Celissa - Kapitel 2: Unterschied zwischen den Versionen

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Das Gewitter hatte sich zu einem Dauerregen gewandelt und erfüllte die Burg mit kühler Luft. Der Geruch von Regenwasser gemischt mit frischen Grün erfüllte den Ort. Den Blick aus einem Fenster offenbarte den Herausschauenden ein schönes Spektakel. Die Wolkendecke brach sich immer wieder und so tanzten einzelne Lichtflecken über die Weiden Ambelmunds. Das frische und junge Grün der Landschaft, gepaart mit einzelnen bunten Blütenprachten gaben dem ganzen etwas romantisches. Doch das konstante Trommeln der Regentropfen und die Schmerzensschreie Celissas störten den Frieden. <br>
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Elva betrachtete besorgt die junge Frau, die seit Stunden in ihren Wehen lag. Noch immer hatte Celissa kein Geburtswasser gelassen und normalerweise würde sie weiterhin Geduld ansetzten. Solch eine Geburt kann viele Sunde, ja sogar Tage dauern. Doch der Geweihten bereitete es Sorge, dass sie jetzt schon sehr erschöpft wirkte. Diese lag auf der Bettstatt und hielt die Hand der Zofe Eludwina von Weidenthal. Es wunderte Elva ein wenig, dass die Baronin ausgerechnet diese hier gelassen hatte, wo sie doch selbst in Erwartung war. Sie wischte diesen Nebengedanke zur Seite und ging zu ihrer großen Tasche.  Diese war gefüllt mit allerlei Utensilien die zu einer Geburt benötigt waren. Die Geweihte griff nach einem Tiegelchen , die mit einer Salbe gefüllt war. Diese war nur nötig, um eine Geburt zu Beschleunigen. Dann ging sie zu Celissa hinüber und setzte sich an den Bettrand. “So mein kleines Vögelchen, ich werde jetzt mal schauen, wie die kleinen sich so machen und vielleicht können wir ihnen ja helfen, sich bereit zu machen uns alle zu begrüßen.”, sprach sie beruhigend auf die junge Edle ein. Mit geschickten Fingern tastete sie das Innere ab.´Hmmm. Noch war die Geburtshülle fest´ , stellte Elva fest. Dann griff sie wieder zur Salbe und bestrich diese. “Nun gut, Celissa. Beten wir zu Travia, das ihr nicht mehr lange warten müsst. Und du, Eludwina, sag mir bescheid wenn sich etwas tut, wenn das Geburtswasser kommt.” Selbst schon ein wenig ermüdet ging die Tempelmutter wieder runter zu den anderen Gästen.<br>
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In der Zwischenzeit wurden den Gästen Speisen aufgetragen, doch zogen sich die Leute in unterschiedlichen Räumen zurück . Der eine Teil blieb im Rittersaal, während die anderen in den daneben liegenden Speisesaal speisten. Nur eine halboffene Tür trennte die beiden Gruppen.<br>
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=== Im Rittersaal ===
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(Leuenhard, Heridan, Frenya, Selinde)<br>
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Einige Teller und Kelche standen auf der Tafel im Rittersaal und die Überreste von Brot, Käse und Wurst. Als Elva die Treppe hinunter kam entdeckte sie nur die Hälfte der Gäste im Rittersaal. Die Stimme aus dem Nebenzimmer verrieten, wo der Rest zu finden war.<br>
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Mit wachsender Ungeduld hatte sich auch die Hofdame Frenya im Rittersaal eingefunden. So nahe wie möglich bei der Kindesmutter und dem Kindesvater. Mit Genugtuung bemerkte sie, dass weder Ansgar noch Senola hier waren. Die Situation war also unter Kontrolle - vorerst, denn einfach geschlagen geben würden sich diese verblendeten Toren wohl nicht.<br>
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Lustlos sah der Edle von Tannenfels auf die Speisen vor sich. Appetit empfand er keinen, auch wenn sich in seinem Magen durchaus Leere breit machte. Leichter Hunger schärft die Sinne! Auch mit dem Wein hielt er sich zurück und nippte nur gelegentlich kurz daran. Die Geräuschkulisse während des Mahls bestand zunächst nur aus dem an die Fenster prasselndem Regen, dem Klirren der Messer auf den Platten und mehr oder weniger lauten Kau-, Schmatz- und Schluckgeräuschen, die nur gelegentlich von den gedämpften Schmerzlauten aus Richtung des Geburtszimmers unterbrochen wurden, und verstärkte die Beklemmung in Leuenhard. Auf jedem Begräbnis ging es ausgelassener zu. Wenigstens hatte er von hier den Zutritt zur Kammer seiner Gemahlin im Blick. Und die einzige Verbündete, die wirklich wusste, was hier gespielt wurde, und daran glaubte, an seiner Seite.<br>
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Wahrscheinlich würde sich nie mehr eine bessere Gelegenheit ergeben, Heridan und Selinde auf den Zahn zu fühlen als jetzt, da sie dem direkten Blick des Lehnsherrn und der Schwester entzogen waren. In einer Bewegung, die für einen Trinkspruch viel zu fahrig wirkte, hob Leuenhard seinen Kelch und brach trotz der verhaltenen Lautstärke, in der er sprach, die lauernde, peinliche Stille am Tisch. "Auf die Wahrheit in der Prophezeiung! Mögen die guten Götter uns die Weisheit schenken, diese zu erkennen, und den Mut und die Stärke, danach zu handeln!" Auch seine Stimmlage erinnerte mehr an eine Bestattung denn an eine bevorstehende Geburt. Langsam nahm er einen kleinen Schluck, bei dem er über seinen Kelch hinweg den Hofritter und die frühere Knappin seines Herrn beobachtete.<br>
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Heridan war der Appetit für den Moment vergangen. Gelegentlich nippte der Ritter an dem Wein, aber auch das geschah eher mechanisch als aus dem Verlangen nach einem Getränk. Nur mit Widerwillen hatte er beim Trinkspruch des Edlen den Becher erhoben, war es doch eben diese Prophezeiung die ihm die Laune verhagelte. Aber ein “Mögen die Zwölfe mit uns sein!” konnte er sich nicht verkneifen.<br>
