Eine saubere Sache

Eine Saubere Sache

Eine Geschichte aus Eisenhuett (Phex bis Peraine 1046 BF)

Teilnehmer

Prolog


Anfang Phex erreichte ein Schreiben aus Eisenhuett den Gutshof. Verschlossen war es mit dem Siegel des Stadtmeisters der Reichsstadt Eisenhuett, welcher direkt im Namen der Kaiserin über die Stadt herrschte. Nun wusste jeder, dass sich Geiserich Obersperger, der kaiserliche Vogt, selten um die alltäglichen Amtsgeschäfte kümmerte. Dies war die Aufgabe seiner Amtsschulzin, Isavena Kannholt. Die resolute Frau wurde vor knapp zwei Jahren eingesetzt und regierte mit eiserner Hand. Mit mindestens einem Zunftoberhaupt habe sie sich bereits überworfen, wie man munkelt.
Man erzählte sich zudem, dass sie damals aus dem Garetischen in die Nordmarken kam, warum es sie jedoch ausgerechnet in die kleinste Reichsstadt verschlagen hatte, darum rankten sich lediglich Gerüchte.
Auf jeden Fall gab es reichlich zu tun, befand sich das Städtchen bereits seit einigen Jahrzehnten im steten Niedergang. Selbst das Hammerwerk vor den Toren der Stadt, in welchem die Erzeugnisse der Angroschim aus den Eisenbergen verarbeitet wurden, stand häufiger still, als dass es in Betrieb war.
Und wie zu vermuten war, stammte das Schreiben auch aus der Feder der Amtsschulzin. Sie lud den Edlen im Namen des Vogtes zu einem informellen Treffen in die Reichsstadt ein, zum “Austausch von Gedanken und Ideen, auf dass Stadt und Landt profitieren möge!”, wie sie schrieb. Eine sehr vage Andeutung!
Das Treffen in der Amtsstube ist für den 20. Phex zur Efferdstunde anberaumt. Weitere Informationen enthält die Einladung nicht.

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Gerho ließ das Schreiben sinken und stand auf.
"So, so. Stadt und Landt also?" murmelte er in seinen Bart. 'Ob Schleiffenröchte davon weiß, dass das Siegel von Obersperger über sein Landt reden will? Ob Obersperger weiß? Es dürfte gut ein Jahr her sein - der Austausch mit ihr zum Kennenlernen,' dachte er sich. 'Viel war ja nicht passiert, seit sie übernommen hatte.'

Später unterrichtete er Hildraïn, dass sie ihm kommende Woche den 20. und 21. frei halten möge, da ihn Vogt Obersperger in die Stadt geladen hätte. Auch möge sie im Toten Boten Bescheid geben lassen, für den 20. zu Perainestund’ Frühstück zu richten und dass er von dort zu Fuß gehen wolle.

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Hlûdoald und Praiophatius ritten den Weg zum Gutshof hinauf, passierten das Tor und zügelten ihre Pferde an der Tränke. Von der einen Seite kam ein Stallbursche angelaufen und von der anderen Peraingard, die Tochter des Ritters.
Aufgeregt wedelte sie mit einer Pergamentrolle und rief:
„Ein Bote war eben hier und hat das hier für dich gebracht!“
Der schwarzhaarige Hüne wandte sich zu seiner Tochter um, gerade rechtzeitig um sie aufzufangen, denn das Mädchen kam schon auf ihn zugeflogen. Ihr überraschter Blick ließ ihn auflachen. Mit enttäuschter Stimme sagte sie:
„Ich wollte dich überraschen und dir auf den Rücken springen. Hab extra leiser gesprochen, damit du denkst, ich sei noch weiter weg!“
Er drückte sie fest an sich und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
„Sei nicht traurig, du weißt doch, ein Ritter ist stets aufmerksam und rechnet immer mit allem!“
Das es purer Zufall war, dass er sich zum rechten Augenblick umgedreht hatte, musste sie ja nicht unbedingt wissen. Er setzte sie auf seine Schultern und blickte zu Praiophatius Dreyschwehrdt, seinem Waibel. Der neigte sein Haupt lächelnd:
„Ich kümmere mich um alles euer Wohlgeboren! Seid unbesorgt!“
Hlûdoald ahnte, dass dem kriegserfahrenen Soldaten, im Gegensatz zu seiner Tochter aufgefallen war das es eher Phex als Rondra seine Hand im Spiel gehabt hatte, er nickte und ging mit Peraingard auf den Schultern zum Haupthaus.
Die Kleine wedelte mit der Schriftrolle vor seinen Augen herum.
„Darf ich es dir vorlesen? BIIIITTEEE!!!“
„Lass mich das Siegel sehen, dann entscheide ich!“
Sein Blick fiel auf seinen Sohn, der wie meist neben der Steinbank auf dem Boden hockte und gedankenverloren mit einem Stock im Sand herumstocherte. Seufzend schüttelte er den Kopf, nahm seine Tochter von den Schultern, bückte sich etwas und trat durch die niedrige Eingangstür.
Im Haus empfing ihn das Gebrüll von Säuglingen.
Seine Frau hatte im Rahja des letzten Götterlaufs Zwillinge geboren und im Gegensatz zu Peraingard und vor allem Hlûdohardt waren die Zwillinge sehr laute Mitbewohner. Seine Frau tat ihm wirklich leid!
Und er sich auch ein bisschen, Perainlind war in den letzten Götternamen etwas gereizt.
„Papa? Kuckst du jetzt, ob ich dir DAS“, sie wedelte sehr energisch mit dem Schriftstück vor seinen Augen, „vorlesen darf?“
Augenrollend nahm er die Pergamentrolle und blickte auf das Siegel und runzelte überrascht die Stirn. Das Siegel der Reichsstadt.
„Darf ich’s vorlesen?“ holte ihn die ungeduldige Stimme seiner Tochter aus den Gedanken!
Er klemmte sich das Schriftstück zwischen die Beine, griff seine Tochter und stellte sie vor sich.
„Tut mir Leid, aber das Schreiben ist nicht für deine Augen bestimmt!“ erklärte er bedauernd. Peraingard nickte und zog schmollend von dannen.
Rasch brach er das Siegel und las.

Perainlind war nicht gerade begeistert, als sie erfuhr, dass ihr Gemahl sie für mindestens zwei Tage allein mit der Familie und dem Lehen ließ, aber natürlich war ihr bewusst, dass Hlûdoald nicht wirklich absagen konnte.
Hlûdoald hatte auch einen Boten zu seinem Schwertvater auf das benachbarte Edlengut Garstenborn geschickt, um sich und seinen Waibel für den 19. Phex anzukündigen und darum ersucht, auch Quartier für die Nacht zu erhalten.
Er wollte sich unbedingt mit seinem Schwertvater, Ritter Gerho Alban von Bittersteg Edler zu Garstenborn über diese unerwartete Einladung besprechen, vielleicht hatte dieser gar selbst eine Einladung der Amtsschulzin erhalten.
Am 19. Phex zur 10. Stunde, der Perainestunde, ritt Hlûdoald in Begleitung seines Waibels nach Garstenborn zu seinem Schwertvater.

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Gerho war erfreut und erstaunt zugleich über die Nachricht von Hlûdoald. Hatten sich die Familien doch erst vor zwei Wochen gesehen und zusammen gefeiert. 'Wenn Obersperger auch die Nachbarn eingeladen hat, ist es womöglich eine größere Sache. Ob ihm Tsa und Praios zum Erneuerungsfest einen eingeschenkt haben?'.

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Als Hlûdoald und Praiophatius eintrafen, nahm die Köchin sie in Empfang. Ein üppiges Mahl war bereits zurecht gestellt. "Herzlich Willkommen! Stärkt euch erst einmal. Die Herrschaften wurden heute in der Früh beide dringlich nach Garstengau gerufen und lassen sich vielmals entschuldigen. Sie wollen rechtzeitig zum Abendmahl zurück sein. Sie freuen sich schon, Euch zu sehen."

Die Begrüßung mit Hildraïn und Gerho war herzlich. Gerho unterrichtete Hlûdoald und Praiophatius über sein Vorhaben, zur achten Stunde aufzubrechen. Er wolle mit dem Wagen Bier und andere Dinge nach Bosboldenbruch mitnehmen, so dass der Kutscher hier etwas Arbeit aufholen kann. Für Neun seien im Toten Boten drei Frühstück bestellt, und auch Plätze für die Pferde bei Bedarf. "Ich würde gerne laufen. Vielleicht können wir zu Fuß ein paar Strauchdiebe festsetzen, wenn wir sie nicht hoch zu Roß weithin sichtbar abschrecken. Doch wenn ihr lieber zu Pferde reisen wollt, und nur ich laufe," nickte Gehro den beiden zu, "warum nicht.”

Den Abend verbrachte man mit geselligem Beisammensein. Die Unterhaltung wurde persönlicher, als es auf einem Fest möglich war.

Hlûdoald fühlte sich sehr wohl im Kreis der Familie seines Schwertvaters, war ihm dieser doch nach dem Tod seines leiblichen Vaters zu einem engen Vertrauten geworden. Ungezwungen saß man beisammen, sprach über die Schäden, die der Schnee und Frost der zurückliegenden Götternamen angerichtet hatte und die bevorstehende Aussaat. Nach einiger Zeit wechselten die Themen in privater, familiäre Themen.
Hlûdoald sprach davon das er sich große Gedanken über die Zukunft seiner Schwester Brintwina mache und sie selbst keine große Hilfe sei, da sie es an dem einen Tag ihrem Vater und ihrem Bruder gleichtun wolle und eine Ritterin werden, am nächsten Tag dann eine Geweihte werden wollte, nur um den darauffolgenden Tag zu verkünden sie würde gerne nach Elenvina an die Rechtsschule gehen und Rechtsgelehrte werden. Verzweifelt schüttelte er sein Haupt und blickte in die Runde.

Hildraïn wog den Kopf. "Der Wille der Zwölf ist nicht immer das, was uns lieb ist. Mit Travidad hatten wir auch unsere Liebesmüh. Sie schien zu nichts zu gebrauchen, hat in einem fort Melodien aus der Luft gegriffen und aufgeschrieben. Brintwina wird euch beiden gerecht werden wollen, so lieb hat sie euch. Vielleicht vernimmt sie zwischen den elterlichen Vorbildern den Ruf Peraines?".
Gerho stimmte ein. "Ihr beiden habt euren Vater verloren und eines deiner Kinder wird das Gut übernehmen. Ich könnte die Geweihte in Garstengau bitten, Brintwina für eine Woche zu sich zu nehmen und wir schauen, ob es Peraines Stimme ist. Perainlind sollte sich mit Hesinde beraten, wessen Kind Brintwina ist."

Hlûdoald hatte seinem Schwertvater und dessen Gemahlin aufmerksam zu gehört.
An Gerho gewandt antwortete er: „Hab Dank! Ich werde dein Angebot mit Perainlind und Brintwina besprechen wenn ich zurück auf Gut Rappach bin.“
Da nun die Sorgen mit den Kindern genügend besprochen war fasste sich Hlûdoald ein Herz und fragte seinen Schwertvater: „Gerho, was hältst du von dem Schreiben dieser dieser Isavena Kannholz?“
Er überlegte kurz „Kannholt“ korrigierte er sich triumphierend.
„Ich habe bisher nicht viel von der Amtsschulzin gehört und was ich gehört habe lässt sie nicht unbedingt besonders….“ Wieder suchte er nach dem passenden Wort „mitfühlend erschienen. Der kaiserliche Vogt scheint ihr wohl weitestgehend freie Hand zu lassen. Hmmm seit ich ihr Schreiben gelesen habe, frage ich mich, was diese Frau im Schilde führt!“ fragend blickte er Gerho in die Augen „Hast du eine Ahnung was sie von uns wollen mag?“

“Bei weitem nicht! Ich nehme an, dass sie nicht nur uns geladen hat. Ob sie wirklich über’s Landt reden will, wie sie schrieb? Vielleicht will Schleiffenröchte da auch mitreden. Oder es war nur eine Amtsfloskel und sie will schlicht einen Vorgang abhaken.”
Gehro atmete tief durch. “Für den Fall, dass Obersperger oder Schleiffenröchte von uns Zeit oder Geld wollen, sollten wir uns morgen unterwegs über ein oder zwei Dinge klar werden, die wir in Praios’ Waagschale werfen könnten.”
Dann blickte er an die Decke des Raumes. “Von meiner Ecke mit der Stadt zu Deiner Ecke mit Luchsenhof. Ein klarer Schnitt durch die Domäne. Der Bach als Grenze zwischen uns. Die beiden Weiler links und rechts daneben. So würden die Kosten schon wieder zu uns zurückfließen. Das wäre eine saubere Sache.”
“Grundgütige!”. Hildraïn vergrub ihr Gesicht in die Hände.

Gerho besann sich, dass er bereits an der Baronie sägte statt am Gebiet der Reichsstadt, und schaute wieder in die Runde. “Wie dem auch sei. Wir sollten Kannholt oder Obersperger keine Zugeständnisse machen, ohne mit Vogt von Schleiffenröchte gesprochen zu haben.”
So klang der Abend am Kamin gemütlich aus.

