Saatgut der besonderen Art


Ort: Baronie Ambelmund, Burg Fadersberg

Zeit: Nacht vom 13. zum 14. Travia 1047 BF, am Rande der Jagd zu Ehren des Geburtstages des Herzogs

Inhalt: Merle von Weissenquell sucht das Gespräch mit dem angetrunkenen Baron Wunnemar Thankmar von Galebfurten.

Eine Briefspielgeschichte von PiNa und RekkiThorkarson.

Saatgut der besonderen Art

Die Luft im Rittersaal auf Burg Fadersberg zu Ambelmund war geschwängert von stickigen, durch den knisternden Kamin und nicht wenigen Pfeifen und Zigarillos ausgestoßenen Schwaden. Daran konnten auch die diversen geöffneten Fenster nichts ändern. Es roch aber auch nach alkoholischem Gebräu, darunter nicht nur Bier, sondern auch Likör und allerlei anderem Brand. Und nicht zu vergessen roch es auch nach dem erlesenen Wein des Solfurter Weinkontors, von dem der Herzog persönlich durchaus angetan war, ebenso wie der Andergaster König. Leise Musik begleitete das Gewirr von Gesprächen, die mehr oder minder laut geführt wurden. Die Stimmung war gut, auch wenn die Jagd zu Ehren des Geburtstags des Herzogs ein Todesopfer gefordert hatte. Die Wirren um das Verschwinden des Landesvaters gemeinsam mit dem König von Andergast, die Goblinsippe, der Tierkönig der Vielfraße und das dunkle Wirken des Elfenvampirs, dessen Handwerk man gelegt hatte, waren in aller Munde.
Der offizielle Teil des Abends war inzwischen beendet, die Gäste von nah und fern hatten Hagrobald vom Großen Fluss ihre Geschenke überreicht, darunter ganz zum Schluss auch der Knappe Quendan von Hornisberg, stellvertretend für seinen Schwertvater, den Baron von Tälerort Wunnemar von Galebfurten. Der Rabenmärker saß kurz darauf mit dem schlaksigen Quendan nah am Feuer beieinander. Beide steckten die Köpfe zusammen, tranken sie Met und man sah dem Knappen an, dass es ihm langsam zu Kopf stieß. Wunnemar aber schien fast beseelt und wen sollte es wundern, sein Geschenk, eine fein geschnitzte Truhe mit einer Pfeife aus Porzellan darin, die mit dem Bild einer Jagdszene geschmückt war, war sehr gut angekommen beim Herzog. Ja sogar so gut, dass dieser ihn zu sich gebeten und ihn auf die Eilenwïd über den Wassern eingeladen hatte, um mit ihm gemeinsam zu schmauchen. Für einige Zeit beobachtete Merle von Weissenquell die Szene von weitem. Sie freute sich, den Baron von Tälerort und seinen Knappen so entspannt und zufrieden zu sehen. Kurz zögerte sie, dann gab sie sich einen inneren Ruck und trat mit ihrem Weinkelch in der Hand zu Wunnemar ans Feuer. Die Anconiterin trug ein einfaches, aber hübsches grünes Gewand mit langen, weiten Ärmeln und perainegefälligen Stickereien an den Säumen, dazu ihr auffälliges Muschelamulett um den Hals. Das knapp schulterlange, dunkelblonde Haar war teilweise geflochten und hochgesteckt.
“Euer Hochgeboren, junger Herr”, sprach sie die beiden mit leiser, doch fester Stimme an, knickste vor dem Baron und neigte das Haupt vor Quendan. Vielleicht war es der Wein, den sie zuvor getrunken hatte, doch Merle hatte tatsächlich den Eindruck, dass sie dabei war, sich zu verändern, dass sie insgesamt selbstsicherer und mutiger wurde. Hatte sie nicht eben sogar vor dem Herzog gestanden, um mit ihren neuen Freunden Marborad und Isavena das Geschenk des Landgrafenhauses zu überbringen? Gut, das Wort hatte als Ranghöchste die Junkerin von Knechtstett geführt; dennoch empfand Merle einen gewissen Stolz, dass sie, ein einfaches Waisenmädchen aus Albenhus, diese Audienz würdevoll und mit der gebotenen Etikette bewältigt hatte. In der hiervon in ihr nachklingenden Euphorie näherte sie sich jetzt Baron Wunnemar und seinem Knappen mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen. “Hochgeboren, dürfte ich mich kurz zu Euch gesellen?”
