LH4-Für Rahja

4. Akt: Für Rahja – Beziehungskisten

(13. Travia 1045 BF, vormittags/mittags)

  • Für alle, die nicht auf die Jagd gehen, beginnt der zweite Tag mit einem Frühstück und anschließenden Aktivitäten im Dorf.
  • Der Vormittag endet mit einem Traum von Meta

Ein Kapitel der Lützeltaler Hochzeit


Das Dorf macht sich bereit

Es war grau im Lützeltal. Zwar hatte sich der Nebel verzogen, der die letzten Nächte den Bach hinuntergekrochen kam, doch die Wolkendecke über dem Tal war dicht und hing tief. Es hatte bereits die halbe Nacht geregnet, und es sah nicht danach aus, dass sich dies in den nächsten Stunden ändern könnte.

Frühstück

Früher Lärm und späteres Frühstück im Forsthaus

(Gwenn, Merle, Liana, Lucilla, Lûthardt, Praitrud und Luzia Häsler)

Schon früh am Morgen – nein, eigentlich war es noch Nacht - hörten die Gäste, die nicht mit auf die Jagd gingen das Poltern und Hantieren im Erdgeschoss der Jagdhütte. Die Häslers und die beiden Firunis bereiteten alles Notwendige für die Jagdgesellschaft vor. Während sich Leodegar und Wulfhelm um die Hunde und die Jagdwaffen kümmerten, bereiteten Praitrud und Luzia ein frühes Mahl sowie kleine Vesperpakete für die Jagdgesellschaft. Firumar richtete prüfte noch einmal alles, was von den beiden Jägern gerichtet worden war, und Mika ging noch einmal alle Punkte des Zeremoniellen Teils durch, wie es ihr von Firumar aufgetragen und beigebracht worden war.

Nivard von Tannenfels wurde durch die Arbeiten schon bald geweckt, und es fühlte sich an, als hätte er sich gerade erst hingelegt.

Zwar wurden auch einige jener Gäste kurz wach, die nicht mit auf die Jagd wollten, doch da sich die Geschäftigkeit nur im unteren Stockwerk und vor der Hütte abspielte, konnten sie sich wieder umdrehen und weiterschlafen. Zu diesen zählte auch Gwenn von Weissenquell, die Hofdame, die tagsdrauf den Traviabund eingehen wollte, und die sich die Kammer mit ihrer Schwester Mika, der Firunnovizin geteilt hatte.

Nachdem die Jagdgesellschaft aufgebrochen war, richteten Praitrud und Luzia für die zurück gebliebenen Gäste ein Frühstück im großen Saal der Jagdhütte, in dem in der Nacht eine kleine Gruppe sich noch lange am Kamin unterhalten hatte. Bald schon durchströmte eine Duft, von Gemüseeintopf, frischem aufgebackenem Brot, gebratenem Speck und Kräutertee die Jagdhütte und weckte schließlich auch die Langschläfer, die nach und nach aus ihren Schlafkammern zum Frühstück hinaus kamen.

Praitrud und Luzia waren schon eine Weile mit dem Vorbereiten des Frühstücks zugange, als Merle mit müdem Blick, aber bereits vollständig angezogen etwa zur Phexstunde die Küche betrat. "Einen guten Morgen!" grüßte sie herzlich. "Ist die Jagdgesellschaft gut losgekommen?"

Luzia blickte sich zu Merle um. “Oh, hohe Dame, Ihr seid schon auf? Ja, die Leute sind schon los. Hoffen wir, dass alles gut geht und niemand verletzt wird. Schade, dass Euer Gatte nicht mitgehen konnte. Es wäre beruhigend, einen Heiler dabei zu wissen, falls sich doch jemand verletzt.”

“Guten Morgen, Frau Merle”, grüßte auch Praitrud, während sie Speckscheiben in der Pfanne wendete. “Mögt Ihr schon etwas essen? Euer Schwiegervater hat nach Euch gesucht. Man hatte sich gewundert, dass Ihr nicht zurückgekehrt seid.” Ihre Stimme klang sachlich, aber nicht vorwurfsvoll. “Bernhelm hatte die Leute aus dem Dorf hierher begleitet und ich habe ihn dann zurückgeschickt, dass es euch und der Elfe gut geht, ihr aber hier geblieben seid, weil es so spät wurde. Dass sich im Gutshaus keiner Sorgen macht.”

Merle nickte erleichtert. “Das ist gut. Ich hatte schon befürchtet, dass es eine Riesen-Aufregung gibt, wo wir stecken.” Sie betrachtete für einen Moment interessiert die brutzelnden Speckscheiben. “Praitrud, kannst du mir ein paar belegte Brote fertig machen? Ich will gleich los zum Gutshaus; Liudbirg vermisst mich bestimmt schon.”

“Ja, sehr gerne. Wollt Ihr, bis ich die Brote geschmiert habe, noch einen Becher Tee?”

"Ach ja, bitte", nickte Merle lächelnd. "Wartet, ich nehm' mir den Tee schon selber…" Ihr Blick fiel auf die Kräutersäckchen, die Gwenn gestern Nacht in die Küche gebracht hatte. "Sagt mal, in welchem dieser Tees ist Baldrian mit drin?"

“Der Baldriantee? Wollt Ihr davon eine Tasse?” Praitrud nahm nacheinander zwei der Beutel und schaute hinein. Beim zweiten Beutel hatte sie Erfolg. Sie warf den Beutel zu Merle. Als Merle den Beutel untersuchte, stellte sie fest, dass es der Tee war, den sie am Abend für roten Fingerhut hielt.

"Oje, bloß nicht!" Merle schüttelte energisch den Kopf und schnürte das Säckchen fest zu. "Wir haben gestern Abend nämlich rausgefunden, dass Baldrian - oder auch Katzenkraut, nicht wahr? - nicht, ähm... gut für Elfen ist. Schon der Geruch von dem Kraut." Nachdenklich schaute sie sich in der Küche um und nahm von der Herdstelle ein Stück Kohle zur Hand. Sie vermutete, dass Praitrud und Luzia nicht lesen und schreiben konnten und sie selbst zählte dies auch nicht zu ihren Stärken. "Hm, ich zeichne mal das Gesicht einer Katze auf das Säckchen, als Warnung, oder was meint ihr? Und dann packen wir den Beutel lieber schnell außer Sichtweite, was?"

„Nicht gut für Elfen?“ fragte Luzia besorgt nach. „Hat die Baronin davon getrunken? Oh weh, sie ist doch wohl nicht vergiftet?“ Die junge Frau wollte sich umdrehen und loslaufen, um nach Liana zu sehen, da öffnete sich die Tür zur Küche und die Baronin von Rodaschquell trat ebenfalls in den Raum.

“Ich wünsche einen angenehmen Morgen”, sagte sie leise.

Der Geruch des gebratenen Specks stieg ihr in die Nase, und sie musste kurz innehalten.

Sie war generell nicht bekannt dafür, viel zu sich zu nehmen. Und gleich nach dem Erwachen zu essen konnte sie schon gar nicht.

Aber heißes, mit Kräutern versetztes Wasser würde sie gerne nehmen.

„Eure Hochgeboren, geht es Euch gut?“ fragte Luzia ganz aufgeregt. „Frau Merle sagte, euch sei gestern ein Tee nicht gut bekommen.“

"Guten Morgen, Euer Hochgeboren", grüßte Merle freundlich lächelnd und neigte den Kopf vor der Baronin. Dann legte sie besänftigend den Arm auf Luzias Oberarm. "Keine Sorge, Luzia, es ist alles in Ordnung. Wir hatten es gemerkt, bevor jemand den Tee aufgebrüht hat." Merle nahm an, dass Liana nicht unbedingt länger und ausführlicher als nötig über den Vorfall sprechen mochte. "Und jetzt haben wir den Baldrian ja weggepackt", sagte sie mit einem beruhigenden Seitenblick zu der Elfe. "Hochgeboren, habt Ihr gut geschlafen?"

Liana strahlte. “Ja, das habe ich. Herr Nivard ist ein Kavalier. Und den … besagten Tee … habe ich zum Glück gar nicht erst getrunken. Von daher kann ich auch diese Frage bejahen: Es geht mir gut. Allerdings sollte das Beutelchen mit dem Katzenkraut  … möglichst weit weg von mir verstaut werden.” Sie sagte den letzten Satz durchaus mit einer leicht neckischen Note. Wenn man bedachte, wie sehr dieses - aus Menschensicht - einfache Kraut die Elfe gestern aufgewühlt hatte, so schienen ihre Leichtigkeit und ihre Offenheit gleichermaßen entwaffnend wie auch erstaunlich.

“Mutter”, fragte Luzia, “vielleicht sollten wir den Baldriantee dann doch lieber in einem Tontopf verstauen?”

"Sehr gute Idee!" nickte Merle dazu. "Aber macht es später; wir wollen das Beutelchen jetzt lieber nicht wieder rausholen." Sie goss einen Becher Kräutertee ein und hielt ihn Liana anbietend hin. "Mögt Ihr? Garantiert ohne Katzenkraut." Auf Lianas neckischen Tonfall hin konnte sie sich ein schelmisches Zwinkern nicht verkneifen. Ihr gefiel die leichtherzige Herangehensweise der Elfe, offenbar auch einem so gefährlichen Vorfall mit Humor zu begegnen. Und wenn sie erst einmal Vertrauen zu jemandem gefasst hatte, ließ Merle mehr und mehr ihre eigene Lebensfreude an die Oberfläche. "Und ja, ein wahrer Kavalier, der Herr Nivard", stimmte sie breit lächelnd zu und nahm sich selbst einen Becher Tee. "Ich finde es irgendwie beruhigend und tröstlich, dass es noch so grundgute und aufrichtige Recken gibt wie ihn." Aus ihren strahlenden Augen sprach ehrliche Bewunderung. "Trotz allem Übel auf dem Dererund gibt einem das Hoffnung, was?"

Mit einem Nicken nahm Liana den Becher entgegen und nippte daran.

“Habt Dank, das ist sehr freundlich von Euch.”

Merles offenkundige Wertschätzung gegenüber Nivard wirkte auf Liana fast so, als sei mehr dahinter als lediglich die Freundlichkeit, für eine Nacht auf ein Zimmer zu verzichten.

“Ihr scheint Herrn Nivard gut zu kennen? Ich hoffe, er hatte ebenfalls eine ruhige Nacht, auch wenn er so galant das Zimmer an mich abgetreten hat. Nach dem Wirbel gestern, den ich unfreiwillig verursacht habe, hoffe ich doch sehr, dass die Nacht erholsam verlief. ” Sie sagte es heiter. Die folgenden Worte indes wirkten ernster, bedachter. Ihre tiefen, blauvioletten Augen funkelten geheimnisvoll, aber freundlich.

“Und Ihr? Habt auch Ihr eine angenehme Nacht verbracht?”

Merle lächelte. "Den Herrn Nivard habe ich tatsächlich erst gestern kennengelernt! Er war so lieb zu meiner kleinen Tochter und wir haben uns gut unterhalten. Und er hat mir Ratschläge und aufmunternde Worte gegeben, die mir wirklich sehr geholfen haben." Merle geleitete Liana in den Saal, so dass Praitrud und Luzia nicht mithören konnten. Nachdenklich schaute sie der schönen Elfe in die faszinierenden violetten Augen. Sie hatte den Eindruck, sich gegenüber Liana nicht verstellen zu müssen - ein Gefühl, das sie selten bei anderen Menschen hatte, so dass sie dieser nach einem Moment des Schweigens mit einem traurigen Lächeln zunickte. "Ja, meine Nacht war auch angenehm. Ich habe Doratrava sehr lieb. Aber... es tut mir sehr leid, dass ich ihr nicht geben kann... oder geben will, was sie sich wirklich wünscht."

Ein bedächtiges Nicken war Lianas erste Antwort. Und bevor sie etwas sagte, verging einige Zeit. Stattdessen sah sie Merle eine Weile einfach nur an - voller Güte, Verständnis und offenem Interesse.

“Ich denke, es ist schmerzhaft für sie, und das bedauern wir beide gleichermaßen. Doch denke ich auch, dass wenn ihr wirklich mehr an Euch liegt als nur das Flattern im Herzen, das junge Verliebte spüren, dann wird sie es verstehen. Zumal sie ja nun weiß, woran sie ist.” Liana zweifelte offenbar nicht im Mindesten daran, dass Merle mit Doratrava bereits darüber gesprochen hatte.

“Und wenn es die Liebe des Schmetterlings ist - frisch, schnell, und ohne das Wissen um Tiefe oder von dem Wunsch danach beseelt -, wird sie vermutlich schnell darüber hinwegkommen und jemand anderen finden, dem sie die Freude ihrer Zuneigung schenken kann.”

Sie neigte sich etwas vor.

“Möglicherweise wäre der Wunsch nach mehr gekommen, wenn es die Liebe des Schmetterlings war. Insofern denke ich, dass es gut war, diese Dinge gleich zu Beginn ins rechte Licht zu setzen, auf dass es später nicht umso schwerer würde.”

Merle lächelte Liana mit offenem, warmen Blick an. Sie fühlte sich verstanden und ernst genommen - und das von einer Baronin, während sie sonst von den meisten Adligen ihrer Umgebung bestenfalls ignoriert oder geduldet wurde. Nein, sie hatte wirklich das Gefühl, dass sich Liana für das interessierte, was sie, Merle, zu sagen hatte - und in ihr nicht nur ein dummes, ungebildetes Waisenmädchen sah, dem man keine eigene Meinung zutraute. “Die Liebe eines Schmetterlings”, wiederholte sie wispernd. “Das klingt wunderschön, wie Ihr das sagt. Aber… sind Schmetterlinge nicht auch zart und zerbrechlich?” Nachdenklich nippte sie an ihrem Tee. “Ich hoffe so sehr, dass ich mit Doratrava befreundet sein kann, ohne ihr wieder und wieder wehzutun.” Merle schwieg eine Weile, nahm noch einen Schluck aus ihrem Becher und schaute Liana fragend an. “Ihr musstet gestern auch… stark sein, oder?”

“Ich fürchte, ich war nicht stark genug. Ich hätte nicht zulassen sollen, dass die Essenzen mich so benebeln. Glücklicherweise ist es dann doch noch rechtzeitig gelungen, die Auswirkungen einzudämmen, bevor ich mich voll und ganz … hätte hineinfallen lassen.”

Sie lehnte sich wieder etwas zurück und blickte scheinbar gedankenverloren zur Decke.

“Was die Schmetterlinge anbelangt: Ja, das habt Ihr richtig erkannt. Man muss sehr .. behutsam sein, wenn sie bleiben. Und wenn sie weiterfliegen, finden sie meist schnell eine neue Blume. Solange sie ihr und Euch Kraft gibt, ist der Freundschaft keine Grenze gesetzt. Wenn Ihr jedoch Grenzen setzen möchtet, weil Ihr ihr nicht geben könnt, wonach es sie verlangt … “ -  sie blickte Merle wieder intensiv an -  "dann ist es an Euch, zu erwägen, wo genau Ihr diese Grenze setzt. Und an ihr, zu entscheiden, ob ihr dieser Nektar noch genügt, oder ob sie weiterfliegen möchte.”

Beschwichtigend schüttelte Merle den Kopf. "Macht Euch keine Gedanken mehr darüber! Ihr wart stark genug, um dem Kraut zu widerstehen - das finde ich sehr bewundernswert! Und selbst, wenn Ihr die Auswirkungen nicht hättet abwehren können, wäre es nicht Eure Schuld gewesen. Auch dann wär’ das Dererund nicht untergegangen… und vermutlich hätte sich niemand groß beschwert. Ich jedenfalls nicht."

Liana schenkte ihr ein charmantes, leicht verlegenes Lächeln.

Sie zuckte mit einem leichten, ironischen Zwinkern mit den Schultern, wurde dann aber wieder ernst. "Aber ja, ich finde es schwer zu entscheiden, wo genau ich die Grenze setzen soll... Vor allem, wenn es verlockend ist, sich einfach... hineinfallen zu lassen." Mit einem Zug leerte sie ihren Becher und straffte sich sichtlich. "Euer Hochgeboren, ich bin Euch sehr dankbar für dieses Gespräch und Eure offenen, freundlichen Worte. Dennoch muss ich nun ins Dorf aufbrechen, da ich fürchte, dass meine Tochter mich schon sehr vermisst." Fragend schaute sie Liana in die tiefen, blauvioletten Augen. "Wenn Ihr ebenfalls gleich zurückkehren mögt, würde ich mich freuen, mit Euch zu gehen. Aber vielleicht möchtet Ihr lieber noch etwas hier die Morgenruhe genießen und mit Gwenn und den anderen Gästen frühstücken?"

Es schien noch immer zu wirbeln in der jungen Frau - das zumindest war der Eindruck, den Liana hatte. Und das war kaum verwunderlich. Merle brauchte nun etwas Zeit, um über vieles nachzudenken. Und es war niemals Lianas Art, sich aufzudrängen.

“Geht nur und schaut nach Eurer Tochter. Vielleicht hilft Euch der Morgen, Eure Gedanken zu sammeln. Und wenn Euch nochmals danach ist, darüber zu sprechen, so will ich Euch gerne zuhören.”

"Habt vielmals Dank!" Merle strahlte Liana voller Wärme an. "Ich... ich bin glücklich, dass ich Euch kennenlernen durfte. Sehr glücklich!" Nun wieder ein wenig scheu strich sie sich eine Strähne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte, aus dem Gesicht. "Und ja... vielleicht können wir tatsächlich noch einmal sprechen im Laufe des Festes..." Sie neigte noch einmal lächelnd das Haupt vor der Baronin, dann ging sie in die Küche, um ihren Teebecher zurückzubringen und dankbar die belegten Brote abzuholen, die Praitrud so liebevoll für sie vorbereitet hatte. Mit über den Kopf gezogener Kapuze machte sie sich schnellen Schrittes auf den Weg zurück zum Gutshof.

~*~

Die junge Erbvögtin von Galebquell und ihr nur wenige Jahre älterer, sie begleitende Ritter, kamen spät zum Frühstück ins Erdgeschoss hinab. Die Galebfurtenerin hatte sich aber anscheinend bereits die Zeit genommen sich die Haare zu frisieren. Ihr kastanienbraunes und hüftlanges Haar war kunstvoll hochgesteckt und unter einem Perlennetz drapiert.

Lucillas Gewandung hingegen war schlicht und bestand aus einem lindgrünen, bodenlangen Kleid, zu dem sie einen breiten Gürtel trug, der ihre schlanke Taille betonte. Schmuck hatte sie nicht angelegt.

Ihr Begleiter, der großgewachsene Rittersmann, welcher aus dem gleichen Hause stammte wie die Junkerin, trug wie am Vortag den Wappenrock in den Farben gelb und blau mit den springenden, sich zugewandten Forellen über dem Herzen, dem Wappen derer von Galebfurten. Eines jedoch war anders an diesem Morgen. Die sonst so stoische Miene Lûthardts, denn auf diesen Namen hörte der junge Ritter, schien abhandengekommen. Ja, ein aufmerksamer Beobachter hätte meinen können, dass er sogar ein wenig ‘genervt’ sei.

“Gestatten die Euer Hochgeboren, dass wir uns zu Euch setzen?”, fragte Lucilla von Galebfurten mit ihrer glockenhellen Stimme und einem gewinnenden Lächeln, als sie mit Lûthardt im Schlepptau an den Tisch der Adligen trat.

Noch nach den Galebfurtnern kam Gwenn die Treppe hinuntergelaufen. Nachdem Mika schon lange vor dem Morgengrauen aufgestanden war und das Zimmer verlassen hatte, war Gwenn noch einmal tief eingeschlafen und hatte sich nun richtig ausschlafen können. Entsprechend gut gelaunt betrat sie den Frühstücksraum. “Guten Morgen allerseits! Ich hoffe, alle haben genauso gut geschlafen.” Sie suchte sich einen freien Platz und setzte sich. “Was gibt es zum Frühstück? Das riecht ja lecker hier.”

Die Rodaschquellerin war erst vor einigen Minuten an den Tisch zurückgekehrt von ihrer kurzen Unterredung mit Merle.

“Bitte, nehmt doch gerne Platz”, sagte sie und blickte freundlich die Neuankömmlinge an.

„Vielen Dank, sehr gerne!“ Gwenn ließ sich auf einen der Stühle niedergleiten. „Habt ihr Euch von den gestrigen Strapazen erholt?“ fragte Gwenn nicht ohne ein leichtes Zwinkern. „Es war ja noch später geworden als gedacht.“

Die Elfe beantwortete die Frage nicht gleich mit Worten, sondern allein mit ihrem Blick, den man für ihre Verhältnisse schon fast schalkhaft nennen konnte. Ihre Augen funkelten amüsiert, und ein strahlendes, leicht herausforderndes Lächeln huschte über ihre schönen Züge.

“Eine Strapaze war das weniger. Eher … eine Herausforderung.”

Ihr Lächeln wurde noch breiter.

“Und … dieselbe Frage sollte ich wohl gleichermaßen all jenen stellen, denen ich … ebenfalls … Strapazen …  verursacht haben mag.”

Zum Glück war das ganze gut ausgegangen. Sie wollte sich die Konsequenzen nicht ausmalen, hätte sie ihren Zauber tatsächlich zum Ende geführt.

Auch die Galebfurtener setzten sich derart eingeladen und nickten der Elfenbaronin freundlich zu, wobei der Rittersmann abwarte, bis sich die Junkerin niedergelassen hatte, bevor er es ihr gleich tat. Beide schienen einen gesunden Appetit zu haben, denn sie griffen beherzt zu. Lucilla ließ sich zum Frühstück einen starken Kräutertee bringen, Lûthardt wählte warme Milch mit Honig.

Die dezente Unruhe des Galebfurtener Ritters entging auch dem feinen Gespür der Elfe kaum.

“Ich hoffe, dass Ihr eine angenehme Nacht verbracht habt”, sagte sie mit abwechselndem Blick auf die drei Neuankömmlinge, wobei ihr Blick einen Moment länger auf Lûthardt ruhte.

“Wir haben ja durchaus einige Unruhe im Erdgeschoss verbreitet.”

"Ach, ihr wart das”, antwortete die junge Adlige mit einem Lächeln, dass keinerlei Unmut über die nächtliche Störung zeigte. “Gab es dafür einen Grund? Und lasst euch nicht von dem griesgrämigen Gesicht meines tugendhaften Begleiters den Appetit verderben. Er ist nur etwas… angesäuert, weil er mir bei meinen Haaren helfen durfte. Geduld ist auch eine Tugend.”

Der Rittersmann ließ sich zu einem leichten Seufzen hinreißen, sagte aber nichts, sondern konzentrierte sich weiterhin auf das von ihm scheinbar lang herbeigesehnte Frühstück.

Gwenn kaute genüsslich auf einer Scheibe Brot mit Fruchtaufstrich. „Eigentlich war die Unruhe gestern Nacht meine Schuld. Ich war nicht mit auf der Wanderung und hatte noch keine Lust auf die Bettruhe, da habe ich einen Teil der Wandergesellschaft noch zu einem Plausch am Kamin verführt.“ Dass sie eigentlich gehofft hatte, jemanden aus der Runde zu etwas ganz anderem zu verführen, verschwieg die angehende Braut beflissentlich. „Wir haben dann noch einen Tee gekocht, und dabei ist mir ein kleines Missgeschick passiert. Jedenfalls wurde es so spät, dass die Gäste aus dem Dorf nicht mehr zurückkehren konnten, und deshalb mussten wir spontan die Nachtlager etwas umorganisieren.“

“Etwas, das Ihr gleichermaßen spontan wie gekonnt gelöst habt”, warf Liana ein.

“Der plötzliche starke Regen hat so manch’ nächtlichen Wanderer und so manche Wanderin eingeladen, länger im Forsthaus zu bleiben. Es wurde dadurch natürlich etwas voller.”

Sie schaut einen Moment erneut den missmutigen Ritter an, dann die Galebfurtnerin.

“Wenn Ihr vor den Feierlichkeiten noch Unterstützung benötigen solltet, lasst es mich bitte wissen. Eduina ist sehr geschickt, und es wäre ihr ebenso wie mir eine Freude, Euch etwas zur Hand zu gehen. Auf dass …” sie zog den Satz ein wenig in die Länge, während einmal mehr dieses leicht amüsierte, heitere Lächeln ihren Mund umspielte “ … Euer Ritter nicht in die Verlegenheit gerät, sich Aufgaben zu widmen, die möglicherweise nicht ganz das sind, was von Rittern seines Formats für gewöhnlich erwartet wird. Selbst wenn die Umstände hier und da natürlich eine gewisse Improvisation verlangen.”

“Habt Dank!” Gwenn lächelte auf das Lob. Sie betrachtete Liana und Lucilla und überlegte, dass es auch für sie hilfreich wäre, morgen eine geübte Hand an ihrer Seite zu wissen. So ergriff sie kurzerhand die Initiative und grätschte in das Angebot. “Jaja, die Männer sind nicht gerade Meister darin, sich in Geduld zu üben, wenn es um die Belange von uns Frauen geht. Aber es wäre auch mir eine große Erleichterung, wenn Eure Zofe mir morgen vor der Zeremonie beim Ankleiden und Haareflechten zur Seite stehen würde.”

Das schmale Lächeln, welches sich auf der Miene des jungen Rittersmannes zeigen wollte, verflog ebenso schnell wie es gekommen war. Lûthardt übte sich wiederum darin, sich seinen Gemütszustand nicht anmerken zu lassen.

Der Erbvögtin jedenfalls schien dieses verbale ‘Geplänkel’ Freude zu bereiten. Sie lächelte sympathisant und pflichtete den anderen Frauen mit einem dezenten Nicken bei, während sie an ihrem Tee nippte.

“Vielleicht sollte sich holde Weiblichkeit gemeinschaftlich, gegenseitig zur Hand gehen. Ich möchte wetten, dass dies… erheiternder wäre, als im stillen Kämmerlein mit einer Zofe oder… halt… jemand anderem”, schlug Lucilla kurzerhand vor.

Einen kleinen Moment sah Liana wieder den jungen Ritter an. Ihr Blick war aufmunternd und fast ein wenig verschwörerisch. Als ihrer beider Blicke sich kurz trafen, nickte sie ihm kaum merklich zu.

“Euer Vorschlag gefällt mir, Euer Wohlgeboren” - sie sprach Lucilla an und schaute dann zu Gwenn  - “und ich bin sicher, dass meine Zofe auch Euch gerne unterstützen wird.” Sie hielt einen Moment inne und schmunzelte ein wenig. “Allerdings muss ich Euch warnen: Sie führt ein strenges Regiment, wie ihr Menschen sagt, und wird Euch erst entlassen, wenn sie vollauf zufrieden ist.”

Ein Kommentar, welcher der Galebfurtenerin ein glockenhelles Auflachen entlockte.

“Das wäre natürlich wunderbar”, freute sich Gwenn. “Perainhulda, die mir morgen mit den Haaren helfen soll, ist zwar auch recht geschickt, was das Flechten von Zöpfen an geht, aber nicht vergleichbar mit den Zofen am Hof in Albenhus. Eine wirklich fähige Hand wäre da genau das Richtige. Kommen wir dann morgen zur Ingerimmstunde im Herrenhaus zusammen? Ich werde mich dort für die Zeremonie umziehen, wohingegen sich Rhodan in unserem Quartier im Gasthaus zurecht macht.”

“Ich bin dabei”, bestätigte Lucilla gut gelaunt und grinste breit, als sie in ein Stück mit Honig biss.

“Dann ist es abgemacht”, sagte Liana mit einem amüsierten Blick. “Und sagt nicht, ich hätte Euch nicht gewarnt.”

~*~

Frühstück im Gutshaus (kurz nach Beginn der Phexstunde)

Im Speisesaal des Herrenhauses hatte Wiltrud Bächerle die lange Tafel für das Frühstück eingedeckt. Den Saal erfüllte der Duft von warmen Broten und heißem Kräutertee. Auf der Anrichte standen Krüge mit verschiedenen weiteren Getränken, wie Wasser, Apfelsaft oder verdünnter Wein. Die vielfältigen Speisen waren hingegen auf dem Tisch verteilt: Honig und eingemachte Früchte, gesüßter Getreidebrei, eine Schüssel Frischkäse mit frischen Kräutern, Platten mit verschiedenen Wurst- und Schinkenspezialitäten, gekochte Eier, geräucherte Forelle.

Die Familie der Gastgeber Kalman von Weissenquell, dessen Ehefrau Ciala von Adelmannsfelden und ihre Kinder Morgan und Madalin saßen bereits am Tisch, als die Gäste nach und nach eintrafen. Merles Tochter Lulu saß in einem eigenen Hochstuhl und rief aus Leibeskräften weinend nach ihrer Mutter. “Mama! MAMA!” Ciala versuchte erfolglos, sie mit Honig gesüßten Getreidebrei zu beruhigen.

Neben den Gästen, die im Herrenhaus einquartiert waren, wurde auch der Bräutigam Rhodan Herrenfels erwartet, der etwas überrascht war, dass auch seine Braut die Nacht nicht mit ihm zusammen im Gasthaus verbracht hatte, ebenso wie die Baronin Liana Morgenrot vermisst wurde. Bernhelm Lützelfisch, der Vertraute des Edlen, hatte Friedewald sowie Darian von Sturmfels und Lares von Mersingen bereits am frühen Morgen auf dem Weg zur Jagdhütte begleitet und dort erfahren, dass die drei vermissten Frauen die Nacht kurzentschlossen in der Hütte verbracht hatten.

Nach und nach trafen die Gäste, die im Herrenhaus untergebracht waren, im Speisesaal ein: Miranda von Mersingen, die Schwester von Lares, dessen Knappin Basilissa von Keyserring, Erbosch, Sohn des Kalax und Vinja Rankmann sowie die Zofe der Baronin von Rodaschquell, Eduina.

Auch Cialas Bruder Adelmann XI und dessen Frau Ativana waren zum Frühstück ins Herrenhaus gekommen.

Ciala war aufgewühlt und hatte keinen rechten Appetit. Sie hatten alles, um eine glückliche Familie zu sein, und nun gab es an so vielen Ecken Ärger. Wahrscheinlich spürte Lulu das und ließ sich deshalb nicht beruhigen. Energisch rupfte Ciala sich etwas Brot von einem Laib. Merle war nicht da. Gudekar auch nicht. Sie wagte es nicht zu hoffen, aber vielleicht hatten sie die Nacht gemeinsam verbracht. Wie es sich gehörte. Sie rollte mit den Augen, als ihr Bruder, den sie gestern kurz etwas oberflächlich gesprochen hatte, wie ein Gockel mit Orden behangen den Raum betrat. Ohne Ativana, die schlief sicher noch. „Ah, guten Morgen, liebste Schwester. Die geborene Mama, des merkt de Kloane sofort, hä, hä.. I lass eich liaba aloa.“ Damit wandte er sich ab und spähte im Raum umher. „Ah, Rahja zum Gruße, schöne Rosenblüte. I derf mich doch sicher zu eana setzten?“ Er verbeugte sich, und seine Orden klimperten. „Gestatten, die edlen Damen und der edle Herr. AdelmannXI von Adelmannsfelden, Edler von Udenau. Es war ma a Ehre, wann ich mit Eich speisen dürfte.“

Es war ungewohnt, die Zofe der Baronin von Rodaschquell ohne ihre Herrin am Frühstückstisch zu sehen. In einem gelben Kleid mit blau-silberner Borte betrat sie den Raum - und ließ sich in keiner Weise anmerken, dass sie innerlich brodelte.

Wie hatte Liana nur einfach die Nacht über fortbleiben können? Schlimm genug, dass sie spontan zu dieser Wanderung aufgebrochen war. Ohne Darians Schutz!

Aber nun noch die Nacht wer-weiß-wo zu verbringen … nein, was hatte der Knecht gesagt? Im Forsthaus? In irgendeiner kleinen, zugigen Kammer mitten im Wald?

Na warte - sie würde etwas zu hören bekommen!

Eduina wusste, dass ihre Herrin bisweilen etwas … eigen … war. Aber es ging nicht an, dass sie ihretwegen tausend Tode vor Sorge starb!

Obgleich innerlich seufzend, schenkte die Zofe den Anwesenden ein freundliches Lächeln.

“Einen guten Morgen Euch”, sagte sie.

„Auch Euch wünsche ich einen wunderschönen guten Morgen!“ begrüßte Kalman die Gäste, die in den Speisesaal kamen. „Setzt Euch doch und bedient Euch! Wenn irgend etwas fehlt, gebt Bescheid, dann kann Wiltrud schauen, ob sie das noch holen kann.“

Rhodan Herrenfels betrat den Speiseraum etwas spät. Er schlief gerne lang und genoss es, zu entspannen. Zwar kam ihm die Entscheidung seiner Zukünftigen, just diese Nacht an anderer Stelle zu verbringen, etwas irritierend vor, doch war er kein Zweifler und erst recht nicht eifersüchtig. Sie war eine unabhängige, erwachsene Frau. Ihr stand es zu, eigene Entscheidungen zu treffen. Also genoss er die Ruhe zunächst im Licht der Sterne, dann hatte er sich auf dem großen, weichen Bett ausgestreckt und Borons Umarmung genossen. Entsprechend erholt und beinahe erfrischt, in bestem Morgenzwirn, gesellte er sich zu den Frühstückenden und lachte ihnen aus vollem Herzen entgegen. “Guten Morgen, die Herrschaften! Es ist eine Freude, Euch alle an diesem herrlichen Tag in Einmut speisen zu sehen.”

“Guten Morgen, Schwager, wenn ich das schon sagen darf, auch wenn die Trauung erst morgen stattfindet”, begrüßte Kalman den Handelsmann mit einem freundschaftlichen Handschlag.

Diese überschwängliche Begrüßung beantwortete Erbosch nur mit einem tiefkehligen Grummeln. Warum bei Angroschs langem Bart war er damit gestraft, dass ihm dieser ewig gut gelaunte Dickbauch ständig folgt. Ach ja: Wegen der eingestürzten Binge natürlich. Der Zwerg kaute gerade an dem zähsten Kanten Brot, den er hatte finden können. Dieses weiche Zeug, das die Menschen ‘Brot’ nannten, widersagte ihm. Ein Brotlaib musste ordentlich Biss haben, am Besten krachen und kräftig gekaut werden, damit er richtig schmeckte.

Ganz anders sah das Vinja, die ob ihres schmalen Kiefers das Brot ohne Rinde bevorzugte. Sie freute sich sehr über die gute Laune des Händlers - insgesamt ja ein angenehmer Zeitgenosse. Er spiegelte ganz ihre eigene Einstellung hinsichtlich des kommenden Tages wider. “Lieber Herr Herrenfels, schön Euch zu sehen! Seid ihr auch schon aufgeregt? Also ich bin schon sehr aufgeregt!”, blubberte es nahezu ohne Pause aus Vinja heraus, bis ihr Miranda eine Hand auf die Schulter legte und sagte: “Lass doch Herrn Herrenfels erst einmal antworten. Ich finde diese Frage ebenfalls spannend! Aber zuvor wollen wir doch den Herrn von Adelmannsfelden zu uns bitten. Nehmt doch bitte Platz.” Sie wies auf den Sitz direkt neben sich, den Basilissa schon vor einigen Minuten verlassen hatte. Lares hatte sie angewiesen, heute morgen den adeligen Herrschaften aufzuwarten (und insgeheim sollte sie ein Auge auf seine geliebte Schwester werfen, weil er fürchtete, dass der Bäckerpruch vielleicht hier zuschlagen mochte). Basilissa hatte sich dazu nur überreden lassen, nachdem er ihr diese Verantwortung übertragen hatte - schließlich durfte eine angehende Knappin (noch immer Pagin) eine Jagd nicht verpassen. Im Übrigen wusste sie, dass sie von ihrem Schwertvater alles lernen würde, nur nicht das Jagen. Schließlich war er nicht der Freund des firungefälligen Versteckspiels. Als die Zofe der Dame Liana eintraf, entschloss sich die kleine Dame kurzerhand, ihr zuerst aufzuwarten - sie war in dieser Funktion für den Mersinger am Wichtigsten. “Hohe Dame, wo wollt Ihr Platz nehmen? Was wollt Ihr trinken?”, frug der blonde Dreikäsehoch deshalb in höflichster Manier - und vergaß dabei völlig, sich vorzustellen.

Die Zofe blieb stehen und schaute seitlich hinunter zu der Pagin. In ihre Überraschung mischte sich ein Anflug von Amüsiertheit, und sie blickte Basilissa freundlich lächelnd und mit gehobenen Brauen an. Hohe Dame hatte sie sie genannt. Innerlich kicherte Eduina, zeigte jedoch nach außen die vornehme Etikette, die man von ihr erwarten durfte.

Als enge Vertraute der Baronin - und zudem stets an Klatsch und Tratsch und den neuesten Entwicklungen interessiert - wusste sie, wer Basilissa war. Ein Spross aus dem Hause des Barons von Eisenstein, der in Rodaschquell - wie auch in so manch anderer Baronie - wenig gelitten war ob seiner unsäglichen Manieren. Doch dafür konnte ja die Kleine nichts.

Also beschloss Eduina, das Spielchen mitzuspielen.

“Habt Dank, junge Dame. Führt mich doch gerne zum freien Platz neben jenem ehrwürdigen Angroscho. Ich nehme gerne einen leicht gesüßten Tee. Und … habt Ihr nicht etwas vergessen? Nur zu gerne wüsste ich, wer mich so freundlich begrüßt und um mein Wohl bemüht ist.” Sie blickte die Pagin aufmunternd-abwartend an.

Lissa blickte Eduina überrascht aus großen Augen an. Sie schien zuerst überhaupt nicht zu verstehen, was genau sie vergessen haben könnte und zermartete sich das Hirn - bis sie verstand, dass sie sich vorstellen sollte. Oh nein, was für ein unnötiger Fehler! Röte stieg ihr auf die Wangen. “Verzeiht. Mein Name ist Basilissa von Keyserring. Ich freue mich, Euch kennenzulernen”, antwortete sie schnell, wobei sie sich leicht verbeugte. Der Hofknicks, der den Frauen eigentlich vorbehalten war, gefiel der angehenden Ritterin einfach nicht. “Einen Tee, selbstverständlich!”

Eduina bedachte die Kleine mit einem freundlichen Nicken.

“Basilissa von Keyserring …”, wiederholte sie den Namen.

“Es freut mich ebenfalls, Eure Bekanntschaft zu machen. Umso mehr unter solch angenehmen Bedingungen. Ihr seid die Knappin des Herrn von Mersingen, nicht wahr?” Es klang weniger nach einer Frage als vielmehr einer Feststellung.

“Ich hoffe, Ihr habt Euch bisher gut in Rodaschquell eingelebt. Und ich bin sicher, meiner Herrin würde es sehr gefallen, würdet Ihr uns einmal auf Burg Rodaschblick besuchen - sofern es seine Wohlgeboren der Junker Euch gestattet, natürlich.”

“Ähm, ja, ja doch.” Basilissa schien zunächst Rodaschquell und Rosenhain nicht zusammenzubringen, doch realisierte sie dann ersichtlich, was Eduina meinte. “Mir gefällt es sehr gut in ähm Rodaschquell. Mein Schwertvater nimmt mich gerne mit auf Ausritte. Dann zeigt er mir die Arbeit der Bauern und die wichtigsten Wege nach Rosenhain. Er bringt mir bei, wie man ‘das Gelände liest’.” Die letzte Formulierung schien sie mehr zu zitieren, denn selbst zu verwenden. “Er hat gesagt, er würde mir auch gerne die Burg Rodaschblick zeigen, aber die Frau Baronin müsste ihn einladen. Es gehört sich nicht, einfach so zu erscheinen, sagt der Herr Lares.”

Sie mochte die Kleine. Und sie konnte nicht anders: Eduina lachte laut und herzlich auf.

“Mein liebes Kind”, sagte sie dann gutmütig, “ich werde noch heute mit ihrer Hochgeboren sprechen und sie um eine Einladung ersuchen. Und seid versichert, dass sie Euch mit Freuden auf der Rodaschblick begrüßen wird. Herr von Mersingen hat Euch offenbar schon vieles gelehrt, wie ich sehe. Ritterliche Tugenden ebenso wie die Etikette. Ich bin sicher, dass Ihr Euch bei Hofe gut einfügen werdet.”

Das brachte den kleinen Blondschopf zum Strahlen. Lares war ein strenger, wenn auch wohlwollender Lehrer. Doch tendierte er manchmal, besonders in letzter Zeit, mit Lob zu geizen. Umso willkommener waren deshalb die freundlichen Worte Eduinas. "Habt vielen Dank! Mein Schwertvater wird sich über die Einladung sehr freuen", betonte das Mädchen sichtlich bemüht, im Namen des Mersingers zu sprechen.

Die Zofe der Baronin nickte Basilissa noch einmal freundlich zu, ehe sie neben dem Angroscho Platz nahm, um den dortigen Gesprächen zuzuhören.

AdelmannXI störte sich gerade nicht an dem Fehler, das Kind hatte ihn nicht angesprochen, aber man bot ihm einen Platz neben einer ihm unbekannten, aber jungen Frau an. „Des is a Wort.“ Erstaunlich geschwind nahm er neben Miranda Platz, nahm ihre Hand und deutete einen Kuss an. Sein buschiger Schnauzbart kitzelte sie seltsam. „Habe die Ehre, da is ja auch der werte Herr Bräutigam. A fesche Braut hams, alle Achtung.“ Anerkennend schnalzte er mit der Zunge. Miranda überfuhr dieses sehr charmante, aber auch sehr körperbetonte Verhalten ein wenig und war deshalb froh, als sich der Adelige Meister Rhodan zuwandte. Der wiederum lachte herzlich. “Das müsst Ihr meiner liebsten Braut und ihrem Vater sagen! Ich weiß wohl, welches Glück mir die Götter beschert haben”, antwortete der Händler aus voller - aufrichtiger - Überzeugung.

AdelmannXI klopfte Rhodan kumpelhaft auf die Schulter. „Na, darauf trinken mir was. Wein her, lasst uns anstoßen. Ihr seid ein ordentliches Mannsbild und habt sie sicher im Griff. He, he.“

Diesen Lapsus überging der dicke Händler mit einem freundlichen Lächeln, doch vermerkte er AdelmannXI ganz oben auf seiner privaten Liste verwerflicher Adeliger, die allein kraft ihres Standes meinten, über andere urteilen zu dürfen. “Wollt Ihr um diese Uhrzeit schon trinken, Wohlgeboren? Der Tag ist noch lang - wenn wir jetzt schon anfangen, mögen wir zur Praiosstunde keinen repräsentativen Eindruck mehr hinterlassen. Lieber Schwager, das sähe doch niemand gerne, oder nicht?” Rhodan zwinkerte deutlich, um Kalman zu verstehen zu geben, dass er unbedingt dafür sorgen sollte, dass dieses Frühstück nicht direkt zum Saufgelage ausuferte, auch wenn es den Händler ob des guten Weines reute. Er war schließlich ein Genießer.

“Nein, das wäre auch zu schade, wenn wir dann die zweite Hälfte des Tages des Rausches wegen nicht mehr genießen könnten. Den Tag sollte man bei klarem Verstand beginnen, dann mundet der Wein am Abend umso mehr”, bestätigte Kalman Rhodans Ermahnung. Dann deutete er Wiltrud an, dafür zu sorgen, dass nicht zu viel des Weines den Weg in AdelmannXIs Becher fand, zumindest nicht ordentlich verdünnt.

Anscheinend vertrug der Bräutigam das edle Gesöff nicht so gut. Dennoch sah er den Händler wohlwollend an und nickte bedächtig. „So seis. Aber nachher, da hock ma uns alle amoi zam.“ Er straffte sich wieder und sah sich um. „Au wei. Mei Oide is a scho da.“ Es fiel ihm gerade noch ein, dass Rhodan und Gwenn ja in sehr naher Zukunft den Bund schließen würden. „Nix für ungut. Wann ma so lang zam is und dann noch eher des Zweckes wegen, rauft ma sich scho zam. Aber es geht doch nix über junge Liebe.“

"Aber Liebe reift doch auch, sagt man", erwiderte der Händler jovial. "Sicherlich auch bei Euch."