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Das Zögern Heridans war Leuenhard nicht entgangen, und sein Einstimmen, in dem zugleich Einspruch gegen den alten Glauben mitschwang, sprach Bände. Auch wenn er die dann sicherlich ablehnende Haltung des Ritters der großen Mutter gegenüber bedauerte, mochte diese hier und heute hilfreich sein, das Schreckliche zu verhindern und das Leben seines Erstgeborenen zu retten. Doch war diese Gesinnung Heridans auch stark genug, sich, wenn es hart auf hart kam, gegen Ansgar zu stellen? Leuenhard hoffte imständig, dass es dazu nicht kommen musste. Er setzte weniger auf den Schwertarm des getreuen Quackenbrückers als vielmehr auf dessen Zunge, den Baron von Senolas Willen abzubringen. Ein zögerliches und unscheinbares Nicken, begleitet von einem schwachen Zucken seines rechten Mundwinkels, das der Anflug eines nachdenklichen Lächelns sein mochte, war für Heridan zunächst die einzig wahrnehmbare Reaktion des Edlen, der nun besonders Selinde taxierte.<br>
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Auch Selinde hatte ein mulmiges Gefühl, doch hatte ihr Ansgar eines beigebracht: ohne Mampf, kein Kampf! Deshalb war sie froh über die Abwechslung und das gute Essen. “Auf die innewohnende Wahrheit!”, stieß sie mit den Anderen an, biss sich dann aber auf die Unterlippe, als sie Heridan anblickte. War es denn nicht Praios`Wille, dass die Wahrheit immer offen zu Tage trat und war sie nicht heimlich verliebt, konnte sie wirklich so etwas sagen? Fragen über Fragen quälten ihr junges Herz.<br>
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Die Hofdame vom Traurigen Stein stand derweil lässig an ein Fenstersims gelehnt. Da ihr Kinn auf auf ihrer Brust lag, wirkte es so, als würde sie schlafen. Dem war jedoch nicht so, wiewohl sie ihre Augen geschlossen hielt. In ihren Gedanken kreisten Bilder umher. Bilder, die ihr Rotlöckchen sandte. Sie sah die junge Edle auf einer Schlafstatt, daneben eine unbekannte junge Frau, die ihre Hand hielt. Eben jene Frau war ein Unsicherheitsfaktor, von dem sie bisher noch nichts wusste. Ihr Vertrauter würde sie im Auge behalten müssen. <br>
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Immer noch fahrig und daher ein wenig zu fest und laut setzte Leuenhard seinen Kelch auf die massive Tischplatte, so dass ein erklecklicher Teil der Pfütze, die ohnehin nur darin war, über den Rand schwappte. "Die Crux mit den innewohnenden Wahrheiten ist," merkte er, auf die ausschwingenden Wogen in seinem Trinkgefäß starrend, mit verhaltener Stimme an, "dass sie sich zuweilen nicht oder nur scheinbar auf den ersten Blick entblößen. Und oftmals jeder eine andere sieht." Sein Blick richtete sich wieder abwartend auf Heridan und vor allem Selinde.<br>
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Selinde fühlte sich ertappt. Konnte der Tannenfelser Gedanken lesen? “Wie...wie meint Ihr das?”, fragte sie etwas schüchtern. Bei der nächsten Frage fing sie sich wieder und stellte diese ein wenig selbstsicherer:”Von welcher Wahrheit sprecht Ihr denn genau?”<br>
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Der Ritter schwieg, da ihm Selinde mit ihrer Frage zuvorkam und verfolgte stattdessen jede Bewegung des Edlen mit seinen Augen. <br>
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Der Edle von Tannenfels ließ sich einen Moment Zeit mit seiner Antwort. Dann begann er bedächtig und mit leiser Stimme:<br>
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"Seht die Prophezeiung, wegen der wir alle hier sind... Eure Schwester, als weise Frau dazu berufen, hat diese gedeutet…” Bei jedem seiner Worte behielt er Selinde genau im Visier.<br>
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“Auch Mutter Elva als Priesterin der gütigen Travia erkennt Wahrheit in der alten Weissagung…” Wieder setzte er eine Pause.<br>
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“Aber die 'ach so offensichtlichen' Wahrheiten beider haben nichts, wirklich nichts miteinander gemein."<br>
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Leuenhard ließ die Aussage kurz nachhallen. Dann blickte er Selinde in die Augen.<br>
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"Vielleicht teilt Ihr die Sicht Eurer Schwester, wie seine Hochgeboren. Sprechen wir es aus: Nach dieser muss mein Erstgeborenes noch am Tag seiner Geburt sterben... Vielleicht seid Ihr aber auch einer Deutung ähnlich der Mutter Elvas zugeneigt. Danach soll dasselbe Kind leben und der Kirche der Travia anvertraut werden... Oder habt Ihr eine ganz eigene Interpretation?... Wer irrt? Und welche davon ist die wahrhafte, die göttliche Wahrheit?... Die meines Lehnsherrn? Weil ihm von Standes wegen die Wahrheit in diesen Landen zukommt?... Oder doch die der Priesterin, weil es um eine göttliche Weissagung geht? Und wenn ja, welcher der beiden Priesterinnen?... Oder täuschen sich am Ende alle, und es ist etwas ganz anderes gemeint? Welcher Wahrheit sollen wir folgen? Daran hängt Leben und Tod meines Kindes. Und vielleicht das Schicksal dieser Lande." <br>
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Die Ritterin schluckte. Dann sah sie sich um, nicht nur nach menschlichen Ohren und Augen, sondern auch nach Schnurrhaaren und Samtpfoten, bevor sie flüsternd antwortete:”Ich verstehe mich nicht aufs prophezeien, aber ich kann nicht glauben, dass der Götter Wille nach Blut verlangt.” Etwas lauter sagte sie dann:”Wahrlich, in Eurer Haut möchte ich nicht stecken. Das erste Kind und gleich mit so viel Sorge und Schmerz verbunden.” Mitfühlend legte sie ihre Hand auf seine.<br>