Aufmerksam und interessiert hatte er den Ausführungen des Hausherren zugehört. Wieder einmal musste er erkennen, wie wenig er sich in Dingen dieser Art auskannte.
Hlûdoald wusste ein Schwert zu führen und verstand, mit Pferd und Lanze zu streiten, beides Fähigkeiten, in denen sein Schwertvater bestens ausgebildet hatte, aber was ihn wohl bei einem solchen Gespräch erwarten könnte, übersteigt seine Vorstellungskraft. Was nicht daran lag, dass sein Schwertvater ihn in dieser Hinsicht schlecht geschult hätte, vielmehr interessierten ihn solcherlei Dinge nicht. Ein Umstand, den er nun als Herr über ein Lehen dringend würde ändern müssen.
Er pflichtete Gerho bei, sich erst mit dem Herrn der Baronie zu besprechen, bevor man irgendwelche Zusagen traf.
Er würde die nächsten Tage nutzen und versuchen möglichst viel von Gerho zu lernen.

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Am nächsten Tag trug Gehro eine robuste Lederkluft, festes Fußwerk, einen schlichten aber feinen Überwurf, sein Langschwert am Gurt und das kleine Rundschild auf dem Rücken. ‘Praktisch für einen Wandertag und nicht zu viel für einen lockeren Plausch beim Reichsvogt über was auch immer.’

Bosboldenbruch war zügig erreicht. Nach dem Frühstück bedankte sich Gerho bei der Wirtin des Toten Boten und drückte ihr drei Silber in die Hand.
"Aber Euer Wohlgeboren?!", verbeugte sie sich mit einem Schmunzeln.
"Wie pflegte mein alter Herr zu sagen? Auf dass?", entgegnete Gerho und die Wirtin stimmte freudig ein. "Unsere Kassen stimmen, müssen erst die euren klingen!"
Mit einem “Vergelt’s Praios! Möge Er Euch heil zurück bringen!” öffnete die Wirtin den Herrschaften die Tür.
Beim Hinausgehen vernahm man noch etwas Getuschel. "War das nicht der Junge Herr?", "Unser Wohlgeboren!", "Nein, der andere!".

Hlûdoald ging, gefolgt von Waibel Dreyschwehrdt hinter seinem Schwertvater aus dem Toten Boten hinaus an die frische Luft. Wie bereits am Vortag trugen die beiden Rappacher Koscher Gambeson, Lederhose und schwere Reiterstiefel, den verstärkten Holzschild auf dem Rücken und das Schwert an der Seite.
Gesättigt und gut gelaunt schritten die beiden Ritter in Richtung Reichsstadt Eisenhuett, Praiophatius folgte in einigen Schritt Abstand.
Hlûdoald blickte sich interessiert um war das Edlengut Garstenborn doch sechs Jahre seine Heimat gewesen und oft führten ihn Botengänge oder Besorgungen für seinen Schwertvater unteranderem nach Bosboldenbruch. Im Toten Boten traf er sich auch gelegentlich mit Perainlind, die dann aus Rappenhag vom Gut ihres Onkels nach Bosboldenbruch gelaufen kam.
Sie hatten immer artig im Gastraum gesessen und sich bei verdünntem Wein und etwas Brot, Käse und Schinken unterhalten. Bis sie eines Tages auf die Idee gekommen waren etwas spazieren zu gehen und kurz hinter Bosboldenbruch in der Scheune gelandet waren. Ein Schuss ein Treffer, weniger Wochen später stand er vor Ritter Gerho Alban von Bittersteg und beichtete was geschehen war und bat ihn auf Knien er möge ihnen die Erlaubnis erteilen den Traviabund zu schließen. Er richtete seinen Blick auf seinen Schwertvater, der nicht mehr ganz so jung war wie sein strammer Schritt vermuten ließ. Er bewunderte den Mann und hoffte sehr einmal genauso ein Vorbild für seine Kinder und vielleicht einst auch einen Knappen zu sein wie Gerho es für ihn ist.

Am frühen Mittag erreichte man die Reichsstadt, nicht ohne sich vorher noch einmal gegenseitig versichert zu haben, über Zusagen zu “Stadt und Landt” zunächst mit ihrem Vogt beraten zu wollen.

Ankunft in der Reichsstadt


Die Tore der Reichsstadt standen - wie zumeist - weit offen und luden den Besucher. Vor dem Tor nahm gerade ein Mitglied der Stadtgarde einen Karren in Augenschein, winkte diesen dann aber lustlos durch. Den drei Männern nickte die Wache, ein Mann mittleren Alters mit deutlich zu sehendem Bauchansatz und Dreitagebart sowie stattlichen Tränensäcken, kurz zu und ließ diese ohne Weiteres passieren.
Die Mauern der kleinen Stadt waren - zumindest für eine Stadt dieser Größe - zwar dick und hoch, jedoch auch in einem bedauernswerten Zustand. Ließ man den Blick über die Zinnen schweifen, so sah man immer wieder abgebrochene Mauerstücke. Zudem war gemeinhin bekannt, dass zwei der fünf Wehrtürme gesperrt wurden, da die Zwischenböden einsturzgefährdet waren.
Allerdings drohte der Stadt nur wenig Unbill. Die letzte kriegerische Auseinandersetzung auf Nordmärker Boden lag bereits viele Jahrzehnte zurück und die Zeiten waren so friedlich wie seit Kaiser Retos Regentschaft nicht mehr.

So liefen die drei Männer weiter zum zentralen Platz, auf dem einmal in der Woche der große Markt abgehalten wurde.

Hlûdoald wandte sich zu Praiophatius um.
“Waibel Dreyschwehrdt ich denke eure Dienste werden heute nicht mehr benötigt. Seht nach eurer Familie. Lasst euch Zeit es sollte reichen wenn ihr am morgigen Tag den Rückweg nach Rappach antretet.” Praiophatius verneigte sich leicht “Habt Dank euer Wohlgeboren. Ich wünsche euch Praios’ Segen!”
Er verneigte sich noch in Richtung Gerho’s und schritt von dannen.
Auch die beiden Ritter setzten ihren Weg fort.

Das Haus der Stadtmeisterei, ein zweistöckiger, verwinkelter Fachwerkbau, dessen Putz ebenfalls schon abblätterte, schmiegte sich beinahe schon unauffällig an das aus kantigen Quadern gemauerte Rathaus, in welchem der Rat der Zünfte tagt.
Lediglich eine kleine Bronzeplakette neben dem zweiflügeligen Eingangsportal der Stadtmeisterei erinnerte den Besucher daran, dass hier der eigentliche Herrscher der Stadt anzutreffen war. Auch wenn die Tür ins Innere des Hauses zwei Flügel hatte, so musste man beim Durchschreiten doch den Kopf einziehen, denn der flache Sturz war recht tief angebracht. Man erzählt sich in der Stadt die Geschichte, dass vor vielen Dutzend Götterläufen der damals Zwergische Stadtmeister den Sturz hat tiefer setzen lassen, damit die “Großbeinigen” sein Haus mit der standesgemäßen Verbeugung betreten mussten.
Durch die schmalen Butzenglasfenster drang nur wenig Licht in das Innere des Gebäudes, was gemeinsam mit den schmalen Fluren und verwinkelten Ecken dafür sorgte, dass man das Gebäude trotz seiner vergleichsweise kleinen Grundfläche von vielleicht acht auf fünfzehn Schritt für ein kleines Labyrinth halten konnte.
Die Stube der Amtsfrau lag im ersten Stockwerk, direkt gegenüber der schmalen Holztreppe, die bei jedem Schritt knarzende und quietschende Geräusche von sich gab.
Die Türe zum Vorzimmer stand offen und hinter einem dunklen Sekretär aus Eichenholz stand ein älterer Mann, der die zwei Gäste mit zusammengekniffenen Augen begutachtete. Er trug ein enganliegendes, blaues Hemd, welches bis unter das Kinn zugeknöpft war, und darüber eine nahezu schwarze Weste. Seinen Schopf zierte nur noch ein kurz geschorener, dunkler Haarkranz.
Rechterhand standen einige Stühle vor der holzvertäfelden Wand und auf einem dieser saß eine hagere Frau, die eine grüne Tunika mit gelb-goldenen Bordüren trug. Unter der Tunika war eine helle, beinahe weiße Leinenbluse zu sehen. Die Frau mochte zwischen dreißig und vierzig Götterläufe zählen und ihr braunes Haar, welches ihr kaum über die Ohren reichte, stand hier und da zu Berge. Sie wirkte zudem nervös, da ihr rechtes Bein stetig auf und ab wippte.
Als die zwei Männer den Raum betraten, blickte sie einen Moment unentschlossen in deren Richtung, sprang dann aber hektisch auf und rief mit überraschend wohlklingender, tiefer Stimme aus: “Ah, Ihr seid sicher die Edlen!”.
Dem älteren Herr entfuhr daraufhin ein spitzes Geräusch, so als habe er ein abscheuliches Getier auf dem Boden entdeckt.

Gerho legte seinen Arm hinter Hlûdoald und schickte ihn an, einen Schritt vorzutreten.

Hlûdoald wunderte sich etwas das sein Schwertvater offenbar ihm das Wort überlassen wollte. Kurz blickte er sich in dem kleinen Raum um, den Alten ignorierend wandte er sich an die Sprecherin.
Auf Gerho deutend begann er: “Praios' zum Gruß Ritter Gerho von Bittersteg Edler zu Garstenborn” auf sich zeigend fuhr er fort “Ritter Hlûdoald von Markartshof Edler zu Rappach. Die Amtsschulzin Isavena Kannholt bat uns zu einem Gespräch, wenn ihr uns Ankündigen würdet.” Er blickte der Frau fest in die Augen und wartete auf ihre Reaktion.

Gerho nickte zustimmend zum Gruß.

Der Frau schlich sich mit einem Male eine Röte ins Gesicht und sie begann zu stammeln: “Achso…ähm…ja, richtig…also ähm…Ensfrit Löbich!” Sie verbeugte sich leicht vor den beiden Männern und fügte dann gezwungen lächelnd hinzu: “Scriptorin seiner Hochgeboren Jast Godehard von Schleiffenröchte, dem Vogt der Baronie.” Dann warf sie einen Blick auf den alten Mann, dessen Unterkiefer mittlerweile gut sichtbar zu mahlen begonnen hatte, ehe sie fortfuhr: “Ich bin selbst geladen. Äh…also nicht ich, sondern der Vogt, aber er lässt sich entschuldigen und…ähm…schickt mich!”

Hlûdoald musterte die braunhaarige, schlanke Frau kurz. Nein, sie war ihm nicht bekannt, obwohl er als einstiger Dienstritter des Vogtes eigentlich dessen höherrangigen Bedienstete kannte. Aber gut, er war nun schon mehr als einen Götterlauf nicht mehr in der Residenz des Vogtes gewesen, daher war es nun auch nicht wirklich verwunderlich, dass er die Scriptorin nicht kannte.
Seinen Blick weiter auf die Frau gerichtet neigte er mit einem freundlichen Lächeln leicht sein Haupt: „Praios zum Gruß Scriptorin Ensfrit Löbich!“
Dann wandte er sich dem alten Mann zu. Der Ritter verspürte sofort eine unerklärliche Abneigung gegenüber diesem Mann und hatte den Eindruck, dass dies durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte. Ja, der junge Ritter und der Alte würden wohl keine Freunde werden.
Mit freundlicher, aber bestimmter und festen Stimme und einer leichten Verbeugung sprach er ihn an: „Praios zum Gruß. Verzeiht meine Unaufmerksamkeit!"
Natürlich hätte es ihm gleich auffallen müssen, auch wenn es die Frau war, die sofort das Wort an sie richtete, der Alte befand sich hinter dem eichenen Sekretär und somit war es offensichtlich, es handelte sich um sein HOHEITSGEBIET. „Nun wer wir sind und was unser Begehr ist, habt ihr vernommen. Wenn ihr die Freundlichkeit haben wollt und uns mitteilt, mit wem wir die Ehre haben!“
Eigentlich etwas dick aufgetragen für einen Adligen gegenüber, vermutlich, dem Scriptor einer Amtsfrau, aber eine innere Stimme riet ihm zur Vorsicht.
Der ältere Mann rümpfe seine Nase und antwortete nur knapp mit völlig emotionsloser Stimme: “Meister Reto, Justiziar der hiesigen Amtsgewalt.” Dann deutete er einen Schulterblick an, wobei ein jeder im Raum wusste, dass er höchstens bis zur Seitenwand hatte blicken können. Zudem war die Tür hinter ihm geschlossen, sodass ein Blick in die Stube der Schulzin nicht möglich war. Dennoch fuhr er ebenso tonlos fort: “Die Dame ist noch beschäftigt und bittet die Herrschaften noch kurz zu warten.” Dann nickte er in Richtung der Stühle, die zu seiner Linken an der Wand standen, woraufhin sich die hagere Frau mit einem Seufzen auf den Lippen wieder niederließ.