“Sicherlich, ebenso wie guter Wein”, griff Kalman das Thema auf. Ein junger Wein ist ein prickelndes Vergnügen, jedoch nur von kurzer Dauer. Aber wenn man Geduld mit ihm hat, dann gewinnt er mit dem Alter immer mehr an Aroma und ist ein Juwel zum Genießen. Genauso ist es mit der Liebe.”

„Freilich, doch zu was es reift, des is ungewiss. Und auf Dauer is a der beste Wein fad. Ab und zu an Gspritztn, muss ja ned immer so edel sein.“ Er machte eine kurze Pause und taxierte Rhodan. „Schad is es, meine Madln ham alle no koan. Wo ist die werte Familie gleich ansässig?“

“In Rosenhain, Euer Wohlgeboren.” Offensichtlich wusste der Adelige nicht einmal, auf welcher Hochzeit er sich genau befand, schien es Rhodan. “Dort schätzen wir Treue, Verlässlichkeit und Ordnung”, betonte der Händler mit Blick auf seinen Schwager in spe. Kalman nickte ihm bestätigend zu. „Im Leben locken alle möglichen Annehmlichkeiten und Genüsse. Doch genießt man zu viel davon, schmeckt am Ende nichts mehr richtig.” Rhodan rieb sich dabei demonstrativ den Bauch, der seinen Worten ein wenig die Grundlage zu entziehen schien. Offenbar war der großgewachsene Mann eher ein Gourmand, denn ein Gourmet.

„Da stimme ich Euch unbedingt zu. Mutter Travia lehrt uns, nicht allen Verlockungen, mit denen uns ihre Schwester Rahja in Versuchung führen möchte, nachzugeben. Nicht alles, was uns kurzfristig schmecken mag, ist frei von Gift. Da ist es besser, ein Mann bleibt bei den Genüssen, die er kennt und die zu seinem Wohle sind. Nicht wahr, Ciala, mein Schatz?“ Kalman warf seiner Gattin eine Kusshand zu. „Wenn Vater und Gwenn hier wären, würden sie zweifelsfrei ebenfalls zustimmen.“

Ciala genierte sich in Gesellschaft meist wegen ihres Bruders. Konnte der nicht einfach mal die Klappe halten? Oder war es ein Spiel, damit andere Personen ihn unterschätzten? Sie wusste, dass er im Kampf immer noch kein leichter Gegner war. Trotzdem ging er ihr jetzt schon wieder auf die Nerven. „Kalman hat Recht. Man muss Höhen und Tiefen gemeinsam durchstehen und Travia hat uns belohnt. Wir sind sehr glücklich.“ Liebevoll lächelte sie zu ihrem Mann. „Und das, obwohl die Ehe aus politischen Gründen geschlossen wurde.“

Kalman schüttelte eifrig den Kopf. “Nicht nur aus politischen Gründen, mein Liebes, nicht nur. Ich hatte damals schon vor den Gesprächen ein Auge auf dich geworfen, seit ich dich das erste Mal sah. Und bis heute bereue ich nicht einen Tag, diese Entscheidung getroffen zu haben.”

Seine Gattin strahlte vor Glück und gab ihm einen zärtlichen Kuss auf den Mund. „Du bist der Beste. Seht, Travia, Rahja und Tsa sind uns hold. Ich habe es nie bereut.“

„Meine Damen, meine Herren, es duat na furchtbar leid, doch muass I mi leider scho verabschieden. Des Problem der Herren mit der Brunzblase. Unsere Wege wern sich no kreuzen, keine Sorge.“ AdelmannXI erhob sich, verbeugte sich vor dem Tisch und ging von dannen.

Rhodan verabschiedete den Adeligen freundlich, doch nahm er sich vor, den Mann im Auge zu behalten. Hinter der Fassade des dumpfen Proleten verbarg sich eindeutig mehr. "Lieber Herr Schwager, dass Eure Ehe so erfüllt ist, freut mich von Herzen. Was würdet Ihr sagen, was ist das Geheimnis dahinter? Und Ihr Frau Ciala?"

Ciala lachte herzlich und ansteckend. „Was soll man hier anderes sagen, als dass es der Segen Travias sei? Aber ihr habt Recht, um eine wirklich harmonische Ehe zu führen gehört mehr. Kalman, ich fange mal an.“ Sie berührte kurz die Schulter ihres Mannes.“Hoffentlich stört Euch mein Bruder nicht zu sehr, er ist recht eigen. Also, wir waren stets ehrlich zueinander. In den wichtigen Dingen meine ich. Und Kalman hat mir Raum gegeben, um mich selbst zu entfalten. Mika und ich sind oft gemeinsam auf die Jagd gegangen, das mache ich sehr gerne und so kann ich mich zumindest etwas wehren. Ich hatte ja schon erwähnt, dass wir die Beute an die Rustikalen im Dorf aufteilen. Als Fremde war es mir wichtig, akzeptiert zu werden und Bescheid zu wissen.“ Ciala sprach fast akzentfrei Garethi, lediglich eine niedliche Spur des Dialekts war geblieben.

Sie errötete leicht. „Natürlich hat auch Rahja viel damit zu tun. Wenn mein Gatte fertig ist, wüsste ich gerne, wie Ihr Euch die Ehe vorstellt“

„Das ist doch ganz einfach, Rhodan“, erklärte Kalman. „Man braucht nur wenige Zutaten: Liebe, Treue, Vertrauen, Zuverlässigkeit, Beständigkeit. Wenn Ihr Euch stets daran haltet, werdet Ihr und Gwenn immer stärker zusammenwachsen und dauerhaftes gemeinsames Glück finden. Bleibt daheim bei der Familie, spendet Eure Aufmerksamkeit Eurem Weib und nicht fremden Röcken, dann werdet Ihr Gwenn vollends kennen und zu schätzen lernen, dann werdet Ihr wertschätzen und genießen können, was sie Euch zu bieten hat. Und bald schon werdet Ihr kein Verlangen haben nach anderen Weibern. Nehmt meinen Bruder als schlechtes Beispiel und lernt daraus. Viele Götterläufe blieb er brav in den Klostermauern und hatte ein erfülltes und glückliches Leben mit Merle. Und kaum zieht er in die Welt hinaus, wird er schwach, schwängert ein fremdes Weib und kehrt unglücklich und mit zerrütteter Ehe zurück. Ich bete zu Travia, dass er seine Fehler bereut, Buße tut und sich wieder seinem Weib und seiner Tochter annimmt, auf dass sie wieder eine glückliche Familie werden.“

"Huch, ein schweres Schicksal", gab Rhodan den Ahnungslosen. "Für alle! Euer Bruder mag das schlechte Beispiel sein, doch hat auch er an der Situation sicherlich zu knabbern. Oder ist er derart ruchlos, dass es ihn kaltlässt? Bei allen Göttern, so etwas tue ich der lieben Gwenn nicht an." Diesen feierlichen Schwur hatte der Händler sichtlich vor, nicht zu brechen. Er hatte ein ernstes Gesicht aufgesetzt und es schien ihn zu beschäftigen, dass sein weiterer Schwager solche Scherben hinterließ. Dabei galt seine Sorge primär seiner Verlobten. Er fürchtete, sie würde daran noch länger zu knabbern haben.

„Wir hoffen, dass Gudekar und Merle auf dieser Feier wieder zusammenfinden. Das ist noch ein Grund, warum ich nicht auf der Jagd bin. Ich will ihr mit Lulu den Rücken frei halten, damit sie sich voll auf Gudekar konzentrieren kann.“ Sie schürzte die Lippen und atmete dann tief aus. „Alsoo…ich glaube auch, dass ihn das nicht kalt lässt. Er leidet sicher. Aber ich fürchte, dass dieser Ausrutscher eine falsche Tür bei ihm geöffnet hat. Kalman, Merle habe ich es schon angedeutet. Ich glaube, dass mit Tsalinde wirklich nichts mehr ist, aber alles deutet darauf hin, dass er mindestens eine andere Frau hat.“

Die Vermutung seiner Frau überraschte Kalman sehr. “Was meinst du? Nein, das glaube ich nicht! Ein einmaliger Ausrutscher, das könnte er mit einem Bußgang noch wieder geradebiegen. Aber wenn er nach all dem Ungemach mit dieser Dame von Kalterbaum erneut und weiter gefrevelt hätte, …” Kalmans Stimme schwoll an vor Entrüstung.  “Das wäre ja ungeheuerlich, das wäre ja ein schwerer Eidbruch und würde einen Bann nach sich ziehen. Das kann ich mir nicht einmal bei diesem Madaverfluchten vorstellen.”

Rhodan folgte dem Gespräch schweigend. Diese Entwicklung war tragisch - im Gegensatz zum Mersinger hatte er das Ausmaß des Übels noch nicht vollumfänglich überrissen, auch wenn Gwenn bereits mit ihm darüber gesprochen hatte. Mit einem gewissen Zweifel in der Stimme, doch ruhig, schlug der beleibte Mann vor: “Wenn Ihr es für wichtig erachtetet, könnte ich den Versuch machen, das Ausmaß dieses Missgeschicks zu ergründen. Doch, Schwager: Tut mir den Gefallen und gebt Euren Bruder nicht vorschnell auf. Er ist schließlich von Eurem Blut. Ihr würdet Gwenn das Herz brechen.”

Die Worte Rhodans schienen Wirkung zu zeigen, denn Kalman beruhigte sich gleich wieder. “Danke, Rhodan. Ich möchte den Worten meines Bruders zu gern Glauben schenken, dass dieses Missgeschick eine einmalige Sache war. Aber, auch wenn das nur schwer zu begreifen ist, ich vertraue meiner Gattin. Wenn sie meint, da könnte mehr hinter dieser Geschichte stecken, dann ist da vermutlich auch etwas dran. Und Ihr meint, Ihr könntet da etwas herausfinden? Dann wäre Euch die Familie wahrlich zu Dank verpflichtet. Ich möchte aber nicht, dass diese Geschichte Eure Vermählung mit meiner Schwester überschattet.”

Rhodan zuckte mit den Schultern. “Nein nein, sich einfach mal umzuhören schadet ja nichts - und beeinträchtigt unsere Feier nicht. Im Gegensatz zu einer ausgewachsenen Familienauseinandersetzung.” Der letzte Satz kam harmlos daher, doch verstand Kalman sofort, was der Händler meinte.

“Da stimme ich euch zu. Wenn wir wissen, was auf uns zu kommt, können wir es vielleicht aufhalten, zumindest, bis die Feier vorüber ist.” Kalman nickte Rhodan auffordernd und dankbar zugleich zu. “Vielleicht hört Ihr etwas, das nicht an die Ohren unserer Familie zu dringen vermag.”

~* ~

Noch immer war es Ciala nicht gelungen, Lulu zu beruhigen, die weiterhin nach ihrer Mama rief.

“Ciala, meine Blume, kannst du nicht etwas tun, bis Merle endlich zurückkommt, um Liudbirg ruhig zu bekommen? Unsere Gäste können sich ja gar nicht unterhalten.”

„Die Kleine vermisst ihre Mutter. Auch in der Nacht. Merle hatte sie doch immer bei sich und heute hat sie kaum geschlafen bei mir.“ Verzweifelt streichelte sie das Mädchen. „Ich werde mit ihr aufs Zimmer gehen.“

„Alles gut Liebling, ich denke, Merle wird sicher demnächst zurückkommen. Soll ich Lulu ein wenig nehmen?“ fragte Kalman.

Doch bevor Ciala antworten konnte, betrat Merle eilig den Salon.

~* ~

Die Phexstunde war bereits fast vorbei, als Merle vom Regen durchnässt den Gutshof der Familie Weissenquell erreichte. Sie hatte sich beeilt, von der Forsthütte ins Dorf zu kommen und war deshalb außer Atem. Die kühle, feuchte Luft hatte sie erfrischt, und sie hatte auf dem Weg ihre Gedanken, die in den letzten Tagen immer mehr durcheinander gewirbelt wurden, ein wenig ordnen können. Nun freute sie sich darauf, frische, trockene Kleider anzuziehen und dann ihre kleine Tochter in den Arm zu schließen. Auch freute sie sich darauf, später mit Gudekar zu reden.

Als Merle am Gutshaus vorbei lief, um sich im Gesindehaus umzuziehen, hörte sie aus dem Speisesaal Lulu herzerweichend weinen. “MAMA, MAMA!” hörte man ihre Rufe und Cialas verzweifelte Versuche, das Kind zu beruhigen.

"Lulu!" rief Merle sichtlich betroffen und eilte mit schnellen Schritten zu ihrer Tochter. Die junge Frau trug noch die warmen Sachen, die sie gestern für die Nachtwanderung angezogen hatte; feste Stiefel mit Beinlingen, eine grobgewebte grüne Tunika, darüber einen rostbraunen Mantel, den sie bereits geöffnet hatte. Das hüftlange dunkelblonde Haar war zu einem nachlässigen Zopf geflochten, aus dem zahlreiche lose Strähnen heraushingen. Auf Merles Stirn glänzten Schweißtropfen und ihre Wangen waren von der Kälte gerötet. Schnell nahm sie Ciala die Kleine ab und drückte sie fest an sich, während sie ihr sanft über das feine blonde Haar strich und tröstende Worte ins Ohr flüsterte. "Es ist ja alles gut, meine Süße... alles ist gut. Ach, du arme, tapfere Maus!" Sanft versuchte sie, Lulu die Tränchen von den Wangen zu streicheln, dann hauchte sie ihr einen zarten Kuss auf die Stirn. "Mama ist ja wieder da…" Erst, als Liudbirg etwas ruhiger zu werden schien, wandte Merle die Aufmerksamkeit ihrer Schwägerin zu. "Danke, Ciala", sagte sie schlicht und blickte diese mit großen braunen Augen voller Dankbarkeit an. "Es tut mir so leid!"

Erleichtert reichte Ciala Merle die kleine Lulu, die gerade kurz davor gewesen war, sich tragisch-bockig schlapp werden zu lassen, um auf den Boden gleiten zu können. Geschwind wurde sie ihrer Mutter in die Arme gedrückt. „Gerade rechtzeitig. Ich glaube, das alles ist etwas viel für das Kind. Auf Dauer sollten wir uns nach einer professionellen Amme umsehen, dann bist du auch weniger gebunden.“ Neugierig fragte sie nach einer Pause. „Ihr ward beide nicht da. Das ist doch ein gutes Zeichen?“

“Schön wär’s.” Merle seufzte und lächelte melancholisch. “Gudekar musste sich um diese Ritterin kümmern. Der ging’s gestern Abend gesundheitlich nicht so gut. Und ich hab im Forsthaus übernachtet. Hat Bernhelm nicht Bescheid gesagt?” Sie streichelte weiterhin beruhigend über Lulus Kopf und wiegte ihre Tochter sanft hin und her. Als sie den neugierigen Blick ihrer Schwägerin sah, erzählte sie leise weiter: “Nach der Wanderung hatte Gwenn noch einigen Gästen Tee gereicht. Und es wurde doch recht spät.” Sie blickte verlegen auf den Fußboden. "Da hat Gwenn gesagt, dass wir bei dem schlechten Wetter und im Dunkeln nicht mehr die Strecke zurück ins Dorf laufen sollten. Also haben die Baronin von Rodaschquell, Gwenn und ich dort die Nacht verbracht."

„Doch, doch, Merle, Bernhelm hat Bescheid gegeben“, wiegelte Kalman ab. „Und ich finde es gut und richtig, dass du dort geblieben bist. Dir tut so eine Gesprächsrunde unter Frauen auch mal ganz gut. Nicht immer nur mit uns rumsitzen. Und um Liudbirg macht euch mal nicht zu viel Sorgen, ihr zwei. Einem Kind in dem Alter schadet es nichts, mal eine Nacht von der Mutter getrennt zu sein. Da sollte sie sich langsam dran gewöhnen. Ihr verhätschelt das Kind viel zu sehr.“

"Da magst du recht haben", nickte Merle. "Trotzdem bricht es mir jedes Mal buchstäblich das Herz, wenn sie so bitterlich weint." Sie legte Ciala sanft die Hand auf den Rücken. "Vielen Dank, Ciala, dass du dich um Lulu gekümmert hat. Und...", sie senkte schüchtern die Lider, "...für alles."

“Es war sicher besser, dass du dort geblieben bist. Das ist ja wie ein Junggesellinnenabschied für Gwenn.” Sie lachte herzlich, legte dann aber die Stirn in Falten. “Diese Ritterin, Greta oder so, die scheint mir seltsam. Warum legt er sich so eine fragile Beschützerin zu. Und warum kümmert er sich immer selber? Kannst du mir da was erzählen oder hast was beobachtet? Die Zeiten sind nicht sicher und sie soll ihn nicht von dir ablenken. Vielleicht kann ich dir da auch helfen.”

Merle verstand nicht ganz, was Ciala mit ‘helfen’ meinte und schaute etwas verwirrt, lächelte ihr dann aber wieder liebevoll zu. "Ach, du hilft mir schon viel zu viel, liebe Ciala!" So gut es mit dem Kind auf dem Arm ging, drückte sie ihre Schwägerin in eine warme, herzliche Umarmung. "Die Ritterin ist aber tatsächlich merkwürdig, da hast du recht", berichtete sie mit gesenkter Stimme. "Ich hab mich ja gestern kurz mit ihr unterhalten. Und vielleicht tu’ ich der Frau Unrecht, aber besonders sympathisch finde ich die nicht. Na egal, Gudekar muss mit ja mit ihr zusammenarbeiten, nicht ich.”

“Denk etwas weiter. Sie lenkt ihn von dir ab. Vielleicht kann ich sie anderweitig beschäftigen, damit du mit Gudekar mal alleine reden kannst. Ich kenne sie kaum, aber es ist seltsam, dass er die Nächte lieber bei ihr im Gasthaus verbringt, als bei dir im Bett. Glaub mir, Männer haben da so ihren Drang. Und den vermisse ich bei ihm schon lange.” Sie lächelte freundlich, da sie Merle nicht zu nahe treten wollte.  

„Ach, Ciala. Mach die arme Merle nicht mit irgendwelchen Andeutungen verrückt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass da bei meinem Bruder irgendwelche Hintergedanken sind.“ Kalman schüttelte energisch den Kopf. Er wolle sich das nicht vorstellen.

"Nein, sowas kann ich mir auch absolut nicht vorstellen, Ciala." Merle schüttelte ebenfalls entschieden und mit einem freudlosen Lachen den Kopf. "Was sollte Gudekar an dieser grobschlächtigen und selbstsüchtigen Frau finden?“

‚Und was sollte diese Frau an Gudekar finden?‘ dachte Kalman, ohne den Gedanken auszusprechen.

“Eher hätte ich gedacht, dass er noch heimlich für Tsalinde schwärmt... ” Merle schluckte, um den Gedanken abzuschütteln, nahm Cialas Hand und schaute dieser ernst und sehr eindringlich in die Augen. "Ciala, mach' bitte nichts unbedachtes. Mach' bitte überhaupt nichts in Bezug auf Gudekar. Glaub mir, ich weiß jetzt, was ich tun muss und nehme das selbst in die Hand."

Ciala legte ihre Hand auf Merles. „Mache ich, wenn es dein Wunsch ist. Aber Lulu darfst du mir immer geben, auch in Zukunft, wenn du mal etwas Zeit oder Ruhe brauchst.“

"Danke, vielen Dank, meine liebe Ciala!" Merle lächelte ihre Schwägerin herzlich an. "Tatsächlich will ich nachher noch mal ins Dorf, aber da nehm' ich Lulu mit. Dann hast du heute Vormittag etwas Ruhe." Sie erhob sich mit dem Kind auf dem Arm. "Jetzt geh' ich erstmal auf mein Zimmer, um mich umzuziehen."

„Ja, mach das, Merle. Kommst du dann noch zum Frühstück oder hast du schon im Forsthaus gegessen?“ Dann fiel Kalman erst auf, dass Merle alleine gekommen war. „Ach Merle, bevor du gehst: sag mal, wo sind denn Ihre Hochgeboren und Gwenn? Ich dachte, ihr kommt dann alle zu dritt hierher?“

“Die beiden frühstücken gemütlich im Forsthaus. Ich hab mir von Praitrud nur schnell ein paar Brote machen lassen…”, antwortete Merle mit einer abwinkenden Handbewegung zu Kalman, “...damit unsere kleine Prinzessin nicht noch länger warten musste.” Sie drückte Lulu einen weiteren Kuss auf die immer noch vom Weinen gerötete Wange. “Also, nein danke. Im Laufe des Festes wird’s ohnehin noch viel zum Schlemmen geben, was?” Sie nickte Kalman und Ciala noch einmal dankbar zu und machte sich mit Lulu auf zum Gesindehaus.

Kalman schaute seiner Schwägerin hinterher. Dann wandte er sich wieder der Frühstücksgesellschaft zu. „Schade, ich gehofft, sie hätte die eine oder andere interessante Geschichte von der Wanderung zu erzählen. Dann müssen wir wohl Bernhelm verhören“, bemerkte er mit einem amüsierten Lachen.

Seine Frau seufzte erleichtert. “Jedenfalls ist es jetzt ruhiger hier. Ich kümmere mich ja gerne um Lulu, aber es liegt was in der Luft. Merle hat sich auch verändert.” Sie trank ihren Becher Wasser leer und streckte sich. “Fast wäre ich mit zur Jagd, Mika und ich waren doch so oft gemeinsam unterwegs. Jetzt mache ich mich hier nützlich, aber bei der Beziehung zwischen Gudekar und Merle mische ich mich nicht mehr ein. Sie sind vor Travia vereint, egal, ob sie sich verstehen, oder nicht.”

“Ach, Schatz, du hättest doch mit auf die Jagd gehen sollen.” Kalman drückte die Hand seiner Frau. “Es hätte dir doch so viel bedeutet. Und Mika hätte dir zeigen können, was sie schon alles gelernt hat bei seiner Gnaden. Sie hätte sich sicher auch gefreut. Naja, beim nächsten Mal bist du dabei. Und Ablenkungen werden dann nicht wieder geduldet!”

„Du hast recht. Nächstes Mal. Jetzt ist auch zu viel los und ich würde gerne so mit ihr auf die Jagd gehen wie früher. Nur sie und ich, die Stille des Waldes und das Warten und Erlegen der Beute. Wir werden es dann wieder den Bauern hier geben, sie sollen auch in den Genuss von Wild kommen. Und ich finde, so werden wir, eigentlich war es ja früher auch schon so, Firun und Travia gerecht.“

“Und das werdet ihr!” Kalman lächelte Ciala an. “Sobald sie ihre Ausbildung hinter sich hat und die Weihe erhalten hat, wird sie zurückkehren und ihr werdet gemeinsam jagen gehen.”

Ativana hatte in dem Moment den Raum betreten, etwas verschlafen, aber wieder in dem gestrigen eleganten Kleid mit einer Perlenkette. Den Tisch, an dem ihr Mann saß, beachtete sie nicht, sondern setzte sich, nachdem das schreiende Kind weg war, zu Kalman und Ciala. „I derf doch noch? Ich weiß, dass ich etwas spat bin, und es wäre ned unhöflich, wenn ihr schon früher geht. Hunger hab ich eh ned viel. Ihr gestattet?“

Kalman stand auf, als Ativana an den Tisch trat. “Liebste Schwägerin! Aber selbstverständlich dürft Ihr Euch zu uns an den Tisch setzen. Für ein gutes Frühstück ist es nie zu spät. Habt Ihr gut genächtigt?”

„Es is wie jeds moi wundervoll. Wie a andere Welt.“ Ativana wurde munterer und fand langsam besser ins Gespräch. „Eure Frau, mein Mann und ich ham ja gestern schon bissal geredet. Na ja, je älter er wird... aber Ihr kennt ihn ja. Anscheinend will er nach längerer Pause, mal wieder mehr auf Reisen. Er trainiert wieder fleißig mit der Waffn. Wie geht’s Euch, Schwager? Endlich mal ein freudiger Anlass, sich zu treffen.“

“Ja, das ist wahr. Werden wir nicht alle langsam älter? Außer Ihr, werte Ativana, Ihr seht seit unserem letzten Treffen unverändert aus. Noch immer die blühende Jugend!” Ein charmantes Lächeln umschmeichelte seinen Mund. “Also danke, es könnte mir kaum besser gehen, jetzt wo fast die gesamte Familie hier ist und viele gute Freunde. Es könnte kaum schöner sein. Was machen die Kinder?”

“Adelmann Junior ist Knappe bei Joram von Sturmfels. Ansonsten tut sich nicht viel bei uns. Ich lebe wohl im hintersten Nest.“

“Im hintersten Nest?” Kalman musste lachen. “Wie würdet Ihr dann Lützeltal nennen?”

“Das hinterste Nest am anderen Ende der Nordmarken. Wenigstens ist Albenhus nicht weit.” Sie verdrehte kurz die Augen. “Mein werter Gatte hat so seine Eigenheiten. Es wird ihm sicher gut tun, wenn er wieder mehr unterwegs ist.”

Ciala nickte bestätigend. “Er war schon immer schwierig, bei seiner ersten Frau schon. Es ist wichtig, dass du dich selber nicht vernachlässigst.” Sie lachte heiter. “Aber das machst du schon sehr gut.”

“Ich weiß nicht”, warf Kalman ein, “ich habe deinen Bruder immer als einen sehr frohen, lebenslustigen Mann erlebt. Was ist an ihm schwierig?”

Beide Frauen wechselten einen Blick, wer antworten sollte. Ciala nickte Ativana zu. „Ja, er ist lebenslustig und wenn er in guter Stimmung ist, sehr galant und leidenschaftlich. Wir haben im Laufe der Ehe auch unseren eigenen Humor gefunden. Aber er ist nun mal schrullig.“ Ativana kniff die Lippen zusammen, redete dann aber weiter. „Er wird nicht handgreiflich, verbal aber grob. Damit komme ich klar. Ich weiß, dass ich mich gut gehalten habe und scheue nicht, sein Geld für meine Zwecke auszugeben, da er keinen Hehl daraus macht, kein Kostverächter bei anderen Frauen zu sein. Er hat sich körperlich gut gehalten. Wir teilen zwar das Lager, aber nur, um zu schlafen. Rahja haben wir schon lange nicht mehr geopfert. Er bevorzugt knackige, junge Früchte, wie er sagt oder ab und zu ein saftiges, reifes Obst mit großen Dutteln.“ Sie rollte mit den Augen, das Geständnis schien ihr aber nicht peinlich zu sein.

Gerade wollte Kalman einen Schluck Tee trinken, als er Ativanas offenherziges Geständnis vernahm. Er verschluckte sich vor Schreck und fing heftig zu husten an. Als er seinen Husten beruhigt hatte, fragte er: „Wie bitte? Ich höre wohl nicht richtig? Und Ihr duldet dieses traviafrevlerische Verhalten?“

Seine Schwägerin lachte bitter. „Wir sind nicht so traviafromm, wie Eure Familie. Natürlich ist es ein Frevel, der leider in vielen Häusern verbreitet ist. Aber ich habe mich arrangiert. Ich habe einen Sohn und bin ehrlich gesagt ganz froh, wenn er seine rahjanischen Gelüste anderswo auslebt.“

Kalman grübelte einen Augenblick über diese Worte. “Dies ist etwas, das ich nicht nachvollziehen kann, doch mag ich mir nicht anmaßen, über Eure Entscheidung zu urteilen, denn scheinbar habt Ihr Euch damit arrangiert. Wenn Ihr so zufrieden seid…!?! Ich würde jedenfalls in meinem Haus ein solches Verhalten nicht dulden.”

Ativana sah nicht besonders glücklich aus. „Er macht sowas natürlich nicht bei uns zu Hause. Und ja, ich hab mich arrangiert, doch sicher hatte ich es mir anders vorgestellt. Sympathie gibt es noch. Wie zu einem Verwandten. Aber mehr ist da nicht mehr.“ Sie seufze verlegen. „Man sucht sich andere Aufgaben, aber Travia war mir leider nicht hold.“ Sie wechselte das Thema und Kalman erkannte, dass die beiden sich wohl schon vor langer Zeit „arrangiert“ hatten. „Etwas anderes, Kalman. Woher kommt eigentlich der niedliche Name Lützeltal?“

“Das kommt vom Lützelbach, der durch das Tal fließt. Und ‘lützel’ heißt nicht anderes als ‘klein’. Es ist also ein sehr passender Name für unser Tal, nicht wahr.” Kalman lachte und war froh, das andere leidige Thema nicht weiter verfolgen zu müssen.

AdelmannXIs Gattin war auch sehr froh. Sie mochte ihre Schwägerin gerne ebenso deren Mann und beneidete beide. „Mei, wie niedlich. Aber so winzig ist euer Tal ja nicht. Kommt Ihr eigentlich gut mit den Nachbarn aus?“

Ciala lachte und verdrehte die Augen und sprang erläuternd ein. „Rate mal, wer nicht so gut mit einem Nachbar auskommt. Und zwar mit den Hadingers, das ist die Familie, zu der auch die Ingrageweihte gehört. Es gibt nur einen Trampelpfad durch den Wald oder einen langen Umweg. Sie frotzeln sich viel. Hab ich gehört, aber mein Bruder kann sehr starrig und schwierig sein.”

“Die Ingrageweihte, die wir beim Zwerg untergebracht haben? Ach das ist eine Nachbarin von Euch? Vielleicht sollten wir sie zum Abendessen zu uns einladen, das wäre doch eine Gelegenheit, die Beziehungen zu verbessern, wenn die nicht so gut sind.” Kalman dachte, es wäre doch eine gute Gelegenheit, dort ebenfalls etwas Frieden zu stiften. “Das ist eine Freundin von Mika, oder? Sie hatte die Geweihte eingeladen, wenn ich mich recht erinnere.”

„Hm.. sie haben sich auf der Lehensfeier kennen gelernt und schreiben sich oft.“ Ciala erinnerte sich. „Das wäre wirklich Zufall und eine gute Gelegenheit. Wir können sie im Laufe der Hochzeit ansprechen.“ — Ativana fuhr sich mit den Händen durch das Haar und lehnte sich zurück. “Von mir aus gerne. Wir kennen uns kaum, die soll aber ganz hübsch und lustig sein. Aber das machen wir im kleinen Kreis.“ Gegen die junge Frau würde AdelmannXI keinen Groll hegen. So richtig erinnerte sie sich selbst schon nicht mehr daran, was der Anlass der Abneigung war.

“Warum bis morgen warten?” Kalman klatschte einmal kräftig in die Hände. “Geben wir doch Bernhelm gleich Bescheid, er möge zur Schmiede gehen und die Hadingerin heute zum Abendessen hierher einladen. Mika wird nach der Jagd sicherlich auch hier sein.”

~*~

Mit Lulu auf dem Arm ging Merle über den Hof in Richtung Gesindehaus. Der Regen prasselte noch immer hernieder. Auf dem Weg traf sie den Stallburschen Marno, der den Mist der Pferde mit einer Schubkarre abtransportierte. „Guten Morgen, Frau Merle“, grüßte er höflich.

"Guten Morgen, Marno!" grüßte Merle freundlich zurück. "Was für ein Mistwetter, oder?" Sie winkte ihm kurz zu und flüsterte Lulu ins Ohr, dem netten Stallburschen ebenfalls zuzuwinken, dann eilte sie schnellen Schrittes in Richtung der Trockenheit des Hauses.

„Das könnt ihr wohl laut sagen“, rief ihr der junge Bursche hinterher. In normaler Redelautstärke ergänzte er vor sich hin brabbelnd: „Aber Ihr müsst ja wenigstens nicht auch noch den Mist von den Dutzenden der feinen Gäste bei solchem Regen wegkarren.“

Nachdem Merle im Gesindehaus verschwunden war, kam sie nur kurz darauf wieder heraus, immer noch in derselben Kleidung, immer noch mit Lulu auf dem Arm. Ihr Gesicht war jedoch kreidebleich und wie versteinert, als hätte sie etwas gesehen, das ihr den Boden unter den Füßen weggerissen hatte. "Marno!" rief sie ihm mit schriller, alarmierter Stimme zu. "Weißt du, wo die Sachen von meinem Mann sind?"

Marno stellte die Schubkarre ab und fasste sich ans Kinn. „Das Gepäck von dem Magier? Das hat Vitold vorhin geholt.“

"Der Junge von Rodenbachs?" fragte sie mit krächzender Stimme und kämpfte gegen den festen Kloß an, der ihr die Kehle zuzuschnüren schien. Tsalindes Vermutung einer anderen Frau, Cialas Gerede von dieser Ritterin - alles fühlte sich plötzlich, angesichts Gudekars fehlender Sachen, sehr viel glaubwürdiger an. Sehr viel realer. Merle atmete ein paar Mal tief ein und aus, um die aufsteigende Panik zurückzudrängen. Vielleicht gab es eine ganz harmlose Erklärung dafür, bestimmt gab es die. "Hab Dank, Marno", brachte sie heraus. "Dann werde ich da mal nachfragen." Schnellen Schrittes, ihre kleine Tochter unter dem Mantel eng an sich gedrückt, eilte Merle mit wild pochendem Herzen zum Brauhaus.

Marno verzog die Mundwinkel und schüttelte den Kopf. Dann widmete er sich wieder dem Pferdestall.

~ * ~

Frühstück im Gasthaus “Zur Weißen Quelle” (ab der Tsastunde)

Der Speiseraum im Gasthaus des Dorfes war für das Frühstück vorbereitet und bot Platz für alle Gäste, die im Dorf und im Zeltlager übernachteten. Ein loderndes Kaminfeuer erwärmte den Raum. Der rauchige Geruch des Kamins mischte sich mit dem Duft aus einem Eintopfkessel, der über dem Feuer hing. Entlang der Fensterfront war ein reichhaltiges Buffet aufgebaut, das vielerlei herzhafter und süßer Speisen umfasste. Die Bänke an den eingedeckten Tischen waren mit Schaffellen gepolstert. Die Wirtsfamilie Bachschenk war bemüht, die Wünsche der Gäste zu erfüllen.

Nach und nach trafen die Gäste aus den verschiedenen Quartieren im und um das Dorf ein.

Trotz des mehr als ausreichenden Genusses des köstlichen Albenbluths war Murla schon früh am Morgen munter geworden, hatte ihren Gatten auf die Jagd geschickt und war dann hungrig zum Wirtshaus geschlendert. Auf dem Weg hatte sie alte Bekannte unter den Dorfbewohnern gegrüßt und ein paar freundliche Worte gewechselt.

In der Quelle angekommen, war sie eine der ersten und nachdem sie sich einen Teller mit allerlei von Buffet gefüllt hatte, suchte sie sich einen Platz am Tisch von dem aus sie die ankommenden Gäste im Auge hatte.

Die Ritterin Alana verabschiedete sich von der schönen Magd, mit der sie die letzte Nacht verbracht hatte, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und einen Klaps auf ihr pralles Gesäß. Dann betrat sie die Stube und schaute sich um. Da bis auf die Angroschna noch kaum etwas besetzt war, suchte sie sich ein freien Tisch und setzte sich hin. Der Morgen muss mit Wein beginnen und so griff sie als erstes zum Weinkrug. Nur Momente später kam ihr Bruder, der Rahjani Rahjel hinein. Er ging freudestrahlend auf seine Schwester zu. “Guten Morgen, Herz. Ich sehe dir an, dass du der Liebholden gefrönt hast. Gut so.” Alana grinste und deutete auf den Platz neben ihr. Rahjel schüttelte den Kopf. “Ich werde das Frühstück auslassen. Ich werde jetzt zum Schrein der Rahja gehen und alles für einen Bund vorbereiten. Falls du Meta und ihren Liebsten siehst, sag ihnen, dass ich nach dem Frühstück soweit wäre.” Dann griff er zum Weinkrug. “Den nehme ich mit”, feixte er und ging hinaus. Dass jemand ihn hören konnte, störte ihn nicht. Alana protestierte nur leise, stand auf und nahm sich einen neuen Krug und prostete dann der Zwergin zu.

Die Tür zum Wirtshaus öffnete sich und verstohlen schlich sich eine junge Frau hinein, die bemüht war, nicht gesehen zu werden, während sie vorsichtig in Richtung Küche ging. Gerade hatte sie die Tür erreicht und vorsichtig geöffnet, als sich Gelda Bachschenk, die Wirtin des Gasthauses  umdrehte und wütend losbrüllte. “VEA BACHSCHENK! Ich habe dich genau gesehen! Wo kommst du her? Hast dich wieder um die Arbeit gedrückt und irgendwo vergnügt, was?” Vea blieb abrupt stehen. Ihr langes, blondes Haar war noch leicht zerzaust, obwohl sie versucht hatte, es zu einem Pferdeschwanz zu binden. Das einfache Kleid, dass ihren vollschlanken Körper umhüllte, war etwas schief zugebunden. Nun kam auch ihr Vater Hagunald aus, mit einem Kochlöffel drohend in die Handfläche schlagend, aus der Küche.

Eilada Eichholz, die zweite, etwas ältere Magd, die damit beschäftigt war, die Speisen auf dem Buffet zu richten, warf einen verstohlenen Blick auf ihre Dienstherren und deren Tochter.

“Wie es ausschaut, hat eure fleißige Vea gearbeitet, schaut doch selbst wie zerzaust das Haar ist. Stolz solltet ihr sein!”, rief Alana derb dazwischen und grinste die Magd an.

Vea, gerade mal zwanzig Götterläufe jung, zwinkerte der Ritterin zu. Doch ihre Mutter ließ sich nicht so leicht besänftigen. „Gearbeitet hast du? Soso! Darüber werden wir uns später noch unterhalten. Jetzt hast du aber in der Küche zu arbeiten, in unserer Küche. Ab, da wartet das Gemüse darauf, für das Mittagessen geputzt zu werden.“ Vea tat wie ihr geheißen, nicht ohne noch einen letzten Blick auf die Ritterin zu werfen, die ihr in der letzten Nacht so wundervolle Stunden beschert hatte.

Gelda jedoch ging an den Tisch, an dem Alana saß und verneigte sich. „Ich bitte Euch, das ungebührliche Verhalten meiner Tochter zu verzeihen! Bitte entschuldigt, dass Ihr diese Szene mit ansehen musstet. Kann ich etwas für Euch tun?“

“Eure Tochter kann gerne meinen Tisch wischen kommen. Ansonsten… könnt Ihr gerne nachschenken.” Alana hielt ihr ihren Kelch entgegen. ”Hatte schon jemand gesagt, dass Ihr Eurer Tochter ähnlich sieht?” Die Ritterin schenkte der Mutter einen anzüglichen Blick.

Gelda schaute die Ritterin skeptisch an. Sie hatte eine Ahnung, worauf die Ritterin anspielen wollte, doch würde sie sich nicht erdreisten, einer hohen Dame ihre Meinung zu sagen.  Deshalb goss sie wortlos Wein in den Kelch nach und sagte dann: “Verzeiht, dass der Tisch nicht sauber genug ist, ich werde mich selbst darum kümmern, ihn abzuwischen.” Die Wirtin ging zum Tresen und kam sofort mit einem Eimer Wasser und einem Fetzen Tuch wieder. Dann wischte sie den Tisch gründlich sauber.

Alana lehnte sich zurück und betrachtete nun das Gesäß der Mutter. “Ja, wie die Mutter, so die Tochter.”, murmelte sie und nahm einen tiefen Schluck vom Wein.

Murla, die die Blicke, die zwischen Alana und Vea gewechselt wurden, beobachtet hatte, lächelte verschmitzt in ihre Teetasse.

(Anfang der Phexstunde)

Etwas verschlafen suchte sich Meta eher intuitiv einen freien Tisch.  Sie hatte heute viel frei und trug eine schwarze Hose, ein weißes Hemd und einen schwarzen Gambeson. Natürlich fehlte ihr Schwert nicht, doch sollte sie jemand genauer ansehen, wirkte sie viel weiblicher. Ihre Haare waren ordentlich und sie hatte ihr Gesicht dezent geschminkt. Langsam wurde sie neugierig und während sie Tee trank und an etwas Brot knabberte, erheiterte sie die Szene mit Alana.

Meta war schon fast fertig mit ihrem Frühstück, als der Magier Gudekar den Schankraum in der Mitte der Phexstunde betrat. Er hatte eine frische Robe aus weißen Leinen an, die mit grünen Borten verziert war. Die Borten wiederum waren mit kunstvollen Bandornamenten aus silbernen Fäden bestickt.

Darüber trug er seinen grünen Umhang, der vom Regen nass war.

Kurz nachdem Meta aufgestanden war, war auch Gudekar aufgewacht. Er hatte als erstes Vitold, dem Sohn der  Rodenbachs, zwei Kreuzer geboten, um sein Gepäck aus dem Gutshof zu holen und einen Heller, wenn dies schnell und unauffällig geschah. Dann ging er in den Waschraum, um sich ausgiebig frisch zu machen und seine Wangen zu schaben. Noch bevor Gudekar mit seiner ausgiebigen Morgentoilette fertig war, war Vitold zurück und der Magier konnte sein gutes Gewand anziehen. Die Kleider vom Vortag gab er dem Jungen mit dem Auftrag, diese ordentlich waschen zu lassen.

Als der Anconiter angekleidet war, ging er zunächst über den Markt, bevor er das Gasthaus betrat.

Nun ging Gudekar zielstrebig auf den Tisch zu, an dem Meta Platz genommen hatte. „Guten Morgen, mein Schatz“, raunte er ihr leise aber ohne zu flüstern zu.

“Gut, dass du da bist. Ich muss mich schnell mit Imelda treffen. Trödel nicht rum und wir sehen uns dann beim Tempel." Sie legte ihre Hand auf seine und sah ihn mit ungewohnt hübschen Augen fragend an. “Du bist dir noch sicher? Es ist alleine deine Entscheidung.”

„Ich habe mein Gepäck auf dein Zimmer bringen lassen!“ war seine knappe, mit einem Lächeln dargebotene Antwort. „Dann grüß Imelda schön. Bis später!“

“So, so. Du bist bei mir eingezogen.” Sie strich ihm über seine “Prachtkutte” und lächelte verschmitzt. “Ja schön. Bis gleich.”

Als Alana den Magier und Meta sah, stand sie kurz auf und setzte sich neben die Ritterin. Liebevoll legte sie ihren Arm um Meta und flüsterte ihr ins Ohr: “Mein Bruder wäre nach dem Frühstück soweit, er bereitet gerade alles für euren Bund vor.” Dann liebkoste sie flüchtig ihren Nacken und zwinkerte Gudekar zu. “Auf die Liebholde”, sagte Alana laut und hob einen Kelch. “Auf die Hochzeit!”

Liebevoll und aufgeregt blickte Meta zu Alana und Gudekar. Dann lächelte sie und schickte sich in den Regen.

Gudekar musste einen Moment überlegen, denn er kannte das Gesicht der älteren Ritterin, konnte sich aber zuerst nicht erinnern, wo er sie einzuordnen hatte. Schließlich hatte er seine Base eigentlich nur einmal kurz vor zwei Jahre auf der Hochzeit der Baronin von Schweinsfold gesehen, hatte aber auch damals kaum Gelegenheit, mit ihr zu reden. Dann erinnerte er sich. “Ihr seid Alana von Altenberg, meine Base, richtig? Ich freue mich, dass wir nun endlich einmal Gelegenheit haben, miteinander zu reden.”

Alana nickte. “Ja, im Sumpf hatten wir keine Gelegenheit dazu. Ein Glück liegt das hinter uns.” Kumpelhaft legte sie ihre Hand auf seine Schulter. “Ich hoffe, wir werden mehr Gelegenheiten bekommen. Heute ist ja ein großer Tag.” Dann zwinkerte sie.

“Ahm, die Hochzeit von Gwenn findet doch erst morgen statt.” Dann begriff Gudekar, was Alana meinte. “Achso, Ihr meint für Meta und mich. Euer Bruder hat Euch eingeweiht. Ja, in der Tat. Dies ist ein wichtiger Schritt für Meta und mich. Es wird ihr zeigen, wie sehr mir an ihr gelegen ist.”

“Ein besonderes Früchtchen. Aber die schmecken oft am besten”, sagte die Ritterin und ging wieder zu ihrem Tisch.

Gudekar schmunzelte voller Vorfreude.

~*~

Tsalinde und Lys wurden am nächsten Morgen davon geweckt, dass ihr Sohn auf ihnen herum krabbelte.