Der Baron schmunzelte und dabei erkannte Merle auch seiner Miene an, dass er dem Met im großzügigen Maßstab zugesprochen hatte.
“Ich bitte darum”, sprach Wunnemar mit dennoch fester Stimme und wies dabei auf einen noch freien, bequem anmutenden Lehnstühle, der seinem Gegenüber stand. “Bitte teilt diesen Moment mit uns. Heute ist ein guter Tag, auch wenn ein tapferer Mann seinen Tod fand. Möge er in das Paradies einziehen, das er zu Lebzeiten angestrebt hat”, sprach der Baron etwas lauter, so dass auch andere es vernehmen konnte und erhob seinen Krug, bevor er einen Schluck trank. Quendan tat es ihm nach, stieß aber hörbar die Luft aus, nachdem er abgesetzt hatte. Ob der Knappe den Weg zu seinem Bett noch alleine würde bestreiten können?
Merle indes erkannte unter Wunnemars weitem, hellen Leinenhemd, dass inzwischen nicht mehr in der dunklen Hose steckte frische Verbände über der Brust. Auch sein rechter Unterarm schien bandagiert.
“Schon morgen werden wir Ambelmund verlassen”, begann der Baron von Neuem an zu sprechen. “Heute aber wollen wir das Leben genießen, dessen Endlichkeit uns einmal mehr auf so dramatische Art und Weise vor Augen geführt wurde.”
Dankbar nahm Merle in dem ihr gewiesenen Lehnstuhl Platz und hob auf Wunnemars Trinkspruch hin ihren Weinkelch. “Ja, möge diesem mutigen Mann sein Opfer im Jenseits tausendfach vergolten sein”, sagte sie mit leiser, mitfühlender Stimme und nahm einen Schluck Wein. Über den Rand des Kelches hinweg musterte sie erst den trunkenen Knappen, dann den jungen Baron und hob besorgt die Brauen. “Oh, Ihr seid verletzt, Euer Hochgeboren? Was ist Euch zugestoßen, wenn ich fragen darf?”
Der Baron lachte auf, konnte dabei aber nicht ganz verhehlen, dass dies mit Schmerzen an seinem Torso verbunden war.
“Ich habe mich mit zwei anderen Narren davon überzeugen lassen, einen ausgewachsenen Höhlenbären nur mit einem Dolch zu erlegen”, erklärte Wunnemar. “Das Biest lieferte uns einen wahrlich würdigen Kampf und vergoss das Blut von uns, wie wir das seine. Möge es Firun zum Wohlgefallen gewesen sein.”
“Oh, Ihr wart das mit dem Höhlenbären, Hochgeboren?!” entfuhr es Merle mit staunender Bewunderung. “Ich hatte mitbekommen, wie beeindruckt die Goblins von dieser mutigen Tat waren - und wie dankbar für die Gabe der Jagdbeute.” Sie reckte leicht den Kopf, um einen diskreten Blick auf die Verbände an seiner Brust zu werfen. “Sagt Bescheid, wenn ich mir Eure Verletzungen anschauen soll oder Ihr etwas gegen die Schmerzen benötigt.” Sie zwinkerte dem Baron gutmütig zu. “Etwas anderes als Met.”
“Ich werde in die Höhle des Bären zurückkehren, um dem Alten vom Berg zu opfern und um ein Versprechen zu geben”, erklärte der Baron und die Festigkeit seiner Stimme sprach für sich, es war ihm ernst. “Firun ist auch der Meister der Disziplin. Ich werde die Schmerzen aushalten und die Wunden mit Stolz tragen. Aber ich danke euch für das Angebot." Er lächelte.
“Und nun sagt schon, ihr habt doch etwas auf dem Herzen?”
Auch Merle lächelte den Baron bewundernd an. Sie hatte keine Zweifel, dass er die Schmerzen tapfer ertragen und dem Herrn Firun auch weiter Ehre machen würde. Doch wich ihr Lächeln schnell einer sehr viel ernsteren Miene. “Ja, Euer Hochgeboren. Ich habe etwas auf dem Herzen. Ähm, eigentlich sind es zwei Dinge”, sie zögerte und biss sich auf die Unterlippe, “eine Angelegenheit, die Euch eher erfreuen dürfte. Und eine… eher weniger.” Unsicher, fast schüchtern, senkte sie die Lieder, dann zwang sie sich jedoch sichtlich, Wunnemar in die Augen zu sehen und leicht zu lächeln. “Welche mögt Ihr zuerst hören?”
