Schwarz steht der Tann - Akt 5: Unterschied zwischen den Versionen

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=== Herausputzen ===
 
=== Herausputzen ===
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"Tullo mukan! Siivota!"''(Mitkommen! Herausputzen!)''  rief einer der älteren Jäger den menschlichen Gästen zu. Die anderen stimmten ein, und schon bald war der Raum von einem kehligen Gelächter gefüllt. Die Goblins umringten mittlerweile die Menschen und schoben sie nachdrücklich auf den Ein- und Ausgang der Höhle zu. Auch wenn die Stimmung weit gelöster war als zu ihrer Ankunft, war immer noch ein gewisser Nachdruck zu spüren. Der Kleidung, die Ulfaran, Tsamitrius und Rondrard hier abgelegt hatten, schien man keine Bedeutung beizumessen: “Ei tarvit” ''(Nicht brauchen)'' hieß es nur, wieder begleitet von Gelächter, als die Menschen weiter gezogen und gedrängt wurden.
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Noch immer in gelassener Stimmung ließ der Hexer sich treiben und fasste Rondrard am Ellenbogen. “Wie es scheint, fängt jetzt der interessante Teil an. Möge die große Mutter mit dir sein, Rondrard” Er zwinkerte ihm zu. Dann nickte er dem Druiden zu.
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Rondrard war noch recht benommen von den Eindrücken seiner Vision in der Schwitzhöhle und ließ sich daher widerstandlos mittreiben. “Und mit Dir!” gab er Tsamitrius zurück, zu einem Zwinkern oder einer akzentuierten Geste war er noch nicht imstande.
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Ulfaran trauerte seiner Kutte nach, seinem einzigen, wertvollen Besitz. Doch er musste sich wohl oder übel davon trennen und ließ sich von den Goblins treiben.
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Die Rotpelze konnten es offensichtlich nicht mehr erwarten, endlich zum Taati Mulla zu kommen. Teils im Laufschritt eilten die Goblins, und die heute durch das Schicksal zusammengeführten Gefährten stolperten mit ihnen zurück in die große Höhle, die sie bereits bei ihrer Ankunft kurz gesehen hatten.<br>
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Dort hatten sich inzwischen noch mehr der Goblins versammelt, doch noch immer nur deren Männer. Das Trommeln war geendet, und auch getanzt wurde nicht mehr, statt dessen herschte rege Betriebsamkeit.<br>
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Eifrig waren die Jäger des Stammes dabei, sich im Schein des hoch aufprasselnden Feuers und unter den nahezu lebendig anmutenden Bildern so vieler Tiere des Waldes an den Wänden gegenseitig mit grüner Farbe, die sie in kleinen Holzschälchen angerührt hatten, im Gesicht, auf der Brust und dem Gemächt mit Streifen zu bemalen. Die, die fertig waren, halfen entweder, ihre Gefährten zu schmücken, oder streiften sich Tierschädel oder -kopffelle, die mit Lederbändern versehen waren, über den Kopf. Unter den Trophäen waren stattliche Hirschgeweihe, Wildschweinfelle (diese kombiniert mit dem als Kinnschmuck aufgezogenen hauerbewehrten Unterkiefer), Fuchs- und Rehschädel, aber teils auch nur die Knochenkalotten einfacher Kaninchen- oder Eichhörnchen.<br>
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Vier halbstarke Jung-Goblins, die vorher noch feixend die Menschen begafft hatten, hatten sich offensichtlich zu einer Mutprobe verstiegen. Jedenfalls näherten sie sich vorsichtig den drei Fremden; der vorderste hielt diesen aus sicherer Entfernung eines der Holzschälchen entgegen, was die anderen zu einem keckernden Lachen veranlasste. Ein zweiter winkte mit Dachsschädel und -fell.
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Tsamitrius zögerte nicht lange und nahm die Schale und reichte sie Rondrard. “Habt ihr auch einen Ziegenbock da?”, fragte er und machte dabei Handzeichen, die die Hörner solches nach empfanden. “Brauchst du Hilfe?” und steckte seinen Finger in die Farbe.