Gerho zog die ohnehin zusammengewachsenen Augenbrauen zusammen und deutete eine Verneigung Richtung Justitiar an. Anschließend nahm er mit freundlichem Nicken zur Scriptorin und einem “Frau Löbich!” Platz.

Der breitschultrige Hüne nickte dem Alten freundlich zu :
„Habt Dank, Meister Reto!“
Was der gute Reto wohl auf dem Kerbholz hatte? Dass ein Gelehrter seines Alters nur das Vorzimmer einer Amtsschulzin bewachte, schien dem Ritter doch etwas ungewöhnlich. Zumal Rechtsgelehrte sehr gefragt und gut bezahlt waren. Achselzuckend setzte er sich, zwei Stühle zwischen sich und Ensfrit Löbich freilassend, schließlich schien die Scriptorin eh schon sehr gestresst und er wollte vermeiden, dass sich die Frau bedrängt fühlte.
Nach einer kleinen Weile des allgemeinen Schweigens richtete er dann doch das Wort an die Mittdreißigerin: „Ich hoffe seine Hochgeboren sind wohlauf und es liegt nur an den vielen Terminen und Aufgaben die auf Hochgeboren lasten welche es ihm unmöglich machten selbst nach der Reichsstadt zu reisen!“ Seine tiefe Stimme war von Natur aus warm und freundlich und so hoffte er mit einer unverfänglichen Plauderei der Scriptorin etwas von ihrer Nervosität nehmen zu können. Insgeheim vermutete Hlûdoald, der Vogt hatte schlicht und ergreifend kein allzu großes Interesse an einem Gespräch mit der Amtsschulzin und maß dieser Unterredung wenig Bedeutung bei.

Ensfrit Löbich kicherte etwas nervös in sich hinein, was sie mit einer abwehrenden Handbewegung begleitete.
“Nein, nein, ihm geht es gut!”, beschwichtigte sie, ehe sie den Kopf ein wenig zu dem Ritter neigte und flüsternd hinzufügte: “Aber könntet Ihr euch ausmalen, wie er an meiner Statt hier säße und darauf wartet, von dem Alten da aufgerufen zu werden?”

Hlûdoald musste bei dem Gedanken unwillkürlich lächeln.
Nein, Jast Godehard von Schleiffenröchte würde hier wohl kaum artig auf einem der harten Stühle sitzen und darauf warten, dass eine Amtsschulzin in der Stimmung war ihm zu empfangen. Selbst er musste schon etwas Selbstbeherrschung aufbringen, um diese Art der Behandlung zu erdulden. Hauptsächlich das Vorbild seines Schwertvaters, welcher die ungebührliche Situation mit einer bewundernswerten Gleichmut hinnahm und die Neugier, was diese Amtsschulzin wohl von ihnen wollte, daß sie sogar den Vogt der Baronie Eisenhuett einlud.
Diese Dame war entweder nicht mit sehr viel Klugheit oder einer gehörigen Portion Selbstüberschätzung und einem größeren Mangel an Etikette versehen, dass es ihr angebracht erschien einen Mann wie Jast Godehard von Schleiffenröchte auf diese Weise zu empfangen. Selbst einem Ritter brachte man gewöhnlich etwas mehr Aufmerksamkeit entgegen. Wahrscheinlich hatte diese Isavena Kannholt auch nicht damit gerechnet dass der Vogt persönlich erscheinen würde.
Schmunzelnd antwortete er: „Es wäre zumindest nicht mehr ganz so friedlich, möchte ich meinen!“

Gerho beugte sich Richtung Löbich.
“Wir sollten ihn vielleicht im Anschluss um ein Gespräch ersuchen.", flüsterte er In der Hoffnung, dass der Justitiar ebenso taub war, wie er blind zu sein schien.

Interessiert wartete Hlûdoald auf die Antwort der Scriptorin auf das Ansinnen Gerho's.

Die Frau beugte sich noch etwas weiter hinüber, sodass Gerho sie trotz des Flüsterns verstehen konnte: “Seine Hochgeboren sind nicht da. Er weilt in Elenvina!”, sie betonte den Namen der Stadt so auffällig, als steckte mehr hinter der bloßen Erwähnung.

Noch ehe einer der beiden Ritter antworten konnte, schwang die Tür hinter dem Justiziaren auf, sodass dieser sich erschrak und ihm wieder ein spitzer Schrei entfuhr. Durch die Tür stürmte ein fülliger und bärtiger, älterer Mann, der mit einer Amtskette behängt gewesen ist. In der Hand hielt er einen Zierhut mit schmaler Krempe, der farblich zu dem schweren, dunkelgrünen Gehrock passte, welcher dem Betrachter den Eindruck vermittelte, dass dessen Träger gut betucht sein musste. Der Mann hatte einen hochroten Kopf und murmelte erregt Worte vor sich hin. Die drei auf den Stühlen sitzenden Gäste bedachte er lediglich mit einem Seitenblick, ehe er auch schon wieder aus dem Raum verschwunden war. Man hörte noch seine schnellen, schweren Schritte auf der Treppe und kurz bevor er deren Ende erreicht hatte, rief er laut aus: “Skandal!”.
Der Justiziar schüttelte ob dieses Auftritts den Kopf und es wirkte beinahe, als hätte sich ein schmales Lächeln auf seine Lippen geschlichen.
Da tauchte auch schon eine kleine, rundliche Frau in der Tür zur Amtsstube auf, atmete tief durch, setzte ein Lächeln auf und sprach die drei Gäste an: “Die Hohen Herren mögen es mir verzeihen, dass ich sie kurz habe warten lassen müssen. Tretet doch ein!”. Sie machte einen Schritt zur Seite und begleitete ihre Worte mit einer einladenden Armbewegung.

Gerho erhob sich gemächlich und trat einen Schritt zur Seite, um Frau Löbich mit einer Handbewegung den Vortritt zu lassen.
“Bitte sehr!” Möge dem Amt von Schleifenröchte Praios gerechter Raum zustehen.

Hlûdoald beobachtete den aufgebrachten Herren und fragte sich, ob sie in ähnlicher Verfassung die Stadt verlassen würden!
Eine kleine, rundliche Frau trat aus der Tür und wandte sich den Wartenden zu. Eigentlich hatte sie etwas von einer freundlichen, fürsorglichen Mutter, aber er wollte sich nicht vom Anschein täuschen lassen. Erst einmal zwar höflich, aber distanziert bleiben und möglichst wenig preisgeben.
Der großgewachsene Ritter folgte Ensfrit und Gerho in die Amtsstube der Kannholt.

Die Amtsstube selbst war ein kleiner Raum, der von einem wuchtigen Tisch dominiert wurde. Der Putz an den Wänden schien kürzlich erst erneuert worden zu sein, denn er strahlte in einem hellen Beige nahezu makellos. Links und rechts der Eingangstüre standen breite Regale, die mit Kladden, Büchern und Rollen bis zum bersten gefüllt waren. Direkt gegenüber, hinter dem schweren Schreibtisch, erhellten zwei schmale Fenster den Raum. Unter einem der beiden stand ein schmaler Sekretär, auf dem noch ein halb beschriebener Pergamentbogen lag. Der Schreibtisch selbst war zwar ebenfalls beladen, wirkte aber ordentlich. Hier ein Stapel dick gefüllter Mappen, dort eine Schiefertafel mit einem Kreidestift, daneben noch ein Tonkrug mit einer Flüssigkeit sowie drei übereinander gestapelte Holzbecher. Vor dem Schreibtisch standen zwei breite, dünn gepolsterte Holzsessel.
Nachdem die drei Gäste eingetreten waren, hörte man die Amtsschulzin aus dem Vorzimmer kurz aufstöhnen, dann stand sie bereits mit einem der Stühle des Wartebereichs, den sie mit beiden Händen umklammerte und nur einen Fingerbreit über dem Boden anheben konnte, in der Türe und presste zwischen den Lippen hervor: “Nehmt Platz, Den hier brauchen wir auch noch.”

Hlûdoald widerstand dem Reflex der Amtsschulzin den Stuhl abzunehmen und blickte stattdessen scheinbar interessiert zu einem der Regale und betrachtete die vielen Schriftstücke. Dann ging er zu einem der Stühle und setzte sich.
Die Scriptorin des Vogts hingegen lächelte der Amtsschulzin zu und wollte ihr den Stuhl abnehmen, was diese jedoch mit einem entschiedenen Kopfschütteln abwehrte und den Stuhl dann mit hochrotem Kopf neben die beiden Sessel schleppte und dort abstellte.

Während Ensfrit Löbich Platz nahm, rückte Gerho den dritten Stuhl etwas zurecht und setzte sich ebenfalls.

Die Amtsschulzin ging währenddessen langsam und mit einem watschelnden Gang um den Tisch herum und nahm schließlich auch auf ihrem Sessel Platz. Sie lächelte freundlich ihre drei Gäste, die ihr nun allesamt gegenüber saßen, an und für einen Moment herrschte Stille in der Amtsstube, die nur dadurch gestört wurde, dass die Eingangstüre von draußen mit einem leisen Quietschen geschlossen wurde.

Gerho drehte sich betont zur Türe und ließ den Blick bis weit über die andere Schulter durch den Raum gleiten. “Praios hat uns nun zu Euch geführt, Frau Kannholt, aber war es nicht Vogt Obersperger, der uns geladen hatte, um über die Baronie zu reden? Ist er unpässlich?”.

Die Schulzin richtete sich plötzlich kerzengerade auf, als hätte man sie beim Einnicken erwischt und schüttelte verständnislos den Kopf. “Ähhh…Stadtmeister Obersperger? Ähh…was ist mit ihm?”, stammelte sie als Erwiderung.

“Einen Moment bitte,”, sagte Gerho. Er zog die Einladung aus dem Wams, rollte sie auf und ließ seinen Blick darüber gleiten. Dann hob er den Kopf und drehte die Einladung in Richtung Kannholt. “Der kaiserliche Vogt, sein Siegel, und er wolle über das Landt reden. Steht hier! Wir durften annehmen, dass Seine Hochwohlgeboren dies Ihnen oder Meister Reto diktiert hatte.”

Interessiert verfolgte Hlûdoald den Gesprächsverlauf und bewunderte das diplomatische Geschick Gerho's. Kleine gezielte Nadelstiche, um der Dame zu zeigen, dass man sich ihres und des eigenen Ranges durchaus bewusst war.

Die Schulzin kniff die Augen zusammen und fixierte Gerho, wobei sie ihren Unterkiefer von links nach rechts schob. Sie schien sich ihre Antwort reiflich zu überlegen. Nach einem Augenblick der Stille zwang sie sich schließlich ein Lächeln auf die Lippen und sprach fast schon in einem Plauderton: “Der Stadtmeister ist leider, leider unpässlich, hat mich aber dazu befugt, alle notwendigen Amtshandlungen in seinem Namen führen zu können.”
Aus dem Augenwinkel konnten die beiden Ritter sehen, dass die Scriptorin des Barons unruhig auf ihrem Sitz hin und her rutschte, aber schwieg.
Dies schien auch der Amtsschulzin aufzufallen, denn sie lächelte der nur unwesentlich jüngeren Frau milde zu, griff unter den Tisch und zog einen fein geschliffenen Glaspokal hervor, den sie in die Höhe hielt: “Darf in den Herrschaften Wasser anbieten?”

“Da sag ich nicht Nein!", entgegnete Gerho mit versöhnlicher Stimme. “Bevor Sie uns Ihr Anliegen schildern, lasst uns den Staub der Straßen die Kehle hinunterspülen.”

Isavena Kannholt vernahm Gerhos Worte mit einem zuckersüßen Lächeln im Gesicht, neigte ihren Kopf leicht zur Seite und lächelte den etwas älteren Ritter beinahe schon keck an. Dann stellte sie den gläsernen Pokal inmitten des Schreibtisches ab, sodass er für alle drei Gäste in Greifweite stand. Anschließend nahm die den Tonkrug zur Hand und goss vorsichtig Wasser in den Pokal, der sich augenblicklich mit einer trüblichen, leicht gelben Flüssigkeit füllte. Sie hielt erst inne, als diese fast den oberen Rand des Pokals erreicht hatte, und stellte den Tonkrug neben dem Pokal ab. Mit einer einladenden Handbewegung präsentierte sie das “Getränk” und sah ihre Gäste der Reihe nach an, als sie freundlich sprach: "Bitte sehr! Frisches Wasser aus dem Rappenbach!”

Gerhos Blick wanderte vom Pokal zu Kannholt, dann zu Hlûdoald und wieder zurück zu Kannholt.
“Nun denn!”. Sprach’s und erhob sich. Seine Hand griff am Pokal vorbei zum Tonkrug. Den führte er zur Nase und atmete mehrmals langsam ein, als ob er den Geruch genießen würde. Daraufhin wog er den Kopf hin und her und mit einem bedenklichen Blick zu Kannholt setzte er den Tonkrug an die Lippen, um sie zu benetzen. Hlûdoald und Löbich, denen er immer noch den Rücken zeigte, vermochten nur zu sehen, wie er den Krug absetzte, sich mit der Hand über den Mund fuhr und in Richtung Kannholt nickte.
Ohne Worte setzte sich Gerho wieder in den Sessel und kratzte sich mit gesenktem Kopf den Bart.

