Vom Leben in Lützeltal: Unterschied zwischen den Versionen

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===Hintergrund===
 
===Hintergrund===
Friedewald und Mika waren mit Knecht Bernhelm Anfang Peraine zur [[Lehensfeier Niacebrasalm|Lehensfeier nach Ishna Mur]] aufgebrochen. Kalman und Ciala blieben auf Gut Lützeltal zurück.
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Friedewald und Mika waren mit Knecht Bernhelm zur Lehensfeier Anfang Peraine nach Ishna Mur aufgebrochen. Kalman und Ciala blieben auf Gut Lützeltal zurück.
  
Nach dem [[Pelura Wettbewerb1043|Peluraturnier Anfang Rahja 1043]] kehrten die drei endlich zurück. Doch sie kamen nicht allein. Sie brachten Merle und ihre Tochter mit.
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Nach dem Peluraturnier Anfang Rahja 1043 kehrten die drei endlich zurück. Doch sie kamen nicht allein. Sie brachten Merle und ihre Tochter mit.
  
 
==Merle kommt nach Lützeltal==
 
==Merle kommt nach Lützeltal==
Es war ein sonniger, warmer Tag. In der Nacht hatte es kräftig geregnet, doch die Wiesen und Wege waren über den Tag wieder abgetrocknet. Ein ideales Wetter für die Pflanzen und Früchte, um zu wachsen. Die Bauern waren den Tag über hauptsächlich mit der Kirschernte beschäftigt gewesen. Auch Ciala und Kalman hatten mitgeholfen, die süßen Früchte der gutseigenen  Bäume zu pflücken und die Ernte zu überwachen.
 
  
Nun saßen sie mit Madalin und einigen Bediensteten im Innenhof des Guts an einem langen Tisch und aßen die Vesper, die die Magd zubereitet hatte. Nach dem Essen würden die Früchte noch sortiert. Die weniger guten gingen an die Brennerei, die besonders guten würden über Nacht im Keller gekühlt und gingen dann morgen auf einem Wagen nach Albenhus auf den Markt. Doch der Geoßteil würde heute noch in der Gutsküche eingekocht, um sie für den Winter haltbar zu machen.
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==Ankunft==
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Es war ein sonniger, warmer Tag. In der Nacht hatte es kräftig geregnet, doch die Wiesen und Wege waren über den Tag wieder abgetrocknet. Ein ideales Wetter für die Pflanzen und Früchte, um zu wachsen. Die Bauern waren den Tag über hauptsächlich mit der Kirschernte beschäftigt gewesen. Auch Ciala und Kalman hatten mitgeholfen, die süßen Früchte der gutseigenen  Bäume zu pflücken und die Ernte zu überwachen.
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Nun saßen sie mit Madalin und einigen Bediensteten im Innenhof des Guts an einem langen Tisch und aßen die Vesper, die die Magd zubereitet hatte. Nach dem Essen würden die Früchte noch sortiert. Die weniger guten gingen an die Brennerei, die besonders guten würden über Nacht im Keller gekühlt und gingen dann morgen auf einem Wagen nach Albenhus auf den Markt. Doch der Großteil würde heute noch in der Gutsküche eingekocht, um sie für den Winter haltbar zu machen.
  
 
Kalman hatte sich gerade einen Humpen verdünntes Bier eingegossen, als eine junge Reiterin in den Hof preschte, ihr Pferd zum stehen brachte und sich zügig aus dem Sattel gleiten lies. Kalman sprang sofort auf, als er erkannte, wer dort so eilig angekommen war. Er nahm Mika in den Arm, hob sie hoch und wirbelte sie einmal durch die Luft. „Mika, Schwesterherz! Du bist zurück! Wie schön dich zu sehen!” Dann setzte er sie wieder ab. “Lass dich anschauen, du bist erwachsen geworden!“
 
Kalman hatte sich gerade einen Humpen verdünntes Bier eingegossen, als eine junge Reiterin in den Hof preschte, ihr Pferd zum stehen brachte und sich zügig aus dem Sattel gleiten lies. Kalman sprang sofort auf, als er erkannte, wer dort so eilig angekommen war. Er nahm Mika in den Arm, hob sie hoch und wirbelte sie einmal durch die Luft. „Mika, Schwesterherz! Du bist zurück! Wie schön dich zu sehen!” Dann setzte er sie wieder ab. “Lass dich anschauen, du bist erwachsen geworden!“
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Nun schaute sich Kalman besorgt um. “Wo sind Vater und Bernhelm? Kommen sie nicht? Es ist doch nichts passiert?”
 
Nun schaute sich Kalman besorgt um. “Wo sind Vater und Bernhelm? Kommen sie nicht? Es ist doch nichts passiert?”
  
“Ach Quatsch!”, erwiderte Mika mit einem Lachen. “Die alten Männer sind halt nicht so schnell. Außerdem haben Sie Merle und das Baby im Schlepptau.” Noch bevor Kalman darauf reagieren konnte, lief Mika freudig auf Ciala zu, die für sie stets eher wie eine Mutter war als ihre Schwägerin. Mikas Mutter war bei einem Reitunfall gestorben, als Mika noch ein Baby war, und deshalb kamen Kalman und Ciala zurück nach Lützeltal, um sich um das Gut, den Vater und auch um die kleine Mika zu kümmern. Auch war Mika nur wenig älter als Cialas ältestetes Kind Lukardis. Und so wuchs Mika mit ihren beiden Neffen und ihrer Nichte auf, als wären sieihre Geschwister.
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“Ach Quatsch!”, erwiderte Mika mit einem Lachen. “Die alten Männer sind halt nicht so schnell. Außerdem haben Sie Merle und das Baby im Schlepptau.” Noch bevor Kalman darauf reagieren konnte, lief Mika freudig auf Ciala zu, die für sie stets eher wie eine Mutter war als ihre Schwägerin. Mikas Mutter war bei einem Reitunfall gestorben, als Mika noch ein Baby war, und deshalb kamen Kalman und Ciala zurück nach Lützeltal, um sich um das Gut, den Vater und auch um die kleine Mika zu kümmern. Auch war Mika nur wenig älter als Cialas ältestes Kind Lukardis. Und so wuchs Mika mit ihren beiden Neffen und ihrer Nichte auf, als wären sie ihre Geschwister.
  
 
Mika drückte Ciala freudig. “Ciala, wie schön es ist, wieder hier zu sein. Ich habe dir so viel zu erzählen.”
 
Mika drückte Ciala freudig. “Ciala, wie schön es ist, wieder hier zu sein. Ich habe dir so viel zu erzählen.”
  
„Ach mei. Kind, was bin I froh, das dir nix passiert is. Jedsmoi hab i Angst, wannst weg bist.“  Im Überschwang der Freude viel Ciala in den Dialekt ihrer Familie zurück, den sie normalerweise in der Albebhuser Gegend nicht benutzte. Mütterlich drückte Ciala Mika an ihre Brust und presste ihr einen dicken Schmatz auf die Backe. Dann richtete sie ihr langes, kastanienbraunes Haar wieder und band sich daraus einen buschigen Schweif. „Aber was sagst du da? Merle und die kleine Liudi kommen? Warum denn das?“ Skeptisch zogen sich ihre Augenbrauen zusammen und sie runzelte die Stirn. Das hatte sicher nichts Gutes zu bedeuten. Sie liebte das kleine Mädchen, als wäre es ihre Enkelin. Bei Merle und Gudekar sah es anders aus. Jeder für sich war in Ordnung, aber den Bund, den sie geschlossen hatten, hielt sie für falsch. Gudekar war aber damals alt genug gewesen und hatte selbst so gedrängt. Und jetzt hatte er eine Affäre mit irgendeinem Weibsstück gehabt, kaum, dass er außer Sichtweite gewesen war. In Gedanken schüttelte sie den Kopf. Er hätte den Bund nie schließen dürfen. Aber er hatte vor Travia geschworen, da gab es kein zurück mehr. Auch Kalman war nicht immer einfach, sie selbst sicher auch. Trotzdem, ach, das konnte man nicht vergleichen. Ihren Kalman kannte sie damals schon lange. Der schusselige Magus hatte die erste Frau genommen, die er gefunden hatte. „Gudi treibt sich wieder rum, oder? Und sie haben gestritten.“  
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„Ach mei. Kind, was bin I froh, das dir nix passiert is. Jedsmoi hab i Angst, wannst weg bist.“  Im Überschwang der Freude fiel Ciala in den Dialekt ihrer Familie zurück, den sie normalerweise in der Albebhuser Gegend nicht benutzte. Mütterlich drückte Ciala Mika an ihre Brust und presste ihr einen dicken Schmatz auf die Backe. Dann richtete sie ihr langes, kastanienbraunes Haar wieder und band sich daraus einen buschigen Schweif. „Aber was sagst du da? Merle und die kleine Liudi kommen? Warum denn das?“ Skeptisch zogen sich ihre Augenbrauen zusammen und sie runzelte die Stirn. Das hatte sicher nichts Gutes zu bedeuten. Sie liebte das kleine Mädchen, als wäre es ihre Enkelin. Bei Merle und Gudekar sah es anders aus. Jeder für sich war in Ordnung, aber den Bund, den sie geschlossen hatten, hielt sie für falsch. Gudekar war aber damals alt genug gewesen und hatte selbst so gedrängt. Und jetzt hatte er eine Affäre mit irgendeinem Weibsstück gehabt, kaum, dass er außer Sichtweite gewesen war. In Gedanken schüttelte sie den Kopf. Er hätte den Bund nie schließen dürfen. Aber er hatte vor Travia geschworen, da gab es kein zurück mehr. Auch Kalman war nicht immer einfach, sie selbst sicher auch. Trotzdem, ach, das konnte man nicht vergleichen. Ihren Kalman kannte sie damals schon lange. Der schusselige Magus hatte die erste Frau genommen, die er gefunden hatte. „Gudi treibt sich wieder rum, oder? Und sie haben gestritten.“  
  
 
Mika wich einen Schritt zurück. Sie wusste, wenn Ciala einen so anschaute, musste man auf der Hut sein. Und am besten die Wahrheit sagen. Etwas stotternd und unsicher antwortete sie: “Ge..gestritten? Wa… warum sollten die beiden denn streiten?” Dann wurden ihre Worte wieder sicherer. “Naja, schon, Gudekar muss wieder auf Reisen. Vater hat ihn fortgeschickt. Aber es hat einen schönen Grund!” Jetzt strahlte sie bis über beide Ohren und schaute abwechselnd zu Kalman und Ciala. “Stellt euch vor: Gwenn wird heiraten! Sie hat auf dem Pelura-Turnier einen Mann gefunden und Vater hat dem zugestimmt! Endlich! Eine Hochzeit! Wir werden eine Hochzeit feiern! Ist das nicht schön?”
 
Mika wich einen Schritt zurück. Sie wusste, wenn Ciala einen so anschaute, musste man auf der Hut sein. Und am besten die Wahrheit sagen. Etwas stotternd und unsicher antwortete sie: “Ge..gestritten? Wa… warum sollten die beiden denn streiten?” Dann wurden ihre Worte wieder sicherer. “Naja, schon, Gudekar muss wieder auf Reisen. Vater hat ihn fortgeschickt. Aber es hat einen schönen Grund!” Jetzt strahlte sie bis über beide Ohren und schaute abwechselnd zu Kalman und Ciala. “Stellt euch vor: Gwenn wird heiraten! Sie hat auf dem Pelura-Turnier einen Mann gefunden und Vater hat dem zugestimmt! Endlich! Eine Hochzeit! Wir werden eine Hochzeit feiern! Ist das nicht schön?”
  
 
Kalman klappte die Kinnlade hinunter. “Was werden wir? Was macht Gwenn?... Wen?” Er konnte die Neuigkeiten kaum glauben.
 
Kalman klappte die Kinnlade hinunter. “Was werden wir? Was macht Gwenn?... Wen?” Er konnte die Neuigkeiten kaum glauben.
 
 
Auch Ciala fiel aus allen Wolken. „Bei Travia, hoffentlich hat sie sich das gut überlegt. Wie heißt er, nein besser, hast du ihn schon gesehen und dir einen Eindruck gemacht?“
 
Auch Ciala fiel aus allen Wolken. „Bei Travia, hoffentlich hat sie sich das gut überlegt. Wie heißt er, nein besser, hast du ihn schon gesehen und dir einen Eindruck gemacht?“
  
 
Mika schaute die beiden an. Dann sprudelte es aus ihr heraus. “Ich weiß nicht genau, Herrendings oder so ist sein Name. Er ist eine Art Kaufmann oder sowas und arbeitet wohl für einen Mersinger. Vater hat den ausgesucht und alles ausgehandelt, ich war nicht die ganze Zeit dabei, das war mir zu langweilig. Im Rahjatempel war ja das Fest.”
 
Mika schaute die beiden an. Dann sprudelte es aus ihr heraus. “Ich weiß nicht genau, Herrendings oder so ist sein Name. Er ist eine Art Kaufmann oder sowas und arbeitet wohl für einen Mersinger. Vater hat den ausgesucht und alles ausgehandelt, ich war nicht die ganze Zeit dabei, das war mir zu langweilig. Im Rahjatempel war ja das Fest.”
  
“Eine Zweckehe also”, warf Kalman ein. Aber gut, vertrauen wir Vaters Urteil. Es wird ja auch Zeit, dass Gwenn in den Traviabund gesteckt wird. Sie soll ja keine alte Jungfer werden. Aber Moment, wenn sie einen Vasallen der Mersinger heiraten soll, muss sie ihren Posten am Hof aufgeben!”
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“Eine Zweckehe also”, warf Kalman ein. “Aber gut, vertrauen wir Vaters Urteil. Es wird ja auch Zeit, dass Gwenn in den Traviabund gesteckt wird. Sie soll ja keine alte Jungfer werden. Aber Moment, wenn sie einen Vasallen der Mersinger heiraten soll, muss sie ihren Posten am Hof aufgeben!”
  
 
“Ja, um das alles zu klären hat Vater Gudekar losgeschickt”, erklärte Mika. “Aber Gwenn wirkte ganz glücklich und zufrieden. Er kennt ja sowohl die Vögtin als auch diesen Mersinger ganz gut, meinte Vater.”
 
“Ja, um das alles zu klären hat Vater Gudekar losgeschickt”, erklärte Mika. “Aber Gwenn wirkte ganz glücklich und zufrieden. Er kennt ja sowohl die Vögtin als auch diesen Mersinger ganz gut, meinte Vater.”
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Mersinger, diese Familie hatte irgendwie einen seltsamen Ruf. Irgendwas war da mal passiert. Wie in jeder Familie, tröstete sie sich. Dann bekam Ciala einen Schreck und das Herz pochte ihr kurz bis zum Hals. „Rosengarten? Aber hoffentlich nicht diesen kleinen, seltsamen, wie heißt er gleich? Über den wird viel geredet, der streitet gerne rum und ist dauernd in Begleitung junger Mädchen. Den wird sie auf keinen Fall heiraten. Lares, ja genau Lares heißt er.“ Ciala hielt regen Kontakt sowohl zu den Frauen im Dorf als auch zu anderen adligen Damen und hatte so ein zwar grobes, aber recht großes Wissen, über wen gerade gelästert wurde.
 
Mersinger, diese Familie hatte irgendwie einen seltsamen Ruf. Irgendwas war da mal passiert. Wie in jeder Familie, tröstete sie sich. Dann bekam Ciala einen Schreck und das Herz pochte ihr kurz bis zum Hals. „Rosengarten? Aber hoffentlich nicht diesen kleinen, seltsamen, wie heißt er gleich? Über den wird viel geredet, der streitet gerne rum und ist dauernd in Begleitung junger Mädchen. Den wird sie auf keinen Fall heiraten. Lares, ja genau Lares heißt er.“ Ciala hielt regen Kontakt sowohl zu den Frauen im Dorf als auch zu anderen adligen Damen und hatte so ein zwar grobes, aber recht großes Wissen, über wen gerade gelästert wurde.
  
„Ach, Ciala! Sie soll dich nicht den Mersinger heiraten, sondern seinen… wie heißt das? Ach, ja, seinen Kontormeister“, warf Mika ein und verdrehte dabei die Augen.
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„Ach, Ciala! Sie soll doch nicht den Mersinger heiraten, sondern seinen… wie heißt das? Ach, ja, seinen Kontormeister“, warf Mika ein und verdrehte dabei die Augen.
  
 
„Rosenhain, ihr meint Rosenhain, nicht Rosengarten“, korrigierte Kalman die beiden Frauen. „Das ist ganz schön weit weg. Aber gut, ich glaube, Vater hält viel von dem jungen Mersinger, seiner ritterlichen Tugendhaftigkeit, seiner Praiostreue. Er hat jedenfalls nach seiner Reise nach Liepenstein im Winter viel Gutes von ihm gesprochen. Und der dortige Kontormeister kann sicherlich gut mit der Münze umgehen, so dass sicherlich gut für Gwenn gesorgt sein wird. Aber es ist so weit weg, und Gwenn wird ihren Posten am Hof in Albenhus aufgeben müssen. Ob sich Vater das reiflich überlegt hat? Ich werde heute Abend unter vier Augen mit ihm darüber sprechen. Vielleicht ist es besser, bis dahin keine Bedenken zu äußern, wenn er denn bald kommt.“
 
„Rosenhain, ihr meint Rosenhain, nicht Rosengarten“, korrigierte Kalman die beiden Frauen. „Das ist ganz schön weit weg. Aber gut, ich glaube, Vater hält viel von dem jungen Mersinger, seiner ritterlichen Tugendhaftigkeit, seiner Praiostreue. Er hat jedenfalls nach seiner Reise nach Liepenstein im Winter viel Gutes von ihm gesprochen. Und der dortige Kontormeister kann sicherlich gut mit der Münze umgehen, so dass sicherlich gut für Gwenn gesorgt sein wird. Aber es ist so weit weg, und Gwenn wird ihren Posten am Hof in Albenhus aufgeben müssen. Ob sich Vater das reiflich überlegt hat? Ich werde heute Abend unter vier Augen mit ihm darüber sprechen. Vielleicht ist es besser, bis dahin keine Bedenken zu äußern, wenn er denn bald kommt.“
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===Die Nachzügler kommen===
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Es dauerte fast eine Stunde, bis schließlich auch der Tross der übrigen Reisegruppe eintraf. Ciala hatte zwischenzeitlich die Magd Wiltrud damit beauftragt, ein Zimmer für Merle und das Baby herzurichten, ließ sich jedoch beim besten Willen nicht davon abbringen, tatkräftig mitzuhelfen. Anschließend sollte Wiltrud ein Mahl für die Reisenden bereiten und erfrischende Getränke bereitstellen. Mika und Kalman setzten sich derweil an die Tafel und Mika fing an, von ihrer Reise zu erzählen. Sie war dabei jedoch so aufgeregt, dass sie keinen roten Faden in ihrer Erzählung erkennen ließ. Kalman konnte ihr nur wenig folgen, ließ sie aber gewähren, denn er wusste, dass Ciala später darauf bestehen würde, dass Mika noch einmal alles in allen Einzelheiten erzählte.
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Schließlich war von weitem Hufgetrappel und das Rollen von Wagenrädern zu hören, die sich auf der Straße dem Gutshof näherten. Ciala war gerade aus der Küche gekommen. Friedewald von Weissenquell, der Edle von Lützeltal, ritt voran, gefolgt von Bernhelm, der einen Wagen lenkte. Hinten auf der Ladefläche hatte es sich zwischen dem Gepäck Merle bequem gemacht, die gerade Liudbirg Rotrude an ihrer Brust stillte.
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Kalman erhob sich, lief seinem Vater entgegen und nahm die Zügel des Pferdes entgegen. „Willkommen daheim Vater! Wir freuen uns, dass ihr wohlbehalten zurückgekehrt seid!“
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„Schwiegervater Friedewald! Die Götter zum Gruße, sie haben nicht nur Euch sicher zu uns gebracht, sondern auch Merle und die kleine Liudbirg.“ Ciala ging zu dem Wagen, um Mutter und Tochter beim Aussteigen zu helfen. „Wie kommen wir zu der Ehre? Es ist doch hoffentlich nichts passiert?“
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Friedewald stieg von seinem Pferd ab, streckte sich kurz und umarmte dann seinen Sohn. „Travia mit dir, mein Junge! Ach, ist es nicht schön, nach einer langen Reise endlich wieder auf heimatlichem Boden zu stehen? Danken wir Travia für ihre Großherzigkeit, uns immer wieder zu Hause willkommen zu heißen!“ Dann wandte er sich an seine Schwiegertochter. „Ciala, meine Tochter! Travia zum Gruße! Es ist schön, dich wohlauf wiederzusehen!“ Wieder an seinen Sohn gerichtet, sprach der Edle weiter: “Kalman, es gibt viel zu besprechen. Doch bevor wir reden, wollen wir erst etwas essen und trinken. Ich denke, Merle wird erschöpft sein.“
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„Ach Vater, mir geht es doch gut. Behandle mich nicht immer, als sei ich krank! Die Niederkunft ist doch nun schon zwei Monde her.“ Merle stieg vorsichtig vom Wagen, die Kleine auf ihrem Arm haltend. Als sie festen Boden unter sich hatte, umarmte sie ihre Schwägerin herzig mit dem freien Arm. „Travia mit dir, Ciala! Es ist schön, wieder hier zu sein! Du warst so gütig in Albenhus zu mir. Danke, dass ich in deinem Haus unterkommen darf!“
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Ciala strahlte, als sie ihre Schwägerin und den Säugling sah. Sie liebte Kinder. „Merle, gib sie mir etwas, dann kannst du dich etwas strecken.“
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Auch Merle strahlte zurück und legte das Mädchen in den Arm ihrer Schwägerin. „Hier, Ciala, Liudbirg Rotrude wird sich freuen, bei ihrer Tante zu sein.” Und tatsächlich wirkte es, als würde das gerade eingeschlafene Kind zufrieden lächeln. Merle streckte sich genüsslich und nahm einen Becher Wasser von dem Tablett, das Wiltrud herangetragen hatte. Dann schaute sie sich um. „Es wirkt alles so friedlich hier, so ruhig! Ganz anders als in der Stadt.“ Sie machte eine Pause.
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„Wo ist dein Mann? Habt ihr gestritten?“, fragte Ciala.
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„Gudekar ist noch in Albenhus. Doch er wird bald mit Gwenn aufbrechen, in die Heimat ihres neuen Verlobten. Und Vater fand, es wäre doch eine gute Idee, wenn wir die Zeit bis zu seiner Rückkehr hier verbringen. Ich glaube, Friedewald macht sich zu viele Sorgen um uns. Aber es ist schön zu wissen, dass wenigstens noch einige Weissenquells die Gebote Travias und die Familie ehren.“
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„Hm…“ Ciala tätschelte Liudbirg und blieb skeptisch. „Es täte ihm gut, wenn ihr drei etwas bei uns bleiben würdet. All die Jahre war alles in Ordnung und endlich bekommt ihr ein Butzelchen, da wird er seltsam. Auf Gwenns Hochzeit wird das schon wieder, da treten wir als geeinte Familie auf.“
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“Ach, das wäre so schön! Ich hoffe, wenn er nicht mehr so oft auf Reisen muss, kommt er wieder zur Ruhe. Ich sehe, ihr habt etwas zu essen bereit gestellt. Das ist so lieb! Ich habe wirklich Hunger.”
  
 
==Ein erfrischendes Bad==
 
==Ein erfrischendes Bad==
Nachdem das Gepäck vom Wagen geladen war, setzten sich die Reisenden an die Tafel im Hof und genossen die Speisen und Getränke, die Wiltrud aufgetragen hatte. Es wurde nicht viel geredet, denn die Reisenden schienen sehr erschöpft zu sein. So zog sich auch Merle sehr bald mit ihrem Kind zurück in ihre Kammer. Friedewald ließ sich von Kalman über den Hof und durch das Dorf führen, dass dieser dem Edlen über die wichtigsten Ereignisse in Lützeltal unterrichten konnte. Ciala war noch zusammen mit Willtrud am Gange, die Überreste der Vesper zu beseitigen, als Mika mit einem Bündel über der Schulter fröhlich den Wohntrakt verließ und leichten Fußes zielstrebig auf dem Weg in Richtung des Tores schritt, das den Gutshof vom Dorf trennte. Mika pfiff eine Melodie vor sich her, die Ciala nicht kannte, die ihr jedoch eine zwergische Weise zu sein schien.
 