Lachend nahm Isavena ihn herunter und stupste ihn auf die Nase. “Komm, kleiner Mann, jetzt bist du mit Waschen und Anziehen dran. Der Rest des Hauses ist schon wach und auf den Beinen, vielleicht bekommen wir ja was zum Frühstück.”

“Ja, Frühstück”, jubelte der Kleine und gleichzeitig setzte sich Lys im Bett auf.

“Oh ja, Frühstück klingt toll.”

Neben ihm aus dem Haufen aus Decken hörte man nur ein verschlafenes Grummeln.

Lys lachte und zog dann blitzschnell und rücksichtslos die Decken weg. “Na los, aufstehen. Deine Familie hat Hunger.”

Schlaftrunken kletterte Tsalinde murrend aus dem Bett, schlüpfte in ihre Kleidung und gesellte sich zu den Wartenden. Isavena und Lys lächelten sich zu. Tsalindes Morgenmuffelei war ihnen nur zu bekannt. Erst beim gemeinsamen Frühstück mit der Bauernfamilie wurde die Adelige wach. Der Tisch war reichlich gedeckt, die Kinder plapperten munter durcheinander und das warme, frisch gebackene Brot schmeckte einfach köstlich. So konnte sich die Familie gut für den kommenden Tag stärken.

~*~

Stahl und Eier (Phexstunde)

KLONG – KLONG – KLONG. Im Imeldas Kopf war ein lautes, rhythmisches Klopfen zu hören. Als sie unsanft erwachte, fürchtete sie zunächst, am vorigen Abend doch zu viel vom Bier und Wein und Schnaps und wer weiß was noch genossen zu haben. Doch dann wurde ihr Geist klarer und sie begriff, dass das Hämmern aus dem Schmiederaum unter ihrer Schlafstatt kam. Sie versuchte sich die Decke und das Kissen über die Ohren zu ziehen, aber an ein weiterschlafen war – zumindest hier –  nicht zu denken.

Die Haare von Imelda standen wild in alle Richtungen ab, als sie in ihrem weißen, mit Drôler Spitze besetzten Nachthemd hinunter in die Schmiede trat. Dass der dünne Stoff das eine oder andere bei Imelda erahnen ließ, sorgte die junge Hadingerin in diesem Moment keineswegs. Mit angesäuerter Miene sah sie zu jener Person, welche für den Krach verantwortlich war. "Verzeihung!", schrie sie sehr laut heraus, "...aber ist es hier üblich, mitten in der Nacht mit der Arbeit zu beginnen?"

„Mitten in der Nacht?“ empörte sich Limrog. „Der Tag ist schon halb rum. Ich dachte schon, ich muss ein Loch für Euch buddeln gehen, weil Ihr gar nicht mehr aufwacht.“ Dann zeigte er auf die Feuerstelle, auf der über den Kohlen, in denen er das Eisen zum Glühen brachte, auch eine gusseiserne Pfanne montiert war, aus der es herzhaft duftete. „Dort, bedient Euch! Einen Krug mit kühlem Bier findet ihr dort drüben auf dem Tisch.“ In der Pfanne brutzelten mit Speck und Zwiebeln gebratene Rüben in einer würzigen Sauce, die langsam vor sich hin köchelte. „Ihr könnt Euch auch ein Paar Eier darüber aufschlagen und garen, wenn Ihr mögt.“

"Speck und Eier und dazu ein kühles Bier, das nenne ich ein ordentliches Frühstück! Habt besten Dank, Meister Limrog! Ich werde es mir schmecken lassen." Die junge Geweihte sprang in ihrem dünnen Nachthemd zu der Pfanne, begutachtete den Inhalt und griff zu zwei Eiern. "Ganz köstlich; ich bin gleich bei Euch!"

~ * ~

Wo ist der Saukerl?

(Perainestunde)

Die Perainestunde hatte gerade begonnen, als Merle mit Lulu auf dem Arm am Brauhaus erschien. Die Aufregung ihrer Mutter hatte sich auf Lulu übertragen und der Regen machte die Situation auch nicht besser. So weinte Lulu jämmerlich, als Merle am Hintereingang des Hauses auftauchte. Erlwulf Rodenbach schob einen Sack Getreide auf einer Karre aus dem Lagerraum in den großen Raum mit dem kupfernen Braukessel. Als er Merle sah, oder besser gesagt Lulu hörte, stellte er die Karra ab und drehte sich um. „Hohe Dame von Weissenquell! Eine Freude euch hier zu sehen. Was verschafft mir die Ehre?“

Merle trat dankbar ins Trockene und schlug die tropfende Kapuze ihres Mantels zurück. Unentwegt hüpfte sie leicht auf der Stelle herum, um Lulu zu beruhigen, bislang ohne erkennbaren Erfolg. "Guten Morgen, Meister Rodenbach!" grüßte sie freundlich und rang sich ein liebenswürdiges, entschuldigendes Lächeln ab. "Ich wollt' mich erkundigen, ob mit meinem Mann alles in Ordnung ist." Unwillkürlich blickte sie in Richtung des Treppenaufgangs zu den Gästekammern.

„Meister Gudekar? Nein, den habe ich heute noch nicht gesehen“, erklärte Erlwulf.

Da meldete sich Vitold zu Wort, der in einer Eckes des Kesselraums mit seiner jüngeren Schwester Murmeln gespielt hatte. „Ich habe mit dem Zauberer heute schon gesprochen.“

"Ah, Vitold - und Lindwin, nicht wahr? Einen guten Morgen auch euch!" grüßte Merle die beiden Geschwister. Sie trat zu den Kindern und ging bei diesen mit Lulu in die Hocke, auch in der Hoffnung, dass die rollenden Murmeln das Interesse ihrer Tochter wecken und diese vom Schreien ablenken würden. "Schau Lulu, was die großen Kinder da haben! So schöne Murmeln!!" redete sie sanft auf Lulu ein, dann schaute sie den Elfjährigen mit warmem, freundlichen Blick an. "Was hat der Meister Gudekar denn zu dir gesagt vorhin?"

Vitold blickte lächelnd zu Lulu und reichte ihr eine besonders große Holzmurmel, die sie nicht verschlucken konnte. „Hier, Lulu, schau!“ Lulu beruhigte sich und griff interessiert nach der Murmel. Lindwin setzte sich gleich so, dass sie das kleine Mädchen fast auf ihrem Schoß hatte, und fing an mit ihr zu spielen.

"Ach, das ist ja lieb!" Merle ließ die große Holzmurmel ein paar Mal spielerisch vor Lulu herumtrudeln und der Kleinen langsam entgegen rollen, dann gab sie ihr die Kugel zum Bestaunen zurück in die kleinen Hände.

Vitold hingegen wandte sich zu Merle, nachdem sein Vater ihn ermahnt hatte, der Dame zu antworten. „Der Gudekar, der hatte mir aufgetragen, seine Sachen aus dem Gutshof zu holen, weil er sich umziehen wollte.“

Als Lulu das Spielzeug aus den Händen fallen ließ, griff Merle wie automatisch danach und gab ihrer Tochter die Holzmurmel zurück; ihr Blick war jedoch auf den Jungen gerichtet. "Hab ganz großen Dank, Vitold! Da hast du meinem Mann einen trefflichen Dienst erwiesen", sagte sie liebevoll zu ihm. Innerlich war sie immer noch aufgewühlt und ihre Kehle wie zugeschnürt, doch zwang sie sich, das nicht an den Kindern auszulassen. "Und auch noch bei dem garstigen Regenwetter, du Armer! Sagt mal, könnt' ihr Lulu für einen Moment ein bisschen die Murmel zurollern lassen? Ich bin gleich wieder da." Merle erhob sich und ging zurück zu Erlwulf. "Meister Rodenbach, wäre es Euch vielleicht möglich, kurz nachzusehen, ob mein Gatte oben auf seinem Zimmer weilt? Ich müsste dringend mit ihm sprechen."

„Da brauchst du gar nicht nachsehen, Vater. Der Gudekar ist zum Frühstücken bei den Bachschenks“, warf Vitold ein.

“Ah, danke, dann werd’ ich gleich mal schauen, ob ich ihn da antreffe!” nickte Merle eifrig. “Kann ich die Lulu kurz hier lassen? Die Kinder spielen so lieb miteinander.” Bittend schaute die junge Frau zwischen Erlwulf, Vitold und Lindwin hin und her. Sie wandte sich schon zum Ausgang, da biss sie sich nachdenklich auf die Unterlippe. “Und ähm, offenbar war’s ja ein Irrtum, dass Gudekar sein gesamtes Gepäck herbringen ließ. Er benötigte wohl nur frische Kleidung. Meister Rodenbach, wärt Ihr, wenn’s keine allzu großen Umstände macht, bitte so freundlich, seine Sachen zurück in unser Gemach auf dem Gutshof transportieren zu lassen? Ihr wisst schon, wir sind ja im Gesindehaus untergekommen.” Sie lächelte den Braumeister liebreizend an, auch wenn sie die Hände zu so festen Fäusten ballte, dass ihre Fingernägel sich schmerzhaft in die Handflächen drückten.

„Ja, bitte, lass uns noch ein bisschen mit Lulu spielen“, bat Lindwin.

„Aber du musst aufpassen, dass sie keine Murmel verschluckt, Lindwin!“ ermahnte der Vater seine Tochter. „Und du, Vitold, du bringst dann nachher das Gepäck des gelehrten Herrn zurück.“

„Ja, Vater. Bekomme ich dann wieder einen Heller?“ fragte der Junge frei heraus.

"So so, Vitold, einen ganzen Heller hat dir mein überaus großzügiger Göttergatte gezahlt?" Merle zog ironisch die Augenbrauen hoch. "Seit er als berühmter Magier durch die Lande zieht, wirft er mit dem Geld nur so um sich, was?" Sie griff in ein Lederbeutelchen, das sie am Gürtel trug und zog sowohl für Vitold als auch für Lindwin ebenfalls einen Heller heraus. "Weil ihr beide so lieb zu Lulu seid", sagte sie sanft, nickte Erlwulf noch einmal zu und trat zur Tür. "Bis gleich, ich beeil' mich!"

Vitold strahlte über das ganze Gesicht. „Dann mache ich das wieder ganz unauffällig!“

Merle starrte den Jungen für einen Augenblick ausdruckslos an und nickte, dann zog sie die Kapuze über den Kopf und machte auf dem Absatz kehrt.

~ * ~

Da ist er, der Mistkerl!

(Nach Anbruch der Perainestunde)

Gudekar saß allein an einem der Tische in der Gaststube der Weißen Quelle. Er hatte sein Frühstück aufgegessen und hielt sich noch an einem Becher heißen Früchtetees fest. Der Magier ging seinen Gedanken nach und freute sich auf die anstehende Zeremonie mit Meta bei seinem Vetter Rahjel, als eine junge Frau die Schankstube betrat, die nicht gleichermaßen froh wirkte. Es war Gudekars Frau Merle. Doch Gudekar bemerkte sie zunächst nicht, da er mit dem Rücken zur Tür saß.

Merle ging direkt zu Gudekars Tisch. "Guten Morgen, Gudekar", grüßte sie ihn in scheinbar ruhigem, neutralen Tonfall und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch. Ihren Mantel legte sie über die Lehne.

Gudekar war überrascht, Merle hier zu sehen. Fast hätte er sich an seinem Tee verschluckt. Doch dann lächelte er seine Frau an. “Guten Morgen, Merle. Ich hatte nicht damit gerechnet, dich hier zu sehen. Wie war der Abend im Forsthaus noch? Seid ihr noch lange geblieben?”

"Ja, es ging länger. Gwenn bot uns daher ein Nachtlager im Forsthaus an." Eindringlich und mit immer noch undurchschaubarer Miene musterte sie ihn. “Gut siehst du aus.” Merle selbst wirkte in der durchnässten Kleidung vom Vortag und mit dem zerzausten Zopf etwas derangiert; ihre Wangen waren mädchenhaft gerötet, die braunen Augen funkelten wach und aufmerksam. “Wie geht’s Ritterin Croy? Ist sie wohlauf?”

Gudekar betrachtete Merle eindringlich, nickte dann. “Ja, das Bad in dem See hat ihr dann doch weniger ausgemacht, als ich befürchtet habe. Sie hat tief und fest geschlafen und sich scheinbar gut erholt. Warst du schon bei Lulu? Ich freue mich schon sehr darauf, sie nachher zu sehen.”

"Sie sich auch." Merle schwieg einen Moment, schluckte und lehnte ihren Oberkörper über den Tisch zu ihm herüber. “Du hast deine Sachen aus unserem Zimmer geholt”, erwähnte sie in einem leichten Ton, aber mit fragendem Blick.

Erschrocken weiteten sich seine Augen für einen kurzen Moment. Dann antwortete er ruhig. “Ja, das stimmt, Ich hatte noch die Kleider von gestern, in denen ich auch noch die Nacht verbracht habe. Ich wollte mich frisch machen und umziehen. Da habe ich den Rodenbachjungen gebeten, mir meine Sachen zu holen.”

"Ja, ganz unauffällig", sagte sie sanft.

Gudekar schluckte. “Was meinst du?”

Sie starrte ihm direkt in die Augen, sagte aber nichts. Er würde die Botschaft schon verstehen, wenn nachher seine Sachen bei Rodenbachs weg waren. Stattdessen zwang sie sich zu einem zarten, traurigen Lächeln. "Gudekar, warum lässt du mich nicht mehr in deine Nähe?" wisperte sie sehr leise, fast beschwörend. "Warum lässt du mich nicht an dich ran? Wovor hast du Angst?"

Erneut weiteten sich Gudekars Augen, doch diesmal formten sich auf seinen Lippen lautlose Worte: ‘Das willst du gar nicht wissen!’ Doch er sprach sie nicht aus. Stattdessen sammelte er sich wieder und blickte Merle mit einer Mischung aus Ernsthaftigkeit und Mitleid an. “Merle, wir müssen nachher unbedingt reden. Jetzt geht es nicht, ich habe noch etwas Wichtiges zu klären, etwas zu erledigen. Es geht um die Reise, auf die ich mich begeben werde. Ich weiß, du erwartest Erklärungen, und die Zeit ist nah, dass du sie bekommen wirst. Gib’ mir nur noch etwas Zeit.” Merle blickte Gudekar an und er hielt ihrem Blick stand. Sie sah in seinen Augen. dass seine Worte keine Bitte um Aufschub waren, sondern eine für ihn unumstößliche Tatsache. Sie kannte diesen Blick. Es war ihm ernst, mit ihr reden zu wollen, aber jetzt würde sie von ihm keine Erklärung erhalten.

"Was denn zu erledigen? Du hast hier eben ganz entspannt deinen Tee getrunken..." Merle zog zweifelnd die Stirn kraus und musterte ihn ernst und eindringlich. "Gudekar, bitte lass' uns nachher wirklich reden. Richtig reden, offen und ehrlich." Sie streckte über den Tisch ihren Arm aus, wagte es aber nicht, seine Hand zu nehmen, dann fügte sie ganz leise hinzu: "Menschen sind menschlich, das weiß die Gute Mutter. Der Bund bedeutet auch, Fehler zu verzeihen, an der Ehe zu arbeiten. In schweren Zeiten nicht aufzugeben und den anderen nicht im Stich zu lassen. Aber...", in ihren braunen Augen stand neben Angst, Misstrauen und Verzweiflung auch ihre unerschütterliche Liebe zu diesem einen, ihr so vertrauten Mann, “...ich kann unsere Ehe nicht allein retten. Du musst mir dabei helfen.”

Erneut öffnete sich die Tür zum Schankraum und Merle sah Gudekars Schwester Gwenn eintreten, die umgekehrt auch gleich Merle und Gudekar erblickte. Sofort erkannte sie den Ernst der Lage, hatte Gudekar ihr doch von seinem Wunsch erzählt, den Rahjabund mit Meta heute zu erneuern. Als geübte Diplomatin ließ sie sich jedoch nichts anmerken. Noch ehe Gudekar etwas auf Merles Bitte erwidern konnte, kam die Braut in spe an den Tisch der beiden.

“Guten Morgen, Merle, guten Morgen Gudekar. Ach, schön, dass ich euch hier sehe. Habt ihr gut geschlafen? Merle, du warst ja schon weg, ehe ich aufgestanden bin. Ich hatte gehofft, wir könnten in Ruhe gemeinsam frühstücken, bevor wir ins Dorf zurückkehren.” Gwenn ließ weder Merle noch Gudekar Zeit zu antworten und sprach immer weiter. “Sag mal, Merle, warst du schon bei Lulu? Luzia meinte, deshalb seist du so früh losgegangen. Aber sie ist doch bei Ciala gut versorgt. Hast du Lust, mit mir über den Markt zu schlendern? Ich weiß, es regnet noch sehr unangenehm, aber irgendwie würde ich doch gerne schauen, ob ich noch etwas besonderes als Geschenk für Rhodan finden kann. Vielleicht hast du da bessere Ideen, was ihm gefallen könnte, als ich?”

Merle schluckte die bitteren Tränen, die sich in ihren Augen sammeln wollten, tapfer herunter und zeigte Gwenn ein herzliches, strahlendes Lächeln. "Oh, Gwenn, guten Morgen! Ja, ich hatte heute morgen einfach keine Ruhe mehr...", sie zuckte seufzend mit den Achseln. "Und tatsächlich hat unsere liebe Lulu vorhin recht erfolgreich den halben Gutshof zusammengeschrien. Im Moment bespaßen sie die Rodenbach-Kinder." Sie erhob sich mechanisch und ergriff ihren Mantel. "Dann schauen wir mal, ob wir was schönes für den Rhodan finden." Noch einmal nickte sie ihrem Mann mit eindringlichem Blick zu. "Bis später, Gudekar. Ich liebe dich."

„Bis später, Merle!“ Gudekar blickte ihr hinterher. Ihre Liebesbekundung tat ihm leid. Doch er konnte ihr nicht bieten, was sie sich wünschte, was sie verdient hätte.

“Na komm, Merle”, munterte Gwenn die Frau ihres Bruders auf. “Machen wir eine kleine Frauentour durch das Dorf.” Dann hakte sich Gwenn bei Merle unter und führte sie aus dem Gasthaus hinaus.

~ * ~

Kurz hatte der Magier Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Dann öffnete sich die Tür und AdelmannXI trat ein, anscheinend hatte er nach dem Frühstück einen Spaziergang gemacht und das Gasthaus hatte ihn wie magisch angezogen. „Ah, der Herr Magier. Habe die Ehre. Was schaugns n so?“ Ohne zu fragen nahm er gegenüber von Gudekar Platz. „A Bier, Madl, geschwind. I hab an Durscht und du schaust fesch aus“, rief er der Magd zu. „So oane der die a mal guat. Verzähl, was passt ned? Dafür hab ich a Gespür.“ Bei den letzten Worten richtete er sich im Sitzen auf und pochte auf seine Brust, dass die Orden und Abzeichen nur so klirrten.

Gudekar schaute aus seinen Gedanken gerissen hoch. Er erkannte den Schwager seines Bruders sofort wieder, obwohl er ihn seit etlichen Jahren nicht mehr gesehen hatte. Doch gewisse Leute vergisst man nicht. „Oh, seid gegrüßt, Euer Wohlgeboren. Ich würde Euch ja gerne einen Platz anbieten, aber Ihr sitzt ja bereits. Ciala hat sich sicher gefreut, Euch wiederzusehen. Ihr habt ihr vermutlich viel zu erzählen. Da will ich Euch gar nicht mit meinen Sorgen belasten.“

AdelmannXI schwieg etwas und betrachtete Gudekar. Er hatte ihn früher schon gesehen, damals mit seiner Frau, in der Familie aber sehr schüchtern und still. Er beugte sich etwas zu Gudekar vor. „Belastet mich gern mit eure Sorgen. A Weib steckt dahinter, ned wahr?“ Dieses laute, plärrende Kleinkind, das seine Schwester gehalten hatte war ja seines. Gut, darauf hatte AdelmannXI wirklich keine Lust mehr. Die Frau, die es geholt hatte war aber ansehnlich. „Verzählts mir es.“

Gudekar blickte zu seinem Gegenüber. So, wie er den Bruder seiner Schwägerin kannte, aus persönlichen Begegnungen genauso wie aus Erzählungen, war AdelmannXI nun wahrlich nicht der Richtige, wenn es darum ging, sich Ratschläge in Herzensangelegenheiten einzuholen. Soweit Gudekar wusste, ging es dem Mann lediglich um die reine Fleischeslust und nicht um wahre Liebe, Vertrautheit, Geborgenheit, Fürsorge und Verantwortung für die Menschen, an denen einem etwas lag. Das, was er Meta empfand, aber auch noch immer für Merle. Deshalb versuchte der Magier der Frage des Edlen auszuweichen. “Es geht nicht um das rahjagefällige Verlangen nach einer Frau, wenn Ihr das meint. Es geht um Entscheidungen über das Leben, das Wohl und die Seele der Anvertrauten.” Der Anconiter biss sich auf die Zunge, als ihm bewusst wurde, dass seine Worte wohl erst recht die Neugier seines Gegenübers anheizen würden.

Er sollte sich nicht täuschen. „Ah.. so is des. Kompliziert also. Aber bissal Fleischeslust ist doch des Salz in der Suppn. Ohne is es fad.“ Er nahm einen kräftigen Schluck Bier aus seinem Krug. „Erklär mir des genauer. Ich hab dei Weib vorhin gsehn. Vatter bist worn. Passt eh, dann hast dei Pflicht erstamoi erfüllt.“ Er fixierte Gudekar wieder sehr genau. Was die Frauen an so einem Hemad von Mann wohl fanden? „Wäre alles guad, dann datst ned so a Gsicht machen. Es san also zwoa Weiber. Und wo is jetzat dei Problem? Eine wirst doch mehr meng. Oder ist die, die das Herz anspricht beim fleischlichen Rahjadienst ned so befriedigend wie de Ander?“ Er wartete kurz. „Dei Frau, de is doch fesch. Erzähl mir mehr.“

“Da ist nicht viel zu erzählen.” Gudekar rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. “Es geht nicht um Fleischeslust, mein Lieber. Es geht um Seelenverwandtschaft. Und was für wen am besten ist. Merle ist eine wunderbare Frau und ich möchte nichts tun, was sie verletzt. Aber genau das tue ich, weil ich weiß, dass es das Richtige ist.”

„Hört mir genau zu. I woas, dass es um zwoa Frauen geht. Ah, Seelenverwandtschaft, mit welcher?  Wer ist die, die Eich glücklich macht?“ AdelmannXI merkte, dass er mit dem Jungen sachte reden musste. „Seelenverwandt kann I a mit oana Verwandten sei. Ihr hadert, oder? Und natürlich spuin Rahjas Freuden dabei a Rolle. Glücklich der, der beides in oana Person findet.“

“Merle ist wirklich eine gute Frau. Wirklich. Aber ich kann nicht bei ihr bleiben.” Gudekar wirkte verzweifelt.

Der Magier war nicht sehr gesprächig. Er war im Vergleich zu dem letzen Besuch, der schon mehrere Götterläufe zurück lag eh irgendwie seltsam. „Und warum ned?“

Gudekar blickte hoch. Er sah AdelmannXI tief in die Augen. Mit verschwörerischen Tonfall fragte er Ihn: “Könnt Ihr ein Geheimnis für Euch bewahren?”

„Aber freilich. Ich schweige wie ein Grab. Wem sollte ich denn davon erzählen?“

“Seht Ihr, ich kann das auch!” Gudekar lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.

„Schlau aber gefährlich, Bürscherl. Guad.“ Er trank den Rest seines Bieres aus und stand auf. „Mia segn uns ned des letzte Moi. Aber nehmt’s den Ratschlag an. Ihr habt’s Eure Weiber den im Griff. Des kann flugs aus dem Ruder gehen. Wann Ihrs drauf habt, besorgts erst Eure Frau. Aber ordentlich, de schaugt a so und des wirkt. Um eire Gspusis oder könnt’s eich danach kümmern.“

Mit diesen Worten ging er möglichst würdevoll von dannen.

“Es ist halt alles viel komplizierter, als Ihr es Euch ausmalt”, sprach Gudekar zwar an den schon gegangenen AdelmannXI gerichtet, aber die Tischplatte anstarrend.

~ * ~

Du hast die Haare schön

(Perainestunde)

Imelda war gerade satt und wach genug, da hörte sie, wie jemand nach ihr rief. “Imelda! Imelda! Ich brauche die Zöpfchen. Jetzt. Passt es?” Meta hetzte recht geschwind zu ihr ins Trockene, hob die Schultern und lächelte. “Nass halten sie eh besser, oder?”

“Kommt hier rein und grüßt noch nicht einmal, diese Gigrimna. Tut so, als wäre es das hier ein Barbiergeschäft, wo frau ein und ausgehen kann. Typisch!” schimpfte Limrog über Metas Auftreten. “Das hat man davon, wenn man sich Gigrims ins Haus holt.”

"Verzeiht, Meister Limrog!" Auch wenn die Haare Imeldas noch immer zerzaust aussahen, so hatte sie inzwischen immerhin Kleidung an. Besser gesagt Arbeitskleidung. Über einer engen braunen Lederhose trug sie ein dünnes Leinenhemd, welches ihrer Figur sehr schmeicheln würde, hätte sie nicht eine dicke Schmiedeschürze darüber getragen, sowie einen breiten ledernen Schmiedegürtel. In ihrer Hand hielt sie in der Zange einen kleinen glühenden Rohling. "Aber bei meiner Freundin handelt es sich um einen Notfall! Ihr Bart...", sie suchte nach dem richtigen Wort auf Rogolan, "...also ihr Haar, muss dringend hergerichtet werden. Sie nimmt gleich an einer Zeremonie teil!", rief sie lauthals Meister Limrog entgegen und winkte Meta mit dem glühenden Eisen herumfuchtelnd herein.

Meta sah perplex zwischen ihrer Freundin mit dem glühenden Eisen und dem Angroscho hin und her. “Ich bitte um Verzeihung, Meister Limrog, aber mir bleibt wenig Zeit und ich fürchte, dass wir das nicht mehr schaffen. Da habe ich Euch wohl, also meine Manieren vergessen.“ Sie antwortete in fließendem Rogolan. Das hatte sie in Cres gelernt. Mit Isdira hatte es nie geklappt.

Limrog sah skeptisch zwischen der Ritterin und der Ingrageweihten hin und her. “Ihr solltet Euren Rohling aber fertig schmieden. Wenn Ihr jetzt zu lange wartet, könnte das Metall spröde werden und ihr müsst es neu einschmelzen.” Limrog arbeitete derweil weiter an der Objekt, dass ihn schon den ganzen Morgen beschäftigte.

„Imelda! Das dauert ewig.“ Meta wurde verzweifelt. Sie wusste, dass Gudekar sich darüber freuen würde. Andererseits waren es nur Zöpfe.

„Dass ihr Kurzlebigen immer so ungeduldig sein müsst! Gut Ding will Weile haben! Aber nein, immer in letzter Minute kommen, und dann muss man es sofort erledigen! Genau wie dieser furchtbare Magier!“ Limrog hatte offensichtlich schlechte Laune, die er nun zu gerne an den beiden jungen Frauen ausließ.

Imelda sah stirnrunzelnd zu dem Angroscho. “Ach was, Meister Limrog. Auch wenn ich den Rohling von Grund auf neu erhitzen muss, so gebietet es mir meine Ehre, in einem Notfall einer Freundin zu Hilfe zu eilen. Und dass bei Metas Haar Hilfe nötig ist, sieht man ja wohl!”, sie sah Limrog sehr eindringlich an und deutete mit der Hand auf ihre Freundin. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass Meta ihre Worte vielleicht in den falschen Hals bekommen könnte. Dann zeigte sie auf ihre eigenen Haare, welche wild und struppig in alle Richtungen abstanden. “Das Leben meiner Freundin hängt davon ab - wenn ich ihr jetzt nicht helfe; ist ihr Leben verwirkt!"

“Das Leben dieser Frau hängt von ihren Haaren ab?” Limrog schüttelte verständnislos den Kopf. Ein Rohling war allemal wichtiger als das Haar eines Hauptes. Diese Erkenntnis unterstrich der Bart des Schmieds, der mehrere angesengte Stellen vom Funkenflug in der Schmiede aufwies. Dann widmete er sich wieder dem Kerzenleuchter, an dem er arbeitete.

Imelda sah schmunzelnd zu dem Schmied. "Es wird nicht lange dauern, Meister Limrog, und ich arbeite gleich an meinem Rohling weiter! Ihr werdet sehen, dass ich die Zeit noch aufholen werde!", rief sie ihm laut entgegen und legte ihren inzwischen nicht mehr glühenden Rohling auf den Amboss, an welchem sie arbeitete.

Limrog gab einen abfälligen Seufzer deutlich hörbar von sich. Er blickte auf Imeldas Rohling und brabbelte in seinen Bart: „Was hätte das eigentlich mal werden sollen? Naja, ist ja auch egal, das muss sie sowieso neu anfangen.“

Dann zwinkerte Imelda Meta zu. "So, schon aufgeregt? Komm' mit in mein Schlafgemach. Ich habe gestern Abend schon alles bereit gelegt. Wir können also gleich loslegen!"

„Vorbereitet? Oh, so komplex wird das.“ Gespannt und nervös folgte Meta ihrer Freundin. Sie war ihr so sehr dankbar, dass diese ihr half. Hatte Merle nicht auch oft ihr Haar schön und geflochten? Sicher gefiel das ihrem Magier. „Ich wollte dich nicht in Schwierigkeiten bringen. Zur Not passt das mit den Haaren. Gudekar wird es sicher gefallen.“

"Setz dich hier hin und entspanne dich, wenn du das kannst. Ich würde ja an deiner Stelle total überschnappen.” Imelda schwang ein Tuch um die Schultern der Ritterin und holte zwei kleinere Scheren hervor, diverse Haarspangen, einen Kamm und Lederbänder. “Was meinst du mit Schwierigkeiten? Dem Rohling passiert nichts; ich wärme ihn erneut auf. Angroschim wirken auf uns Menschen manchmal griesgrämig, aber sie haben ein gutes Herz, wenn man weiß, mit ihnen umzugehen. Ist schon schade, dass man mit einem Angroscho keine Kinder zeugen kann.” Imelda holte flüchtig Luft, ließ Meta jedoch keine Zeit zum Antworten. Mit dem Kamm begann sie nun die Haare Metas zu glätten, während sie fortfuhr: “Es gab ja schon den ein oder anderen, den ich mir sonst als Partner hätte vorstellen können. Aber ich will auch mal Kinder.” Sie roch kurz an Metas Haar und fuhr dann fort: “Also, mache dir meinetwegen keine Sorgen. Wie sollen die Haare denn aussehen? Ich kann viele Hochsteckfrisuren. Du wirst wie eine Prinzessin aussehen, warte mal ab! Ich habe auch Stoffblüten besorgt, die ich dir einflechten werde. Gudekar wird ganz begeistert sein! Bist du schon nervös? Ich wäre es ja…”, plapperte sie aufgeregt weiter.

„So eine hübsche Frisur, so ähnlich, wie das kleine Mädchen es hatte, das gestern Abend am Nebentisch so niedlich gespielt hat. Bevor wir losgegangen sind.” Sie beschrieb so gut es ging die einfache Flechtfrisur.

Zwergee…  das geisterte Meta im Kopf herum. Da musste sie Imelda nochmal genauer befragen.

Imelda schaute Meta ausdruckslos an. “Häh, welches kleine Mädchen? Ist mir nicht groß aufgefallen…” Sie nahm Metas Haar und drapierte es probehalber auf deren Oberkopf. “Du meinst so einen horasischen Zopf, der einmal von links nach rechts hier rüber geht, also wie ein Kranz? Soll alles hochgesteckt sein oder wollen wir unten ein paar lose Locken raushängen lassen, damit es nicht so hart und streng wirkt?” MIt einem Augenzwinkern grinste Imelda Meta an. “Oder willst du hart und streng wirken?”

„Nein! Nicht hart und streng. Er soll sich ja nicht fürchten.“ Meta vertraute darauf, dass Imelda etwas einfallen würde. „Das machst du schon. Ich irritiere schon genug die Leute. Es soll ruhig etwas weiblicher und nett aussehen. Du hast schönes Haar, da kannst du sicher auch viel daraus machen.—- Überhaupt, hast du dir mal überlegt, später auch Schmuck herzustellen?“

Limrogs regelmäßige Hammerschläge waren in Imeldas Zimmer gut zu hören und machten es schwer, sich zu konzentrieren.

"Ich habe während meiner Ausbildung in unserer Goldschmiede arbeiten müssen. Das fand ich aber nicht so interessant, wie sich der hohen Schmiedekunst zu widmen." Imelda nahm eine Spange in den Mund, was sie jedoch nicht vom Weiterreden abhielt, während sie in Metas Haaren herumnestelte. "Warum eigentlich heute morgen? Wäre es nicht auch für euch beide viel schöner, wenn ihr den Bund nach der Hochzeit schließt? Ich wäre auch gerne dabei gewesen und Mika vielleicht auch?"

“Wir werden wohl gleich oder recht schnell von hier verschwinden müssen, wenn Gudekar es seiner Familie und Merle vor allem offenbart hat. Da bleibt keine Zeit mehr für einen Bund.” Imelda machte ihre Sache besser, als gedacht. Meta hatte sich schon darauf eingestellt, wie früher als Kind von ihrer Mutter gerupft zu werden. “Na überleg mal. Ausser für dich und Gudekar bin ich die verachtenswerte Person hier. Merle ist bei allen beliebt und du hast selber gesagt, dass ich Böses tue. Diesmal ist es natürlich leicht, zu urteilen. Aber ich bin sicher, dass so gut wie jeder Böses tut oder getan hat. Oft ist es ihm nicht bewusst, da es eben auf den Blickwinkel ankommt. Um beim Fall zu bleiben. Damals, als Gudekar und Merle ein Paar vor Rahja waren und erwischt wurden, da zwangen sie die Dreifelder, den Bund zu schließen. Er hätte doch auch so bei ihr bleiben können. Seine Familie war dagegen und das war seine Möglichkeit, einmal gegen diese aufzubegehren. Natürlich war er dumm. Aber war das Hardomar nicht auch? Verema war auch blöd, sich noch ein Kind anhängen zu lassen. Obwohl es jetzt mit Rahjaman wirklich ganz anders ist. Sie hat einen ruhigen, ausgleichenden Mann gebraucht. Ich schweife ab. Wie geht es denn deiner Tante mit ihrem Freund?“

Während Meta redete, arbeitete Imelda hochkonzentriert an einer komplexen, aber dennoch elegant und einfach aussehenden Hochsteckfrisur. Eigentlich war dies nicht anders, befand sie, als etwa an einem filigranen Schwertgriff zu arbeiten - Handwerk blieb schließlich Handwerk. “Ach, bei Tante Coletta gibt’s nichts Neues”, erzählte sie. “Ihr Joram führt sein Leben als Stadtvogt und Familienvater - und sie genießt die Annehmlichkeiten einer Beziehung, ohne auf ihre Freiheit und Unabhängigkeit verzichten zu müssen. Du merkst…”, Imelda zuckte leicht verlegen mit den Achseln, “...in meiner Familie gibt es auch einige, die nicht ganz so traviatreu sind…” Plötzlich stockte die Hadingerin im Hochstecken des nächsten Zöpfchens und ihre Augen weiteten sich. “Mensch Meta, das hätte ich ja fast vergessen!” Imelda eilte aufgeregt zu einer ihrer Taschen und kramte darin, bis sie mit verschränkten Armen hinter ihrem Rücken freudestrahlend vor Meta stand: “Tadaaa!”, rief sie laut aus und hielt präsentierend zwei schmale Gläser und eine Flasche Schaumwein vor die Nase ihrer Freundin. “Echter Bosparanjer! Den hat mir Thymon empfohlen! Toll, was?” Noch bevor Meta antworten konnte, ploppte der Kork heraus und knallte gegen die Decke. Zügig goss Imelda die schäumende Flüssigkeit in die zwei kleinen Gläser. “Also, auf dich und Gudekar!” prostete sie, trank einen Schluck und griff dienstbeflissen wieder zum Kamm, während sie Meta das Gläschen genießen ließ. “Also, Rahja-Mann?”, kicherte sie plötzlich in sich hinein. “Großartiger Name! Wer soll denn das sein? Ist der mit dieser Verema zusammen?”

Überrascht nahm Meta das Getränk und stieß mit Imelda an. Sie lachte vergnügt, wiegelte aber die Frage nach Rahjaman ab. „Von denen erzähle ich dir ein anderes Mal. Deine Tante hab ich extra erwähnt, weil ich dich eben daran erinnern wollte. Seit ich hier bin, bist du zwar so fröhlich, wie ich dich kannte, aber ich hab das Gefühl, dass du mein Handeln verurteilst. Und dann wusstest du doch, wann ich komme, ich musste dich aber mehr zufällig treffen. Mit deiner neuen Freundin. Mit ihr verstehst du dich so gut. Mit ihrer Schwester wohl auch und es würde nicht lange dauern, dann wäre Merle Teil eurer Runde. Ich bin neidisch und eifersüchtig.“ Jetzt war es ehrlich ausgesprochen, was sie gestört hatte. Es lag wohl am Bosparanier.

Verwirrt schaute Imelda ihre Freundin mit großen blauen Augen an und nahm ihr wortlos das Glas aus der Hand. Offenbar war Meta mit den Nerven komplett durch und der Schaumwein hatte anscheinend nicht gerade geholfen. "Meta", sagte sie mit leiser, betont sanfter Stimme. "Meta, ich weiß, dass du gerade sehr angespannt bist... und unglaublich viel auf deinen Schultern lastet... Aber ich möchte dir nur helfen." Die junge Geweihte wies hilflos mit der Hand auf die halbfertige Flechtfrisur. "Und natürlich bist du meine allerbeste Freundin und ich werde dich immer lieb haben! Jedoch...", sie biss sich zögerlich auf die Unterlippe, "...du musst auch damit leben können, dass ich außer dir noch andere Freundinnen habe. Dass ich vielleicht ein paar Leute gut leiden kann, die du nicht magst. Und dass wir auch mal anderer Meinung sind. Weil ich glaube…", sanft nahm sie Metas Hand und drückte diese, "...dass das unsere Freundschaft vielleicht sogar fester und unverbrüchlicher macht." Impulsiv zog sie Meta in eine enge, stürmische Umarmung, dann schlug sie ihr aufmunternd auf die Schulter. “Hey, Meta, meine Süße! Warum denn nur die kummervolle Miene? Du stehst kurz vor dem Rahjabund mit deinem absoluten Traumprinzen! Ich will dich gleich strahlen sehen!”

„Du bist so offen und lieb. Natürlich wirst du andere Freunde haben, das ist doch normal. Wir schreiben uns ja nur und sehen uns kaum.“ Sie fischte mit der freien Hand nach dem Glas, erreichte es aber nicht. „Ich hab kaum Freunde. Ich bin so immer gut klar gekommen. Das werde ich auch wieder, aber ich bin hier viel ruhiger, als sonst. Normalerweise hätte ich viel mehr kommentiert, na, wie sonst halt. Linny war mein Freund, nein, er ist es noch, aber Familie und Arbeit lassen ihm keine Zeit mehr, mit mir irgendwo etwas zu erleben. Er hat auch eine neue Novizin, die Sonnrisa aus Udenau. Egal. Ich hab erst mit dir gemerkt, wie schön sowas sein kann und hab jetzt Angst, das zu verlieren. Freunde sagen sich das, was andere verschweigen. Natürlich sind wir oft anderer Meinung, aber jetzt, wo du Merle kennst, da, also da.. du meinst, dass er nicht der ist, der zu mir passt. Ich binde mich doch nicht so mit ihm, wie in einem Traviabund. Sag mir bitte deine ehrliche Meinung.“

Imelda strich sanft über Metas Wange. “Meine Meinung zählt hier nichts, wirklich nicht. Das habe ich schon gestern bei der Wanderung versucht, dir zu sagen. Es ist und bleibt allein die Entscheidung von dir und Gudekar. Und ich glaube, dass es da kein Richtig oder Falsch gibt.” Sie gab Meta das Glas, nach dem sie verzweifelt angelte, zurück und begann wieder, ihr sorgfältiges Flechtwerk in deren Haar fortzusetzen, während sie einen Moment nachdachte. “Wie gesagt, ich denke schon, dass ihr beide sehr viel opfert. Gudekar wird wohl den Kontakt zu seiner Familie abbrechen, seine Tochter und viele Freunde verlieren. Und auch du wirst es schwer haben, für diese Liebe einzustehen. Aber…”, sie zuckte mit den Achseln. “...alles im Leben kommt zu einem Preis. Ihr werdet einander haben; ihr werdet füreinander da sein. Wenn ihr beide entscheidet, dass eure Liebe dieses Opfer wert ist, dann ist es so. Da stehe ich absolut hinter euch!” Sie zupfte mit dem spitzen Stiel ihres Kamms ein paar Locken aus dem unteren Teil der Frisur und ringelte diese um ihre Finger. “Und ich dachte, die Entscheidung wäre bereits gefallen? Oder kommen dir doch Zweifel?”

„Nein, überhaupt nicht. Ich bin mir sicher, ich wollte einfach deine Meinung hören. Und dich nicht verlieren. Weißt du, Gudi hat so gut wie keine echten Freunde. Das ist schade. Ich weiß, dass er dich gern hat. Aber er ist auch sehr schüchtern.“  Nach einer Pause fügte sie hinzu. „Wie weit bist du mit den Haaren?“

“Jetzt setze mich mal nicht unter Druck! Ich muss mich konzentrieren. Du willst doch ordentlich aussehen?” Imelda fuhr sich selbst durch ihre zerzausten Haare, wischte sich über die Stirn und griff zur nächsten Haarnadel. “Was sagst du? Schüchtern? Gudekar!? Ich hab ihn bisher ganz anders erlebt. Der quasselt doch normalerweise jeden zu, der ihm über den Weg läuft?” Imelda legte von hinten ihre Fingerspitzen an beide Schläfen der Ritterin: “Du musst mal den Kopf richtig gerade halten. Das ist jetzt wichtig!”

„Ja, der redet viel. Oft wirres Zeug oder er kann einfach nicht aufhören. Ich glaube, das überdeckt, dass er schüchtern ist. “Wirres Zeug?”, fragte Imelda lachend. “Da ergänzt ihr euch ja gut!” neckte sie ihre Freundin und gab ihr spontan einen kurzen Kuss auf die Wange. Weißt du noch? Ich hab dir doch erzählt, dass er beim ersten Mal, bei der Hochzeit damals nur geredet, aber nix gemacht hat. Also dann natürlich schon. Und jetzt kann er sich besser gehen lassen und abschalten. —- Du hattest mir von deinem Mann auf den Zyklopeninseln ja einen Brief geschrieben.“  Meta schmunzelte versonnen. „Ich höre es aber auch gerne. Du erzählst so schön, der war erfahren, oder?“

Imelda seufzte und sah Meta verträumt an. “Ja, das war er. Und mir hat es gefallen, dass Spiros viel geredet hat. Er hat, wie gesagt, immer sehr romantische Dinge vorgetragen… und dann noch mit dieser verführerischen rauen Stimme und diesem unwiderstehlichen Akzent! Wir haben stundenlang am Strand oder auf dem kleinen Felsen vor der Traviakapelle über das Leben und die Liebe philosophiert. Wenn wir eine Abkühlung brauchten, sind wir ins Wasser gesprungen. Und in der Grotte…”, Imelda schmunzelte schwärmerisch, “...es war so, als hätten die kleinen Steine auf dem Grund ein Bett für uns geschaffen, in dem man liegen konnte, so dass nur der Kopf rauslugte. Dann ist er manchmal untergetaucht und ist mit meinen Beinen auf seinen Schultern wieder aufgetaucht… also mit dem Kopf zwischen meinen Schenkeln und dann…” Imelda sah Meta mit großen Augen an. “Dein Rahjabund! Wir müssen fertig werden! Wart’, ich bin gleich soweit!”, rief sie aufgeregt und platzierte weitere Haarnadeln in der Frisur, damit diese auch Regen und Sturm überstehen würde.

Die Frisur war nun wirklich wetterfest. Wenn sie wieder völlig ohne Spangen und Klammern war, dann würden die Haare sicher interessant abstehen. Ach wie schön musste es auf so einer Insel sein. Fern von Bösem, Zwängen und völlig frei. Wahrscheinlich so, wie in Unternfels bei Travingo damals. “Oh, ich muss mich beeilen. Wir sehen uns später im Bad, danke nochmal. Für Frisur und Geschichte.”