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“Pukki?” übersetzte Rondrard für Tsamitrius. Die Goblins wechselten Blicke und einige schnelle Worte untereinander, dann machte sich einer davon. Der junge Tannenfelser sah sich derweil die Muster der Goblins an. “Beim Gesicht wäre Hilfe nicht schlecht. Den Rest krieg ich wohl selber hin. Und Du?” fragte er zurück. Der junge Ritter brachte inzwischen sogar wieder ein Grinsen zuwege, trotz der beiden Gedankenkreisel, die noch immer sein Inneres aufwühlten - die Vision des Jägers und seine Sorge, wie wohl das hoffentlich nahende Wiedersehen mit den Frauen, vor allem Befinna, verlaufen würde. Die nachlassende, aber noch immer vorhandene Wirkung der Dämpfe in der Schwitzhöhle tat nach wie vor ihr übriges.
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Der Hexer zögerte nicht lange und bemalte das Gesicht des Tannenfelsers. Danach kümmerte er sich voll und ganz seiner eigenen Bemalung, schminkte das Gesicht dunkel, so dass seine Augen ein eigenes leuchten bekammen. Den Rest seines Körpers ließ er nackt, denn es gab vor der Mutter nichts zu verbergen.
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Rondrard zierten bereits Streifen grünen Ockers im Gesicht, auf der Brust und den Oberarmen. Aber eine Stelle fehlte noch, wenn er es den Suulak gleich tun wollte. Als er sich daran machte, auch sein Gemächt zu bemalen, überkam ihn jedoch der sich unwillkürlich einstellenden Erregung jäh auch die zuletzt gänzlich vergessene Scham: jedem und jeder hier und heute auf diesem Fruchtbarkeitsfest der Goblins würde er so gegenübertreten, wie die große Mutter ihn gemacht hatte, aber was war mit Befinna? Was bliebe in ihren Augen von dem Ritter ihrer Träume und Phantasien, von dem sie Ringard immer vorgeschwärmt hatte (wie ihm indiskret zugetragen worden war), und der er selbst so gerne wäre? … Nein, das ging nicht…<br>
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“Pää Peura, pää takana?” fragte er einen der immer noch gaffenden und sich belustigenden jungen Goblins. Der schaute nur etwas merkwürdig und hielt zwei Finger nach oben. “Käksi pää?” Rondrard nickte. “Kääksi pää!”
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Inzwischen war der erste tatsächlich mit dem Schädel samt Gehörn eines stattlichen Ziegenbockes zurückgekehrt. Obendrein hatte er noch Lederbändchen dabei, wie sie die Goblins zum Befestigen der knöchernen Kopfzierden verwendeten. An einem davon baumelte sogar noch der Bart eines Bockes. Kurz darauf nahte auch der zweite junge Suulak, mit zwei Schädeln, dem eines Hirsches mit einem prächtigen, zehnendigen Geweih, und dem einer Hirschkuh. Zunächst mit unverhohlener Neugier, dann mit Feixen und Gelächter wurde verfolgt, wie Rondrard den Schädel der Hündin zu einer Schamkapsel unfunktionierte, um sich dann das Haupt mit dem Geweih zu bewehren. Deutlich errötet kreuzte sein Blick den Tsamitrius’. Dieser lachte nur und befestigte den Tierschädel auf den Kopf. Ja, so war er Tsatuara gefällig.
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“Gib den Hirschkopf her”, verlangte Ulfaran knapp. Die Vision zeigte ihm, welchen Kopfschmuck er zu wählen hatte.
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“Den hab ich schon.” war Rondrard nicht bereit, den Schädel mit dem Geweih herzugeben. “Vielleicht haben sie noch weitere. Peura heißt Hirsch auf Goblinisch.” ließ er den Druiden wissen.
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Ulfaran funkelte finster. “Peura”, ahmte er nach. “Peura.”
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Angesichts des furchterregenden Blickes des Fremden bekam es der junge Goblin, der Rondrard sein Geweih gebracht hatte, mit der Angst zu tun. Auch das Feixen der anderen war weit verhaltener als eben noch, als die ersten Schmuckstücke herbeigeschafft wurden.
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“Du solltest Dir mehr Freundlichkeit angewöhnen. Wenn schon nicht den Menschen gegenüber, so doch deinen Gastgebern.” Kein Wunder, dass nur noch Käfer mit diesem Kerl leben wollten. Was Befinna nur an diesem fand? wunderte sich Rondrard.