  
Ciala freute sich, dass die Wogen etwas geglättet waren. Wie üblich besprach ihr Kalman erst alleine alles mit seinem Vater, um es ihr dann in ihrem Schlafgemach zu erzählen. Seiner Meinung nach sollte seine Gattin über den Stand der Dinge Bescheid wissen und sie lebten immer noch in ehrlicher Liebe und Gleichberechtigung. Auch im Haus herrschte Ordnung und als Ciala Mika so fröhlich sah – sie hatte immer schon starke Muttergefühle ihr gegenüber gehabt – bekam sie Lust, mitzugehen. “Mika, warte kurz. Wenn du nichts dagegen hast, begleite ich dich etwas auf einen Plausch. Und wir finden sicher was hübsches oder Brauchbares für die Jagd”
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Nachdem das Gepäck vom Wagen geladen war, setzten sich die Reisenden an die Tafel im Hof und genossen die Speisen und Getränke, die Wiltrud aufgetragen hatte. Es wurde nicht viel geredet, denn die Reisenden schienen sehr erschöpft zu sein. So zog sich auch Merle sehr bald mit ihrem Kind zurück in ihre Kammer. Friedewald ließ sich von Kalman über den Hof und durch das Dorf führen, so dass dieser den Edlen über die wichtigsten Ereignisse in Lützeltal unterrichten konnte. Ciala war noch zusammen mit Wiltrud am Gange, die Überreste der Vesper zu beseitigen, als Mika mit einem Bündel über der Schulter fröhlich den Wohntrakt verließ und leichten Fußes zielstrebig auf dem Weg in Richtung des Tores schritt, das den Gutshof vom Dorf trennte. Mika pfiff eine Melodie vor sich her, die Ciala nicht kannte, die ihr jedoch eine zwergische Weise zu sein schien.
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Ciala freute sich, dass die Wogen etwas geglättet waren. Wie üblich besprach ihr Kalman erst alleine alles mit seinem Vater, um es ihr dann in ihrem Schlafgemach zu erzählen. Seiner Meinung nach sollte seine Gattin über den Stand der Dinge Bescheid wissen und sie lebten immer noch in ehrlicher Liebe und Gleichberechtigung. Auch im Haus herrschte Ordnung und als Ciala Mika so fröhlich sah – sie hatte immer schon starke Muttergefühle ihr gegenüber gehabt – bekam sie Lust, mitzugehen. “Mika, warte kurz. Wenn du nichts dagegen hast, begleite ich dich etwas auf einen Plausch. Und wir finden sicher was hübsches oder Brauchbares für die Jagd.”
  
 
„Gerne, Ciala, ich wollte gerade zum oberen Bachlauf gehen und nach dem langen Ritt ein kühles Bad im Lützelbach nehmen. Begleitest du mich?“
 
„Gerne, Ciala, ich wollte gerade zum oberen Bachlauf gehen und nach dem langen Ritt ein kühles Bad im Lützelbach nehmen. Begleitest du mich?“
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„Prima! Dann warte ich hier, bis du dir trockene Tücher geholt hast.“  
 
„Prima! Dann warte ich hier, bis du dir trockene Tücher geholt hast.“  
  
Als Ciala ihre Sachen geholt hatte, schlenderten die beiden Frauen durch das Dorf, vorbei am Gasthaus und der Brennerei, aus der es nach vergorener Maische roch. Sie folgten dem kleinen Pfad, der firunwärts abzweigte und sich mehr oder weniger entlang des Baches schlängelte, vorbei erst an der Wassermühle später an der Forellenzucht. Die Geräusche aus dem Sägewerk der kleinen Tischlerei verrieten, dass hier gerade Bretter geschnitten wurden, vermutlich für die neue Scheune des Bauern Zweyfeld. Die alte Scheune war im Frühjahr eines nachts niedergebrannt.
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Als Ciala ihre Sachen geholt hatte, schlenderten die beiden Frauen durch das Dorf, vorbei am Gasthaus und der Brennerei, aus der es nach vergorener Maische roch. Sie folgten dem kleinen Pfad, der firunwärts abzweigte und sich mehr oder weniger entlang des Baches schlängelte, vorbei erst an der Wassermühle, später an der Forellenzucht. Die Geräusche aus dem Sägewerk der kleinen Tischlerei verrieten, dass hier gerade Bretter geschnitten wurden, vermutlich für die neue Scheune des Bauern Zweyfeld. Die alte Scheune war im Frühjahr eines Nachts niedergebrannt.
  
„Ein perfekter Tag, den uns die Götter schenken. Es mag nicht die große Stadt sein, oder das bekannteste Dorf. An solchen Tagen bin ich einfach froh, hier zu sein und dass sich die Armut in Grenzen hält. Trotzdem ist mir mal wieder danach, den Herren Firun zu huldigen.“ Aufmerksam äugte sie zu Mika, die gerade etwas stiller war. „Bedrückt dich etwas? Warum heiratet Gwenn einen Gemeinen? Auf Dauer wird das unsere Familie schwächen. Sie ist hübsch. Ich hatte gehofft, dass sie jemanden findet, der unseren Stand hebt.“
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„Ein perfekter Tag, den uns die Götter schenken. Es mag nicht die große Stadt sein, oder das bekannteste Dorf. An solchen Tagen bin ich einfach froh, hier zu sein und dass sich die Armut in Grenzen hält. Trotzdem ist mir mal wieder danach, dem Herren Firun zu huldigen.“ Aufmerksam äugte sie zu Mika, die gerade etwas stiller war. „Bedrückt dich etwas? Warum heiratet Gwenn einen Gemeinen? Auf Dauer wird das unsere Familie schwächen. Sie ist hübsch. Ich hatte gehofft, dass sie jemanden findet, der unseren Stand hebt.“
  
„Ach Ciala“, antwortete Mika fröhlich, „mir ist die Ruhe des Tal viel lieber als die große Stadt. Das Rahja-Fest in Albenhus war ja wirklich schön, und nächstes Jahr sollten Du und Kalman unbedingt auch an dem Pelura-Turnier teilnehmen. Das macht wirklich Spaß! Aber es sind überall so viele Leute, und man hat keine Gelegenheit, ihnen auszuweichen. Hier kann man auch einfach mal durch die Wälder streifen, oder die Stille des Waldes bei der Jagd genießen. Ach ja, die Jagd… Hab ich dir schon von Meister Ubararum und meiner Jagd in Ishna Mur erzählt?“  
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„Ach Ciala“, antwortete Mika fröhlich, „mir ist die Ruhe des Tals viel lieber als die große Stadt. Das Rahja-Fest in Albenhus war ja wirklich schön, und nächstes Jahr sollten Du und Kalman unbedingt auch an dem Pelura-Turnier teilnehmen. Das macht wirklich Spaß! Aber es sind überall so viele Leute, und man hat keine Gelegenheit, ihnen auszuweichen. Hier kann man auch einfach mal durch die Wälder streifen, oder die Stille des Waldes bei der Jagd genießen. Ach ja, die Jagd… Hab ich dir schon von Meister Ubararum und meiner Jagd in Ishna Mur erzählt?“  
  
 
Natürlich war es Ciala nicht entgangen, auf was nicht geantwortet wurde. Anscheinend konnte Mika den Kerl gut leiden. “Das Tal ist unsere Heimat, unser Rückzug um nach dem, was man oft Schreckliches anderswo erlebt, seine Seele heilen zu lassen. Ich liebe Pelura, natürlich mache ich mit.” So weit sie wusste, fand es in Albenhus statt, man sollte sich also sowieso blicken lassen. Zudem würde es eine Mordsgaudi werden. “Nein. Erzähl’ mir davon. Du hast sicher eine begehrenswerte Beute geschossen.”
 
Natürlich war es Ciala nicht entgangen, auf was nicht geantwortet wurde. Anscheinend konnte Mika den Kerl gut leiden. “Das Tal ist unsere Heimat, unser Rückzug um nach dem, was man oft Schreckliches anderswo erlebt, seine Seele heilen zu lassen. Ich liebe Pelura, natürlich mache ich mit.” So weit sie wusste, fand es in Albenhus statt, man sollte sich also sowieso blicken lassen. Zudem würde es eine Mordsgaudi werden. “Nein. Erzähl’ mir davon. Du hast sicher eine begehrenswerte Beute geschossen.”
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„Das kannste wohl so sagen!“ Mika fing an, über das ganze Gesicht zu strahlen. Weißt du, eigentlich wollte ich ja nur ganz früh morgens einen Hasen oder so schießen. Da hab ich mich aus der Binge geschlichen. Aber Meister Ubararum hat mich dabei beobachtet. Aber statt mich zu Meister Borix zu führen, hat er mich in die Berge geführt und ich durfte einen Steinbock schießen. Das war aufregend! Vater war hinterher sehr sauer, aber Borix fand das alles gar nicht schlimm. Er ist so lieb und großherzig. Er hat mich dann sogar eingeladen, ein paar Wochen in Ishna Mur zu bleiben. Aber davon erzähle ich dir später in Ruhe.“
 
„Das kannste wohl so sagen!“ Mika fing an, über das ganze Gesicht zu strahlen. Weißt du, eigentlich wollte ich ja nur ganz früh morgens einen Hasen oder so schießen. Da hab ich mich aus der Binge geschlichen. Aber Meister Ubararum hat mich dabei beobachtet. Aber statt mich zu Meister Borix zu führen, hat er mich in die Berge geführt und ich durfte einen Steinbock schießen. Das war aufregend! Vater war hinterher sehr sauer, aber Borix fand das alles gar nicht schlimm. Er ist so lieb und großherzig. Er hat mich dann sogar eingeladen, ein paar Wochen in Ishna Mur zu bleiben. Aber davon erzähle ich dir später in Ruhe.“
  
„Ach stimmt, du warst ja mit Angroschim unterwegs.“ Sie schürzte anerkennend die Lippen.“Das erzählst du mir am besten beim Baden. Ich habe immer noch ein Faible für die Jagd und will mir einen neuen Bogen kaufen. Was meinst du, wo ich die besten finde? Du machst doch bei unseren Jagden noch mit, wenn du da bist. Ach, die Kolbs haben das sechste Kind bekommen und die Ernte, die sowieso immer schlecht ist, war diesmal besonders übel, ich werde ihnen etwas geben. Die Mutter braucht Kraft.“
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„Ach stimmt, du warst ja mit Angroschim unterwegs.“ Sie schürzte anerkennend die Lippen. “Das erzählst du mir am besten beim Baden. Ich habe immer noch ein Faible für die Jagd und will mir einen neuen Bogen kaufen. Was meinst du, wo ich die besten finde? Du machst doch bei unseren Jagden noch mit, wenn du da bist. Ach, die Kolbs haben das sechste Kind bekommen und die Ernte, die sowieso immer schlecht ist, war diesmal besonders übel, ich werde ihnen etwas geben. Die Mutter braucht Kraft.“
  
 
Mika blieb überrascht stehen und hielt auch Ciala an, indem sie an ihrem Arm zog. Als sich diese umdrehte, fragte Mika: “Was meinst du damit? ‚Wenn ich da bin‘? Soll ich denn wieder weggehen?“ Das Mädchen blickte misstrauisch.
 
Mika blieb überrascht stehen und hielt auch Ciala an, indem sie an ihrem Arm zog. Als sich diese umdrehte, fragte Mika: “Was meinst du damit? ‚Wenn ich da bin‘? Soll ich denn wieder weggehen?“ Das Mädchen blickte misstrauisch.
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Die junge Edlentochter entspannte sich und fing an zu lachen. „Achso! Aber, nein, Ciala, was soll ich denn mit einem Mann? Mein Herz gehört Firun!“
 
Die junge Edlentochter entspannte sich und fing an zu lachen. „Achso! Aber, nein, Ciala, was soll ich denn mit einem Mann? Mein Herz gehört Firun!“
  
