um und hastete mit hängenden Schultern zurück in den Tempel, taumelte, fing sich wieder und verschwand unter dem dunklen Portal.
Total verdattert blieb Dwarosch zurück. Einmal klappte sein Mund auf und zu, ohne dass er einen Ton von sich gab. Dann hastete er Marbolieb im Stechschritt hinterher.
Der Tempelraum war verlassen. Dwarosch fand die Priesterin in ihrem Zimmer, einem kleinen, karg eingerichteten Raum, dessen Einrichtung nur aus einem Tisch mit Stuhl, einer Truhe einem Bettkasten mit Strohsack bestand. Auf dem Tisch lag ein abgegriffenes Buch neben einer halb herabgebrannten Kerze in einem irdenen Ständer.
Marbolieb hielt ein Bündel Lumpen auf dem Arm, das beim Eintreten von Dwarosch in ein hohes, ungnädiges Greinen ausbrach und erst verstummte, als sie sich setzte und das Wesen unter ihrem Schulterüberwurf verbarg. Kleine, zufriedene Glucksgeräusche, immer wieder durch Weinen unterbrochen, zeugten davon, dass ein Seelenwunsch soeben Erfüllung fand.
Die Schultern der Geweihten sanken nach vorn, und ihr Blick ruhte auf dem kleinen Geschöpf, ehe sie sich langsam zu dem Zwergen umdrehte und diesen anblickte.
Dwarosch riss ungläubig die Augen auf. Mit vielen hatte er gerechnet, doch diese Erklärung für Marboliebs Zustand lag außerhalb seiner bisherigen Vorstellungsgabe. Wiederum öffnete sich sein Mund ohne einen Laut von sich zu geben, bevor er sich wieder schloss.
Aus Respekt vor der Geweihten richtete er seinen Blick zu Boden und schritt rückwärts aus dem Zimmer. Er würde vor dem Zimmer warten, bis sie zu ihm kam.
Geraume Zeit später trat Marbolieb vor die Tür, das Kind in einem Arm. Mit müden Augen blickte sie auf Dwarosch. „Komm.“ Sie führte in an der offenstehenden Tür zur Küche vorbei und entschied sich mit einem Blick auf Berge gewaschener und ungewaschener Wäsche für den nächsten Raum, ein Gästezimmer, dass fast ebenso karg eingerichtet war wie ihr eigener Raum. Die Geweihte bot ihm einen der beiden Stühle an und ließ sich auf den anderen sinken. Ihr Blick lag nachdenklich auf seinen Händen und unwillkürlich begann sie ihren Arm auszustrecken, doch dann hielt sie inne und legte sie ihn mit einer willentlichen Bewegung wieder ruhig auf den Tisch. In ihren Augen stand Traurigkeit. Einige Augenblicke lang schwieg sie, ehe sie sich mit sichtlicher Mühe zusammenriss und das Wort an ihn richtete.
„Was darf ich für Dich tun?“
„Ich bin gekommen, Dich zu besuchen, Marbolieb, wie ich es versprach.“ Er seufzte. „Nun erzähl doch erstmal, wie du zu dem Kind gekommen bist, verrate mir, wie es heißt und wie es dir ergangen ist die letzten Götternamen?“
„Ihr Name ist Mirla. Amsel. Sie kam Anfang des Tsamondes zur Welt.“ Das kleine Wesen wand sich in ihren Armen, hustete, schniefte und begann zu greinen. Ungeschickt nahm die Priesterin sie höher und wiegte sie, ehe sie ihren Blick wieder auf Dwarosch heftete.
Sie schwieg einen Moment, ehe sie eine Entscheidung traf. In ihrem Blick lag ruhige Resignation, aber auch einen Hauch der Entschlossenheit, die Dwarosch schon von früher an ihr kannte. „Es war vor Gallys. Der Feldzug machte mir Angst – und er tröstete mich. Ein einziges Mal bin ich der Lieblichen gefolgt – ich hätte nicht daran gedacht, dass sich die Ewigjunge dazugesellt.“
Sie hielt einen Augenblick inne. „Hier bin ich eingezogen, bevor der Winter die Wege schloss, und bin seitdem hier – und betreue die Leute. Drei sind im Winter gestorben. Der Tempel war lange verwaist.“ Marbolieb schwieg, ihren Blick auf den Oberst gerichtet. Müdigkeit hing in ihrer Miene und erzählte mehr als ihre Worte davon, dass die vergangene Zeit alles andere als einfach gewesen war.