Hlûdoald war zuerst irritiert, dann wirklich ärgerlich, wäre sein Schwertvater nicht aufgestanden, um sich den Tonkrug genauer zu betrachten, wäre der Hüne laut und energisch geworden. So aber hatte er einige wichtige Augenblicke, um sein Gemüt wieder etwas abzukühlen und sich zu sammeln. Hlûdoald bewunderte den älteren Ritter für seine ruhige und gelassene Art. Aber er war nun wirklich nicht weiter gewillt, sich von einer Ministerialen wie ein Bauerntölpel behandeln zu lassen.
„FRAU Kannholt! Können wir dieses Possenspiel beenden? Ich weiß nicht, was ihr euch von diesem Theater versprecht! Denkt ihr wirklich, es ist hilfreich, wenn man seine Gäste vor den Kopf stößt und unhöflich behandelt? Ihr habt ein Problem mit der Sauberkeit des Wassers im Rappenbach? Dann sprechen wir darüber und suchen eine Lösung! Aber beleidigt uns nicht noch einmal, indem ihr uns schmutziges Wasser vorsetzt und jede Form von Respekt und Gastfreundschaft vermissen lasst. Ihr habt keine Bittsteller oder Bettler vor euch!“ Hlûdoald erhob sich, trat einen Schritt vor, nahm den Pokal und goß das Wasser zurück in den Tonkrug, stellte den Pokal auf den Tisch zurück und schob beides ein Stück in Richtung der kleinen, rundlichen Frau. Mit finsterem Blick fixierte er die Amtsschulzin. „Ich bin sehr geneigt den...unglücklichen Auftakt unseres Gespräches zu vergessen, vielleicht wollt ihr einen neuen und hoffentlich besser überlegten Versuch unternehmen!“ Er trat zurück, nahm wieder Platz und lächelte die Gastgeberin freundlich an.

Während Isavena Kannholt das Gesicht des älteren Ritters bei dessen Geruchsprobe noch mit einem ernsten Blick quittierte, schien sie ob der direkten Ansprache des Edlen von Rappach überrascht. Nach einem kurzen Moment stahl sich jedoch ein schmales Lächeln auf ihre Lippen und in ihren Augen schien ein Glanz zu liegen.
“Ihr liegt natürlich völlig richtig, euer Wohlgeboren!”, entgegnete sie überaus freundlich. “Die Problematik, die mich und die Bürger dieser Stadt beschäftigt, wollte ich den Herrschaften möglichst anschaulich machen und habe dabei etwas über mein Ziel hinaus geschossen. Verzeiht!”
Die Scriptorin des Vogtes, die zwischen den beiden Rittern saß, hatte sich unterdessen auf ihrem Stuhl zusammengekauert und ihr Blick ging beinahe schon ängstlich zwischen den Sprechenden hin und her.

Hlûdoald blieb skeptisch, ob die Dame tatsächlich eingesehen hatte, dass ihr Verhalten inakzeptabel und deplatziert war und war gespannt auf den weiteren Verlauf dieses Gesprächs.

Gerho ließ die Hand sinken und blickte verständnisvoll in die Runde.
“Nachdem wir uns nun von dem aufrichtigen Anliegen der Stadt überzeugen konnten, durch Geruch, Geschmack und Gerede, schlage ich vor, dass wir gemeinsam mit einem Bier den Geschmack der Anschaulichkeit hinunterspülen wollen.”
“Frau Kannholt, ihr habt doch sicher welches bereit stellen lassen? Damit lassen sich die Fakten doch etwas angenehmer besprechen. Mich würde beispielsweise interessieren, seit wann das Wasser in diesem Zustand ist. Ihre Einladung ist ja nun schon eine Woche her.” Und mit einem Blick zu Frau Löbich gewandt, “Beruhigt euch bitte. Aber neben der Gerberei und der Brauerei zu Garstenborn wird auch über die Lohmühle zu sprechen sein. Und seit wann Ihnen oder dem Amt des Vogtes von Schleiffenröchte die Sache bekannt war.”

Die Amtsschulzin öffnete gerade ihren Mund, um etwas zu erwidern, da kam ihr die Scriptorin jedoch zuvor: “Was? Bekannt? Dem Vogt? Das Wasser?”, frug sie stakkatohaft, ehe sie, nach wie vor äußerst schnell sprechend, ihre Fragen selbst beantwortete: “Also mir war das gänzlich unbekannt. Und ob seine Hochgeboren etwas darüber weiß, das würde ich nicht vermuten wollen. Die Lohmühle, sehr richtig, die steht auf dem Land der Domäne.” Dann erhob sie ihren Zeigefinger und zog die Augenbrauen nach oben: “Aaaaber, mir wäre ebenso kein Vertrag bekannt, welcher den Betrieb einer solchen Mühle untersagte!”
Noch ehe der kurze Redeschwall abgeebbt war, intervenierte die Amtsschulzin, die sich mit ihrem Oberkörper so weit als möglich über den Schreibtisch beugte, sich der Scriptorin zuwandte und mit einer beschwichtigungen Handbewegung ihre Worte unterstrich: “Sicher, sicher, ihr liegt richtig. Einen Vertrag, welcher den Betrieb einer Lohmühle untersagt oder einschränkt, gibt es nicht.” Dann drehte sie ihren Kopf zu Gerho: “Ebenso darf die Brauerei oder die Gerberei ohne Einschränkungen betrieben werden. Die Leidtragen einer fehlenden Regularia sind jedoch die Bürger dieser Stadt, denen ich verpflichtet bin. Ergo habe ich die Herrschaften an Ort und Stelle gebeten, um die Qualität des Wassers selbst in Augenschein zu nehmen und meine Intention nachvollziehen zu können.” Sie blickte abwechselnd in die Gesichter ihrer Gäste: “Richtig?”.

“Aber meine Damen, ich bitte Sie! Und Frau Löbich, verzeihen Sie. Ich hätte ‘ob und seit wann’ nicht denken, sondern sagen müssen. Es war nicht meine Absicht, Ihnen oder unserem Vogt etwas zu unterstellen.”
Gerho ging gemächlich zum Fenster. “Wenn ich jetzt los marschiere!” Er schaute in mehrere Richtungen hinaus und drehte sich wieder um, “wäre ich morgen Nachmittag mit einem Fass Bier zurück. So dann wäre ich für ein besonnenes Gespräch bereit. Wir können aber auch hier sitzen und warten, bis Travia sich darum kümmern mag.”

Hlûdoald verfolgte interessiert den Verlauf der Unterhaltung. Die kleine Spitze Gerho's ließ ihn schmunzeln. Dann brannte ihm aber doch eine ganz gravierende Frage unter den Nägeln: “Geschätzte Frau Kannholt eine Sache beschäftigt mich doch sehr! Weder die Gerberei in Garstenborn noch die dortige Brauerei, die Gerberei in Rappach oder die Lohmühle im Domänengut der Barone von Eisenhuett sind neu. Ganz im Gegenteil, sie verrichten ihr Werk schon viele Götterläufe. Und zumindest für die Gerberei in Rappach kann ich sagen, es wird dort nicht mehr, aber auch nicht weniger produziert als in der Vergangenheit und auch an der Art und Weise, wie man in Rappach arbeitet, hat sich nichts geändert.” Er blickte von der Amtsschulzin zur Scriptorin, dann zu Gerho und zurück zur Amtsschulzin “Es sollte sich also an der Verschmutzung des Rappenbach doch nichts geändert haben, weder zum Guten noch zum Schlechten. Sehen wir einmal von dem wetterbedingten Umstand ab, dass das Wasser sauberer ist wenn der Rappenbach mehr Wasser führt als in Hitzezeiten wenn der Pegel sinkt. Warum also ist es jetzt schlimmer als die vielen Götterläufe zuvor?”

‘Mein Junge!’. Mit einem Grinsen zu Kannholt und Stolz geschwellter Brust breitete er die Arme aus, mit offenen Händen nach oben, um seine Zustimmung zu Hlûdoalds Worten zu unterstreichen. Er ging zurück zum Sessel, ließ sich einsinken und schlug das Bein über das andere.

Die Schulzin kniff die Augen zusammen und legte ihre Stirn in Falten. “Nein, euer Wohlgeboren,”, ihre Stimme klang mit einem Male sehr kühl, “es hat sich nichts geändert, gar nichts. Der Rappenbach hier in Eisenhuett führt zur meisten Zeit die gleiche ungenießbare Brühe wie auch im letzten Götterlauf. Und den Götterlauf davor.” Sie machte eine kurze Pause und ihre Gesichtszüge wurden freundlicher. Doch auch, wenn die Schulzin jetzt wieder ein Lächeln auflegte, blieb ihr Tonfall sehr pointiert: “Der Brunnen am Turehaller Tor versandet allerdings zusehends und die Bürger dieser Stadt sind mehr und mehr darauf angewiesen, das Wasser des Rappenbachs zu nutzen. Auch wirkt es sich nicht förderlich auf den Pegel und die damit einhergehende Verschmutzung aus, wenn das Wasser am Oberlauf von Rappenbach oder Garste aufgestaut wird. Zudem gibt es seit längerer Zeit Beschwerden über den Gestank und die Qualität des Gewässers. Wenn Harunka ungünstig bläst, dann zieht der Duft nach Extremitäten bis zum Marktplatz hoch. ”
Die Stumm lauschende Scriptorin des Vogtes verzog bei den letzten Worten angewidert ihr Gesicht.
Der Amtsschulzin schien das aufzufallen und ihre Stimme wurde wieder freundlicher: “Das mag meinen Vorgänger nicht gekümmert haben, aber ich möchte mich dieser Sache zum Wohle aller gerne annehmen."

“Abgesehen von üblichen Umleitungen für Mühlen oder Hammerwerke ist mir von Stauungen nichts bekannt.” Gehro blickte dabei fragend zu Hlûdoald und Löbich. Dann wandte er sich wieder zur Amtsschulzin. “Wurden seit Ihrem Amtsantritt die Ufer des Rappenbaches unterhalb der Lohmühle abgeschritten und geprüft? Auf dass nicht noch andere Unbekannte zu dem Problem beitragen? Ich würde meinen, dass sich Verschmutzungen durch die vier Handwerksbetriebe aufs Baldigste halbieren lassen müssten. Es würde etwas weniger Wasser in der Stadt ankommen. Was wäre mit dem Brunnen machbar?”

Hlûdoald schüttelte verneinend den Kopf.
Auch in Rappach leitete man das Wasser zum Betrieb der Kornmühle um und die Gerber entnahmen bei Zeiten Wasser um die Gerbbecken neu zu befüllen, aber aufgestaut wurde der Rappenbach nicht.
Der Schwarzhaarige musterte die Amtsschulzin. Zwar blieb das erhoffte Getränk aus, aber der Verlauf des Gesprächs verlief nun in vernünftigen Bahnen. Auch schien ihm die Frau ernsthaft besorgt und ihr Hauptinteresse dem Wohlergehen der Stadt zu gelten und weniger persönlicher Profilierungssucht. Sollte er sich in der Frau getäuscht haben? Er konnte gut verstehen, in welcher Lage die Amtsschulzin war. Nutzbares Wasser war existentiell für jede Siedlung und eine Verknappung führte schnell zur Unzufriedenheit selbst der friedlichsten Menschen. Spätestens wenn es um das Wohl und die Gesundheit der eigenen Kinder ging, konnte die Situation in der Reichsstadt schnell unangenehm werden.
Ein Satz seines Schwertvaters ließ ihn aufhorchen, …. “Verschmutzungen durch die vier Handwerksbetriebe aufs Baldigste halbieren lassen müssten.” Interessant, Gerho, so schien es ihm, hatte tatsächlich eine Lösung im Kopf. Er selbst, das musste er zugeben, hatte dieses Problem immer als göttergegeben betrachtet und sich keinerlei Gedanken darüber gemacht, ob man daran etwas ändern könnte. Gut, die Sache mit dem Brunnen war ebenfalls ein großes Problem. Er wusste nur, dass es ein sehr kostspieliges und für die Arbeiter gefährliches Unterfangen war, einen neuen Brunnen zu graben. Gespannt lauschte er dem weiteren Verlauf des Gesprächs und überlegte seinerseits, was man tun könnte.