“Die ‘weniger’ erbauliche”, kam die Antwort des Barons ohne großes Überlegen.
“Hochgeboren, Ihr wisst mehr über die Problematik meines Traviabundes, als mir - und Euch vermutlich auch - lieb wäre…”, Merle verzog verlegen das Gesicht, atmete tief durch und schüttelte den Kopf. “Nein. Bitte verzeiht, aber lasst mich anders beginnen... Isavena von Leuenstolz, die Junkerin von Knechtstett, hat mich zur Nachfeier ihres dreißigsten Tsatags eingeladen. Das Fest soll am ersten Tag des Firunmondes auf ihrem Gut Stolzenfels in Herzöglich Fuchsgau stattfinden und ich würde die Einladung sehr gerne annehmen. Doch mache ich mir Gedanken, wie ich von Tälerort rechtzeitig wieder zurück in die Nordmarken komme, bevor die Wege im Winter unpassierbar werden.” Forschend hob sie den Blick und schaute, wie der Baron reagierte.
“Wenn Ihr wirklich nach Fuchsgau wollt”, entgegnete Wunnemar mit neutraler Stimme. “Dann solltet ihr bereits spätestens Mitte Hesinde im Elenviner Land sein. In der Ebene meine ich. Das Hochplateau des Isenhag ist wahrscheinlich schon im Firun unpassierbar, oder nur mit großem Aufwand und sehr langsam. Vom Eisenwald will ich gar nicht reden. Ihr solltet den Winter dann zu Eurer eigenen Sicherheit im Herzogtum verbringen”, sprach der Baron und die Sorge, die in seinen Worten mitschwang, klang aufrichtig.
“Das hatte ich befürchtet. Und ähnlichen Rat habe ich tatsächlich auch schon von anderen bekommen.” Merle seufzte nachdenklich. “Natürlich wären meine Eltern überglücklich, würde ich ein paar Monde bei ihnen in Albenhus weilen. Sie sind die Tempeleltern des dortigen Traviatempels; im Herbst ist immer besonders viel zu tun… ich könnte ihnen zur Hand gehen und natürlich auch wieder meinen Dienst im Kloster verrichten.” Bei dem Gedanken an den Ort und die Menschen, die für sie immer noch Heimat waren, musste Merle zart lächeln, dann jedoch umwölkten wieder Sorge und Reue ihre Stirn. “Doch das würde heißen, entweder nur ganz kurz nach Tälerort zurückzukehren oder bis zum Frühjahr erst einmal gar nicht. Es würde heißen, meine Familie im Stich zu lassen - und Eure Sache.” Die junge Anconiterin blickte den Baron zerknirscht an. “Und das fällt mir sehr schwer.” Der Baron lächelte. “Diese Bedenken ehren euch und zeigen mir eure hehren Absichten. Doch solltet ihre eure Bande nicht vernachlässigen. Kommt im Frühjahr, wenn die Schneeschmelze vorbei ist, zurück nach Tälerort, dann wird wieder viel zu tun sein, so dass wir eure kundigen Hände bedürfen.” Merle neigte dankbar den Kopf. "Überaus gerne werde ich im Frühjahr zurückkehren! Ich danke Euch sehr für Euer Verständnis.” Kurz schwieg sie, nippte an ihrem Wein und starrte nachdenklich ins Feuer. “Mit Gudekar, Meta, meiner Familie muss ich das alles noch im Detail klären… doch will ich Euch damit jetzt nicht belasten. Das andere Anliegen dürfte Euch vielleicht mehr interessieren…” Die Anconiterin suchte den Blickkontakt des Barons; in ihren Augen glitzerte so etwas wie schalkhafte Neugierde. “Sagt, Hochgeboren, seid Ihr schon einmal einem Schrat begegnet?” Die Augen des Barons verengten sich einen kleinen Moment. Versuchte er in Merles Miene zu lesen, worauf diese Frage abzielte oder was der Grund für sie sein konnte?
“Nein”, sprach er dann mit sachtem Kopfschütteln. “Wofür ist dies von Bedeutung?”