„Wie ist es Dir ergangen? Du siehst glücklich aus.“ Zufriedenheit angesichts dieser Tatsache wärmte ihre Stimme, ehe sie wieder erlosch wie eine Flamme, die ihr Brennöl verbraucht hatte.
Zunächst war Überraschung in Dwaroschs Zügen zu erkennen. Er hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, dass es tatsächlich Marboliebs Kind war, sondern eher das einer auf dem Kindsbett verstorbenen oder schlicht ein Findelkind.
Doch nach kurzen Momenten, in denen die Augen des Zwergen hin und her huschten und vom Verstehen sprachen begann er zu lächeln.
„Welch schönes Geschenk! Die Wandelbare hat ihre Hände über dich ausgebreitet und euch beide beschützt Marbolieb. Du hast allen dämonischen Schrecken und alle götterlästerlichen Abgründe des Ostens über, die du durchstehen musstest ein Kind in dir getragen.“
Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Dies ist ein gutes Omen beim Allvater! Aber nicht nur da jedes Kind in ein Geschenk der Götter ist, nein. Dies ist es ganz im Besonderen. Rahja und Tsa gaben ihres um neues Leben im Schoße einer Geweihten des Unergründlichen zu pflanzen und ließen es gedeihen während nur Tod und Verderben um es herum waren.“
Marbolieb löste ihren Blick von Dwaroschs Augen und senkte den Kopf.
„Ich bin nicht undankbar. Dennoch – Dwarosch, ich war noch niemals so unendlich müde. Ich möchte so gerne einfach nur schlafen.“ Ihre Schultern sanken nach vorn und für einen Augenblick hing sie ihren Gedanken nach.
„Magst Du sie halten?“ Sie hob das winzige Kind, das beim Anblick des Angroscho sein kleines Greisengesicht zu einer ungläubigen Maske verschob, an und warf dem Zwergen einen Blick zu, in dem eine Frage und ein starkes Vertrauen zu lesen waren.
„Ja“, kam es freudig vom Zwergen. Er trat noch näher und ließ sich das Kind in die breiten Arme legen. Dwarosch lächelte das Kleine an, dessen Hände sofort mit den geflochtenen Zöpfen seines Bartes zu spielen begannen. Lachend sah er auf und Marbolieb in die Augen.
Nun, da alles Wichtige gesagt war ging Dwarosch auf die früher gestellte Frage der Geweihten ein. Er hatte ihr ja auch Positives zu berichten und wollte dies nicht für sich behalten.
„Mir geht es gut Marbolieb, dank dir! Ich bin offiziell durch den Herzog als Oberst bestätigt und baue das Regiment neu auf. Gleichzeitig gehe ich eigene, kleinere Projekte an, welche damit verbunden sind. Ich werde ich der Zukunft viel unterwegs sein und schon im Frühling häufig die Pässe des Eisenwaldes bereisen. Wenn du es erlaubst werde ich hin und wieder auch Calmir besuchen und nach euch sehen.
Bei Dwarosch Worten erwachte ein kleines Leuchten in den müden Augen der Priesterin und fand seinen Widerhall in ihren Mundwinkeln.
„Ich freue mich, wenn Deine Wege Dich oft hierherführen, Dwarosch. Du bist hier jederzeit willkommen. Und bitte – erzähle mir, was Deine Aufgaben Dir bringen.“ Ihre dunklen Augen fanden und hielten seinen Blick, mit wahrhaftigem Interesse. In Calmir gab es wenig Neues und selbst die alltäglichen Kämpfe, so aufreibend und unerwartet sie am Anfang auch waren, begonnen hatten, sich zu wiederholen.
„Wir sind immer noch dabei Soldaten im ganzen Herzogtum zu rekrutieren. Gleichzeitig hat die Formierung Begonnen. Die Ausbildung geschieht ausschließlich im Isenhag. Burg Nilsitz, Trollpforz, Calbrozim, sowie Senalosch sind die Stationierungsorte. Ich konnte erfahrene Veteranen für die Ausbildung der einzelnen Teile des Regimentes gewinnen. Später werden Teile des Regimentes in die Albenhuser Kasernen verlagert.
Derzeit bin ich unterwegs um Barone und Vögte davon zu überzeugen, dass sie uns gestatten Marschübungen durch ihre Lehen durchzuführen. Das heißt ich will die Gebirgsjäger als schnelle Eingreiftruppe für unsere Grafschaft, später für die gesamten Nordmarken einsetzen.