Die Amtsschulzin seufzte: “Den Brunnen müssen wir verloren geben. Meister Kergolosch meinte, innerhalb der Mauern gäbe eine Grabung wenig Sinn. Sie wäre teuer - zu teuer - und die Aussichten auf Erfolg seien nicht groß.”.
Die Scriptorin wirkte mittlerweile eher neugierig denn ängstlich, sogar ein wenig aufgeregt. So platzte es beinahe aus ihr heraus: “Also die Lohmühle ist schon wichtig. Da haben ja alle etwas davon. Rappach…”, sie wies auf Hlûdoald, “...Garstenborn…”, sie nickte Gerho zu, “...und auch die Gerber und Sieder in der Stadt.”, ihr Blick ging zur Schulzin. “Und nicht zuletzt sorgt sie indirekt dafür, dass die Karrenwege in die Reichsstadt instand gehalten werden können!”, Ensfrit Löbich lächelte beinahe schon triumphierend.
Die Amtsschulzin verstand die Anspielung selbstverständlich und versuchte zu beschwichtigen: “Selbstverständlich…”, sie machte eine kurze Pause und schien zu überlegen, fuhr dann aber fort: “Selbstverständlich. Niemand möchte, dass die Lohmühle ihren Betrieb einstellt. Jedoch könnte man den Betrieb der Mühle beschränken oder…”, die Scriptorin zuckte bei dem Satz kurz zusammen, “...der Unrat der Gerbereien und der Brauerei könnte nur an bestimmten Tagen ausgeleitet werden. Jeden Feuertag und jeden Erdstag beispielsweise. Dann könnte man hier zumindest am Rohalstag und am Windstag das Wasser des Rappenbachs nutzen.”
Isavena Kannholt blickte auffordernd in die Runde, während die Scriptorin wieder ängstlich schien und sich mit verschränkten Armen in ihren Stuhl kauerte.

Hlûdoald nickte verständnisvoll. “Das mit dem Brunnen ist wirklich sehr bedauerlich. Wie ich euch einschätze habt ihr mit diesem Meister Kergolosch auch einen fähigen und vertrauenswürdigen Sachverständigen so dass seine Einschätzung nach der Aussichtslosigkeit einer neuen Brunnengrabung wohl zutreffend ist.” Noch immer nickte er leicht mit dem Kopf “Ja, das sollte sich machen lassen. Nur an bestimmten Tagen die Gerbbecken abzulassen, meine ich. Ich bin zwar kein Experte in diesem Gebiet, aber das sollte machbar sein. Im Zweifel lasse ich ein Auffangbecken anlegen, in das die Gerblaugen umgefüllt werden können, falls mein Gerbmeister mir mitteilen sollte, dass es aufgrund der Gerbprozesse nicht möglich ist, feste Tage einzuhalten. In diesem Punkt kann ich euch meine Unterstützung zusagen. Lediglich zum Zeitpunkt muss ich euch eine Antwort schuldig bleiben.” Hlûdoald blickte von der Amtsschulzin, etwas schuldbewusst zu Gerho, hatte man sich doch darauf geeinigt, erstmal keine Zusagen zu treffen. “Oder wie ist eure Einschätzung werter Edler zu Garstenborn?” Er hoffte, Gerho würde ihm seinen Vorstoß nicht übelnehmen.

Der Edle zu Garstenborn zuckte leicht, ob dieser förmlichen Ansprache durch Hlûdoald.
“Unser helles Bier lassen wir geraume Zeit lagern. Die Trübstoffe sinken zu Boden. Mit dem Aufstauen des Gerberwassers könnte es ebenso funktionieren. Das war mein erster Gedanke. Mit einer Aufteilung der Tage dürfte das Hand in Hand gehen. Aber…“, Gerho kratzte sich im Bart. “... habt Ihr bedacht, Frau Kannholt, wenn wir an weniger Tagen die doppelt’ oder dreifach’ Meng’ hinunterspülen, auch Harunka ein dreifach leichtes Spiel mit den städtischen Nasen haben wird? Und wie lange mag es wohl dauern, bis sich die Augen von Quakenbrück bis Turehall gen Reichsstadt richten - von wo der dreifach Abschaum vermeintlich herkäme?”

“Besseres Wasser am Wassertag und Praiostag als einfache Merkregel? Aber bestimmte Tage,”, er pausierte kurz mit einem Nicken zu Hlûdoald und einem Blick zu Löbich, “würde ich heute nicht festlegen wollen. Lassen Sie uns zunächst gemeinsam mit den Meisterinnen und Meistern der Gewerke über deren Möglichkeiten und Einsehen sprechen.”
‘Der zünftige Sturschädel war nicht nur sprichwörtlich, sondern auch berechenbar. Man musste sie nur dazu bringen, von selbst auf eine Idee zu kommen. Hatte in ihren Augen doch außer ihnen niemand Ahnung von ihren Gewerken.’, fügte Gerho in Gedanken hinzu.

“Ich pflichte seiner Wohlgeboren bei, an unserem Willen euch und den Bürgern von Eisenhuett zu helfen, soll es nicht scheitern. Aber es ist sicher sinnvoll mit den Fachleuten zu besprechen, wie genau man das Problem am besten angeht. Ähnlich wie auch ihr, werte Frau Kannholt euren Meister Kergolosch befragtet und nicht einfach wahllos habt Brunnen graben lassen.” Er blickte zu Gerho “Schließlich wollen wir Probleme lösen und nicht nur verlagern!”

Noch bevor die Schulzin antworten konnte, kam ihr Ensfrit Löbich zuvor. Sie hob beide Hände in die Luft und ihr Blick ging in die Ferne: “Ich bin ohnehin nicht befugt, solch weitreichenden Entscheidungen zu treffen. Bevor wir eine Vereinbarung ratifizieren können, benötige ich die Zustimmung seiner Hochgeboren!” Dann sah sie in Richtung der Amtsschulzin: “...und ein Verzicht auf Erlöse der Lohmühle, die nahezu ausgelastet ist, erfordert sicher Kompensation!”.

Isavena Kannholt legte ein schiefes Lächeln auf, ehe sie antwortete: “Mir ist zu Ohren gekommen, die Sauerbruchmühle stünde ohnehin die halbe Woche still.”

“Aber…aber weil die Rinde nicht zeitig kommt!”, insistierte die Scriptorin energisch, “Wir könnten viel mehr mahlen!”

“Beruhigt euch, werte Dame.”, versuchte die Amtsschulzin zu beschwichtigen, "Niemand möchte, dass dem Vogt die Erlöse ausbleiben, nicht?”. Freundlich lächelnd sah sie nun auch zu den beiden Rittern. “Aber wenn es die Möglichkeit gäbe, nur etwas an den Abläufen zu verändern, könnte das schon ein großer Erfolg sein. Und den Aufwand, den Ihr damit hättet, der soll euch selbstverständlich auch vergolten werden.”
Sie sah nun zu Gerho und kniff die Augen zusammen. “Man könnte beispielsweise über eine Vergünstigung beim Zollregal nachdenken, was das Garstenbräu betrifft. So entschädigen wir die Brauerei dafür, dass ‘der Spülicht’, wie Meister Kergolosch es nannte, nicht mehr einfach so in die Garste geleitet wird. Wäre das in eurem Interesse, Wohlgeboren?"

Noch während Isavena Kannholt sprach, schien die Scriptorin über den Vorschlag zu grübeln.

“Euer Angebot weiß ich zu schätzen, Frau Kannholt.", sagte Gerho. “Ich würde gerne darauf zurückkommen. Über Aufwand und Kosten für das ‘nicht mehr einfach so’ des Meister Kergolosch sollten wir zunächst mit unseren Meistern sprechen, bevor wir hier voreilige Beschlüsse fassen. Gleichwohl verstehe ich das Problem als dringlich. Vielleicht verständigen wir uns auf ein erneutes Treffen in ein oder zwei Monaten, um zu sehen, was bis dahin machbar und welcher Aufwand nötig ist.”
“Ich möchte aber noch einmal auf Quakenbrück, Froschhausen, Fischbach und Turehall verweisen. Seid Ihr mit diesen ebenfalls im Gespräch oder werdet Ihr später deren Blicke und Fragen auf Euch ziehen wollen?”

Im ersten Moment hatte Hlûdoald sich gefragt, warum sich sein Schwertvater Gedanken über die Reaktionen derer, die weiter unten an den Ufern des Rappenbach lagen, machte. Schnell kam ihm aber der Gedanke, dass man in Eisenhuett bei Beschwerden schnell mit dem Finger nach Garstenborn und Rappach zeigen könnte.
“In der Tat ist das etwas, was auch mit den anderen Anrainern des Rappenbach besprochen werden muss. Es wäre doch äußerst unerfreulich, wenn die von uns hier gefundene Lösung zu neuerlichen Problemen an anderer Stelle und neuen Forderungen führen würde.” Kurz überlegte er. “Auch über den Anteil der Reichsstadt Eisenhuett an eventuellen Kosten wird ausführlich zu sprechen sein. Schließlich ist sie der größte Nutznießer der anstehenden Änderungen und von daher ist es in der Natur der Sache, dass sie auch Anteil an den Aufwendungen hat.” Seine tiefe Stimme war bei den Worten bestimmt, aber freundlich und auch sein Blick und die Mimik ließen keinen Zweifel, dass er keinesfalls gewillt war, Kosten, die durch etwaige Umbauten und Änderungen in den Abläufen der Gerberei entstanden selbst zu tragen.

Die Amtsschulzin kniff die Augen wieder etwas zusammen, ihre Stimme blieb jedoch freundlich, als sie Hlûdoald antwortete: “Es ist mir leider nicht möglich, den Zehnt der Bürger dieser Stadt für Ausgaben in fremden Lehen zu verwenden. Diesbezüglich wären mir leider die Hände gebunden. Ich kann lediglich dafür sorgen, dass Kooperation zu Vergünstigungen führt.” Dass dieses Pendel auch in die andere Richtung ausschlagen kann, ließ die Schulzin unerwähnt, doch jedem im Raum war dies bewusst.
Dann wandte sie sich an Gerho: “Die ganze Baronie wird von einer entsprechenden Vereinbarung profitieren. Die Fischbacher wissen dann auch, an welchem Tag sie das Wasser für ihre Teiche ableiten und an welchen sie das besser bleiben lassen sollten. Die Beschwerden waren zuvorderst an uns gerichtet, aber das Hammerwerk schlägt auch nur noch vier Mal pro Woche. Auch der Vogt sollte folglich im Sinne seiner Untertagen handeln, nicht, Frau Löbich?” Lächelnd sah die Amtsschulzin die Angesprochene an, die zögerlich zu nicken begann.

“Das Wort Kooperation haben Sie vortrefflich gewählt, geschätzte Frau Kannholt!”, sagte Gerho mit mehrfachem Nicken. “Und auch das Wort Vergünstigung. Das fruchtbare Land um die Gemarke Eisenhuett, die vielen fleißigen Menschen der Baronie - all’ dies sind Vergünstigungen für eine vergleichsweise kleine Stadt, die Sie zu schätzen und die Bürger der Stadt zu nutzen wissen. Aber wir wissen alle nur zu gut, wie wenig den Zwölf Veränderungen behagen.”
“Wohl an! Ist somit alles gesagt?”. Gerho blickte mit offenen Armen in die Runde. “Dann können wir uns auf den Rückweg machen?”

Ganz zufrieden war Hlûdoald mit der Antwort der Amtsschulzin nicht, aber da noch nicht absehbar ob und in welcher Höhe Kosten entstehen werden, wollte er an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt nicht weiter darüber verhandeln. “Ich stimme dem Edlen zu Garstenborn zu. Es ist an dieser Stelle sicher das Beste, zurückzukehren, Fakten zu sammeln und sich einen Überblick über Möglichkeiten und die Dauer, Kosten und Wirkung ihrer Umsetzung Gedanken zu machen. Damit wir im Anschluss gemeinsam zu einer verbindlichen Lösung kommen können.” Er blickte in die Runde um die Reaktionen der beiden Damen abzuwarten.
Gerho's Vorschlag machte für ihn jetzt den meisten Sinn. Mit den Fachleuten besprechen was, wie möglich war. Danach würde er sich mit Gerho gemeinsam beratschlagen wie man vorgehen will und wenn sie sich eine Lösung erarbeitet hatten vielleicht noch eine Besprechung mit Vogt Jast Godehard von Schleiffenröchte bevor man sich wieder mit der Amtsschulzin traf, oder ihr ein gemeinsames Schreiben zukommen ließ.

Isavena Kannholt nickte zufrieden: “Selbstverständlich, Frau Löbich muss sich ohnehin noch mit seiner Hochgeboren besprechen.”
Die Angesprochene nickte eifrig und die Amtsschulzin sprach weiter: “Ich freue mich, dass wir in der Sache eine Übereinstimmung erzielen konnten. Über die Einzelheiten werden wir sicher eine Übereinkunft treffen können. Für gute Vorschläge habe ich jederzeit ein offenes Ohr.”
Dann verabschiedete man sich und die beiden Ritter verließen die Stadtmeisterei am Nachmittag zusammen mit der Schreiberin des Vogtes.

Auf der Straße verabschiedeten sich Gerho und Hlûdoald von Frau Löbich. Sie vereinbarten, sich in drei bis vier Wochen per Boten zu verständigen oder zu treffen, um die Möglichkeiten und Vorstellungen von Domäne, Rappach und Garstenborn abzustimmen. Vielleicht könne man bis dahin schon etwas guten Willen im Wasser sehen und riechen.
Danach verabschiedete sich Gerho auch von Hlûdoald. Er wolle noch die Tempel besuchen, einige Kontakte auffrischen und am nächsten Morgen nach dem Frühstück zurück marschieren.