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Immer noch eingeschüchtert brachte der Suulak tatsächlich noch ein weiteres Geweih mit, dass sogar noch ein Ende mehr hatte, aber auch deutlich mitgenommener aussah als das erste. Vorsichtig legte er es zwei Schritt weit von Ulfaran auf den Boden und zog sich eilig zurück.
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“Bluugsuul” rief Rondrard diesem zum Dank hinterher.
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Wie das Geweih aussah, in welchem Zustand es war - das war Ulfaran egal. Die Schöpfung Sumus war in jedem Zustand, ob frisch und neu geboren, halb oder vollständig verwest, wunderschön. “Danke”, brummte Ulfaran und bückte sich nach dem Geweih.
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Rondrard nickte. Er wusste nicht so recht, ob er das Dankeswort Ulfarans als erstes Anzeichen von Umgansformen anerkennen, sich darüber belustigen, wie gut dieses Geweih zu diesem passte, oder doch darüber ärgern sollte, dass sich der Druide ausgerechnet sein Wappentier als Schmuck für das Taati Mulla auserkoren hatte. Das Zeichen derer von Tannenfels. Das Zeichen Kurims, des Jägers. “Warum soll es ausgerechnet auch der Hirsch sein?” wollte er wissen.
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Ulfaran blickte ihn an und wollte den Ritter schon einfach ignorieren, entschied sich dann aber, ihm dasjenige zu sagen, was er verdient hatte. “Weil der Sohn der großen Mutter zu mir sprach.”
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Rondrard stutzte. “Der Jäger hat also auch zu Dir gesprochen?” Er brannte jetzt vor Neugier. “Was hat er gesagt?”
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Der Druide grollte. Er hatte also zu viel Preis gegeben und jetzt konnte er nicht mehr zurück. Zerknirscht konstatierte er: “Wir sprachen über meinen Weg, den Leib der Mutter Sumu zu schützen.”
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Rondrard spürte die Zerknirschung - ob es dem Druiden ebenso ergangen war wie ihm? Mit was hatte ihn der Jäger konfrontiert? "Und? Was hat er dir mit auf den Weg gegeben?"
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“Warum willst du das wissen, Ritter?”, gab der Druide patzig zurück. Langsam aber sicher wurde er ihm zu zudringlich. Er musste den Mann spüren lassen, dass er nicht zu seinem Rudel gehörte.
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“Weil er auch zu mir gesprochen hat.” gab Rondrard noch einmal zu, was er bereits offenbart hatte. “Und weil das, was er uns zu sagen hatte, vielleicht wichtig ist… Sume.”
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Hm, brummte der Sume. Dieses Argument ist schlüssig. “Er mahnte mich, die Kinder Sumus nicht zu verstoßen, weil sie der Mutter fremd geworden sind. Der große Jäger will, dass ich im Rudel jage, doch wo ist das Rudel, das nicht die Mutter, sondern ihre Feinde jagt?”
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Rondrard sah den Druiden überrascht an - wegen dessen Aufrichtigkeit und wegen der Worte des Jägers. “Wenn Du das nicht siehst, bist Du blind. Das Rudel ist um Dich. Hier. Jeder einzelne hier glaubt an die große Mutter und würde für sie gegen ihre Feinde einstehen.” Der inzwischen selbst hirschhäuptige junge Ritter wog kurz ab, ob und was er preisgeben sollte. “Mir hat der Jäger aufgetragen, mich ihnen zu stellen.”