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"Dem Kind …", betonte Frenya dann als sie ihren Kopf hob und sich aus ihrer lehnenden Position aufrichtete, "... wird nichts passieren. Die Auslegung, dass die große Mutter nach dem Blut von Unschuldigen verlangt, ist falsch … beinahe stümperhaft würde ich meinen." Die Hofdame bewegte sich ein paar Schritte auf die anderen zu. Ihre Augen wirkten nun noch dunkler als zuvor. "Jeder, der dem Kind zu nahe tritt muss erst an mir vorbei." Worte der Drohung, die aus dem Mund der schmalen Frau dennoch bedrohlich wirkten.<br>
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Nachdem sie diese Drohung ausgesprochen hatte, schien ein Teil seiner Anspannung vom Quakenbrücker abzufallen. “Dann ist es ja gut, dass niemand in diesem Raum den Kindern Schaden zufügen will.” erklärte er frei heraus. “Allerdings werde ich es nicht erlauben, dass jemand die Hand gegen meinen Baron erhebt.” Dabei sah er in Frenyas und Leuenhards Richtung. “Mein Eid bindet mich.” fügte er beinahe entschuldigend hinzu. <br>
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"Wenn er den Kindern nicht zu nahe kommt, wird ihm nichts geschehen", gab Frenya kühl zurück.<br>
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Auch Leuenhard atmete, für einen kurzen Moment wenigstens, erleichtert auf, und erstmals huschte die Andeutung eines Lächelns auf sein Antlitz.  "Ich bin froh," flüsterte er, "dass Ihr alle ebenfalls nicht glauben wollt, was Ihre Wohlgeboren Senola in die Prophezeiung gedeutet hat, und nicht mittragen, was sie daraus folgernd verlangt!" <br>
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Dann wandte er sich beschwichtigend an den Hausritter seines Herrn: "Seid versichert, Heridan: Ansgar ist auch mein Baron - auch ich sehe mich an meinen Lehenseid ihm gegenüber gebunden. Sonst wären meine Gemahlin und ich heute überhaupt nicht hier. Die Hand gegen ihn zu erheben, ist mit das letzte, was ich will - es muss andere Wege geben." An alle gerichtet fuhr der Edle fort: "Wir müssen zuallererst versuchen, den Baron zur Vernunft zu bringen, und davon überzeugen, welch schrecklicher Fehldeutung der Prophezeiung er aufsitzt. Wie gute Berater Ihres Herrn es tun." Und am besten so, dass er glaubt, es sei die aus seiner eigenen Weisheit erwachsene Erkenntnis... "Glaubt Ihr, dass wir Eure Schwester von Ihrem Irrweg abbringen können, Selinde? Wenn sie davon ablässt, wird auch Ansgar sicher nicht daran festhalten."<br>
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Etwas unangebracht lachte die Hofdame auf. "Senola wird sich nie davon abbringen lassen. Sie weiß, dass ihre Deutung Humbug ist und verfolgt mit diesem Unsinn eine eigene, ihr alleine zum Vorteil gereichende Agenda. Wenn sie merkt, dass sie in ihrem Wunsch das Kind zu opfern alleine dasteht, lässt sie sich womöglich noch zu einer Dummheit hinreißen." Frenya setzte sich auf einen der Stühle und verschränkte ihre Arme. Eine Körperhaltung, die beinahe trotzig wirkte. "Tut was Ihr nicht lassen könnt, doch am Ende des Tages wird der Baron von selbst merken wie falsch es war Senola zu folgen."<br>
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Leuenhard stutzte auf Frenyas Worte. Er wiederholte diese erst im Geiste, und dann flüsternd. "Ihr meint, Senola hält das ganze selbst... für Humbug? Aber warum sollte sie dann..." Plötzlich fiel es ihm - so wähnte er sich wenigstens - wie Schuppen von den Augen: "Aber natürlich, das ist es! Dieses verdammte Miststück! Sagt, Selinde: Wessen Idee war es, mit Mutter Elva eine Travia-Geweihte aus Herzogenfurt zur Geburt herbeizubringen? Und auf wen geht zurück, mit dem Baronet von Rickenhausen eine Barden einzuladen? So viele Zeugen! Die alle sehen sollen, was für ein blutrünstiger, kindermordender 'Heide' der Baron ist. Und sein Edler gleich mit, wenn ich mein Kind geopfert hätte!" Der Edle wurde sich immer sicherer, was die Ränke der 'Weisen Frau' anging. "Der Vater der Prophezeiung, den Senola vom Thron vertreiben will, ist Ansgar! Sie lässt ihn gerade sein eigenes Grab schaufeln. Indem wir versuchen, das Leben meiner Kinder zu retten, retten wir auch den Baron!” “Wenn er es zulässt."<br>
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“Elva ist auf persönlichen Wunsch ihrer Hochgeboren Tsasalda hier. Seine Wohlgeboren als Vertreter seines Hauses, vermutlich um die Geburt zu bezeugen und Glückwünsche auszusprechen, so wie vermutlich alle hier.”<br>
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Der Gedankengang des Edlen belustigte Frenya. Äußerlich ließ sie sich jedoch nichts anmerken. “Es geht Senola nicht darum den Baron von Ambelsmund zu stürzen ...”, meinte sie dann trocken, “... es geht ihr um die Deutungshoheit. Sie möchte sich als die unangefochtene Stimme der großen Mutter positionieren …”, sie stoppte. Das ´und sich selbst zur unangefochtenen Oberhexe von Gratenfels aufschwingen´ dachte sie sich ergänzend dazu. “Die Prophezeiung gibt es und viele Menschen in Nordgratenfels glauben daran. Wenn sie die Menschen dazu bringt, den Erstgeborenen eines Adeligen der großen Mutter zu opfern … so absurd das auch sein mag … wird wohl niemand mehr ihre Autorität anzweifeln.”<br>
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"Seid Ihr sicher? Ihr meint, es geht ihr weder um die Prophezeiung noch um einen von uns, nicht um die Baronie und noch weniger um den Grafen? Der Tod meines Kindes soll nur dazu dienen, ihre eigene Macht zu beweisen und sich darin zu sonnen?" Leuenhard war darob nicht nur erschüttert, sondern geradezu fassungslos. "Wenn Ihr damit Recht habt, ist sie eine… eine götterlose... Metze!" Die Strafe verdient... "Aber Ansgar hört auf sie, und Mutter Elva ist von ihrer Treue den Zwölfen gegenüber überzeugt... wir müssen beiden die Augen öffnen!"<br>