“Warte, Meta!”, rief sie und eilte zu ihrem Nachttisch, wo sie zwei rote Rosenblüten bereit gelegt hatte. “Die brauchst du noch, still halten!” Imelda nestelte Meta vorsichtig die zwei Blüten ins Haar. “So, jetzt siehst du wie eine Braut aus.” Noch einmal umarmte sie ihre Freundin und lächelte dieser aufmunternd zu. “Also, sei glücklich und genieße die Zeremonie! Bis später!”

~ * ~

Begegnungen am Vormittag

Geschäftiges Treiben (ab Perainestunde, 9:00)

Der Regen, der in der Nacht eingesetzt hatte, war stärker geworden und hatte den Boden des Dorfplatzes aufgeweicht. Emsig verteilten die Einwohner des Tals Stroh von den Gehöften und Rindenspäne aus der Sägemühle, um den Matsch wieder begehbar zu machen. Gleichzeitig bauten einige Händler, die am Tag zuvor oder in den frühen Morgenstunden angereist waren, ihre Stände auf. Es gab Tuch und Wolle, Kleider und Schmuck, Schuhwerk, Tees und Gewürze, Süß- und Räucherwerk, Töpfer. und Schnitzereien, Gegenstände des täglichen Gebrauchs ebenso wie Waren, die mehr aus Vergnügen von Interesse waren. Viele Dorfbewohner nutzen die Gelegenheit, Dinge zu erwerben, die sonst in Lützeltal nur schwer zu erhalten waren. Auch einige Bauern und Handwerker des Dorfs versuchten, ihre Waren an den Mann und die Frau zu bringen.

In der Mitte des Dorfplatzes, in der noch immer die Tische und Bänke aufgestellt waren,  wurden provisorisch Holzpfähle in den Boden gerammt und mit Balken stabilisiert, um dann Zeltplanen darüber zu spannen. Das Klopfen des Zimmermanns wurde durch ein metallisches Hämmern aus der Schmiede übertönt.

Vor dem Brauhaus und dem Gasthof wurden ebenfalls, wie am Vortag, Verkaufsstände mit Speisen und Getränken für das Mittagessen aufgebaut und ein großer Grill angefeuert.

Der Frevel fliegt auf

(9:25)

Als Gwenn und Merle in der Mitte des Dorfplatzes, wo sie halbwegs trocken stehen konnten,  ankamen, fragte Gwenn ihre Schwägerin: „Und, du als erfahrene Ehefrau, was meinst du? Was könnte Rhodan zur Hochzeit gefallen?“

Merle schreckte sichtlich aus ihren grübelnden Gedanken auf und beeilte sich, mit Gwenn Schritt zu halten. "Hm... schwer zu sagen", sie zuckte leicht außer Atem mit den Achseln, "...vielleicht eine feine Rasierseife oder Taschentücher?" Nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe. "Ach nein, zum Traviabund sollte es etwas persönliches sein, oder? Also... vielleicht eine schöne Tabakdose oder eine Pfeife? Meinst du, wir können da auf die Schnelle seinen Namen oder seine Initialen eingravieren lassen?"

Gwenn lachte. „An eine Pfeife und etwas Rauchkraut hatte ich auch gedacht. Dann ist das wohl eine gute Idee, was? Tja, wer könnte denn im Lützeltal so eine Gravur machen? Wir haben ja keinen Goldschmied im Dorf. Und Limrog ist bestimmt zu grob dafür.“ Gwenn dachte nach. „Hm, naja, schauen wir erstmal, ob wir überhaupt etwas passendes finden.“

"Bei Limrog wohnt doch diese Ingerimm-Geweihte, Ihre Gnaden Imelda. Vielleicht könnte sie sowas machen?" überlegte Merle und hob die Schultern. "Ansonsten vielleicht einen Brieföffner… aber so einen hat er sicher schon… oder eine schön verzierte Mantelschließe? Was mag Rhodan denn sonst so?" Abwesend sah sie sich auf dem Markt um, in Gedanken schon wieder bei Gudekar. Sie ging jedes Wort durch, das er eben gesagt hatte, versuchte sich jede Geste, jeden Blick von ihm wieder zu vergegenwärtigen. "Gudekar hat sein Gepäck aus unserem Zimmer holen lassen", platzte es plötzlich mit tonloser Stimme aus ihr heraus.

Gwenn schaute erschrocken zu Merle. Sie hatte plötzlich einen großen Kloß im Bauch. “Er hat was?” fragte sie nach, obwohl ihr sehr wohl klar war, was dies bedeutete, und vermutete, dass Merle die richtigen Schlüsse zu ziehen begann.

"Als ich heute früh in unser Gemach kam, hatte der Rodenbach-Junge sein gesamtes Gepäck abgeholt", berichtete sie schnell und so aufgeregt, dass ihre Stimme fast brach. "Gudekar sagt, das war, weil er saubere Kleidung brauchte. Aber der Vitold hat einen Heller gekriegt, damit er es 'unauffällig' macht!" Merle blickte forschend in Gwenns Gesicht, in der Hoffnung, in deren Reaktion einen Anhaltspunkt herauslesen zu können. Alles in ihr drängte danach, jemandem ihr Herz auszuschütten, auch wenn ihre vernünftige innere Stimme ihr riet, Gwenn als Braut damit nicht zu behelligen. "Ciala vermutet, dass er mich... betrügt, doch eigentlich kann mir das nicht vorstellen, ich meine - auf der Hochzeit seiner Schwester?!", sie schluckte und zog zweifelnd die Stirn kraus, "...aber Tsalinde hatte gestern auch so etwas gesagt und er weicht mir die ganze Zeit aus und rennt ständig weg... und ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll." Schwer atmend und mit glänzenden Augen starrte Merle ihre Schwägerin hilfesuchend an.

Gwenn schaute zunächst sorgenvoll zu Merle, doch schnell wurde ihr Blick eher mitleidig. Sie umarmte Merle und zog sie zu sich heran. “Es tut mir so leid, Merle! Es ist alles meine Schuld!”

Für einen Moment erwiderte Merle einfach nur die Umarmung, presste ihr Gesicht gegen Gwenns regenfeuchten Mantel und versuchte sich bewusst davon abzuhalten, einfach loszuschluchzen. Doch sie wusste, wenn sie das zuließ, würde sie nicht mehr damit aufhören können. Die junge Frau biss die Zähne zusammen und fing sich wieder; heftig schluckend rückte sie ein Stück von Gwenn ab und schüttelte entschieden den Kopf: "Nein, Gwenn. Natürlich nicht! Mir tut es leid, dass ich dich kurz vor deiner Hochzeit mit meinen Problemen belaste!"

“Du hast doch keine Schuld daran, was Gudekar tut.” Gwenn kniff die Augen fest zu und presste Merle fest an sich, nicht nur, um ihr Trost zu spenden, sondern vor allem, um sich selbst Halt zu geben. Merle hatte bald das Gefühl kaum noch Luft zu bekommen.

"Gwenn, ist ja gut... Gwenn." Etwas rabiater machte sich Merle aus der Umarmung los. "Ich danke dir! Aber… ich muss das selbst klären. Tut mir leid, dass ich überhaupt was gesagt habe." Sie schien sich zu beruhigen; zumindest schaffte sie es, nach außen eine gefasstere Fassade zu zeigen. Ein paar Mal atmete sie tief durch. "Gestern Abend dachte ich, das Madawasser hätte bei mir nicht gewirkt… Aber jetzt habe ich es verstanden.” Sie nickte Gwenn mit vorgerechtem Kinn zu. “Ich hab erkannt, dass ich nicht länger von Angst wie gelähmt abwarten darf, dass Gudekar von sich aus zu mir kommt. Ich muss meine Ehe selbst in die Hand nehmen. Ich muss mit ihm sprechen, ihn wieder für mich gewinnen. Und…”, sie straffte ihren Körper und schaute Gwenn entschlossen in die Augen, “...genau das werde ich heute tun.”

Gwenn schüttelte kaum sichtbar den Kopf. Mit leiser Stimme sprach Gwenn zu Merle, während sich Tränen in ihren Augen sammelten. “Ich habe Gudekar gebeten, bis nach der Trauung zu warten. Ich hatte gehofft, dass…” Gwenn brach ihren Satz ab.

"Warten? Womit warten?" Verständnislos zogen sich Merles Augenbrauen zusammen. Ihre Stimme klang krächzend. "Was hast du gehofft?"

“Merle, lass uns etwas zu trinken holen und uns irgendwo hinsetzen, wo es trocken ist. Ich muss unbedingt mit dir reden.” Gwenn wusste, es hatte keinen Sinn mehr, die Wahrheit länger zu verschweigen. Merles Schmerz würde eh schon viel zu groß sein. Es war wohl das beste, Merle jetzt die Wahrheit zu sagen.

Merle nickte mechanisch, blieb aber wie versteinert an Ort und Stelle stehen. "Gwenn... weißt du irgendwas?" murmelte sie schwach.

Gwenn schluckte und nahm Merle erneut in die Arme. „Ja“, flüsterte sie.

Merle fühlte sich schwindelig, als wäre ihr mit einem Mal der Boden unter den Füßen weggezogen. Als gäbe es um sie herum keine Luft mehr, die sie atmen konnte. Abwehrend schüttelte sie Gwenns Arme von sich ab. "Ich will nichts trinken. Sag es mir. Jetzt."

Gwenn schaute zu Boden. “Die Gerüchte sind wahr. Da ist jemand anderes in Gudekars Leben.” Dann erhob sie den Blick und schaute Merle in die Augen. “Ich hätte Gudekar nicht bitten sollen, es bis nach meiner Hochzeit geheim zu halten. Das war egoistisch und du musstest darunter leiden. Das tut mir so leid. Ich wollte doch nur ein schönes Traviafest. Und ich hatte gehofft, dass er vielleicht zur Vernunft kommt, wenn ihr euch hier seht. Aber dann ist alles aus dem Ruder gelaufen.” Tränen liefen über Gwenns Gesicht. Und sie war voll tiefster Scham über ihr eigenes Verhalten. So schlug sie die Hände vor das Gesicht.

"Wie lange?" brachte Merle kaum vernehmlich heraus. Ihre Hand zerrte unbewusst an der Kette um ihren Hals. "Wie lange geht das schon?"

Gwenn hielt Merle an den Oberarmen fest. “Wollen wir uns nicht doch lieber setzen?”

Merle schien Gwenns Vorschlag nicht zu hören oder zu ignorieren. Ihre Faust ballte sich so fest um das Amulett des Muschelfürsten, dass die Knöchel ihrer Hand weiß hervortraten. "Die Hochzeit in Schweinsfold…. Die zweite Nacht", murmelte sie tonlos und durchbohrte Gwenn mit ihrem verletzten, schmerzerfüllten Blick. "Er betrügt und belügt mich seit zwei Jahren? Ihr alle belügt mich, die ganze Zeit?!” Sie lachte bitter und freudlos auf. “Oh ja, die nette, gutgläubige, treudoofe Merle - die kriegt nichts mit; mit der kann man’s ja machen!"

“Es tut mir so leid!” Gwenn sprach ganz leise und Tränen schossen ihr erneut in die Augen. “Wirklich, es tut mir so leid. Aber es ist nur meine und Gudekars Schuld, Vater und Kalman haben es nicht gewusst. Sie wissen es noch immer nicht. Sie würden Gudekars Verhalten nicht dulden, glaube mir! Und ich hätte es auch niemals dulden dürfen.” Gwenn brachte es nicht über sich, Merle in die Augen zu sehen.

"Nun, du hast es geduldet", zischte Merle ihr wütend entgegen. "Über lange Zeit hast du mir eiskalt ins Gesicht gelächelt, während mein Leben langsam in die Brüche ging! Und erzähl' mir nicht, dass du die ganze Zeit bloß an deine 'schöne' Hochzeit gedacht hast!" Merles Stimme überschlug sich, klang laut und schrill. "Diese Dreistigkeit, hier mit seiner dreckigen Schlampe rumzustolzieren, direkt vor meinen Augen! Ihr habt euch bestimmt ordentlich ins Fäustchen gelacht, weil ich so dumm bin und nichts merke, oder? Ist es nicht so?” spie sie in Gwenns Gesicht. Tränen der Demütigung und Enttäuschung schossen ihr in die Augen. "Na danke, Gwenn!!” Schluchzend wandte sie sich ab, um zurück zur Gaststube der 'Weißen Quelle' zu stürmen.

„Merle, bitte warte!“ Gwenn hielt ihre Schwägerin am Arm fest. „Ich weiß, dass du sauer und verletzt bist. Und das mit jedem Recht dazu. Aber bitte, lass uns erst darüber reden, bevor du etwas Unbedachtes tust. Ja, ich gebe zu, ich habe es geduldet, was er getan hat. Und es war dumm von mir. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Irgendwie hatte ich die ganze Zeit gehofft,… Ach, ich weiß nicht, was ich gehofft hatte. Aber mach es jetzt nicht noch schlimmer, indem du unbedacht zu ihm gehst.“ Gwenns Blick wirkte flehentlich und warnend zu gleich. „Was erhoffst du zu erreichen, wenn du jetzt zu ihm gehst?“

Merle versuchte, sich aus Gwenns Griff loszureißen und stieß unwirsch mit dem Ellenbogen nach ihr. “Ach, fick dich, Gwenn, du kannst mich mal! Ihr alle könnt mich mal!!!” schleuderte sie der anderen Frau in einer Mischung aus schrillem Weinen und Schreien entgegen. “Er wird mich nicht mehr ignorieren, nie wieder!” keuchte sie. ”Ich will ihm… wehtun, richtig wehtun! Und diesem… Weib, dieser schäbigen, hinterfotzigen Nutte auch!”

Doch Gwenn ließ Merle nicht los. Mit festem Griff hielt sie weiter Merles Arm fest. „Merle, beruhige dich erst mal! Du bist ja ganz hysterisch! Wenn du jetzt so zu ihm gehst, was willst du erreichen?“

“Was kann ich denn jetzt noch erreichen?” schrie Merle erbittert zurück und versuchte weiter, die Hand ihrer Schwägerin durch Drehen ihres Armes und ihrer Schulter abzuschütteln. “Da mir niemand was gesagt hat und ich die ganze Zeit keinen Schimmer hatte, hab ich nicht um ihn kämpfen können, als es vielleicht noch 'ne Chance gab! Und jetzt ist eh alles zu spät!" Merles Stimme zitterte; ihr ganzer Körper schien zu zittern. "Jetzt bleibt mir nur noch, ihn irgendwie… leiden zu lassen!" presste sie verzweifelt heraus.

Je mehr sich Merle wandte, um so fester hielt Gwenn sie fest. So ergriff sie nun auch das zweite Handgelenk von Merle. “Du willst ihn leiden lassen? Das verstehe ich. Doch wenn du jetzt kopflos zu ihm rennst, wirst du das nicht schaffen, sondern du stürzt dich nur selbst noch mehr ins Unglück. Du willst ihn leiden sehen? Dann schmiede einen Plan!”

"Unglück? Mein Leben ist zerstört!" fauchte Merle höhnisch unter strömenden Tränen und wand sich unwillig in Gwenns Griff. "Was für einen Plan brauch' ich jetzt noch?!! Wenn dieses dreckige Miststück, diese verfluchte Schlampe, ihre Finger nicht von meinem Mann lässt, dann hat doch alles keinen Sinn mehr!"

Gwenn hatte Angst. Sie hatte Angst, dass Merle in ihrem Zustand Gudekar oder Meta etwas Ernsthaftes antun könnte, denn Gwenn erkannte tiefen Hass und letzte Verzweiflung in Merles Augen. Aber sie hatte keine Angst um das Liebespaar, sondern um Merle. Denn wie würden ihr Bruder und seine Ritterin reagieren? Sie würden sich im Zweifelsfall verteidigen. Würde Meta dann sogar zu ihrem Schwert greifen? Und was würde Gudekar tun? Zu was wäre er im Angesicht einer Bedrohung fähig? Und selbst, wenn Merle rechtzeitig überwältigt würde, was wären die Konsequenzen? In diesem Spiel konnte Merle nicht gewinnen. Deshalb musste sie Merle aufhalten. “Merle, du hast noch immer dich! Du hast dein Leben. Und dabei soll es bleiben! Du bist auf bestem Wege, dich ins Verderben zu stürzen. Es gibt andere Wege der Rache.”

"Du hast gut reden, Gwenn!" gab Merle scharf zurück. "Was würdest du denn tun, wenn Rhodan dich so schamlos betrügt?” Ihr war übel, schrecklich übel, ihre Kehle fühlte sich an wie zugeschnürt. Nein, sie würde nie wieder aus diesem Alptraum erwachen. Ihr altes Leben war zerbrochen, von Gudekar erbarmungslos zerstört… alles war verloren. “Was soll es für mich noch für ‘Wege’ geben!?”

Das war eine gute Frage. Und es war gut, dass Merle diese Frage stellte. Vielleicht würde sie sich beruhigen und dann besonnener handeln. Gwenn lachte zynisch auf. “Ich würde Rhodan besser nicht empfehlen, zu versuchen, das herauszufinden!” Gwenn versuchte nun, Merle zu sich heranzuziehen und sie kurz zu umarmen. “Wir denken uns etwas Schönes für Gudekar aus”, flüsterte sie in Merles Ohr. “Aber du musst dir im Klaren sein, was du wirklich möchtest.”

“Du willst mir helfen, Gwenn? Jetzt plötzlich?!” rief Merle schluchzend und versuchte sich aus der Umarmung loszumachen. Grob, aber unkoordiniert schlug sie auf Gwenns Schulter ein. “Nein, ich vertrau’ dir nicht mehr! Nie wieder werde ich dir vertrauen! Am Ende hältst du doch zu deinem frevlerischen Bruder! Blut ist dicker als Wasser, oder nicht? Und jetzt lass’ mich los!”

Weiterhin versuchte Gwenn, Merle festzuhalten, doch Merle konnte sich losreißen. Bevor sie wegrennen konnte, rief Gwenn ihr zu: “Nein, du hast keinen Grund, mir zu vertrauen. Auch wenn ich hoffe, dass das nicht für immer so bleibt. Und ja, Blut ist dicker als Wasser, sonst hätte ich nicht so lange geduldet, was Gudekar mit dir gemacht hat. Aber alles hat seine Grenzen. Das habe ich leider viel zu spät eingesehen.”

Als sie sich endlich aus Gwenns Griff befreit hatte, stapfte Merle schnell wieder in Richtung der 'Weißen Quelle' los. "Ich will ihn zur Rede stellen!" schnaubte sie, mehr zu sich selbst. "Er soll mir in die Augen schauen und gestehen, was er getan hat!"

“Das hat er eh vor! Er hat vor, es dir zu sagen!” Gwenn lief Merle hinterher und griff erneut nach ihrem Arm, um sie aufzuhalten. “Und wenn er dir sagt, dass er mit der Ritterin zusammen sein will, was willst du dann tun? Hat er dann nicht schon gewonnen?”

"Ich will, dass das hinterhältige Weib verschwindet! Die soll sich vom Acker machen!!" stieß Merle atemlos hervor, während sie weiter voran stürmte. "Ich lass' nicht zu, dass er mich verstößt und mit dieser Schlampe das süße Leben genießt! Wir sind in einem Traviabund, den kann man nicht auflösen - da kommt der nicht raus!"

“Und dann? Glaubst du, er wird dann einfach wieder so sein, wie zuvor?” Gwenn versuchte energisch, Merle aufzuhalten. “Glaubst du, wenn du jetzt wie eine Furie auf ihn losgestürmt kommst, wird er sagen: ‘Ach ja, stimmt. Tut mir leid, Meta, das hatte ich ja vergessen, du musst jetzt gehen, ich geh zu meiner Frau Merle zurück’? Das wird ihn wenig jucken, wenn die beiden nach Tälerort reiten. Du erreichst höchstens, dass er früher aufbricht. Nutze lieber die Zeit, die noch bleibt, um seine Abreise hinauszuzögern und zu verhindern.”

Obwohl sie erst erneut versuchte, sich aus Gwenns Griff zu reißen, wurde Merle langsamer und blieb schließlich stehen. Sie starrte ihre Schwägerin mit geröteten, wild funkelnden Augen an. "Ich kann bei der Traviakirche Anklage gegen ihn erheben. Das wird ihn jucken."

Gwenn schluckte. Sie sprach ganz ruhig, um Merle nicht weiter zu einer unbedachten Tat zu provozieren. “Ja, Merle, das könntest du tun. Und ich bin mir sicher, wenn Kalman von Gudekars Plänen erfährt, wäre er schneller damit als du. Aber du weißt besser als ich, das ist ein drastischer Schritt, der schließlich auch von dir viel abverlangen würde. Und der Ausgang ist ungewiss. Das solltest du nicht aus einer spontanen Eingebung heraus tun und nur als letzte Möglichkeit sehen.”

"Die Konsequenzen sind mir sehr wohl bewusst!" Entschlossen stieß Merle die Luft aus. "Aber wenn mein Mann ein schamloser, unverbesserlicher Frevler gegen die Heilige Mutter ist - und das ist er offenbar! - dann ist es nicht nur mein Recht, sondern sogar meine Pflicht, ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen!" Sie presste die Lippen fest aufeinander, zog die Stirn kraus und schluckte hart. "Und glaub mir, das werde ich tun, sobald meine Eltern morgen hier sind! Wenn du eine andere Möglichkeit siehst, dann sag' sie mir! Aber komm' mir nicht mit irgendwelchen lustigen Streichen... Das hier ist kein Spiel! Es ist das Ende der Welt für mich." Wieder verfiel sie in verzweifeltes Schluchzen und wischte sich mit einer hilflosen Handbewegung über die Wange, wo sich die Tränen mit den Regentropfen mischten.

Gwenn ließ den Arm der Betrogenen los und schlug die Hände vor ihr Gesicht. Verzweifelt und angespannt massierte sie ihre Schläfen. Kopfschmerzen machten sich langsam immer mehr in ihrem Schädel breit. “Sag Merle, was möchtest du? Möchtest du ihn endgültig zerstören? Oder möchtest du ihn zurück gewinnen? Darüber musst du dir im Klaren sein. Und abhängig davon kannst du handeln. Und von einfachen Bauernmädchenstreichen sind wir weit entfernt.”

"Beides!" schrie sie Gwenn unter Tränenströmen entgegen. "Natürlich will ich ihn zurück! Ich liebe ihn, seit zehn Götterläufen liebe ich ihn!" Wieder rieb sie sich das Wasser aus den Augen. "Aber ich hasse ihn auch, für das, was er mir antut!"

Das hieß also, dass Merle noch nicht von Gudekar loslassen wollte. Das war ein gutes Zeichen und Gwenn schmunzelte mitfühlend ein sanftes, haltgebendes Schmunzeln. “Dann musst du behutsam vorgehen. Zerstöre ihn, aber nicht vollends. Zerstöre jedoch das, was ihm Halt gibt. Und wenn er am Boden liegt, dann sammle die Scherben auf und setze sie neu zusammen, so, wie es dir gefällt.“ Gwenn hoffte, dass Merle verstand, worauf sie hinaus wollte.

Merle schien tatsächlich ruhiger zu werden, als sie ernsthaft über Gwenns Worte nachdachte. "Was ihm Halt gibt..." murmelte sie. "Früher hat er immer gesagt, dass ich sein Halt bin... Aber vermutlich denkt er nun, dass es diese grobschlächtige Ritterin ist. Meinst du, ich sollte versuchen, die beiden zu entzweien?" Gwenn schmunzelte nun verschwörerisch. Merle schniefte und nestelte in ihrem zerzausten Zopf herum. "Und dann vielleicht noch seine Aufgabe, seine Reputation als großer, heldenhafter Magier? Vielleicht könnte ich ihn bei seinem neuen Auftraggeber diskreditieren..."

“So etwas habe ICH NIE gesagt!” entgegnete Gwenn mit einem Augenzwinkern.

Hilflos zuckte sie mit den Achseln. "Aber was soll ich kleines Waisenmädchen schon ausrichten bei einem Baron?"

“Nun, ich habe mir natürlich vor unserer Feier die Gästeliste angesehen. Und gerade die Personen, die ich nicht persönlich kenne, habe ich noch in Albenhus überprüfen lassen. Da ist mir eine Lucilla von Galebfurten aufgefallen. Da habe ich mich natürlich gefragt, was will eigentlich die Erbvögtin von Galebquell hier? Bis mir gewahr wurde, dass sie aus dem Hause des Barons von Tälerort stammt. Ich glaube, die Dame war gestern auch auf der Nachtwanderung. Hast du schon mit ihr gesprochen?”

Merle schüttelte den Kopf. "Nein, hab ich nicht. Aber ich hab gesehen, dass Gudekar und die Ritterin mit ihr gesprochen haben." Sie seufzte resigniert. "Was soll ich denn zu der Dame sagen? Was weiß ich über Gudekar, das seine Anstellung beim Baron von Tälerort gefährden würde?" Nachdenklich biss sie sich auf die Unterlippe. "Meinst du, schon die Ankündigung, dass er demnächst als Frevler unter einem Kirchenbann stehen könnte, wird die Erbvögtin interessieren? Vielleicht muss ich ihn gar nicht öffentlich anprangern... noch nicht... vielleicht reicht schon die Drohung?" schlug sie mit schwacher, brüchiger Stimme vor.

Gwenn wackelte abwägend mit dem Kopf. “Das wäre zu schön, wenn es so einfach wäre. Aber zumindest könnte die Androhung den Galebfurtener abschrecken.”

"Andererseits, selbst wenn Tälerort platzt, dann geht er mit diesem Weibsbild eben irgendwo anders hin." Merles Miene war noch immer mutlos und traurig; sie fühlte sich, als wäre alle Freude, alle Lebenskraft aus ihr herausgesaugt worden. Eindringlich starrte sie Gwenn in die Augen. "Wie kann er das tun? Wie kann er seine Familie so achtlos zurücklassen, seine eigene Tochter? Bedeuten wir ihm so wenig?" Sie machte eine Handbewegung, die Gwenn, den Marktplatz und das ganze Lützeltal mit einzuschließen schien. "Wann ist er so egoistisch, kalt und grausam geworden?"

Gwenn öffnete ihre Arme und lud Merle zu einer tröstenden Umarmung ein, doch diesmal zwang sie ihr das nicht auf. “Ich weiß nicht, was wirklich mit ihm geschehen ist, warum er sich so verändert hat.” Gwenn überlegte, was sie Merle antworten sollte. Schließlich hatte sie Gudekar ganz anders wahrgenommen, seit er mit Meta eine Affäre hatte.”Ich weiß nicht, ob er sich verändert hat, weil er eine Affäre hat, oder ob die Veränderung vorher passiert ist und er sich überhaupt nur deshalb von dir abgewendet hat.” Nun fiel Gwenn auf, dass sie die ganze Zeit im Regen standen und langsam durchnässt waren. “Wollen wir nicht irgendwo ins Trockene gehen und dort weiter reden?”

"Selbst bei Lulus Geburt war er irgendwie… distanziert zu mir. Und groß zu interessieren scheint ihn sein Kind nicht", murmelte Merle bitter. Sie blieb an Ort und Stelle stehen und ignorierte Gwenns Einladung zu einer Umarmung, blickte diese nur durchdringend, aber nicht länger unfreundlich an. Das Vertrauen zu ihrer Schwägerin würde wohl nie wieder ungetrübt sein - dennoch musste sie zugeben, dass Gwenn ihr mehr geholfen hatte, als dieser vielleicht bewusst war. “Nein, danke. Ich muss Lulu holen”, erklärte sie matt und blickte niedergeschlagen an sich herunter, musterte die durchnässte, schmutzige Kleidung vom Vortag, den zerzausten Zopf, die schlammigen Stiefel… Ihr Gesicht war vom vielen Weinen vermutlich rot und aufgequollen. “Ich werde mich umziehen und herrichten. Wenn Gudekar nachher mit mir spricht, will ich stark und schön aussehen", erklärte sie mit fester, todernster Stimme. Ihre Miene wirkte jetzt hart, geradezu versteinert. “Das ist Krieg. Ich muss bereit sein.”

„Warte Merle! Ja, du solltest dich umziehen. Und wenn du den Krieg möchtest, habe ich eine Idee für die erste Schlacht! Möchtest du meine Hilfe?“

"Nur, wenn du es gegenüber deinem Bruder verantworten kannst. Ich würde verstehen, wenn du dich raushalten willst." Merle hob fragend die Brauen. "Aber sag, was wäre dein Vorschlag?"

Gwenn schaute nachdenklich. „Ich glaube, ich möchte dir helfen. Ich begleite dich, Lulu abholen und beim Umkleiden, dabei erläutere ich dir meinen Plan.“

~*~

Ein unerwartetes Familientreffen auf dem Markt

(9:40)

Trotz des Regens genoss Ativana die Ruhe und frische Luft. Sie fühlte sich wach und betrachtete die Waren der Stände. So recht wurde sie nicht fündig, da sie etwas suchte, das speziell für dieses Tal war. Ativana sah zwei Frauen. War die eine nicht die Braut? Und so entschloss sie sich, diese abzusprechen. „Travia zum Gruße, hohe Damen. Gwenn, ihr könnt mir sicher helfen. Ich suche etwas, was typisch für diese Gegend ist.“ Sie wandte sich Merle zu. „Habe die Ehre, Ativana von Adelmannsfelden. Mein Gatte besucht seine Schwester Ciala. Wir wurden uns leider noch nicht vorgestellt. Mit wem habe ich das Vergnügen?“ Bis auf die eigentümliche Intonation der Vokale konnte Ativana wie Ciala ihren Dialekt sehr gut verbergen.

Merle schluckte ihre verzweifelte Anspannung für den Moment herunter, neigte höflich den Kopf und schenkte Ativana ein eher gequältes Lächeln. “Travia zum Gruße, Euer Wohlgeboren. Ich bin Merle von Weissenquell, Cialas Schwägerin.” Sie schluckte hart und ließ den Blick abwesend über die Marktstände wandern. “Etwas typisches für die Gegend, ja? Hm, habt Ihr schon Lützeltaler Albenbluth probiert? Das ist ein Kräuterschnaps - gut für die Verdauung, aber nicht so bitter, dass er einem die Schuhe auszieht. Ich finde ihn recht lecker. Ansonsten gibt es noch das hiesige Sauerbier, das mit süßem Sirup genossen wird. Ist aber vielleicht nicht jedermanns Sache.” Sie merkte, wie das belanglose Gerede fast automatisch aus ihrem Mund sprudelte, auch wenn sie mit dem Herzen nicht dabei war. Fragend sah sie zu Gwenn. “Hast du noch Ideen?”

Gwenn neigte den Kopf zum Gruß. “Seid gegrüßt, Ativana. Ich danke Euch, dass Ihr zu meiner Hochzeit angereist seid. Sollte Euch tatsächlich der Sinn nach flüssigen Spezialitäten stehen, dann hat der Rodenbach nicht nur das Albenbluth, sondern auch ausgezeichnete, feine Obstbrände. Ansonsten ist der alte Zimmermann auch sehr bewandert im Schnitzhandwerk. Nicht so filigran wie die Spielzeuge aus Poluik, aber dafür fertigt er auch sehr schöne und praktische Dinge. Er hat dort drüben einen kleinen Stand.” Gwenn deutete auf einen Tisch, hinter dem ein älterer Mann in eine Decke gewickelt saß. Auf dem Tisch standen einige geschnitzte Figuren der Göttinnen und Götter sowie ihrer heiligen Tiere. “Oder Ihr geht zu Meister Kupferblatt in die Schmiede und lasst Euch von ihm einige seiner Kerzenhalter zeigen. Oder wonach steht Euch der Sinn?”

„Hat der Rodenbach ein neues Sortiment? Dann würde ich von jedem eine Flasche nehmen. Wir waren ja lange nicht mehr hier.“ Sie lächelte bitter. „Ich kam wohl ungelegen. Merle, Euer Gatte ist der Magier, oder? Und die Kleine beim Frühstück Euer erstes Kind. Und seines auch“, verständnisvoll und traurig sah sie Merle an. „Auf Dauer sind das die wenigsten Männer wert. Gwenn, ich wünsche Euch eine Ausnahme. Ihr wisst ja um unsere Ehe. Merle, denkt an Euch und lasst Euch nicht gehen. Entschuldigt bitte, dass ich mich eingemischt habe, aber es ist nur zu offensichtlich.“ Leider kam es auch öfter vor, als es den Anschein hatte. Ativana musste an Ihre Freundin Mareia denken, mit der sie in Briefkontakt stand. Sie sollte sich mal wieder mit ihr treffen. Grazil drehte sie den Kopf, als sie Schritte vernahm. „Kalman kommt zu uns.“

Merle schluckte; offenbar sah man ihr mehr als deutlich an, in welchem Ausnahmezustand sie sich gerade befand. Kursierten schon Gerüchte über Gudekar und ihre Ehe, so dass sie von einer fast Fremden direkt darauf angesprochen wurde? Auch wenn sie innerlich vor Scham zerfloss, bemühte sie sich, die Fassung zu bewahren. “Oh, habt Dank für Eure freundlichen Worte, wohlgeborene Dame”, lächelte sie Ativanas Bemerkung weg. “Aber es ist wirklich alles in Ordnung! So kurz vor einer Hochzeit wird man schon einmal gefühlsduselig, was?” Sie blickte dankbar in Kalmans Richtung und strengte sich an, die Fassade ihres Lächelns noch zu intensivieren. Eigentlich wollte sie nur weg aus dieser Unterhaltung, so schnell es ging.

Kalman hatte im Gutshaus mitbekommen, dass Ativana zum Markt auf dem Dorfplatz schauen wollte. Dies kam ihm recht gelegen, denn er hatte gehört, dass auch ein Händler aus Elenvina mit Tuchen verschiedener Art angereist sein sollte. Er wollte seiner geliebten Frau ein neues Kleid nähen lassen und erhoffte sich von Ativanas Expertise einen guten Rat, welcher Stoff seiner Frau vielleicht besondere Freude bereiten könnte. Merles Blick wusste er zunächst nicht recht zu deuten, doch dann vermutete er, dass sie sich erhoffte, er würde sie und Gwenn von Ativanas Anwesenheit befreien, auch, wenn es ihm nicht klar war, warum. Ativana war doch eine sehr umgängliche Person. Er kannte durchaus schlimmere Damen aus dem familiären Umfeld. “Ah, guten Morgen, Gwenn! Du bist ja auch zurück. Rhodan hat dich schon vermisst, denke ich. Merle! Wo hast du denn Lulu gelassen?” begrüßte er erst einmal seine Schwester und seine Schwägerin.

Gwenn wiegelte Kalmans Bemerkung ab. “Rhodan hat mich bald mehr, als ihm vielleicht lieb ist. Da kann er heute mal noch ein, zwei Stündchen warten. Das macht mich doch höchstens begehrenswerter!”

„Und sie hat eam a no lang. Nix für ungut, Ihr wisst ja, dass ich auch ohne meinen Mann bisweilen sehr zufrieden bin.“ Sie lächelte dezent und wies auf die beiden anderen Frauen. „Man war so nett, mir die neuesten Spezialitäten der Gegend zu zeigen.“

Merle nickte Kalman freundlich zu. "Die Rodenbach-Kinder spielen ein bisschen mit Lulu. Ich wollte sie gerade da abholen und mich dann umkleiden." Mit einem entschuldigenden Blick schaute sie an sich herunter.

Kalman betrachtete Merle. “Ich dachte, das wolltest du vorhin schon tun? Aber ja, du solltest in trockene und dem Wetter angepasste Kleider wechseln. Geh nur, ich kümmere mich ein wenig um Ativana!”

Merle senkte verlegen den Blick. Kalman merkte bestimmt auch, wie verheult sie aussah und würde sich seine Gedanken machen. Trotzdem musste sie nach außen den schönen Schein aufrechterhalten. "Mir ist vorhin was dazwischen gekommen und ich musste schnell ins Dorf", winkte sie leichtherzig ab und zwang sich, Kalman liebenswürdig anzulächeln. Trotz seiner Aufforderung blieb sie zunächst wie angewurzelt an Ort und Stelle stehen. Wenn Ativana auch zum Rodenbach wollte, würden sie eigentlich alle in dieselbe Richtung müssen. Also wäre es wohl besser, Ativana erst einmal mit Kalman vorangehen zu lassen und etwas Abstand zu gewinnen. Zögerlich suchte sie Augenkontakt mit Gwenn.

Kalman hob die Augenbrauen, er hatte keine Ahnung, was los war – oder wollte keine Ahnung haben. Als von Merle keine Reaktion kam, wandte er sich Ativana zu.

Gwenn jedoch reagierte prompt. „Du Merle, ich habe Hunger, lass uns schauen, ob man in der Bäckerei noch von diesen Zimtschnecken hat.“ Sie griff nach Merles Arm und zog sie in die andere Richtung, weg von ihrem Bruder und Adelmanns Frau.

Merle ließ sich widerstandslos von Gwenn mitzerren und fühlte, wie ihr vor Scham das Blut in die Wangen schoss. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was jetzt im Dorf über sie getuschelt wurde, nach der Szene, die sie Gwenn eben gemacht hatte. "Entschuldigt uns - bis später!" rief sie Kalman und Ativana über die Schulter hin zu und beeilte sich, mit Gwenn Schritt zu halten.

“So, Ativana”, wandte sich Kalman dann an seine Schwippschwägerin. “Ihr wollt beim Rodenbach einkaufen? Dann begleite ich Euch am besten. Dann bekommt Ihr sicher die besten Brände angeboten.” Kalman bot ihr seinen Arm an. “Kommt, hakt Euch unter, damit Ihr auf dem nassen Boden nicht ausrutscht. Dabei kann man sich arg verletzen.”

Die hübsche Frau lachte charmant und nahm den Arm an. „Da merkt man halt den aufmerksamen Ritter. Da ich nicht weiß, wann es uns wieder hierher verschlägt, werde ich auch für die anderen Lieben in Udenau etwas mitnehmen. Und Ihr wolltet auch noch etwas erwerben?“ Auf Merles Verhalten ging sie nicht weiter ein.

“Ja”, bestätigte Kalman. “Ich möchte Ciala mit einem neuen Kleid überraschen. Und Bernhelm erzählte mir, hier hätte irgendwo ein Tuchhändler seinen Stand aufgebaut. Vielleicht könntet Ihr mir einen Rat geben, welcher Stoff für ein Kleid der richtige wäre?” Doch zunächst führte er die schöne Dame zum Hintereingang des Brauhauses.

Ativana lachte vergnügt und ging im Geiste sofort ein paar Kleider nach neuerer Mode für ihre Schwägerin durch. “Aber sehr gern doch. An was habt Ihr gedacht? Welche Farbe, eher etwas Feineres oder was hübsches für den Alltag?”

“Hm”, Kalman wog ab. “Orange wäre natürlich eine gute Farbe. Wenn diese Hochzeit vorbei ist, steht erst einmal keine große Feier an. Aber ein Kleid, das sie bei guten Anlässen über das Jahr anziehen kann, würde ihr sicherlich gefallen. Lasst uns doch erst einmal Eure Einkäufe beim Rodenbach erledigen. Vielleicht hat bis dahin auch der leidliche Regen etwas nachgelassen.”

Sie gingen zu Rodenbach und betrachteten seine aktuellen Waren.

Erlwulf Rodenbach, der das Brauhaus mit angeschlossener Brennerei von seinem Vater nach dessen Tod übernommen hatte, war ein kräftig gebauter Enddreißiger, der durchaus auch in der Lage war, ein volles Bierfass alleine eine Rampe hochzurollen. Er war gerade damit beschäftigt, ein solches Fass auf eine Schubkarre zu verfrachten, um es in das Gasthaus zu bringen. “Guten Morgen, Junger Herr! Edle Dame!” begrüßte er die beiden Herrschaften.

“Guten Morgen, Erlwulf! Dies ist meine Schwägerin, Ativana von Adelmannsfelden. Sie möchte gerne von Deinem besten Brannt etwas für daheim erwerben. Was hast du denn gerade anzubieten?”

“Kleinen Moment, bitte!” Er hievte mit einem Schwung das Fass auf die Karre, wobei ihm Kalman schnell zur Hand ging, so dass das Fass den nötigen Schwung bekam. “So, nun aber. Ja, ich habe eigentlich gerade von allem etwas da.” Während er die beiden ins Innere des Brauhauses führte, den Flur entlang, vorbei an der Treppe nach oben, dem Durchgang in die Braukammer, vorbei an den mit Murmeln spielenden Kindern, erzählte er weiter. “Habe extra vor den Feierlichkeiten den Brennkessel laufen lassen, um Nachschub zu schaffen. Was sind denn Eure Vorlieben? Eher die kräftigen, oder die fruchtigen Klaren? Oder lieber die süßen Liköre? Oder soll es für den Magen ein Albenbluth sein?”

„Könnt ihr mir zwei gemischte Kisten zusammenstellen? Nicht zu süß, gerne etwas herber. Fruchtig ist auch in Ordnung.“ Interessiert besah sie sich diverse Flaschen. „Sagt, habt ihr etwas in blau oder giftgrün? Damit würde ich meinen Mann gerne überraschen. Kalman, lasst uns davon doch etwas kosten.“

“Ich denke, Ihr solltet erst einmal das eine oder andere probieren, bevor Ihr Euch entscheidet.” Erlwulf führte die beiden adeligen Kunden in den Brennraum. Links vom Durchgang stand an der Wand ein großer Maischebottich, aus dem es, obwohl er zur Zeit leer war, intensiv nach vergorenem Obst roch. Daneben war an der Wand ein Brennkessel gebaut. Zur Befeuerung hatte dieser unten einen gemauerten Kachelofen, deren Abluft durch einen Schornstein in das obere Stockwerk führte. In den Kamin eingelassen war eine kupferne Brennblase, in die die Maische gefüllt werden konnte. Die Brennblase öffnete sich in den Geisthelm, von dem aus sich die geistreichen Dämpfe durch ein Rohr in die Kolonne und schließlich in den Kühlzylinder verteilten. Ein Duft nach verschiedenen Destillaten lag in der Luft. An der gegenüberliegenden Wand standen Regale, in denen Krüge, Flaschen und kleinere Fässer mit unterschiedlichem Inhalt gelagert waren. Davor stand ein Schreibpult, darauf lag ein Buch, in dem der Bestand an Spirituosen ordentlich protokolliert wurde. Ein kleiner quadratischer Tisch mit vier Schemeln stand in der Mitte des Raums, darauf standen einige kleinere Tonbecherchen. "Setzt Euch ruhig. Was möchtet Ihr zuerst probieren? Etwas fruchtiges oder lieber zunächst unseren berühmten Albenbluth?”

Kalman zog einen der Schemel hervor und führte Ativana auf den Platz, bevor er sich selbst neben sie setzte und zwei der Becherchen vor sie und sich stellte. “Was meint Ihr? Erst mal einen Albenbluth zur Verdauung des Frühstücks?”

„Kann ich das Fruchtige dann überhaupt noch schmecken, nach dem Albenbluth? Fangen wir gerne dabei an. Und scheut Euch nicht. Macht das Glas schön voll. Das muss ich aushalten.“

„Sehr gerne. Dann fangen wir an mit einem Apfelbrand. Die Früchte stammen von den hiesigen Streuobstwiesen.“ Erlwulf zapfte aus einem kleinen Fass etwas Flüssigkeit in einen Krug und goss den Gästen den klaren Schnaps, der einen wohligen Duft nach reifen Äpfeln verströmte, in die Becherchen.

„Zum Wohl, Ativana!“, prostete Kalman ihr zu, hob seinen Becher und kippte den Brand hinunter.

Ativana kippte den Schnaps ebenfalls in einem Zug herunter. “Aah… das tut gut.” Ihre Backen erröteten etwas und sie seufzte. “Von dem nehme ich sicher mehr. Wollen wir uns gleich noch einen genehmigen?”