Aber genug von meiner Arbeit, Marbolieb. Jetzt zeig mir doch wo du die Ikone hingestellt hast, welche ich dir zum Geschenk machte. Ich möchte Boron für seinen Beistand danken.“
„Komm mit.“ Marbolieb erhob sich mühsam, sich dabei mit einer Hand am Tisch abstützend, und schritt Dwarosch voran in den Tempelraum. Neben dem Altar, auf einem kleinen Sockel, der sie auf Lebensgröße anhob, stand die Marbostatue und wachte mit mildem Blick über den geweihten Grund. Genau so stand sie im Spiel von Licht und Schatten, dass das wenige Licht ihre schönen Formen hervorhob und sie fast lebendig wirken ließ, eine stumme, segnende Wächterin für diesen einen Ort der Ruhe.
Einen Moment stand Dwarosch nur da und genoss den Anblick der sich ihm bot und das Gefühl, etwas Bleibendes gestiftet zu haben, an dem sich viele Leute würden erfreuen können, wenn man davon in einem Tempel des Unergründlichen sprechen konnte.
Dann sah er zu Marbolieb. „Geh schlafen. Die Kleine hier“, er sah zu dem Baby in seinen Armen hinab“, wird meine Gesellschaft noch eine Weile ertragen können und meine Männer ruhen sich aus. Ich werde dich wecken, wenn sie Hunger bekommt.“
Marbolieb betrachtete ihn einen Atemzug lang mit ruhigem Blick. Das flüchtige, friedvolle Bild, dass der kräftige Zwerg mit dem winzigen Säugling auf dem Arm darbot, würde sie in ihren Erinnerungen sicher verwahren.
„Danke.“
Tiefe Dankbarkeit und Wärme versammelte sich in diesem einen Wort. Sie berührte ihn leicht an der Schulter und verschwand eiligen Schrittes in Richtung ihres Zimmers.
Das Kind grub seine Hände in Dwaroschs Bart und gluckste, als es versuchte, den massigen Angroscho mit kugelrunden Augen zu fixieren. Es hatte dieselbe Augenfarbe wie seine Mutter. Und reichte nicht einmal ganz über Dwaroschs muskulösen Unterarm. Als er versuchte, die sich verheddernden Händchen vorsichtig aus seinen Bartflechten zu lösen, schlossen sich die winzigen, energischen Hände um seine Finger – gerade einmal ein Fingerglied passte in die Faust des Mädchens. Triumphierend schwenkte sie ihre Beute und auf ihrem Gesichtchen erschien ein strahlendes Lächeln.
Dwarosch verbrachte den Rest des Vormittags damit, auf die kleine Mirla aufzupassen. Die beiden verstanden sich gut und so war es bereits nach der Praios- Stund, als der Angroschim Marbolieb wecken musste. Während diese das Mädchen stillte besorgte er ein kräftiges Mahl und sie aßen noch miteinander, bevor sich der Oberst verabschieden musste. Seine Männer warteten, waren bereits marschfertig und der Besuch bei der Jagdmeisterin, deren Haus bereits durch seinen Adjutanten ausgemacht wurde, stand auch noch aus.
„Danke.“ Marbolieb sass entspannt am Tisch und betrachtete glücklich die Reste des Essens. Sie wirkte ungleich gelassener und ausgeruhter als noch wenige Stunden zuvor, und auch die tiefen Schatten unter ihren Augen hatten merklich nachgelassen.
„Ich bedaure, dass Du fort musst.“ Sie hing einen Augenblick ihren Gedanken nach. „Ich habe hier zwei Gästezimmer. Wenn Du und Deine Gefährten einmal länger hier seid, seid herzlich eingeladen.“ Als ob irgend jemand, der nicht ihrer Kirche angehörte oder um ihre Dienste nachsuchte, auch nur einen Gedanken daran verschwenden würde, unter ihrem Dach zu nächtigen. Es war ein seltenes Glück und wohl nur Dwaroschs Dankbarkeit geschuldet, dass der Angroscho sie tatsächlich besucht hatte. Doch diese undankbaren Gedanken schob Marbolieb von sich – viel zu zufrieden und glücklich war sie nach diesen unverhofften und so dringend notwendigen Stunden Schlafes, die sie allein dem Oberst zu verdanken hatte. Und seiner Gesellschaft, die sie für vieles hier entschädigte – und die sie über die nächsten Wochen und Monde hier tragen würde. Allein, von Wichtigkeit war eine gänzlich andere Sache.