Nachdem er sich von seinem Schwertvater verabschiedet hatte, machte sich Hlûdoald direkt auf den Heimweg. Ein strammer Marsch bei dem er die Situation und eventuelle Lösungen in Ruhe überdenken konnte. Es dämmerte bereits, als er Bosboldenbruch erreichte und so beschloss er, sich im “Toten Boten” zu stärken und Quartier für die Nacht zu beziehen. Mit dem Krähen der Hähne war der Ritter aufgestanden und hatte sich nach einem kleinen Morgenmahl zum Anwesen derer von Bittersteg aufgemacht. Kurz berichtete er Hildraïn von dem Besuch in der Reichsstadt und beruhigte sie, dass Gerho noch einige Besorgungen erledigt und die Nacht in Eisenhuett verbracht habe und sicher im Laufe des Tages ebenfalls zurückkehren würde. Nach einer kurzen Unterhaltung und einer kleinen Stärkung, auf die Hildraïn bestand, bestieg Hlûdoald sein Pferd und machte sich auf den Heimweg.

Zurück in den Lehen


Große Erleichterung war bei der hochschwangeren Perainlind zu spüren, als Hlûdoald wieder zurück war.
Am Abend besprach das Paar das Problem mit dem verschmutzten Rappenbach und der schwierigen Lage der Bewohner der Reichsstadt. Sie überlegten gemeinsam, welche Maßnahmen man ergreifen könnte.

Am folgenden Tag machte sich Hlûdoald in Begleitung seiner Tochter Peraingard und seiner Schwester Brintwina auf den Weg zum Gerberhof.
Abdeckerei und Gerberhof lagen ein Stück oberhalb des Rappenbach auf einem kleinen Hügel, um beim alljährlichen Hochwasser durch die Schneeschmelze geschützt zu sein.
Etwas tiefer, nur etwa einen Schritt oberhalb des Bachs lagen die Gerberbecken.
Hlûdoald musste erkennen, dass er sich geirrt hatte. Er war schon einige Male hier gewesen, aber nie war ihm aufgefallen, dass der Bach vor den Becken zu einem Weiher aufgestaut war. Zwar verließ zur Zeit die gleiche Menge Wasser den Weiher wie hinein gelangte, aber es mochte Zeiten geben, wo dem nicht so war.
“Praios zum Gruß, Wohlgeboren! Und auch die hohen Damen seien aufs Herzlichste gegrüßt.”
Hlûdoald begrüßte den Gerbermeister Kordewang und erklärte ihm die Situation.
Man vereinbarte ein neuerliches Treffen in vier Tagen, um die Möglichkeiten zu besprechen.
Dann machte sich Hlûdoald mit seiner weiblichen Begleitung auf zur Kornmühle bei Eschenhain, ihn interessierte, ob auch dort der Rappenbach aufgestaut wurde.
Tatsächlich war das der Fall, warum war ihm das noch nie aufgefallen?

Vier Tage später fand sich Hlûdoald, diesmal in Begleitung Praiophatius’ wieder im Gerberhof ein.
Der älteste Sohn des Gerbermeisters und einer der Knechte erwarteten die Reiter bereits. Während Ulfert den Adligen und seinen Begleiter ins Haus führte, versorgte der Knecht die Pferde. Hlûdoald und Praiophatius wurden in die Küche geführt. Dort waren nicht nur Herdstatt, allerlei Küchenutensilien und unverderbliche Vorräte untergebracht, sondern auch ein großer, massiver Holztisch und etwa 15 Stühle oder Hocker.
Offenbar diente der Raum gleichzeitig auch den Bewohnern als Speiseraum.
Nach ausgiebiger Begrüßung, Begrüßungstrunk und der üblichen Abfolge von Höflichkeiten ging es dann endlich um den eigentlichen Grund der Zusammenkunft.
Es war ein wirklich erfolgreiches Gespräch mit allerlei neuen Erkenntnissen.
Zum einen hatte der Bruder des Gerbermeisters, Hinkmar, der den Abdeckerhof betrieb, erzählt dass es zu Zeiten ihres Großvaters Sammelbecken, Pumpe und Grabensystem gab mit dem einst die Abwässer der Gerberei auf die Wiesen des Abdeckerhofes verbracht wurden. Irgendwann, noch zu Zeiten des Großvaters war die Pumpe jedoch kaputt gegangen, selbst habe man es nicht reparieren können und der damalige Edle zu Rappach hatte sich nie darum gekümmert und so habe man eben begonnen das Abwasser in den Rappenbach abzulassen. Schließlich sei das Hinaufschaffen der Abwässer zu den Gräben mittels Eimern sehr zeit- und personalaufwendig gewesen. Meinrich Kordewang war wieder eingefallen dass es zu eben jener Zeit auch zwei Rückhaltebecken gab, die bei der Schneeschmelze im Frühjahr oder sehr starken Regenfällen vom Rappenbach überflutet wurden und nach dem Rückgang des Hochwassers die Gerberei einige Götternamen lang mit Wasser versorgt hatten. Allerdings hatte der damalige Herr über Rappach irgendwann die Bezahlung für die Instandhaltung der Becken eingestellt und es sei nun einmal sehr mühsam gewesen die Becken von dem eingeschwemmten Schlamm und Unrat zu befreien.
Inzwischen sind diese Becken nahezu eben voll mit Schlamm, Erde und was der Rappenbach eben so hineingespült habe. Die jetzige Konstruktion, die im Übrigen immer noch tadellos funktioniere, sei eigentlich einst nur als Notlösung gedacht gewesen, wenn die beiden Rückhaltebecken für das Hochwasser leer waren.
Die Ableitung zu bestimmten Zeiten sei sehr schwierig, da die Gerbprozesse auch von Temperatur und Witterung abhängig seien. Ein Sammelbecken müsse also in jedem Falle angelegt werden, wenn man das Wasser nur zu bestimmten Tagen ablassen wollte. Auch müsse mit dem Gerben begonnen werden, wenn die Felle anfallen, da diese bei längerer Lagerung zu verrotten begännen und dann entweder gar nicht mehr zu gebrauchen wären oder zumindest an Qualität verlören.
Nach dem sich Hlûdoald noch einige andere Ideen und Sorgen der Brüder angehört und mit ihnen besprochen hatte, war man hinaus gegangen und hatte die Reste der einstigen Be- und Entwässerungsvorrichtungen in Augenschein genommen.
Hlûdoald's Fazit sofort war recht wenig zu machen und die Instandsetzung der vorhandenen Anlagen würde einiges an Zeit beanspruchen, wenn sich denn die Pumpe zwergischer Machart reparieren oder ersetzen ließ.
Einzig die Aussage des Gerbermeisters, die Becken die jetzt noch befüllt waren wären in zwei oder drei Tagen fertig und wenn keine Seuchen ausbrechen würden, was Peraine verhindern möge würden ohnehin in den nächsten Götternamen keine größeren Mengen zu gerbenden Felle anfallen.
Man könne dann beginnen, die Becken und Gräben freizuschaufeln, wenn seine Wohlgeboren vielleicht die Arbeiten vergelten wollten, denn man könne in dieser Zeit ja keine andere Arbeit verrichten, welche dem Broterwerb diene.

Hlûdoald verfasste nun seinerseits ein Schreiben an Gerho, den Vogt und die Amtsschulzin Kannholt worin er diesen mitteilte dass für die nächsten Götternamen kein Abwasser aus Rappach mehr in den Rappenbach geleitet werde und man dabei sei die Voraussetzungen zu schaffen sich entweder dem Vorgehen aus Garstenborn anzuschließen oder im besten Falle sogar gänzlich auf die Einleitung verzichten könne. Außerdem teilte er mit, man prüfe auch in regelmäßigen Abständen die Qualität des Wassers, das im Rappenbach aus der Baronie Eisenstein nach Rappach komme.

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Noch am Tage der Rückkehr klopfte Gerho bei der Gerbermeisterin in Bosboldenbruch und beim Garstenborner Braumeister an. Er legte ihnen den Sachverhalt dar und bat darum, in Ruhe darüber nachzudenken. Für den nächsten Praiostag bat er alle Meisterinnen und Meister sowie Großbauern entlang der Garste um ein Treffen im Praiostempel zu Bosboldenbruch.

Bei diesem Treffen konnte man sich nach angeregter Diskussion darauf einigen, versuchsweise ab kommender Woche nur am Windstag und Rohalstag Spülicht und anderen Abschaum in die Garste zu kippen. Dadurch sollte Wasser entlang der Garste und in Eisenhuett am Wassertag und Praiostag sauberer sein. Neben der Skepsis gegen Veränderungen gewohnter Arbeitsabläufe gab es auch Hoffnung auf etwas besseres Wasser innerhalb des Lehens, beispielsweise am Waschtag.

Gerho ließ daraufhin über die geplanten Garstenborner Abwassertage ein Schreiben an Hlûdoald und eines an Frau Löbich schicken mit der Bitte, sich dem anzuschließen.

Vom Hof des Vogtes der Baronie erhielt Gerho allerdings nur die knappe, schriftliche Rückmeldung, dass man derzeit keine Aussagen über den Betrieb der Lohmühle treffen könne. Der Bote jedoch, welcher die Schriftrolle überbrachte, sollte noch eine persönliche Nachricht der Scriptorin, ‘ausschließlich an Ritter von Bittersteg!’ gerichtet, vortragen: “Man sei guter Dinge.”

Dass Hlûdoald die Wasserqualität aus Eisenstein im Auge behalten wolle, nahm Gerho wohlwollend zur Kenntnis. Seiner Erinnerung gab es auf der Eisensteiner Seite zwar keine größere Siedlung am Rappenbach. Aber ihm fiel das Gerücht wieder ein, dass in Nordgratenfels ein Zwergenlehrling einen ganzen Fluss trockengelegt haben soll. Wenn da nur ein bisschen Wahres dran war, sollte man auch hier eine Abwasserpanne in irgendeinem zwergischen Stollen nicht ausschließen.

Ein weiteres Schreiben ging an Frau Kannholt. Darin berichtete Gerho, dass im Lehen für die Garste zwei Abwassertage pro Woche vereinbart wurden. Es sei zwar nur ein Versuch, und man müsse eine Umgewöhnungzeit bei den Arbeitsabläufen berücksichtigen. Er gab aber der Hoffnung Ausdruck, dass in zwei bis drei Wochen die Garste der Stadt für den Wassertag und Praiostag besseres Wasser bringen sollte. Zudem bat er Frau Kannholt, die Qualität des Wassers im Auge zu behalten und in einem Monat über Erfolg oder Misserfolg zu berichten.

Nach einigen Wochen erreichte Gerho eine Einladung zu einem weiteren Gespräch in der Reichsstadt. Wieder kurz und knapp, und ohne Hinweise auf die Wasserqualität dort selbst. Auf dem Weg in die Stadt fragte er Braumeister und Gerbermeisterin nach deren Erfahrungen mit der Umstellung der Abläufe. Beim Frühstück im Toten Boten berichtete ihm die Wirtin zu Veränderungen in Volkes Stimme.

Ein Brief und ein Siegel


Es war bereits Ende Peraine, als man sich wieder in den Hallen des Stadtmeisters von Eisenhuett zusammenfand. Ensfrit Löbich war bereits, wie auch schon beim letzten Mal, als erste anwesend und sie lief unruhig im Vorzimmer umher. In ihrer linken Hand hielt sie eine Pergamentrolle, die sie fest an ihre Brust gedrückt hielt und lächelte fast schon erleichtert, als sie die beiden Ritter sah.
Der Sekretär der Amtsschulzin war ebenfalls anwesend und wirkte, im Gegensatz zum letzten Treffen, gut gelaunt und ein Lächeln umspielte seine Züge.
“Ah, die hohen Herren.”, sprach er die beiden Männer ohne zu zögern an, als diese das Vorzimmer betraten: “Man erwartet euch bereits, ihr dürft direkt in die Amtsstube!”
Die fließende Bewegung, mit der er auf die nur leicht angelehnte Türe hinter sich wies, wirkte beinahe schon wie eine Verneigung.

“Praios mit euch!”, sagte Gerho mit einem Nicken zum Sekretär und einer leichten Verneigung zu Frau Löbich. Mit einer Handbewegung deutete er an, dass er ihr und Hlûdoald den Vortritt in die Stube gewähren wollte.

Hlûdoald stutzte einen Augenblick, was war denn mit dem alten Amtmann los? Hatte der etwa einen freundlichen Zwilling? Dem jungen Ritter waren solche plötzlichen Wesensveränderungen immer suspekt. Vielleicht war er aber auch schon wieder zu skeptisch und der gute Mann hatte bei ihrem letzten Besuch einfach einen schlechten Tag!
Er nickte dem Sekretär der Amtsschulzin freundlich zu “Praios zum Gruße, guter Mann!”
Immerhin schien die Scriptorin Ensfrit Löbich genauso nervös und hektisch wie beim letzten Treffen. Freundlich lächelte er ihr zu, verneigte sich leicht “Praios zum Gruße, werte Frau Löbich!”
Der Aufforderung des Sekretärs und seines Schwertvaters folgend, klopfte der schwarzhaarige Ritter kurz an und öffnete dann die Tür, ohne eine Antwort abzuwarten. Er blieb in der offenen Tür stehen um Frau Löbich den Vortritt zu lassen, schließlich vertrat sie den Vogt und damit die Baronie.