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Ulfaran sah dem Ritter skeptisch entgegen. Zuerst zögerte er, doch der Weg war richtig. Der große Jäger hatte Recht - er war schließlich der Bote der Mutter. “Dann tu es. Die große Mutter hat viele Feinde auf diesem Boden. Der Wald ist in Gefahr. Das, was ihr und euresgleichen Zivilisation nennt, raubt den Lebensraum für Sumus Kinder. Wenn du mit mir jagen willst, dann musst du deine Loyalität der Mutter gegenüber unter Beweis stellen. Du wirst dich deinesgleichen in Stahl und Rüstung, mit Hacken und Axt, mit Pflug und Dresche entgegenstellen müssen. Wenn du dazu bereit bist, dann werde ich mit dir jagen. Befinna vertraut dir. Sie ist die zukünftige Herrin dieser Lande. Wenn du dich entschließen würdest, der Welt der Zerstörung abzuschwören, dann wird sie es auch tun. Gemeinsam könnten wir eine Insel des Schutzes für Sumus Kinder bieten. Willst du das?” Der Druide redete sich in Rage. Auch der Stechapfel und die Vision taten ihres dazu, ihn vom Bande zu lassen. Er legte alle seine Karten auf den Tisch. Jetzt galt es, volles Risiko zu gehen.
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Rondrard gefiel, dass sich der Druide endlich das eisige Visier seiner Schweigsamkeit und Wortkargheit vom Gesicht gerissen hatte, als Mensch sichtbar für ihn wurde. Ulfarans Beweggründe waren keine schlechten, aber ihm fehlte in seiner Liebe und Verehrung der Natur die Menschlichkeit, der Zugang zu seinem eigentlichen Rudel. Hatte ihn die große Mutter deswegen hierher geführt? Ihm sein Rudel zu zeigen?<br>
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“Nicht alle, die Du ‘meinesgleichen’ nennst, sind gleich. Du hast Recht damit, dass einigen diese Wälder hier, die Schöpfung der großen Mutter tatsächlich gleichgültig sind in ihrem Streben, ja, ihrer Gier nach dem kurzfristigen Profit. Andere aber zerstören unwillentlich, aus reiner Not heraus, weil sie glauben, es bliebe ihnen nichts anderes übrig, wenn sie überleben wollen. Gerade hier aber leben noch viele, die der großen Mutter im Herzen treu sind und im Einklang mit dieser leben wollen, die die Natur achten und ehren, das, was sie zum Leben brauchen, mit Dank auf den Lippen nehmen und den Rest erhalten und schützen wollen. Wenn Du, Befinna und ich das alles hier retten und bewahren wollen, können wir nicht blindwütig alle zu unseren Feinden erklären. Wir müssen die wahren Feinde von den Unschuldigen und den nur von Not gedrungenen scheiden - den Feinden entschieden entgegentreten und die anderen zu einem Teil unseres Rudels werden lassen.”
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Ulfaran nickte - offensichtlich unterschätzte ihn der Ritter. “Rondrard, Sume heißt Hirte. Nichts anderes bin ich. Hirten leiten Schafe; manche davon sind klug, manche blind. Die einen bleiben freiwillig bei der Herde, die anderen brauchen Anleitung, um nicht über die Klippe zu laufen. Bei den Menschen ist das nicht anders. Jeder einzelne will überleben - und auch der Wolf reißt das Schaf, weil er überleben muss. Doch eine Schafherde hat auch einen Leitwidder und es ist die Verantwortung des Leitwidders, seine Herde zu beschützen, wenn der Hirte nicht zugegen ist. Du bist ein Ritter. Bei den Menschen, die die Stadt dem Wald vorziehen, seid ihr Leitwidder. Wenn eure Schafe den Wald zerstören müssen, um zu leben, dann habt ihr nicht gut auf sie aufgepasst. Wenn sie hungern, dann müsst ihr ihnen geben. Wenn sie Schutz vor anderen Menschen brauchen, dann brauchen sie euer Schwert. Wenn sie Hilfe brauchen, um die Gnade der Mutter zu sehen, dann brauchen sie euer - und mein - Vorbild. Wir müssen uns vor die Menschen stellen und zur großen Mutter stehen, dann werden sie die Axt weglegen.”
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Nachdenklich hörte Rondrard dem Druiden zu, dabei nickte er immer wieder. Als Ulfaran geendet hatte, trat ein Lächeln auf die Lippen des Ritters: “Mit jedem Deiner Worte hast Du Recht Ulfaran, genau das sind unsere Aufgaben.” Im Grundsatz waren sie eines Herzens. Ob die Einigkeit auch in den schnöden Details des Lebens und Wirtschaftens bestand hielte, wollte er in diesem Moment nicht allzu genau hinterfragen, dennoch schob er hinterher: “Nur denke ich, dass wir Menschen uns dem Wald nicht fern halten müssen. Wir müssen ihn nur respektieren und so nutzen, dass er bewahrt bleibt, und nicht gierig mehr nehmen, als er uns zu geben bereit ist, sondern der großen Mutter für ihre Geschenke Dank und Ehre erweisen.”
  