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Schließlich erreichten sie jenseits der Ausläufer des Dorfes jene Stelle des Baches, die von den Kindern so gern zum Baden genutzt wurde. Etwa ein Dutzend Kinder des Dorfes tobten hier und genossen die Abkühlung nach getaner Arbeit an diesem heißen Sommertag. Die Kinder schauten neugierig zu den beiden edlen Damen und grüßten dann anständig, als sie sie erkannten.
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„Komm, Ciala“, schlug Mika vor, „lass uns noch ein Stück flussaufwärts gehen, wo wir mehr Ruhe haben.“
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Ohne viele Worte folgte Ciala der jüngeren Frau. Ihr war der obere, ruhigere Teil des Baches ohnehin lieber und sollte Mika etwas erzählen wollen, dann war das ein geeigneter Ort.
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„Schau Ciala, ist das nicht ein schöner Platz zum Baden?” Sie waren an eine seichte Stelle des Baches gekommen, wo er sich zu einem kleinen Teich ausgedehnt hatte. Nicht so breit und so tief wie der See unterhalb der Quelle, aber die Wiese reichte hier beidseitig des Bachlaufs bis ans Ufer. In einiger Entfernung sah man bereits, wie die sanften Hügel in die Berge des Haderholzes übergingen, wo der Bach seinen Ursprung nahm.
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Eine Entenfamilie hatte sich im Schilf am Teichrand niedergelassen und schwamm vergnügt aus dem Wasser. Libellen jagten nach Mücken und anderen Insekten. Ein Greifvogel zog am Himmel seine Kreise.
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Mika ließ sich auf der Wiese nieder und begann, sich ihre Reitstiefel auszuziehen.
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Ciala war heiß und flugs stand sie im Rahjagewand da. Es war gut für ihren Körper, dass sie sich durch Jagd und Reiten fit hielt, doch sah man ihr – nicht, dass es sie gestört hätte – die Geburten einfach an. Sie war attraktiv für ihr Alter und vieles kam durch ihre positive Art, die Dinge zu sehen. „Mika, ich zerfließe, ich hupf schon mal rein, komm dann nach.“ Sie ging an eine Stelle, an der das Wasser besonders tief war, stieg unter Kichern und Stöhnen – je höher sich das kalte Nass auf Ihrem Körper empor arbeitete – hinein und tauchte dann kurz unter. „Komm, es ist wundervoll.“
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Auch Mika war froh, die Reisekleidung vom Körper zu streifen und den warmen Wind auf der Haut zu spüren. Zügig ging sie in das Wasser. Die Kälte des Baches schien ihr nichts auszumachen. Sie suchte sich eine nicht zu tiefe Stelle und legte sich rücklings in das kühle Nasse, so dass ihr Körper gerade so vom Wasser bedeckt war. „Ist das schön erfrischend.“
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"Jetzt sag schon. Erzähl mir mehr von dem Mann. Hast du dich gut amüsiert?” Ciala wollte, dass Mika ihren Spass bei Zwergen, gutem Speis und Trank gehabt hatte und, Travia bewahre, nicht bei einem Kerl, von dem man nichts wusste. Ein paar gute Beziehungen waren wertvoll oder eine Freundin.
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Mika war völlig entspannt und blieb auf dem Rücken und die Arme ausgebreitet im Wasser liegen. „Welchen Mann meinst du? Ach, Meister Ubararum? Das ist doch der Jagdmeister von Meister Borix, also ein Angroscho. Er ist ein wirklich guter Jäger und hat mir einige Tricks gezeigt. Ich glaube, er würde mich sofort zur Ausbildung nehmen. Aber für so lange bei den Zwergen leben? Das ist bestimmt anstrengend. Ich habe mit Vater gesprochen. Er weiß jetzt, wie sehr ich Firun verehre. Vater hat vorgeschlagen, dass er mit einem Geweihten sprechen könnte, den er im Winter kennengelernt hat. Das ist wohl ein Onkel von Herrn Eoban. Vielleicht nimmt er mich ja noch als Novizin auf?“
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Ihre Tante lachte und tauchte kurz im Wasser unter. „Ach nein, den Mann, mit dem Gwenn den Bund schließen wird.“ Wenn schon ein Rustikal, dann brachte er hoffentlich genug Land oder Geld mit. „Es freut mich, diese Idee mit der Novizenschaft. Ein eindeutiges Ziel und eine Berufung. Du hattest immer schon ein Gespür für die Jagd , das hat man gemerkt.“ Sie zögerte etwas. „Diese Angroschim, ich weiß, sie haben eine interessante Kultur und so. Aber auf Dauer? Hm. Klein und haarig.“
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Mika lachte. „Ja, das stimmt. Aber sie sind sehr gastfreundlich.“ Dann hockte sich Mika im Wasser hin und wusch sich gründlich. „Der Mann für Gwenn. Ach so. Ja, der heißt Rhodan. Rhodan Herrenfels oder so ähnlich. Ich war ja nicht die ganze Zeit dabei, als die das ausgehandelt haben. Aber ich glaube, das ist ein reicher Händler aus Rosenhain. Der arbeitet da für diesen Mersinger. Die haben wohl viel Geld. Vater ist einfach froh, dass Gwenn endlich jemanden gefunden hat, der sie noch nimmt. Und er erhofft sich wohl, so gute geschäftliche Beziehungen nach Rosenhain zu bekommen. Ich glaube, er hätte Gwenn lieber mit dem Mersinger selbst vermählt, aber der ist noch zu jung und außerdem schon verlobt. Und Gwenn hat Angst, wenn die neue Gräfin im Amt ist, dass die Vögtin sie dann aus dem Amt drängt.“
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Ciala ließ die Worte auf sich wirken und versuchte einen Stein mit den Zehen aus dem Wasser zu fischen. Mist. Früher waren die nicht so glitschig. „Ja, von dem Mersinger hab ich gehört. Guter Name, aber, sowas spricht sich rum, als Mann würde ich ihm meine Tochter nicht geben. Da ist Gwenn so sicher besser dran. Sie haben sich gern, oder? Also sie wirkt glücklich auf dich? Das ist mir wichtig.“ Mika nickte und holte Luft, um zu reden, doch bevor Mika antworten konnte, fiel Ciala noch etwas ein. Es schmerzte sie mehr, als sie sich anmerken ließ, Mika nun lange nicht mehr zu sehen, es war der richtige Weg, aber er tat weh. Nach dem Bad würde sie zu Merle und ihrer Tochter gehen. „Hast du Freunde gefunden? Was gibt es noch Interessantes? Gerade hier freut man sich doch immer, Neuigkeiten zu erfahren.“
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Tatsächlich fing Mika bei der Frage an zu strahlen. “Ja, Murixe, das ist die Tochter von Borix und Murla, ist sehr nett. Aber auf der Feier habe ich eine Ingrageweihte kennengelernt, Imelda heißt die. Die ist total nett. Schade, dass sie nicht hier in der Nähe wohnt, ich glaube, das wäre eine richtig tolle Freundin. Sie ist gerade auf der Walz. Ich hoffe, sie kommt uns hier mal besuchen. Ich habe versucht, ihr einen der Volkstänze aus dem Dorf beizubringen, aber sie tanzt viel zu wild. Und die kennt auch Gudekar.”
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Es freute Ciala, von Mikas Freundschaften zu hören. Wenigstens hatte sie sich mit niemandem eingelassen und sie würde auch nicht nachfragen. „Hoffentlich kommt sie uns besuchen. Wir sind doch um jedes Gerücht froh.“ Dabei zwinkerte sie ihrer Wahltochter zu. Bei dieser Bemerkung musste Mika schlucken und hätte sich beinahe verschluckt. „Meinst du, wir hätten Gudekar nicht reisen lassen sollen? Davor war alles in Ordnung. Er hatte nur Merle im Sinn. Seit diesem sozialen Treffen ist er ganz anders. Was hat diese Imelda denn erzählt?“
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‚Oh je‘, dachte Mika, ‚jetzt bloß nicht verplappern!‘ Schnell tauchte sie noch einmal im Wasser unter. Als sie wieder hochkam sagte sie: „Mir wird langsam kalt, wir sollten zurückgehen.“ Dann stieg sie aus dem Bach und nahm sich ihr Tuch, um sich abzutrocknen. „Eigentlich hat Imelda gar nichts erzählt. Nur, dass sie Gudekar da auf dieser Hochzeit im Travia kennengelernt hat. Mehr nicht. Nein. Aber ich denke, es ist doch gut, wenn Gudekar nicht immer nur in diesen Klostermauern hockt. Da wird man doch auf Dauer ganz irre, immer nur kalte, triste Mauern. Der muss raus und die Welt sehen. Dere ist sooooooooo“, sie streckte die Arme aus und schlug damit einen Kreis, wobei ihr das Handtuch herunter rutschte, „groß und wild und interessant, das muss man sich doch alles ansehen. Ich beneide Imelda, dass sie jetzt überall hin auf Reisen gehen kann. Ich glaube, sie will sogar die Zyklopeninseln besuchen.“
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Ciala stieg auch aus dem Wasser und trocknete sich ab. Mika brachte sie immer zum Lachen und dann spürte sie wieder den Schmerz des nahenden Verlustes. `Würdest du doch noch bei mir bleiben, meine Kleine`, dachte sie. ”Ja mei, das mag schon sein. Bei dir mache ich mir auch keine Sorgen. Aber irgendwas muss etwas bei Gudi geweckt haben, als er weg war. Er war bisher immer brav und hatte nur Augen für Merle. Und kaum ist er weg… Merle meinte, sie hätte alles getan, um ihn zu halten, und einen Tag danach schwängert er irgendeine.” Während sie sich ankleidete, sprach sie nicht. Als beide fertig waren, trat sie an Mika heran. “Schatzi, du wirst mir so fehlen, das weißt du. Wir, also ich werde es schaffen und die Tage zählen. Du bist doch wie eine Tochter für mich.”
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“Ach Ciala, du überdramatisierst das jetzt aber! Ich bin doch noch gar nicht weg. Außerdem weiß ich ja gar nicht, ob der Meister Firunmar mich überhaupt als Novizin nimmt. Wenn nicht”, Mika streckte die Arme aus und drehte sich schnell im Kreis, “dann bleibe ich für iiiiiiiiiiiiimmer hier!”
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Ciala kniff die Lippen zusammen und dachte wieder an Gudekar. Eigentlich hatte sie ihn recht gern. Bis darauf, dass er sich als junger Mann mit Merle hatte erwischen lassen und aus Trotz auch noch den Bund – den, der für immer galt – geschlossen hatte und gerade jetzt, als sie endlich von Tsa gesegnet wurden, das tat, was er schon damals besser hätte tun sollen. "Sag ehrlich, Mika: Mit dieser Imelda hatte unser Gudi keine Affäre? Oder war da noch mehr auf dem Fest? So, wie ich ihn kenne, wenn das Eis einmal gebrochen ist, weiß ich nicht, ob er danach reuig war, oder etwas entdeckt hat, was er aus Dummheit damals verpasst hat.”
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“Nein, mit der Imelda hatte er ganz sicher nichts! Das hat sie mir gesagt”, antwortete Mika äußerst kurz angebunden und wechselte dann schnell das Thema. “Lass uns lieber nach Hause gehen, bevor es dunkel wird. Ich bin auch müde nach der Reise und würde lieber ins Bett. Und erzähl mir auf dem Weg doch etwas aus dem Lützeltal. Was ist hier passiert? Ihr habt heute Kirschen geerntet? War es ein gutes Kirschenjahr?”
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„Oh ja! Wirklich prächtige rote Früchte. Wir werden einkochen und auch für die Armen genug haben.“ Ciala stupste ihre Wahltochter fröhlich an und zwinkerte. „Und natürlich gibt’s auch wieder den berühmten Kirschgeist. Du, ich will daheim etwas zu Merle schauen.“
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“Prima, ich will auch noch mal das Baby halten.” Mika war begeistert.
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==Drei Frauen und ein Baby==
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Aus der Gutsküche duftete es herrlich nach gekochten Kirschen, als Ciala und Mika den Hof betraten. Die Dämmerung setzte langsam ein, doch in den letzten Lichtstrahlen saß auf eine Bank im Hof Merle, mit Liudbirg Rotrude auf dem Arm, die sie gerade stillte. Die junge Mutter lächelte die beiden Ankömmlinge an. Mika lief sofort zu ihrer Schwägerin, wobei sie das Bündel mit ihren Sachen einfach fallen ließ, und setzte sich neben sie. Strahlend schaute sie den Säugling an.
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„Habt ihr euch gut erfrischt?“ fragte Merle an Ciala und Mika gewandt.
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Sofort wurden Cialas Gesichtszüge verträumt und weich beim Anblick des friedlichen Säuglings. „Erfrischend, sehr erfrischend, wenn ich mal auf die Kleine aufpasse, solltest du das auch machen. Ned wahr, Mika?“ Der Schmerz, ihre Schwägerin so lange nicht zu sehen, kam immer wieder an die Oberfläche.
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Merle lächelte verträumt. Die Aussicht, einmal für eine Weile, und sei es nur eine Stunde, Zeit für sich zu haben und entspannen zu können, war verlockend. „Sehr gerne, Ciala, das wäre schön!“
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„Merle, lass uns doch ein bisschen ratschen und es uns gemütlich machen. Wir hier im Tal bekommen so wenig mit. Und ich bin so neugierig. Mika hat mir schon von ihren Erlebnissen erzählt.“
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„Genau, Merle, du musst uns alles erzählen!“ warf Mika sofort begeistert ein. „Von der Geburt und so. Ich wäre ja so gern dabei gewesen. Schade, dass sich Liudbirg nicht zwei Monde mehr Zeit gelassen hat!“
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Merle lachte herzhaft, legte aber einen belehrenden Ton in ihre Stimme. „Mika, du weißt, dass das nicht möglich ist. Das hätte Liudbirgs und meinen Tod bedeutet!“ dann wurde ihre Stimme wieder sanft. „Mika, Liebes, würdest du bitte Liudbirg nehmen und ins Bett bringen? Wiltrud wird dir sicher helfen und alles zeigen was zu tun ist.”
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Mika schaute zunächst ein wenig enttäuscht. “Aber ich wollte doch auch…”
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“Mika, bitte!” Merle schaute ihre Schwägerin auffordernd an.
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Mit einem Schmollmund antwortete Mika: “Na gut!” Dann setzte sie ein Lächeln in Richtung des kleinen Würmchens an und nahm ihre jüngste Nichte vorsichtig aus Merles Arm. “Komm zu deiner Tante, Liudbirg! Komm wir gehen und machen ein schönes Schläfchen, während die alten Weiber ein dummes Schwätzchen halten!” Das Kind langsam in den Armen schaukelnd ging Mika ins Gutshaus.
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Als sie im Haus war, stand Merle auf, streckte sich, und holte sich von dem kleinen Tisch, der neben dem Eingang zu den Wirtschaftsräumen aufgestellt war, einen Krug mit Sauerbier, das sie mit frisch gepresstem Kirschsaft verdünnte. Mit kräftigen Schlucken trank sie den Krug halb leer. “Ah, das tut gut! Wie habe ich das Sauerbier der Rodenbachs vermisst. So etwas bekommt man in Albenhus nicht.”
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„Das stimmt. Sowas gibt’s nicht überall. Sag, kennst du das Bier, das meine Familie hütet? Recht stark aber süffig.“ Sie verzog genervt das Gesicht. „Meinen Bruder willst du lieber nicht kennen lernen. Entweder bringe ich dir eines mit, oder meine jüngere Schwester kommt mal zu Besuch. Adelmann ist so ein Gockel. Der würde dir viel seines Gebräus geben, dich mit Komplimenten, die ich verstehe, überhäufen- na er kann scho galant sei- und wohl noch schwanger werden lassen.“ Ciala lächelte und schüttelte den Kopf. „Des lass ma liaba.—Warum ist Gudekar nicht mitgekommen? Wieder eine, seiner dringenden Missionen? Und was meinst? Bekommst ihn wieder hin?“
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Merle sank auf ihre Knie und umarmte Cialas Hüften. Sie schmiegte ihren Kopf an den Oberschenkel ihrer Schwägerin. “Ach, Ciala! Er hat sich so verändert. Ich erkenne ihn kaum wieder. Ich weiß ja, dass er mir in Herzogenfurt untreu war, und er versichert mir immer wieder, dass diese Tsalinde ihn nicht mehr interessiert. Aber irgendetwas muss geschehen sein. Es fühlt sich an, als ob ich ihn nicht mehr interessiere.“ Tränen rannen aus ihren Augen. “Aber dass er jetzt nicht hier ist, dass er wieder auf Reisen ist, geschah auf Vater Friedewalds Wunsch.”
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Ciala half Merle auf und sie setzten sich nebeneinander an den Tisch. Die Kleine tat ihr Leid. Sie selbst war im Gegensatz zu ihrem Bruder Travia gläubig und treu. Aber sie kannte auch die andere Seite. „Was sagt er denn dazu? Es ist doch mit dieser geheimen Mission beschäftigt. Das wird ihn verändert haben. Aber…“ Es fühlte sich seltsam an. Noch vor der Hochzeit hätte er alles für Merle und seine Tochter getan. Sinnierend verband sie feuchte Stellen auf dem Tisch zu einem Muster. „Wenn er nach der Reise zu dir kommt, dann wird er doch Rahja mit dir opfern? Das tun sie immer.“
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“Ich hoffe es sehr. Er kann so liebevoll, so zärtlich sein, aber er hat es mich in letzter Zeit nicht mehr spüren lassen. Ich denke”, mit deutlich leiserer Stimme sagte sie die nächsten beiden Worte, “ich hoffe, es liegt einfach an dem, was in Elenvina mit Reto geschehen ist. Das hat viele verändert. Reto war wohl ein guter Freund für Gudekar geworden, seit sie gemeinsam an dieser Sache gearbeitet haben. Ihn dann so zugerichtet zu sehen, ihn selbst aus der Folterkammer der Paktierer zu retten, mehr tot als lebendig, und dann zu sehen, wie Reto gebrochen war, ohne ihm wirklich helfen zu können. Das hat Gudekar mehr mitgenommen, als er zugeben mag. Aber es macht mich traurig, dass er sich nicht einmal mir öffnet. Nicht einmal die Geburt von Liudbirg hat scheinbar sein Herz rühren können.” Immer wieder wurden ihre Worte vom Schluchzen unterbrochen. Merle griff noch einmal nach ihrem Bierkrug und trank einen kräftigen Schluck, um den trockenen Hals zu beruhigen. Dann blickte sie hoffnungsvoller. “Ich hoffe, die Reise mit Gwenn nach Rosenhain bringt ihn auf andere Gedanken. Er hatte schon immer ein gutes Verhältnis zu Gwenn. Vielleicht ist er hinterher wieder mehr er selbst, wenn er sich bei ihr aussprechen konnte.”
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„Ach Merle, Kindchen, komm her.“ Ciala nahm Gudekars Frau fest in die Arme und drückte sie. Der Schmerz schien nun endlich einen Weg aus ihr heraus gefunden zu haben. Sie schluchzte und Ciala war einfach für sie da. Ohne Worte. Eigentlich mochte sie Gudekar auch, obwohl er einen Fehler nach dem anderen beging. Der Bund, ohne den viel Leid erspart geblieben wäre. Merle war hübsch und wäre gewiss mit einem anderen Mann glücklich geworden. Dann die Affäre mit seiner Bekannten. Warum? Er hatte nie besonders von ihr erzählt und auch jetzt spürte man, dass es keine Liebe war. Aber das Kind von ihr, das machte alles komplizierter. Sie war sich fast sicher, dass da noch mehr war. Mit der Gruppe um den Paktierer war er bereits länger unterwegs und jedesmal war ihm Tsalinde egal gewesen, denn er liebte Merle.
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Als diese sich ausgeweint hatte, reichte Ciala ihr eine Waschschüssel, um sich frisch zu machen und holte eine Flasche guten Weines mit zwei Bechern. Sie schenkte ein.
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„Ich danke dir, Ciala, für deine Liebe. Hier bei euch fühle ich endlich wieder geborgen.“ Merle wusch sich ihr Gesicht. Das kühle Wasser tat gut und entspannte sie auf eine angenehme Weise.
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„Bei uns hast du immer ein Zuhause und kannst dich ausruhen, wenn du es brauchst. Bleib doch etwas hier.“ Ciala trank einen Schluck, das brauchte sie jetzt. Auch Merle nahm einen Becher, nippte jedoch nur vorsichtig. Da sie ihr Kind selbst stillte, wollte sie nicht zu viel Wein trinken.
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„Zwei Fragen fallen mir gerade ein. Schreibt ihr euch? Das solltet ihr machen. Und diese Kette, die hat er nun nicht mehr an. Aber du hast danach auch keine starken Gefühle von Lust oder Liebe zu Tsalinde mehr gespürt. Da wird nichts mehr sein.“
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Merle schüttelte den Kopf. „Ich bin mir sicher, dass er das Amulett seit den Ereignissen auf seiner Reise nicht mehr getragen hat. Jedenfalls habe ich nichts mehr von ihm gespürt. Als ich ihn einmal deswegen angesprochen habe, sagte er nur, wenn er in Albenhus ist, sei das doch nicht nötig, wir könnten doch miteinander reden. Aber genau das macht er ja kaum noch mit mir. Und wenn er auf Reisen sei, wolle er es nicht tragen, weil er so oft in gefährliche Situationen komme und er nicht wolle, dass ich mir unnötig viele Sorgen mache, vor allem in der Schwangerschaft wäre das nicht gut gewesen für mich und das Kind. Außerdem sei es doch schade, wenn ein solch besonderes Kleinod bei seinen Ermittlungen verloren gehen würde.“ Merle wusste, dass dies alles nur billige Ausreden waren. Aus Ärger über Gudekars Lügen und ihre Unfähigkeit, sich dagegen zur Wehr zu setzen, leerte sie nun doch ihren Becher. Dann dachte sie über Cialas erste Frage nach.
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„Ach, Ciala, was sollte ich ihm denn schreiben?“
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Sie schrieben sich also nicht. „Kläre ihn darüber auf, dass du bei uns leben wirst, wenn er nicht da ist. Und dann schreib ihm das, was du mir zwischen den Zeilen gesagt hast. Dass du merkst, wie er sich von dir entfernt, nicht richtig mit dir redet und dass du von seinen Ausreden genug hast. Er soll dir sagen, ob er mit einer anderen Frau außer dir eine sexuelle Beziehung hat. Es ist dein Recht, zu wissen, ob es daran liegt.“
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„Ich…“, Merle stotterte, „ich kann das nicht. Ich meine, ich weiß doch gar nicht, was ich schreiben soll. Ich habe sowas noch nie gemacht.“ Zwar hatte Merle im Waisenhaus die Grundzüge der Kusliker Zeichen gelernt, ja, auch Gudekar hatte oft mit ihr geübt, aber ihre Schreibkünste beschränkten sich auf das Aufschreiben von Einkaufslisten oder Rezepten. Einen Brief hatte sie noch nie verfasst.
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„Dann werde ich ihm einen Brief schreiben. Und jetzt trinken wir uns das Leben noch etwas schön.“ Ciala verstand sowohl Merle als auch Gudekar. Beide hatten so harmonisch gewirkt und würden natürlich wieder zusammenfinden müssen. Merle hatte ihre Jugendliebe geheiratet und kannte keine anderen Männer. Und Gudekar war bisher immer brav und fügsam gewesen. Aber Merle konnte selbst jetzt nur das schreiben, was sie musste. Es hatte gereicht. Gudekar war intelligent und was mochte passiert sein, wenn er eine Frau getroffen hatte, die ihn beeindruckte. Nicht immer nur umgekehrt. Diesen Gedanken würde sie weiter nachgehen und schreiben.
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Merle nahm all ihren Mut zusammen, um ihrer Schwägerin zu widersprechen. „Nein, meine Beste“, erwiderte Merle mit der sichersten Stimme, die sie aufbringen konnte, (was allerdings nicht sonderlich sicher klang), „das sollte ich lieber selber machen. Sonst merkt Gudekar doch hinterher, dass der Brief nicht von mir ist.“
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==Vater und Sohn==
 
==Vater und Sohn==
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Am Abend der Ankunft saßen Friedewald und Kalman noch lange zusammen im Hof. Mit einer Pfeife im Mundwinkel erzählte Friedewald von der Reise nach Ishna Mur, den dortigen Feierlichkeiten, Mikas Aufenthalt in der Binge. Nur eine wichtige Begebenheit ließ er aus. Er erzählte von seiner zwischenzeitlichen Weiterreise nach Elenvina. Er berichtete von seinem Treffen mit Morgan und wie es Kalmans Sohn an der Akademie erging.  
 
Am Abend der Ankunft saßen Friedewald und Kalman noch lange zusammen im Hof. Mit einer Pfeife im Mundwinkel erzählte Friedewald von der Reise nach Ishna Mur, den dortigen Feierlichkeiten, Mikas Aufenthalt in der Binge. Nur eine wichtige Begebenheit ließ er aus. Er erzählte von seiner zwischenzeitlichen Weiterreise nach Elenvina. Er berichtete von seinem Treffen mit Morgan und wie es Kalmans Sohn an der Akademie erging.  
  
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Friedewald schluckte. “Ich bin mir sicher, der Herr Herrenfels wird sich bei seinen Vergnügungen geschickter anstellen.”
 
Friedewald schluckte. “Ich bin mir sicher, der Herr Herrenfels wird sich bei seinen Vergnügungen geschickter anstellen.”
 
 
Die Blicke Kalmans zeigten deutlich, was er von der Bemerkung seines Vaters hielt, doch verlor er kein Wort darüber. “Gwenn wird ihre Stellung am Hofe aufgeben müssen. Ist es das wert?”
 
Die Blicke Kalmans zeigten deutlich, was er von der Bemerkung seines Vaters hielt, doch verlor er kein Wort darüber. “Gwenn wird ihre Stellung am Hofe aufgeben müssen. Ist es das wert?”
  
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Nun schaute Kalman erschrocken. “Was ist los, Vater? Rück raus, was bedrückt dich?”
 
Nun schaute Kalman erschrocken. “Was ist los, Vater? Rück raus, was bedrückt dich?”
  
Friedewald blieb zunächst stumm. Er nahm die beiden Bierkrüge und füllte sie auf. Dann holte er eine Karaffe aus einem Regal, füllte den blutroten Schnaps in zwei Becherchen und reichte Kalman eines. Die Karaffe stellte er auf den Tisch, an dem die beiden Männer es sich bequem gemacht hatten. “Die erinnerst dich an die Geschichte aus Talwacht? Der Paktierer Pruch, der dort Chaos angerichtet hat?”
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Friedewald blieb zunächst stumm. Er nahm die beiden Bierkrüge und füllte sie auf. Dann holte er eine Karaffe aus einem Regal, füllte den kräftiggrünen Schnaps in zwei Becherchen und reichte Kalman eines. Die Karaffe stellte er auf den Tisch, an dem die beiden Männer es sich bequem gemacht hatten. “Die erinnerst dich an die Geschichte aus Talwacht? Der Paktierer Pruch, der dort Chaos angerichtet hat?”
 
 
 
Kalman blickte seinen Vater erwartungsvoll an.
 
Kalman blickte seinen Vater erwartungsvoll an.
  
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“Seine Identität?”
 
“Seine Identität?”
  
“Ja, genau. Dies hat der Paktierer wohl in Herzogenfurt getan, um unerkannt wirken zu können, sagt  Gudekar. Er hat dort einen Travianovizen ausgeschaltet und dessen Gestalt angenommen, um Vater Winnrich zu… entführen.”
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“Ja, genau. Dies hat der Paktierer wohl in Herzogenfurt getan, um unerkannt wirken zu können, sagt  Gudekar. Er hat dort einen Travianovizen ausgeschaltet und dessen Gestalt angenommen, um Vater Winnrich zu… entführen.”
  
 
“Einen Travianovizen? Ausgerechnet einen Travianovizen, sagst du?” Kalman war erschrocken. “Dann können wir also niemanden im Dorf mehr trauen?”
 
“Einen Travianovizen? Ausgerechnet einen Travianovizen, sagst du?” Kalman war erschrocken. “Dann können wir also niemanden im Dorf mehr trauen?”
  
 
“Nein, im Prinzip nicht. Außer uns natürlich. Ich bin mir sicher, dass wir in einem solchen Fall etwas bemerkt hätten, wenn sich plötzlich das Verhalten von einem der unseren geändert hätte. Und genau nach solchen Änderungen möchte ich Bernhelm suchen lassen.”
 
“Nein, im Prinzip nicht. Außer uns natürlich. Ich bin mir sicher, dass wir in einem solchen Fall etwas bemerkt hätten, wenn sich plötzlich das Verhalten von einem der unseren geändert hätte. Und genau nach solchen Änderungen möchte ich Bernhelm suchen lassen.”
 
 
“Vater, ist denn sicher, dass der - wie heißt er? – Pruch bereits im Tal ist?”
 
“Vater, ist denn sicher, dass der - wie heißt er? – Pruch bereits im Tal ist?”
  
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“Gudekar versucht da etwas herauszuhandeln. Der Herrenfelser begleitet ihn. Der ist ein geschickter Verhandler, ich hoffe, die beiden können einen Freundschaftspreis heraushandeln.”
 