Sowohl der Sekretär als auch die Scriptorin grüßten freundlich zurück. Frau Löbich jedoch schien die Aufforderung, den Raum zuerst zu betreten, entweder nicht richtig zu verstehen oder nicht annehmen zu wollen. Denn sie blieb hinter Gerho stehen und sah an diesem vorbei fragend zu Hlûdoald. Es wirkte fast, als wolle sie sich hinter dem älteren Ritter verstecken. Währenddessen war von drinnen bereits die Stimme der Amtsschulzin zu hören: “Tretet ein, tretet ein!”

“Bitte, nach Ihnen!”, unterstrich Gerho mit einer weiteren Geste zu Frau Löbich.

Innerlich seufzte Hlûdoald, was hatte Vogt Jast Godehard von Schleiffenröchte nur dazu bewogen eine Person, die derart wenig Selbstbewusstsein und Energie ausstrahlte mit dieser Aufgabe zu betrauen?
Er unterdrückte den Drang seinen Kopf zu schütteln und trat schließlich in das Arbeitszimmer.
“Praios zum Gruße geschätzte Frau Kannholt!”
Zügig schritt er zu dem hintersten Stuhl und hoffte, dass Frau Löbich sich wenigstens überwinden konnte, als Zweite einzutreten. Was mochte dieses zögerliche Herumdrucksen nur für einen Eindruck auf die Amtsschulzin machen?

Die Schreiberin schien überrascht ob dieser zuvorkommenden Geste des Ritters, und errötete leicht, als sie an Gerho vorbei eilte und die Amtsstube nach Hlûdoald betrat.
Drinnen stand die Amtsschulzin lächelnd hinter ihrem Schreibtisch, der heuer einen weitaus aufgeräumteren Eindruck machte. Mit Ausnahme zweier Krüge sowie einem Satz von vier Bechern waren auf dem wuchtigen Holztisch weder Mappen noch Pergamente zu sehen.
Auch standen dieses Mal direkt drei Stühle auf dieser Seite des Schreibtisches, sodass keiner mehr zusätzlich hereingebracht werden musste.
“Nehmt Platz, Eure Wohlgeboren, Frau Löbich, nehmt bitte Platz!”
Mit der ausgestreckten Hand wies sie auf die Stühle ihr gegenüber.

Gerho folgte Frau Löbich. und schloss die Tür hinter sich.
“Und mit Tsa! Einen guten Tag, Frau Kannholt!”, ergänzte Gerho und nahm Platz.

Argwöhnisch musterte Hlûdoald die beiden Krüge, während er sich setzte. Die Amtsschulzin würde doch nicht schon wieder ein unwürdiges Laientheater aufführen wollen?
Zumindest sglchien das übrige Szenario diesmal geordneter und vorbereitet. Bei ihrem letzten Besuch schien die gesamte Atmosphäre von Hektik, Chaos und Disharmonie geprägt. Er hatte sich des öfteren gefragt, ob schmutziges Wasser und ein ausgetrockneter Brunnen die größten Sorgen der Reichsstadt waren. Heute jedoch machte alles einen harmonischen und fast friedlichen Eindruck.

“Ich denke, ich darf für uns drei sprechen, wenn ich frage, was Sie uns diesmal veranschaulichen werden.”, sagte Gerho und nahm Platz.. Dabei schweifte sein Blick zu der Stelle, an der Kannholt den Glaspokal hervorgeholt hatte.

Die Amtsschulzin lächelte und ihr entfuhr schließlich ein glucksendes Lachen, welches sie zu unterdrücken versuchte und hierzu ihre rechte Hand vor den Mund nahm.
Nach wenigen Sekunden hatte sie sich wieder gefangen und machte eine wegwerfende Handbewegung:
“Ihr habt mich durchschaut, euer Wohlgeboren!”,
antwortete sie schließlich, nahm sich einen Holzbecher, goss aus einem der Krüge ganz langsam eine nahezu durchsichtige Flüssigkeit, führte den Becher an ihre Lippen, schloss die Augen und nahm einen Schluck. Als sie den Becher wieder absetzte, öffnete sie die Augen, lächelte in die Runde und sprach:
“Rappenbach. Von heute Morgen!”.
Dann stellte sie den Becher wieder auf den Tisch, wies auf den anderen Krug und fuhr fort:
“Preiweilerer Bocksprung. 43er-Jahrgang. Wer möchte wovon kosten?”.
Der Löbich entfuhr daraufhin ein schwer zu deutendes Pfeifen oder Zischen und die Schulzin lächelte ihre Gäste freundlich an.

Gerhos Gesichtszüge entspannten sich etwas.
“Bevor wir uns mit der Qualität der Weinversorgung der Stadt befassen, gerne zunächst etwas von dem 46er Rappenbach, Frau Kannoholt. Und vielleicht mag uns während dessen Frau Löbich von den Anstrengungen in der Domäne berichten?”

Der Edle zu Rappach lächelte und blickte die Amtsschulzin freundlich an. Er wurde nicht wirklich schlau aus ihr. Einerseits ihr sehr befremdliches Benehmen bei ihrem letzten Treffen und was man so über Frau Kannholt hinter vorgehaltener Hand in der Stadt über sie sagte zum anderen blitzte wie jetzt ein durchweg sympathisches und humorvolles Wesen durch und man mochte dieser Frau nicht einmal schlechte Gedanken zutrauen.
“Ich schließe mich seiner Wohlgeboren an und probiere das Resultat unserer bisherigen Bemühungen! Wollen doch erstmal schmecken, ob man darauf schon mit einem guten Tropfen anstoßen kann!”
Die Amtsschulzin wirkte überrascht und nickte.
“Sehr gerne!”,
antwortete sie und begann sogleich, den Inhalt des Wasserkrugs in die übrigen Becher zu gießen.
“Könnt ihr etwas zur Frage des Edlen sagen, Frau Löbich?”,
wandte sie sich währenddessen an die Scriptorin des Vogtes.
Diese rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her und sah zu den beiden Edlen, bevor sie antwortete:
“Ich habe die Antwort seiner Hochgeboren hier dabei!”.
Sie streckte ihre Hand aus und hielt der Schulzin die Schriftrolle, die sie die ganze Zeit eng an ihren Körper presste, entgegen. Diese wiederum zuckte kurz, goß zuende ein, reichte den beiden Rittern mit einem Lächeln auf den Lippen jeweils einen Becher und nahm dann mit einem Seufzen die Schriftrolle entgegen.
Mit geschickten Händen brach sie das Siegel und rollte das Schreiben auf, während sie sich setzte. Man konnte ihrem Blick folgen, wie sie das Schreiben überflog und an zwei Stellen große Augen machte. Als sie es gelesen hatte, atmete sie tief durch und wandte sich zweifelnd an Frau Löbich:
“Das klingt nach einem großzügigen Angebot. Jedoch habe ich keine einhundert Golddukaten mehr im Säckel. Und selbst wenn, könnte ich diese nicht einfach zweckungebunden entnehmen.”
Die Amtsschulzin schien nachdenklich, während die Scriptorin des Vogtes gequält lächelte und nach ihrem Becher griff, der noch unberührt und gut gefüllt auf dem Tisch stand.

Gerho hielt den Becher abwartend mit beiden Händen. Sein Blick wanderte zwischen Frau Löbich und Frau Kannholt hin und her.

Auch Hlûdoald nahm seinen Becher und lehnte sich entspannt zurück. Was der alte Fuchs wohl gefordert hatte. Im Gegensatz zu dem Verwalter, der sein Lehen tatsächlich einfach nur verwaltet hatte und sich wenig bis gar nicht um die Beseitigung von Missständen geschweige denn die Weiterentwicklung des Lehens gekümmert hatte, war Jast Godehard von Schleiffenröchte sehr um die Baronie bemüht und agierte so wie es ein Baron wohl kaum besser könnte. Hlûdoald war gespannt.

Die Scriptorin nahm mehrere schnelle Schlücke aus dem Becher und räusperte sich. Ihr Gesicht hatte sich mittlerweile rötlich verfärbt und sie sprach zögerlich:
“Ja…hmmm…das habe ich mir schon so gedacht.”
Dann nahm sie noch einen schnellen Schluck und sprach weiter:
“Könnt ihr vielleicht andere…ähm…Mittel zur Verfügung stellen?”.
Die Amtsschulzin schien angestrengt zu überlegen und beließ ihren Blick dabei auf dem Schreiben des Vogtes.
“Hmmmm…”,
war es mehrfach von ihr zu vernehmen, ehe sie schließlich aufsah und die Scriptorin mit zusammengekniffenen Augen ansah:
“Wir haben einen großen, zweiachsigen Karren mit Plane, der von zwei Pferden gezogen wird, in Beschlag genommen. Sein Besitzer, der sich ‘Händler’ schimpfte, wurde des Schmuggels überführt. Der Zustand des Gefährts ist, so mag ich beurteilen, hinreichend gut und der Wagen wurde auf achtzig bis neunzig Golddukaten geschätzt.”
Sie verfiel wieder in ein Grübeln und fuhr nach wenigen Augenblicken fort:
“Ich könnte ihn mit einigem Gerät befüllen, dass wir ebenfalls konfisziert haben, da der Schmied das Roherz ebenfalls auf ‘Umwegen’ bezogen hat. Das wären Eggen, Pflugscharen und Harken im Wert von sicher auch zwanzig Golddukaten.”
Ein Schmales Lächeln schlich sich auf das Gesicht der Amtsschulzin, ehe sie noch einmal auf die offnene Schriftrolle blickte und die Scriptorin skeptisch frug:
“...und der Vogt stellt dann den Betrieb der Lohmühle vollständig ein und sichert zu, auch keinen weiteren Unrat mehr in den Rappenbach einzuleiten?”
Die Angesprochene nickte eifrig und antwortete hastig:
“Jaja, wie es geschrieben steht! Und ich bin befugt, das Angebot anzunehmen. Machen wir es so!”.
Frau Löbich sprang nahezu von ihrem Stuhl auf, stellte den Becher auf den wuchtigen Tisch und reichte der Schulzin ihre Hand zum Einschlag. Diese stand langsam auf, sah mit zusammengekniffenen Augen zunächst auf die beiden noch sitzenden Ritter, dann auf die Scriptorin und schließlich schlug sie ein:
“Möge Praios unser Zeuge sein!”,
sprach sie dabei bedächtig und nickte.
Sichtlich zufrieden nahmen beide anschließend wieder Platz.

“Das ist eine überraschende Wende. Doch bevor ich darauf anstoßen mag, frage ich mich, woher die Gerberei der Stadt nun die benötigten Bitterstoffe erhalten wird? Eine Lohmühle in Garstenborn oder Rappach zu errichten, wird nicht in eurem Interesse sein."
Gerho roch an dem Becher, nippte daran und nickte ihm beifällig zu.
“Ohnehin wird es noch zusätzlicher Anstrengungen und Mittel bedürfen, dass die Gerstenborner Gerberei und Brauerei die probeweisen Abwassertage dauerhaft einhalten können.”

Schmunzelnd schüttelte Hlûdoald leicht den Kopf, dass sah diesem Schlitzohr von einem Vogt ähnlich, statt selbst Geld zu investieren um die Lohmühle so zu gestalten dass sie das Wasser des Rappenbach nicht mehr verschmutzte, ließ er sich lieber dafür bezahlen die Mühle einfach still zu legen.
Er blickte zu der Scriptorin: “Hat unser hochgeschätzter Vogt von Schleiffenröchte euch auch eine Lösung für die Gerbereien in Garstenborn und Rappach mitgegeben um diese weiterhin mit Gerbmitteln zu versorgen?”

Die Scriptorin saß befreit lächelnd auf ihrem Stuhl und nickte den beiden Rittern zufrieden zu.
“Jaja,”,
antwortete sie und machte dabei eine beschwichtigende Handbewegung,
“...der Betrieb der alten Lohmühle lohnt aber ohnehin nicht mehr. Im Sauerbruch sind die Fichten alle schon geschlagen und die Rinde muss vom Luchsenhof herangeschafft werden. Daher will der Vogt eine neue Mühle am dortigen Bach errichten lassen. Da kann er die hundert Golddukaten gut brauchen…oder den Karren, um die Steine da runter zu schaffen.”
Der Amtsschulzin entfuhr ob der Ausführungen Frau Löbichs ein überraschtes:
“Ha!”,
so als habe sie gerade eben jemanden bei etwas ertappt. Dann jedoch schlich sich wieder ein Grinsen auf ihr Gesicht und sie schüttelte den Kopf.