  

Version vom 2. November 2021, 00:50 Uhr

Die Zeit des Jägers

Akt 5 der Briefspielgeschichte Schwarz steht der Tann

Herausputzen

"Tullo mukan! Siivota!"(Mitkommen! Herausputzen!) rief einer der älteren Jäger den menschlichen Gästen zu. Die anderen stimmten ein, und schon bald war der Raum von einem kehligen Gelächter gefüllt. Die Goblins umringten mittlerweile die Menschen und schoben sie nachdrücklich auf den Ein- und Ausgang der Höhle zu. Auch wenn die Stimmung weit gelöster war als zu ihrer Ankunft, war immer noch ein gewisser Nachdruck zu spüren. Der Kleidung, die Ulfaran, Tsamitrius und Rondrard hier abgelegt hatten, schien man keine Bedeutung beizumessen: “Ei tarvit” (Nicht brauchen) hieß es nur, wieder begleitet von Gelächter, als die Menschen weiter gezogen und gedrängt wurden.

Noch immer in gelassener Stimmung ließ der Hexer sich treiben und fasste Rondrard am Ellenbogen. “Wie es scheint, fängt jetzt der interessante Teil an. Möge die große Mutter mit dir sein, Rondrard” Er zwinkerte ihm zu. Dann nickte er dem Druiden zu.

Rondrard war noch recht benommen von den Eindrücken seiner Vision in der Schwitzhöhle und ließ sich daher widerstandlos mittreiben. “Und mit Dir!” gab er Tsamitrius zurück, zu einem Zwinkern oder einer akzentuierten Geste war er noch nicht imstande.

Ulfaran trauerte seiner Kutte nach, seinem einzigen, wertvollen Besitz. Doch er musste sich wohl oder übel davon trennen und ließ sich von den Goblins treiben.

Die Rotpelze konnten es offensichtlich nicht mehr erwarten, endlich zum Taati Mulla zu kommen. Teils im Laufschritt eilten die Goblins, und die heute durch das Schicksal zusammengeführten Gefährten stolperten mit ihnen zurück in die große Höhle, die sie bereits bei ihrer Ankunft kurz gesehen hatten.
Dort hatten sich inzwischen noch mehr der Goblins versammelt, doch noch immer nur deren Männer. Das Trommeln war geendet, und auch getanzt wurde nicht mehr, statt dessen herschte rege Betriebsamkeit.
Eifrig waren die Jäger des Stammes dabei, sich im Schein des hoch aufprasselnden Feuers und unter den nahezu lebendig anmutenden Bildern so vieler Tiere des Waldes an den Wänden gegenseitig mit grüner Farbe, die sie in kleinen Holzschälchen angerührt hatten, im Gesicht, auf der Brust und dem Gemächt mit Streifen zu bemalen. Die, die fertig waren, halfen entweder, ihre Gefährten zu schmücken, oder streiften sich Tierschädel oder -kopffelle, die mit Lederbändern versehen waren, über den Kopf. Unter den Trophäen waren stattliche Hirschgeweihe, Wildschweinfelle (diese kombiniert mit dem als Kinnschmuck aufgezogenen hauerbewehrten Unterkiefer), Fuchs- und Rehschädel, aber teils auch nur die Knochenkalotten einfacher Kaninchen- oder Eichhörnchen.
Vier halbstarke Jung-Goblins, die vorher noch feixend die Menschen begafft hatten, hatten sich offensichtlich zu einer Mutprobe verstiegen. Jedenfalls näherten sie sich vorsichtig den drei Fremden; der vorderste hielt diesen aus sicherer Entfernung eines der Holzschälchen entgegen, was die anderen zu einem keckernden Lachen veranlasste. Ein zweiter winkte mit Dachsschädel und -fell.

Tsamitrius zögerte nicht lange und nahm die Schale und reichte sie Rondrard. “Habt ihr auch einen Ziegenbock da?”, fragte er und machte dabei Handzeichen, die die Hörner solches nach empfanden. “Brauchst du Hilfe?” und steckte seinen Finger in die Farbe.