„Danke, auf das Angebot werde ich die nächsten Götternamen mit Sicherheit einmal zurückkommen.“
„Dwarosch, ich habe eine Bitte.“ Viel verlangt war sie, und doch konnte Marbolieb die Hoffnung aus ihrer Stimme nicht ganz heraushalten. „Sollte mir etwas zustoßen, würdest Du Dich um Mirla kümmern?“ Für ihn nicht wichtig waren die Träume, die sie seit einiger Zeit erhielt, und sie hätte fünfmal lieber Schweigen gelobt, als den tatendurstigen, energischen Oberst zu verunsichern, nun, da er endlich seinen Weg und seine Bestimmung gefunden hatte. Doch bevor sie Mirla in den Händen Mutter Ganslinds und ihres Gemahls Egtor wüsste, die nichts Besseres vermochten, als in jeder Predigt vor dem Übel der Hurerei und dem Verfall der Sitten durch die südländische Metze mit ihrem Bastard mitten in ihren Reihen zu warnen, würde sie den einzigen hier am Orte bitten, dem sie auf einer langen Reise wahrlich zu vertrauen vermocht hatte. Sicher war der Oberst alles andere als ein Garant für Frieden und Bodenständigkeit – doch er war tapfer, entschlossen, seinem Wort und, ungleich gewichtiger, sich selbst treu.
Erschrocken ob der Worte der Geweihten blickte Dwarosch von seinem Teller auf. „Marbolieb… die Art und Weise wie du mich dies fragst verrät mir, dass etwas nicht stimmt. Heraus damit, was ist los mit dir?“
Marbolieb schüttelte den Kopf. „Es geht mir gut, Dwarosch. Doch mir wäre wohl, wenn ich wüsste, dass Mirla umsorgt wird, wenn ich vor Rethon trete.“ Sie bedachte den Zwergen mit einem langen Blick. Ruhig waren ihre Augen und sprachen von stiller Zuversicht und Gelassenheit. „Mach’ Dir keine Sorgen.“
Sie bemerkte das Flackern in den Augen des Zwergen und legte ihm eine Hand auf den Arm, sanft wie die Berührung einer Feder. „Das wird noch einige Zeit dauern, denke ich. Ich kenne nicht den Zeitpunkt meines Todes.“
Was nicht gelogen war. Und auch nicht die ganze Wahrheit. Doch was war Wahrheit schon? Wessen Wahrheit – und die Wahrheit welcher Zeit? Ein zweischneidiges Schwert, verletzend in den Händen eines Weisen und tödlich in den Händen eines Toren.
Dwarosch nickte schmallippig. Er schien nicht ganz zufrieden mit ihrer Antwort, beließ es aber dabei und fragte nicht länger nach.
„Natürlich würde ich die kleine Mirla mit zu mir nach Senalosch nehmen, wenn du mich darum bittest. Aber du weißt, dass ich Teil von Kors Plänen bin und dass Frieden und Sicherheit an meiner Seite kaum ein Dauergast sein werden, auch wenn ich hoffe, das wir auf absehbare Zeit keinen weiteren, bedeutenden Konflikt sehen werden, in den wir involviert werden.“
Er seufzte. „Anders herum betrachtet gibt es im Isenhag kaum sicherere Mauern als die von Senalosch. Der Berg behütet seine Kinder.“
„Mehr kann ich nicht wünschen, Dwarosch. Ich bitte Dich darum. Und ich danke Dir dafür.“ Absolute Aufrichtigkeit lag im Blick Marboliebs, und sprach von einer Last, die sie nun nicht mehr schultern mußte.
Dwarosch legte den Kopf schief und überlegte kurz. Er wollte Marbolieb nicht verletzen und war sich selbst bewusst, mit Worten nicht immer so treffsicher zu sein. „Ich möchte dich mit dieser Frage nicht bedrängen, mir mehr zu erzählen, doch ich muss sie dennoch stellen. Was ist mit dem Vater, weiß er von dem Kind? Hätte er nicht in diesem Fall ein Anrecht?“
Marbolieb ließ sich einige Atemzüge Zeit mit ihrer Antwort. „Dieses wird er nicht wahrnehmen. Und ich werde sie ihm nicht geben.“ Womit für sie alles gesagt war, was es zu diesem Thema zu sagen gab. Sie erhob sich.
„Es ist wie es ist. Lass’ es gut sein.“ Ihre Stimme war wie immer – gelassen und ruhig, und ohne jeden Verdacht darauf, dass Dwarosch mit seiner Frage verbotenes Gelände betreten hätte.