"Nun, es gibt Schrate in den hiesigen Wäldern", berichtete Merle mit leiser Stimme. "Wie Euch ja bekannt ist, war ich mit einigen anderen im Auftrag des Landgrafenhauses hier in der Baronie unterwegs. Und im Schwarztann sind wir tatsächlich auf Waldschrate getroffen. Es war... faszinierend", die Augen der jungen Frau leuchteten vor Erstaunen und Ehrfurcht, als sie sich zurückerinnerte, "wisst Ihr, diese bis zu vier Schritt großen Wesen sind im ersten Moment ziemlich unheimlich, doch strahlen sie auch eine unglaubliche Würde, Weisheit und tiefe Verbundenheit mit dem Land aus... Die Begegnung hat mich sehr beeindruckt. Und später, als wir uns von Ulfaran verabschiedeten, einem Diener der Erdmutter, übergab er mir mit bedeutungsvollem Blick eine Handvoll Baumsamen. Er hat es nicht laut ausgesprochen, doch glaube ich", nun lächelte sie wieder leicht schief und hintergründig, "dass aus eben diesen Samen junge Schrate wachsen könnten."
Zunächst zeigten die Züge des Barons Unverständnis. Angestrengt schien er Sinn in den vernommenen Worten zu ergründen, dann hellte sich seine Miene auf und er fragte: “Ihr meint keine Trolle, also Steinschrate, ihr meint Baumschrate, richtig?”
Merle nickte mit strahlenden Augen. “Ja, genau, Baumschrate! Wir haben Tannenschrate getroffen, Ulmenschrate… und einen besonders netten Eichenschrat! Sie sind in ihrer Art schon sehr besonders, aber sie sind eben mit dem Land hier verbunden, verwurzelt, könnte man sagen. Sie passen auf den Wald auf, behüten ihn vor Schaden und Frevelei… Und na ja, deshalb hatte ich überlegt…”, die junge Anconiterin biss sich auf die Unterlippe, unsicher, ob sie ihre Idee, die der Baron vielleicht völlig absurd finden mochte, bereits aussprechen sollte.
Wunnemars Augen weiteten sich. “Sie in Tälerort einzuplanzen!?”, setzte der Baron den Satz fort und es war nicht klar, ob es eine Frage oder eine Aussage war.
“Ja! Ihr sprecht doch immer darüber, wie wichtig es ist, das geschundene Land wieder zu heilen, es mit neuem Leben und Wachstum zu erfüllen. Und ich weiß nicht... irgendwie hab ich das Gefühl, dass junge Baumschrate uns hierbei helfen könnten.” Die junge Frau suchte den Blick des Barons und schenkte ihm ein begeistertes Lächeln. “Ich habe insgesamt siebzehn Samen; es scheinen unterschiedliche Sorten zu sein. Aber natürlich weiß ich nicht, ob aus allen auch Schrate entstehen.”
“Bringt die Samen mit nach Trutzenhain”, sprach Wunnemar und ein hoffnungsvolles Vibrieren lag in seiner Stimme. “Lasst uns gemeinsam mit den Hütern der Wälder entscheiden, ob und wo wir sie ausbringen. Ich bin dafür, es zu versuchen. Danke, dass Ihr an meine Heimat denkt.”
“Natürlich. Es kann ja gut sein, dass Tälerort bald auch für mich dauerhafte Heimat wird.” Neugierig legte die junge Anconiterin das Haupt schräg. “Wer sind denn die Hüter der Wälder?” fragte sie interessiert nach. “Firungeweihte?”
“Auch die”, antwortete Wunnemar vielsagend, wobei sich wieder ein breites, bierseeliges Grinsen zeigte.
“Ihr werdet sie kennenlernen”, fügte er dann deutlich ernster an und bat: “lasst es hier darauf beruhen. Und was Tälerort angeht, so wäre es ein großer Gewinn, wenn ihr es in Zukunft Heimat nennen würde. Darauf trinke ich”, sprach und hob seinen Pokal.
Mit leicht erröteten Wangen strahlte Merle den Baron an und hob ebenfalls ihren Weinkelch, um Wunnemar und auch Quendan zuzuprosten. “Habt vielmals Dank! Für alles!”
“Ich bin derjenige, der dankbar ist!”, sprach der Baron mit Wärme in der Stimme und eben jener Dankbarkeit, die ihm ins Gesicht geschrieben war.

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