“Gudekar versucht da etwas herauszuhandeln. Der Herrenfelser begleitet ihn. Der ist ein geschickter Verhandler, ich hoffe, die beiden können einen Freundschaftspreis heraushandeln.”
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==Ein geschäftiger Morgen==
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Schon kurz nachdem die ersten Lichtstrahlen den Himmel über Lützeltal erhellten, ging das geschäftige Treiben auf dem Gutshof los. Einige Bauern kamen mit ihren Wagen und luden die Kirschen des Gutes auf, die nach Albenhus gebracht werden sollten. Damit diese die Fahrt trotz der sommerlichen Hitze gut überstanden, wurden einige Eisschollen aus dem Eiskeller geholt und in große Wannen unter die mit Stroh gepolsterten Körbe gelegt. Man wollte die Kühle des Morgens nutzen, um soweit wie möglich zu kommen, bevor Praios sein Antlitz in voller Pracht über das Grafenland erstrahlen ließ. In Schlatt würden die Früchte dann auf einen Flusssegler geladen werden.
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Auch Mika war bereits früh wach und hatte bereits einen Streifzug über die morgendlichen Wiesen hinter sich. Sie liebte es, den kühlen Morgentau des Grases an ihren nackten Füßen zu spüren. Nun saß sie an dem Tisch im Hof, aß eine Schüssel mit Honig gesüßtem und mit Kirschen verziertem Milch-Getreide-Brei und kommentierte das emsige Treiben um sie herum immer wieder mit mehr oder weniger hilfreichen Zurufen, als Merle aus der Tür kam. Auf dem linken Arm trug sie Liudbirg Rotrude, in der Rechten hielt sie ein Stück Pergament.
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“Guten Morgen, Mika! Mal wieder so früh auf?”
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“Guten Morgen, ihr beiden!” Mika strahlte auf, als sie ihre jüngste Nichte sah. “Na klar! Der Morgen ist doch die schönste Zeit des Tages. Aber ihr beide seid ja auch schon wach?”
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“Ja, leider.” Merle gähnte ausgiebig. “Die Kleine fand wohl, ich hätte genug geschlafen. Und jetzt, wo ich auf bin, ist sie wieder friedlich eingeschlafen. Typisch!”
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Mika musste lachen.
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“Sag mal, Mika, hast du Ciala schon gesehen?” Merle blickte sich um.
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“Nein, sie und Kalman sind mir noch nicht über den Weg gelaufen. Was willst du denn von ihr?” Dann fiel Mikas Blick auf das Pergament in Merles Hand. “Was hast du denn da? Darf ich mal sehen?”
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Merle zog die Hand mit dem Schreiben schnell weg. “Nein, lieber nicht. Das will ich nur Ciala zeigen, damit sie es sich noch mal anschauen kann, bevor…” Sie sprach den Satz nicht zu Ende.
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“Wieso, ich kann doch auch mal drauf schauen. Oder ist das ein geheimer Liebesbrief?”
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Merle lief rot an. “Nein, nicht wirklich. Na gut, ich verrat’s dir. Ich habe versucht, Gudekar einen Brief zu schreiben, und ich will, dass Ciala noch mal drauf schaut, bevor ich ihn abschicke.”
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“Ach, und mir vertraust du nicht genug, als dass du ihn mir zeigen würdest?” Mika tat beleidigt. Sie hatte ihre Füße nun auf die Sitzbank gestellt und umklammerte nun mit den Armen ihre Knie.
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“Nein, Schätzchen, das ist es nicht. Nur, Ciala und ich haben da gestern Abend drüber geredet. Und ich glaube einfach, sie hat in solchen Dingen einfach mehr Erfahrung als wir.” Merle war es eindeutig unangenehm, den Brief Mika nicht zeigen zu wollen.
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“Schon gut”, winkte Mika ab. “Klar, solche Sachen kann Ciala wirklich gut. Soll ich mal schauen, ob ich sie irgendwo finde, ob sie schon wach ist?” Bevor Merle widersprechen konnte, hatte Mika ihre Beine losgelassen, war aufgesprungen und im Herrenhaus verschwunden.
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So setzte sich Merle an ihrer statt auf die Bank, nahm sich die Schüssel mit dem restlichen Milchbrei, den Mika zurückgelassen hatte, und begann nun ihrerseits davon zu essen.
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Es dauerte nicht lange, da Mika Cialas Orte kannte, an denen sie sich um diese Zeit aufhielt. Diesmal war sie in ihrem Zimmer über Pergamenten, die nach Arbeit und Geld aussahen.
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„Merle.. ach Liudi. Sie schläft. Da sind sie immer am niedlichsten.“ Gerührt blickte sie auf den Säugling. „Mika meinte, du wolltest mir ein Pergament zeigen.“ Sichtlich neugierig setzte sie sich zu Merle.
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“Guten Morgen, Ciala!” Merle blickte ihre Schwägerin übermüdet, fast schon gequält, an. “Lass dich von der Kleinen nicht hinters Licht führen. Ja, wenn sie schläft, schaut sie niedlich aus. Aber versuche du mal zu schlafen, das merkt sie sofort, und schon wird sie zu einem kleinen Dämon.” Merle versuchte zu lächeln, aber das wollte ihr nicht recht gelingen. Dann blickte sie Ciala etwas erschrocken an. “Ach ja, der Brief!” Jetzt, wo sie das Pergament beschrieben hatte und Ciala da war, um es zu sehen, verließ sie der Mut und sie wäre am liebsten weggerannt, zum Herdfeuer gelaufen, um das Pergament den Flammen zu übergeben. Aber sie wusste, Ciala würde das nicht zulassen. Schüchtern erklärte sie: “Als Liudbirg mich wachgehalten hat heute Nacht, habe ich einen Brief an Gudekar geschrieben. Aber ich weiß nicht, ob ich ihm den wirklich schicken sollte.” 
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„Ich habe drei Kinder großgezogen und weiß, wie das mit denen ist. Zeig mal her, wenn du nicht zu viel nachdenkst und schläfrig warst, ist er wahrscheinlich umso ehrlicher.“
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“Meinst du?” Merle schob das Pergament vorsichtig zu Ciala hinüber. Doch als Kalmans Frau den Brief greifen wollte, hielt sie ihre Hand fest darauf und zog das Pergament schüchtern wieder etwas zurück. Erst als sie Cialas liebevollen und aufmunternden Blick sah, ließ Merle schließlich los. Ciala nahm den Brief an sich und las.
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Lieber Gudekar,
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hofentlich bist du und Gwenn guht angekommen und ihr hatet eine guhte Raise.
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Ich vermisse dich jetzt schon!
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Ich bin mit Friedewald und Mika gut in Lützeltal angekommen. Es ist so schön hier, aba du fehlst hier. Ciala ist aba so guht zu mir! Ich werde hier bleiben, bis du endlich wieder zurück bist.
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Aba dan musst du mit mir reden. Das tust du gar nicht mehr richtig. Hast du mich denn gar nicht meer lieb? Magst du die Tsalinde vielleicht doch liber als wie mich? Oda bist du einfach nur so traurig, was die mit Reto gemacht haben? Aba dan sag mir das doch. Ich kann dich doch trösten.
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Jetzt wünsche ich dir und Gwenn eine guhte Zeit in Elenvina (grüß bitte Morgan ganz lieb von mir!) und dan in Rosenhain.
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Küsschen, deine Merle.
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Merle blickte Ciala fragend an.
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“Ah…” Ciala las den Brief einige Male konzentriert durch, ohne einen wertenden Ausdruck auf dem Gesicht zu zeigen. Merle beobachtete sie gespannt. “Ah, ja.” Sie legte den Schrieb zur Seite und faltete die Hände. “Ihr schreibt euch nicht oft. Soll ich dir etwas bei der Rechtschreibung helfen? Und die Sätze überarbeiten wir etwas. So gut wie du kenne ich ihn ja nicht.”
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Merle wurde ganz rot und zog den Brief schnell zu sich, um ihn schützend vor ihre Brust zu halten.
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Ciala holte tief Luft und überlegte, wo sie am besten ansetzen konnte. “Meiner Meinung nach hatte er bis zu dieser unsäglichen Hochzeit alles für und wegen dir getan. Er hatte den Bund mit dir nie bereut.“ Merle nickte zustimmend mit dem Kopf. „Was ist da passiert? Und du brauchst ihm nicht wie eine Bittstellerin schreiben. Die Tage vor der Abreise war es doch auch wie immer? Oder habe ich da ein ganz falsches Bild von eurer Ehe und es war bisher nur Fassade?“ Ciala würde den Brief umschreiben, nicht zu sehr, aber anscheinend war es Gudekar egal gewesen, ob seine Frau gebildeter war oder nicht. In all den Jahren hätte er ihr besser Schreiben und Ausdruck beibringen müssen. Als hätten sie sich in das Schicksal am Ende der Welt gefügt. Angenommen, er hätte wirklich irgendwann einmal eine Stelle, eine bessere Anstellung in einer größeren Stadt bekommen. Was für eine Schande für die Familie. Er hätte eine zwar liebe Frau ohne Stand geheiratet, aber, ach, er hätte sie fördern müssen.
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„Nein, früher war alles in Ordnung. Bis zu dieser Hochzeitsfeier, zu der er musste, wo er sich dann für diese Edle von Kalterbaum… interessiert hat. Naja, irgendwie hatte er sich schon nach den Ereignissen in Elenvina verändert. Aber nach diesen schrecklichen Erlebnissen war er eher noch liebevoller als davor, hatte Trost gesucht. Und er war so stolz, mir dieses Amulett des Muschelfürsten geben zu können. Wir hatte so eine innige Zeit, bis er wieder los musste. Ich hätte nie gedacht, dass sich das so schnell ändern könnte. Diese Ziege muss ihn verhext haben.“ Merle schien sich langsam in Rage zu reden.
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Als Merle ihr den Brief wegnahm, presste Ciala die Lippen aufeinander, sagte aber nichts. Vielleicht mochte er das ja an ihr. “Diese Kalterbaum kenne ich auch nicht und ich fürchte, dass sie uns auch nicht die Wahrheit sagen wird. Du solltest ihm noch schreiben, dass er dir antworten soll. Wann kommt er wieder zurück?”
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Schüchtern legte Merle das Pergament wieder auf den Tisch. „Ich bin mir nicht sicher, wie lange er und Gwenn in Rosenhain bleiben werden. Ich hoffe, wenn er sich ein Bild von Gwenns zukünftigem Zuhause gemacht hat, kommt er gleich zurück, vielleicht Ende Praios?“ Dann schob sie den Brief zu Ciala. Schreib du den Brief, bitte, wie du ihn schreiben würdest. Ich kann ihn ja dann abschreiben. Vielleicht kann ich ja wenigstens das richtig.“ In ihren Augen sammelten sich Tränen der Verzweiflung.
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„Geh Merle..“ Cialas mütterliche Ader war beim Anblick der verzweifelten, jungen Frau -ein trauriges Bündel- geweckt worden und die hielt deren Hände mit ihren fest umschlossen. „Natürlich kannst des. Schau ned immer auf das, was ned klappt. Du bist eine wunderschöne Frau, eine fürsorgliche Mutter und hast ein reizendes Kind. Dass Gudekar extra zur Geburt gekommen ist, das ist bei Adligen nicht selbstverständlich. Die Männer sind oft weit weg und das Kind ist da, wenn der Brief sie gerade erreicht.“ Sie hob nun mit einer Hand Merles Kinn und sah ihr in die verweinten Augen. „Wir müssen stark sein. Ich werde nur die Rechtschreibung nochmal verbessern, der Rest ist gut. So kennt er dich.“ Dass sie selbst einen Brief an ihren Schwager per Eilbote schicken würde verschwieg sie. Bund war Bund und Travia ihre Göttin. Aber zum einen musste sie wissen, woran sie war und so gläubig die gebürtige Udenauerin auch war, sie wollte weder Merle noch Gudekar bis an ihr Lebensende unglücklich sehen. „Lass uns schauen, wie weit mein Gatte ist.“ Nach dem Essen würden sie sich austauschen und beraten. War es anfangs natürlich eine arrangierte Ehe, so waren sie beide sehr glücklich miteinander, liebten und vertrauten sich.
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„Danke, Ciala!“ Merle versuchte, ihre Tränen zu unterdrücken und wischte sich mit dem Ärmel die Augen trocken. „Du bist wie eine Mutter zu mir. Ich werde gehen und Wiltrud helfen, das Frühstück für euch zu richten. Dann suche ich Kalman und Friedewald. Ist Madalin auch schon wach, oder soll ich sie wecken? Passt du solange auf Liudbirg auf? Ich hole gleich die Wiege, da können wir sie reinlegen.“ Merle versuchte, ihre Sorgen mit emsiger Geschäftigkeit zu überdecken.
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===ciala und Kalman===
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Nach dem Essen bat Ciala ihren Gatten um ein wenig privaten Raum. Etwas zu besprechen, zwanglos, ehrlich. Was dabei herauskam oder was gemacht wurde, durfte Kalman selbst entscheiden und es dann auch als seine alleinige Entscheidung preisgeben.
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„Warte einen Moment“, antwortete Kalman auf Cialas Bitte. Er wusste, wenn Ciala ihn so um ein Gespräch bat, dann war es eine wichtige, doch eher persönliche Angelegenheit. Es ging nicht um das Gut oder ein Anliegen des Volkes, sondern es ging um die Familie. Und in Cialas Augen drängte es. Nun ja, es war gut. Auch er musste bald mit ihr sprechen. Das, was Vater ihm gestern Abend berichtet hatte, betraf sie alle. Nicht alle Einzelheiten wollte – konnte er Ciala erzählen. Aber das Wesentliche musste auch sie wissen.
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„Ich gebe den Knechten nur noch Anweisung, was heute Vormittag zu tun ist, dann habe ich einen Augenblick Zeit und wir können reden. Wollen wir dann ein wenig durch die Kirschwiesen spazieren? Diese sollten nach der gestrigen Kirschernte heute verlassen sein. Wir können dann gleich schauen, wie weit das Gras ist, wann es wieder gemäht werden kann.“
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„Natürlich. Aber dann wird niemand glauben, dass ich plötzlich von der schönen Göttin berührt wurde und dringend meinen Mann brauche.“ Sie lachte amüsiert aber in der Art, wie er sprach, merkte sie, dass auch er etwas, wohl schwerwiegenderes auf dem Herzen hatte.
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Kalman blickte seine Frau überrascht an, musste dann aber schmunzeln. „Lass sie denken, was sie wollen! Wir stehen im Bund und können miteinander tun, was wir wollen, ohne irgendjemanden Rechenschaft ablegen zu müssen.“ Zärtlich tätschelte er ihr Gesäß.
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Etwa ein halbes Stundenglas später kam Kalman mit einem Rucksack auf dem Rücken und einem Speer in der Hand, der ihm gleichwohl als Wanderstab als auch als Waffe dienen konnte, zu Ciala. „Wollen wir los?“
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Seine Gattin nickte nur und verzog bei dem Blick auf die Decke, die sie sich über den Arm gelegt hatte schelmisch den Mund. „Falls wir uns setzen wollen.“
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Die beiden verließen den Gutshof und wanderten Richtung Südwesten, parallel zur Straße nach Schlatt, doch in einigem Abstand zum Weg, über die Wiese. Als sie außer Sichtweite der Häuser waren fragte Kalman: „Was ist, mein Liebes, was liegt dir auf dem Herzen?“
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„Ach Schatzi… das hättest du von mir sicher nicht gedacht. Du weißt, wie sehr ich Travia treu bin, aber auch, was ich von dem Bund deines Bruders mit Merle hielt.“ Sie machte eine kurze Pause und blickte über das Land. Einfach schön, so kam es ihr in den Sinn.
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Kalman nutzte die Pause, um ihr zuzustimmen. „Ja, da waren wir uns einig. Aber ich muss sagen, ich habe im Laufe der Zeit Merle ins Herz geschlossen. Und durch den Bund ist sie Teil unserer Familie geworden. Ob uns das nun gefallen hat oder nicht. Und wir sollten sie als solches behandeln.“
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„Mit Merle habe ich heute gesprochen. Sie soll etwas bei uns wohnen, dann hab ich die kleine Lulu und sie kann sich etwas erholen. Sie ist völlig am Ende mit den Nerven. Irgendwie war es klar, dass Gudekar, wenn er das Tal verlässt und Frauen von Stand trifft, eine völlig neue Welt kennen lernt. Ich weiß nicht, was ihm an dieser Tsalinde so gefällt. Vielleicht ist sie klug und er kann anders mit ihr reden? Gebildet oder selbstbewusst, keine Ahnung. Aber was sollen wir tun? Die Sache mit dem Kind scheint geklärt, ich bin mir aber sicher, dass er die Liebschaft noch unterhält.“ Grimmig kickte sie einen Stein vom Weg. „Oder noch schlimmer. Er hat sich völlig vergessen und… du weißt schon… teilt mit jeder das Lager. Ich will mich vor Travia nicht versündigen, aber wenn wir beide für ihr Leben unglücklich machen, das kann ich auch nicht sehen. Du hast es ja gesagt, die Hörner muss er sich abstoßen. Was, wenn er sich verliebt?“
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Kalman lief eine Weile schweigend neben Ciala her. „Hm, bist du dir sicher? Ich traue diesem Madaverfluchten ja eh nicht weiter, als ich diesen Speer werfen kann. Aber Vater hat versichert, dass Gudekar und diese Tsalinde nichts mehr voneinander wollen. Die beiden können wohl überhaupt nicht mehr miteinander. Wenn, dann muss es wirklich jemand anderes sein.“ Wieder schwieg er, um seinen Gedanken zu folgen, und als Ciala etwas sagen wollte, drückte er ihre Hand. Sie kannte diese Geste und wusste, dass sie also besser abwarten sollte und ihm die Zeit zum Nachdenken lassen sollte. Dann sprach er weiter. „Das mit den Hörnern abstoßen hatte ich doch gesagt, bevor er den Bund geschlossen hatte. Ich wollte halt nicht, dass Gudekar den Fehler macht, dieses Waisenkind unbekannter Herkunft zu ehelichen. Aber nun, wo er tatsächlich vor der guten Mutter geschworen hat, ist das etwas anderes. Wenn er sich jetzt in fremden Betten vergnügt, ist das ein Frevel. Dann müssen wir Merle beschützen, damit sie nicht am Ende ein Opfer wird wie die Familie dieses Paktierers.“ Wieder machte er eine bedeutsame Pause. „Wenn sie nicht erst recht hier in Gefahr ist.“
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“Das meinte ich doch. Vor diesem elendigen Bund, jetzt hat er kurzsichtig gewählt und beide sind unglücklich.” Abrupt blieb sie stehen. “Moment. Welcher Paktierer und warum bei uns?”
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Kalman hielt an und drehte Ciala zu sich. Ernst schaute er ihr in die Augen. „Was ich dir jetzt erzähle bedarf absoluter Verschwiegenheit. Du darfst niemandem, hörst du, niemandem davon erzählen. Auch nicht Wiltrud oder sonst jemandem auf dem Gut. Nicht einmal Merle! Verstehst du?“
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Seine Gattin fasste ihn an beiden Oberarmen und vor Entsetzen weiteten sich ihre Augen. „Bei allen Göttern, wovon redest du?“
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„Du erinnerst dich doch an diesen Paktierer Jast-Brin von Pruch, der in Talwacht gewütet hat, seine eigene Familie abscheulichste Art ermordet und die Menschen vergiftet hat? Das stand damals im Greifenspiegel. Ganz üble Sache. Die geheime Mission, auf der Gudekar seit Efferd ist, hat wohl damit zu tun. Und jetzt ist zu befürchten, dass Gudekar auf einer Liste möglicher Opfer des Paktierers stehen könnte. Oder dass der sich an Gudekars Familie – an uns! – rächen könnte. Es gibt sogar Befürchtungen, er könnte unerkannt bereits in Lützeltal wirken. Wir müssen höllisch auf der Hut sein.“ Kalman schaute seine geliebte Frau besorgt an.
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An die grausliche Geschichte des Pruchs konnte sie sich noch gut erinnern. Das war doch bei ihren Freundinnen und im Dorf lange ein morbides, furchterregendes Thema gewesen. Aber Gudekar?  Der schusselige Schwager? „Das ist ja furchtbar.“ Erwiderte sie tonlos. Dann hielt sie Kalmans Hand fester und suchte seinen Blick. „Das war eine fürchterliche, unheilige Begebenheit. Unser Gudi soll damit etwas zu tun haben?“ Ciala war lauter geworden, ängstlich aber bedacht, nicht von fremden Ohren gehört zu werden. „Dass er in Albenhus bei einer Gruppe dabei ist, die etwas geheimes zu tun hat, wurde ja angedeutet. Aber mal ehrlich. Ich dachte dabei eher um politische Verwicklungen und dass sie ihn als Heiler bräuchten. Er bringt uns alle in Gefahr. Woher weißt du das?“
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Der Lützeltaler schaute seine Frau noch einen Moment ernst an. Dann setzte er ein Lächeln auf und sprach beruhigende Worte, die ihre Wirkung jedoch aufgrund der viel zu langen Pause verfehlten. „Ach, wahrscheinlich ist gar nichts. Vermutlich hat Gudekar wieder maßlos übertrieben, um sich selbst wichtig zu machen. Du weißt doch dass Vater auf so etwas gerne bei ihm hereinfällt. Vielleicht hat sich der Madaverfluchte das ganze nur ausgedacht, um von seiner eigenen Traviafrevelei abzulenken.“
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„Oder es ist genau andersherum.“ Überlegte seine Frau laut. Mika war ihr wie ein Kind. Der Schwager Gudekar war zu alt dafür, aber so trotzig und störrisch er manchmal handelte, erinnerte es Ciala sehr an ihre Söhne. Der Magier hatte bisher ein beschauliches und sicheres Leben hier geführt. Plötzlich wurde dies durch Ereignisse, die einen gestandenen Krieger an die Grenze der Belastbarkeit brachten, durcheinandergebracht. Niemand hätte behauptet, dass Ciala sich an Bildung und Intelligenz mit ihrem Schwager messen konnte, aber sie besaß ein gutes Gespür und war nicht dumm. Dass die Geschichte mit dem Paktierer stimmte, war klar. „Was tun wir jetzt? Ich werde wie geplant einen Eilbrief an deinen Bruder schreiben. Es sollte um Merle, sein Gewissen und seine Pflichten gehen. Jetzt werde ich ihn fragen, wie und wo wir am sichersten sind.“ Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Wut, Anspannung und Angst. „Er hat eine andere Geliebte, da bin ich mir mittlerweile sicher. Gudekar ist wie ein großes Kind in der Hinsicht. Sicher waren der Druck und die Verpflichtung zu schweigen zu viel für ihn. Trotzdem rechtfertigt das nicht den Frevel. Dafür wird er Buße tun müssen. Ich bin aber der Meinung, dass unabhängige Traviageweihte darüber entscheiden sollten, was er machen soll.—ach, so viel auf einmal. Lass uns gehen, ich muss den Brief heute noch einen Boten übergeben, der ihn zu einem Eilboten bringt.“
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“Ich weiß nicht, ich habe den Burschen noch nie verstanden. Wer weiß schon, was so einen Magier umtreibt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ein Brief ihn zur Vernunft bringt. Aber wenn du meinst, tu das. Schaden kann es nicht. Vielleicht bewegt es ihn, einmal über sein Handeln nachzudenken und zu verstehen, dass es nicht immer nur um ihn geht.” Etwas enttäuscht schaute er Ciala an. Er wusste zwar, dass das Thema, über das sie sprachen zu ernst war, aber dennoch hatte er gehofft, Ciala und er könnten die Abgeschiedenheit an diesem wunderschönen Sommermorgen noch eine Weile für traute Zweisamkeit nützen, bevor die Pflicht wieder rief. “Schön, lass uns zurückgehen, Dann kann ich schauen wie weit sie mit dem Ausbessern des Scheunendachs sind und vielleicht noch etwas mithelfen.”
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== Folgender Briefwechsel ==
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===Brief von Ciala an Gudekar nach Merles Ankunft===
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An Gudekar von Weissenquell,
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Gast an der Akademie der Herrschaft zu Elenvina
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Lützeltal, 4. Rahja 1043 B.F.
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Lieber Gudekar,
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mein Schwager, es fällt mir wirklich schwer, diesem Brief eine angemessene Struktur zu geben, sind es doch zwei Dinge, die mir auf dem Herzen liegen.
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Das mag wohl einfacher zu beantworten und dringlicher sein. Mir kamen Gerüchte zu Ohren, dass du irgendwie in die Suche und Vernichtung des gottlosen, unheiligen Paktierers verwickelt bist und wir nun als deine Familie ebenso in Gefahr sein könnten. Du darfst darüber nicht schreiben, ich weiß, aber du wirst uns sagen können, was wir zu unserem Schutz tun können. Merle und Liudbirg sind ebenfalls bei uns. An welchem Ort sind wir sicher?
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Ich bin in Rage, da ich dein Verhalten Merle gegenüber verstehe und nicht verstehe. Du weißt genau, dass ich gegen den Bund war, den du dann unbedingt durchsetzen musstest. Als traviagläubige Frau zählt dieser Bund nun mal ein Leben lang. Du hast einmal gefrevelt und so dumm bin ich nicht, um zu ahnen, dass es da noch mindestens eine andere Frau gibt. Es ist jedoch herzlos, wie du deine Gattin und dein Kind behandelst. Du kennst meinen Bruder, ich weiß sehr wohl, dass man weise entscheiden muss, mit wem man bis an sein Lebensende verbunden sein will. Deine Reaktion damals, eine Gemeine zu ehelichen, war jugendlicher Trotz. Aber jahrelang war sie alles für dich und sie leidet sehr unter dieser Situation. Leider gibt es in Travias Gesetz nur eine Möglichkeit. Du wirst zu ihr zurückkehren, Buße vor der Göttin des Herdfeuers tun und mit der Zeit wieder in deine Familie finden. Die anderen Frauen, die dir jetzt den Kopf verdrehen, wirst du vergessen und als ein Strohfeuer einer schweren Zeit deines Lebens in Erinnerung behalten. Ich sende dir Merles Brief an dich mit.
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Sei so gut und antworte rasch.
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Deine Schwägerin Ciala
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===Antwort von Guderkar an Ciala===
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Die Antwort kam spät! Am 11. PRAios 1044 B.F. erreichte ein Botenreiter das Edlengut Lützeltal. Neben verschiedenen anderen Schriftstücken überbrachte er auch einen Brief von Gudekar an Ciala.
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An Ciala von Weissenquell
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Edlengut Lützeltal, Grafschaft Albenhus
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Elenvina, 4. Praios 1044 B.F.
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Liebe Ciala,
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ich habe deinen Brief empfangen. Was soll ich davon halten? Hat mein Bruder dich angetrieben diesen Brief zu schreiben? Was denkt ihr euch eigentlich, euch in mein Leben einzumischen? Ich kann es euch doch eh nicht recht machen, damals nicht und, wie es scheint, heute immer noch nicht. Es hat euch noch nie interessiert, was ich möchte, wie ich fühle. Doch bin ich euch keine Rechenschaft schuldig. Ich muss mich euch gegenüber nicht erklären, warum ich mich Merle gegenüber verhalte, wie ich es tue. Ihr würdet dies eh nicht verstehen.
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Es ist beruhigend, dass Vater und die Familie wohlbehalten in Lützeltal angekommen sind. Ich gehe zumindest davon aus, da ich deinen Zeilen keine gegenteilige Nachricht entnehmen kann. Kümmert euch gut um Liudbirg Rotrude! Und natürlich um Merle. Ich hoffe, sie sind bei euch in Sicherheit.
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Was bezüglich unseres aller Feindes zu tun ist, habe ich Vater erläutert. Misch dich da besser nicht ein. Spiel nicht mit dem Feuer, du könntest dir die Finger verbrennen. Aber wenn es dich beruhigt: Vermutlich sind die Vorsichtsmaßnahmen nicht notwendig, vermutlich sind die Gerüchte um den Weg, den Pruch eingeschlagen ist, nur ein Strohfeuer und ihr seid im Lützeltal sicher. Doch bleibt wachsam, tut, was ich Vater aufgetragen habe. Ich habe inzwischen mit Emmeran Plötzbogen gesprochen und er wird vorerst zwei seiner Leute für den Schutz des Lützeltals abstellen. Sie sollten bald bei euch eintreffen. Ich hoffe, dass euch bei angebrachter Vorsicht im Lützeltal nichts passieren kann. Wichtig ist, dass ihr zusammenhaltet, dass ihr kein gegenseitiges Misstrauen zwischen euch kommen lasst. Seid anderen, auch Leuten aus dem Dorf gegenüber, misstrauisch, aber nicht feindselig. Lasst den Traviafrevler nicht gewinnen, lasst sein Gift nicht wirken, selbst wenn er nicht vorort ist!
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Ich werde Merle schreiben. An sie persönlich. Lies den  Brief nicht!
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Ich werde in den nächsten Tagen abreisen, Elenvina verlassen. Gwenn wird wie geplant zu Ihrem Verlobten nach Rosenhain reisen.
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Achtet gut auf die Schutzlosen!
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Gudekar
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~*~
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„Das ist unfassbar! Was schreibt diese Missgeburt da nur? Weiß er eigentlich, wie absurd das ist? Von der ersten bis zur letzten Zeile eine Aneinanderreihung von Unverschämtheiten ist das!“ Kalman war wütend und lief auf und ab, nachdem Ciala ihm den Brief vorgelesen hatte. „Als ob ich Dich aufwiegeln würde, ihm zu schreiben! Warum sollte ich ihm dann nicht selbst schreiben? Und dann macht er einerseits solch eine Panik, heuert sogar ein paar teure Wachhunde an, die wir am Ende zahlen müssen, nicht er, sagt aber, wir sollen keine Sorge haben, da ist bestimmt nichts.“
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„Er benimmt sich wie ein Kind. Am besten wäre er hier geblieben und nie auf diese vermaledeite Mission gegangen. Ich werde ihm noch einmal schreiben. Aber erst muss ich etwas in mich gehen. Es soll nicht im Zorn geschehen.“ Wütend, mit rotem Gesicht und geballten Fäusten verließ Ciala den Raum.
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“Ja, schreibe du ihm, meine Blume”, rief er seiner Frau hinterher. “Wenn ich es tue, wird es gewiss nicht besser. Ich werde nach Albenhus reiten und mit ihm sprechen, wenn er mit Gwenn aus Rosenhain zurückkehrt.”
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===Cialas Antwort an Gudekar nach dem kurzen Gespräch mit Kalman===
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An Gudekar von Weissenquell,
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Gast an der Akademie der Herrschaft zu Elenvina
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Lützeltal, 11. Praios 1044 B.F.
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Lieber Gudekar,
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Deine Antwort ist absurd. Du wolltest damals mit der Liebe deines Lebens den Bund schließen, wir waren nicht einverstanden, doch haben wir dir deinen Willen gelassen. All die Jahre hast du nie etwas verlauten lassen, dass du mit der Situation unzufrieden wärst. Es ist eine bodenlose Frechheit mir, die ich für mich im Übrigen selbst spreche, das vorzuwerfen, was du da schreibst. Jetzt bist du Merle leid. Du hast eine andere oder mehrere andere Frauen getroffen und meinst, in ihnen das zu sehen, was Merle damals war. Du hast einen heiligen Bund geschlossen, gekämpft hast du dafür. Bei Travia, das kann man nicht ändern. Wir sind in Sicherheit und es geht uns gut. Aber bedenke, was es für ein Zufall es ist, dass du in den Kampf mit  einem Paktierer Travias unheiligen Gegenparts verwickelt bist und der Göttin der Familie bewusst weiter frevelst. Ich werde keine andere Frau in der Familie dulden, ich bin sicher, dass Kalman es ebenso sieht. Dein Schicksal hast du freiwillig und bewusst gewählt. Sie ist gläubig, sie hat dein Fleisch und Blut geboren und du bist der Mann, mit dem sie den Bund geschlossen hat. Möge Tsalinde ein Vergehen unter besonderen Umständen sein, mit wem du auch immer jetzt frevelst, macht sich vor Travia schuldig. Du warst hoffentlich Manns genug, über deine Ehe und dein Kind zu sprechen. Wie herzlos bist du nur geworden. Briefe sind zu wenig. Kehre zu deiner Familie zurück, wir werden darüber sprechen.
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Möge Travia dich noch nicht aufgeben und die Götter, außer Rahja, dich auf den rechten Pfad führen.
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Beantworte mir diese zwei Fragen: Was willst du? Den Bund mit Merle brechen und mit anderen oder einer anderen Frau gottlos zusammenleben? Oder versuchst du, etwas nachzuholen?
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Wie stellst du dir deine private Zukunft vor?
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Ciala
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Bereits als Ciala den Brief schrieb, war Gudekar zu seiner Reise aufgebrochen. 
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Der Brief, der am 18. PRA 1044 B.F. die Magierakademie in Elenvina erreicht, wird dort zu treuen Händen an Morgan von Weissenquell, Scholar an der Akademie, Sohn der Absenderin und Neffe des vorgesehenen Empfängers, übergeben.
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===Gudekars Brief an Merle===
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Zwei Tage nachdem der Brief von Gudekar an Ciala in Lützeltal eintraf, wurde ein weiterer Brief von einem der Knechte aus Albenhus mitgebracht. Dieser war an Merle gerichtet. Im Beisein von Ciala und Kalman wurde Merle der Brief übergeben.
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„Hm, Schatz, lies mal. So schlecht klingt das doch gar nicht.“ Ciala hatte Schlimmstes befürchtet. Ja, der Brief war nicht allzu herzlich, aber er klang sehr traviagefällig. „Schau, da ist nix mehr, er muss wohl wieder was in dieser unheiligsten Mission unternehmen und dann wird er sich mit Merle aussprechen. Oder wie siehst du das?“
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An Merle Dreifelder von Weissenquell
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Edlengut Lützeltal, Grafschaft Albenhus
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Elenvina, 6. Praios 1044 B.F.
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Meine Merle,
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es freut mich, dass du mit Liudbirg Rotrude wohlbehalten in Lützeltal angekommen bist. Ich hoffe, mein Bruder und Ciala haben dich tatsächlich redlich willkommen geheißen und behandeln dich gut.
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Mach dir um mich keine Sorgen. Ich versichere dir, an der Dame von Kalterbaum ist mir nichts gelegen und ich bereue zutiefst den Fehler, zu dem ich damals in jener Nacht in Herzogenfurt getrieben wurde. Diese Begegnung wird sich mit Sicherheit nicht wiederholen.
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Wir werden reden, von Mann zu Frau. Doch zuerst habe ich noch wichtige Angelegenheiten zu klären. Es hat sich etwas ergeben, das meine ursprünglichen Pläne durchkreuzt hat. Ich werde nicht mit Gwenn nach Rosenhain reisen, ich muss an einen anderen Ort.
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Ich bitte dich, weder Vater Friedewald, noch Kalman, noch sonst irgendjemandem in Lützeltal davon zu berichten. Kann ich dir vertrauen? Ich werde spätestens zum Flussfest im Efferd zurück in Albenhus sein und freue mich darauf, Liudbirg Rotrude dann wieder in meinen Armen halten zu können und ihr liebliches Lächeln zu betrachten. Ich bete dafür, dass wir dann die Zeit finden, miteinander zu reden.
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Bleibe tapfer und kümmere dich gut um meine geliebte Tochter!
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Dein Gudekar.