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"Lasst Euch doch die Worte der Prophezeiung noch einmal durch den Kopf gehen …", meinte Frenya dann ohne näher auf die Worte des Edlen einzugehen, "... besagter Vater … die Interpretation es handle sich um den Grafen ist weit hergeholt und einzig dem Ansinnen geschuldet, es dem Baron schmackhaft zu machen. Meint Ihr nicht? Auch hieß es 'Ersterblickter', nicht 'Erstgeborener'. Und das sind nur zwei von mehreren uneindeutigen Passagen im Wortlaut der Prophezeiung." Frenya schüttelte ihren Kopf. "Nein, Senola hat hier eine Auslegung zusammengesponnen, die darauf abzielt, mit dem Grafen unzufriedene Adelige hinter sich zu scharen und im Opfer Eures Kindes, ihren neu gewonnenen Einfluss gegenüber ihren Schwestern zu demonstrieren und zu festigen. Vielleicht möchte sie einen Aufstand anzetteln und sich selbst auf den Grafenthron setzen, während sie die große Mutter als Standarte voran trägt, obwohl es ihr nur um sich selbst geht. Eitelkeit und Selbstsucht sind das Markenzeichen der Katzenschwestern. Ihr ging es nie um das Land oder die Menschen hier und wohl auch nicht um die große Mutter."<br>
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Welche Ziele auch immer Senola am Ende verfolgte, ob es ihr um die Baronie oder die Grafschaft, nur um ihren Rang unter den weisen Frauen in Nordgratenfels oder welche Ränke auch immer ging - in einem stimmte Leuenhard felsenfest mit der Traurigsteinerin überein: dem Land, den Menschen hier oder der großen Mutter diente es nicht.<br>
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Doch nun galt es, diese Erkenntnis in Handeln zu übersetzen. Senolas Pläne zu durchkreuzen, den Tod ihres Erstgeborenen zu verhindern und Schaden von der Baronie abzuwenden.  <br>
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Die Zeit, die sich vorhin noch so qualvoll voranzuschleppen schien,  würde schneller vergehen, als ihnen lieb sein konnte.  Ihnen blieb nicht mehr viel davon, das war nunmehr klar.<br>
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Die Unruhe, die angesichts der tröstlichen Gewissheit, dass er bei weitem nicht der einzige Zweifler war, kurz geschwunden war, kam nun mit Macht zurück. Aber jetzt war sie seinerseits mit Entschlossenheit gepaart.<br>
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Wie weit würden die anderen mit ihm gegen Senola gehen? Bei Frenya vom Traurigen Stein hatte er keinerlei Zweifel, dass sie tun würde, was im schlimmsten Fall zu tun wäre. Aber wie sah es mit Selinde aus? Und Heridan?<br>
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Ruhig hatte sich Heridan Frenyas Vortrag angehört. Es ergab durchaus Sinn was sie sagte und doch nagte etwas an ihm. Was waren ihre Beweggründe sich gegen Senola zu stellen? War es wirklich so, wie sie sagte, oder sponn sie nur ein weiteres Netz aus Lügen und Halbwahrheiten um von ihrem wahren Ziel abzulenken? Wie sehr er dieses Intrigenspiel hasste. Sein Blick ging zu Selinde. Wie nahm sie die Anschuldigungen gegen ihre Schwester auf? <br>
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“Er nennt meine Schwester gefälligst nicht Metze, sie ist die künftige Baronin Schweinsfold!”, zischte sie aufgebracht dem Tannenfelser entgegen. “Und Ihr”, wandte sie sich an Frenya,”tätet gut daran etwas weniger Gift zu verspritzen. Senola mag sich bei der Deutung geirrt haben, ihr aber gleich Verrat und Usurpation vorzuwerfen, ist ein starkes Stück. Ich hoffe, ihr habt Beweise für Eure Anschuldigungen, sonst sähe ich mich gezwungen Euch hier und jetzt und für immerdar das Maul zu stopfen.” Jäh fiel der Stuhl nach hinten, als sie aufstand und die Hand zum Schwert führte, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen.<br>
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Frenya kicherte daraufhin vergnügt. Was für eine impertinente, sich selbst überschätzende und naive Person. "Ich sehe schon, Ihr seid Eurer Schwester gegenüber loyal, nichts anderes habe ich von Euch erwartet. Doch wie weit würde Eure Loyalität reichen? Würdet Ihr Senola zur Hand gehen wenn sie das Blut eines unschuldigen Kindes vergießt?" Sie hob ihre Augenbrauen und Selinde meinte darin eine höhnische Geste zu erkennen. "Um nichts anderes geht es hier nämlich. Die Beweise, die ich vorzubringen imstande bin würdet Ihr nicht verstehen. Glaubt mir, oder tut das eben nicht ... es berührt mich nicht." Sie wies auf den Tannenfelser Edlen. "Doch versetzt Euch in seine Lage. Wie würdet Ihr handeln wenn eine Fremde von Euch verlangt Euer erstgeborenes Kind einer heidnischen Göttin zu opfern?" Mit einem düsteren Blick maß sie die Ritterin und bewegte sich auf sie zu. Durch einen prüfenden Griff vergewisserte sie sich, dass ihr Dolch noch dort saß, wo sie dachte. "Und was diese jämmerliche Drohung angeht ...", knurrte sie, "... ich tue Euch den Gefallen sie zu überhören. Seht es als ein großzügiges Geschenk von mir, dass meine Aufmerksamkeit allem Anschein nach von etwas anderem … abgelenkt … war und ich Eurer Gebaren nicht vernommen habe.” Die Hofdame stand nun unmittelbar vor der Ritterin. “Wir sollten versuchen zu verhindern, dass hier das Blut eines Neugeborenen vergossen wird, da ist es nicht unbedingt förderlich uns selbst gegenseitig ans Leder zu gehen, meint Ihr nicht auch?” Ein Lächeln huschte über Frenyas Lippen. “Darüber hinaus würde es Euch nicht gut bekommen zu versuchen mir zu nahe zu rücken, glaubt mir."<br>
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Das stand auch schon der Quakenbrücker bei den beiden Frauen und raunte leise aber eindringlich. “Beruhigt euch meine Damen. Dies ist weder der Ort noch die Zeit dafür. Euer Streit hat uns Besuch beschert. Mit dem Kopf nickte er in Richtung der Tür zum Speisesaal, in welcher der Rickenhausener und kurz darauf der Baron stand.<br>
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Version vom 28. November 2021, 01:36 Uhr