Und das tat er. „Gut. Du hast mein Wort.“
Die Priesterin nickte nur als Antwort darauf – der Worte bedurfte dies schwerlich. Und so trennten sich ihre Wege nur weniges später, nicht ohne dass die Geweihte dem Zwergen noch ihren Segen mit auf den Weg gegeben hätte, ihn den Göttern anempfehlend bei allem, was er unternehmen würde.
Vor der Abreise ging Dwarosch zum Schreiner Calmirs und trug ihm auf, ein Kinderbett zu fertigen und es in den Tempel des Raben zu bringen. Beim Schneider gab er passende Decke, Kissen und einige, einfache Kleidungsstücke für ein Neugeborenes in Auftrag.
Seltsamerweise machte keiner der beiden machte einen besonders begeisterten Eindruck ob des Auftrages, der zudem mit gutem Silber bezahlt wurde. „Mach’ ich. Soll ich was ausrichten, wenn ich’s abliefere?“ brummte die Schreinerin, die den Angroscho neugierig und von oben bis unten gemustert hatte, aber überaus bereitwillig die Münzen einstrich und mit Dwarosch die gewünschte Ausführung besprach.
Dwarosch schüttelte nur den Kopf über so viel Verbohrtheit. Eine abgelegene Lage und das war bei Calmir definitiv der Fall, führten schnell zu einem verschrobenen, abweisenden Menschenschlag. Nun ja, bei den Angroschim war dies auch nicht viel anders. Die Söhne und Töchter Okdraxamurs, der dunklen Wacht, die tief unter dem Eisenwaldmassiv die Tore Isnatoschs bewachten waren ebenfalls sehr eigen.
„In den Borontempel?“ Ein fassungsloser Blick des Schneiders, irgendwo zwischen Argwohn und Angst, traf den Angroscho, als dieser seine Bestellung aufgab. Und doch wagte auch der keine Widerworte, nannte aber geistesgegenwärtig einen stolzen Preis, fragte nach Wunsch und Begehr und betrachtete den Zwergen, als trage dieser Hörner oder habe einen Bart aus Feuer.
Argwöhnisch zog Dwarosch die Brauen zusammen. Jetzt wurde die Sache doch merkwürdig. „Was ist denn an Arbeit für den Boron- Tempel auszusetzen, habt ihr etwa Angst vor seinen Mauern?“
„Wer mit dem Raben tändelt, den holt er!“ Entschieden und schnell kam die Antwort des Schneiders, auf dessen Zügen selbstgerechte Empörung stand. Er warf einen Blick auf Dwarosch und bedachte die Dinge, die dieser bestellt hatte, und schloss einen Mund mit einem lauten Klappen. Seine gesamte Gestik drückte Entrüstung aus, ebenso wie seine zu einem Strich zusammengepressten Lippen erklärten, dass sich dieser Fremde gefälligst nicht in die inneren Angelegenheiten des Dorfes einzumischen hatte.
Der Zwerg lachte herzhaft, wandte sich gemächlich zum Gehen und winkte ab. „Wenn du meinst.“ Dennoch konnte er es nicht lassen beim Verlassen der Werkstadt noch eine Erwiderung fallen zu lassen. „Mich hat der Rabe am Leben erhalten, guter Mann.“
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Das Haus der Jagdmeisterin, Aldaia Deringer, lag schon außerhalb des Dorfes, durch eine hohe Schlehenhecke hin zum Etter und den Feldern abgegrenzt. Es war kein kleines, einstöckiges, spitzgiebliges Fachwerkhaus mit schön beschnitzten dunklen Balken. Das Dach war mit von Dachwurz überwucherten Holzschindeln gedeckt, die Gefache mit weißem Kalk strahlend hell gestrichen. Neben dem Haus streckte ein kahler Holler seine Äste auf’s Dach, während sich ein hölzerner Schuppen, aus an die der Wetterseite abgewandte Seite lehnte. Auf der Wetterseite sprang das Dach weit vor und schützte mehrere Stapel ordentlich aufgeschichteten Brennholzes vor der Unbill der Elemente.
Als der Oberst nähertrat, erklang das Bellen vierer großer Hunde, die sehr wohl den Eindringling bemerkt hatten. Ein Kettenhund sprang aus einem Verhau neben der Tür und schoss bis zum Tor in der Hecke, während er den Eindringling verblaffte.
„Ruhe!“ Ein energischer Rufeiner Frau drang aus dem Inneren und übertönte mühelos das Geblaffe der vierbeinigen Wächter, das sofort verstummte.