Aktuelle Version vom 17. Juli 2024, 14:37 Uhr

Das Leben auf Gut Lützeltal

Setting

Personen

Hintergrund

Friedewald und Mika waren mit Knecht Bernhelm zur Lehensfeier Anfang Peraine nach Ishna Mur aufgebrochen. Kalman und Ciala blieben auf Gut Lützeltal zurück.

Nach dem Peluraturnier Anfang Rahja 1043 kehrten die drei endlich zurück. Doch sie kamen nicht allein. Sie brachten Merle und ihre Tochter mit.

Merle kommt nach Lützeltal

Ankunft

Es war ein sonniger, warmer Tag. In der Nacht hatte es kräftig geregnet, doch die Wiesen und Wege waren über den Tag wieder abgetrocknet. Ein ideales Wetter für die Pflanzen und Früchte, um zu wachsen. Die Bauern waren den Tag über hauptsächlich mit der Kirschernte beschäftigt gewesen. Auch Ciala und Kalman hatten mitgeholfen, die süßen Früchte der gutseigenen Bäume zu pflücken und die Ernte zu überwachen.

Nun saßen sie mit Madalin und einigen Bediensteten im Innenhof des Guts an einem langen Tisch und aßen die Vesper, die die Magd zubereitet hatte. Nach dem Essen würden die Früchte noch sortiert. Die weniger guten gingen an die Brennerei, die besonders guten würden über Nacht im Keller gekühlt und gingen dann morgen auf einem Wagen nach Albenhus auf den Markt. Doch der Großteil würde heute noch in der Gutsküche eingekocht, um sie für den Winter haltbar zu machen.

Kalman hatte sich gerade einen Humpen verdünntes Bier eingegossen, als eine junge Reiterin in den Hof preschte, ihr Pferd zum stehen brachte und sich zügig aus dem Sattel gleiten lies. Kalman sprang sofort auf, als er erkannte, wer dort so eilig angekommen war. Er nahm Mika in den Arm, hob sie hoch und wirbelte sie einmal durch die Luft. „Mika, Schwesterherz! Du bist zurück! Wie schön dich zu sehen!” Dann setzte er sie wieder ab. “Lass dich anschauen, du bist erwachsen geworden!“

„Ach Kalman! Red‘ doch keinen Unsinn! Ich war doch nur gut zwei Monde fort. Aber ich freue mich, wieder zu Hause zu sein.“

Nun schaute sich Kalman besorgt um. “Wo sind Vater und Bernhelm? Kommen sie nicht? Es ist doch nichts passiert?”

“Ach Quatsch!”, erwiderte Mika mit einem Lachen. “Die alten Männer sind halt nicht so schnell. Außerdem haben Sie Merle und das Baby im Schlepptau.” Noch bevor Kalman darauf reagieren konnte, lief Mika freudig auf Ciala zu, die für sie stets eher wie eine Mutter war als ihre Schwägerin. Mikas Mutter war bei einem Reitunfall gestorben, als Mika noch ein Baby war, und deshalb kamen Kalman und Ciala zurück nach Lützeltal, um sich um das Gut, den Vater und auch um die kleine Mika zu kümmern. Auch war Mika nur wenig älter als Cialas ältestes Kind Lukardis. Und so wuchs Mika mit ihren beiden Neffen und ihrer Nichte auf, als wären sie ihre Geschwister.

Mika drückte Ciala freudig. “Ciala, wie schön es ist, wieder hier zu sein. Ich habe dir so viel zu erzählen.”

„Ach mei. Kind, was bin I froh, das dir nix passiert is. Jedsmoi hab i Angst, wannst weg bist.“ Im Überschwang der Freude fiel Ciala in den Dialekt ihrer Familie zurück, den sie normalerweise in der Albebhuser Gegend nicht benutzte. Mütterlich drückte Ciala Mika an ihre Brust und presste ihr einen dicken Schmatz auf die Backe. Dann richtete sie ihr langes, kastanienbraunes Haar wieder und band sich daraus einen buschigen Schweif. „Aber was sagst du da? Merle und die kleine Liudi kommen? Warum denn das?“ Skeptisch zogen sich ihre Augenbrauen zusammen und sie runzelte die Stirn. Das hatte sicher nichts Gutes zu bedeuten. Sie liebte das kleine Mädchen, als wäre es ihre Enkelin. Bei Merle und Gudekar sah es anders aus. Jeder für sich war in Ordnung, aber den Bund, den sie geschlossen hatten, hielt sie für falsch. Gudekar war aber damals alt genug gewesen und hatte selbst so gedrängt. Und jetzt hatte er eine Affäre mit irgendeinem Weibsstück gehabt, kaum, dass er außer Sichtweite gewesen war. In Gedanken schüttelte sie den Kopf. Er hätte den Bund nie schließen dürfen. Aber er hatte vor Travia geschworen, da gab es kein zurück mehr. Auch Kalman war nicht immer einfach, sie selbst sicher auch. Trotzdem, ach, das konnte man nicht vergleichen. Ihren Kalman kannte sie damals schon lange. Der schusselige Magus hatte die erste Frau genommen, die er gefunden hatte. „Gudi treibt sich wieder rum, oder? Und sie haben gestritten.“

Mika wich einen Schritt zurück. Sie wusste, wenn Ciala einen so anschaute, musste man auf der Hut sein. Und am besten die Wahrheit sagen. Etwas stotternd und unsicher antwortete sie: “Ge..gestritten? Wa… warum sollten die beiden denn streiten?” Dann wurden ihre Worte wieder sicherer. “Naja, schon, Gudekar muss wieder auf Reisen. Vater hat ihn fortgeschickt. Aber es hat einen schönen Grund!” Jetzt strahlte sie bis über beide Ohren und schaute abwechselnd zu Kalman und Ciala. “Stellt euch vor: Gwenn wird heiraten! Sie hat auf dem Pelura-Turnier einen Mann gefunden und Vater hat dem zugestimmt! Endlich! Eine Hochzeit! Wir werden eine Hochzeit feiern! Ist das nicht schön?”

Kalman klappte die Kinnlade hinunter. “Was werden wir? Was macht Gwenn?... Wen?” Er konnte die Neuigkeiten kaum glauben. Auch Ciala fiel aus allen Wolken. „Bei Travia, hoffentlich hat sie sich das gut überlegt. Wie heißt er, nein besser, hast du ihn schon gesehen und dir einen Eindruck gemacht?“

Mika schaute die beiden an. Dann sprudelte es aus ihr heraus. “Ich weiß nicht genau, Herrendings oder so ist sein Name. Er ist eine Art Kaufmann oder sowas und arbeitet wohl für einen Mersinger. Vater hat den ausgesucht und alles ausgehandelt, ich war nicht die ganze Zeit dabei, das war mir zu langweilig. Im Rahjatempel war ja das Fest.”

“Eine Zweckehe also”, warf Kalman ein. “Aber gut, vertrauen wir Vaters Urteil. Es wird ja auch Zeit, dass Gwenn in den Traviabund gesteckt wird. Sie soll ja keine alte Jungfer werden. Aber Moment, wenn sie einen Vasallen der Mersinger heiraten soll, muss sie ihren Posten am Hof aufgeben!”

“Ja, um das alles zu klären hat Vater Gudekar losgeschickt”, erklärte Mika. “Aber Gwenn wirkte ganz glücklich und zufrieden. Er kennt ja sowohl die Vögtin als auch diesen Mersinger ganz gut, meinte Vater.”

“Moment, dann sind das aber nicht die Mersinger aus Weidleth, oder?”, hakte Kalman nach, doch Mika beschwichtigte: “Nein, Kalman, ich glaube der kommt aus Rosengarten oder so.” Kalman atmete erleichtert aus, bevor Mika weitersprach. “Ist das nicht wunderbar? Eine Hochzeit! Meine erste Hochzeitsfeier! Und dann auch noch hier, bei uns!”

Mersinger, diese Familie hatte irgendwie einen seltsamen Ruf. Irgendwas war da mal passiert. Wie in jeder Familie, tröstete sie sich. Dann bekam Ciala einen Schreck und das Herz pochte ihr kurz bis zum Hals. „Rosengarten? Aber hoffentlich nicht diesen kleinen, seltsamen, wie heißt er gleich? Über den wird viel geredet, der streitet gerne rum und ist dauernd in Begleitung junger Mädchen. Den wird sie auf keinen Fall heiraten. Lares, ja genau Lares heißt er.“ Ciala hielt regen Kontakt sowohl zu den Frauen im Dorf als auch zu anderen adligen Damen und hatte so ein zwar grobes, aber recht großes Wissen, über wen gerade gelästert wurde.

„Ach, Ciala! Sie soll doch nicht den Mersinger heiraten, sondern seinen… wie heißt das? Ach, ja, seinen Kontormeister“, warf Mika ein und verdrehte dabei die Augen.

„Rosenhain, ihr meint Rosenhain, nicht Rosengarten“, korrigierte Kalman die beiden Frauen. „Das ist ganz schön weit weg. Aber gut, ich glaube, Vater hält viel von dem jungen Mersinger, seiner ritterlichen Tugendhaftigkeit, seiner Praiostreue. Er hat jedenfalls nach seiner Reise nach Liepenstein im Winter viel Gutes von ihm gesprochen. Und der dortige Kontormeister kann sicherlich gut mit der Münze umgehen, so dass sicherlich gut für Gwenn gesorgt sein wird. Aber es ist so weit weg, und Gwenn wird ihren Posten am Hof in Albenhus aufgeben müssen. Ob sich Vater das reiflich überlegt hat? Ich werde heute Abend unter vier Augen mit ihm darüber sprechen. Vielleicht ist es besser, bis dahin keine Bedenken zu äußern, wenn er denn bald kommt.“

Die Nachzügler kommen

Es dauerte fast eine Stunde, bis schließlich auch der Tross der übrigen Reisegruppe eintraf. Ciala hatte zwischenzeitlich die Magd Wiltrud damit beauftragt, ein Zimmer für Merle und das Baby herzurichten, ließ sich jedoch beim besten Willen nicht davon abbringen, tatkräftig mitzuhelfen. Anschließend sollte Wiltrud ein Mahl für die Reisenden bereiten und erfrischende Getränke bereitstellen. Mika und Kalman setzten sich derweil an die Tafel und Mika fing an, von ihrer Reise zu erzählen. Sie war dabei jedoch so aufgeregt, dass sie keinen roten Faden in ihrer Erzählung erkennen ließ. Kalman konnte ihr nur wenig folgen, ließ sie aber gewähren, denn er wusste, dass Ciala später darauf bestehen würde, dass Mika noch einmal alles in allen Einzelheiten erzählte.

Schließlich war von weitem Hufgetrappel und das Rollen von Wagenrädern zu hören, die sich auf der Straße dem Gutshof näherten. Ciala war gerade aus der Küche gekommen. Friedewald von Weissenquell, der Edle von Lützeltal, ritt voran, gefolgt von Bernhelm, der einen Wagen lenkte. Hinten auf der Ladefläche hatte es sich zwischen dem Gepäck Merle bequem gemacht, die gerade Liudbirg Rotrude an ihrer Brust stillte.

Kalman erhob sich, lief seinem Vater entgegen und nahm die Zügel des Pferdes entgegen. „Willkommen daheim Vater! Wir freuen uns, dass ihr wohlbehalten zurückgekehrt seid!“

„Schwiegervater Friedewald! Die Götter zum Gruße, sie haben nicht nur Euch sicher zu uns gebracht, sondern auch Merle und die kleine Liudbirg.“ Ciala ging zu dem Wagen, um Mutter und Tochter beim Aussteigen zu helfen. „Wie kommen wir zu der Ehre? Es ist doch hoffentlich nichts passiert?“

Friedewald stieg von seinem Pferd ab, streckte sich kurz und umarmte dann seinen Sohn. „Travia mit dir, mein Junge! Ach, ist es nicht schön, nach einer langen Reise endlich wieder auf heimatlichem Boden zu stehen? Danken wir Travia für ihre Großherzigkeit, uns immer wieder zu Hause willkommen zu heißen!“ Dann wandte er sich an seine Schwiegertochter. „Ciala, meine Tochter! Travia zum Gruße! Es ist schön, dich wohlauf wiederzusehen!“ Wieder an seinen Sohn gerichtet, sprach der Edle weiter: “Kalman, es gibt viel zu besprechen. Doch bevor wir reden, wollen wir erst etwas essen und trinken. Ich denke, Merle wird erschöpft sein.“

„Ach Vater, mir geht es doch gut. Behandle mich nicht immer, als sei ich krank! Die Niederkunft ist doch nun schon zwei Monde her.“ Merle stieg vorsichtig vom Wagen, die Kleine auf ihrem Arm haltend. Als sie festen Boden unter sich hatte, umarmte sie ihre Schwägerin herzig mit dem freien Arm. „Travia mit dir, Ciala! Es ist schön, wieder hier zu sein! Du warst so gütig in Albenhus zu mir. Danke, dass ich in deinem Haus unterkommen darf!“

Ciala strahlte, als sie ihre Schwägerin und den Säugling sah. Sie liebte Kinder. „Merle, gib sie mir etwas, dann kannst du dich etwas strecken.“

Auch Merle strahlte zurück und legte das Mädchen in den Arm ihrer Schwägerin. „Hier, Ciala, Liudbirg Rotrude wird sich freuen, bei ihrer Tante zu sein.” Und tatsächlich wirkte es, als würde das gerade eingeschlafene Kind zufrieden lächeln. Merle streckte sich genüsslich und nahm einen Becher Wasser von dem Tablett, das Wiltrud herangetragen hatte. Dann schaute sie sich um. „Es wirkt alles so friedlich hier, so ruhig! Ganz anders als in der Stadt.“ Sie machte eine Pause.

„Wo ist dein Mann? Habt ihr gestritten?“, fragte Ciala.

„Gudekar ist noch in Albenhus. Doch er wird bald mit Gwenn aufbrechen, in die Heimat ihres neuen Verlobten. Und Vater fand, es wäre doch eine gute Idee, wenn wir die Zeit bis zu seiner Rückkehr hier verbringen. Ich glaube, Friedewald macht sich zu viele Sorgen um uns. Aber es ist schön zu wissen, dass wenigstens noch einige Weissenquells die Gebote Travias und die Familie ehren.“ „Hm…“ Ciala tätschelte Liudbirg und blieb skeptisch. „Es täte ihm gut, wenn ihr drei etwas bei uns bleiben würdet. All die Jahre war alles in Ordnung und endlich bekommt ihr ein Butzelchen, da wird er seltsam. Auf Gwenns Hochzeit wird das schon wieder, da treten wir als geeinte Familie auf.“

“Ach, das wäre so schön! Ich hoffe, wenn er nicht mehr so oft auf Reisen muss, kommt er wieder zur Ruhe. Ich sehe, ihr habt etwas zu essen bereit gestellt. Das ist so lieb! Ich habe wirklich Hunger.”

Ein erfrischendes Bad

Nachdem das Gepäck vom Wagen geladen war, setzten sich die Reisenden an die Tafel im Hof und genossen die Speisen und Getränke, die Wiltrud aufgetragen hatte. Es wurde nicht viel geredet, denn die Reisenden schienen sehr erschöpft zu sein. So zog sich auch Merle sehr bald mit ihrem Kind zurück in ihre Kammer. Friedewald ließ sich von Kalman über den Hof und durch das Dorf führen, so dass dieser den Edlen über die wichtigsten Ereignisse in Lützeltal unterrichten konnte. Ciala war noch zusammen mit Wiltrud am Gange, die Überreste der Vesper zu beseitigen, als Mika mit einem Bündel über der Schulter fröhlich den Wohntrakt verließ und leichten Fußes zielstrebig auf dem Weg in Richtung des Tores schritt, das den Gutshof vom Dorf trennte. Mika pfiff eine Melodie vor sich her, die Ciala nicht kannte, die ihr jedoch eine zwergische Weise zu sein schien.

Ciala freute sich, dass die Wogen etwas geglättet waren. Wie üblich besprach ihr Kalman erst alleine alles mit seinem Vater, um es ihr dann in ihrem Schlafgemach zu erzählen. Seiner Meinung nach sollte seine Gattin über den Stand der Dinge Bescheid wissen und sie lebten immer noch in ehrlicher Liebe und Gleichberechtigung. Auch im Haus herrschte Ordnung und als Ciala Mika so fröhlich sah – sie hatte immer schon starke Muttergefühle ihr gegenüber gehabt – bekam sie Lust, mitzugehen. “Mika, warte kurz. Wenn du nichts dagegen hast, begleite ich dich etwas auf einen Plausch. Und wir finden sicher was hübsches oder Brauchbares für die Jagd.”

„Gerne, Ciala, ich wollte gerade zum oberen Bachlauf gehen und nach dem langen Ritt ein kühles Bad im Lützelbach nehmen. Begleitest du mich?“

“Aber gerne doch.” Der obere Bachlauf war wie geschaffen, um sich abzukühlen. Das Wasser sprudelte munter über Steine, man konnte sich wunderbar wie unter einem kleinen Wasserfall baden oder, wie es Kinder liebten, von Stein zu Stein springen. Zudem waren am Ufer sandige, etwas tiefere Buchten. Ciala erinnerte sich noch gut, wie sehr ihre Söhne es dort geliebt hatten. "Ich komme gleich mit.”

„Prima! Dann warte ich hier, bis du dir trockene Tücher geholt hast.“

Als Ciala ihre Sachen geholt hatte, schlenderten die beiden Frauen durch das Dorf, vorbei am Gasthaus und der Brennerei, aus der es nach vergorener Maische roch. Sie folgten dem kleinen Pfad, der firunwärts abzweigte und sich mehr oder weniger entlang des Baches schlängelte, vorbei erst an der Wassermühle, später an der Forellenzucht. Die Geräusche aus dem Sägewerk der kleinen Tischlerei verrieten, dass hier gerade Bretter geschnitten wurden, vermutlich für die neue Scheune des Bauern Zweyfeld. Die alte Scheune war im Frühjahr eines Nachts niedergebrannt.