Drei Wasserläufe später

Kapitel 2 der Briefspielgeschichte Celissa

Das Gewitter hatte sich zu einem Dauerregen gewandelt und erfüllte die Burg mit kühler Luft. Der Geruch von Regenwasser gemischt mit frischen Grün erfüllte den Ort. Den Blick aus einem Fenster offenbarte den Herausschauenden ein schönes Spektakel. Die Wolkendecke brach sich immer wieder und so tanzten einzelne Lichtflecken über die Weiden Ambelmunds. Das frische und junge Grün der Landschaft, gepaart mit einzelnen bunten Blütenprachten gaben dem ganzen etwas romantisches. Doch das konstante Trommeln der Regentropfen und die Schmerzensschreie Celissas störten den Frieden.

Elva betrachtete besorgt die junge Frau, die seit Stunden in ihren Wehen lag. Noch immer hatte Celissa kein Geburtswasser gelassen und normalerweise würde sie weiterhin Geduld ansetzten. Solch eine Geburt kann viele Sunde, ja sogar Tage dauern. Doch der Geweihten bereitete es Sorge, dass sie jetzt schon sehr erschöpft wirkte. Diese lag auf der Bettstatt und hielt die Hand der Zofe Eludwina von Weidenthal. Es wunderte Elva ein wenig, dass die Baronin ausgerechnet diese hier gelassen hatte, wo sie doch selbst in Erwartung war. Sie wischte diesen Nebengedanke zur Seite und ging zu ihrer großen Tasche. Diese war gefüllt mit allerlei Utensilien die zu einer Geburt benötigt waren. Die Geweihte griff nach einem Tiegelchen , die mit einer Salbe gefüllt war. Diese war nur nötig, um eine Geburt zu Beschleunigen. Dann ging sie zu Celissa hinüber und setzte sich an den Bettrand. “So mein kleines Vögelchen, ich werde jetzt mal schauen, wie die kleinen sich so machen und vielleicht können wir ihnen ja helfen, sich bereit zu machen uns alle zu begrüßen.”, sprach sie beruhigend auf die junge Edle ein. Mit geschickten Fingern tastete sie das Innere ab.´Hmmm. Noch war die Geburtshülle fest´ , stellte Elva fest. Dann griff sie wieder zur Salbe und bestrich diese. “Nun gut, Celissa. Beten wir zu Travia, das ihr nicht mehr lange warten müsst. Und du, Eludwina, sag mir bescheid wenn sich etwas tut, wenn das Geburtswasser kommt.” Selbst schon ein wenig ermüdet ging die Tempelmutter wieder runter zu den anderen Gästen.

In der Zwischenzeit wurden den Gästen Speisen aufgetragen, doch zogen sich die Leute in unterschiedlichen Räumen zurück . Der eine Teil blieb im Rittersaal, während die anderen in den daneben liegenden Speisesaal speisten. Nur eine halboffene Tür trennte die beiden Gruppen.

Im Rittersaal

(Leuenhard, Heridan, Frenya, Selinde)
Einige Teller und Kelche standen auf der Tafel im Rittersaal und die Überreste von Brot, Käse und Wurst. Als Elva die Treppe hinunter kam entdeckte sie nur die Hälfte der Gäste im Rittersaal. Die Stimme aus dem Nebenzimmer verrieten, wo der Rest zu finden war.

Mit wachsender Ungeduld hatte sich auch die Hofdame Frenya im Rittersaal eingefunden. So nahe wie möglich bei der Kindesmutter und dem Kindesvater. Mit Genugtuung bemerkte sie, dass weder Ansgar noch Senola hier waren. Die Situation war also unter Kontrolle - vorerst, denn einfach geschlagen geben würden sich diese verblendeten Toren wohl nicht.

Lustlos sah der Edle von Tannenfels auf die Speisen vor sich. Appetit empfand er keinen, auch wenn sich in seinem Magen durchaus Leere breit machte. Leichter Hunger schärft die Sinne! Auch mit dem Wein hielt er sich zurück und nippte nur gelegentlich kurz daran. Die Geräuschkulisse während des Mahls bestand zunächst nur aus dem an die Fenster prasselndem Regen, dem Klirren der Messer auf den Platten und mehr oder weniger lauten Kau-, Schmatz- und Schluckgeräuschen, die nur gelegentlich von den gedämpften Schmerzlauten aus Richtung des Geburtszimmers unterbrochen wurden, und verstärkte die Beklemmung in Leuenhard. Auf jedem Begräbnis ging es ausgelassener zu. Wenigstens hatte er von hier den Zutritt zur Kammer seiner Gemahlin im Blick. Und die einzige Verbündete, die wirklich wusste, was hier gespielt wurde, und daran glaubte, an seiner Seite.
Wahrscheinlich würde sich nie mehr eine bessere Gelegenheit ergeben, Heridan und Selinde auf den Zahn zu fühlen als jetzt, da sie dem direkten Blick des Lehnsherrn und der Schwester entzogen waren. In einer Bewegung, die für einen Trinkspruch viel zu fahrig wirkte, hob Leuenhard seinen Kelch und brach trotz der verhaltenen Lautstärke, in der er sprach, die lauernde, peinliche Stille am Tisch. "Auf die Wahrheit in der Prophezeiung! Mögen die guten Götter uns die Weisheit schenken, diese zu erkennen, und den Mut und die Stärke, danach zu handeln!" Auch seine Stimmlage erinnerte mehr an eine Bestattung denn an eine bevorstehende Geburt. Langsam nahm er einen kleinen Schluck, bei dem er über seinen Kelch hinweg den Hofritter und die frühere Knappin seines Herrn beobachtete.

Heridan war der Appetit für den Moment vergangen. Gelegentlich nippte der Ritter an dem Wein, aber auch das geschah eher mechanisch als aus dem Verlangen nach einem Getränk. Nur mit Widerwillen hatte er beim Trinkspruch des Edlen den Becher erhoben, war es doch eben diese Prophezeiung die ihm die Laune verhagelte. Aber ein “Mögen die Zwölfe mit uns sein!” konnte er sich nicht verkneifen.