Die obere Hälfte der geteilten Haustür öffnete sich und eine Frau mit graudurchschossenem, schwarzen Haar, das sie zu zwei strengen Zöpfen geteilt hatte, blickte nach draußen. Die Mittfünfzigerin war etwa einen Schritt und 35 Finger groß und hatte wache, braune Augen. Neben ihr reckten sich die Köpfe von vier Hunden empor. Zwei davon waren massige Tieren, die nach einer Mischung aus Winhaller Wolfsjägern und Wehrheimer Doggen aussahen, groß und zottig, die anderen zwei waren elegante Jagdhunde mit langen Schnauzen und glattem, goldbraunem, seidigen Fell, nicht viel kleiner allerdings als ihre muskulösen Gefährten. Alle zusammen betrachteten den Angroscho aus wachen, lauernden Augen.
„Wer seid Ihr und was wollt Ihr?“ Die Frau machte wahrlich keinen vertrauensseligen Eindruck.
Der Oberst kam sogleich zur Sache und überreichte ihr das gesiegelte Schreiben, welches er vom Baron ausgehändigt bekommen hatte.
„Firun zum Gruße gute Frau. Mein Name ist Oberst Dwarosch vom Regiment Ingerimms Hammer. Ich benötige euer Wissen über diese Region und dieses Dokument sollte euch davon in Kenntnis setzen das der Herr Baron mir diese zugesteht.“
Die Jagdmeisterin hatte ihre Hunde mit einem scharfen Wort zur Ruhe gerufen. Nun saßen die Tiere mit gespitzten Ohren und wachem Blick am Boden und betrachteten jede noch so kleine Regung des Zwergen. Aldaia überflog das Schreiben und gab es schließlich an den Oberst zurück. „Wenn seine Hochgeboren das befiehlt, mach’ ich das. Sagt mir, wann und wo ich Euch führen soll.“
Hart waren die Augen der Frau und passten zu ihrem wettergegerbten Gesicht, auch wenn sie sich durchaus bereitwillig zeigte.
„Meine Gebirgsjäger werden nach Calmir kommen, wenn die Schneeschmelze vorbei ist. Der Hauptmann wird dieses Schreiben mit sich führen. Bitte helft ihm die für sie schnellsten Routen durch die Berge auszumachen. Es sind leicht gerüstete Schützen, allesamt gebirgskundig und mit entsprechender Ausrüstung versehen.“
„Das mache ich.“ Die Jägerin nickte, offensichtlich gewohnt, Befehle nicht zu offensichtlich zu hinterfragen – und sichtlich nicht auf ein Schwätzchen aus. „Sonst noch etwas?“
Ganz konnte sie die Neugier nicht ablegen, die sich dabei in ihren Blick geschlichen hatte. Zwerge? Mit Billigung des Barons? Sie hätte einiges erwartet - dies nicht.
Dwarosch schüttelte den Kopf. „Nein, das wäre schon alles. Habt Dank für die Kooperation.“
Doch im Abwenden hielt er noch einmal inne und machte ein nachdenkliches Gesicht. „Sagt gute Frau, was würdet ihr dafür verlangen die nächsten drei Götternamen etwas von eurem Jagdglück zu teilen? Mir liegt das Wohlergehen ihrer Gnaden Marbolieb und dem Kind am Herzen. Und bevor ihr die naheliegende Frage stellt. Sie rettete mein Leben auf dem Feldzug.“
„Das Mäuschen?“ Nun machte die Frau doch große Augen. „Wenn Ihr denn meint.“ Sie nannte eine Zahl, die halbwegs angemessen sein mochte, doch so ganz verstummte die Neugier in ihrem Blick nicht, auch nicht, als die Zwerge sich wenig später verabschiedeten. Das eher geruhsame Leben im Winter in Calmir hatte heute eine Menge neuer ... Anstöße .. erhalten. Auch wenn Aldaia sich größtenteils aus den Kabalen und Stänkereien der Dorfgemeinschaft heraushielt – den größten Teil des Jahres wohnte sie her und konnte nicht umhin, zumindest stille Beobachterin des Dorfklatsches zu sein. Der nun gänzlich neuen Schwung erhalten hatte. Sie sah den kriegsgewohnten Angroschim hinterher, pfiff dann nach ihren Hunden und ging zurück in ihre Hütte. Auf ihren Lippen indes lag ein kleines und nicht unbedingt freundliches Lächeln.