“Pukki?” übersetzte Rondrard für Tsamitrius. Die Goblins wechselten Blicke und einige schnelle Worte untereinander, dann machte sich einer davon. Der junge Tannenfelser sah sich derweil die Muster der Goblins an. “Beim Gesicht wäre Hilfe nicht schlecht. Den Rest krieg ich wohl selber hin. Und Du?” fragte er zurück. Der junge Ritter brachte inzwischen sogar wieder ein Grinsen zuwege, trotz der beiden Gedankenkreisel, die noch immer sein Inneres aufwühlten - die Vision des Jägers und seine Sorge, wie wohl das hoffentlich nahende Wiedersehen mit den Frauen, vor allem Befinna, verlaufen würde. Die nachlassende, aber noch immer vorhandene Wirkung der Dämpfe in der Schwitzhöhle tat nach wie vor ihr übriges.

Der Hexer zögerte nicht lange und bemalte das Gesicht des Tannenfelsers. Danach kümmerte er sich voll und ganz seiner eigenen Bemalung, schminkte das Gesicht dunkel, so dass seine Augen ein eigenes leuchten bekammen. Den Rest seines Körpers ließ er nackt, denn es gab vor der Mutter nichts zu verbergen.

Rondrard zierten bereits Streifen grünen Ockers im Gesicht, auf der Brust und den Oberarmen. Aber eine Stelle fehlte noch, wenn er es den Suulak gleich tun wollte. Als er sich daran machte, auch sein Gemächt zu bemalen, überkam ihn jedoch der sich unwillkürlich einstellenden Erregung jäh auch die zuletzt gänzlich vergessene Scham: jedem und jeder hier und heute auf diesem Fruchtbarkeitsfest der Goblins würde er so gegenübertreten, wie die große Mutter ihn gemacht hatte, aber was war mit Befinna? Was bliebe in ihren Augen von dem Ritter ihrer Träume und Phantasien, von dem sie Ringard immer vorgeschwärmt hatte (wie ihm indiskret zugetragen worden war), und der er selbst so gerne wäre? … Nein, das ging nicht…
“Pää Peura, pää takana?” fragte er einen der immer noch gaffenden und sich belustigenden jungen Goblins. Der schaute nur etwas merkwürdig und hielt zwei Finger nach oben. “Käksi pää?” Rondrard nickte. “Kääksi pää!”

Inzwischen war der erste tatsächlich mit dem Schädel samt Gehörn eines stattlichen Ziegenbockes zurückgekehrt. Obendrein hatte er noch Lederbändchen dabei, wie sie die Goblins zum Befestigen der knöchernen Kopfzierden verwendeten. An einem davon baumelte sogar noch der Bart eines Bockes. Kurz darauf nahte auch der zweite junge Suulak, mit zwei Schädeln, dem eines Hirsches mit einem prächtigen, zehnendigen Geweih, und dem einer Hirschkuh. Zunächst mit unverhohlener Neugier, dann mit Feixen und Gelächter wurde verfolgt, wie Rondrard den Schädel der Hündin zu einer Schamkapsel unfunktionierte, um sich dann das Haupt mit dem Geweih zu bewehren. Deutlich errötet kreuzte sein Blick den Tsamitrius’. Dieser lachte nur und befestigte den Tierschädel auf den Kopf. Ja, so war er Tsatuara gefällig.

“Gib den Hirschkopf her”, verlangte Ulfaran knapp. Die Vision zeigte ihm, welchen Kopfschmuck er zu wählen hatte.

“Den hab ich schon.” war Rondrard nicht bereit, den Schädel mit dem Geweih herzugeben. “Vielleicht haben sie noch weitere. Peura heißt Hirsch auf Goblinisch.” ließ er den Druiden wissen.

Ulfaran funkelte finster. “Peura”, ahmte er nach. “Peura.”

Angesichts des furchterregenden Blickes des Fremden bekam es der junge Goblin, der Rondrard sein Geweih gebracht hatte, mit der Angst zu tun. Auch das Feixen der anderen war weit verhaltener als eben noch, als die ersten Schmuckstücke herbeigeschafft wurden.

“Du solltest Dir mehr Freundlichkeit angewöhnen. Wenn schon nicht den Menschen gegenüber, so doch deinen Gastgebern.” Kein Wunder, dass nur noch Käfer mit diesem Kerl leben wollten. Was Befinna nur an diesem fand? wunderte sich Rondrard.