„Probieren wir doch erst einmal die anderen“, schlug Kalman vor. „Erlwulf hat sicherlich nicht gleich mit dem Besten angefangen.“

„Nein, natürlich nicht“, warf dieser ein. „Sonst munden ja die anderen nicht mehr. Moment, ich bringe etwas anderes.“

Die Wartezeit nutzte Kalman, um noch einmal das Gespräch über das Kleid für Ciala aufzugreifen. „Also, Ativana, was denkt Ihr wegen des Kleiderstoffes?“

„Kalman, findet ihr nicht, dass Ciala schon recht viel Kleidung in orange besitzt? Sie hat so schöne kastanienbraunes Haar. Wir sollten nach zwei verschiedenen Stoffen in Grüntönen schauen.“

“Hm, orange steht ihr doch so gut. Es betont so angenehm ihren Teint.” Kalman schaute zu seiner Schwägerin. “Aber ein grünes Kleid würde ihr bestimmt auch sehr gefallen. Sie liebt doch die Jagd. Das könnte sie dann tragen, wenn sie von der Jagd zurückkommt.”

„Es soll also etwas für den alltäglichen Gebrauch sein, aber keiner dieser Säcke, wie sie früher modern waren. Etwas figurbetonter. Hm.. oder eine Tunika und eine Hose dazu?“

“Eigentlich dachte ich schon an ein Kleid. Das würden dann die Ohnschuhs nähen, die wissen schon, was Ciala passt. Aber warum nicht auch eine Hose und eine Tunika? Das ist praktisch und kann Ciala immer gebrauchen.”

In der Zwischenzeit hatte Erlwulf ein weiteres Krüglein aus einem anderen Fass befüllt und goss die Becherchen nach. “Dies ist jetzt ein Kirschbrand, aber noch aus dem letzten Jahr. Dieses Jahr hatte leider ein Hagelschauer im Peraine die Kirschblüte getroffen und wir haben kaum genug Früchte geerntet, um den Bedarf in der Hauptstadt zu decken.”

“Wirklich schade um die Ernte. Ist zu erwarten, dass der ältere Jahrgang einen besseren Geschmack entwickelt, oder ist er grad noch so genießbar?" Sie zuckte fröhlich mit den Schultern und sah Kalman abenteuerlustig an. “Ich werde es persönlich herausfinden.”

„Also bitte! So ein Brand hält ewig!“, empörte sich Erlwulf. „Der vergeht nicht. Aber probiert selbst.“

„Keine Sorge, Ativana“, meinte auch Kalman, „der würde auch in 10 Jahren noch genauso gut schmecken. Wenn dann noch welcher übrig wäre.“

„Nun, noch ist genügend da, das sollte noch ein, zwei Götterläufe reichen. Letztes Jahr war ein sehr gutes Kirschenjahr. Aber ich hoffe dennoch, dass es im Sommer wieder mehr Kirschen gibt.“

Erst nippte AdelmannXIs Frau sachte, dann ließ sie den Brand kurz im Mund und leerte den Becher. Ihre Augen glänzten. “Ihr habt recht. Das wird schwierig. Aber egal. Mein Gatte wird alles bezahlen.“ Sie lächelte recht glücklich.

Erlwulf begann ob der Ankündigung zu lächeln und seine Augen leuchteten. Dies konnte heute ein gutes Geschäft werden. “Wenn Euch der Kirsch geschmeckt hat, dann müsst Ihr erst einmal den Waldhimbeer versuchen. Es ist, als hätte Rahja ihn selbst geküsst. Wartet!”

Erwartungsvoll blickte Kalman zu Ativana, während Erlwulf zurück zum Regal lief. “Ja, Erlwulf hat recht. Der Himbeergeist ist vielleicht das beste, was er im Sortiment hat. Was meint Ihr, was für eine Mühe es für die Kinder ist, genügend frische Waldhimbeeren zu sammeln? Diese dürfen auch nicht lange liegen, weil sie schnell einen Pelz bekommen und dann nicht mehr genießbar sind. Aber es werden ein paar Stein davon für die Maische benötigt, um einen intensiven Geschmack zu bekommen.”

“Wohl wahr! Lasst ihn Euch munden! Das Problem ist, dass die Kinder beim Pflücken bald mehr naschen als sie sammeln.”

Geschwind ließ sie ihren Blick über die vielen kleinen und größeren Fässer wandern. „Der Himbeerbrand ist vorzüglich. Viel zu schade, um ihn einfach so der Familie vorzusetzen. Wenn ich meine Freundin Mareia mal wieder treffe, werde ich ihr etwas davon schenken. Lasst uns noch nach etwas hochprozentigem schauen, falls mein Gatte ein Schläfchen halten will, das aber nicht gleich Würgreiz auslöst.“ Ihre Augen blitzen vor Freude. Was genau die Begeisterung auslöste, war unwichtig.

Erlwulf lachte. “Etwas Hochprozentiges, was keinen Würgereiz auslöst?” Er spielte eine Empörung, musste aber herzhaft lachen. “Ich glaube Euer Zusatz bezieht sich auf den Tannenwipfelgeist. Bei manch einer Dame scheint er tatsächlich diese Wirkung zu haben. Andere sagen ihm nach, er sei gar nicht zum Trinken gedacht. Meine liebe Frau Großmutter, Boron habe sie selig, hat ihn stets verwendet, um ihre vor Gicht schmerzenden Knochen einzureiben. Aber gut, Ihr mögt etwas anderes probieren. Ich habe noch ein kleines Schätzchen irgendwo hier.” Erlwulf ging an das Regal und schaute die kleineren Fässchen durch. “Jedermann kennt ja den berühmten Albenhuser Albenbluth, ein Kräuterlikör, der besonders bei Magendrücken zu empfehlen ist. Doch nur wenige wissen, dass wir aus den gleichen Kräutern auch einen Brannt herstellen. Hochprozentig, doch gleichzeitig mild und abgerundet im Geschmack. Darüber hinaus äußerst wohltuend für Körper und Seele. Wartet!” Er schaute weiter im Regal umher. “Ah, hier haben wir es ja, viel ist nicht mehr über, aber probiert, für einen so besonderen Gast, wie Euch kann ich sicherlich noch ein oder zwei Fläschchen davon abfüllen.” Er zapfte zwei Becherlein davon ab und stellte sie vor Ativana und Kalman auf den Tisch. “Probiert selbst! Wie ist Euer Urteil?”

Kalman hob den Becher und prostete seiner Schwägerin zu, bevor er das Getränk hinunterkippte. “Herrvorragend! Du solltest ihn nicht hergeben, sondern lieber für Vater aufbewahren!”

“Keine Sorge, hoher Herr! Seine Wohlgeboren hat erst kürzlich einen Vorrat davon geordert. Und bald sind die Kräuter, die es braucht, so weit, dann wird neuer gebrannt.” Der Brennmeister blickte zu Ativana. “Wem der Geist zu stark ist, kann ihn auch gut in heiße Milch mit Honig schütten, dann wirkt er gerade als Schlaftrunk besonders gut.”  

Am Ende der Verkostung ließ sich Ativana ein kleines Körbchen mit diversen kleinen und größeren Flaschen füllen. „Die Rechnung geht an AdelmannXI., lasst es auf unser Zimmer bringen“, beendete sie den Einkauf.

~*~

Einen Plan zu backen

(9:50)

Allein, um in Ruhe und ungestört von Ativana und Kalman mit Merle sprechen zu können, führte Gwenn ihre Schwägerin Merle zur Bäckerei. Ulfried Runkler hatte aufgrund des Wetters heute keinen Stand vor seiner Backstube aufgebaut, doch stand die Tür in das Haus offen und Gwenn trat ein. Seine Frau Wiltrud und ebenfalls sein Sohn Brun standen an einem Tisch und arbeiteten an verschiedenen Teigen.  

“Guten Morgen, Meister Runkler! Das duftet hier ja wieder wundervoll!” grüßte Gwenn den Bäckermeister. “Sagt, habt ihr etwas süßes Gebäck für uns? Vielleicht noch von Euren Zimtschnecken? Ach Brun, guten Morgen, wir haben uns ja lange nicht mehr gesehen.”

Überrascht von dem hohen Besuch und etwas erschrocken, da er gerade dabei war, den Traviakuchen für Gwenns morgiges Fest vorzubereiten, verbeugte sich Ulfried hastig. “Oh, die hohen Damen! Seid gegrüßt, es ist mir eine Freude, dass Ihr mich beglückt!”

Brun schaute zu Gwenn und Merle und lächelte über das ganze Gesicht, ohne von seiner Arbeit abzulassen. “Gwenn! Ähm, ich meine Hohe Dame von Weissenquell!”

“Ach, Brun, bleib doch bei ‘Gwenn’. Hier weiß doch jeder, dass wir uns seit Kindertagen kennen und befreundet sind”, winkte Gwenn ab.

Dann blickte Brun zu Merle. “Hohe Dame von Weissenquell!” grüßte er auch Merle mit einem Lächeln.

“Guten Morgen”, grüßte Merle knapp zurück. Sie ballte die Fäuste zusammen, immer noch angestrengt, Haltung zu bewahren und sich nicht anmerken zu lassen, wie es in ihr drin aussah. Abwesend überließ sie Gwenn das Reden.

Brun seufzte. “Leider sind die Zimtschnecken gestern bereits ausgegangen. Aber ich habe heute früh frische Schmalzkrapfen mit Fruchtfüllung gebacken. Hättet ihr die Güte, diese zu probieren und mir euer Urteil zukommen zu lassen?”

“Oh ja, die mag ich auch sehr gerne, Brun. Sind sie mit Honig karamelisiert?” freute sich Gwenn.

Ulfried nickte. “Selbstverständlich! Wie es sich gehört.”

“Gut”, entschied Gwenn, “dann nehmen wir zwei davon. Und sagt, Meister Runkler, könnten wir zwei vielleicht bei Euch in einer Kammer ungestört reden? Draußen ist es ungemütlich und dort sind zu viele neugierige Ohren, wenn ihr versteht.”

“Selbstverständlich, geht dort durch die Tür in die Stube. Die Kinder von Brun sind draußen und spielen Ziegenjagd. Denen macht der Regen nichts aus. Und wir müssen sie nachher abspülen, bevor sie ins Haus kommen”. lachte Ulfried, “Und Mengarde ist rüber zum Rodenbach etwas Kirschwasser besorgen. Danach hilft sie uns hier weiter. Ihr seid dort also ungestört.”

“Fein!” kommentierte Gwenn. “Dann komm Merle, nimm dir einen Krapfen und dann reden wir. Die Zeit eilt.” Die Hofdame ging voraus in die Stube.

Merle griff zögerlich nach einem der klebrigen Krapfen und folgte Gwenn. "Ich muss auch wirklich wieder zu Lulu", wandte sie mit sichtlicher Unruhe ein. "Wer weiß, ob Vitold und Lindwin wirklich aufpassen, dass sie nicht doch eine Murmel verschluckt... Und nachher schreit sie schon das ganze Brauhaus zusammen..."

“Ja, das verstehe ich. Aber mach dir mal nicht zu viel Sorgen. Kalman geht ja gleich zum Rodenbach. Wenn mit Lulu was ist, dann weiß er ja, wo wir sind. Und ich will es auch gar nicht zu lang machen. Aber wenn du meinem Plan folgst, kümmere ich mich um Lulu." Gwenn drückte beruhigend Merles Hand.

Ohne groß nachzudenken, biss Merle in den Krapfen und schluckte den süßen Bissen mühsam herunter. Im Grunde war ihr so schlecht, dass sie glaubte, nie wieder etwas essen zu können. Sie legte das Gebäck schnell zur Seite und schaute Gwenn fragend an. "Was für ein Plan?"

Gwenn aß ihren Krapfen mit Genuss. Pläne zu schmieden steigerte ihren Appetit auf Süßwaren. „Pass auf, wenn du Gudekar wirklich zurück haben willst, musst du zuerst diese Meta loswerden. Richtig?“

Als sie Gwenns hungrigen Blick sah, schob sie ihr den zweiten Schmalzkrapfen wortlos herüber. Sie schaute ihre Schwägerin aufmerksam an. "Soll ich versuchen, mit ihr zu reden? Ihr zu verstehen geben, dass sie meinen Mann in Ruhe lassen soll?" Ihre Stimme klang hilflos und schwach, selbst nicht davon überzeugt, dass dies viel bringen würde.

Gwenn schüttelte den Kopf und winkte ab. „Das wird nichts bringen.“ Dann blickte sie Merle an. „Sag, wie gut bist du in der Schauspielkunst?"

"Vermutlich nicht allzu gut." Merle zuckte schüchtern mit den Achseln. "Ich glaube, Ativana und Kalman haben eben sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Aber...", sie seufzte, "...ich schaffe das, wenn ich muss. Im Kloster versuche ich manchmal vor den Patienten zu verbergen, wie schlimm es wirklich um sie steht."

“Merle, du musst ganz stark sein!” Gwenn sprach diese Aufforderung sehr eindrücklich. “Es ist ganz wichtig, dass du nichts Unbedachtes tust und nicht voreilig handelst, auch wenn das, was ich dir gleich sagen werde, sehr schmerzhaft für dich sein wird. Schaffst du das? Versprichst du mir das? Und das heute wird vielleicht nur die erste Schlacht sein, aber diese müssen wir – musst du gewinnen.”

Merle schluckte, nickte aber tapfer. "Was kann denn jetzt noch Schlimmeres kommen?" fragte sie matt. "Hat er die andere Frau auch schon geschwängert?" Das schmale Lächeln, das sie Gwenn zeigte, wirkte freudlos und verbittert.

“Nicht, dass ich wüsste, nein.” ‘Ich hoffe nicht’, dachte Gwenn. “Aber ich weiß, was die beiden heute vorhaben.” Gwenn hatte Skrupel, Merle von Gudekars und Metas Plan zu erzählen. Sie war sich nicht sicher, wen sie zu schützen versuchte, indem sie es immer weiter hinauszögerte, Gudekar und Meta, Merle, oder doch eher sich selbst? “Wir haben nicht viel Zeit. Aber du musst dich hübsch machen, richtig hübsch. Du musst gehen und dir dein schönstes Kleid anziehen. Das, was du mir gezeigt hast, das du morgen auf der Hochzeit anziehen wolltest. Schnüre es oben aber nicht zu fest zu.” Gwenn schaute Merle von oben bis unten an. “Für eine komplizierte Frisur haben wir keine Zeit, aber Gudekar hatte mir früher eh immer erzählt, wie sehr er es liebte, wenn du dein Haar offen trägst. Einmal durchbürsten reicht. Und dann einen Umhang gegen den Regen, damit nicht alles wieder hin ist, bis du dort bist. Ich hole inzwischen Lulu und bringe sie zu Ciala. Sie wird das verstehen.”  

"Was sie vorhaben?" Merle verzog wütend das Gesicht. "Wahrscheinlich irgendwo schamlos Unzucht treiben? Dabei hat er sie offenbar schon die letzten zwei Nächte bis zum Umfallen gevögelt!" Wieder ballte sie die Hände und schloss kurz die Augen, presste angestrengt die Lippen zusammen. Dann nickte sie Gwenn müde und resigniert zu. "Ja, ich kann mich herrichten. Aber was soll das bringen? Früher hab ich ihm gefallen, da konnte er gar nicht die Finger von mir lassen. Aber seit der Schwangerschaft hat er mich kaum noch anrühren wollen.”

Gehässig grinste Gwenn. „Wenn du genau das tust, was ich dir gleich sage, dann kann das sehr viel bringen. Die Ritterin wird anfangen, an seiner Liebe zu ihr zu zweifeln, hoffe ich. Zumindest wird es einen ersten Keil zwischen die beiden treiben. Wir werden damit vielleicht noch nicht den ganzen Krieg gewinnen, aber wir werden den Gegner empfindlich schwächen, würden Kriegsstrategen sagen. Er wird dich wahrscheinlich auch heute nicht anrühren, aber die Ritterin wird sich da nicht sicher sein.” Gwenn nahm den Krapfen, den Merle ihr hinüber geschoben hatte und aß auch diesen genüsslich auf. Beiläufig erklärte sie mit vollem Mund: “Weißt du, ich will Brun nicht beleidigen. Nicht dass er denkt, der Krapfen hätte nicht geschmeckt, weil du ihn kaum angerührt hast. Der ist nämlich vorzüglich.”

"Brun weiß das sicherlich zu schätzen", bemerkte Merle mit einem Augenrollen, lächelte aber leicht. Wenigstens Gwenn hatte hier ihre Freude. Abwesend fummelte die junge Frau in ihrem Zopf herum und legte den Kopf schief. "Gut, ich mache mich hübsch. Was dann? Und warum muss es so schnell gehen?"

Wie in Gedanken lief Gwenn in dem Raum und ab und postierte sich dann so, dass sie zwischen Merle und der Ausgangstür stand. Nur für den Fall, dass Merle nicht auf das Ende des Plans warten würde, sondern versuchte, sofort loszurennen. Dann musste sie sie aufhalten, damit der Plan nicht scheitern konnte. “Also gut: Gudekar und diese Ritterin planen heute mit Hilfe meines Vetters den Rahjabund zu schließen.” Gwenn sagte bewusst ‘schließen’ statt ‘erneuern’, um Merle nicht gleich in erneute Hoffnungslosigkeit zu stürzen, die sie gewiss zu unbedachten Taten treiben würde. “Und genau dies machen wir uns zu nutze.” Sie wartete in Lauerstellung die Reaktion ihrer Schwägerin ab.

"Ein Rahjabund?!" Merle zog scharf die Luft ein und zwang sich, gleichmäßig zu atmen. Sie zog die Stirn kraus und brauchte einige Momente, um das Gesagte zu verstehen. "Wie kann seine Gnaden Rahjel das mitmachen?” empörte sie sich. “Der weiß doch, dass Gudekar verheiratet ist!” Schockiert schüttelte sie den Kopf. “Und ich hatte noch geplant, mir von den Geweihten Rat und Hilfe für meine Ehe zu erbitten!"

Gwenn zuckte mit den Schultern. „Manche Rahjanis sehen es mit dem Traviabund wohl nicht so eng wie andere. Hattest du Gudekar gesagt, dass du mit den Geweihten sprechen willst?“

Sie schüttelte den Kopf. “Ich wollte erstmal allein mit jemandem sprechen. Und Gudekar vielleicht später bitten, gemeinsam hinzugehen…” Sie schweifte kurz in Gedanken ab und legte verständnislos die Stirn in Falten. "Aber... was soll so ein Rahjabund überhaupt bewirken oder ändern? Der Travienbund gilt vor dem derischen Gesetz und ist unauflöslich. Denkt Gudekar, er kann die Verbindung zu dieser Meta dadurch irgendwie legitimieren?"

“Denkt er überhaupt dabei irgendetwas? Ich vermute, dass die junge Frau ihn dazu drängt, um ihn noch mehr an sich zu binden. Aber du wirst das ausnutzen, um das Gegenteil zu erreichen. Denn Rahja hält Ihre Tür immer für alle offen, die aus Liebe und nicht aus Hass Ihr Haus betreten wollen. Und so wirst auch du Einlass in den Schrein finden, den die Rahjanis in Erlwulfs Schankstube aufgebaut haben.” Gwenn rieb sich bei dem Gedanken vor Schadenfreude die Hände. “Das wird eine Überraschung für die beiden!”

"Früher hab ich Gudekar dafür bewundert, was für ein kluger und bedachter Mann er ist... und jetzt macht er solche Sachen", murmelte Merle traurig und seufzte voller Enttäuschung. Fragend blickte sie zu Gwenn auf. "Also, ich soll da einfach... reinplatzen? Und was dann?"

“Gudekar ist vielleicht klug, wenn es um seine Magie geht, aber er war schon immer dumm, wenn es darum ging, mit Menschen umzugehen.” Nachdenklich rieb sich Gwenn mit dem Handballen die Augen. “Also du gehst da rein und – und das ist jetzt ganz, ganz wichtig, hörst du? – und bleibst ganz ruhig. Egal, was dann passiert, beachte die Ritterin nicht. Egal was sie sagt oder tut, tu einfach so, als wäre sie gar nicht da. Sie wird dir nichts tun. Aber selbst, wenn sie dich wegzuziehen versucht, lass dich nicht abhalten. Geh dann zu Gudekar, stell oder setz dich direkt neben ihn und gib ihm einen Kuss. Einen innigen, aber kalten Kuss. Weißt du, wie ich das meine?”  

"Ich glaube, das könnte ich schaffen", bestätigte Merle entschlossen. Sie war vorhin auch ruhig geblieben, als sie Gudekar beim Frühstück aufgesucht hatte, zumindest äußerlich - und es schien ihn zumindest ein wenig verunsichert zu haben. "Aber dann werden die mich doch fragen, was ich da will", überlegte sie zweifelnd. "Und der Geweihte wird vielleicht versuchen, mich aus dem Schrein zu werfen, weil ich das Ritual störe? Oder nicht?"

“Wie gesagt, wenn du aus Liebe kommst, kann er dich eigentlich nicht abweisen. Eigentlich müsste er die Sache erst klären lassen, bevor er das Ritual durchziehen kann. Wenn du Gudekar den Kuss gegeben hast, – du bist dir sicher, wie ich das mit dem Kuss meine? – dann streichelst du Gudekar kurz und nimmst seine Hand. Dann sagst du so etwas wie: ‘Schön, Gudekar, dass du schon da bist und auf mich wartest! Wir können dann jetzt wie verabredet beginnen.’ Vielleicht noch so etwas wie: ‘Ich hatte gedacht, Ihre Gnaden Rajalind würde das Ritual mit uns durchführen?’ Was meinst du, wie verwundert alle sein werden. Dann streichelst du Gudekar noch einmal und flüsterst ihm ins Ohr, aber so, dass es alle hören können: ‘Ich schaue mal nach, wo sie bleibt. Warte hier auf mich!’ Dann gehst du wieder raus. Das wird die Ritterin zum Kochen bringen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das Ritual dann noch so durchziehen.”

Merle ließ Gwenns Worte auf sich wirken. Tatsächlich erfüllte bereits die Möglichkeit, irgendetwas tun zu können, sie mit so etwas wie Hoffnung, auch wenn sie ihre Zweifel hatte, ob dieser Plan wirklich umsetzbar war. "Ein inniger, aber kalter Kuss?" murmelte sie. "Du meinst, eher kurz... aber hart und heftig?" Sie zuckte mit den Achseln. "Vermutlich schon, wenn er mich nicht wegschubst." Nachdenklich strich sie sich den Zopf glatt. "Aber kurz darauf wird er ja versuchen, alles aufzuklären. Und im Zweifelsfall wird sein Vetter ihm glauben und Ihre Gnaden Rajalind bestätigen, dass es keine Verabredung gab, oder? Dann steh' ich als Lügnerin da und er kann zurück zu der Ritterin rennen."

Gwenn dachte nach. “Hm, nein, das wollen wir nicht. Es muss eher so klingen, als ob Gudekar Ihre Gnaden Rajalind fragen wollte, als ob er es dir versprochen hatte. Es muss nur so überzeugend sein, dass sie anfängt zu zweifeln, egal wie sehr er alles abstreitet. Immerhin hat er ihr ja schon seit Ewigkeiten versprochen, es dir zu sagen und dich zu verlassen. Und er hat sie immer vertröstet. Wenn es jetzt den Anschein hat, dass er auch mit dir einen Rahjabund schließen wollte, wenn auch nur die Möglichkeit dazu bestehen könnte, wird sie das an ihm zweifeln lassen. Ich sagte ja, wir werden noch nicht den Krieg gewinnen, aber eine Bresche schlagen.” Dann ergänzte sie: “Und was den Kuss angeht, der muss richtig sitzen. Erst fordernd und bittersüß, aber dann kalt und abweisend. Und es muss so schnell gehen, dass er sich gar nicht wehren kann. Pass mal auf!” Gwenn ging zur Tür und öffnete diese. “Brun, komm mal kurz her!”

Als der junge Bäcker das Zimmer betrat, schloss Gwenn die Tür hinter ihm.

Merle starrte Gwenn in die Augen. Ein Teil ihrer Wut brauste erneut in ihrem Inneren auf, darüber, dass ihre Schwägerin dies alles so lange vor ihr verheimlicht hatte, während sie friedlich zusammen gesessen, geredet und gelacht hatten. Dennoch hatte sie das Gefühl, jetzt mehr von der echten Gwenn zu erkennen, als in all' den Jahren zuvor. Wie hatte sie je glauben können, dass Gwenn liebenswürdig, zurückhaltend und anständig wäre? Nein, die Frau vor ihr wirkte wie eine skrupellose Intrigantin, blitzgescheit und gefährlich - und dabei so mutwillig, unverschämt und unglaublich lebendig… Auch wenn Merle sich nicht sicher war, ob sie die neue Gwenn mochte - es war auf jeden Fall gut, sie auf ihrer Seite zu haben. Und sie fühlte eine gewisse Bewunderung, Vertrautheit und... Dankbarkeit dafür, dass Gwenn ihr diesen offenen Einblick in ihr wahres Selbst gewährte. “Hm, immerhin hab ich dann den Rahjabund erst einmal verhindert”, stimmte sie zu. Sie wusste immer noch nicht, was genau es für ein Spiel war, das Gudekar da mit dieser Ritterin spielte - aber sie war entschlossen, es ihm gründlich zu verhageln. Als Brun im Zimmer war, schaute Merle neugierig zwischen ihm und Gwenn hin und her; ein kleines, schiefes Lächeln auf den Lippen.

“Gwenn, was kann ich für…” Weiter kam er nicht, denn Gwenn ging auf ihn zu, ganz nah, legte eine Hand auf sein Gesäß, die andere auf seinen Hinterkopf und zog ihn zu sich heran, bis sich ihre Lippen berührten. Sie küsste ihn leidenschaftlich, mit einem Blick, der innige Liebe ausdrückte. Doch mit einem Mal wandelte sich Blick in einen Ausdruck der Verachtung und Abscheu. Dieser Ausdruck war für Merle nur deshalb sichtbar, weil sie an der richtigen Position stand. Etwas weiter links oder rechts, und sie hätte Gwenns Mienenspiel nicht erkannt. Gwenn trennte sich von Brun und stieß ihn von sich. Dann drehte sie sich zu Merle um und ließ den völlig verdutzten Brun stehen.

“Siehst du Merle, genau so musst du es machen!” Nun blickte sie doch wieder entschuldigend zu dem Bäckergesellen. “Verzeih mir, Brun, ich musste Merle nur kurz etwas demonstrieren. Aber verrate niemandem, was hier gerade passiert ist.” Lachend und ihm ihren Ellenbogen in die Seite stoßend ergänzte sie: “Sonst muss ich dich leider beseitigen lassen!”

“Kei.. keine Sorge, das bleibt unter uns”, stotterte Brun verlegen.

Gwenn lachte. “Danke, Brun, du kannst jetzt wieder an die Arbeit gehen. Ich will morgen einen prächtigen Kuchen haben. Ach, die Krapfen waren übrigens ausgezeichnet! Stimmt’s nicht, Merle?” Gwenn zwinkerte ihrer Schwägerin zu und wischte sich den Mund ab.  “Und noch eines: du solltest bei der Arbeit nicht so viel von dem Teig naschen. Deine Zunge schmeckt honigsüß. Du wirst sonst irgendwann zu dick.” Mit diesen Worten schob sie ihren vollkommen überrumpelten Jugendfreund aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter ihm.

Merle beobachtete das Geschehen mit einer Mischung aus Faszination, Erregung und Unbehagen - auch wenn es sie nicht wirklich überraschte. Eigentlich nicht im geringsten. Sie war sich sicher, dass es nicht das erste Mal war, dass so etwas zwischen Gwenn und Brun passierte. Und im Grunde war das ja allein deren Sache. “Ja, die Krapfen sind wunderbar!” rief sie dem jungen Bäcker mit einem entschuldigenden Grinsen hinterher und wartete, bis die Tür wieder zu war. “Und danke für diese… Demonstration, Gwenn. Obgleich du das größtenteils zu deinem eigenen Vergnügen getan hast”, bemerkte sie sachlich.

„Es war rein zu Demonstrationszwecken!“ antwortete Gwenn energisch und ergänzte etwas leiser: „Und um alte Erinnerungen aufzufrischen.“ Sie straffte ihr Kleid. „So, hast du noch Fragen zu unserem Plan?“

Merle zog vielsagend die Brauen hoch und feixte ein bisschen, sagte aber nichts weiter dazu. “Eine Menge Fragen”, gab sie zu, “...aber wir haben nicht viel Zeit, oder?” Sie seufzte und zuckte mit den Achseln. “Also, ich eile heim, zieh’ mich um, platze in den Schrein, küsse und verwirre ihn, spaziere wieder raus… Und dann? Wo geh’ ich dann hin? Meinst du, sie werden mir folgen?”

“Dann gehst du wieder zurück zum Gutshaus. Dort wird Gudekar dich am ehesten suchen und du hast genügend vertraute Leute um dich, falls es zu einem Streit kommt.” Und dazu wird es wahrscheinlich kommen, fürchtete Gwenn. “Ich hole jetzt erst einmal Lulu ab und bringe sie zu Ciala, während du dich umziehst. Wenn du zu Gudekar gehst, werde ich dich begleiten und draußen warten, dann bin ich da, falls du Hilfe brauchst.” Gwenn rechnete nach. “Ja, wir sollten uns beeilen. Vermutlich sind sie bereits im Rodenbachs.”

“Gwenn, ich danke dir”, sagte sie mit ehrlicher Ernsthaftigkeit. “Du hast mir sehr geholfen, wirklich. Ich hab weder Trost noch Mitleid gebraucht, sondern einen Plan, ein Ziel.” Ihre Stimme klang fest und entschlossen. “Gudekar wird lernen müssen, mit mir zu rechnen.”

“Gut! Ich freue mich, dass du nicht aufgibst. Dann lass uns jetzt losgehen.” Gwenn ging zur Tür und hielt sie Merle auf. “Wir sehen uns gleich beim Gutshaus, wenn ich Lulu geholt habe.”

Merle atmete tief durch, straffte ihren Körper und versuchte sich einzig und allein auf den nächsten Schritt zu konzentrieren. Wenn sie weiter dachte - an die bevorstehende Begegnung mit Gudekar, die Konfrontation mit dieser Ritterin, an die Zukunft - dann würden die Angst und der Schmerz sie völlig überwältigen. Aber jetzt zum Gutshaus gehen, sich schön machen… das konnte sie. Das würde sie schaffen. Sie lächelte, um sich selbst aufzumuntern und drückte Gwenn einen schnellen Kuss auf die Wange, dann huschte sie hastigen Schrittes hinaus.

Gwenn folgte ihr und verabschiedete sich noch bei der Bäckerfamilie. “Vielen Dank, Meister Runkler, das hat uns sehr geholfen. Und Brun, wir sehen uns nachher, vergiss unsere Verabredung nicht!” Auf dem Dorfplatz rief sie noch einmal Merle hinterher: “Eil dich! Das wird schon alles klappen! Ich bin gleich bei dir!” Dann ging sie zum Haus der Rodenbachs, um Lulu abzuholen.

~*~

Die Geschichten eines Ritters

Jartgar von Immergrün war in seinem Element. Endlich hatte er einige Zuhörer gefunden, die seine Geschichten über seine Heldentaten, den Tugenden der Kriegsgöttin Rondra oder über das Leben eines Ritters hören wollten. Doch ohne Hintergedanken tat er das nicht. Vor der Göttin hatte er geschworen, solange er ein Schwert in seinen Händen halten konnte, solange würde er seinen Dienst an Rondra tun und junge Mädchen und Jungen zu Rittern bilden und ihre Herzen für die Sturmherrin zu öffnen. Seit Coleta von Ahnwacht ihre Schwertleite im letzten Götterlauf erhalten hatte, hatte er weder Pagin noch Knappe. Und wer weiß, vielleicht würden sich hier solche finden lassen?

~*~

Eine Lehrstunde in der Schmiede

(Ende der Perainestunde, ca. 9:45)

Die Hadingerin winkte der herausstürmenden Ritterin hinterher und ging dann bedächtig hinunter zur Schmiede, wo immer noch das laute Hämmern Limrogs erklang. “SO, ICH BIN WIEDER DA!”, verkündete sie freudestrahlend und nahm den Eisenstab mit dem Rohling in die Hand, um diesen in der Esse neu zu erwärmen.

“Das wird ja langsam Zeit!” Limrog wirkte verärgert, dass Imelda so lange gebraucht hatte, um wiederzukommen. Ihn störte die Einstellung der jungen Frau, die Arbeit mittendrin zu unterbrechen, um etwas anderes zu beginnen. So etwas war ungehörig. Eine Arbeit, die begonnen wurde, musste immer zu Ende geführt werden, bevor das nächste begonnen wurde. Aber eigentlich wirkte Limrog meistens verärgert. “Euren Rohling müsst Ihr neu beginnen, sonst wird das nichts mehr. Was sollte das überhaupt werden?”  

“Ein Brieföffner!”, verkündete Imelda etwas vergnätzt. “Meister Ingerian sagt immer, gut Ding will Weile haben.” Imelda hielt demonstrativ ihren Rohling, der noch immer ein viereckiger Klotz war, in ihre Esse und wartete darauf, dass dieser langsam aber sicher Farbe annahm. “Hatte ich als Geschenk für das Brautpaar überlegt. Ich würde dann eine Rose und Wappen eingravieren. Was macht Ihr denn, Meister Limrog?”

Der Schmied schüttelte verständnislos den Kopf. Aber vermutlich hatte es wenig Sinn, der jungen Geweihten erklären zu wollen, warum ein erkalteter Rohling besser zunächst noch einmal eingeschmolzen werden sollte, bevor man ihn erneut erwärmte. Naja, es war also nur ein Brieföffner und kein Messer, der würde nicht solchen Kräften ausgesetzt sein wie ein Schwert. Und wenn er dann doch splitterte, wäre es nicht so schlimm.

“Ich muss ebenfalls noch was für das Brautpaar fertigen.” Der Tonfall des Angroschos wirkte jedoch nicht begeistert darüber. “Hat mir dieser Magier aufgetragen. Kommt diese Missgeburt doch glatt gestern in meine Schmiede und sagt, er braucht ganz dringend einen Leuchter als Geschenk für seine Schwester! Als hätte ich nichts besseres zu tun, als mich heute den ganzen Tag an den Amboss zu stellen.”

“Gudekar?”, fragte Imelda überrascht und zog die Brauen hoch. Da sie für den Brieföffner nur wenig Stahl benötigte, nahm ihr Rohling schnell eine tiefrote Farbe an, welche nun so langsam heller wurde. Gleich war es soweit, dass sie mit dem Hammer das Metall bearbeiten konnte. Das Beste am Schmieden… “Unglaublich, dass er bislang keine Geschenke besorgt hat… Ich habe ja aus Hadingen eine kleine Kiste mit Obstwein, eine kleine Kiste mit Met, ein Hufeisen als Glücksbringer, verzierte Dolche für Braut und Bräutigam, sowie passende Broschen aus unserer Goldschmiede mitgebracht. Der Brieföffner ist gerade noch eine spontane Idee gewesen…” Imelda wog den Kopf hin und her. Hatte sie noch ein Geschenk vergessen zu erwähnen? Lächelnd holte sie den viereckigen Rohling aus der Esse heraus, zog ihren kleineren Schmiedehammer vom Gürtel und begann beherzt auf den Rohling einzuschlagen. “UND? WAS SCHENKT IHR DEM BRAUTPAAR?”

“Unglaublich ist vor allem, dass ich jetzt schuften muss, weil der feine Herr sich erdreistet, erst so spät mit seinem Auftrag zu kommen.” Limrog, der gerade einen der Arme des Leuchters fertig gestellt hatte, legte den Hammer beiseite und ging zu einer großen Holztruhe, deren Deckel sich mit einem lauten Quietschen öffnete. Der Schmied nahm ein in ein Leinentuch eingeschlagenes Päckchen aus der Truhe und ging damit zu seinem Arbeitstisch. Dann schlug er vorsichtig das Tuch auf und wickelte zwei geschmiedete Kerzenhalter heraus und reichte einen davon Imelda. Die Kerzenhalter waren mit filigranem Schmiedewerk verziert: eine Rosenblüte, um die sich eine Schlange wand. Beide Leuchter waren spiegelverkehrt zueinander, so dass sich die Schlangen anblickten, wenn man die Leuchter nebeneinander stellte. “Für die Nachttische des Brautpaares. Als der Magier die gestern gesehen hat, wollte er sie mir abkaufen. Da habe ich ihm gesagt, dass die schon vergeben sind. Da hat er gesagt, er möchte einen dreiarmigen Leuchter mit genau solchen Verzierungen, der dazu passt.”

So in etwa wird der Leuchter aussehen, es fehlen noch die Verzierungen.

Imelda schlug noch zweimal kräftig auf den Stahlklotz, welcher bereits etwas breiter und flacher wurde. Sie nahm den Rohling und hielt ihn wieder in die Esse, damit er sich erneut aufheizte. Neugierig betrachtete sie derweil die Leuchter. “Ja! Wunderschön!”, rief sie ihm begeistert entgegen. “Die Rose und die Schlange sind unheimlich schön verarbeitet. Aber wenn Ihr solche Verzierungen auch für den neuen Leuchter benötigt, dann braucht Ihr meine Hilfe! Sonst seid Ihr ja noch heute Abend damit beschäftigt!”

“Wem sagt ihr das? Was dieser arrogante Herr sich vorstellt. Ich habe ja damals gleich gesagt, Friedewald sollte ihn in einen Sack stopfen und in den Bach schmeißen, als sie herausgefunden hatten, was mit dieser Missgeburt nicht stimmt.”

Imelda runzelte die Stirn. "Ihr scheint wohl keine allzu hohe Meinung zu haben von dem gelehrten Herrn Gudekar? Warum das denn?"

“Warum? Das müsst Ihr erst fragen?” Der Schmied musterte die Geweihte. “Er trägt Brodrom in sich. Das reicht ja wohl.”

“Mmmhh…”, gab Imelda schulterzuckend von sich. “Meint Ihr, er würde seine Kräfte für etwas… sagen wir unsittliches oder gar unschickliches einsetzen? Ich meine, hat er schon mal jemandem geschadet oder seine Macht missbraucht? Er gehört ja schließlich der...”, die Hadingerin runzelte die Stirn, ”...gehört er nicht sogar der Weißen Gilde an?”

“Weiß, grau, schwarz… das sind doch nur Kategorien von euch Gigrim. Brodrom ist Brodrom. Das ist an sich schon schlimm. Egal zu welchem Zweck es eingesetzt wird.”

Imelda war sich nicht sicher, ob der Angroscho das Prinzip der Gilden verstand, doch war es ihr eine Lehre aus der Zeit, die sie mit den Angroschim verbracht hatte, dass Diskussionen oft auf Granit stießen und mühselig sein konnten. “Ja, ja…”, kommentierte sie nur und winkte mit der Hand beschwichtigend ab.

Besorgt sah sie auf die ersten fertigen Elemente des Kerzenleuchters. “Meister Limrog, würdet Ihr es mir gestatten, Euch zu helfen? Ich muss nachmittags zwar nochmal weg, aber bis dahin sollten wir fertig sein, wenn wir uns die Arbeit aufteilen!”

Der Zwerg blickte skeptisch zu Imelda hoch. “Hm, zu zweit könnte man das schaffen. Traut Ihr euch denn eine Arbeit in dieser Qualität zu? Ich habe einen Ruf zu verlieren.”

"Macht Euch da mal keine Sorgen, Meister Limrog!", warf Imelda selbstbewusst ein, während sie den Rohling aus der Esse herausnahm und auf den Amboss legte. "Kronleuchter und derartige Verzierungen habe ich schon oft angefertig; das bekommen wir schon hin!" In der Absicht, aus dem kleinen Stück vor sich ein Dekorelement herzustellen, haute sie nun erneut auf den Stahl. "Sagt mir einfach, welche Stücke Ihr benötigt!"

“Na schön, dann fangt vielleicht mit den vier Standfüßen an, das solltet Ihr sicherlich hinbekommen. Aber achtet darauf, dass alle Füße möglichst gleich aussehen.

Immer wieder, während Imelda an den Stücken arbeitete, schaute er zu ihr prüfend hinüber, die ersten Male regungslos, dann kopfnickend, schließlich doch wieder skeptisch.

Imelda gab ein lautes, genervtes Stöhnen von sich. “Ach! Ich hätte zuvor für alle vier Fußstücke das Metall wiegen oder ein großes Stück in vier gleiche Stücke teilen sollen!”

“Das hättet Ihr”, bestätigte auch Limrog.

Sie hielt die ersten beiden geschmiedeten Füße nebeneinander und nahm Augenmaß. Es war selbst für einen Laien sichtbar, dass der zweite Fuß deutlich kürzer war als der erste. “Ich habe den zweiten schon gestreckt und dünner geschlagen als den ersten, aber es ist einfach nicht genug Metall.” Kritisch nahm sie das erste Stück in Augenschein. “Ich könnte von oben ein Stück abschneiden und die Füße so formen, dass sie beide einen halben Finger kürzer sind.” Anklagend sah sie in Richtung Meister Limrogs: “Unter Druck kann ich nicht arbeiten, wenn Ihr mir ständig auf die Finger starrt! Außerdem ist es noch mitten in der Nacht. Und ich habe übrigens Durst bei der Hitze!” Die Hadingerin knallte ihren Hammer auf den Amboss, entledigte sich der Schmiedeschürze und des Leinenhemdes, sodass sie nun mit ihrer üppigen Oberweite barbusig vor dem Amgroscho stand. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und aus dem Dekolleté und nahm einen gierigen Schluck aus ihrem Humpen Bier.

“Den ersten kürzt Ihr nicht! Der ist perfekt. Eigentlich habt Ihr Eure Sache schon ganz ordentlich gemacht. Macht einen neuen Fuß mit mehr Metall. Den anderen nutze ich noch für einen kleineren Kerzenleuchter. Später. Jetzt macht die anderen Füße so wie den ersten.”

Ohne eine Erklärung ging Limrog in den Keller, während Imelda sich an einem neuen Fuß probierte. Nach einem Moment kam er mit zwei weiteren Humpen Bier zurück. “Kaltes Bier kühlt besser. Baroschem! Wenn Ihr die Füße fertig habt, zeige ich euch, wie man eine Rosenblüte faltet.”

“Baroschem!” prostete sie dem Angroscho zu. “Es wäre mir eine Ehre, wenn Ihr mir Eure Rose zeigen würdet, Meister Limrog.” Gierig spülte sie den halben Krug des kühlen Biers herunter und wischte sich den Mund ab. “Das ist schon leckeres Bier. Es gibt doch nichts besseres, als sich bei der Arbeit eine kurze Erfrischung zu gönnen. Aber dann werden wir mal lieber weiter machen. Nochmal wird mir so ein dummer Fehler nicht passieren. Ich bin ja nachher mit dieser Meta verabredet. Das ist die Frau, die vorhin wegen ihrer Haare hier war.” Imelda hob mit der einen Hand ihre Brust hoch und wischte darunter den Schweiß weg. Dann bei der anderen, bevor sie sich wieder die lederne Schmiedeschürze umband, diesmal jedoch, ohne das Hemd darunter erneut anzuziehen. “Von nichts kommt nichts, weiter geht’s!”, rief sie enthusiastisch und hielt den quadratischen Rohling für den nächsten Fuß in die Esse.

Limrog freute sich, dass die junge Frau ein gutes Bier zu schätzen wusste. Als er sich wieder seiner Schmiedearbeit zuwandte, schüttelte er zweifelnd den Kopf. „Eure Freundin weiß aber schon, dass die Traviafeier der jungen Dame Gwenn erst morgen stattfindet, und dass das Haar der Dame bei der Nachtruhe vermutlich wieder durcheinander kommen wird? Sie wird doch sicher nicht jeden Morgen soviel Zeit dafür vergeuden?“ Er arbeitete weiter, ohne Imelda ein weiteres Mal zu überwachen.

“Achso, nein!”, rief Imelda dem Angroscho entgegen, während sie beherzt auf den Rohling einschlug und dieser eine flachere Form annahm. “Also, ihr Haar müsste morgen neu frisiert werden, aber dafür habe ich dann keine Zeit. Ich habe das ja heute früh nur gemacht, weil…”, Imelda legte ihren Hammer langsam und nachdenklich beiseite, trat zu Limrog herüber und sah ihn eindringlich an. “Wenn eine gute Freundin etwas falsches tut, sollte man sie dann davon abhalten? Bisher hielt ich es ja für eine gute Idee und ich weiß, dass sie es glücklich macht… also für den Moment. Aber sie stürzt sich und Mer… also andere Leute ins Unglück und zerstört deren Leben.” Unsicher biss sie sich auf die Unterlippe, wog den Kopf hin und her und erhoffte sich von dem Angroscho eine beruhigende Antwort.