„Ein perfekter Tag, den uns die Götter schenken. Es mag nicht die große Stadt sein, oder das bekannteste Dorf. An solchen Tagen bin ich einfach froh, hier zu sein und dass sich die Armut in Grenzen hält. Trotzdem ist mir mal wieder danach, dem Herren Firun zu huldigen.“ Aufmerksam äugte sie zu Mika, die gerade etwas stiller war. „Bedrückt dich etwas? Warum heiratet Gwenn einen Gemeinen? Auf Dauer wird das unsere Familie schwächen. Sie ist hübsch. Ich hatte gehofft, dass sie jemanden findet, der unseren Stand hebt.“

„Ach Ciala“, antwortete Mika fröhlich, „mir ist die Ruhe des Tals viel lieber als die große Stadt. Das Rahja-Fest in Albenhus war ja wirklich schön, und nächstes Jahr sollten Du und Kalman unbedingt auch an dem Pelura-Turnier teilnehmen. Das macht wirklich Spaß! Aber es sind überall so viele Leute, und man hat keine Gelegenheit, ihnen auszuweichen. Hier kann man auch einfach mal durch die Wälder streifen, oder die Stille des Waldes bei der Jagd genießen. Ach ja, die Jagd… Hab ich dir schon von Meister Ubararum und meiner Jagd in Ishna Mur erzählt?“

Natürlich war es Ciala nicht entgangen, auf was nicht geantwortet wurde. Anscheinend konnte Mika den Kerl gut leiden. “Das Tal ist unsere Heimat, unser Rückzug um nach dem, was man oft Schreckliches anderswo erlebt, seine Seele heilen zu lassen. Ich liebe Pelura, natürlich mache ich mit.” So weit sie wusste, fand es in Albenhus statt, man sollte sich also sowieso blicken lassen. Zudem würde es eine Mordsgaudi werden. “Nein. Erzähl’ mir davon. Du hast sicher eine begehrenswerte Beute geschossen.”

„Das kannste wohl so sagen!“ Mika fing an, über das ganze Gesicht zu strahlen. Weißt du, eigentlich wollte ich ja nur ganz früh morgens einen Hasen oder so schießen. Da hab ich mich aus der Binge geschlichen. Aber Meister Ubararum hat mich dabei beobachtet. Aber statt mich zu Meister Borix zu führen, hat er mich in die Berge geführt und ich durfte einen Steinbock schießen. Das war aufregend! Vater war hinterher sehr sauer, aber Borix fand das alles gar nicht schlimm. Er ist so lieb und großherzig. Er hat mich dann sogar eingeladen, ein paar Wochen in Ishna Mur zu bleiben. Aber davon erzähle ich dir später in Ruhe.“

„Ach stimmt, du warst ja mit Angroschim unterwegs.“ Sie schürzte anerkennend die Lippen. “Das erzählst du mir am besten beim Baden. Ich habe immer noch ein Faible für die Jagd und will mir einen neuen Bogen kaufen. Was meinst du, wo ich die besten finde? Du machst doch bei unseren Jagden noch mit, wenn du da bist. Ach, die Kolbs haben das sechste Kind bekommen und die Ernte, die sowieso immer schlecht ist, war diesmal besonders übel, ich werde ihnen etwas geben. Die Mutter braucht Kraft.“

Mika blieb überrascht stehen und hielt auch Ciala an, indem sie an ihrem Arm zog. Als sich diese umdrehte, fragte Mika: “Was meinst du damit? ‚Wenn ich da bin‘? Soll ich denn wieder weggehen?“ Das Mädchen blickte misstrauisch.

Völlig emotional nahm Ciala Mika in die Arme. „Nie. Wenn es nach mir geht, sollst du nie gehen. Aber es zieht euch doch weiter, ihr trefft einen Mann. Ach, die Zeit vergeht so schnell.“

Die junge Edlentochter entspannte sich und fing an zu lachen. „Achso! Aber, nein, Ciala, was soll ich denn mit einem Mann? Mein Herz gehört Firun!“

Schließlich erreichten sie jenseits der Ausläufer des Dorfes jene Stelle des Baches, die von den Kindern so gern zum Baden genutzt wurde. Etwa ein Dutzend Kinder des Dorfes tobten hier und genossen die Abkühlung nach getaner Arbeit an diesem heißen Sommertag. Die Kinder schauten neugierig zu den beiden edlen Damen und grüßten dann anständig, als sie sie erkannten.

„Komm, Ciala“, schlug Mika vor, „lass uns noch ein Stück flussaufwärts gehen, wo wir mehr Ruhe haben.“

Ohne viele Worte folgte Ciala der jüngeren Frau. Ihr war der obere, ruhigere Teil des Baches ohnehin lieber und sollte Mika etwas erzählen wollen, dann war das ein geeigneter Ort.

„Schau Ciala, ist das nicht ein schöner Platz zum Baden?” Sie waren an eine seichte Stelle des Baches gekommen, wo er sich zu einem kleinen Teich ausgedehnt hatte. Nicht so breit und so tief wie der See unterhalb der Quelle, aber die Wiese reichte hier beidseitig des Bachlaufs bis ans Ufer. In einiger Entfernung sah man bereits, wie die sanften Hügel in die Berge des Haderholzes übergingen, wo der Bach seinen Ursprung nahm.

Eine Entenfamilie hatte sich im Schilf am Teichrand niedergelassen und schwamm vergnügt aus dem Wasser. Libellen jagten nach Mücken und anderen Insekten. Ein Greifvogel zog am Himmel seine Kreise.

Mika ließ sich auf der Wiese nieder und begann, sich ihre Reitstiefel auszuziehen.

Ciala war heiß und flugs stand sie im Rahjagewand da. Es war gut für ihren Körper, dass sie sich durch Jagd und Reiten fit hielt, doch sah man ihr – nicht, dass es sie gestört hätte – die Geburten einfach an. Sie war attraktiv für ihr Alter und vieles kam durch ihre positive Art, die Dinge zu sehen. „Mika, ich zerfließe, ich hupf schon mal rein, komm dann nach.“ Sie ging an eine Stelle, an der das Wasser besonders tief war, stieg unter Kichern und Stöhnen – je höher sich das kalte Nass auf Ihrem Körper empor arbeitete – hinein und tauchte dann kurz unter. „Komm, es ist wundervoll.“

Auch Mika war froh, die Reisekleidung vom Körper zu streifen und den warmen Wind auf der Haut zu spüren. Zügig ging sie in das Wasser. Die Kälte des Baches schien ihr nichts auszumachen. Sie suchte sich eine nicht zu tiefe Stelle und legte sich rücklings in das kühle Nasse, so dass ihr Körper gerade so vom Wasser bedeckt war. „Ist das schön erfrischend.“

"Jetzt sag schon. Erzähl mir mehr von dem Mann. Hast du dich gut amüsiert?” Ciala wollte, dass Mika ihren Spass bei Zwergen, gutem Speis und Trank gehabt hatte und, Travia bewahre, nicht bei einem Kerl, von dem man nichts wusste. Ein paar gute Beziehungen waren wertvoll oder eine Freundin.

Mika war völlig entspannt und blieb auf dem Rücken und die Arme ausgebreitet im Wasser liegen. „Welchen Mann meinst du? Ach, Meister Ubararum? Das ist doch der Jagdmeister von Meister Borix, also ein Angroscho. Er ist ein wirklich guter Jäger und hat mir einige Tricks gezeigt. Ich glaube, er würde mich sofort zur Ausbildung nehmen. Aber für so lange bei den Zwergen leben? Das ist bestimmt anstrengend. Ich habe mit Vater gesprochen. Er weiß jetzt, wie sehr ich Firun verehre. Vater hat vorgeschlagen, dass er mit einem Geweihten sprechen könnte, den er im Winter kennengelernt hat. Das ist wohl ein Onkel von Herrn Eoban. Vielleicht nimmt er mich ja noch als Novizin auf?“ Ihre Tante lachte und tauchte kurz im Wasser unter. „Ach nein, den Mann, mit dem Gwenn den Bund schließen wird.“ Wenn schon ein Rustikal, dann brachte er hoffentlich genug Land oder Geld mit. „Es freut mich, diese Idee mit der Novizenschaft. Ein eindeutiges Ziel und eine Berufung. Du hattest immer schon ein Gespür für die Jagd , das hat man gemerkt.“ Sie zögerte etwas. „Diese Angroschim, ich weiß, sie haben eine interessante Kultur und so. Aber auf Dauer? Hm. Klein und haarig.“

Mika lachte. „Ja, das stimmt. Aber sie sind sehr gastfreundlich.“ Dann hockte sich Mika im Wasser hin und wusch sich gründlich. „Der Mann für Gwenn. Ach so. Ja, der heißt Rhodan. Rhodan Herrenfels oder so ähnlich. Ich war ja nicht die ganze Zeit dabei, als die das ausgehandelt haben. Aber ich glaube, das ist ein reicher Händler aus Rosenhain. Der arbeitet da für diesen Mersinger. Die haben wohl viel Geld. Vater ist einfach froh, dass Gwenn endlich jemanden gefunden hat, der sie noch nimmt. Und er erhofft sich wohl, so gute geschäftliche Beziehungen nach Rosenhain zu bekommen. Ich glaube, er hätte Gwenn lieber mit dem Mersinger selbst vermählt, aber der ist noch zu jung und außerdem schon verlobt. Und Gwenn hat Angst, wenn die neue Gräfin im Amt ist, dass die Vögtin sie dann aus dem Amt drängt.“

Ciala ließ die Worte auf sich wirken und versuchte einen Stein mit den Zehen aus dem Wasser zu fischen. Mist. Früher waren die nicht so glitschig. „Ja, von dem Mersinger hab ich gehört. Guter Name, aber, sowas spricht sich rum, als Mann würde ich ihm meine Tochter nicht geben. Da ist Gwenn so sicher besser dran. Sie haben sich gern, oder? Also sie wirkt glücklich auf dich? Das ist mir wichtig.“ Mika nickte und holte Luft, um zu reden, doch bevor Mika antworten konnte, fiel Ciala noch etwas ein. Es schmerzte sie mehr, als sie sich anmerken ließ, Mika nun lange nicht mehr zu sehen, es war der richtige Weg, aber er tat weh. Nach dem Bad würde sie zu Merle und ihrer Tochter gehen. „Hast du Freunde gefunden? Was gibt es noch Interessantes? Gerade hier freut man sich doch immer, Neuigkeiten zu erfahren.“

Tatsächlich fing Mika bei der Frage an zu strahlen. “Ja, Murixe, das ist die Tochter von Borix und Murla, ist sehr nett. Aber auf der Feier habe ich eine Ingrageweihte kennengelernt, Imelda heißt die. Die ist total nett. Schade, dass sie nicht hier in der Nähe wohnt, ich glaube, das wäre eine richtig tolle Freundin. Sie ist gerade auf der Walz. Ich hoffe, sie kommt uns hier mal besuchen. Ich habe versucht, ihr einen der Volkstänze aus dem Dorf beizubringen, aber sie tanzt viel zu wild. Und die kennt auch Gudekar.” Es freute Ciala, von Mikas Freundschaften zu hören. Wenigstens hatte sie sich mit niemandem eingelassen und sie würde auch nicht nachfragen. „Hoffentlich kommt sie uns besuchen. Wir sind doch um jedes Gerücht froh.“ Dabei zwinkerte sie ihrer Wahltochter zu. Bei dieser Bemerkung musste Mika schlucken und hätte sich beinahe verschluckt. „Meinst du, wir hätten Gudekar nicht reisen lassen sollen? Davor war alles in Ordnung. Er hatte nur Merle im Sinn. Seit diesem sozialen Treffen ist er ganz anders. Was hat diese Imelda denn erzählt?“

‚Oh je‘, dachte Mika, ‚jetzt bloß nicht verplappern!‘ Schnell tauchte sie noch einmal im Wasser unter. Als sie wieder hochkam sagte sie: „Mir wird langsam kalt, wir sollten zurückgehen.“ Dann stieg sie aus dem Bach und nahm sich ihr Tuch, um sich abzutrocknen. „Eigentlich hat Imelda gar nichts erzählt. Nur, dass sie Gudekar da auf dieser Hochzeit im Travia kennengelernt hat. Mehr nicht. Nein. Aber ich denke, es ist doch gut, wenn Gudekar nicht immer nur in diesen Klostermauern hockt. Da wird man doch auf Dauer ganz irre, immer nur kalte, triste Mauern. Der muss raus und die Welt sehen. Dere ist sooooooooo“, sie streckte die Arme aus und schlug damit einen Kreis, wobei ihr das Handtuch herunter rutschte, „groß und wild und interessant, das muss man sich doch alles ansehen. Ich beneide Imelda, dass sie jetzt überall hin auf Reisen gehen kann. Ich glaube, sie will sogar die Zyklopeninseln besuchen.“

Ciala stieg auch aus dem Wasser und trocknete sich ab. Mika brachte sie immer zum Lachen und dann spürte sie wieder den Schmerz des nahenden Verlustes. `Würdest du doch noch bei mir bleiben, meine Kleine`, dachte sie. ”Ja mei, das mag schon sein. Bei dir mache ich mir auch keine Sorgen. Aber irgendwas muss etwas bei Gudi geweckt haben, als er weg war. Er war bisher immer brav und hatte nur Augen für Merle. Und kaum ist er weg… Merle meinte, sie hätte alles getan, um ihn zu halten, und einen Tag danach schwängert er irgendeine.” Während sie sich ankleidete, sprach sie nicht. Als beide fertig waren, trat sie an Mika heran. “Schatzi, du wirst mir so fehlen, das weißt du. Wir, also ich werde es schaffen und die Tage zählen. Du bist doch wie eine Tochter für mich.”

“Ach Ciala, du überdramatisierst das jetzt aber! Ich bin doch noch gar nicht weg. Außerdem weiß ich ja gar nicht, ob der Meister Firunmar mich überhaupt als Novizin nimmt. Wenn nicht”, Mika streckte die Arme aus und drehte sich schnell im Kreis, “dann bleibe ich für iiiiiiiiiiiiimmer hier!”

Ciala kniff die Lippen zusammen und dachte wieder an Gudekar. Eigentlich hatte sie ihn recht gern. Bis darauf, dass er sich als junger Mann mit Merle hatte erwischen lassen und aus Trotz auch noch den Bund – den, der für immer galt – geschlossen hatte und gerade jetzt, als sie endlich von Tsa gesegnet wurden, das tat, was er schon damals besser hätte tun sollen. "Sag ehrlich, Mika: Mit dieser Imelda hatte unser Gudi keine Affäre? Oder war da noch mehr auf dem Fest? So, wie ich ihn kenne, wenn das Eis einmal gebrochen ist, weiß ich nicht, ob er danach reuig war, oder etwas entdeckt hat, was er aus Dummheit damals verpasst hat.”

“Nein, mit der Imelda hatte er ganz sicher nichts! Das hat sie mir gesagt”, antwortete Mika äußerst kurz angebunden und wechselte dann schnell das Thema. “Lass uns lieber nach Hause gehen, bevor es dunkel wird. Ich bin auch müde nach der Reise und würde lieber ins Bett. Und erzähl mir auf dem Weg doch etwas aus dem Lützeltal. Was ist hier passiert? Ihr habt heute Kirschen geerntet? War es ein gutes Kirschenjahr?”

„Oh ja! Wirklich prächtige rote Früchte. Wir werden einkochen und auch für die Armen genug haben.“ Ciala stupste ihre Wahltochter fröhlich an und zwinkerte. „Und natürlich gibt’s auch wieder den berühmten Kirschgeist. Du, ich will daheim etwas zu Merle schauen.“ “Prima, ich will auch noch mal das Baby halten.” Mika war begeistert.

Drei Frauen und ein Baby

Aus der Gutsküche duftete es herrlich nach gekochten Kirschen, als Ciala und Mika den Hof betraten. Die Dämmerung setzte langsam ein, doch in den letzten Lichtstrahlen saß auf eine Bank im Hof Merle, mit Liudbirg Rotrude auf dem Arm, die sie gerade stillte. Die junge Mutter lächelte die beiden Ankömmlinge an. Mika lief sofort zu ihrer Schwägerin, wobei sie das Bündel mit ihren Sachen einfach fallen ließ, und setzte sich neben sie. Strahlend schaute sie den Säugling an.

„Habt ihr euch gut erfrischt?“ fragte Merle an Ciala und Mika gewandt.

Sofort wurden Cialas Gesichtszüge verträumt und weich beim Anblick des friedlichen Säuglings. „Erfrischend, sehr erfrischend, wenn ich mal auf die Kleine aufpasse, solltest du das auch machen. Ned wahr, Mika?“ Der Schmerz, ihre Schwägerin so lange nicht zu sehen, kam immer wieder an die Oberfläche.

Merle lächelte verträumt. Die Aussicht, einmal für eine Weile, und sei es nur eine Stunde, Zeit für sich zu haben und entspannen zu können, war verlockend. „Sehr gerne, Ciala, das wäre schön!“

„Merle, lass uns doch ein bisschen ratschen und es uns gemütlich machen. Wir hier im Tal bekommen so wenig mit. Und ich bin so neugierig. Mika hat mir schon von ihren Erlebnissen erzählt.“

„Genau, Merle, du musst uns alles erzählen!“ warf Mika sofort begeistert ein. „Von der Geburt und so. Ich wäre ja so gern dabei gewesen. Schade, dass sich Liudbirg nicht zwei Monde mehr Zeit gelassen hat!“

Merle lachte herzhaft, legte aber einen belehrenden Ton in ihre Stimme. „Mika, du weißt, dass das nicht möglich ist. Das hätte Liudbirgs und meinen Tod bedeutet!“ dann wurde ihre Stimme wieder sanft. „Mika, Liebes, würdest du bitte Liudbirg nehmen und ins Bett bringen? Wiltrud wird dir sicher helfen und alles zeigen was zu tun ist.”

Mika schaute zunächst ein wenig enttäuscht. “Aber ich wollte doch auch…”

“Mika, bitte!” Merle schaute ihre Schwägerin auffordernd an.

Mit einem Schmollmund antwortete Mika: “Na gut!” Dann setzte sie ein Lächeln in Richtung des kleinen Würmchens an und nahm ihre jüngste Nichte vorsichtig aus Merles Arm. “Komm zu deiner Tante, Liudbirg! Komm wir gehen und machen ein schönes Schläfchen, während die alten Weiber ein dummes Schwätzchen halten!” Das Kind langsam in den Armen schaukelnd ging Mika ins Gutshaus.

Als sie im Haus war, stand Merle auf, streckte sich, und holte sich von dem kleinen Tisch, der neben dem Eingang zu den Wirtschaftsräumen aufgestellt war, einen Krug mit Sauerbier, das sie mit frisch gepresstem Kirschsaft verdünnte. Mit kräftigen Schlucken trank sie den Krug halb leer. “Ah, das tut gut! Wie habe ich das Sauerbier der Rodenbachs vermisst. So etwas bekommt man in Albenhus nicht.”

„Das stimmt. Sowas gibt’s nicht überall. Sag, kennst du das Bier, das meine Familie hütet? Recht stark aber süffig.“ Sie verzog genervt das Gesicht. „Meinen Bruder willst du lieber nicht kennen lernen. Entweder bringe ich dir eines mit, oder meine jüngere Schwester kommt mal zu Besuch. Adelmann ist so ein Gockel. Der würde dir viel seines Gebräus geben, dich mit Komplimenten, die ich verstehe, überhäufen- na er kann scho galant sei- und wohl noch schwanger werden lassen.“ Ciala lächelte und schüttelte den Kopf. „Des lass ma liaba.—Warum ist Gudekar nicht mitgekommen? Wieder eine, seiner dringenden Missionen? Und was meinst? Bekommst ihn wieder hin?“

Merle sank auf ihre Knie und umarmte Cialas Hüften. Sie schmiegte ihren Kopf an den Oberschenkel ihrer Schwägerin. “Ach, Ciala! Er hat sich so verändert. Ich erkenne ihn kaum wieder. Ich weiß ja, dass er mir in Herzogenfurt untreu war, und er versichert mir immer wieder, dass diese Tsalinde ihn nicht mehr interessiert. Aber irgendetwas muss geschehen sein. Es fühlt sich an, als ob ich ihn nicht mehr interessiere.“ Tränen rannen aus ihren Augen. “Aber dass er jetzt nicht hier ist, dass er wieder auf Reisen ist, geschah auf Vater Friedewalds Wunsch.”

Ciala half Merle auf und sie setzten sich nebeneinander an den Tisch. Die Kleine tat ihr Leid. Sie selbst war im Gegensatz zu ihrem Bruder Travia gläubig und treu. Aber sie kannte auch die andere Seite. „Was sagt er denn dazu? Es ist doch mit dieser geheimen Mission beschäftigt. Das wird ihn verändert haben. Aber…“ Es fühlte sich seltsam an. Noch vor der Hochzeit hätte er alles für Merle und seine Tochter getan. Sinnierend verband sie feuchte Stellen auf dem Tisch zu einem Muster. „Wenn er nach der Reise zu dir kommt, dann wird er doch Rahja mit dir opfern? Das tun sie immer.“

“Ich hoffe es sehr. Er kann so liebevoll, so zärtlich sein, aber er hat es mich in letzter Zeit nicht mehr spüren lassen. Ich denke”, mit deutlich leiserer Stimme sagte sie die nächsten beiden Worte, “ich hoffe, es liegt einfach an dem, was in Elenvina mit Reto geschehen ist. Das hat viele verändert. Reto war wohl ein guter Freund für Gudekar geworden, seit sie gemeinsam an dieser Sache gearbeitet haben. Ihn dann so zugerichtet zu sehen, ihn selbst aus der Folterkammer der Paktierer zu retten, mehr tot als lebendig, und dann zu sehen, wie Reto gebrochen war, ohne ihm wirklich helfen zu können. Das hat Gudekar mehr mitgenommen, als er zugeben mag. Aber es macht mich traurig, dass er sich nicht einmal mir öffnet. Nicht einmal die Geburt von Liudbirg hat scheinbar sein Herz rühren können.” Immer wieder wurden ihre Worte vom Schluchzen unterbrochen. Merle griff noch einmal nach ihrem Bierkrug und trank einen kräftigen Schluck, um den trockenen Hals zu beruhigen. Dann blickte sie hoffnungsvoller. “Ich hoffe, die Reise mit Gwenn nach Rosenhain bringt ihn auf andere Gedanken. Er hatte schon immer ein gutes Verhältnis zu Gwenn. Vielleicht ist er hinterher wieder mehr er selbst, wenn er sich bei ihr aussprechen konnte.”

„Ach Merle, Kindchen, komm her.“ Ciala nahm Gudekars Frau fest in die Arme und drückte sie. Der Schmerz schien nun endlich einen Weg aus ihr heraus gefunden zu haben. Sie schluchzte und Ciala war einfach für sie da. Ohne Worte. Eigentlich mochte sie Gudekar auch, obwohl er einen Fehler nach dem anderen beging. Der Bund, ohne den viel Leid erspart geblieben wäre. Merle war hübsch und wäre gewiss mit einem anderen Mann glücklich geworden. Dann die Affäre mit seiner Bekannten. Warum? Er hatte nie besonders von ihr erzählt und auch jetzt spürte man, dass es keine Liebe war. Aber das Kind von ihr, das machte alles komplizierter. Sie war sich fast sicher, dass da noch mehr war. Mit der Gruppe um den Paktierer war er bereits länger unterwegs und jedesmal war ihm Tsalinde egal gewesen, denn er liebte Merle. Als diese sich ausgeweint hatte, reichte Ciala ihr eine Waschschüssel, um sich frisch zu machen und holte eine Flasche guten Weines mit zwei Bechern. Sie schenkte ein.

„Ich danke dir, Ciala, für deine Liebe. Hier bei euch fühle ich endlich wieder geborgen.“ Merle wusch sich ihr Gesicht. Das kühle Wasser tat gut und entspannte sie auf eine angenehme Weise.

„Bei uns hast du immer ein Zuhause und kannst dich ausruhen, wenn du es brauchst. Bleib doch etwas hier.“ Ciala trank einen Schluck, das brauchte sie jetzt. Auch Merle nahm einen Becher, nippte jedoch nur vorsichtig. Da sie ihr Kind selbst stillte, wollte sie nicht zu viel Wein trinken.