Immer noch eingeschüchtert brachte der Suulak tatsächlich noch ein weiteres Geweih mit, dass sogar noch ein Ende mehr hatte, aber auch deutlich mitgenommener aussah als das erste. Vorsichtig legte er es zwei Schritt weit von Ulfaran auf den Boden und zog sich eilig zurück.

“Bluugsuul” rief Rondrard diesem zum Dank hinterher.

Wie das Geweih aussah, in welchem Zustand es war - das war Ulfaran egal. Die Schöpfung Sumus war in jedem Zustand, ob frisch und neu geboren, halb oder vollständig verwest, wunderschön. “Danke”, brummte Ulfaran und bückte sich nach dem Geweih.

Rondrard nickte. Er wusste nicht so recht, ob er das Dankeswort Ulfarans als erstes Anzeichen von Umgansformen anerkennen, sich darüber belustigen, wie gut dieses Geweih zu diesem passte, oder doch darüber ärgern sollte, dass sich der Druide ausgerechnet sein Wappentier als Schmuck für das Taati Mulla auserkoren hatte. Das Zeichen derer von Tannenfels. Das Zeichen Kurims, des Jägers. “Warum soll es ausgerechnet auch der Hirsch sein?” wollte er wissen.

Ulfaran blickte ihn an und wollte den Ritter schon einfach ignorieren, entschied sich dann aber, ihm dasjenige zu sagen, was er verdient hatte. “Weil der Sohn der großen Mutter zu mir sprach.”

Rondrard stutzte. “Der Jäger hat also auch zu Dir gesprochen?” Er brannte jetzt vor Neugier. “Was hat er gesagt?”

Der Druide grollte. Er hatte also zu viel Preis gegeben und jetzt konnte er nicht mehr zurück. Zerknirscht konstatierte er: “Wir sprachen über meinen Weg, den Leib der Mutter Sumu zu schützen.”

Rondrard spürte die Zerknirschung - ob es dem Druiden ebenso ergangen war wie ihm? Mit was hatte ihn der Jäger konfrontiert? "Und? Was hat er dir mit auf den Weg gegeben?"

“Warum willst du das wissen, Ritter?”, gab der Druide patzig zurück. Langsam aber sicher wurde er ihm zu zudringlich. Er musste den Mann spüren lassen, dass er nicht zu seinem Rudel gehörte.

“Weil er auch zu mir gesprochen hat.” gab Rondrard noch einmal zu, was er bereits offenbart hatte. “Und weil das, was er uns zu sagen hatte, vielleicht wichtig ist… Sume.”

Hm, brummte der Sume. Dieses Argument ist schlüssig. “Er mahnte mich, die Kinder Sumus nicht zu verstoßen, weil sie der Mutter fremd geworden sind. Der große Jäger will, dass ich im Rudel jage, doch wo ist das Rudel, das nicht die Mutter, sondern ihre Feinde jagt?”

Rondrard sah den Druiden überrascht an - wegen dessen Aufrichtigkeit und wegen der Worte des Jägers. “Wenn Du das nicht siehst, bist Du blind. Das Rudel ist um Dich. Hier. Jeder einzelne hier glaubt an die große Mutter und würde für sie gegen ihre Feinde einstehen.” Der inzwischen selbst hirschhäuptige junge Ritter wog kurz ab, ob und was er preisgeben sollte. “Mir hat der Jäger aufgetragen, mich ihnen zu stellen.”

Ulfaran sah dem Ritter skeptisch entgegen. Zuerst zögerte er, doch der Weg war richtig. Der große Jäger hatte Recht - er war schließlich der Bote der Mutter. “Dann tu es. Die große Mutter hat viele Feinde auf diesem Boden. Der Wald ist in Gefahr. Das, was ihr und euresgleichen Zivilisation nennt, raubt den Lebensraum für Sumus Kinder. Wenn du mit mir jagen willst, dann musst du deine Loyalität der Mutter gegenüber unter Beweis stellen. Du wirst dich deinesgleichen in Stahl und Rüstung, mit Hacken und Axt, mit Pflug und Dresche entgegenstellen müssen. Wenn du dazu bereit bist, dann werde ich mit dir jagen. Befinna vertraut dir. Sie ist die zukünftige Herrin dieser Lande. Wenn du dich entschließen würdest, der Welt der Zerstörung abzuschwören, dann wird sie es auch tun. Gemeinsam könnten wir eine Insel des Schutzes für Sumus Kinder bieten. Willst du das?” Der Druide redete sich in Rage. Auch der Stechapfel und die Vision taten ihres dazu, ihn vom Bande zu lassen. Er legte alle seine Karten auf den Tisch. Jetzt galt es, volles Risiko zu gehen.