Limrog legte seinen Hammer beiseite und ging zu Imelda hinüber. Er legte seine Hand auf Imeldas Schulter. „Wenn jemand etwas Falsches, also etwas wirklich Falsches tut, und man weiß davon und man kann es verhindern, dann sollte man es auch verhindern. Sonst trägt man genauso eine Schuld an dem, was geschieht, als täte man es selbst.“ Der Schmied blickte Imelda an und sah ihr besorgtes Gesicht. Dann nickte er ihr zu und ermutigte sie: „Wenn Ihr gehen und etwas erledigen müsst, dann geht! Ich schaffe das hier schon allein.“

“Aber, sie ist doch meine Freundin und ich kann ihr doch nicht in den Rücken fallen. Das tun Freunde doch nicht!” Imelda seufzte, resigniert und gestresst. “Sie freut sich schon seit so langer Zeit, ist unglaublich angespannt und kann an kaum etwas anderes denken. Auf der anderen Seite ist ähhh… die Gemahlin ja schon sehr nett… Hilft es denn irgendjemandem, wenn ich den Rahjabund verhindere? Damit rette ich nicht die eigentliche Ehe und das geht mich ja alles auch nichts an!” Imelda war sichtlich die Nervosität anzumerken, als sie realisierte, dass sie die Verantwortung für das Schicksal anderer Menschen trug. “Nein, ich sollte mich da nicht einmischen! Es ist nicht meine Angelegenheit." Sie lächelte Meister Limrog herzlich an: “Außerdem kann ich Euch doch nicht mit all der Arbeit alleine lassen. Ihr schafft das sonst nicht rechtzeitig und es geht schließlich um die Geschenke für das Brautpaar.”

„Um mich macht Euch mal keine Sorgen. Wäret Ihr mir nicht zur Hand gegangen, hätte ich es ja auch schaffen müssen.“ ‚Und wahrscheinlich schneller, als wenn ich auch noch Kindermädchen für Euch spielen muss‘, ergänzte Limrog in Gedanken. „Ihr seid doch eine Frau Eures - unseres - Gottes. Was würde Euch Angrosch raten? Wenn ich es recht verstehe, will Eure Freundin den Bund mit einem verheirateten Mann eingehen. Meint Ihr, das ist für Eure Freundin eine gute Entscheidung?“ Er blickte der Ingrageweihten tief in die Augen, um sie an das zu erinnern, was wichtig ist.

“Vermutlich habt Ihr recht…”, ließ Imelda betrübt den Kopf sinken. “Aber es ist das, was sie sich von ganzem Herzen wünscht. Das ist nicht gerecht… auch wenn das, was sie tut, unrecht ist.”

“Was ist schon gerecht auf dieser Welt? Ist es gerecht, dass ich hier in diesem Dorf bei den Gigrim versauern muss?” Der Angroscho kratzte sich das Kinn, als wollte er hier und jetzt die Gerechtigkeit des Weges, den ihm Angrosch gewiesen hat, ergründen. “Aber manchmal muss man tun, was das Richtige ist, auch wenn es einem selbst schwer fällt. Wenn das, was sie tut, Unrecht ist, dann sollte Ihr sie vor diesem Fehler bewahren. Wenn sie eine wirklich gute Freundin ist, wird sie das früher oder später verstehen und Euch dankbar sein. Und dann werdet Ihr Euch besser fühlen. Und wenn sie es Euch nicht vergibt, hat sie es nicht verdient, eine so gutherzige und wunderbare Frau wie Euch als Freundin zu haben.”

Mit einem lauten Seufzer nahm die Geweihte ihre Schmiedeschürze ab und zog ihr weißes Leinenhemd wieder an. Traurig schaute sie zu dem Angroscho, beugte sich zu ihm herunter und umarmte ihn freundschaftlich. “Danke, Meister Limrog… und es tut mir Leid, dass ich Euch jetzt nicht weiter helfen kann. Ich mache mich gleich auf den Weg und versuche meine Freundin vor dem größten Fehler ihres Lebens zu retten… denke ich zumindest.”

Der Schmied gab ihr einen väterlichen Kuss auf die Stirn. “Gortoscha mortomosch! Viel Kraft! Und wenn Ihr hinterher das Bedürfnis habt, den Hammer kraftvoll auf etwas schwingen zu lassen, dann seid Ihr in meiner Schmiede herzlich Willkommen.” Er lächelte sie mitleidig an, als er sich aus ihrer Umarmung löste.

Entschlossen, das Richtige zu tun, nickte Imelda dem Angroscho zu. “Also gut, ich mache es!” Dann ergriff sie ihre Umhängetasche, stopfte sich das Methorn in den Gürtel und stapfte zur Tür heraus.

“Gigrimax!” brubbelte der Angroscho, als Imelda die Schmiede verlassen hatte. Was konnte man von denen schon erwarten?

~*~

Einen Bund zu verhindern

(Angebrochene Ingerimstunde, 10:05)

Merle Dreifelder von Weissenquell eilte aus der Bäckerei und lief in Richtung des Gutshauses, um sich kurz frisch zu machen und umkleiden. Ihre Schwägerin Gwenn von Weissenquell, verließ die Bäckerei ebenfalls, ging jedoch in die Brauerei, um Lulu, Merles Tochter abzuholen und dann ebenfalls auf den Gutshof zu bringen. Gwenn fand Lulu fröhlich mit den Rodenbach-Kindern spielend im Flur der Brauerei vor und war froh, dass sie niemanden der Erwachsenen traf, denen sie vielleicht noch lange Erklärungen abliefern musste. So traf Gwenn wenige Minuten nach Merle im Hof ein und übergab Lulu kurzerhand an Wiltrud Bächerle, mit der Bitte, sich am Vormittag um Lulu zu kümmern oder sie an Ciala zu übergeben. Dann wartete Gwenn im Eingang des Gesindehauses auf Merle.

Merle hatte sich mit dem Zurechtmachen beeilt und trat nach kurzer Zeit wieder auf den Hof. Schnell zog sie die Kapuze eines warmen dunklen Wollmantels über den Kopf, um sich vor dem Regen zu schützen. Mit großen Augen, die sie offenbar mit einem Kohlestift umrandet hatte, starrte sie Gwenn an, sichtlich angespannt, aber auch ungeduldig, es hinter sich zu bringen. “Ich bin bereit”, raunte sie ihrer Schwägerin zu.

“Gut, dann geht es wohl los.” Gwenn breitete ihre Arme aus, um Merle noch einmal zu drücken. “Ich wünsche dir viel Glück und Stärke.”

"Danke", sagte Merle schlicht und erwiderte die Umarmung. Sie wusste nicht, ob sie Gwenn jetzt mehr oder weniger als Freundin betrachtete als zuvor - aber auf jeden Fall hatte sie das Gefühl, dass ihr Verhältnis nun von sehr viel mehr Offenheit und Ehrlichkeit geprägt war. "Ich bin froh, etwas tun zu können."

Gerade als Merle und Gwenn den Gutshof verlassen wollten, kam Bernhelm mit einem Brief in der Hand aus dem Gutshaus gelaufen. “Hohe Frau Merle, wartet einen Moment! Wisst Ihr, wo Euer Gemahl ist?”

Merle lächelte Bernhelm freundlich an. "Nein, Bernhelm", log sie wie automatisch, "...aber ich wollte mich gerade auf die Suche nach ihm begeben. Was gibt es denn?"

Bernhelm schaute etwas verlegen und wurde rot. “Ich habe hier einen Brief für ihn, und ich fürchte, er liegt schon viel zu lange hier. Er kam vor zwei Tagen spät nachts mit einem Eilboten. Friedewald hatte mich beauftragt, ihn Gudekar zu geben, wenn er zur Nachtruhe nach Hause kommt. Aber er kam nicht. Und am nächsten Tag habe ich es ganz vergessen. Zur Nachtwanderung wollte ich den Brief dann doch nicht mitnehmen, ich dachte ja, Ihr und Gudekar würdet dann mit zurück zum Gutshof kommen. Wenn Ihr nun eh zu Gudekar geht, würdet Ihr ihm den Brief geben und ihm sagen, dass es mit leid tut, dass er so lange hier lag?”

Merle schenkte ihm ein liebreizendes, freundliches Lächeln und legte beruhigend die Hand auf seine Schulter. "Ach, mach' dir keine Sorgen, Bernhelm. Ich werde meinem Gemahl den Brief sogleich überbringen. Und er muss ja eigentlich auch gar nicht wissen, dass der Bote schon vor zwei Tagen kam."

“Habt Dank, Frau Merle! Aber Friedewald weiß, wann der Bote kam. Vielleicht solltet Ihr seinen Sohn da besser nicht anlügen.” Bernhelm übergab Merle einen versiegelten Umschlag, der an Gudekar adressiert war, und ging mit einer Verbeugung zurück ins Gutshaus.

Gwenn blickte neugierig fragend zu Merle. “Von wem ist denn der Brief?”

"Dann werde ich es im Zweifelsfall auf meine Kappe nehmen." Sie nickte Bernhelm zum Abschied zu und zeigte Gwenn, als er abgezogen war, wortlos den Umschlag. Alarmiert blickte sie ihrer Schwägerin in die Augen. "Das hat was mit seiner Mission zu tun."

“Von Radulf von Grundelsee”, las Gwenn. “Hm, der war auch eingeladen und wollte mit seiner Frau kommen. Sie sind aber noch nicht eingetroffen. Vielleicht sollte ich den Brief öffnen und mal nachsehen, was drin steht, warum sie nicht gekommen sind. Ja, Radulf gehört wohl der Gruppe an, mit der Gudekar seit dem Flussfest vor zwei Jahren ermittelt.”  

"Kannst du ein Siegel unbemerkt öffnen und wieder schließen?" fragte Merle.  

“Ich könnte es versuchen. Wenn der Brief in Eile versiegelt wurde, könnte es klappen. Es würde aber eine Weile dauern, da muss ich ganz vorsichtig hantieren.” Gwenn dachte nach. “Und selbst wenn das Siegel bricht, dann sage ich, ich fürchtete, das sei so wichtig, dass ich reinschauen wollte. Ich bin ja seine Schwester.”  

"Ich stecke ihn erstmal ein. Vielleicht brauche ich, wenn es zum Streit mit Gudekar kommt, einen Weg, ihn schnell abzulenken." Merle lächelte Gwenn verschwörerisch an. "Ansonsten behalte ich den Brief fürs Erste und wir schauen nachher gemeinsam rein. In Ordnung?" Sie zuckte mit den Achseln. "Wissen ist Macht, oder?"

Gwenn grinste. “Du lernst schnell!”

Merle lächelte kurz, seufzte dann aber traurig. "Muss ich ja wohl."

“So ist’s recht!” Gwenn klopfte ihr auf die Schultern. “So, wir sollten.” Innerlich zerfraß Gwenn die Neugier. Zu gerne hätte sie den Brief sofort geöffnet. Aber die Zeit drängte.

Merle verstaute den Brief in ihrer kleinen Umhängetasche und nickte Gwenn entschlossen zu. "Mein Herz schlägt mir bis zum Hals."

“Möchtest du noch schnell einen Schnaps zur Beruhigung?” Soviel Zeit muss noch sein, dachte Gwenn.

"Nur einen. Um die Aufregung und den Herzschmerz für eine Weile zu beruhigen", nickte Merle.

“Warte!” Gwenn eilte ins Herrenhaus und kam aus der Küche mit zwei kleinen Bechern eines klaren Rahjabeerenbrandes zurück, wovon sie einen Merle reichte. “Das ist genau das Richtige für deine Mission! Möge Rahja dir hold sein!”

"Ich hoffe es." Merle atmete tief durch, stieß ihren Becher gegen Gwenns und trank den Brand in einem Schluck aus. "Gelobt sei die Liebholde."

Nach dem die Becher geleert waren, trieb Gwenn ihre Schwägerin an: „Also gut, los geht’s. Bringen wir es hinter uns.“ Sie begleitete Merle bis zur Eingangstür des Schankraums der Brauerei. „Viel Glück! Ich warte hier draußen auf dich.

Merle atmete ein paar Mal tief ein und aus, um den Moment noch ein wenig hinauszuzögern, dann griff sie nach der Klinke und drückte die Tür entschlossen auf.

~*~

Ein Bund unter dem Blick der lieblichen Göttin

(Ingerimstunde, 10:00)

Der Weg vom Frühstücksraum im Gasthaus hinüber zum Brauhaus war nicht weit, nur einmal halb über den Dorfplatz. Und dennoch waren Meta Croy und Gudekar von Weissenquell recht nass geworden in dem Regenschauer, der sich über das Dorf ergoss. Der Magier schüttelte sich, als die beiden die Schankstube betraten, die sich in den letzten Tagen zu einem provisorischen Rahjaschrein verwandelt hatte. Einer der beiden Verursacher dieser Verwandlung war Rahjel von Altenberg, ein Vetter der Braut Gwenn und des Magiers. Seine Mutter, ebenfalls Rahjageweihte, war eine Schwester des Edlen von Lützeltal, doch bereits vor vielen Jahren gestorben. Da Friedewald von Weissenquell die Berufung seiner Schwester nicht akzeptieren konnte, waren die Beziehungen der beiden Familienstränge vor langer Zeit gerissen. Erst vor zwei Götterläufen fügte es der Zufall, dass Gudekar wieder Kontakt zu der verloren geglaubten Linie bekam.

Nun betraten die beiden Liebenden den Rahjaschrein und blickten sich um.

Der Schrein war geschmückt wie am Vortag, mit allen Gaben, die die Gläubigen hinterlegt hatten. Dennoch lag ein schwerer, doch sinnlicher Duft in der Luft, der von den Räucherstäbchen kam, die Rahjel entzündet hatte. Zwei schöne Kelche standen bereit, so wie ein schönes rotes Tuch mit rahjagefälligen Motiven. In einer Ecke hat er ebenfalls mit roten Tüchern einen kleinen Raum abgesteckt, der mit Kissen auf dem Boden ausgelegt war.

Der schöne Geweihte hatte seinen Oberkörper frei und ließ die beiden einen Blick auf seinen athletischen Körper mit den gepflegten und ordentlich gestutzten Brusthaar werfen. Sein braunes Haar war kurz und lockig, der Bart fein säuberlich in Form gebracht. Feine silberne Strähnen fingen an, sich in den satten Ton seines Haars einen Weg zu bahnen. Rahjels blaue Augen sprühten vor Lebendigkeit und doch ließ sich dort eine lauernde, leidenschaftliche Glut erahnen. Um seine Hüften trug er einen roten Rock, der mit Rosensymboliken bestickt war und durchscheinen ließ, was er an Männlichkeit zu bieten hatte. “Der liebeholdenen Rahja zur Freude! Meta und Gudekar, so kommt zu mir.” Er deutete auf zwei Sitzkissen vor dem Schrein. “Nehmt Platz. Zuerst müssen wir reden, denn nur mit freien Herzen ist es der Liebesgöttin eine Freude, Liebende aneinander zu binden und eine Hoch-Zeit unter ihren Augen zu feiern.”

“Der Göttin zum Gruße!” Der Magier wirkte unsicher. Er fühlte sich fehl am Platz in seiner grünen Robe, doch war er auch neugierig. Nicht nur auf die Zeremonie, hatte er doch bereits einmal einen Rahjabund mit Meta geschlossen. Er war vor allem neugierig auf seinen Vetter, den er noch nie so nah, so intensiv gesehen hatte. Es freute Gudekar, seine Verwandten besser kennen zu lernen. “Ich heiße Euch herzlich willkommen in meiner Heimat Lützeltal, Euer Gnaden!”

Rahjel war wirklich hübsch. Das Faszinierende an den Geweihten der Schönen, sie waren stets ästhetisch und das Umfeld so angenehm, dass man seine Sorgen vergaß. „Rahjel, Rahja zum Gruß. Ich muss zugeben, dass ich etwas aufgeregt bin. Jeder Rahjani verleiht dem Bund doch seinen eigenen Akzent.“ Sie nahm Gudekars Hand. „Wir sind uns sicher, einen Bund einzugehen. Natürlich kann ich nur für mich sprechen.“ Sie gab Rahjel eine kleine Flasche Wein aus Rahjamans Keller. „Ein Geschenk für Rahja.”

Rahjel nahm die Flasche und wartete, bis beide sich gesetzt hatten. “Ihr beide wollt den Bund vor der Liebesgöttin erneuern, etwas, was der Göttin und mir Freude bringt. Doch muss ich euch vorher fragen: Gudekar, ist es dein tiefster Herzenswunsch? Ich weiß, dass du in einem Traviabund bist. Bist du dir sicher, dass dieser Bund keinen Kummer bereitet? Disharmonie ist der Göttin ein Gräuel …” Er blickte seinem Vetter tief in die Augen.

“Und du, Meta. Ist es dein Herzenswunsch? Was bedeutet dir dieser Bund vor der Göttin Rahja?”

Gudekar hielt dem Blick seines Vetters stand. “Mein Traviabund war ein Fehler der Jugend. Auch dieser hätte besser ein Bund vor den Augen der schönen Göttin sein sollen, nicht vor der gütigen Mutter. Der Bund mit Merle wurde mir damals von anderen aufgedrängt, ohne dass mir die Konsequenzen bewusst waren. Meine Gefühle zu Meta dauern nun bereits seit zwei Götterläufen und ich bin mir sicher, dass nichts mehr Freude auf Dere bereiten kann, als die Zeit, die ich mit dieser Ritterin verbringe.”

„Es ist schwer in Worte zu fassen. Aber es ist mir, als wäre er der Einzige, mit dem ich, obwohl man das kaum glauben mag, in rahjagefälliger Harmonie zusammen sein will.“ Meta spürte, wie sie Gedanken aussprach, die sie vor der Nähe zur Schönen nie gesagt hätte. „Das erste Jahr war erfolgreich. Ich erkenne immer mehr Schönheit und Freude. Nicht nur, wenn wir zusammen liegen. Es sind alle meine Sinne, die von ihm erregt werden. Soll ich sie aufzählen? Äähh... nein, das würde zu lange dauern. Mir ist klar, dass ich keinen Bund vor Travia mit ihm schließen darf. Ansonsten hätten wir beides getan. Ich sage oft direkt, was ich meine. Und ich weiß, dass er zu mir passt und ich ihn liebe, wie es unserer Göttin Freunde bereitet.“ Kurz sah sie den Geweihten ernst an. „Wir wissen beide, dass man das nicht nur auf Sex reduziert. Aber ohne geht es nicht.“

Rahjel schmunzelte. “Auch Travia ist Zwang ein Gräuel. Hättest du offen über dein Herz mit den Geweihten gesprochen, wärst du nicht im Traviabund. Dennoch hast du Treue geschworen. Ich könnte vermitteln, dass auch die Liebesgöttin einen Bund zu deiner Angetrauten ebnen könnte und du nicht in einem Zwang leben musst. Ich kann mir vorstellen, dass das auch im Sinne von Merle ist. Doch,” er machte eine Pause, “dafür sind wir jetzt nicht hier, auch wenn der Bund vor Rahja kein heimlicher sein sollte. Wollen wir vielleicht Merle dazu holen? Mit reinem Herzen verbringen die Götter Wunder." Dann sah er Meta an. “Liebe kennt keine Grenzen. So du diesen Mann liebst, steht einem weiteren Bund nichts im Wege. Was verlangt eure Seele, weitere zwölf Monde?”

Ehrlich und andächtig hatte Meta den Worten des Geweihten gelauscht. Es war logisch gedacht, wenn es nicht Gwenns Hochzeit wäre. „Hochwürden, der Bund soll nicht geheim bleiben. Doch gibt es da ein Problem.“ Sie packte Gudekars Hand. „Das ist aber etwas komplex, mein Mann im Herzen wird es erklären. Offenheit ist immer besser. Doch manchmal erfordern die Umstände und Zeiten sehr viel Entschlossenheit und Mut dazu. Ich hatte das Glück, gestern genau gespürt zu haben, was richtig ist. Es war, als sei ich kurz in Trance oder in einem Traum gewesen. Ich rede zu viel. Jedenfalls wäre ich auch für zwei Jahre bereit.“

Gudekar lächelte Meta verliebt an. Auch er wollte gerade ansetzen und Offenheit geloben, als Meta, in ihrer erfrischenden Unbeschwertheit ihm zuvor kam. „Euer Gnaden, werter Vetter. Die Situation ist verzwickt. Es sind tatsächlich so viele Aspekte, die eine Rolle spielen, doch wie meine herzallerliebste Meta bereits erklärt hat, möchte ich offen zu Euch sprechen. Der Traviabund zu meiner Frau wurde geschlossen, als wir beide noch sehr jung waren. Es war damals eine jugendliche Verliebtheit, die uns zusammenbrachte und die Merles Zieheltern in einer gewissen Art gelegen kam. Merle war ein Waisenkind aus dem Albenhuser Traviatempel, das von Vater und Mutter Dreifeld aufgezogen und adoptiert wurde. Nachdem wir damals Rahja geopfert hatten, hatten die Dreifelds die Gelegenheit genutzt, eine Zukunft für Merle zu finden. In der frischen Verliebtheit und jugendlichen Unwissenheit der Konsequenzen eines Traviabundes, haben wir diesem zugestimmt. Dabei wäre es durchaus klüger gewesen, zunächst einen vorübergehenden Rahjabund zu begehen. Leider wurde dieser Schritt gegangen, der nicht mehr umkehrbar ist. So sehr es mich für Merle betrübt, muss ich jedoch sagen, dass mein Herz den Bund nicht länger begrüßt. Mein Herz sehnt sich nach nichts mehr, als jede Minute meines Lebens mit der hier anwesenden Ritterin Meta Croy zu verbringen.“ Gudekar nahm den bohrenden Blick seines Vetters wahr, der allein mit dieser Erklärung nicht zufrieden war, zumal Gudekar einer von Rahjels Fragen ausgewichen war. „Passt auf, es ist nicht so, dass ich Merle gräme. Sie ist eine gute, brave Frau. Und unter anderen Umständen würde ich vermutlich den Traviabund einhalten, unabhängig davon, was mein Herz von mir verlangt. Doch weiß ich, und seit letzter Nacht, als auch mir Hesindes Weisheit durch Madas Schein offenbart hat, mehr denn je, dass ich zu Meta gehöre und sie zu mir und wir unseren Weg gemeinsam beschreiten müssen. Egal wer in wessen Bund steht, ich werde sehr bald die Nordmarken verlassen und Merle zurücklassen. Meta wird mich begleiten, sei es unter Rahjas Segen oder ohne diesen, doch würde es unsere Gemeinschaft festigen, wenn wir durch Euch Rahjas Segen bekämen. Ich werde dies alles Merle offenbaren, doch versprach ich meiner Schwester, mit der Offenbarung bis nach ihrer Trauung am morgigen Tag zu warten. Sie wollte vor ihrem Bund kein Zerwürfnis der Familie. Doch denke ich immer mehr, dass es besser wäre, Merle eher früher als später die Wahrheit zu sagen.”

Zufrieden nickte der Geweihte. “Ich verstehe. Wenn du magst, kann ich bei dem Gespräch dabei sein. Oder eine meiner Glaubenschwestern. Die Liebe kennt viele verschiedene Wege, vielleicht lässt sich einer finden, der für alle Harmonie bringt.” Dann strich er sich durchs Haar. “Zwei Götterläufe. Das lässt sich schließen und ihr werdet in Leidenschaft unzertrennlich sein. Nach dem Bund solltet ihr euch zurückziehen und den Bund mit eurem ganzen Herzen, Seele und Leib vor der Göttin besiegeln.” Er deutete auf den  abgetrennten Bereich. “Wenn ihr es wünscht, kann ich dabei sein. Was möchtet ihr?”

Gudekar griff Metas Hand und schaute ihr in die Augen. Er wollte seine Geliebte antworten lassen, denn es sollte ihr gefallen.

Sie schmunzelte und drückte seine Hand. „Nur Mut. Richtig Ruhe haben wir, wenn wir weg sind“, flüsterte sie ihm leise zu. „Rahjel, aber gerne. Wir können sicher noch viel lernen von Euch und so wird es ein einmaliges Erlebnis.“

Gudekar nickte. „Es wäre uns eine Freude, wenn Ihr uns leitet.“

Meta nahm den Rahjani bei der Hand. „Wo seid ihr normalerweise tätig? Ich habe bisher von Alegretta von der Heide gelernt.“

“In den Nordmarken … meistens. Ich reise tatsächlich durch das Land und besuche die Leute in ihren Dörfern und bringe den Segen der schönen Göttin. Doch wollen wir uns jetzt auf euch konzentrieren.” Der Geweihte griff nach einer schön verzierten Flasche und entkorkte diese. “Ich bitte euch, eure Kleidung abzulegen, zumindest die Oberbekleidung. Ich werde jetzt den Tharf, den Wein der Göttin, für euch vorbereiten.” Rahjel drehte sich zum Altar und goss aus der Flasche das dunkle Getränk in zwei grüne Glaskelche, die mit Weinranken verziert waren. Dann setzte er sich zu ihnen, die Kelche in den Händen haltend.

Die junge Frau war neugierig und zog sich völlig aus. Sie kannte Tharf und freute sich darauf. Außerdem war sie gespannt, wie Rahjel das Ritual vollziehen würde. Gudekar warf sie einen ermutigenden Blick zu.

Etwas schüchtern und zurückhaltend tat es Gudekar schließlich seiner Geliebten gleich und legte seine Kleider ab. Dann setzte er sich und schaute neugierig zu seinem Vetter.

Der Geweihte reichte den beiden die Kelche. “Trinkt. Danach nehmt eure Schwurhand und legt sie auf das Herz eures Geliebten.” Dann nahm Rahjel selbst einen Schluck aus der Flasche mit dem Tharf. Ein Tropfen des heiligen Weins lief seinen Mundwinkel hinunter und beendete seine Reise im Brusthaar des Geweihten. Vorsichtig ließ Rahjel die Weinperle auf seinen Zeigefinger, ohne dabei zu vergessen, kurz seine Brustwarze zu berühren. Lasziv leckte er den Tharf vom Finger und wartete gespannt auf seine Schützlinge.

Wäre Gudekar nicht so aufgeregt, regelrecht nervös gewesen, hätte er wahrscheinlich über beide Mundwinkel gestrahlt. So schaute er ernst zu Meta, während er trank, darauf bedacht, sich nicht zu verschlucken, und dann seine Hand auf ihre Brust legte.

Diese war nicht so ernst, wie man es erwartet hätte, nein, eher in lustig-freudiger Stimmung. Meta spürte Rahjas Anwesenheit sehr stark. Gudekar konnte diese Stimmung schlecht einordnen; sie nahm sich Zeit, den Becher zu leeren und sah ihn währenddessen mit einer bunten Mischung aus Liebe, Schalk und Freude an. Die Härchen an ihrem nackten Körper richteten sich auf, so, wie sie gestern aus dem kalten Wasser gestiegen war. Von ihrem Inneren aber breitete sich Wärme aus. Behutsam legte auch Meta nun ihre Hand auf Gudekars Brust. Nicht so wuschelig, wie bei seinem Cousin, kam es ihr. Bei der Rahjani gestern hatte sie gehofft, dass diese etwas spüren würde. Aber wahrscheinlich war die Umgebung nicht passend. Ihre Schwester war unberechenbar. So schaute Meta wenige Lidschläge, bevor Rahjel es merkte neugierig zu ihm.

Überrascht schaute Rahjel auf und schaute über die Liebenden hinweg. Der Raum hatte sich mit dem Duft von Rosen gefüllt und eine junge Frau setzte sich zu Meta und Gudekar. Sie mochte 15 oder 16 Götterläufe zählen, doch waren die Rundungen einer Frau schon deutlich zu sehen. Ihr langes, seidiges schwarzes Haar fiel ihr bis zu den Hüften und ihr Gesicht war äußerst schön. Dass sie nicht aus den Nordmarken stammte, war auch offensichtlich. Ihre Haut war rein und dunkel wie nasser Lehm, die Augen glutäugig und dunkelbraun. Sicherlich stammte diese Schönheit aus den Tulamidenlanden, doch war der Schnitt ihres Kleides nicht ungewöhnlich für die Nordmarken. Es war eher schlicht, rot und mit Rosenmotiven bestickt. “Macht weiter, Euer Gnaden. Ich wollte meiner Freundin Meta beim Bund beistehen.” Ihre Stimme war lieblich und erweckte Sehnsüchte. Die Ritterin erkannte Zaina, den geheimen Avatar der Liebholden und nun … Wegführerin auf deren Pfaden. Rahjel schaute Meta an. “Ist das in Ordnung für dich?”

Gudekar war überrascht und schreckte zunächst zurück. Er hatte nicht mitbekommen, dass ein anderes Mädchen in dem Raum war oder wo sie auf einmal herkam. Reflexartig zog er eines der Kissen zu sich und legte es über seinen Schambereich. Doch dachte er, das Mädchen würde zu Rahjel gehören und ihre Anwesenheit sei Teil der Zeremonie. Da er wusste, dass Meta einigen Rahjanis nahe stand, vermutete er, sie und Meta kannten sich bereits von früher. Und so sagte er nichts über ihre Anwesenheit und wartete ab, wie Meta reagieren würde.

„Zaina, du bist die ganze Zeit schon immer penetranter geworden. Ich rede manchmal, als wäre ich Akoluthin Rahjas. Schön, dass du dich zeigst.“ Gudekar war natürlich verwirrt, dass er zwei Frauen, nein, eine Frau und ein Wesen der Göttin bei sich hatte, mochte rational etwas viel für ihn sein. Sie zog ihren Erwählten sachte aber energisch wieder an ihre Seite und nahm ihm das Kissen ab. Besorgt wanderte ihr Blick zwischen Rahjel und Zaina hin und her. „Er weiß es noch nicht. Und ich will dieses Geheimnis mit ihm teilen. Es muss in Rahjas Sinn sein, sonst wäre meine Schwester nicht gekommen. Wie spürst du es? Rahjel?“

“Deine Schwester?” fragte Gudekar überrascht und blickte zu dem Mädchen. Doch erhielt er keine Antwort, denn Meta wandte sich ihrem Avatar zu. „Ich will dich nicht in Gefahr bringen. Da du ein Teil von mir bist, bleib gerne dabei.“

Rahjel schaute etwas verwundert über die Worte der Ritterin, doch da antwortete Zaina. “Ich bin Novizin der Liebholden im Tempel zu Linnartstein. Alegretta von der Heide ist die Hüterin des Tempels. Doch Meta ist meine beste Freundin … und so bin ich ihr hinterher gereist. Da dies hier für sie wichtig ist, habe ich ihr Geheimnis gehütet.” Sanft strich sie Meta eine Strähne aus dem Gesicht. “Gudekar, wir sind uns nicht begegnet, doch weiß ich viel über dich. Nun kennst du unser Geheimnis." Die Worte der jungen Frau waren genug für den Lehrer der Leidenschaft. “Dann soll es so sein.” Das Mädchen legte ihr Kleid ab und zeigte ihre wohlgeformten Brüste und kicherte verlegen. Dann legte sie ihre Arme um Meta und Gudekar und nur wenige Augenblicke später tat es ihr Rahjel gleich.

Zaina hatte es gut erklärt, trotzdem würde sie später noch mit ihr oder Rhodan sprechen müssen. Meta sorgte sich um Gudekar, so unerwartete Wendungen oder Überraschungen waren emotional schwierig für ihn. Sie beobachtete ihn genau.

Der Magier schaute verwirrt, denn er hatte nicht verstanden, wer dieses Mädchen nun wirklich war. Deshalb blickte er zu Meta und ergriff ihre Hand. “Meta, ich verstehe immer noch nicht richtig. Wer genau ist sie denn nun? Ist sie deine Schwester oder… oder deine Geliebte? Was meint sie mit ‘Geheimnis’?”

Bevor die anderen etwas sagen konnten, versuchte Meta, zu erklären. „Sie ist weder das eine noch das andere, wir nennen uns manchmal nur so... ah, Zaina ist im Tempel bei Alegretta beschäftigt, aber das ist wie bei dir. Nur nicht so schlimm.“ Sie zupfte an ihrer ungewohnten Frisur und ihre Gedanken sprangen hin und her. „Du bist, seit ich dich kenne in einer Mission, die ist so geheim und ich habe dir den Gefallen getan, nie zu fragen. So ähnlich verhält es sich bei uns. Meine Mission ist noch nicht ganz so lange her und Zaina hat damit zu tun. Sehr, sehr geheim.”

Gudekar war noch immer verwirrt. Zaina hatte gesagt, er würde nun ihr Geheimnis kennen. Doch Gudekar wusste nur, dass das Mädchen eine Novizin der lieblichen Göttin und mit Meta befreundet war. Was war daran ein Geheimnis? Warum hatte Meta ihm nie von der Freundschaft erzählt. Doch er spürte, dass er heute nicht mehr erfahren würde, und fragte deshalb nicht weiter nach.

Etwas streng sah Meta zu dem Mädchen. “Zaina, der Schrein hier ist genau der richtige Ort für dich. Bei Rahjel bist du gut aufgehoben und kannst was lernen. Ich glaube aber, dass es Gudekar zu viel wird, wenn du auch dabei bist. Schau dir an, wie er den Segen spricht und dann ziehen wir drei uns zurück.“

Die Angesprochene nickte beiläufig und sah sich interessiert im Schrein, der eigentlich ein Wirtshaus war, um. „Wenn du meinst. Wir haben noch viel Zeit und Rahjel ist interessant.“ Immer noch nackt ging sie grazil und voller Leichtigkeit durch den Raum. „Tharf. Rahjel, gibst du mir später etwas davon?“

„Aber bleib im Haus, geh nicht raus und mit niemandem weg, ja?“ Meta hoffte, dass Zaina es richtig verstanden hatte. „Rahjel, Gudekar? Darauf noch einen Schluck?“ Meta warf Gudi einen beruhigenden Blick zu. Er musste nun auch bei ihr Vertrauen haben.

Schüchtern und leise sprach Gudekar zu Meta: “Wenn sie eine so gute Freundin von dir ist und du es dir wünscht, dann darf deine Freundin auch bei der Zeremonie dabei bleiben. Oder?”

Meta flüsterte zurück.“Du bist doch sowieso schon aufgeregt. Grad, weil wir hier sind. Ich will, dass du dich wohl fühlst. Aber Zaina würde nur beobachten. Sie stört eigentlich nicht. Sieh sie als Rahjani.“

“Alles gut, Meta”, beruhigte der Anconiter seine Geliebte. “Ich bin zwar sehr neugierig auf die Zeremonie und auch freudig aufgeregt, aber ich glaube, eigentlich bist du viel nervöser als ich. Also, von mir aus darf sie hier bleiben. Wie du sagst, als Novizin ist sie doch auch eine Rahjani. Und wenn dich ihre Nähe beruhigt, dann beruhigt es mich auch. Ich weiß doch, wie gerne du eine Freundin bei unserem Bund dabei haben wolltest.”

„Und du, sei so lieb, Gudekar spürt auch die segensvolle Harmonie in dir und es wäre schön, wenn wir den Bund zu viert unvergesslich machen. Rahjel, wir überlassen Euch wieder die Führung.“ Zaina war eben mit ihrer kurzen Erkundung des Raumes fertig und lächelte traumhaft Meta zu. „Ein eigentümlicher Tempel. Es interessiert mich wirklich, was nun geschieht. Vier ist harmonisch. Zwei Liebende und zwei, die sich der Göttin gegeben haben.“ Freudig und voller Erwartung sah sie den Geweihten an. Dieser fühlte sich kurz an Rahjania erinnert, sie hatten ähnlich tiefe, dunkle Augen und diese fast kindliche Neugier.

Meta fühlte sich noch nicht ganz wohl. Sie musste Zaina beschützen und es gab keine Wachen vor diesem Schrein. „Rahjel, ich werde meine Sachen, auch das Schwert, das ich später bei Alegretta weihen lassen will, bei mir haben. Ich werde alles in den Raum der Harmonie mitnehmen. Es ist mir sehr wichtig.“  Während der Zeremonie würde Zaina, die nicht ahnte, wie wertvoll sie war, hin und weg sein. Mit ihren Sachen fühlte sich Meta sicherer. Auf genug Hochzeiten waren schon üble Dinge geschehen. Ein Glück, dass Rhodan da war.

Rahjel spürte die Bewegung der Harmonie, die der Tharf ausgelöst hatte. Nie wusste man, wie der einzelne Gläubige auf den heiligen und berauschenden Wein reagieren würde. Gudekar hatte sich schnell in einen ruhigen Rausch begeben, doch Meta war wie eine aufschäumende Welle, die sich unberechenbar brechen würde. Auch ihre mysteriöse Freundin, die Novizin der Rahja, hatte etwas Animalisches an sich. Aber alles gehörte zu Rahjas freudigem Rausch. Doch als Lehrer der Leidenschaft war er der Rittmeister dieser Zeremonie. “Ein Schwert und alles irdische ist nicht nötig und wird auch nicht gebraucht. Und du, Schülerin der Leidenschaft, komm zu uns und wir können beginnen, den Bund zu sprechen.” Das junge, hübsche Mädchen zwinkerte allen zu und kehrte zurück. Und als sie das tat, spürten die Ritterin und der Magier den vollen Rausch des Tharfs. Die Sinne verschärft, doch jegliches Gefühl von Angst, Zorn oder Sorge verschwand, doch die Glückseligkeit, Unbekümmertheit und die Lust auf den göttlichen Akt brachen seine Bahnen. Der Geweihte, nun auch sichtlich erregt, erhob sich und legte seine Hände auf die Köpfe der Liebenden. “Rahja, Herrin des Rausches, der Leidenschaft und der Liebe. Siehe diese beiden Liebenden, die sich vor dir in einem Bund vereinigen wollen. Ihre Herzen haben sich gefunden und wollen sich nun in deinem Namen für weitere zwei Götterläufe binden. Rahja, Liebholde, vereinige diese Frau und diesen Mann in Leidenschaft und Liebe. Lasse sie von deinen süßen Früchten kosten, so wie sie dir ihre Lust opfern. Es Sei!” Das Licht im Raum veränderte sich und tauchte alles in ein rötliches, warmes Licht und in der Ferne erklang das lustvolle Stöhnen sich liebender Menschen. Der Blick von Gudekar und Meta wurde lüstern und ihr Atem wurde deutlich schneller. Rahjel half beiden auf. “Kommt, meine willigen Kinder, lasst uns in den Nebenraum gehen und besiegelt diesen Bund mit einer leidenschaftlichen Vereinigung.” Dann schaute er Zaina an. “Und du, liebliche Schülerin, wache über uns, höre zu und lerne.” Dann verschwand er mit den Liebenden hinter dem Vorhang.

Die junge Tulamidin klatschte freudig in die Hände und schenkte den Dreien einen Luftkuss. “Keine Sorge, ich werde wachen und lernen.” Sie streckte sich und setzte sich in einem Schneidersitz vor den Vorhang.

Hinter dem Vorhang

Kaum hatten die drei den verhangenen Raum betreten, der liebevoll mit Kissen ausgelegt war, brachen alle Hemmungen der zwei Liebenden. Die Spielwiese der Vereinigung wirkte auf alle wie ein Palast; liebliche Musik lag in der Luft, sowie der Duft von frischem Moschus.

Gudekar sog den Duft in sich auf, er nahm jedoch nicht nur den Duft des Moschus wahr, sondern auch den seiner Geliebten. Und es war betörend. In einem innigen Rausch der Gefühle setzte er sich im Schneidersitz auf die Kissen und zog Meta zu sich, auf dass sie sich auf seinen Schoß setzte. Der Magier war ebenso aufgeregt wie in jener Nacht vor zwei Jahren, als er Meta gerade kennengelernt hatte und sie sich im Park von Herzogenfurt das erste Mal innig berührten. Die gesamte Welt um ihn herum schien nun vergessen. Merle, Gwenn, Mika, Tsalinde, … und all die anderen, die ihn in den letzten Jahren begleiteten, sie waren alle nicht mehr in seiner Wahrnehmung. Pruch, das Herz der Nordmarken, der Groll seiner Schwiegereltern, die Angst vor einem Bann, all seine Sorgen waren auf einmal ausgelöscht. Es gab nur noch das Hier und Jetzt, es gab nur noch Meta und ihn. Er spürte ihre Berührungen, ihre Haut auf seiner, ihre Küsse, das Feuer der Leidenschaft, das sie verband.

Meta setzte sich, schloss die Augen und nahm die wohlig erregende Atmosphäre in sich auf, bis sie Rahjas Umarmung spürte. Sie lachte vergnügt, öffnete die Augen und genoss den Augenblick. Rahjel saß auch bei ihnen, er hatte seine Rolle schon bei vielen Paaren gefunden und würde es auch diesmal schaffen. Da zog Gudekar sie plötzlich auf seinen Schoß. Überrascht von der Initiative kreuzte sie die Beine hinter seinem Rücken und war endgültig der Schönen verfallen. Ihre Hände fuhren durch sein Haar, die Fingerspitzen zauberten einen wohligen Schauder auf seinen Rücken und am ganzen Körper stellten sich die kleinen Härchen auf. Zuletzt liebkoste sie sein erigiertes Gemächt und spielte damit. Gleichzeitig genoss sie seinen Duft - sie schätzte es sehr, dass er großen Wert auf Körperpflege legte - knabberte an seinem Hals, der empfindlichen Stelle, die sie kannte, den Brustwarzen und küsste ihn dann innig. Sie konnte die endgültige Vereinigung mit dem Mann ihres Herzens kaum erwarten.

Gudekar schloss seine Augen und atmete immer schwerer. Ihre Liebkosungen seines Halses und seiner Brustwarzen ließen ihn leise stöhnen. Erwartungsvoll fieberte er dem Augenblick der Einswerdung, dem Augenblick des Bundschlusses entgegen. Als sein Herz immer schneller schlug und sein ganzer Körper vor Erregung zitterte, legte er seine Hände auf ihr Gesäß und zog sie langsam, ganz langsam näher an sich heran, um den Moment des Eindringens bis ins Letzte auskosten zu können.

Meta stöhnte leise. Das hatte er immer schon so gut bei ihr gemacht. Sie krallte sich mit sachten Bewegungen an ihn.

Seine Hände wanderten langsam ihren Rücken hoch, und er zog ihren Oberkörper an sich heran, er wollte ihre Brust an seiner spüren und den Duft ihres Haares riechen. Deshalb legte er seine Lippen auf ihr Schlüsselbein, damit seine Nase dicht an ihrem Nacken war. Er schloss die Augen und begann sein Becken rhythmisch zu bewegen, erst langsam, dann etwas schneller. Bei jeder Bewegung stöhnte er leicht auf

~ * ~

Ein weiterer Klang…

(10:30)

Die Tür öffnete sich und eine junge Frau trat vorsichtig in den improvisierten Rahja-Schrein hinein. Sie streifte die nasse Kapuze nach hinten und sah sich verwirrt um. Merle hatte erwartet, hier Gudekar, diese Ritterin und Seine Gnaden Rahjel vorzufinden. Doch nun fiel ihr überraschter Blick stattdessen auf ein südländisch aussehendes und nacktes Mädchen.

Zaina schaute auf und schenkte dem neuen Gast einen aufmunternden Blick und ein warmes Lächeln. “Oh, wie schön du bist. Im Scheine der schönen Göttin Rahja schimmerst du wie eine Perle.” Dann stand sie auf und schritt auf Merle zu. “Willkommen im Schrein der Liebholden. Du kommst gerade richtig, denn wir opfern der Lustvollen.” Sie breitete ihre Arme zu einer Umarmung aus. Die Kleidung Gudekars auf dem Boden entgingen Merle nicht.