„Zwei Fragen fallen mir gerade ein. Schreibt ihr euch? Das solltet ihr machen. Und diese Kette, die hat er nun nicht mehr an. Aber du hast danach auch keine starken Gefühle von Lust oder Liebe zu Tsalinde mehr gespürt. Da wird nichts mehr sein.“

Merle schüttelte den Kopf. „Ich bin mir sicher, dass er das Amulett seit den Ereignissen auf seiner Reise nicht mehr getragen hat. Jedenfalls habe ich nichts mehr von ihm gespürt. Als ich ihn einmal deswegen angesprochen habe, sagte er nur, wenn er in Albenhus ist, sei das doch nicht nötig, wir könnten doch miteinander reden. Aber genau das macht er ja kaum noch mit mir. Und wenn er auf Reisen sei, wolle er es nicht tragen, weil er so oft in gefährliche Situationen komme und er nicht wolle, dass ich mir unnötig viele Sorgen mache, vor allem in der Schwangerschaft wäre das nicht gut gewesen für mich und das Kind. Außerdem sei es doch schade, wenn ein solch besonderes Kleinod bei seinen Ermittlungen verloren gehen würde.“ Merle wusste, dass dies alles nur billige Ausreden waren. Aus Ärger über Gudekars Lügen und ihre Unfähigkeit, sich dagegen zur Wehr zu setzen, leerte sie nun doch ihren Becher. Dann dachte sie über Cialas erste Frage nach.

„Ach, Ciala, was sollte ich ihm denn schreiben?“

Sie schrieben sich also nicht. „Kläre ihn darüber auf, dass du bei uns leben wirst, wenn er nicht da ist. Und dann schreib ihm das, was du mir zwischen den Zeilen gesagt hast. Dass du merkst, wie er sich von dir entfernt, nicht richtig mit dir redet und dass du von seinen Ausreden genug hast. Er soll dir sagen, ob er mit einer anderen Frau außer dir eine sexuelle Beziehung hat. Es ist dein Recht, zu wissen, ob es daran liegt.“

„Ich…“, Merle stotterte, „ich kann das nicht. Ich meine, ich weiß doch gar nicht, was ich schreiben soll. Ich habe sowas noch nie gemacht.“ Zwar hatte Merle im Waisenhaus die Grundzüge der Kusliker Zeichen gelernt, ja, auch Gudekar hatte oft mit ihr geübt, aber ihre Schreibkünste beschränkten sich auf das Aufschreiben von Einkaufslisten oder Rezepten. Einen Brief hatte sie noch nie verfasst. „Dann werde ich ihm einen Brief schreiben. Und jetzt trinken wir uns das Leben noch etwas schön.“ Ciala verstand sowohl Merle als auch Gudekar. Beide hatten so harmonisch gewirkt und würden natürlich wieder zusammenfinden müssen. Merle hatte ihre Jugendliebe geheiratet und kannte keine anderen Männer. Und Gudekar war bisher immer brav und fügsam gewesen. Aber Merle konnte selbst jetzt nur das schreiben, was sie musste. Es hatte gereicht. Gudekar war intelligent und was mochte passiert sein, wenn er eine Frau getroffen hatte, die ihn beeindruckte. Nicht immer nur umgekehrt. Diesen Gedanken würde sie weiter nachgehen und schreiben.

Merle nahm all ihren Mut zusammen, um ihrer Schwägerin zu widersprechen. „Nein, meine Beste“, erwiderte Merle mit der sichersten Stimme, die sie aufbringen konnte, (was allerdings nicht sonderlich sicher klang), „das sollte ich lieber selber machen. Sonst merkt Gudekar doch hinterher, dass der Brief nicht von mir ist.“


Vater und Sohn

Am Abend der Ankunft saßen Friedewald und Kalman noch lange zusammen im Hof. Mit einer Pfeife im Mundwinkel erzählte Friedewald von der Reise nach Ishna Mur, den dortigen Feierlichkeiten, Mikas Aufenthalt in der Binge. Nur eine wichtige Begebenheit ließ er aus. Er erzählte von seiner zwischenzeitlichen Weiterreise nach Elenvina. Er berichtete von seinem Treffen mit Morgan und wie es Kalmans Sohn an der Akademie erging.

Als alle anderen auf dem Hof bereits zur Nachtruhe gegangen waren, forderte Friedewald seinen Sohn auf: „Komm, lass uns in den Keller gehen und noch ein kühles Bier trinken. Die Wände dort haben auch keine neugierigen Ohren.“

Kalman folgte seinem Vater widerspruchslos und wartete darauf, was Friedewald noch zu besprechen hatte.

„Du hast gehört, dass wir endlich einen Mann für Gwenn gefunden haben?“ fragte der Vater.

„Ja, Mika hat es schon erzählt, als sie ankam. Ein Bediensteter der Mersingers aus Rosenhain, richtig?“

„Nun er ist kein einfacher Bediensteter.” Friedewald zog an seiner Pfeife und bließ eine Rauchwölkchen aus. „Rhodan Herrenfels ist der Kontormeister der dortigen Rosenölpresse. Ein Geschäft mit dem Potential für großen Wohlstand.“

“Und doch ist er ein bürgerlicher. Du weißt, was Ciala und ich davon halten. Und du siehst, was bei Gudekar und Merle dabei herausgekommen ist.”

“Sag nichts gegen Merle! Sie ist das Beste, das deinem Bruder passieren konnte.”

“Das mag sein. Aber war er auch das Beste für Merle? Und du siehst, Vater, wie wenig Merle diesen Frevler unter Kontrolle hat. Aber, nun ja, ich vermute, es ist eh keine Liebesheirat und deine Entscheidung ist längst gefallen.”

“Ja, das ist richtig. Auch wenn Gwenn für diesen Mann schwärmt, weiß ich, dass er seinen Vorteil darin sieht. Andererseits ist es gut, Gwenn endlich in sicherem Bund zu sehen.”

Kalman schnaubte durch die Nase. “Solange wir uns keinen zweiten Gudekar ins Haus holen.”

Friedewald schluckte. “Ich bin mir sicher, der Herr Herrenfels wird sich bei seinen Vergnügungen geschickter anstellen.” Die Blicke Kalmans zeigten deutlich, was er von der Bemerkung seines Vaters hielt, doch verlor er kein Wort darüber. “Gwenn wird ihre Stellung am Hofe aufgeben müssen. Ist es das wert?”

“Hm, wenn wahr ist, was ich gehört habe, dann sieht die neue Vögtin Gwenn eh eher als Konkurrentin. Insofern ist es fraglich, wie lange Gwenn ihren Posten noch behalten könnte. Ein Abgang in Würde zur rechten Zeit kann die Beziehungen zur Gräfin insofern vielleicht eher stützen als gefährden. Außerdem hat Gudekar scheinbar über seinen Auftrag ein gewisses Vertrauensverhältnis zur Vögtin Witta errungen. Dies könnte die entstehende Lücke schließen. Ach, Kalman, über Gudekars Mission müssen wir heute auch noch ganz dringend reden.”

Kalman schaute seinen Vater fragend an, aber auch hier bohrte er nicht weiter nach. Vater würde von sich aus sagen, was zu sagen war. Stattdessen fragte er: “Wann soll die Hochzeit stattfinden?”

“Eigentlich sobald wie möglich. Doch zur Zeit haben wir andere Sorgen und müssen zunächst für die Sicherheit in Lützeltal sorgen, bevor wir hier ein Fest ausrichten. Wir wollen ja nicht, dass es so endet, wie im Herbst in Herzogenfurt.”

Nun schaute Kalman erschrocken. “Was ist los, Vater? Rück raus, was bedrückt dich?”

Friedewald blieb zunächst stumm. Er nahm die beiden Bierkrüge und füllte sie auf. Dann holte er eine Karaffe aus einem Regal, füllte den kräftiggrünen Schnaps in zwei Becherchen und reichte Kalman eines. Die Karaffe stellte er auf den Tisch, an dem die beiden Männer es sich bequem gemacht hatten. “Die erinnerst dich an die Geschichte aus Talwacht? Der Paktierer Pruch, der dort Chaos angerichtet hat?” Kalman blickte seinen Vater erwartungsvoll an.

“Nun, Gudekar ist seit dem Flussfest auf einer Mission, bei der es auch um das Wirken dieses Frevlers geht.”

“Was? Gudekar jagt den Paktierer?”

Friedewald schluckte den Schnaps hinunter. “Nun, nicht direkt. Vielleicht. Doch, ja, wahrscheinlich. Das ist der Grund, weshalb er in letzter Zeit so oft unterwegs ist.”

Nun brauchte auch Kalman etwas Kräftiges und schluckte den Albenbluth hinunter. “Was weißt du darüber?”

“Nun, nicht viel. Aber ich habe in Albenhus mit Gudekar sprechen können, und er wirkte äußerst besorgt. Weißt du, er hat in Elenvina erfahren, dass der Paktierer vor einigen Monden vermutlich von Unkenau die Straße in südliche Richtung eingeschlagen ist. Das würde ihn dann natürlich nach Lützeltal führen. Wäre es möglich, das er sich hier oder in der Nachbarschaft eingenistet hat, ohne dass wir dies bemerkt haben?”

Kalman dachte nach. “Gudekar hat mir diesbezüglich bereits eine Nachricht zukommen lassen. Diese erreichte uns in den Ingerimmtagen. Doch konnte ich nichts damit anfangen. Wir sollten auf besonders auffällige, traviafrevlerische Vorgänge im Tal acht geben. ‘Noch frevlerischer als das, was Gudekar getan hat?’, dachte ich da. Ich hatte mich im Dorf umgehört, doch hat mir niemand etwas Auffälliges berichtet. Da hab ich das als eines von Gudis wirren Hirngespinsten abgetan.”

“Hoffentlich war das kein Fehler! Ich denke, wir sollten Vorsicht walten lassen. Vielleicht warst du nicht derjenige, dem die Dörfler freizügig über solche Dinge berichten. Wir sollten nochmals jemanden anderen losschicken, um die Leute zu befragen, unauffällig, vielleicht im Gespräch bei einem Bier im Rodenbachs.”

“Und an wen hast du dabei gedacht, Vater?”

“Hm, ich möchte nicht zu viele einweihen, auch wenn dies die Chance erhöhen würde, eine Information zu bekommen. Ich dachte an Bernhelm.”

“Bernhelm? Meinst du, er ist der richtige dafür? Traust du ihm diese Aufgabe zu?”

“Oh es gibt kaum jemanden auf dem Gut, dem ich diesbezüglich mehr vertrauen würde. Außerdem war er die letzten beiden Monde mit mir zusammen unterwegs. Damit ist es unwahrscheinlich, dass der Frevler heimlich seine Identität angenommen hat.”

“Seine Identität?”

“Ja, genau. Dies hat der Paktierer wohl in Herzogenfurt getan, um unerkannt wirken zu können, sagt Gudekar. Er hat dort einen Travianovizen ausgeschaltet und dessen Gestalt angenommen, um Vater Winnrich zu… entführen.”

“Einen Travianovizen? Ausgerechnet einen Travianovizen, sagst du?” Kalman war erschrocken. “Dann können wir also niemanden im Dorf mehr trauen?”

“Nein, im Prinzip nicht. Außer uns natürlich. Ich bin mir sicher, dass wir in einem solchen Fall etwas bemerkt hätten, wenn sich plötzlich das Verhalten von einem der unseren geändert hätte. Und genau nach solchen Änderungen möchte ich Bernhelm suchen lassen.” “Vater, ist denn sicher, dass der - wie heißt er? – Pruch bereits im Tal ist?”

“Das wissen wir nicht. Er könnte sich auch in Hart oder Holdereck eingenistet haben, oder er ist längst durchgereist und dann die Ambrocebra weiter gezogen.”

“Dann wäre alles falscher Alarm…”

“Das sehe ich noch nicht so optimistisch, Kalman. Gudekar berichtete mir, nach den Ermittlungen in Talwacht wurde dort eine Liste mit den Namen der dortigen Ermittler gefunden. Diese hatten durchaus mit Angriffen auf sich und ihre Familien zu rechnen. Es ist deshalb zu vermuten, dass eine solche Liste auch mit Gudekars Namen darauf existiert. Immerhin hat er im Efferd mit seinen Helfern in Elenvina ein Nest der Anhänger des Paktierers ausgeräuchert – im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn der Pruch sich nun an Gudekar für seine Taten rächen möchte, dann könnte Lützeltal sehr wohl eine Zielscheibe sein.”

“Gut.” Kalman stand voller Tatendrang auf und stützte sich mit den Händen auf die Tischplatte. “Dann sollte die Wache verstärkt werden. Lass uns einige Mann in Dienst nehmen. Und lass die Straße überwachen, alle Reisenden, egal ob lediglich auf der Durchreise oder mit Ziel Lützeltal, sollten überprüft werden.”

“Ja, das ist eine gute Idee, mein Sohn. Gudekar wird auf seiner Reise nach Rosenhain in Elenvina zwei Wachen der Plötzbogener anwerben. Er hofft, dass Ihre Hoheit Grimberta die Kosten dafür übernimmt. Ansonsten müssten wir sehen, dass wir den Sold bezahlen können.”

“Das wird nicht billig!”

“Gudekar versucht da etwas herauszuhandeln. Der Herrenfelser begleitet ihn. Der ist ein geschickter Verhandler, ich hoffe, die beiden können einen Freundschaftspreis heraushandeln.”


Ein geschäftiger Morgen

Schon kurz nachdem die ersten Lichtstrahlen den Himmel über Lützeltal erhellten, ging das geschäftige Treiben auf dem Gutshof los. Einige Bauern kamen mit ihren Wagen und luden die Kirschen des Gutes auf, die nach Albenhus gebracht werden sollten. Damit diese die Fahrt trotz der sommerlichen Hitze gut überstanden, wurden einige Eisschollen aus dem Eiskeller geholt und in große Wannen unter die mit Stroh gepolsterten Körbe gelegt. Man wollte die Kühle des Morgens nutzen, um soweit wie möglich zu kommen, bevor Praios sein Antlitz in voller Pracht über das Grafenland erstrahlen ließ. In Schlatt würden die Früchte dann auf einen Flusssegler geladen werden.

Auch Mika war bereits früh wach und hatte bereits einen Streifzug über die morgendlichen Wiesen hinter sich. Sie liebte es, den kühlen Morgentau des Grases an ihren nackten Füßen zu spüren. Nun saß sie an dem Tisch im Hof, aß eine Schüssel mit Honig gesüßtem und mit Kirschen verziertem Milch-Getreide-Brei und kommentierte das emsige Treiben um sie herum immer wieder mit mehr oder weniger hilfreichen Zurufen, als Merle aus der Tür kam. Auf dem linken Arm trug sie Liudbirg Rotrude, in der Rechten hielt sie ein Stück Pergament.

“Guten Morgen, Mika! Mal wieder so früh auf?”

“Guten Morgen, ihr beiden!” Mika strahlte auf, als sie ihre jüngste Nichte sah. “Na klar! Der Morgen ist doch die schönste Zeit des Tages. Aber ihr beide seid ja auch schon wach?”

“Ja, leider.” Merle gähnte ausgiebig. “Die Kleine fand wohl, ich hätte genug geschlafen. Und jetzt, wo ich auf bin, ist sie wieder friedlich eingeschlafen. Typisch!”

Mika musste lachen.

“Sag mal, Mika, hast du Ciala schon gesehen?” Merle blickte sich um.

“Nein, sie und Kalman sind mir noch nicht über den Weg gelaufen. Was willst du denn von ihr?” Dann fiel Mikas Blick auf das Pergament in Merles Hand. “Was hast du denn da? Darf ich mal sehen?”

Merle zog die Hand mit dem Schreiben schnell weg. “Nein, lieber nicht. Das will ich nur Ciala zeigen, damit sie es sich noch mal anschauen kann, bevor…” Sie sprach den Satz nicht zu Ende.

“Wieso, ich kann doch auch mal drauf schauen. Oder ist das ein geheimer Liebesbrief?”

Merle lief rot an. “Nein, nicht wirklich. Na gut, ich verrat’s dir. Ich habe versucht, Gudekar einen Brief zu schreiben, und ich will, dass Ciala noch mal drauf schaut, bevor ich ihn abschicke.”

“Ach, und mir vertraust du nicht genug, als dass du ihn mir zeigen würdest?” Mika tat beleidigt. Sie hatte ihre Füße nun auf die Sitzbank gestellt und umklammerte nun mit den Armen ihre Knie.

“Nein, Schätzchen, das ist es nicht. Nur, Ciala und ich haben da gestern Abend drüber geredet. Und ich glaube einfach, sie hat in solchen Dingen einfach mehr Erfahrung als wir.” Merle war es eindeutig unangenehm, den Brief Mika nicht zeigen zu wollen. “Schon gut”, winkte Mika ab. “Klar, solche Sachen kann Ciala wirklich gut. Soll ich mal schauen, ob ich sie irgendwo finde, ob sie schon wach ist?” Bevor Merle widersprechen konnte, hatte Mika ihre Beine losgelassen, war aufgesprungen und im Herrenhaus verschwunden. So setzte sich Merle an ihrer statt auf die Bank, nahm sich die Schüssel mit dem restlichen Milchbrei, den Mika zurückgelassen hatte, und begann nun ihrerseits davon zu essen.

Es dauerte nicht lange, da Mika Cialas Orte kannte, an denen sie sich um diese Zeit aufhielt. Diesmal war sie in ihrem Zimmer über Pergamenten, die nach Arbeit und Geld aussahen.

„Merle.. ach Liudi. Sie schläft. Da sind sie immer am niedlichsten.“ Gerührt blickte sie auf den Säugling. „Mika meinte, du wolltest mir ein Pergament zeigen.“ Sichtlich neugierig setzte sie sich zu Merle.

“Guten Morgen, Ciala!” Merle blickte ihre Schwägerin übermüdet, fast schon gequält, an. “Lass dich von der Kleinen nicht hinters Licht führen. Ja, wenn sie schläft, schaut sie niedlich aus. Aber versuche du mal zu schlafen, das merkt sie sofort, und schon wird sie zu einem kleinen Dämon.” Merle versuchte zu lächeln, aber das wollte ihr nicht recht gelingen. Dann blickte sie Ciala etwas erschrocken an. “Ach ja, der Brief!” Jetzt, wo sie das Pergament beschrieben hatte und Ciala da war, um es zu sehen, verließ sie der Mut und sie wäre am liebsten weggerannt, zum Herdfeuer gelaufen, um das Pergament den Flammen zu übergeben. Aber sie wusste, Ciala würde das nicht zulassen. Schüchtern erklärte sie: “Als Liudbirg mich wachgehalten hat heute Nacht, habe ich einen Brief an Gudekar geschrieben. Aber ich weiß nicht, ob ich ihm den wirklich schicken sollte.”

„Ich habe drei Kinder großgezogen und weiß, wie das mit denen ist. Zeig mal her, wenn du nicht zu viel nachdenkst und schläfrig warst, ist er wahrscheinlich umso ehrlicher.“

“Meinst du?” Merle schob das Pergament vorsichtig zu Ciala hinüber. Doch als Kalmans Frau den Brief greifen wollte, hielt sie ihre Hand fest darauf und zog das Pergament schüchtern wieder etwas zurück. Erst als sie Cialas liebevollen und aufmunternden Blick sah, ließ Merle schließlich los. Ciala nahm den Brief an sich und las.

Lieber Gudekar,


hofentlich bist du und Gwenn guht angekommen und ihr hatet eine guhte Raise. Ich vermisse dich jetzt schon!

Ich bin mit Friedewald und Mika gut in Lützeltal angekommen. Es ist so schön hier, aba du fehlst hier. Ciala ist aba so guht zu mir! Ich werde hier bleiben, bis du endlich wieder zurück bist.

Aba dan musst du mit mir reden. Das tust du gar nicht mehr richtig. Hast du mich denn gar nicht meer lieb? Magst du die Tsalinde vielleicht doch liber als wie mich? Oda bist du einfach nur so traurig, was die mit Reto gemacht haben? Aba dan sag mir das doch. Ich kann dich doch trösten.

Jetzt wünsche ich dir und Gwenn eine guhte Zeit in Elenvina (grüß bitte Morgan ganz lieb von mir!) und dan in Rosenhain.


Küsschen, deine Merle.


Merle blickte Ciala fragend an.

“Ah…” Ciala las den Brief einige Male konzentriert durch, ohne einen wertenden Ausdruck auf dem Gesicht zu zeigen. Merle beobachtete sie gespannt. “Ah, ja.” Sie legte den Schrieb zur Seite und faltete die Hände. “Ihr schreibt euch nicht oft. Soll ich dir etwas bei der Rechtschreibung helfen? Und die Sätze überarbeiten wir etwas. So gut wie du kenne ich ihn ja nicht.”

Merle wurde ganz rot und zog den Brief schnell zu sich, um ihn schützend vor ihre Brust zu halten.

Ciala holte tief Luft und überlegte, wo sie am besten ansetzen konnte. “Meiner Meinung nach hatte er bis zu dieser unsäglichen Hochzeit alles für und wegen dir getan. Er hatte den Bund mit dir nie bereut.“ Merle nickte zustimmend mit dem Kopf. „Was ist da passiert? Und du brauchst ihm nicht wie eine Bittstellerin schreiben. Die Tage vor der Abreise war es doch auch wie immer? Oder habe ich da ein ganz falsches Bild von eurer Ehe und es war bisher nur Fassade?“ Ciala würde den Brief umschreiben, nicht zu sehr, aber anscheinend war es Gudekar egal gewesen, ob seine Frau gebildeter war oder nicht. In all den Jahren hätte er ihr besser Schreiben und Ausdruck beibringen müssen. Als hätten sie sich in das Schicksal am Ende der Welt gefügt. Angenommen, er hätte wirklich irgendwann einmal eine Stelle, eine bessere Anstellung in einer größeren Stadt bekommen. Was für eine Schande für die Familie. Er hätte eine zwar liebe Frau ohne Stand geheiratet, aber, ach, er hätte sie fördern müssen.

„Nein, früher war alles in Ordnung. Bis zu dieser Hochzeitsfeier, zu der er musste, wo er sich dann für diese Edle von Kalterbaum… interessiert hat. Naja, irgendwie hatte er sich schon nach den Ereignissen in Elenvina verändert. Aber nach diesen schrecklichen Erlebnissen war er eher noch liebevoller als davor, hatte Trost gesucht. Und er war so stolz, mir dieses Amulett des Muschelfürsten geben zu können. Wir hatte so eine innige Zeit, bis er wieder los musste. Ich hätte nie gedacht, dass sich das so schnell ändern könnte. Diese Ziege muss ihn verhext haben.“ Merle schien sich langsam in Rage zu reden.

Als Merle ihr den Brief wegnahm, presste Ciala die Lippen aufeinander, sagte aber nichts. Vielleicht mochte er das ja an ihr. “Diese Kalterbaum kenne ich auch nicht und ich fürchte, dass sie uns auch nicht die Wahrheit sagen wird. Du solltest ihm noch schreiben, dass er dir antworten soll. Wann kommt er wieder zurück?”

Schüchtern legte Merle das Pergament wieder auf den Tisch. „Ich bin mir nicht sicher, wie lange er und Gwenn in Rosenhain bleiben werden. Ich hoffe, wenn er sich ein Bild von Gwenns zukünftigem Zuhause gemacht hat, kommt er gleich zurück, vielleicht Ende Praios?“ Dann schob sie den Brief zu Ciala. Schreib du den Brief, bitte, wie du ihn schreiben würdest. Ich kann ihn ja dann abschreiben. Vielleicht kann ich ja wenigstens das richtig.“ In ihren Augen sammelten sich Tränen der Verzweiflung.