Rondrard gefiel, dass sich der Druide endlich das eisige Visier seiner Schweigsamkeit und Wortkargheit vom Gesicht gerissen hatte, als Mensch sichtbar für ihn wurde. Ulfarans Beweggründe waren keine schlechten, aber ihm fehlte in seiner Liebe und Verehrung der Natur die Menschlichkeit, der Zugang zu seinem eigentlichen Rudel. Hatte ihn die große Mutter deswegen hierher geführt? Ihm sein Rudel zu zeigen?
“Nicht alle, die Du ‘meinesgleichen’ nennst, sind gleich. Du hast Recht damit, dass einigen diese Wälder hier, die Schöpfung der großen Mutter tatsächlich gleichgültig sind in ihrem Streben, ja, ihrer Gier nach dem kurzfristigen Profit. Andere aber zerstören unwillentlich, aus reiner Not heraus, weil sie glauben, es bliebe ihnen nichts anderes übrig, wenn sie überleben wollen. Gerade hier aber leben noch viele, die der großen Mutter im Herzen treu sind und im Einklang mit dieser leben wollen, die die Natur achten und ehren, das, was sie zum Leben brauchen, mit Dank auf den Lippen nehmen und den Rest erhalten und schützen wollen. Wenn Du, Befinna und ich das alles hier retten und bewahren wollen, können wir nicht blindwütig alle zu unseren Feinden erklären. Wir müssen die wahren Feinde von den Unschuldigen und den nur von Not gedrungenen scheiden - den Feinden entschieden entgegentreten und die anderen zu einem Teil unseres Rudels werden lassen.”

Ulfaran nickte - offensichtlich unterschätzte ihn der Ritter. “Rondrard, Sume heißt Hirte. Nichts anderes bin ich. Hirten leiten Schafe; manche davon sind klug, manche blind. Die einen bleiben freiwillig bei der Herde, die anderen brauchen Anleitung, um nicht über die Klippe zu laufen. Bei den Menschen ist das nicht anders. Jeder einzelne will überleben - und auch der Wolf reißt das Schaf, weil er überleben muss. Doch eine Schafherde hat auch einen Leitwidder und es ist die Verantwortung des Leitwidders, seine Herde zu beschützen, wenn der Hirte nicht zugegen ist. Du bist ein Ritter. Bei den Menschen, die die Stadt dem Wald vorziehen, seid ihr Leitwidder. Wenn eure Schafe den Wald zerstören müssen, um zu leben, dann habt ihr nicht gut auf sie aufgepasst. Wenn sie hungern, dann müsst ihr ihnen geben. Wenn sie Schutz vor anderen Menschen brauchen, dann brauchen sie euer Schwert. Wenn sie Hilfe brauchen, um die Gnade der Mutter zu sehen, dann brauchen sie euer - und mein - Vorbild. Wir müssen uns vor die Menschen stellen und zur großen Mutter stehen, dann werden sie die Axt weglegen.”

Nachdenklich hörte Rondrard dem Druiden zu, dabei nickte er immer wieder. Als Ulfaran geendet hatte, trat ein Lächeln auf die Lippen des Ritters: “Mit jedem Deiner Worte hast Du Recht Ulfaran, genau das sind unsere Aufgaben.” Im Grundsatz waren sie eines Herzens. Ob die Einigkeit auch in den schnöden Details des Lebens und Wirtschaftens bestand hielte, wollte er in diesem Moment nicht allzu genau hinterfragen, dennoch schob er hinterher: “Nur denke ich, dass wir Menschen uns dem Wald nicht fern halten müssen. Wir müssen ihn nur respektieren und so nutzen, dass er bewahrt bleibt, und nicht gierig mehr nehmen, als er uns zu geben bereit ist, sondern der großen Mutter für ihre Geschenke Dank und Ehre erweisen.”


Siunai Mailam Rekdai

Taati Mulla


Vorlage eingerückt






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