Gerho hob den Becher an und leerte ihn in einem Zug. Dann verzog er das Gesicht.
“Das dürfte einigen bitter bekommen!”
Er war sich sicher, dass das Problem nicht nur verlagert, sondern mit einer neuen Mühle auch größer werden würde, ganz zu schweigen von den Wegen und Preisen für die Abnehmer.

Hlûdoald war zufrieden mit dem Gehörten und auch beruhigt dass er sich in Jast Godehard von Schleiffenröchte nicht getäuscht hatte, für einen Moment hatte er befürchtet der Vogt würde sich zu ihren Lasten aus der Affäre ziehen, aber so würden wohl alle mit der Lösung leben können. Er trank vom Wasser und nickte dann mit einem Zwinkern der Amtsschulzin zu: “Das Wasser ist in Ordnung, aber in Anbetracht des Gehörten ist es wohl Zeit, auf den Wein zu wechseln. Ich hoffe, der steht der Qualität der Übereinkünfte nicht nach!”

Die Amtsschulzin sammelte sich kurz und nahm dann Hlûdoald in den Blick:
“Ja, gerne, gerne…”,
antwortete sie, wirkte aber noch immer in Gedanken versunken, so rührte sie auch den Krug mit dem Wein zunächst nicht an,
“...und auch Eure Anstrengungen habe ich mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen. Aber ihr habt von eventuell zusätzlich notwendigen Anstrengungen geschrieben?”

Hlûdoald nickte “Wohl wahr, dass größte Problem für Rappach ist derzeit noch eine Pumpe zwergischer Machart, an deren Reparatur unsere Schmiedin bislang gescheitert ist. Nun gibt es zwei Möglichkeiten, einen, im besten Fall zwergischen Mechanikus der sich auf Pumpen versteht, oder den Abriss der jetzigen Pumpe und den Erwerb und Einbau einer anderen Pumpe mit schlichterer Mechanik! Ihr kennt nicht zufällig einen Meister der Mechanik aus einem der Zwergenvölker, der gewillt sein könnte, für die Dauer der Reparatur nach Rappenhag zu kommen?”

“Bei uns wären mehrere Bauten und deren dauerhafte Pflege nötig. Aber bleiben wir zunächst bei Rappach.”, sagte Gerho.

“Aber selbstverständlich!”,
erwiderte die Schulzin,
“Die Reparatur sollte kein Problem darstellen und ich werde Meister Kergolosch bitten, euch einen geeigneten Mechanikus zu schicken!”
Dann wandte sie sich an Gerho:
“Und wie können wir uns bei Euch erkenntlich zeigen?”

“Die Gerberei und die Brauerei bräuchten geeignete Rückhaltebecken, die gepflegt werden müssen. Oberhalb von Bosboltenbruch hat sich ein Stauwehr zum Spülen der Garste gefunden, welches herzurichten wäre. Das Wissen um dessen Nutzung scheint aber nach Haffax verloren gegangen zu sein.
Die Baumaßnahmen könnten wir diesen Sommer mit einigen Tagelöhnern aus der Stadt stemmen und diese auch entlohnen. Unentgeltliches Fachwissen wäre eine gute Unterstützung.
Doch zum Ausgleich für die dauerhafte Pflege und die zu erwartenden höheren Beschaffungskosten von der neuen Lohmühle würde ich gerne Euer Angebot zum Zollregal aufgreifen. Seht Ihr eine Möglichkeit, vom Zoll auf Einfuhr und Durchfuhr für Bier und Waren der Gerberei dauerhaft abzusehen? Die entgangenen Zölle dürfte die Stadt über die belieferten Wirte und Händler bei gleichbleibenden Verkaufspreisen kompensieren können.”

Isavena Kannholt grübelte und neigte ihren Kopf hin und her, ehe sie zögerlich zu sprechen begann:
“Bezüglich…der Gerbereien…da nicht…befürchte ich. Die Zünfte haben hier ein Mitspracherecht und das Verhältnis zum Zunftmeister ist…kompliziert. Die zwergischen Brauer jedoch, die sind nicht organisiert. Zumindest nicht innerhalb der städtischen Stände. Auf die Einfuhrzölle eurer Brauerei können wir daher verzichten. Zunächst nur für die Dauer von 10 Götterläufen, alles Weitere würde meine Befugnisse übersteigen, aber das wäre ein Anfang, was meint ihr?”
Sie sah Gerho eindringlich an, ehe ihr noch etwas einzufallen schien und sie ihre Rede hastig ergänzte:
“Selbstverständlich will ich auch euch fachkundige Hilfe stellen! Und Tagelöhner findet ihr am Eisensteiner Tor zuhauf!”

“Gebt mir einen Moment.”
Gerho stützte sein Kinn in die rechte Hand. Dann hob er den Blick zur Decke der Stube und wog den Kopf.
“Zehn Götterläufe für die Brauerei.”
“Gut.”
Er nahm wieder Blickkontakt mit der Amtsschulzin auf und nickte ihr zu.
“Großzügig! Und an den einmaligen Baukosten für die Gerberei soll es nicht scheitern. Aber ich sehe hier langfristig höhere Kosten und Preise, so dass sich für die Gerberin der Weg in die Stadt zum Verkauf nicht mehr lohnen könnte. Der Zunftmeister mag wohl darauf setzen.
Ob wir ihn über seine Verantwortung für die ihm unterstehenden Menschen zu packen bekämen? Vielleicht verlangt es ihn nur nach etwas Anerkennung. Sollten wir ihn um seine Zustimmung für dauerhaft sauberes Wasser bitten? Könnte die Stadt ihn verpflichten, das Wasser ebenso sauber aus seiner Verantwortung zu entlassen, wie er es von uns bekommt?”

Hlûdoald war zufrieden mit dem Ergebnis für Rappach, wenn der Mechanikus die Pumpe würde reparieren können, würde künftig das Abwasser der Gerberei auf den Wiesen des Abdeckerhofes entsorgt werden können. Die Kosten für die Pflege und Instandhaltung von Becken, Pumpe und Gräben würden sich in einem zu vernachlässigenden Rahmen bewegen. Von Erleichterungen oder einer Befreiung des Zolls würde man in Rappach nicht besonders profitieren, da das Leder teils innerhalb des Lehens weiterverarbeitet oder an fahrende Händler verkauft wurde. Nur wenig des Rohleders wurde direkt verkauft und davon nur ein geringer Teil in die Reichsstadt.
So wartete der junge Ritter ab, ob sich eine Gelegenheit bot, seinem Schwertvater argumentativ beizustehen.

Die Amtsschulzin seufzte und wog ihren Kopf hin und her.
“Der Rat steht derzeit in Opposition zur Herrschaft. Lange Geschichte…”,
ihre Augen verengten sich und ein wenig Wut schlich sich auf ihre Züge,
“...aber dort ist man nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Im Zuge der künftigen sauberen Tage könnte man das per Erlass regeln…”.
Frau Kannholt schien zu überlegen und ihr Blick wanderte von einer Ecke des Raumes zur anderen.
“...aber das hülfe eurer Gerberin nicht.”

Hlûdoald nickte verständnisvoll, er war froh dererlei Probleme nur vom Hörensagen zu kennen. In so kleinen Dörfern wie Rappenhag oder Eschenhain gab es weder ein Zunftwesen noch ein Logenwesen oder sonstiges worin sich Freie und Bürgertum sonst so in Städten zu organisieren pflegten und dann anfingen sich dem Adel entgegen zu stellen und allerlei ungebührliche Forderungen zu stellen.
In so kleinen Lehen war der Edle noch das praiosgegebene Oberhaupt und der Herr über Land und Leute, lediglich Baron und Graf wurden mehr geachtet. Wobei diese sich höchst selten in Orten wie Rappenhag blicken ließen.

Gerho nickte seufzend wie beifällig. ‘Natürlich waren die Interessen der Gerberin kein wirklicher Hebel. Aber die Zünftler mit ihrer Borniertheit vorzuführen… Sei’s drum. Praios wird sich schon was dabei gedacht haben, dass sie so sind, wie sie sind.’
“Ich fürchte, ich bin etwas über das Ziel hinausgeschossen. Das Wohl der Menschen von Quakenbrück bis Turehall und mit der neuen Lohmühle auch in Steinbrücken liegt wahrlich außerhalb meiner Befugnisse.”
Er wandte sich kurz zu Frau Löbich. “Seine Hochgeboren von Schleiffenröchte wird hoffentlich nicht zu sehr verstimmt sein, wenn er von dieser Anmaßung erfährt.” Gerhos Blick sollte Frau Löbich keinen Zweifel an seinem Wunsch lassen, dass sie dem Vogt ausführlichst berichten möge.
“Also gut, Frau Kannholt. Freie fachkundige Hilfe und ein Zollverzicht für die Brauerei für 10 Götterläufe. Das ist wie gesagt großzügig. Damit sollten sich die anstehenden Kosten rechnen lassen.” ‘Und langfristig den Absatz der Biere fördern’, ergänzte er in Gedanken.

“Dann könnten wir uns nun mit der Qualität der Weinversorung befassen?”
Gerho stand auf und streckte der Amtsschulzin die Hand entgegen.

Diese erhob sich ebenfalls und streckte ihren Arm aus, wobei sie sich, ob ihrer kleinen Statur, weit über den Tisch lehnen musste, um die Hand des Ritters ergreifen zu können. Kurz schien sie die Balance zu verlieren und mit dem Oberkörper auf den Tisch zu kippen, was sie mit einem: “Huch!” kommentierte, fing sich aber ab, richtete sich wieder auf und schüttelte den Kopf. Sie ging schließlich mit ihrem watschelnden Gang um den schweren Schreibtisch herum und schlug in Gerhos dargebotene Hand ein:
“Abgemacht!”,
Dann drehte sie sich zu Hlûdoald und bot ihm ebenfalls die Hand.

Auch Hlûdoald erhob sich und ergriff die Hand der Amtsschulzin: “Freut mich sehr, dass wir uns einig geworden sind und ein für alle Seiten akzeptables Ergebnis erzielt werden konnte. Frau Kannholt ich hoffe sehr dass die Pumpe repariert werden kann. Aber das soll eure Sorge nicht sein. Selbst ohne die Pumpe können wir zumindest sicherstellen, dass nur an den abgesprochenen Tagen verschmutztes Wasser in den Rappenbach eingeleitet wird.”

Danach servierte die Amtsschulzin ihren Gästen den versprochenen Wein und selbst die Scriptorin des Vogtes schien gelöst und stieß freudig mit an.

Epilog


In den nächsten Tagen wurde das Vereinbarte schriftlich fixiert, unterzeichnet und gesiegelt. Die Amtsschulzin konnte die nunmehr zwei bis drei Tage in der Woche, in welchen der Rappenbach klarstes Wasser durch Eisenhuett führte, als Erfolg der Stadtmeisterei und “Geschenk der Kaiserin” an die Bürger der Stadt verkaufen und somit auch als politischen Erfolg verbuchen. Der Rückhalt für den Ratsherr und Zunftmeister innerhalb des Stadtrates begann daraufhin zu schwinden.

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In Garstenborn verwandte man in den nächsten Monaten den gesparten Zoll zum Bau eines Rückhaltebeckens für die Brauerei. Die Idee aus Rappach, den Abschaum der Gerberei aufs Feld zu leiten, nahm man in Bosboldenbruch interessiert auf, war aber skeptisch, ob das bittere Wasser nicht die Weiden oder den Bruchwald schädigen würden. Nach dem Bau des Brauereibeckens wurde daher noch ein Becken für die Gerberei angelegt. Auch das Stauwehr zum Spülen der Garste konnte bald wieder zweckmäßig verwendet werden.

Hernach kamen die eingesparten Zölle weitestgehend der Brauerei selbst zugute, was zu einer Verbesserung von Qualität, Geschmack und letztlich auch zu mehr Umsatz der “Garstenborner Albansbräu” in der Stadt und darüber hinaus führte.

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Amtsschulzin Kannholt hatte Wort gehalten, bereits eine Woche nach der Zusammenkunft traf ein Mechaniker vom Volk der Erzzwerge in Rappenhag ein. Tatsächlich gelang es dem Zwerg, wenn auch unter murren und schimpfen, vor allem darüber wie schlampig und barbarisch die Großlinge doch mit den Errungenschaften und Glanzleistungen seines Volkes umgingen, nach wenigen Tagen die Pumpe wieder instandzusetzen. Er zeigte sogar Ulfert Kordewang, dem ältesten Sohn des Gerbermeisters, wie die Pumpe zu warten war, um ihren Betrieb für die nächsten fünfzig Götterläufe zu gewährleisten. Auch das Freilegen und die Instandsetzung von Becken und Gräben ging gut vonstatten, zur nächsten Schlachtzeit würde alles wieder betriebsbereit sein. Die Abwässer der Gerberei würden dann auf den Wiesen des Abdeckerhofes entsorgt werden und nicht mehr im Rappenbach.

Zufrieden setzte Hlûdoald ein Schreiben an Frau Kannholt, Frau Löbich und seinen Schwertvater Gerho Alban von Bittersteg auf um sie vom Gelingen der Maßnahmen in Rappach in Kenntnis zu setzen.

ENDE