Das Zögern Heridans war Leuenhard nicht entgangen, und sein Einstimmen, in dem zugleich Einspruch gegen den alten Glauben mitschwang, sprach Bände. Auch wenn er die dann sicherlich ablehnende Haltung des Ritters der großen Mutter gegenüber bedauerte, mochte diese hier und heute hilfreich sein, das Schreckliche zu verhindern und das Leben seines Erstgeborenen zu retten. Doch war diese Gesinnung Heridans auch stark genug, sich, wenn es hart auf hart kam, gegen Ansgar zu stellen? Leuenhard hoffte imständig, dass es dazu nicht kommen musste. Er setzte weniger auf den Schwertarm des getreuen Quackenbrückers als vielmehr auf dessen Zunge, den Baron von Senolas Willen abzubringen. Ein zögerliches und unscheinbares Nicken, begleitet von einem schwachen Zucken seines rechten Mundwinkels, das der Anflug eines nachdenklichen Lächelns sein mochte, war für Heridan zunächst die einzig wahrnehmbare Reaktion des Edlen, der nun besonders Selinde taxierte.

Auch Selinde hatte ein mulmiges Gefühl, doch hatte ihr Ansgar eines beigebracht: ohne Mampf, kein Kampf! Deshalb war sie froh über die Abwechslung und das gute Essen. “Auf die innewohnende Wahrheit!”, stieß sie mit den Anderen an, biss sich dann aber auf die Unterlippe, als sie Heridan anblickte. War es denn nicht Praios`Wille, dass die Wahrheit immer offen zu Tage trat und war sie nicht heimlich verliebt, konnte sie wirklich so etwas sagen? Fragen über Fragen quälten ihr junges Herz.

Die Hofdame vom Traurigen Stein stand derweil lässig an ein Fenstersims gelehnt. Da ihr Kinn auf auf ihrer Brust lag, wirkte es so, als würde sie schlafen. Dem war jedoch nicht so, wiewohl sie ihre Augen geschlossen hielt. In ihren Gedanken kreisten Bilder umher. Bilder, die ihr Rotlöckchen sandte. Sie sah die junge Edle auf einer Schlafstatt, daneben eine unbekannte junge Frau, die ihre Hand hielt. Eben jene Frau war ein Unsicherheitsfaktor, von dem sie bisher noch nichts wusste. Ihr Vertrauter würde sie im Auge behalten müssen.

Immer noch fahrig und daher ein wenig zu fest und laut setzte Leuenhard seinen Kelch auf die massive Tischplatte, so dass ein erklecklicher Teil der Pfütze, die ohnehin nur darin war, über den Rand schwappte. "Die Crux mit den innewohnenden Wahrheiten ist," merkte er, auf die ausschwingenden Wogen in seinem Trinkgefäß starrend, mit verhaltener Stimme an, "dass sie sich zuweilen nicht oder nur scheinbar auf den ersten Blick entblößen. Und oftmals jeder eine andere sieht." Sein Blick richtete sich wieder abwartend auf Heridan und vor allem Selinde.

Selinde fühlte sich ertappt. Konnte der Tannenfelser Gedanken lesen? “Wie...wie meint Ihr das?”, fragte sie etwas schüchtern. Bei der nächsten Frage fing sie sich wieder und stellte diese ein wenig selbstsicherer:”Von welcher Wahrheit sprecht Ihr denn genau?”

Der Ritter schwieg, da ihm Selinde mit ihrer Frage zuvorkam und verfolgte stattdessen jede Bewegung des Edlen mit seinen Augen.

Der Edle von Tannenfels ließ sich einen Moment Zeit mit seiner Antwort. Dann begann er bedächtig und mit leiser Stimme:
"Seht die Prophezeiung, wegen der wir alle hier sind... Eure Schwester, als weise Frau dazu berufen, hat diese gedeutet…” Bei jedem seiner Worte behielt er Selinde genau im Visier.
“Auch Mutter Elva als Priesterin der gütigen Travia erkennt Wahrheit in der alten Weissagung…” Wieder setzte er eine Pause.
“Aber die 'ach so offensichtlichen' Wahrheiten beider haben nichts, wirklich nichts miteinander gemein."
Leuenhard ließ die Aussage kurz nachhallen. Dann blickte er Selinde in die Augen.
"Vielleicht teilt Ihr die Sicht Eurer Schwester, wie seine Hochgeboren. Sprechen wir es aus: Nach dieser muss mein Erstgeborenes noch am Tag seiner Geburt sterben... Vielleicht seid Ihr aber auch einer Deutung ähnlich der Mutter Elvas zugeneigt. Danach soll dasselbe Kind leben und der Kirche der Travia anvertraut werden... Oder habt Ihr eine ganz eigene Interpretation?... Wer irrt? Und welche davon ist die wahrhafte, die göttliche Wahrheit?... Die meines Lehnsherrn? Weil ihm von Standes wegen die Wahrheit in diesen Landen zukommt?... Oder doch die der Priesterin, weil es um eine göttliche Weissagung geht? Und wenn ja, welcher der beiden Priesterinnen?... Oder täuschen sich am Ende alle, und es ist etwas ganz anderes gemeint? Welcher Wahrheit sollen wir folgen? Daran hängt Leben und Tod meines Kindes. Und vielleicht das Schicksal dieser Lande."

Die Ritterin schluckte. Dann sah sie sich um, nicht nur nach menschlichen Ohren und Augen, sondern auch nach Schnurrhaaren und Samtpfoten, bevor sie flüsternd antwortete:”Ich verstehe mich nicht aufs prophezeien, aber ich kann nicht glauben, dass der Götter Wille nach Blut verlangt.” Etwas lauter sagte sie dann:”Wahrlich, in Eurer Haut möchte ich nicht stecken. Das erste Kind und gleich mit so viel Sorge und Schmerz verbunden.” Mitfühlend legte sie ihre Hand auf seine.