Merle, immer noch sichtlich verdutzt, erwiderte den glutäugigen Blick des schönen jungen Mädchens. Offenbar war diese eine Geweihte oder andere Dienerin der Göttin. "Rahja zum Gruße", sagte sie höflich und zwang sich zu einem freundlichen Lächeln, dann ließ sie eine kurze Umarmung zu. "Ich bin auf der Suche nach Gudekar..." Sie brach zögernd ab und blickte unsicher in Richtung des Vorhangs, dachte an das Gespräch mit Gwenn... dass Rahja nicht diejenigen abweisen würde, die aus Liebe und nicht aus Hass in ihr Haus kamen. "Die Liebe führt mich her", erklärte sie scheu. Der süße Duft der Novizin umschmeichelte Merles Nase und der Geruch von Sex lag im Raum. Zaina lächelte. “Alle, die heute hier sind, hat die Liebe hergeführt. Also bist du richtig, doch”, ihr Blick wanderte zu dem abgetrennten Raum, aus dem lustvolles Gestöhne zu hören war, ”die heilige Zeremonie darf nicht gestört werden. Es sei, dass die Göttin deine Aufrichtigkeit, deine Liebe und Leidenschaft erkennt. Harmonie ist der Göttin Wille.” Dann nahm sie Merle an die Hand und führte sie zum Schrein. “Bist du bereit, vor die Göttin zu treten und dein Herz zu öffnen?” Dann hielt sie Gudekars Ehefrau einen Kelch mit Tharf entgegen.

Merle ließ die Worte der Götterdienerin für einen Moment auf sich wirken. Sie antwortete nicht sofort, sondern forschte in ihrem Herzen nach den widerstreitenden, wechselnden Gefühlen, die sie heute - und eigentlich schon viel länger - empfunden hatte. Neben Misstrauen und Enttäuschung, Verzweiflung, Wut und Verlustangst war da immer noch, tief in ihrem Inneren, ihre innige, unerschütterliche Liebe zu diesem Mann, ihrem Mann, der ihr vertrauter und lieber war als irgendein Mensch auf Dere. Die Harmonie des Ortes beruhigte sie; seltsamerweise fühlte sie keinerlei Zorn mehr, auch wenn sie die Geräusche aus dem Nebenraum in einem Winkel ihres Verstandes wohl zuordnen konnte. Ernsthaft nickte sie Zaina zu und streifte in einer fließenden Bewegung den schwarzen Wollmantel ab, den sie über ihrem roten Kleid trug, ließ ihn zusammen mit ihrer kleinen Umhängetasche achtlos zu Boden sinken. Mit einem dankbaren Lächeln nahm sie den Glaskelch entgegen. "Ja, ich bin bereit", sagte sie mit ruhiger, sanfter Stimme. Tatsächlich fühlte sie sich der Göttin verbunden und gestärkt von ihrer Nähe. Voller Andacht führte sie den Kelch an die Lippen und trank langsam von dem blassroten, köstlichen  Tharf.

Herausfordernd blickte die junge Frau Merle in die Augen. "Befreie dich von den irdischen Fesseln und betrete die lustvolle Welt Rahjas. Doch allein wirst du nicht sein. Ich werde hier sein und wachen, doch der Lehrer der Leidenschaft wird dir Rittmeister sein.” Ein prickelndes Gefühl breitete sich auf Merles Haut aus, ein lustvolles und wonniges Gefühl ergoss sich in ihren Schoß. Nun war sie sich ihrer Leidenschaft und Lust bewusst. Kummer, Sorgen und das Gefühl von Eifersucht verschwanden. Alles, was blieb, war Verlangen und die Sehnsucht nach Vereinigung. Zaina öffnete leicht den Vorhang und wies mit einem Blick Merle den Weg in Rahjas Paradies.

Merle erwiderte Zainas innigen Blick mit einem selbstvergessenen, fast entrückten Lächeln. "Hab Dank", sagte sie leise und zwang sich, ruhig zu atmen, auch wenn ihr Herz raste wie vielleicht nie zuvor in ihrem Leben. Sie sandte in Gedanken ein kurzes Stoßgebet an Rahja, schluckte den letzten Rest aufkeimender Angst hinunter und schritt entschlossen und mutig zur Öffnung des Vorhangs.

***

… spielt eine neue Melodie

Als Merle hinter den Vorhang trat, blickte sie stumm die drei unbekleideten Menschen an, für einen Moment erstarrt, aber erstaunlich ruhig, fast gelassen - dafür, dass sie hier ihren eigenen Ehemann beim Liebesspiel vorfand. Merle trug ein oben eng geschnittenes, rubinrotes Kleid mit Trompetenärmeln aus fließendem, fein-glänzenden Stoff, unter dem sich ihre immer noch recht schlanke, aber wohlgerundete Figur abzeichnete. Das von schwarz-goldenen Bordüren umrahmte Dekolleté war für ihre Verhältnisse tief geschnitten und nur locker geschnürt, was den Blick auf den Ansatz ihrer weichen, runden Brüste erlaubte, deren helle Haut mit dem dunklen Stoff und den schwarzen Kordeln der Schnürung kontrastierte; es war deutlich, dass kein Unterkleid darunter war. Die Kette des Muschelfürsten, die sie so lange unbeirrt getragen hatte, fehlte nun; sie hatte keinen Schmuck angelegt außer einer goldenen runden Gürtelschnalle, die den langen, ebenfalls mit einer schmalen Goldbordüre besetzten Stoffgürtel verschloss, den sie tief auf der Hüfte trug.

Merle versuchte sich zu vergegenwärtigen, was der Plan gewesen war, doch ihr rasendes Herz und der Tharf in ihrem Blut machten es ihr schwer, klar zu denken. Sie erinnerte sich an Gwenns Ermahnung, alle außer Gudekar geflissentlich zu ignorieren. So blickte sie ausschließlich ihrem Mann in die Augen, tief, funkelnd, nahezu fiebrig.

Gudekar, der mit dem Gesicht in Richtung des Vorhangs saß und seine Geliebte, die auf seinem Schoß saß, dicht an sich drückte, hatte zunächst die Augen geschlossen, um den Rausch der Sinne genießen zu können. Einer Eingebung folgend schlug er die Augenlider auf und blickte direkt in die Augen seiner Frau. Es dauerte einen Moment, bis er realisierte, wie sich seine Situation gerade verändert hatte, zunächst dachte er, in einem Traum gefangen zu sein, wieder von einem Nachtalp heimgesucht zu werden. Doch schon bald wurde er gewahr, dass dies die Realität war. Er stoppte abrupt die rhythmische Bewegung, die er und Meta vollzogen, und erstarrte vor Schreck.

„Was ist los, Gudi?“ fragte ihn Meta und strich durch sein Haar. “Es war so schön gerade.“

Gudekar antwortete ihr nicht, sondern blickte weiter regungslos und erschrocken in die Augen seiner Frau.

Langsam, aber zielgerichtet ging Merle auf Gudekar zu. Ihr zartes Gesicht wirkte blass; die braunen Augen stachen deutlich und dunkel daraus hervor; sie waren dezent mit dem Kohlestift betont. Eine beobachtende Stimme in ihrem Kopf wunderte sich flüchtig, wie leicht es ihr fiel, den Anblick, der sich ihr hier bot, akzeptierend hinzunehmen. Es war, wie es war - in ihrem Herzen war Liebe, sonst nichts. Die verschlungenen nackten Leiber sahen sehr schön aus, fand Merle. Sie war wie in Trance, fühlte sich gleichzeitig benebelt und hellwach. Um sich herum glaubte sie die Präsenz der Göttin zu spüren, war erfüllt von ihrer Harmonie und Freude. Mit einem zarten, unergründlichen Lächeln ließ sie sich neben Gudekar und Meta auf dem Kissenlager nieder. Das dichte, dunkelblonde Haar hatte sie ausgebürstet; es floss wie ein weicher, glänzender Mantel über ihre Schultern und ihren Rücken. Ein verheißungsvoller Duft ging davon aus; Merle hatte sich ein paar Tropfen des erlesenen Duftöls ins Haar massiert, das Gudekar ihr zum Tsatag mitgebracht hatte. Ihr war warm und sie spürte den Drang, das Kleid endlich von der kribbelnden, heißen Haut zu streifen, zögerte jedoch, als sie Gudekars Gesichtsausdruck sah. Es tat ihr Leid, dass er so erschrocken wirkte, wollte sie ihm doch nichts Böses.

Gudekar blinzelte, um aus seiner Überraschung zu erwachen und in die Realität zurück zu finden. “Merle…”, stammelte er. “Merle!” Doch mehr bekam er nicht heraus. Zu intensiv waren die Gefühle, die er gerade empfand – für beide Frauen.zu betörend der Rausch, der ihn noch immer umnebelte.

“Schhh”, hauchte Merle, streckte den Arm aus und legte ihm federleicht den Finger auf die Unterlippe. “Sag nichts, Liebster. Entspann' dich. Es ist alles gut.”

Rahjel spürte den neuen Impuls, ein neuer Klang in der heiligen Zeremonie. In seinem entrückten Zustand verwunderte es ihn nicht, Merle, die Ehefrau von Gudekar zu erblicken. Nun ließ er sein letztes Kleidungsstück fallen und positionierte sich so, dass er alle drei gut im Blick hatte. Mit laszivem Blick signalisierte er allen, dass es in Ordnung war. Im besten Falle würden sie alle frei aus dem Herzen sprechen, während die Ekstase der Göttin einen harmonischen Weg der Liebe in diesem Liebesdreieck finden würde.

Der Geweihte rückte näher an die Liebenden und strich beiden durchs Haar. “Liebt euch, lasst weiter euer Herz offen und eurer Begierde freien Lauf. Die Göttin hat euch ein weiteres Wunder beschert. Ihr habt nun die Möglichkeit, für Klarheit zu sorgen. Meta, zeige Gudekar, wie sehr du ihn begehrst. Sag uns, was dieser Mann und seine Liebe für dich bedeutet.” Dann lehnte er sich wieder zurück.

Sie blieb auf Gudekar sitzen, der seltsam abgelenkt wurde. Da sah sie auch Merle neben ihnen. Der Gedanke, ‚Warum? Wieso? Schon wieder!‘ verschwand hinter dem nebelig-angenehmen Schleier des Tharfs, der ihre Gedanken eindeutig in andere Richtung lenkte. Meta kannte das seltsame Gefühl, sie hatte sich darauf gefreut, diese innige Extase endlich mit Gudekar zu zweit erleben zu können. Es schien, als verschwamm die Peripherie ihres Blickfelds, und bald würde sie sich der körperlichen Erfahrung der Zeremonie hingeben.

Merle störte sie nicht, sie war eine hübsche Frau und sicher auch mit gewissen Erwartungen gekommen „Merle, du bist auch hier, um an dem Zauber der Schönen teilzuhaben. Schau, wie hübsch und erfahren Rahjel ist. Mit einem Geweihten ist es nochmal etwas anderes.“

Dann antwortete sie ihm.

„Gudekar ist der Mann meines Lebens. Obwohl oder gerade weil wir uns nicht ähneln, ergänzen wir uns. Wir vertrauen einander, ich ihm und er kann mir vertrauen, egal, was passiert. Aber, Gudekar, es muss geschehen. Sag Merle jetzt, was du empfindest. Sag uns allen deinen Willen. Was du fühlst. Als der, den ich kenne und liebe.“

Rahjel wog Metas Worte ab, doch ließ er ihre Worte so in den Raum hallen. Hatte sie genug gesagt, warum sie Gudekar so liebte? Er war sich noch nicht sicher. Doch wartete er ab, was sein Vetter zu sagen hatte.

Gudekar schloss wieder seine Augen und sog die Luft tief ein. Er ließ sich betören von den Düften, die ihn umströmten. Metas Schweiß. Der Duft des Liebesspiels. Die Öle, die in kleinen Schälchen verdampfen. Und nun auch der Duft von Merles Haar. Er ließ jede Berührung an seinem Körper in sich fließen. Das Gefühl von Metas Haut an seiner Brust. Ihre Schenkel auf seinen. Ihr Schoß, der sein Gemächt umschloss. Und nun auch die zärtliche Berührung von Merles Finger auf seinen Lippen. All dies steigerte seinen Rausch und er ließ sich treiben. Eine Welle der Extase durchströmte ihn. Er griff nach Merles Hand und führte ihren Handrücken an seinen Mund, um ihn zärtlich zu küssen. Ohne ihre Hand aus seiner loszulassen, drehte er dann seinen Kopf wieder zu Meta und gab ihr einen innigen Kuss. Mit noch immer geschlossenen Augen lehnte er sich nun sachte zurück, bis er auf dem Rücken zum Liegen kam.

Der Magier öffnete seine Augen und blickte seine Frau an. „Oh, Merle, es tut mir so unendlich leid. Du bist eine so wunderbare Frau. Du hättest es verdient, einen Mann zu haben, der dir das gibt, was du begehrst. Merle, ich liebe dich. Ich werde dich auf eine gewisse Art immer lieben. Denn du bist ein Teil von mir, ein Teil meines Lebens. Du hast mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Ich werde dich dafür lieben, wie ich meine Schwestern liebe. Doch nun muss ich den nächsten Schritt gehen. Ich bin nicht mehr der, der ich einst war. Ich werde mich weiterentwickeln. Aber diesen Weg kann ich nicht mit dir gehen. Unsere gemeinsame Zeit ist Vergangenheit. Meine Zukunft wird an der Seite einer anderen Frau entstehen, an der Seite von Meta. Es ist nicht, dass ich nichts mehr für dich empfinde. Ganz im Gegenteil. Aber meine Gefühle für dich sind anders, als sie waren. Ich begehre diese Frau, Rahja hat uns zueinander geführt. Ich könnte versuchen, dies zu ignorieren, was ich empfinde. Ich könnte bei dir bleiben. Doch am Ende würden wir beide leiden, wir alle.“ Der Anconiter stützte sich auf und beugte seinen Körper wieder hoch, um erneut Meta zu küssen.

Rahjels Blick wanderte nun zu Merle.

Merle beobachtete den Kuss mit einem faszinierten, sichtlich erregten Blick. Die beiden sahen so wunderschön zusammen aus; zwei verschlungene, schweißglänzende Leiber in inniger Liebe. Gudekars Worte drangen ihr in diesem entrückten, trunkenen Zustand nur langsam in den Verstand, so dass sie ihren Mann zunächst eine gefühlte Ewigkeit schweigend ansah, bis sein Blick sie wieder traf. Zart strich sie ihm mit dem Daumen über den Handrücken. "Ich will nicht, dass du leidest", wisperte sie rau. "Ich liebe dich doch so sehr." Sie streckte ihre andere Hand aus, um sanft über Gudekars Wange, sein Ohrläppchen und seinen Hals zu streichen; wie gebannt starrte sie auf seine Lippen. Oh, sie liebte seinen Mund, sein Lächeln, das meistens irgendwie schief und jungenhaft wirkte und von dem sie schon immer weiche Knie bekommen hatte. Merle biss sich auf die Unterlippe. Wie gerne würde sie ihn jetzt küssen, verzehrte sie sich förmlich danach; doch wollte sie unter Rahjas Augen nichts tun, was er nicht wollte. "Es ist nicht schlimm, dass du sie… Meta auf andere Weise liebst als mich. Aber es würde mir wehtun, wenn du mir deine Liebe gar nicht mehr zeigst. Wenn du mich wegstößt. Kannst du nicht uns beide lieb haben?" Sie drückte Gudekars Hand und lächelte ihn an, voll inniger Zuneigung, Wärme und Begehren. “Ich weiß, dass du Schlimmes erlebt hast. Dass du dich verändert hast. Und ich will dich nicht einengen oder aufhalten. Aber ich möchte weiterhin bei dir sein, auch in Zukunft. Ich störe mich nicht daran, dass du Meta liebst. Ich meine, sie ist ja wirklich… heiß.” Merle musterte den Körper der Ritterin von oben bis unten mit einem anerkennenden, offen begehrenden Blick, dann lächelte sie Gudekar leichtherzig und funkelnd an. “Im Grunde hab ich schon immer geglaubt, dass man mehrere Menschen gleichzeitig lieben und begehren kann.” Ihre Gedanken schweiften kurz ab, während sie Metas hübsche, feste Brüste anstarrte, bis sie sich wieder auf ihren Mann fokussierte. “Was ich vorschlagen will”, Merle rückte so nah an Gudekar heran, dass ihr langes Haar seinen Oberarm streifte und er die von ihrem Körper ausgehende Hitze und den Duft ihrer Haut spüren konnte. “Du kannst mit Meta zusammensein… und mit mir. Du darfst uns beide begehren.”

Rahjel lächelte Merle an und strich ihr über die Wange. “Du verstehst das Wesen Rahjas. Deine Ahnungen sind wahr.” Doch nun drehte er sich wieder zu Meta und Gudekar.

“Was genau ist es, das dich zu Gudekars Herz zieht, Meta? Und was ist es, das du dir erhoffst von der Liebe zu Meta, Gudekar?” Noch waren Fragen offen. "Und fühlst du einen Funken Leidenschaft für Merle?”

Verträumt, von Merles vollendeten Rundungen und diesem wundervollen Haar wie gefesselt, sah sie wieder zu Rahjel. Bei ihm war es ihr, als hätte sie nie einen attraktiveren und charismatischeren Mann gesehen. Das tiefe Gefühl, dem Tharf entsprungen, aber nicht völlig, breitete sich in Metas Körper aus, nahm ihr Unsicherheit, Angst und alle Bedenken, die in der Zukunft lagen. Allein der Augenblick war nun wichtig und von Rahjas Geist, so war es ihr, erfüllt. Sie lächelte. “Rahjel, ich dachte, ich solle mich kurz fassen. Da gibt es so viele kleine, für andere Personen unwichtige Dinge, die ich an ihm liebe. So viele Facetten. Einmal sein brillanter Geist, der ihn in manchen Situationen über sich hinauswachsen lässt, mehr aber die schüchterne, scheue Seite. Bei mir legst du sie ab und… wartet. Gudi, leider hast du neulich schon geschlafen, es war die Nacht am ersten Abend. Ich habe dir meine Liebe genauer erklärt. Du hast so wundervolle Augen, grau, gesprenkelt, ich könnte sie ewig betrachten, ja versinken möchte ich darin. Du redest mit so viel Emotion und einer einzigartigen Art, die mich beruhigt und zugleich erregt, mir Sicherheit gibt. Wo du bist, da kann ich so sein, wie ich wirklich bin. Du hast nie versucht, mich zu verändern, ich muss mich nicht wie so oft, in den letzten Tagen, verstellen. Viele verstehen meinen Humor nicht, aber du, Gudi, verstehst ihn nicht nur, wir teilen ihn. Du kannst über dich selber lachen, mit mir über mich, das liebe ich, das ist perfekt. Und ich habe unendliches Vertrauen in dich, wenn du meine Hand hältst, dann machst du mich glücklich. So wie ich dich glücklich mache, wenn du mit meiner Hilfe stärker wirst, deine Meinung sagst und dich nicht, wie all die Jahre, ergeben deiner Familie und den Dreifelds unterordnest. Und wir dürfen die Schöne nicht vergessen - Rahjel, gleich bin ich fertig, aber das muss noch sein - ich hatte noch nie dermaßen harmonischen, ekstatischen und leidenschaftlichen Sex. Du weisst genau, wann du was tun musst, um mich verrückt werden zu lassen. Wenn sich dein Samen in mich ergießt, wünschte ich manchmal, ich hätte es so leicht wie Merle oder Tsalinde. Aber selbst wenn nie neues Leben daraus entstehen wird, ist es eine Freude, dich in höchster Glückseligkeit in mir zu spüren und einen Hauch von dem zu erleben, wie es wohl in Rahjas Zelt sein muss.” Meta war fertig. Sowohl mit ihrer langen Rede als auch mit der Selbstbeherrschung, die ihre immer stärkere Lust nach zärtlicher Berührung und inniger Vereinigung zügelte. Die Rahjaknospen ihrer festen Brüste hatten sich aufgerichtet und wie in einem wunderschönen Traum oder Rausch spürte sie die Erregung in den Lenden so stark, dass sie selbst etwas mit sich spielte. So ein schöner Ort, der Mann, ihr Mann, den sie liebte, eine auf natürliche Art perfekte Frau und der Rahjani, von dem sie im Tempel gerne etwas gelernt hätte.

Gudekar hatte während Metas Liebeserklärung die meiste Zeit die Augen geschlossen. Er konnte es nur schwer ertragen, Metas Worte zu hören und dabei den Blick auf die beiden Frauen seines Herzens zu richten. Es zerriss ihn, von dieser innigen Liebe zu hören die Meta für ihn empfand, und dabei gleichzeitig zu wissen, wie dies ein Dolchstich in Merles Herz sein musste. Dennoch, in dem Rauschzustand, in dem er sich befand, genoss er es, Metas Wahrnehmung seiner selbst in sich aufsaugen zu können. Ihre Stimme erregte ihn, und er hatte ein großes Verlangen, ihr seine Dankbarkeit für ihre Gefühle auf der Stelle zu zeigen. Dennoch wusste er, dass es nun an ihm war, sich zu offenbaren. So hielt er den Drang, Meta in die Arme zu schließen und in einem Kuss zu versinken, zurück. Einen tiefen, langen Atemzug sog er ein, bevor der Magier zu sprechen begann. “Rahjel, ich bin kein Mann der vielen Worte. Doch werde ich versuchen, deine Frage zu beantworten.” Noch einmal atmete er aus und tief ein. “Als ich Meta das erste Mal sah, als ich die ersten Silben ihrer Stimme hörte, wusste ich, diese Frau würde mein Leben verändern. Ich hatte so etwas nicht gewollt, doch es kam und überrollte mich wie eine Lawine. Ihr Lächeln, die Grübchen auf ihren Wangen, wenn sie lachte, verzauberten mich, wie ich erst am Abend davor durch einen Feenzauber verzaubert wurde. Doch diesmal war mir bewusst, was ich tat. Mir gegenüber saß eine Frau, die eine starke Willenskraft besaß und sich nicht scheute, für ihren Willen einzustehen. Eine Frau, die nicht bereit war, sich äußeren Zwängen unterzuordnen, um zu erreichen, was sie wollte. Und diese Frau interessierte sich für mich. Ich wusste sofort, diese Frau ist die Frau, die an meiner Seite sein muss, um in mir das zu wecken, was über Jahre unterdrückt wurde, was ich unterdrückt habe. Ich wusste, diese Frau würde mich komplettieren, eine Lücke in mir füllen, die ich jahrelang nicht gesehen hatte. Mit ihr an meiner Seite würde mein Leben vervollständigt, mein Sein und Handeln würde endlich einen Sinn ergeben. Ich bewundere Meta für ihre Stärke.” Gudekar wandte seinen Blick von Meta zu Merle und lächelte sie an. In seinem Lächeln lag ein Ausdruck von freundschaftlicher Liebe, von väterlicher Fürsorge, von Mitleid, aber auch von rahjagefälliger Begierde. “Ich würde lügen, wenn ich sagte, dass ich für dich, Merle keine Leidenschaft mehr empfände, trotz allem, was geschehen ist, auch wenn ich dir dies schon lange nicht mehr gezeigt habe. Du hast mir immer Halt gegeben, Wärme, Geborgenheit, Sicherheit. Ich habe mich immer bei dir wohl gefühlt. In deiner Nähe spüre ich das Gefühl, zu Hause zu sein. Doch mein Weg führt mich fort von zu Hause.”

Dann schlüpfte der Geweihte, nackt und noch immer erregt, zwischen Gudekar und Merle und legte seine Arme um beide. Sanft zog er beide an sich heran. “Zu Hause. Genau das ist es, das euch immer binden mag. Ein Bund wurde zwischen euch geschlossen, nicht vor meiner Göttin, aber von der Eidgöttin. Ihre Bünde sind stark und ihnen kaum zu entkommen. Doch mag ich nicht schlecht von der göttlichen Schwester Rahjas sprechen. Leidenschaft und Liebe sind meist nicht für die Ewigkeit, etwas, was der Liebholden gefällt. Dennoch ist sie ehrlich in diesen Momenten. Fesseln sind ihr ein Gräuel." Wieder zog er beide näher. “Familie und Heim. Das ist das Fundament eurer Liebe, auch wenn es nicht die Leidenschaft ist. Doch Verachtung, Lüge und Eifersucht könnten dieses Heim zu einem Gefängnis machen. Doch wenn ihr den Pfaden Rahjas folgt, so könnt ihr dem entgehen.” Dann flüsterte er Merle ins Ohr: “Gudekar hat keine Leidenschaft für dich im Herzen, er wählte die Worte der Leidenschaft, doch verwechselte er es mit der Begierde nach deinem Körper, doch gibt es Liebe für dich in seinem Herzen. Könntest du das akzeptieren, um euer Heim zu retten?” Nun wartete er Merles Worte ab.

Merle schaute Rahjel liebreizend an, schüttelte aber sanft den Kopf. “Euer Gnaden, ich glaube nicht, dass Gudekar keine Leidenschaft mehr für mich empfindet. Gibt es nicht viele Arten der Liebe und viele Arten der Leidenschaft?” In Merles durch die geweiteten Pupillen größer und dunkler wirkenden Augen sammelten sich Tränen, die im Kerzenschein glänzten, auch wenn sie Gudekar verliebt und hingebungsvoll anlächelte. "Liebster, ich möchte dich so gerne zurück. Ich hoffe, dass du mich - ebenso wie Meta - mit dir nimmst, wenn du von hier fortgehst.” Ihr Blick wurde sehr ernsthaft, direkt und entschlossen. “Deshalb… zeig mir die Leidenschaft, die du für mich fühlst.” Sie hob die linke Hand zu seinem Nacken und zog ihn zu einem stürmischen Kuss an sich heran, die andere Hand fuhr auf seinen Rücken, um ihn zu sich zu drehen und ihre Oberkörper eng aneinander zu pressen, so dass er ihre Brüste durch den dünnen Stoff des Kleides spüren konnte. Ihr Kuss war heftiger und leidenschaftlicher, als er es von ihr kannte; fordernd zog sie seinen Hinterkopf an sich heran, um ihre Lippen noch fester, härter auf seine zu pressen; ohne Zögern schob sie ihre Zunge tief in seinen warmen Mund hinein, in dem hungrigen Versuch, ihn wieder zu schmecken, zu spüren, Zugang zu ihm und seinen Gefühlen zu bekommen. Seine Leidenschaft zu wecken. Sie ergriff Gudekars Hand und führte diese zu ihren vollen, runden Brüsten, zog sich das Kleid halb herunter, damit er ihre Brustwarzen liebkoste wie früher, damit sie wieder dieses kribbelnde, zingernde Gefühl spürte, das sich von ihren harten Knospen durch den ganzen Körper bis zwischen ihre Beine zog. Sie biss empfindlich in seine Unterlippe, nicht so stark, um diese zum Bluten zu bringen, doch genug, ihm mit dem Schmerz klarzumachen, dass sie da war, dass er sie beachten und fühlen musste. Erst nach einigen Momenten gaben ihre Zähne ihn langsam frei; dann wurde der Kuss plötzlich federzart und liebevoll. Ein letztes Mal fuhr ihre warme, feuchte Zungenspitze über seine Lippen, strichen ihre Fingernägel über seine Wange, hinunter über seinen Hals und seinen schweißnassen Oberkörper. Sie löste sich abrupt, schob ihn mit der Hand von sich weg und starrte ihm herausfordernd, mit flammender Intensität, direkt in die Augen. Wenn er mehr wollte, musste es von ihm ausgehen, musste er es sich nehmen, versuchte sie ihm wortlos zu signalisieren.

Eine Welle heißen Feuers durchfuhr Gudekar. Seine Erregung während Merles Kusses, während ihrer Liebkosungen wurde stärker und stärker. Dies spürte auch Meta, die noch immer auf seinem Schoß saß.

Rahjel, der seine Arme immer noch um Gudekar und Merle hatte, schob sein Gesicht wieder zwischen den beiden. “Gemach, gemach, Merle. Lausche den Worten Gudekars ganz genau.” Nun schaute er seinem Vetter tief in die Augen. “Hat sie recht? Ist in dir die selbe leidenschaftliche Liebe für sie, die du auch für Meta empfindest? Oder ist es so, wie du gesagt hast und nun in diesem Moment ist es ihr Körper, den du begehren könntest?”

Als sich Merle von ihm löste, galt die Aufmerksamkeit des Magiers seiner Frau. Er griff nach ihrem Handgelenk und zog sie sanft wieder näher an sich und seine Geliebte.  “Merle”, flüsterte er, “nur, weil ich Meta begehre und in mein Herz geschlossen habe, heißt das nicht, dass ich nichts mehr für dich empfinde. Ich werde immer Gefühle für dich haben. Ich weiß, alles, was ich tue, ist falsch, doch ich wollte nie, dass du leidest. Aber die Liebe zu dir ist anders, als die zu Meta. Diese Art der Leidenschaft, die Art, in der mein Herz für Meta schlägt, die empfinde ich für dich nicht mehr. Ja, auch du schaffst es, mein Blut in Wallung zu bringen, hast es gerade geschafft. Du schaffst es, Begierde in mir zu wecken. Doch Rahjel hat es richtig erkannt. Was ich für Meta empfinde, empfinde ich nicht mehr für dich.” Gudekar dachte einen Moment nach, um die richtigen Worte zu finden. Es fiel ihm schwer, denn er wollte keine der beiden Frauen verletzen. “Was das Herz wünscht, spürt man schlecht in der Nähe. Erst in der Ferne spricht das Herz zu einem. Wenn ich des Nachts allein in meiner Kammer liege, dann sind meine Gedanken bei Meta, in der Hoffnung, bald wieder ihre Nähe zu spüren.”

Der Geweihte schaute erst Meta, dann Merle an und wartete ab.

Merle, nach dem Kuss schwer atmend, schenkte ihrem Mann ein offenes, warmes Lächeln. “Ach Gudekar, ich finde das alles gar nicht so schlimm. Lass’ dir das Herz nicht schwer werden deswegen. Ich verstehe und akzeptiere ja, wie viel dir Meta bedeutet. Ich will dir das nicht absprechen oder nehmen. Wirklich nicht.” Langsam schüttelte sie den Kopf und sah ihm intensiv in die Augen. “Wie ich schon sagte, ich bin mir sicher, fast jeder kann Gefühle für mehrere Menschen gleichzeitig empfinden. Und ich denke, es ist auch nicht falsch oder schlimm, wenn die Gefühle für verschiedene Leute unterschiedlich intensiv oder unterschiedlich leidenschaftlich sind.” Sie blickte zu Meta und lächelte sie liebevoll an. Unwillkürlich kam ihr Doratrava in den Sinn, die sie so bezaubernd fand und die ihr Herz schneller schlagen ließ, dann dachte sie an ihre Freundin Tsalinde, die mit Lys und mit Isavena glücklich war. Instinktiv und in Gedanken versunken ließ Merle ihre Fingerspitzen über Gudekars Hals und die leichte, schweißnasse Behaarung an seiner Brust spielen, bis sie leise und zärtlich weitersprach: “Aber ich wünsche mir, dass du mir die Art von Liebe und Begierde, die du noch immer für mich empfindest, auch zeigst. Dass du mich nicht mehr ignorierst. Dann leide ich nämlich. Wir sind in einem Bund und werden es immer sein. Und ich verdurste innerlich, wenn mein Mann sich von mir abwendet und mich aus seinem Herzen ausschließt. Wenn du offen und ehrlich mit mir bist, wenn du mich nicht mehr wegstößt, dann können wir einen gemeinsamen Weg finden. Ich glaube, dein Herz ist groß genug für mich und Meta.”

Rahjel nickte und küsste beide auf die Stirn. “Euer Herz ist offen und nun weiß ein jeder hier, wie ihr zueinander fühlt. Doch seid ihr nicht zwei, sondern drei. Doch alle müssen ihr Herz öffnen und sollen gehört werden.” Dann stand er auf und stellte sich hinter Meta. Sinnlich strich er über ihre Schultern, fuhr ihr langsam den Hals hinauf und gab ihr auch einen Kuss, den er auf ihren Nacken platzierte. “Schöne Meta, Liebende. Gönne dir eine Pause der Ekstase mit deinem Liebsten. Euer Bund ist gefestigt, eure Liebe stark und die Leidenschaft zueinander ungebrochen. Doch deinen Liebsten bindet ein Schwur an eine andere Frau. Es ist wichtig, dass du sie anhörst und sie dich. Nur so werdet ihr Harmonie in die Welt bringen können. Nutzt die Chance, die euch die Göttin gibt.” Dann beugte er sich zu Gudekar hinunter und schmiegte sich an seinen Vetter an. “Leg dich mit mir zur Seite und lausche den Frauen, die mit dir im Bunde stehen.” Dann küsste er den Magier auf die Schläfe und legte seinen Arm um ihn.

Beruhigend fühlte sich Rahjels Umarmung für Gudekar an. Er lehnte sich zurück, seinen Rücken an die Brust seines Vetters und genoss es, dass dieser seinen Arm über Gudekars Schulter legte. „Danke, Rahjel.“ Der Anconiter beobachtete die beiden Frauen seines Herzens.

Meta hatte dem langen Gespräch unerwartet gut folgen können, obwohl sie sich wie in einen glückseligen Nebel befand. „Ahm, Merle, ich wusste nicht, dass ich, so sehr die Lust mich verzehrt, einen Vortrag halten soll. Fangen wir mal kurz an, ich hatte es vorhin vergessen, Rahjel zu sagen, aber von dir geht eine unbändige Schönheit aus, der auch ich nicht entkomme. Deshalb hatte ich damals dein Haar erwähnt, aber du warst so abweisend. Ich wünschte, ich hätte einen so perfekten Körper, wie du ihn hast.“ Sie zwinkerte schelmisch. „Es ist schon fast schade, dass Frauen auf mich sexuell keine Wirkung haben.“

Rahjel löste sich aus der Umarmung seines Vetters und beugte sich mehr den Frauen zu.

“Es scheint so, als ob du nicht weißt, wer du bist, Meta. Du bist genauso schön wie Merle es ist, eine Augenweide der Göttin. Nur wenn du dich vergleichst, entsteht falscher Neid. Dein Geliebter hat das erkannt, das solltest du wissen. Doch bevor Merle dir antworten kann, sage uns, was du denkst, wenn du an Gudekar und Merle denkst. Teile deine Ängste und Befürchtungen mit uns. Das hier ist ein geschützter Raum im Augenschein der Liebholden.” Aufmunternd schaute er Meta in die Augen. “Nicht jeder muss jeden sexuell begehren, etwas, was du nicht bedauern musst.”

Meta kniff verlegen den Mund zusammen und schaute erst Gudekar, dann Rahjel tief in die Augen. Wie ähnlich sie sich waren. „Ich wollte einfach Merles Perfektion zum Ausdruck bringen. Das ist nicht meine Art, aber irgendwie, durch den Tharf? Fällt mir hier viel leichter, über Gefühle zu sprechen.“ Sie errötete und wandte sich Rahjel zu, aber so, dass Merle sich nicht ausgeschlossen vorkam. “Anfangs hatte ich sowohl Angst, ich könnte ihn verlieren, wie ich schon einmal einen Mann verloren habe, und sich nie wieder jemand für mich interessierte. Rahja nutzt nicht aus, das habe ich bei Gudi so stark gespürt, dass ich ihm in allem vertraue. Er würde nie auch ohne den heiligen Trank etwas tun, was mich verletzt. Ich vertraue ihm auch bei dem, was er in Bezug auf Merle gesagt hat.“

“Ich kann deinen Schmerz spüren, auch wenn er im Moment in den Hintergrund getreten ist. Es ist an der Zeit, den Mann aus deiner Vergangenheit loszulassen. Du wirst sehen, dass es immer leichter wird zu lieben”, sagte Rahjel. “Rahja wird dich nie vergessen, Meta. Solange du sie in deinem Herzen trägst, wirst du blühen, wie ihre schönste Rose. Möchtest du noch etwas loswerden oder lassen wir nun Merle sprechen?”

Warum war es so einfach, das, was so tief verborgen war, hier plötzlich zu sehen? Rahjel würde es ihr nicht schlecht auslegen. „Ja, ich bin alleine. Ich komme schnell mit Menschen klar, aber eigentlich habe ich nur eine Freundin. Und Piri, eine Heilmagierin, hat herausgefunden, dass ich keine Kinder bekommen kann.“

“Mehr Bürde, die dir auf dem Herzen liegt. Kinder sind der Götter Freude, doch können wir auch auf anderen Wegen zum Kindersegen geraten. Viele Waisen brauchen eine Mutter, ein Zuhause. Doch die Erfüllung im Leben und im Herzen kann aber auch ganz woanders liegen. Versuche, den anderen ihre Kinder nicht zu neiden, denn dies ist keine Voraussetzung für jemanden, dich zu lieben. Und wie ich schon sagte, wenn es dich nach Familie verlangt, gibt es dafür viele Wege. Wenn du magst, könnte ich dafür sorgen, dass du ein Gespräch mit einem Geweihten der Lebensgöttin Tsa bekommst. Ich bin mir sicher, sie können dir helfen.” Nun lächelte er und wartete ab, ob Meta noch etwas auf dem Herzen hatte.

„Noch will ich keine Kinder und kann nichts mit ihnen anfangen. Aber die Zukunft ist ungewiss.“ Sie lächelte breit und ihre Augen blitzten. „Das ist eine hervorragende Idee. Sag mir in nächster Zeit, wie ich dich erreichen kann.“

“Die Zukunft ist ungewiss, doch nichts, was jetzt schon betrauert werden muss.” Nun schaute er Merle an und gab ihr mit einem Nicken das Zeichen, dass nun auch sie sprechen durfte.

Freundlich und ohne Gram schaute Merle in Metas graublaue Augen, versuchte mehr vom Wesen dieser jungen Frau zu erkennen, ihrer ungezähmten Ausstrahlung, die Gudekar so unwiderstehlich faszinierte. “Meta”, begann sie sanft und etwas verlegen, “...unser erstes Aufeinandertreffen stand unter keinem guten Stern. Das tut mir leid. Als du mir gestern plötzlich so viele Komplimente gemacht hattest, hat mich das einfach überrascht, weil es aus heiterem Himmel von einer fast Fremden kam. Aber ich hab’ zu schnell über dich geurteilt, glaube ich. Zwar kenne ich dich nicht näher, aber ich sehe die tiefe Liebe und Leidenschaft bei dir und Gudekar.” Interessiert und ein bisschen sehnsuchtsvoll ließ sie ihren Blick über den schlanken, nackten Körper der Ritterin streifen und lächelte diese liebenswürdig an. “Ich finde dich auch sehr hübsch und… anziehend, wirklich anziehend. Aber keine Sorge, ich werde nicht über dich herfallen.” Auch über Merles Gesicht huschte ein kurzes, schelmisches Zwinkern, dann wurde sie wieder ernst. “Trotzdem glaube ich, dass auch ich Gudekar bestimmte Dinge geben kann, andere Dinge, die er vielleicht ebenso braucht wie deine Liebe und Leidenschaft. Die Wärme unseres Zuhauses, unserer Familie. Die entspannte Vertrautheit vieler gemeinsamer Jahre… die ich in letzter Zeit so vermisst habe. Ich liebe und unterstütze meinen Mann, in allem, was er tut. Meta, du meintest eben, Gudekar würde durch dich seine schüchterne Seite ablegen, durch deine Hilfe stärker werden… Das, ähm… denke ich eigentlich nicht”, brachte Merle vorsichtig heraus und blickte von Merle zu Gudekar, nahm dessen Hand und drückte diese. “Gudekar, mein Herz. Ich glaube nicht, dass du stärker werden musst oder selbstbewusster. Du bist schon immer stark und tapfer gewesen, auch wenn es früher nicht so viele Leute bemerkt haben. Ich will dich nicht verändern oder verbessern.” Sie spielte nachdenklich in ihrem langen Haar und lächelte leise in sich hinein. “Aber genauso akzeptiere ich, wenn du dich veränderst. Verändern willst. Ich habe mich auch verändert in den letzten zwei Götterläufen, allein schon durch Lulu. Ich habe auch viel nachdenken können… Und ich glaube, ich bin bereit, die eheliche Treue anders zu interpretieren, als es meine Zieheltern tun würden.” Nun wandte sich Merle wieder an die junge Ritterin. “Meta, ich hoffe, du kannst mich auch ein bisschen verstehen? Kannst du nachempfinden, warum ich ihn nicht einfach loslassen kann? Ich hoffe so sehr, dass wir in Zukunft irgendwie miteinander auskommen.”

Auch hier lächelte Rahjel Merle zu. Sein Blick wanderte wieder zu Meta.

“Eine Familie… Ja, das verstehe ich. Es war nicht fair, es dir erst so spät zu sagen. Ich denke, wir können es schaffen. Aber lassen wir Gudi etwas dazu sagen. Oder Rahjel. Wir zwei werden uns in den nächsten Tagen neu kennen lernen. Hoffentlich klappt es auch ohne Tharf.“ Sie lächelte Merle hoffnungsvoll an.

“Keine Sorge, die Göttin verschleiert eure Sinne nicht, sondern hat sie geschärft. Das Gehörte wird nicht vergessen sein. Doch es liegt an euch, euren Weg zu finden. Das wichtigste ist, dass ihr euch gegenseitig gehört und ins Herz geschaut habt.” Dann legte er sich wieder, nackt und ungeniert, zu seinem Vetter. “Gudi,” griff er Metas Spitzname für ihn auf, ”hast du etwas zu sagen?”

Gudekar schluckte. Es tat gut, dass sich Meta und Merle endlich aussprachen und scheinbar gut verstanden. Doch wusste er, so oder so konnte es auf Dauer nicht gut gehen mit beiden zusammen. Seine Mission, seine Vereinbarungen mit dem Baron, dies alles war nicht auf diese überraschende, neue Situation eingestellt. Doch jetzt war nicht der Moment, sich darum zu sorgen. „Meta, heute sollte unser Tag sein, unser Bund neu geschlossen werden. Und dies ist auch geschehen. Doch Merle ist ein Teil meines Seins. Auch Merle hat seit zwei Götterläufen darauf gewartet, dass ich mein Versprechen ihr gegenüber erfülle. Bevor ich auf dich traf, du ein Teil meines Lebens wurdest, wir beide verschmolzen, da war ich mit Merle in Harmonie. Diese Harmonie wurde zerrissen. Wie soll unser beider Bund beginnen, wenn mein Bund mit Merle so unerwartet unterbrochen wurde? Lass mich unseren Tag, diesen von Rahja gesegneten Tag, dazu nutzen, mit Merle ins Reine zu kommen, damit nicht länger ein Schatten über unserem Bund schwebt. Danach werde ich dein sein.“ Gudekar küsste Meta, seine Lippen wanderten zu ihren und seine Zunge suchte die der Ritterin, ihr ein verheißungsvolles Versprechen gebend.

“Liebster Vetter, tatsächlich ist kein Bund gebrochen worden. Und es ist heute euer Tag. Der Tag vor der Liebholden. Rahja hat euch gewährt, frei zu sprechen, um die Harmonie zu erhalten. Eine Arbeit, die ihr in Zukunft in Angriff nehmen könnt. Doch nicht jetzt. Dass die Harmonie zwischen dir und Merle nicht mehr richtig bestand, löste sich schon, bevor du Meta begegnet bist. Es war die Liebesgöttin selbst, die wusste, dass du jemanden anderes brauchst, um deine Harmonie wiederherzustellen. So wie du es vor der Eidgöttin geschworen hast, kann es nie sein. Doch hoffentlich kann von hier an ein neuer Weg gefunden werden. Doch heute, hier und jetzt, bist du Metas Geliebter und Meta deine Geliebte. Alles andere wird sich zu einem anderen Zeitpunkt klären.” Er legte nun beide Arme um Gudekar und drückte ihn herzlich. “Die letzte Frage, die heute und hier zu beantworten wäre, wie wollt ihr die Zeremonie ausklingen lassen? Ihr allein, noch mit mir … oder uns allen zusammen?" Nun schickte er einen Luftkuss an Meta.

Gudekar blickte zu Meta. Er wollte von tiefstem Herzen, dass sie die Entscheidung traf. Sie sollte sich wohlfühlen. Es sollte der Tag sein, an dem er für sie da war.