„Geh Merle..“ Cialas mütterliche Ader war beim Anblick der verzweifelten, jungen Frau -ein trauriges Bündel- geweckt worden und die hielt deren Hände mit ihren fest umschlossen. „Natürlich kannst des. Schau ned immer auf das, was ned klappt. Du bist eine wunderschöne Frau, eine fürsorgliche Mutter und hast ein reizendes Kind. Dass Gudekar extra zur Geburt gekommen ist, das ist bei Adligen nicht selbstverständlich. Die Männer sind oft weit weg und das Kind ist da, wenn der Brief sie gerade erreicht.“ Sie hob nun mit einer Hand Merles Kinn und sah ihr in die verweinten Augen. „Wir müssen stark sein. Ich werde nur die Rechtschreibung nochmal verbessern, der Rest ist gut. So kennt er dich.“ Dass sie selbst einen Brief an ihren Schwager per Eilbote schicken würde verschwieg sie. Bund war Bund und Travia ihre Göttin. Aber zum einen musste sie wissen, woran sie war und so gläubig die gebürtige Udenauerin auch war, sie wollte weder Merle noch Gudekar bis an ihr Lebensende unglücklich sehen. „Lass uns schauen, wie weit mein Gatte ist.“ Nach dem Essen würden sie sich austauschen und beraten. War es anfangs natürlich eine arrangierte Ehe, so waren sie beide sehr glücklich miteinander, liebten und vertrauten sich.

„Danke, Ciala!“ Merle versuchte, ihre Tränen zu unterdrücken und wischte sich mit dem Ärmel die Augen trocken. „Du bist wie eine Mutter zu mir. Ich werde gehen und Wiltrud helfen, das Frühstück für euch zu richten. Dann suche ich Kalman und Friedewald. Ist Madalin auch schon wach, oder soll ich sie wecken? Passt du solange auf Liudbirg auf? Ich hole gleich die Wiege, da können wir sie reinlegen.“ Merle versuchte, ihre Sorgen mit emsiger Geschäftigkeit zu überdecken.

ciala und Kalman

Nach dem Essen bat Ciala ihren Gatten um ein wenig privaten Raum. Etwas zu besprechen, zwanglos, ehrlich. Was dabei herauskam oder was gemacht wurde, durfte Kalman selbst entscheiden und es dann auch als seine alleinige Entscheidung preisgeben.

„Warte einen Moment“, antwortete Kalman auf Cialas Bitte. Er wusste, wenn Ciala ihn so um ein Gespräch bat, dann war es eine wichtige, doch eher persönliche Angelegenheit. Es ging nicht um das Gut oder ein Anliegen des Volkes, sondern es ging um die Familie. Und in Cialas Augen drängte es. Nun ja, es war gut. Auch er musste bald mit ihr sprechen. Das, was Vater ihm gestern Abend berichtet hatte, betraf sie alle. Nicht alle Einzelheiten wollte – konnte er Ciala erzählen. Aber das Wesentliche musste auch sie wissen.

„Ich gebe den Knechten nur noch Anweisung, was heute Vormittag zu tun ist, dann habe ich einen Augenblick Zeit und wir können reden. Wollen wir dann ein wenig durch die Kirschwiesen spazieren? Diese sollten nach der gestrigen Kirschernte heute verlassen sein. Wir können dann gleich schauen, wie weit das Gras ist, wann es wieder gemäht werden kann.“

„Natürlich. Aber dann wird niemand glauben, dass ich plötzlich von der schönen Göttin berührt wurde und dringend meinen Mann brauche.“ Sie lachte amüsiert aber in der Art, wie er sprach, merkte sie, dass auch er etwas, wohl schwerwiegenderes auf dem Herzen hatte.

Kalman blickte seine Frau überrascht an, musste dann aber schmunzeln. „Lass sie denken, was sie wollen! Wir stehen im Bund und können miteinander tun, was wir wollen, ohne irgendjemanden Rechenschaft ablegen zu müssen.“ Zärtlich tätschelte er ihr Gesäß.

Etwa ein halbes Stundenglas später kam Kalman mit einem Rucksack auf dem Rücken und einem Speer in der Hand, der ihm gleichwohl als Wanderstab als auch als Waffe dienen konnte, zu Ciala. „Wollen wir los?“

Seine Gattin nickte nur und verzog bei dem Blick auf die Decke, die sie sich über den Arm gelegt hatte schelmisch den Mund. „Falls wir uns setzen wollen.“

Die beiden verließen den Gutshof und wanderten Richtung Südwesten, parallel zur Straße nach Schlatt, doch in einigem Abstand zum Weg, über die Wiese. Als sie außer Sichtweite der Häuser waren fragte Kalman: „Was ist, mein Liebes, was liegt dir auf dem Herzen?“

„Ach Schatzi… das hättest du von mir sicher nicht gedacht. Du weißt, wie sehr ich Travia treu bin, aber auch, was ich von dem Bund deines Bruders mit Merle hielt.“ Sie machte eine kurze Pause und blickte über das Land. Einfach schön, so kam es ihr in den Sinn.

Kalman nutzte die Pause, um ihr zuzustimmen. „Ja, da waren wir uns einig. Aber ich muss sagen, ich habe im Laufe der Zeit Merle ins Herz geschlossen. Und durch den Bund ist sie Teil unserer Familie geworden. Ob uns das nun gefallen hat oder nicht. Und wir sollten sie als solches behandeln.“

„Mit Merle habe ich heute gesprochen. Sie soll etwas bei uns wohnen, dann hab ich die kleine Lulu und sie kann sich etwas erholen. Sie ist völlig am Ende mit den Nerven. Irgendwie war es klar, dass Gudekar, wenn er das Tal verlässt und Frauen von Stand trifft, eine völlig neue Welt kennen lernt. Ich weiß nicht, was ihm an dieser Tsalinde so gefällt. Vielleicht ist sie klug und er kann anders mit ihr reden? Gebildet oder selbstbewusst, keine Ahnung. Aber was sollen wir tun? Die Sache mit dem Kind scheint geklärt, ich bin mir aber sicher, dass er die Liebschaft noch unterhält.“ Grimmig kickte sie einen Stein vom Weg. „Oder noch schlimmer. Er hat sich völlig vergessen und… du weißt schon… teilt mit jeder das Lager. Ich will mich vor Travia nicht versündigen, aber wenn wir beide für ihr Leben unglücklich machen, das kann ich auch nicht sehen. Du hast es ja gesagt, die Hörner muss er sich abstoßen. Was, wenn er sich verliebt?“

Kalman lief eine Weile schweigend neben Ciala her. „Hm, bist du dir sicher? Ich traue diesem Madaverfluchten ja eh nicht weiter, als ich diesen Speer werfen kann. Aber Vater hat versichert, dass Gudekar und diese Tsalinde nichts mehr voneinander wollen. Die beiden können wohl überhaupt nicht mehr miteinander. Wenn, dann muss es wirklich jemand anderes sein.“ Wieder schwieg er, um seinen Gedanken zu folgen, und als Ciala etwas sagen wollte, drückte er ihre Hand. Sie kannte diese Geste und wusste, dass sie also besser abwarten sollte und ihm die Zeit zum Nachdenken lassen sollte. Dann sprach er weiter. „Das mit den Hörnern abstoßen hatte ich doch gesagt, bevor er den Bund geschlossen hatte. Ich wollte halt nicht, dass Gudekar den Fehler macht, dieses Waisenkind unbekannter Herkunft zu ehelichen. Aber nun, wo er tatsächlich vor der guten Mutter geschworen hat, ist das etwas anderes. Wenn er sich jetzt in fremden Betten vergnügt, ist das ein Frevel. Dann müssen wir Merle beschützen, damit sie nicht am Ende ein Opfer wird wie die Familie dieses Paktierers.“ Wieder machte er eine bedeutsame Pause. „Wenn sie nicht erst recht hier in Gefahr ist.“

“Das meinte ich doch. Vor diesem elendigen Bund, jetzt hat er kurzsichtig gewählt und beide sind unglücklich.” Abrupt blieb sie stehen. “Moment. Welcher Paktierer und warum bei uns?”

Kalman hielt an und drehte Ciala zu sich. Ernst schaute er ihr in die Augen. „Was ich dir jetzt erzähle bedarf absoluter Verschwiegenheit. Du darfst niemandem, hörst du, niemandem davon erzählen. Auch nicht Wiltrud oder sonst jemandem auf dem Gut. Nicht einmal Merle! Verstehst du?“

Seine Gattin fasste ihn an beiden Oberarmen und vor Entsetzen weiteten sich ihre Augen. „Bei allen Göttern, wovon redest du?“

„Du erinnerst dich doch an diesen Paktierer Jast-Brin von Pruch, der in Talwacht gewütet hat, seine eigene Familie abscheulichste Art ermordet und die Menschen vergiftet hat? Das stand damals im Greifenspiegel. Ganz üble Sache. Die geheime Mission, auf der Gudekar seit Efferd ist, hat wohl damit zu tun. Und jetzt ist zu befürchten, dass Gudekar auf einer Liste möglicher Opfer des Paktierers stehen könnte. Oder dass der sich an Gudekars Familie – an uns! – rächen könnte. Es gibt sogar Befürchtungen, er könnte unerkannt bereits in Lützeltal wirken. Wir müssen höllisch auf der Hut sein.“ Kalman schaute seine geliebte Frau besorgt an.

An die grausliche Geschichte des Pruchs konnte sie sich noch gut erinnern. Das war doch bei ihren Freundinnen und im Dorf lange ein morbides, furchterregendes Thema gewesen. Aber Gudekar? Der schusselige Schwager? „Das ist ja furchtbar.“ Erwiderte sie tonlos. Dann hielt sie Kalmans Hand fester und suchte seinen Blick. „Das war eine fürchterliche, unheilige Begebenheit. Unser Gudi soll damit etwas zu tun haben?“ Ciala war lauter geworden, ängstlich aber bedacht, nicht von fremden Ohren gehört zu werden. „Dass er in Albenhus bei einer Gruppe dabei ist, die etwas geheimes zu tun hat, wurde ja angedeutet. Aber mal ehrlich. Ich dachte dabei eher um politische Verwicklungen und dass sie ihn als Heiler bräuchten. Er bringt uns alle in Gefahr. Woher weißt du das?“

Der Lützeltaler schaute seine Frau noch einen Moment ernst an. Dann setzte er ein Lächeln auf und sprach beruhigende Worte, die ihre Wirkung jedoch aufgrund der viel zu langen Pause verfehlten. „Ach, wahrscheinlich ist gar nichts. Vermutlich hat Gudekar wieder maßlos übertrieben, um sich selbst wichtig zu machen. Du weißt doch dass Vater auf so etwas gerne bei ihm hereinfällt. Vielleicht hat sich der Madaverfluchte das ganze nur ausgedacht, um von seiner eigenen Traviafrevelei abzulenken.“

„Oder es ist genau andersherum.“ Überlegte seine Frau laut. Mika war ihr wie ein Kind. Der Schwager Gudekar war zu alt dafür, aber so trotzig und störrisch er manchmal handelte, erinnerte es Ciala sehr an ihre Söhne. Der Magier hatte bisher ein beschauliches und sicheres Leben hier geführt. Plötzlich wurde dies durch Ereignisse, die einen gestandenen Krieger an die Grenze der Belastbarkeit brachten, durcheinandergebracht. Niemand hätte behauptet, dass Ciala sich an Bildung und Intelligenz mit ihrem Schwager messen konnte, aber sie besaß ein gutes Gespür und war nicht dumm. Dass die Geschichte mit dem Paktierer stimmte, war klar. „Was tun wir jetzt? Ich werde wie geplant einen Eilbrief an deinen Bruder schreiben. Es sollte um Merle, sein Gewissen und seine Pflichten gehen. Jetzt werde ich ihn fragen, wie und wo wir am sichersten sind.“ Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Wut, Anspannung und Angst. „Er hat eine andere Geliebte, da bin ich mir mittlerweile sicher. Gudekar ist wie ein großes Kind in der Hinsicht. Sicher waren der Druck und die Verpflichtung zu schweigen zu viel für ihn. Trotzdem rechtfertigt das nicht den Frevel. Dafür wird er Buße tun müssen. Ich bin aber der Meinung, dass unabhängige Traviageweihte darüber entscheiden sollten, was er machen soll.—ach, so viel auf einmal. Lass uns gehen, ich muss den Brief heute noch einen Boten übergeben, der ihn zu einem Eilboten bringt.“

“Ich weiß nicht, ich habe den Burschen noch nie verstanden. Wer weiß schon, was so einen Magier umtreibt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ein Brief ihn zur Vernunft bringt. Aber wenn du meinst, tu das. Schaden kann es nicht. Vielleicht bewegt es ihn, einmal über sein Handeln nachzudenken und zu verstehen, dass es nicht immer nur um ihn geht.” Etwas enttäuscht schaute er Ciala an. Er wusste zwar, dass das Thema, über das sie sprachen zu ernst war, aber dennoch hatte er gehofft, Ciala und er könnten die Abgeschiedenheit an diesem wunderschönen Sommermorgen noch eine Weile für traute Zweisamkeit nützen, bevor die Pflicht wieder rief. “Schön, lass uns zurückgehen, Dann kann ich schauen wie weit sie mit dem Ausbessern des Scheunendachs sind und vielleicht noch etwas mithelfen.”



Folgender Briefwechsel

Brief von Ciala an Gudekar nach Merles Ankunft

An Gudekar von Weissenquell,

Gast an der Akademie der Herrschaft zu Elenvina


Lützeltal, 4. Rahja 1043 B.F.


Lieber Gudekar,

mein Schwager, es fällt mir wirklich schwer, diesem Brief eine angemessene Struktur zu geben, sind es doch zwei Dinge, die mir auf dem Herzen liegen.

Das mag wohl einfacher zu beantworten und dringlicher sein. Mir kamen Gerüchte zu Ohren, dass du irgendwie in die Suche und Vernichtung des gottlosen, unheiligen Paktierers verwickelt bist und wir nun als deine Familie ebenso in Gefahr sein könnten. Du darfst darüber nicht schreiben, ich weiß, aber du wirst uns sagen können, was wir zu unserem Schutz tun können. Merle und Liudbirg sind ebenfalls bei uns. An welchem Ort sind wir sicher?

Ich bin in Rage, da ich dein Verhalten Merle gegenüber verstehe und nicht verstehe. Du weißt genau, dass ich gegen den Bund war, den du dann unbedingt durchsetzen musstest. Als traviagläubige Frau zählt dieser Bund nun mal ein Leben lang. Du hast einmal gefrevelt und so dumm bin ich nicht, um zu ahnen, dass es da noch mindestens eine andere Frau gibt. Es ist jedoch herzlos, wie du deine Gattin und dein Kind behandelst. Du kennst meinen Bruder, ich weiß sehr wohl, dass man weise entscheiden muss, mit wem man bis an sein Lebensende verbunden sein will. Deine Reaktion damals, eine Gemeine zu ehelichen, war jugendlicher Trotz. Aber jahrelang war sie alles für dich und sie leidet sehr unter dieser Situation. Leider gibt es in Travias Gesetz nur eine Möglichkeit. Du wirst zu ihr zurückkehren, Buße vor der Göttin des Herdfeuers tun und mit der Zeit wieder in deine Familie finden. Die anderen Frauen, die dir jetzt den Kopf verdrehen, wirst du vergessen und als ein Strohfeuer einer schweren Zeit deines Lebens in Erinnerung behalten. Ich sende dir Merles Brief an dich mit.

Sei so gut und antworte rasch.


Deine Schwägerin Ciala

Antwort von Guderkar an Ciala

Die Antwort kam spät! Am 11. PRAios 1044 B.F. erreichte ein Botenreiter das Edlengut Lützeltal. Neben verschiedenen anderen Schriftstücken überbrachte er auch einen Brief von Gudekar an Ciala.


An Ciala von Weissenquell

Edlengut Lützeltal, Grafschaft Albenhus


Elenvina, 4. Praios 1044 B.F.


Liebe Ciala,

ich habe deinen Brief empfangen. Was soll ich davon halten? Hat mein Bruder dich angetrieben diesen Brief zu schreiben? Was denkt ihr euch eigentlich, euch in mein Leben einzumischen? Ich kann es euch doch eh nicht recht machen, damals nicht und, wie es scheint, heute immer noch nicht. Es hat euch noch nie interessiert, was ich möchte, wie ich fühle. Doch bin ich euch keine Rechenschaft schuldig. Ich muss mich euch gegenüber nicht erklären, warum ich mich Merle gegenüber verhalte, wie ich es tue. Ihr würdet dies eh nicht verstehen. Es ist beruhigend, dass Vater und die Familie wohlbehalten in Lützeltal angekommen sind. Ich gehe zumindest davon aus, da ich deinen Zeilen keine gegenteilige Nachricht entnehmen kann. Kümmert euch gut um Liudbirg Rotrude! Und natürlich um Merle. Ich hoffe, sie sind bei euch in Sicherheit.

Was bezüglich unseres aller Feindes zu tun ist, habe ich Vater erläutert. Misch dich da besser nicht ein. Spiel nicht mit dem Feuer, du könntest dir die Finger verbrennen. Aber wenn es dich beruhigt: Vermutlich sind die Vorsichtsmaßnahmen nicht notwendig, vermutlich sind die Gerüchte um den Weg, den Pruch eingeschlagen ist, nur ein Strohfeuer und ihr seid im Lützeltal sicher. Doch bleibt wachsam, tut, was ich Vater aufgetragen habe. Ich habe inzwischen mit Emmeran Plötzbogen gesprochen und er wird vorerst zwei seiner Leute für den Schutz des Lützeltals abstellen. Sie sollten bald bei euch eintreffen. Ich hoffe, dass euch bei angebrachter Vorsicht im Lützeltal nichts passieren kann. Wichtig ist, dass ihr zusammenhaltet, dass ihr kein gegenseitiges Misstrauen zwischen euch kommen lasst. Seid anderen, auch Leuten aus dem Dorf gegenüber, misstrauisch, aber nicht feindselig. Lasst den Traviafrevler nicht gewinnen, lasst sein Gift nicht wirken, selbst wenn er nicht vorort ist!


Ich werde Merle schreiben. An sie persönlich. Lies den Brief nicht!


Ich werde in den nächsten Tagen abreisen, Elenvina verlassen. Gwenn wird wie geplant zu Ihrem Verlobten nach Rosenhain reisen.


Achtet gut auf die Schutzlosen!


Gudekar

~*~

„Das ist unfassbar! Was schreibt diese Missgeburt da nur? Weiß er eigentlich, wie absurd das ist? Von der ersten bis zur letzten Zeile eine Aneinanderreihung von Unverschämtheiten ist das!“ Kalman war wütend und lief auf und ab, nachdem Ciala ihm den Brief vorgelesen hatte. „Als ob ich Dich aufwiegeln würde, ihm zu schreiben! Warum sollte ich ihm dann nicht selbst schreiben? Und dann macht er einerseits solch eine Panik, heuert sogar ein paar teure Wachhunde an, die wir am Ende zahlen müssen, nicht er, sagt aber, wir sollen keine Sorge haben, da ist bestimmt nichts.“

„Er benimmt sich wie ein Kind. Am besten wäre er hier geblieben und nie auf diese vermaledeite Mission gegangen. Ich werde ihm noch einmal schreiben. Aber erst muss ich etwas in mich gehen. Es soll nicht im Zorn geschehen.“ Wütend, mit rotem Gesicht und geballten Fäusten verließ Ciala den Raum.

“Ja, schreibe du ihm, meine Blume”, rief er seiner Frau hinterher. “Wenn ich es tue, wird es gewiss nicht besser. Ich werde nach Albenhus reiten und mit ihm sprechen, wenn er mit Gwenn aus Rosenhain zurückkehrt.”

Cialas Antwort an Gudekar nach dem kurzen Gespräch mit Kalman

An Gudekar von Weissenquell,

Gast an der Akademie der Herrschaft zu Elenvina


Lützeltal, 11. Praios 1044 B.F.


Lieber Gudekar,


Deine Antwort ist absurd. Du wolltest damals mit der Liebe deines Lebens den Bund schließen, wir waren nicht einverstanden, doch haben wir dir deinen Willen gelassen. All die Jahre hast du nie etwas verlauten lassen, dass du mit der Situation unzufrieden wärst. Es ist eine bodenlose Frechheit mir, die ich für mich im Übrigen selbst spreche, das vorzuwerfen, was du da schreibst. Jetzt bist du Merle leid. Du hast eine andere oder mehrere andere Frauen getroffen und meinst, in ihnen das zu sehen, was Merle damals war. Du hast einen heiligen Bund geschlossen, gekämpft hast du dafür. Bei Travia, das kann man nicht ändern. Wir sind in Sicherheit und es geht uns gut. Aber bedenke, was es für ein Zufall es ist, dass du in den Kampf mit einem Paktierer Travias unheiligen Gegenparts verwickelt bist und der Göttin der Familie bewusst weiter frevelst. Ich werde keine andere Frau in der Familie dulden, ich bin sicher, dass Kalman es ebenso sieht. Dein Schicksal hast du freiwillig und bewusst gewählt. Sie ist gläubig, sie hat dein Fleisch und Blut geboren und du bist der Mann, mit dem sie den Bund geschlossen hat. Möge Tsalinde ein Vergehen unter besonderen Umständen sein, mit wem du auch immer jetzt frevelst, macht sich vor Travia schuldig. Du warst hoffentlich Manns genug, über deine Ehe und dein Kind zu sprechen. Wie herzlos bist du nur geworden. Briefe sind zu wenig. Kehre zu deiner Familie zurück, wir werden darüber sprechen.

Möge Travia dich noch nicht aufgeben und die Götter, außer Rahja, dich auf den rechten Pfad führen.

Beantworte mir diese zwei Fragen: Was willst du? Den Bund mit Merle brechen und mit anderen oder einer anderen Frau gottlos zusammenleben? Oder versuchst du, etwas nachzuholen?

Wie stellst du dir deine private Zukunft vor?

Ciala


Bereits als Ciala den Brief schrieb, war Gudekar zu seiner Reise aufgebrochen. Der Brief, der am 18. PRA 1044 B.F. die Magierakademie in Elenvina erreicht, wird dort zu treuen Händen an Morgan von Weissenquell, Scholar an der Akademie, Sohn der Absenderin und Neffe des vorgesehenen Empfängers, übergeben.

Gudekars Brief an Merle

Zwei Tage nachdem der Brief von Gudekar an Ciala in Lützeltal eintraf, wurde ein weiterer Brief von einem der Knechte aus Albenhus mitgebracht. Dieser war an Merle gerichtet. Im Beisein von Ciala und Kalman wurde Merle der Brief übergeben.

„Hm, Schatz, lies mal. So schlecht klingt das doch gar nicht.“ Ciala hatte Schlimmstes befürchtet. Ja, der Brief war nicht allzu herzlich, aber er klang sehr traviagefällig. „Schau, da ist nix mehr, er muss wohl wieder was in dieser unheiligsten Mission unternehmen und dann wird er sich mit Merle aussprechen. Oder wie siehst du das?“


An Merle Dreifelder von Weissenquell

Edlengut Lützeltal, Grafschaft Albenhus


Elenvina, 6. Praios 1044 B.F.

Meine Merle,


es freut mich, dass du mit Liudbirg Rotrude wohlbehalten in Lützeltal angekommen bist. Ich hoffe, mein Bruder und Ciala haben dich tatsächlich redlich willkommen geheißen und behandeln dich gut.

Mach dir um mich keine Sorgen. Ich versichere dir, an der Dame von Kalterbaum ist mir nichts gelegen und ich bereue zutiefst den Fehler, zu dem ich damals in jener Nacht in Herzogenfurt getrieben wurde. Diese Begegnung wird sich mit Sicherheit nicht wiederholen. Wir werden reden, von Mann zu Frau. Doch zuerst habe ich noch wichtige Angelegenheiten zu klären. Es hat sich etwas ergeben, das meine ursprünglichen Pläne durchkreuzt hat. Ich werde nicht mit Gwenn nach Rosenhain reisen, ich muss an einen anderen Ort. Ich bitte dich, weder Vater Friedewald, noch Kalman, noch sonst irgendjemandem in Lützeltal davon zu berichten. Kann ich dir vertrauen? Ich werde spätestens zum Flussfest im Efferd zurück in Albenhus sein und freue mich darauf, Liudbirg Rotrude dann wieder in meinen Armen halten zu können und ihr liebliches Lächeln zu betrachten. Ich bete dafür, dass wir dann die Zeit finden, miteinander zu reden. Bleibe tapfer und kümmere dich gut um meine geliebte Tochter!


Dein Gudekar.