"Dem Kind …", betonte Frenya dann als sie ihren Kopf hob und sich aus ihrer lehnenden Position aufrichtete, "... wird nichts passieren. Die Auslegung, dass die große Mutter nach dem Blut von Unschuldigen verlangt, ist falsch … beinahe stümperhaft würde ich meinen." Die Hofdame bewegte sich ein paar Schritte auf die anderen zu. Ihre Augen wirkten nun noch dunkler als zuvor. "Jeder, der dem Kind zu nahe tritt muss erst an mir vorbei." Worte der Drohung, die aus dem Mund der schmalen Frau dennoch bedrohlich wirkten.

Nachdem sie diese Drohung ausgesprochen hatte, schien ein Teil seiner Anspannung vom Quakenbrücker abzufallen. “Dann ist es ja gut, dass niemand in diesem Raum den Kindern Schaden zufügen will.” erklärte er frei heraus. “Allerdings werde ich es nicht erlauben, dass jemand die Hand gegen meinen Baron erhebt.” Dabei sah er in Frenyas und Leuenhards Richtung. “Mein Eid bindet mich.” fügte er beinahe entschuldigend hinzu.

"Wenn er den Kindern nicht zu nahe kommt, wird ihm nichts geschehen", gab Frenya kühl zurück.

Auch Leuenhard atmete, für einen kurzen Moment wenigstens, erleichtert auf, und erstmals huschte die Andeutung eines Lächelns auf sein Antlitz. "Ich bin froh," flüsterte er, "dass Ihr alle ebenfalls nicht glauben wollt, was Ihre Wohlgeboren Senola in die Prophezeiung gedeutet hat, und nicht mittragen, was sie daraus folgernd verlangt!"
Dann wandte er sich beschwichtigend an den Hausritter seines Herrn: "Seid versichert, Heridan: Ansgar ist auch mein Baron - auch ich sehe mich an meinen Lehenseid ihm gegenüber gebunden. Sonst wären meine Gemahlin und ich heute überhaupt nicht hier. Die Hand gegen ihn zu erheben, ist mit das letzte, was ich will - es muss andere Wege geben." An alle gerichtet fuhr der Edle fort: "Wir müssen zuallererst versuchen, den Baron zur Vernunft zu bringen, und davon überzeugen, welch schrecklicher Fehldeutung der Prophezeiung er aufsitzt. Wie gute Berater Ihres Herrn es tun." Und am besten so, dass er glaubt, es sei die aus seiner eigenen Weisheit erwachsene Erkenntnis... "Glaubt Ihr, dass wir Eure Schwester von Ihrem Irrweg abbringen können, Selinde? Wenn sie davon ablässt, wird auch Ansgar sicher nicht daran festhalten."

Etwas unangebracht lachte die Hofdame auf. "Senola wird sich nie davon abbringen lassen. Sie weiß, dass ihre Deutung Humbug ist und verfolgt mit diesem Unsinn eine eigene, ihr alleine zum Vorteil gereichende Agenda. Wenn sie merkt, dass sie in ihrem Wunsch das Kind zu opfern alleine dasteht, lässt sie sich womöglich noch zu einer Dummheit hinreißen." Frenya setzte sich auf einen der Stühle und verschränkte ihre Arme. Eine Körperhaltung, die beinahe trotzig wirkte. "Tut was Ihr nicht lassen könnt, doch am Ende des Tages wird der Baron von selbst merken wie falsch es war Senola zu folgen."

Leuenhard stutzte auf Frenyas Worte. Er wiederholte diese erst im Geiste, und dann flüsternd. "Ihr meint, Senola hält das ganze selbst... für Humbug? Aber warum sollte sie dann..." Plötzlich fiel es ihm - so wähnte er sich wenigstens - wie Schuppen von den Augen: "Aber natürlich, das ist es! Dieses verdammte Miststück! Sagt, Selinde: Wessen Idee war es, mit Mutter Elva eine Travia-Geweihte aus Herzogenfurt zur Geburt herbeizubringen? Und auf wen geht zurück, mit dem Baronet von Rickenhausen eine Barden einzuladen? So viele Zeugen! Die alle sehen sollen, was für ein blutrünstiger, kindermordender 'Heide' der Baron ist. Und sein Edler gleich mit, wenn ich mein Kind geopfert hätte!" Der Edle wurde sich immer sicherer, was die Ränke der 'Weisen Frau' anging. "Der Vater der Prophezeiung, den Senola vom Thron vertreiben will, ist Ansgar! Sie lässt ihn gerade sein eigenes Grab schaufeln. Indem wir versuchen, das Leben meiner Kinder zu retten, retten wir auch den Baron!” “Wenn er es zulässt."

“Elva ist auf persönlichen Wunsch ihrer Hochgeboren Tsasalda hier. Seine Wohlgeboren als Vertreter seines Hauses, vermutlich um die Geburt zu bezeugen und Glückwünsche auszusprechen, so wie vermutlich alle hier.”

Der Gedankengang des Edlen belustigte Frenya. Äußerlich ließ sie sich jedoch nichts anmerken. “Es geht Senola nicht darum den Baron von Ambelsmund zu stürzen ...”, meinte sie dann trocken, “... es geht ihr um die Deutungshoheit. Sie möchte sich als die unangefochtene Stimme der großen Mutter positionieren …”, sie stoppte. Das ´und sich selbst zur unangefochtenen Oberhexe von Gratenfels aufschwingen´ dachte sie sich ergänzend dazu. “Die Prophezeiung gibt es und viele Menschen in Nordgratenfels glauben daran. Wenn sie die Menschen dazu bringt, den Erstgeborenen eines Adeligen der großen Mutter zu opfern … so absurd das auch sein mag … wird wohl niemand mehr ihre Autorität anzweifeln.”

"Seid Ihr sicher? Ihr meint, es geht ihr weder um die Prophezeiung noch um einen von uns, nicht um die Baronie und noch weniger um den Grafen? Der Tod meines Kindes soll nur dazu dienen, ihre eigene Macht zu beweisen und sich darin zu sonnen?" Leuenhard war darob nicht nur erschüttert, sondern geradezu fassungslos. "Wenn Ihr damit Recht habt, ist sie eine… eine götterlose... Metze!" Die Strafe verdient... "Aber Ansgar hört auf sie, und Mutter Elva ist von ihrer Treue den Zwölfen gegenüber überzeugt... wir müssen beiden die Augen öffnen!"

"Lasst Euch doch die Worte der Prophezeiung noch einmal durch den Kopf gehen …", meinte Frenya dann ohne näher auf die Worte des Edlen einzugehen, "... besagter Vater … die Interpretation es handle sich um den Grafen ist weit hergeholt und einzig dem Ansinnen geschuldet, es dem Baron schmackhaft zu machen. Meint Ihr nicht? Auch hieß es 'Ersterblickter', nicht 'Erstgeborener'. Und das sind nur zwei von mehreren uneindeutigen Passagen im Wortlaut der Prophezeiung." Frenya schüttelte ihren Kopf. "Nein, Senola hat hier eine Auslegung zusammengesponnen, die darauf abzielt, mit dem Grafen unzufriedene Adelige hinter sich zu scharen und im Opfer Eures Kindes, ihren neu gewonnenen Einfluss gegenüber ihren Schwestern zu demonstrieren und zu festigen. Vielleicht möchte sie einen Aufstand anzetteln und sich selbst auf den Grafenthron setzen, während sie die große Mutter als Standarte voran trägt, obwohl es ihr nur um sich selbst geht. Eitelkeit und Selbstsucht sind das Markenzeichen der Katzenschwestern. Ihr ging es nie um das Land oder die Menschen hier und wohl auch nicht um die große Mutter."

Welche Ziele auch immer Senola am Ende verfolgte, ob es ihr um die Baronie oder die Grafschaft, nur um ihren Rang unter den weisen Frauen in Nordgratenfels oder welche Ränke auch immer ging - in einem stimmte Leuenhard felsenfest mit der Traurigsteinerin überein: dem Land, den Menschen hier oder der großen Mutter diente es nicht.
Doch nun galt es, diese Erkenntnis in Handeln zu übersetzen. Senolas Pläne zu durchkreuzen, den Tod ihres Erstgeborenen zu verhindern und Schaden von der Baronie abzuwenden.
Die Zeit, die sich vorhin noch so qualvoll voranzuschleppen schien, würde schneller vergehen, als ihnen lieb sein konnte. Ihnen blieb nicht mehr viel davon, das war nunmehr klar.
Die Unruhe, die angesichts der tröstlichen Gewissheit, dass er bei weitem nicht der einzige Zweifler war, kurz geschwunden war, kam nun mit Macht zurück. Aber jetzt war sie seinerseits mit Entschlossenheit gepaart.
Wie weit würden die anderen mit ihm gegen Senola gehen? Bei Frenya vom Traurigen Stein hatte er keinerlei Zweifel, dass sie tun würde, was im schlimmsten Fall zu tun wäre. Aber wie sah es mit Selinde aus? Und Heridan?

Ruhig hatte sich Heridan Frenyas Vortrag angehört. Es ergab durchaus Sinn was sie sagte und doch nagte etwas an ihm. Was waren ihre Beweggründe sich gegen Senola zu stellen? War es wirklich so, wie sie sagte, oder sponn sie nur ein weiteres Netz aus Lügen und Halbwahrheiten um von ihrem wahren Ziel abzulenken? Wie sehr er dieses Intrigenspiel hasste. Sein Blick ging zu Selinde. Wie nahm sie die Anschuldigungen gegen ihre Schwester auf?

“Er nennt meine Schwester gefälligst nicht Metze, sie ist die künftige Baronin Schweinsfold!”, zischte sie aufgebracht dem Tannenfelser entgegen. “Und Ihr”, wandte sie sich an Frenya,”tätet gut daran etwas weniger Gift zu verspritzen. Senola mag sich bei der Deutung geirrt haben, ihr aber gleich Verrat und Usurpation vorzuwerfen, ist ein starkes Stück. Ich hoffe, ihr habt Beweise für Eure Anschuldigungen, sonst sähe ich mich gezwungen Euch hier und jetzt und für immerdar das Maul zu stopfen.” Jäh fiel der Stuhl nach hinten, als sie aufstand und die Hand zum Schwert führte, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen.

Frenya kicherte daraufhin vergnügt. Was für eine impertinente, sich selbst überschätzende und naive Person. "Ich sehe schon, Ihr seid Eurer Schwester gegenüber loyal, nichts anderes habe ich von Euch erwartet. Doch wie weit würde Eure Loyalität reichen? Würdet Ihr Senola zur Hand gehen wenn sie das Blut eines unschuldigen Kindes vergießt?" Sie hob ihre Augenbrauen und Selinde meinte darin eine höhnische Geste zu erkennen. "Um nichts anderes geht es hier nämlich. Die Beweise, die ich vorzubringen imstande bin würdet Ihr nicht verstehen. Glaubt mir, oder tut das eben nicht ... es berührt mich nicht." Sie wies auf den Tannenfelser Edlen. "Doch versetzt Euch in seine Lage. Wie würdet Ihr handeln wenn eine Fremde von Euch verlangt Euer erstgeborenes Kind einer heidnischen Göttin zu opfern?" Mit einem düsteren Blick maß sie die Ritterin und bewegte sich auf sie zu. Durch einen prüfenden Griff vergewisserte sie sich, dass ihr Dolch noch dort saß, wo sie dachte. "Und was diese jämmerliche Drohung angeht ...", knurrte sie, "... ich tue Euch den Gefallen sie zu überhören. Seht es als ein großzügiges Geschenk von mir, dass meine Aufmerksamkeit allem Anschein nach von etwas anderem … abgelenkt … war und ich Eurer Gebaren nicht vernommen habe.” Die Hofdame stand nun unmittelbar vor der Ritterin. “Wir sollten versuchen zu verhindern, dass hier das Blut eines Neugeborenen vergossen wird, da ist es nicht unbedingt förderlich uns selbst gegenseitig ans Leder zu gehen, meint Ihr nicht auch?” Ein Lächeln huschte über Frenyas Lippen. “Darüber hinaus würde es Euch nicht gut bekommen zu versuchen mir zu nahe zu rücken, glaubt mir."

Das stand auch schon der Quakenbrücker bei den beiden Frauen und raunte leise aber eindringlich. “Beruhigt euch meine Damen. Dies ist weder der Ort noch die Zeit dafür. Euer Streit hat uns Besuch beschert. Mit dem Kopf nickte er in Richtung der Tür zum Speisesaal, in welcher der Rickenhausener und kurz darauf der Baron stand.





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