Meta verstand sofort, was Gudi meinte. Zuerst krampfte sich ein Knäuel in ihrem Magen zusammen. Es sollte doch ihr Tag werden; dass Merle in dem Aufzug pünktlich erschienen war, kam ihr plötzlich seltsam vor. Dann erklärte er, dass es nicht heute wäre. Sie würden noch viel besprechen müssen. „Gudi, du hast tiefe Gefühle für Merle.“ Sie schluckte hart. „Selbst, wenn ich zum Ausgleich mit einem anderen Mann schlafen würde, wäre es nicht das selbe. Es würde nur mit Linny gehen, auf den du anfangs so eifersüchtig warst. Jetzt bin ich alleine.“ Sie sah in die Runde. Es würde weh tun und sie wäre die ganze Nacht wach und würde daran denken. “Ja, mach es. Es macht dich noch einmal mit ihr glücklich. Nicht heute. Nächste Nacht.“ Sie zitterte leicht und sah zu Rahjel. Es würde ihre einzige Chance sein. Sie zwinkerte ihm zu. Noch perplex und durch Gudekars Wunsch getroffen.

Gudekar nahm Meta in den Arm und gab ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. “Aber Meta, jetzt geht es erst einmal nur um uns. Wie mein Vetter gesagt hat, wir beide bringen die Zeremonie zu einem Ende, egal, ob mit oder ohne Begleitung, ganz wie du möchtest.”

„Ich wollte immer nur uns zwei und den Geweihten“, flüsterte Meta tonlos.

Rahjel stand auf und ging nun um die Liebenden herum. Nun umarmte er Meta von hinten, die noch immer auf Gudekars Gemächt saß. “Meta. Vergesse nicht, dass seine tiefste Liebe in diesem Moment nur dir gilt. Rahja hat euch zusammen geführt und wird das weiter bewachen, solange, wie ihr es euch aus vollstem Herzen gewünscht habt. Die Beiden müssen Dinge klären, denn der Bund vor der Eidgöttin ist für die Ewigkeit. Dennoch ist dies kein Grund, dass ihr euch nicht lieben könnt. Lass dich nicht von deinen Ängsten leiten. Du bist nicht allein. Gudekar ist bei dir und Rahja auch. Im Herzen seid ihr euch treu. Vergesse das auch du nicht. Zwei, nicht eine gehört zu diesem heiligen Bund vor Rahja. Und nun lasse kummervolle Gedanken und Sorgen los. Gebe dich der Liebe hin. Weilt in Ekstase.”

Dann ließ er sie los und setzte sich zu Merle. Seine Hand wanderte nun zu ihrer. “Auch du bist nicht allein.” Dann küsste er sie.

Merle erwiderte den Kuss süß und begierig. Als sie Rahjels Lippen spürte, durchfuhren Wärme und ein sinnliches Kribbeln ihren Körper. Sie merkte selbst, wie ausgehungert sie nach Zuneigung und körperlicher Nähe war und löste sich nur widerwillig von dem Geweihten, den sie danach fast schüchtern anlächelte. "Danke, Euer Gnaden... Rahjel. Für alles."

“Da gibt es nichts zu danken, die Liebholde hat es gefügt.” Sein Blick wanderte kurz zu Meta und Gudekar. Dann grinste er. “Die beiden brauchen mich im Moment nicht. Wenn du magst, können wir der Göttin huldigen.”

Merle lächelte sanft. "Ich bin durchaus versucht... glaub mir. Dennoch denke ich, dass ich jetzt gehen sollte. Ich möchte Gudekar und Meta die Zeit für sich geben, die sie brauchen." Sie wandte sich an die beiden Liebenden. "Ich gehe ohne Gram und wünsche euch viel Freude in Rahjas Paradies. Dennoch, Gudekar", sie blickte ihren Mann ernst und durchdringend an, "...lass' uns nachher offen reden. Es ist einiges zu klären, oder?" Ein kurzes, wehmütiges Lächeln erschien auf ihrem blassen Gesicht, dann umarmte sie erst Meta und dann Gudekar. "Ich bin froh, dass wir uns hier, an diesem Ort der Harmonie, begegnet sind."

Der Anconiter blickte seine Frau dankbar an. “Ich danke dir, Merle”, flüsterte er. “Ich hatte solche Sorge, es dir zu sagen. Ja, lass uns nachher in Ruhe miteinander reden. Es gibt viel zu besprechen. Ich möchte, dass du endlich Klarheit erhältst.” Er blickte wehmütig zu Merle.

Sie nickte mit ausdrucksloser Miene. “Es geht nicht nur um Klarheit. Auch darum, wie und unter welchen Bedingungen wir unseren Bund fortführen.”

Gudekar schluckte. Da war wieder der Kloß in seinem Bauch. Ja, auch darüber mussten sie reden. „Ja, ich weiß. Aber dabei geht es nicht nur um uns.“ Er blickte zu Meta, die den Wortwechsel der beiden still aber mit kritischem Blick verfolgte. „Es geht auch um die Wünsche und Bedürfnisse von Meta. Sie ist ein Teil von mir und auch ihre Gefühle darf ich nicht verletzen.“

Sie hob leicht ihre Augenbraue, sagte aber nichts weiter dazu. Hier war nicht der richtige Rahmen für dieses Gespräch. Mit einer zarten Handbewegung streifte sie Gudekars Gesicht und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Dann schenkte sie Meta und Rahjel ein flüchtiges Lächeln und erhob sich, um ihr Kleid zu richten.

“Ich werde dich nach draußen bringen”, sagte Rahjel und brachte Merle zum Vorhang. “Vergesse nicht, Rahja ist mit dir.” Dann küsste er sie noch einmal und ließ sie gehen.

Dankbar nickte sie dem Geweihten zu und griff schnell nach ihrem Mantel und ihrer Tasche. Als sie im Windfang allein war, schloss sie für einen Moment die Augen und atmete tief durch. So viele Gedanken und Gefühle schwirrten in ihrem Kopf herum; die nachklingende Euphorie von Rahjas Nähe und dem Tharf in ihrem Blut, gemischt mit den wieder aufflackernden Sorgen und Ängsten. Als die Geräusche des Liebesspiels sich hinter ihr intensivierten, schluckte sie bitter und presste die Lippen zusammen. Sie versuchte die Gefühle wieder heraufzubeschwören, die sie eben noch erfüllt hatten - Verständnis, Harmonie, Liebe. ‘Es ist alles gut’, versuchte sie sich einzureden, ‘wir werden einen Weg finden.’ Merle zog ihren Mantel wieder an, gönnte sich noch einige lange Atemzüge und öffnete die schwere Eichentür nach draußen.

~ * ~

Wieder zu zweit

(11:00)

Gudekar wandte sich wieder zu Meta. “Du bist so lieb und verständnisvoll. Ich liebe dich.” Er gab ihr einen weiteren Kuss. “Ich begehre dich, komm jetzt zu mir, jetzt bin ich allein dein. Du bist so wunderschön, ich liebe es, deinen Körper auf meinem zu sehen, jede deiner Muskeln, dein Gesicht, dein Haar. Das hast du heute besonders schön geflochten. So, wie deine Haare ineinander geflochten sind, so möchte ich jetzt unsere Körper miteinander verflechten. Komm, führe mich auf den Pfad zu Rahjas Glückseligkeit!" Zärtlich streichelte er mit dem Handrücken ihre Wange, wanderte zu ihren Haaren und zeichnete mit dem Zeigefinger den Verlauf der geflochtenen Haare nach. „Es ist mir einerlei, ob du uns je wirst Kinder schenken können oder nicht. Das Entscheidende ist, dass wir uns haben.“

Meta lächelte leicht und fuhr sich über das Haar. „Von Imelda. Sie ist einfach außergewöhnlich. Lieb und hübsch. Meine beste Freundin“, fügte sie noch stolz hinzu. Dann nahm sie Gudekars Hand, massierte seinen Daumenballen, doch lächelte sie nicht mehr. „Sie mag dich und unsere Beziehung. Imelda ist die Einzige und das half mir. Sie würde mich nicht hintergehen.“

„Aber lass uns wieder zu uns beiden kommen. Wenn wir heute Zeit haben, dann besprechen wir, wie es weitergeht. Hm ja... und wie es dir Freude bereitet hat.“

Meta nahm seine Hand und führte ihn zu einer bequemen Stelle mit Decken und Kissen. „Es wurde schon so viel geredet, jetzt lass endlich Taten folgen. Ich war so nah dran, mich mit mir zu beglücken, da ich so wuschig war.“ Sie fühlte sofort die Erregung und wollte ihn endlich so haben, wie sie es sich schon am Anfang gewünscht hatte.

Gudekar folgte ihr und legte sich seitlich neben sie. Er legte seinen Zeigefinger auf ihre Lippen. “Psst, mein Schatz! Jetzt ist nicht die Zeit zu reden. Schließe deine Augen und entspann dich!“ Der Magier begann sanft und ganz langsam ihren Körper mit zärtlichen Küssen zu bedecken. Er begann auf ihrer Stirn und wanderte dann langsam immer tiefer.

Meta schloss die Augen und war so glücklich wie noch nie in diesem Tal. Endlich konnten sie sich alleine aufeinander konzentrieren, zärtlich und hingebungsvoll, so wie Gudi es liebte. „Das ist schön, ich werde genießen und du auch. Zart und nicht so wild und laut, wie vorhin“, sie grinste selbstsicher. „Und jetzt rede ich nicht mehr, sondern spüre nur.“

Gudekar übersäte Meta mit Zärtlichkeiten am ganzen Körper. Seine Küsse, sein warmes Atmen konnte sie auf ihrer Haut spüren, so dass sich alle Härchen aufstellten und sie eine wohlige Gänsehaut bekam. Immer wieder kitzelte es sie, so dass ein leises sanftes Lachen ihre Kehle verließ.

Und so verbrachten die beiden eine Zeit voller Hingabe und Zärtlichkeit zu zweit.

***

Nachdem Merle den Schankraum verlassen hatte, schaute der Rahjageweihte Rahjel sich im improvisierten Raum des Schreines um und suchte die junge Novizin Zaina. Doch bis auf das lustvolle Gestöhne der Liebenden deutete nichts darauf hin, dass noch jemand da war. “Schülerin der Leidenschaft?”, fragte er in den Raum. Niemand antwortete oder zeigte sich. Dann ging er zu einem der geschlossenen Fenster und öffnete es ein wenig. Tief sog er die frische Luft ein. Nochmals suchte er nach dem jungen Mädchen. Kurz zuckte er mit den Schultern und kehrte zu den Vereinigten in den abgetrennten Raum zurück.

***

Metas und Gudekars Bund war trotz der Störung durch Merle geschlossen worden, und am Ende konnten die beiden doch noch eine innige Zeit zu zweit im Rahjaschrein genießen und sich ihre leidenschaftliche Liebe beweisen. Nachdem sie den Höhepunkt ihres Bundschlusses gemeinsam und mit durch den Tharf geschärften Sinnen erreicht hatten, fielen sie nebeneinander auf die Kissen und blieben eine Weile still und reglos in wohliger Erschöpfung nebeneinander liegen.

Als Rahjel das Gefühl hatte, den beiden genug Ruhe gegönnt zu haben, kam er wieder zu ihnen und reichte ihnen ihre Kleider. Sein Blick war glasig und es war offensichtlich, dass er entrückt war. Mit seiner rechten Hand wuschelte er den beiden durch ihre Haare. ”Ihr habt der Göttin wohl getan. Doch nun geht und genießt diese Hochzeit. Und seid gewiss, ihr macht es als Liebespaar. Rahja mit euch!” Dann küsste er beide auf den Mund und führte sie zu einer zweiten Tür aus dem Raum, die direkt in das Treppenhaus des Brauhauses führte. Dann kehrte er zum Schrein zurück.

Durch die geschlossene Tür der Brennkammer,  die direkt gegenüber der Tür in den Schankraum lag, hörten sie die Stimmen von Kalman und Ativana. Meta nahm Gudekar an die Hand und zog ihn auf leisen Sohlen die Treppe hoch in ihr Zimmer.

~ * ~

Geschlossene Gesellschaft

(10:40)

Imelda hatte die Schmiede verlassen und lief mit rasendem Herzen auf den Gästeeingang des Brauhauses zu. Sie beeilte sich, nicht nur wegen des Regens, der zwar etwas nachgelassen hatte, aber immerfort stetig vom Himmel fiel. Nein, auch, weil sie ankommen wollte, bevor sie der Mut verließ und ihre Entschlossenheit ins Wanken geriet. Was würde wohl Meta sagen, wie würde sie reagieren, wenn Imelda auftauchte, um den Bund, auf den sich ihre Freundin so gefreut hatte, zu verhindern.

Als Imelda das Brauhaus erreichte, sah sie auf einer Bank direkt an der Hauswand Gwenn, Gudekars Schwester sitzen. Das Vordach des Hauses hatte einen solchen Vorsprung, dass Gwenn fast im Trockenen saß, lediglich ihre Knie wurden von Tropfen, die vom Dach fielen, nass.

„Travia zum Gruße!“ rief Gwenn der jungen Frau zu. „Ihr seid die Schmiedin aus Schweinsfold, richtig? Es freut mich, dass Ihr auch den Weg nach Lützeltal gefunden habt.“ Gwenn schaute in die Richtung, in die Gwenn gerade gehen wollte. „Falls Ihr der schönen Göttin huldigen wollt, ist das wohl gerade ein schlechter Zeitpunkt.“

“Ach, hallo!”, rief Imelda der Lützeltalerin entgegen. “Ja, genau. Imelda von Hadingen, wir waren neulich gemeinsam beim Pelura. Vielen Dank für die Einladung zur Hochzeit”, sie zögerte kurz, um nicht unhöflich zu wirken, wandte sich dann aber abrupt der Tür zu, “...aber ich muss da ganz dringend rein zu meiner Freundin!” Imelda legte die Hand auf die Klinke, traute sich jedoch noch nicht, diese herunterzudrücken. “Ähhh, Ihr wisst, was hier gerade passiert?”

Unauffällig hatte sich Gwenn etwas gedreht und ihren linken Fuß so zwischen Tür und Sitzbank gestellt, dass die Tür verkeilt war, falls Imelda tatsächlich versuchte, sie zu öffnen. Fragend schaute sie die Geweihte an. „Wieso? Was passiert denn dort gerade?“ tat sie unwissend.

“Wieso ist es denn gerade ein schlechter Zeitpunkt?”, fragte Imelda genervt und beschloss, trotz aller Höflichkeiten ihre Aufgabe zu erledigen.

„Nun, das ist da drin eine geschlossene Gesellschaft“, antwortete Gwenn äußerst unpräzise. Sie fragte sich, was Imelda wohl wusste.

Stirnrunzelnd erblickte diese den Fuß, welchen Gwenn vor die Tür gestellt hatte. “Die beiden machen den größten Fehler ihres Lebens! Ich muss sie aufhalten!”, rief sie mit sehr ernster, energischer und lauter Stimme.

„Wer macht welchen Fehler?“ fragte Gwenn, machte aber keine Anstalten, ihren Fuß zu bewegen. "Und wie wollt Ihr das verhindern?“

Imelda schnaubte auf Gwenns Frage, wie sie es verhindern wolle. Als ob sie das wüsste! Dann haute sie spontan gegen die Tür: “META, ÖFFNE DIE TÜR! ICH BIN ES!!!” Als diese sich nicht sofort auftat, dachte Imelda noch einmal nach und ging in die Offensive: “Ihr habt doch Euren Bruder hier reingehen sehen, oder? Ich handle nur im Interesse der Ehre Eures Hauses. Ich versuche quasi, auch Euch zu helfen. Ich sollte da rein und…”, sie sah erwartungsvoll Gwenn an.

Gwenn schüttelte verständnislos den Kopf, „Ihr wisst, dass die schwere Eichentür nur in den Windfang führt? Im Schankraum kann man Euch nicht hören.“ Sie musterte Imelda von oben bis unten. „Ihr seid doch die gute Freundin, die Mika in Ishna Mur damals den Floh ins Ohr gesetzt hat, Meta und Gudekar seien so ein tolles Paar und müssten unbedingt zusammen sein. Wie kommt nun der plötzliche Sinneswandel?“

“ICH!?” Imelda sah Gwen aufgewühlt an. “Es war Mika, die von Meta geschwärmt hat, ohne diese wirklich zu kennen. Sie war ganz besessen davon, endlich die Frau kennenzulernen, die Euren Bruder so glücklich macht. Ich habe Mika ja gleich gesagt, dass Meta immer noch auf… ähhh…”, Imelda lief leicht rot an, “...immer noch ihre Schwertleite ablegen muss.” Die junge Hadingerin trat von der schweren Tür weg und setzte sich resigniert neben Gudekars Schwester. “Also, du wusstest davon? Die ganze Zeit, nehme ich an? Ich weiß ja, wie gut Mika Geheimnisse für sich behält.”

Gwenn kräuselte die Stirn und pustete resigniert aus, nachdem sie ihren Fuß von der Tür genommen hatte. „Ja, viel zu lange schon. Und ich habe versäumt, etwas dagegen zu tun, weil ich mich zu sehr um meine Angelegenheiten gekümmert hatte. Ich dachte, das ist eine Phase bei ihm und gibt sich schon irgendwann wieder. Was für ein Irrtum!“ Sie blickte zu Imelda und lächelte. Imelda konnte das Lächeln nicht einschätzen. War es ein aufmunterndes oder ein schadenfrohes Lächeln? Vielleicht beides. „Aber, nun wird sich das erledigt haben. Hoffe ich!“

“Hoffst du?”, fragte die Ingrageweihte mit hochgezogenen Augenbrauen nach. “Aber du sitzt hier doch nur rum! Sollten wir nicht hereinstürmen und sie aufhalten? Stell’ dir mal vor, was passiert, wenn dein Bruder es morgen herausposaunt und alle erfahren, dass er frevelt! Und es noch nicht mal bereut!"

„Wenn Merle das tut“, flüsterte Gwenn verschwörerisch zu Imelda, „was ich ihr geraten habe, dann sollte sich die Sache mit dieser Ritterin bald erledigt haben.“ Nun grinste die ehemalige Hofdame mit hochgestochenem linken Mundwinkel. „Und wenn sie das tut, was ich vermute, dann schon in wenigen Minuten.“

“Merle?!” entfuhr es Imelda erschrocken. “Merle ist da drin?? Sie weiß es?!” Mit entsetztem Blick starrte sie der zukünftigen Braut in die Augen. “Aber dann wird es Hauen und Stechen geben! Meta wird sie umbringen. Oder, schlimmer noch, Gudekar wird einen ganz bösen, schwarzmagischen Zauber sprechen und am Ende auf dem Scheiterhaufen enden! Wir müssen doch etwas tun!” Nachdem sie ein paar Mal tief durchatmet hatte, wandte sie sich mit irritiertem Blick an Gwenn: “Was soll das überhaupt für ein Komplott sein, das du Merle geraten hast?”

„Ich bin mir sicher, dass Merle ihren Mann im Rahjaschrein vor den Augen seiner Geliebten verführen wird.“ Gwenn wartete auf Imeldas Reaktion, doch bevor diese antworten konnte, ergänzte Gwenn: „Wenn Ihr wollt, geht hinein und stört die traute Dreisamkeit.“

“Verführen? Wie denn verführen…” murmelte Imelda verwirrt. Sie grübelte kurz nach und versuchte sich das Gesagte bildlich vorzustellen, dann schoss ihr schlagartig die Röte ins Gesicht. “Vor Metas Augen?! Aber das wird ihr das Herz brechen! Meta ist doch so eifersüchtig!” Verzweifelt zerrte Imelda in ihren ungekämmten, vom Schmieden rußigen Locken herum. “Andererseits, wenn sie sich dann den Unsinn mit Gudekar endgültig aus dem Kopf schlägt…” Die Geweihte seufzte bedrückt und rechnete schon halb damit, dass Meta gleich weinend und schluchzend aus der Tür stürmen würde. Entschlossen nickte sie Gwenn zu. “Dann werde ich als gute Freundin bereitstehen, um sie zu trösten!” versprach sie feierlich und zeigte Gwenn ihre Tasche. “Hier hab ich eine richtig gute Flasche Met drin - Trinken wird ihr bestimmt helfen! Danach hole ich ihr irgendwas Süßes zum Naschen und auf dem Fest werden wir tanzen bis zum Morgen! Das hilft doch bei Liebeskummer, oder?” Ratsuchend blickte sie zu Gwenn, hatte sie selbst doch leider - oder glücklicherweise - in ihrem bisherigen Leben noch keinen erlebt.

“Ein Schluck guter Met hilft immer.” Neidisch schaute Gwenn auf die Tasche. Ihr würde jetzt ein Schluck ebenfalls gut tun und ihre eigene Anspannung lindern. Imelda hatte einige Schwachpunkte in dem Plan genannt, einige Unwägbarkeiten. Dass Merle auf Meta losgehen würde, das glaubte Gwenn nicht. Aber wie würde die Ritterin reagieren? Hatte sie womöglich ihr Schwert griffbereit und würde etwas Unüberlegtes tun, wenn sie tatsächlich so eifersüchtig ist? Und wie würde dann Gudekar handeln? Würde er tatsächlich einen Schadzauber auf eine der beiden Frauen wirken? Gwenn konnte sich das nicht vorstellen. Ausschließen wollte sie es aber auch nicht. So oder so, hier und heute würde der Spuk enden. Entweder Merle hätte Erfolg, was Gwenn zutiefst hoffte, oder allen würden zumindest endlich die Augen geöffnet. Und wenn es ganz schlimm endete? Nun, dann würde Gudekar vermutlich auf dem Scheiterhaufen landen. Sie würde ihn vermissen. Aber er hätte es sich selbst zuzuschreiben.

Um sich von ihren düsteren Gedanken und ihren Selbstvorwürfen, nicht früher gehandelt zu haben, abzulenken, antwortete sie auf Imeldas Frage. “Liebeskummer?” Liebeskummer – war das nicht etwas für naive junge Hühner? “Ich habe noch keinen Mann kennengelernt, der es wirklich wert gewesen wäre, seinetwegen in Liebeskummer zu zerfließen.”

Imelda bemerkte Gwenns gierigen Blick und klammerte ihre Tasche zunächst besitzergreifend an sich, dann besann sie sich, da sie es immerhin mit der Braut zu tun hatte. So kurz vor der Hochzeit mit diesem ganzen Ungemach konfrontiert zu werden, war für Gwenn sicherlich auch nicht leicht… Seufzend zog Imelda die Metflasche und einen kleinen Holzbecher heraus, befüllte diesen und reichte ihn Gwenn; dann goss sie einen großzügigen Schluck in ihr Trinkhorn. “Na ja, ein Schlückchen zur Beruhigung, was? Und natürlich auf deinen Festtag morgen.” Sie prostete Gwenn kurz zu, trank von dem Met und starrte einen Moment schweigend ins Leere. “Ich hab noch keinen getroffen, nach dem ich mich so verzehre, dass ich alles für ihn aufgeben würde. Ein bisschen beneide ich Meta und Gudekar um diese starken Gefühle - aber im Grunde halte ich das alles doch für ziemlichen Wahnsinn.” Nachdenklich wandte sich Imelda zu Gwenn und blickte ihr in die Augen. “Was wird die Familie tun, wenn er seine Affäre mit Meta wirklich öffentlich macht? Dann gilt er doch als Verbrecher, wird verfemt und verstoßen, oder? Hast du nicht Angst, deinen Bruder auf diese Weise zu verlieren?”

Gwenn hielt den Metbecher wortlos in der Hand. Nach einer Weile sagte sie: „Den Männern kann man grundsätzlich nicht trauen. Nimm dir von ihnen, was sie dir geben können, aber erwarte nicht mehr.“ Sie kippte den Met hinunter. „Kalman wird ihn vom Hof jagen. Und Vater wird es das Herz brechen.“ Sie machte eine Pause. „Ich hatte so gehofft, wenn er hier auf Merle trifft, würde er zur Vernunft kommen, zu ihr zurückkehren und diese Ritterin verlassen.“

“Mmmhhh…”, gab Imelda betrübt von sich. Die Vorstellung, Meta würde einfach so ihre Affäre mit Gudekar beenden, wollte ihr nicht in den Sinn. Wenn es endete, dann ganz, ganz übel… Dass dies morgen ein harmonisches, fröhliches Traviafest werden würde, rückte für sie in immer weitere Ferne. Die Geweihte nahm einen Schluck aus dem Methorn und starrte auf den Boden vor sich. “Wobei ich schon an die große Liebe glaube… Selbst wenn viele Männer nichtsnutzig sind, dann muss man vielleicht länger auf den Richtigen warten oder… ihn finden. Ich bin überzeugt, dass es die Art von Liebe gibt, die wirklich perfekt ist und bei der man unendlich glücklich bis ans Ende aller Tage zusammenlebt.” Imelda überlegte, ob sie ein solches Paar kannte, doch fiel ihr auf Anhieb niemand ein. Ihre Eltern waren wohl glücklich gewesen, doch endete ihr Leben viel zu früh. “Naja, ich denke, ich lasse mir Zeit, den Richtigen zu finden. Denn noch schlimmer als niemanden zu haben ist es, den Falschen zu finden. Zumindest kommt es mir so vor.” Fragend und ein bisschen besorgt, dass die Braut nun auch noch kalte Füße kriegen könnte, schaute sie zu Gwenn. “Aber der Rhodan ist schon ein guter Mann, oder nicht?”

“Der Rhodan?” fragte Gwenn. “Nun ja, ich denke, er ist schon in Ordnung. Eigentlich kenne ich ihn ja kaum. Aber ich habe das Gefühl, er könnte mir noch ganz nützlich werden. Und bis dahin werde ich meinen Spaß mit ihm haben und ihn glücklich machen.” Gwenn schmunzelte, als sie an ihre gemeinsamen Nächte zurück dachte. “Ich hätte es deutlich schlechter treffen können.”

Imelda nickte zufrieden. “Ich hoffe, dass du glücklich wirst”, sagte sie und trank einen weiteren Schluck des Mets. “Extra viel Honig, das hilft immer, wenn man mal traurig ist.” Bei den letzten Worten dachte Imelda wieder an Meta. Sie hoffte, dass es ihrer Freundin gut ging da drinnen. “Was meinst du? Sollten wir geduldig warten oder mal Mäuschen spielen?”

“Ich weiß nicht.” Gwenn dachte nach. “Es läuft jedenfalls anders, als Merle und ich geplant hatten. Eigentlich hätte sie schon längst wieder raus sein sollen. Da ich kein Gekreische gehört habe, halte ich das für ein gutes Zeichen. Vielleicht sind sie ja gemeinsam Rahjas Verlockungen erlegen. Dann sollten wir sie nicht stören. Oder sie reden miteinander. Dann hat Merle sicherlich auch schon so gut wie gewonnen. Sie wird Gudekar sicher zurückbekommen. Hoffentlich. Was denkt Ihr, Euer Gnaden?”

Schritte näherten sich den beiden Wartenden. Es waren schwere Reitstiefel, und der Schritt hörte sich nach dem einer Kriegerin an. Als Imelda und Gwenn zu der Kriegerin blickten, sahen sie die Plötzbognerin Herlinde von Kranickau auf sie zukommen. Die Geleitschützerin sah nicht sehr fröhlich aus. “Hohe Dame von Weissenquell! Ich habe schon seit gestern nach Euch gesucht. Ihr wisst, dass es meine Aufgabe ist, an Eurer Seite zu stehen, egal wohin Ihr geht. Ihr hättet gestern nicht einfach weggehen dürfen, ohne mich zu informieren. Und spätestens heute früh hättet Ihr Euch bei mir melden müssen. Hätte dieser Bernhelm nicht zur frühen Stunde gemeldet, dass Ihr wohlbehalten im Forsthaus übernachtet habt, hätte ich Alarm geschlagen und nach Euch suchen lassen. Und dann kommt Ihr zurück ohne Euch bei mir zu melden, und ich laufe unnütz in den Forst, nur um dort zu erfahren, dass Ihr längst zurück seid. Das ist viel unnütze Zeit, in denen Euch hätte etwas passieren können. ”

Gwenn verdrehte die Augen in Richtung Imelda. “So geht das, seit ich hier angekommen bin. Nicht mal auf den Abort lässt sie mich alleine gehen”, raunte sie Imelda zu. Dann wandte sich die Weissenquellerin an Ihre Bewachung. “Gute Frau, Ihr seid nicht mein Vormund. Ihr dient mir, nicht ich Euch. Ich bin Euch keine Rechenschaft über meine Schritte schuldig.”

“Das ist richtig, Ihr dient nicht mir. Aber ich diene zur Zeit Eurem Vater und Eurem Bruder. Und seine Wohlgeboren hat mir aufgetragen, stets für Eure Sicherheit zu sorgen. Wenn Euch nun gestern Nacht oder heute früh etwas zugestoßen wäre, dann wäre das auf mich und damit auf das Schutz-Unternehmen, dem ich angehöre, zurückgefallen.” Die Wachfrau machte nicht den Eindruck, dass sie sich einfach abwimmeln lassen würde. Hier ging es auch um ihre Ehre der Erfüllung ihrer Dienstpflicht. Da spielte die Abenteuerlust der aufsässigen Hofdame keine Rolle.

“Was sollte mir denn hier geschehen? Habt Ihr Angst, einer meiner Hochzeitsgäste könnte mich belästigen? Oder dass ich auf dem Weg zur Jagdhütte von der Brücke in den Lützelbach falle? Macht Euch nicht lächerlich. So sicher, wie zur Zeit hier in Lützeltal kann ich doch nirgends sein.” Gwenn war genervt von der Übervorsicht ihrer Geleitschützerin. Sie hätte die Frau schon längst zurück nach Elenvina geschickt und das gesparte Geld für interessantere Dinge ausgegeben.

Die Plötzbognerin zog den Mundwinkel nach unten und schüttelte verständnislos den Kopf. “Ihr wisst genau, vor wem sich Euer Vater sorgt.”

Die Hadingerin musterte die beiden Damen still und nahm einen weiteren Schluck aus ihrem Metbecher. War die Gefahr tatsächlich so groß? “Gibt es denn Hinweise, dass ein Attentat oder ein Anschlag bei den Feierlichkeiten passieren könnte?” Imelda biss sich unsicher auf die Unterlippe. “Wisst Ihr, ich war schon auf Hochzeiten, da sind Dinge passiert…”

„Ach, Quatsch!“ warf Gwenn gleich ein, bevor die Wachfrau etwas sagen konnte. „Das ist alles Paranoia. Vor eineinhalb Götterläufen hat Gudekar wohl in Elenvina gehört, dass ein Mann, der vielleicht dieser Pruch sein könnte, eventuell den Weg von Unkenau nach Süden eingeschlagen haben könnte, was ihn ins Lützeltal führen könnte, wenn er nicht in Hart bliebe oder umkehrte. Seit dem sind Vater und Kalman durchgedreht. Aber es ist nichts passiert hier in Lützeltal seit dem, woanders jedoch wohl schon. Ich kenne mich da auch nicht so aus. Aber alle wollen, dass mir jetzt vor der Hochzeit diese Kriegerin nicht mehr von der Pelle rückt. So ein Unsinn.“

„Eure Familie ist einfach nur besorgt um Euch. Euer Vater will nicht, dass Euch etwas passiert. Er liebt Euch“, gab die Plötzbognerin zu bedenken.

„Papperlapapp.“ Gwenn war nicht begeistert. „Ich will nicht ständig überwacht werden.“

„Bewacht!“ korrigierte Herlinde.

“Na, dann hoffen wir mal, dass dieser Pruch sich nicht blicken lässt die nächsten zwei Tage… Sonst bekommt er es mit einer schlecht gelaunten Ingrageweihten zu tun!”, versuchte Imelda die angespannte Situation etwas aufzulockern.

Die Plötzbognerin schaute Imelda besorgt an. Die Sorglosigkeit der jungen Geweihten beunruhigte sie. „Wisst Ihr überhaupt, über wen wir hier reden, Euer Gnaden?“

Imelda nickte ernst. "Natürlich!", rief sie der Frau entgegen. "Bei der Schweinsfolder Hochzeit hat doch der Pruch die Suppe vergiftet. Und den Ganterwald ermordet." Die Hadingerin musterte die Plötzbognerin eindringlich. "Also, Ihr rechnet mit einem Vorfall hier bei den Feierlichkeiten? Sollten wir uns wappnen?"

Diese schüttelte über Imeldas Antwort nur resigniert den Kopf. “Ich denke, es schadet nicht, wachsam zu bleiben.”

Es war deutlich, dass Gwenn diese Antwort nicht gefiel. “Wollt Ihr jetzt auch noch meine Gäste ganz wuschig machen? Reicht es nicht, dass der Mersinger ganz paranoid ist? Am besten sage ich wohl meine Hochzeit ab. Ist es das, was wollt?” keifte Gwenn die Wachfrau an. “Ich lass mir doch nicht meine Hochzeit von Euch kaputt machen.”

***

(11:00)

Die Plötzbognerin wollte gerade etwas erwidern und hatte bereits tief Luft dafür geholt, als sich eine weitere Person der kleinen Gruppe näherte.

Abrupt blieb die ältere Dame mit dem schönen Gehstock vor der Brauerei stehen. Baroness Caltesa von Immergrün ließ ihren Blick auf und ab über das Gebäude schweifen. Nur kurz gewährte sie sich ein Schmunzeln, während sie dem lauten und wilden Liebesgestöhne aus dem Inneren lauschte. Woher genau dieses kam, konnte sie nicht ausmachen. Als sie die Braut mit anderen Gästen auf einer Bank davor sah, zog sie die Augenbrauen hoch und tat so, als ob sie entrüstet wäre. “Viel konnte man nie erwarten von diesem Ort, doch das hier… was für ein Verfall”, sagte sie mit Absicht laut genug, dass jeder sie hören konnte. Bedauerlicherweise waren die Traviageweihten noch nicht eingetroffen. ´Wie schade, was für ein Spass das wäre´, dachte sie bei sich. Dann stapfte sie weiter.

Gwenn verdrehte die Augen ob des unfreundlichen Kommentars ihrer Großtante. Sie atmete tief Luft, um sich zusammen zu reißen und die Höflichkeit zu wahren. Schließlich gehörte es sich, die Dame zu grüßen, egal, was sie persönlich von ihr hielt.

Doch dann öffnete sich auch noch die Tür zum Schankraum der Brauerei. Gwenn drehte abrupt ihren Kopf und so blickte auch Herlinde dorthin, um zu schauen, wer den temporären Rahjaschrein verließ. Sie sah Merle, die Frau des Magiers, diesem eigenartigen, zwielichtigen Bruder ihres Schützlings.

Merle, die ihren dunklen Mantel wieder übergestreift hatte, verließ das Brauhaus mit abwesendem Gesichtsausdruck, in der Erwartung, nur Gwenn vor der Tür anzutreffen. Überrascht stellte sie fest, diese zusammen mit der Ingra-Geweihten und der Frau Herlinde zu sehen, dazu bemerkte sie, dass auch noch die Dame Caltesa gerade mit scheinbar angewiderter Miene vorbeiging. Überfordert von der Menge der Anwesenden nickte Merle allen nur höflich zu und schickte sich an, schnell in Richtung des Gutshofes zu eilen.

Einen Moment lang wog Gwenn ab, ob sie besser Caltesa begrüßen oder lieber Merle folgen sollte. Da Caltesa sowieso stets deutlich machte, wie wenig sie von ihrer Lützeltaler Familie hielt, entschied sie sich, Merle zu folgen, um sie vielleicht etwas ungestörter befragen zu können. Sie sprang von der Bank auf und eilte ihrer Schwägerin hinterher. “Entschuldigt mich, Euer Gnaden, ich muss mich um Merle kümmern.”

Gwenns Begleitschützerin folgte ihr prompt und kommentarlos.

Imelda saß angespannt auf der Bank vor der Gaststube und es wurde ihr schlagartig klar, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag. Es mussten wohl Meta und Gudekar sein, welche sich dem Liebesspiel hingaben, während zeitgleich seine Gemahlin von Scham gezeichnet den Ort verließ. Als die Hadingerin den missbilligenden Gesichtsausdruck der Immergrünerin sah, spürte sie, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. Instinktiv wäre sie Merle umgehend gefolgt, doch der Umstand, dass diese ja wusste, dass sie mit Meta befreundet war, ließ sie peinlich berührt fast im Boden versinken; am liebsten hätte sie sich in einem Mauseloch verkrochen. Nachdem Gwenn und die Plötzbognerin Merle hinterher eilten und das Geräusch der Liebenden selbst für die Schwerhörige zu vernehmen war, sprang Imelda auf und rannte mit Tränen in den Augen in Richtung der Schmiede. Warum nur war sie nicht bei Meister Limrog geblieben? Sie wollte nur noch mit Wut auf Metall eindreschen und rannte immer schneller, so dass sie die Schmiede völlig außer Atem erreichte.

~ * ~

Einkauf auf dem Markt

(Zweite Hälfte der Ingerimmstunde, 10:40)

Das Frühstück im Gutshaus hatte sich bis in die Mitte der Ingerimmstunde hingezogen. Der Regen hatte etwas nachgelassen, so dass bei angemessener Kleidung ein Spaziergang durch das Dorf nach der stickigen Luft im Speisesaal des Gutshaus angenehm war.

Nach dem auskömmlichen Frühstück schlenderte Rhodan Herrenfels über den Markt. Rhodan hatte sich fest vorgenommen, am heutigen Tag keine Geschäfte zu machen - dies wäre dem Anlass nicht entsprechend gewesen. Doch hielt ihn das nicht davon ab, zu sehen, was die Bürger Lützeltals zum Verkauf feil boten. Schließlich war zu erwarten, dass heute nur die besten Waren verkauft würden; unter den Augen ihres Lehnsherren würden sich auch die dreistesten Bauern nicht trauen, Schrott auf ihre Verkaufstische zu legen. Neugierig guckte sich der große Mann um, ohne gezielt nach etwas zu suchen. Vielleicht ein Geschenk für seine Verlobte?

Es war für den erfahrenen Kaufmann schnell zu erkennen, dass neben den Ständen der einheimischen Bauern und Handwerker auch einige fahrende Händler ihre Zelte auf dem Markt aufgeschlagen hatten. Diese hatten die deutlich edleren und ausgefalleneren Waren im Angebot als die Einheimischen, die ihr Angebot mehr auf lokale Spezialitäten und einfachere, wenn auch hochwertige Handwerkskunst beschränkten. Es gab einen Tuchhändler mit edlen Stoffen, die sich ein einfacher Bauer wohl kaum leisten konnte, und wenn, dann höchstens einmalig zum Traviabund seiner Tochter. Ein Schneider bot einfache, aber auch festliche Trachten an, ebenso wie verschiedene Arten Schmuck. An einem anderen Stand gab es Kräuter, Tees und Gewürze aus allen Regionen Aventuriens - zumindest nach Aussage des Händlers, der dies immer wieder laut zum Ausdruck brachte. Daneben war vor einem Wagen ein Tisch mit exotischen Süßwaren und feinstem Räucherwerk aufgebaut. Ein weiterer Stand bot Gegenstände des alltäglichen Lebens an, die in Lützeltal selbst nicht produziert und auch von den Bauern nicht selbst hergestellt werden konnten, wie zum Beispiel Töpferwaren. Denn eine Töpferei gab es in Lützeltal nicht.

Rhodan jedoch ließ die fahrenden Händler zunächst außer Acht, denn ihn interessierte mehr, was die Einheimischen feilboten. Mehrere Bauern hatten kleinere Stände improvisiert, teilweise lediglich auf ihren Handkarren aufgebaut und mit Wachstüchern gegen den Regen geschützt. Die meisten der Bäuerlichen boten die Spezialitäten des Tales feil. Räucherschinken und Würste, Hart- und Räucherkäse, Honig und eingelegte oder gedörrte Früchte. Es gab Felle und Lederwaren, und an einem kleinen Tisch sah Rhodan einen älteren Mann sitzen, der an einem Holzstück schnitzte. Vor ihm aufgebaut war eine Vielzahl von schönen und praktischen Dingen. Besonders einige Holzfiguren mit Darstellungen verschiedener Götter und Heiliger fielen dem Kaufmann ins Auge. Schließlich gab es noch einen Stand eines Lützeltaler Krämers, der ein gemischtes Sortiment mit Waren verschiedener Dorfbewohner feilbot. Dort fanden sich Trinkhörner und Hornpfeifen ebenso wie Schnäpse der Brennerei, aber auch Käse, Wurst und Schinken.

“Guter Mann, womit kann ich dienen?” - “Mögt Ihr einmal von diesem Käse probieren, Hoher Herr?” - “Ihr benötigt sicherlich für den anstehenden Winter neue warme Handschuhe und einen Schal. Alles aus der besten Schafwolle.” So und ähnlich wurde Rhodan überall angesprochen.

Warme Kleidung hatte der ersichtlich Gutbetuchte dem Grunde nach genug, doch waren gute Felle in Rodaschquell Mangelware. Rosenhain war klein und hatte kaum eigene Jagdgründe. Die Elfenherrin der umliegenden Ländereien sah die Schlachtung von Tieren nicht allzugern, weshalb Fell und Leder am Mersinger Hof Mangelware waren. Rhodan sah sich deshalb die Felle näher an und begutachtete die Qualität. Er beschnupperte die Ware, um festzustellen, ob die Gerbung fachgerecht durchgeführt wurde und nicht etwa unbehandelte Stellen faulten und deshalb stanken.

Scheinbar verstand der örtliche Kürschner sein Handwerk. Soweit Rhodan es erkennen konnte, waren die Felle und Leder von hoher Qualität. Er schaute sich den Stapel der großen und kleinen Felle an. Da waren zunächst gewöhnliche Schaffelle, Rinder- und Schweinehäute, aber auch Felle aus der heimischen Jagd, von kleinen wie Kaninchen-, Marder oder Dachsfellen bis hin zu ganzen Wildschweinfellen. “Interessiert sich der hohe Herr für etwas bestimmtes? Eine Dachspelzjacke für die werte Gattin vielleicht? Oder einen Hermelinschal? Das Fell dieser Tiere ist besonders weich am zarten Hals der Liebsten, anders als ein Schal aus Schafwolle, die oft kratzt.”

„Ein Hermelinschal, ja, das klingt angemessen!“, bestätigte Rhodan. Er suchte dabei einen besonders weißen Pelz, der zur gängigen Kleidung im Winter passen würde. „Darüber hinaus wäre ich an einer Fellkappe interessiert!“

“Hm, eine Fellkappe, selbstverständlich! Soll es farblich dazu passen? Oder soll sich diese eher abheben? Dann würde ich eine Dachsfellmütze empfehlen. Wollt ihr diese hier einmal aufsetzen, ob sie groß genug ist?”

„Gerne darf es einen Kontrast geben - die Kappe möchte ich tragen. Gebt sie mir, dann probiere ich sie an.“ Gesagt, getan. Obwohl der Kopf des Händlers groß war, passte die Kappe sehr gut - als wäre sie quasi für ihn gewachsen. Dennoch gab der gewiefte Handelsmann vor, dass die Kappe nicht die ideale Passform hätte. Nachdem er zwei weitere Mützen anprobiert hatte, kehrte er zu der Dachsfellkappe zurück. „Naja - was wollt Ihr für dieses Stück haben, guter Mann? Und für den Schal selbstverständlich.“

“Also doch die Dachsfellmütze. Das ist eine gute Wahl! Sie stand Euch besonders gut und betonte Eure Autorität auf eine angenehme Art. Mit dieser Mütze auf dem Kopf wird man Euch stets Respekt zeigen, hoher Herr! Ihr habt Euch von der hohen Qualität der Felle überzeugt?” Der Händler versuchte Rhodan Honig um den Mund zu schmieren, um sein Interesse an dem Kleidungsstück zu stärken. “Ein Schal aus bestem Hermelin und eine Mütze aus Dachsfell. Drei”, rechnete er zusammen, “und drei und ein halber Dukat, das macht dann…”, er zählte zusammen, “na gut, sagen wir für Euch zusammen sechs Dukaten, weil es doch so ein freudiges Ereignis ist dieser Tage, wenn die Tochter seiner Wohlgeboren morgen heiratet.”

“Schließlich wird sie mich heiraten”, lächelte der Händler und wartete auf die Reaktion.

„Der werte Herr ist der Herr Bräutigam persönlich? Welch eine Ehre für mich!“ Der Kürschner verneigte sich vor Rhodan. Es hatte sich längst im Dorf herumgesprochen, dass die Edlentochter einen äußerst erfolgreichen und wohlhabenden Handelsherren heiraten sollte. Der Edle versprach sich dadurch langfristig neue Handelsbeziehungen und gute Geschäfte für seine Untertanen. Deshalb wollte der Mann Rhodan das Gefühl geben, einen Freundschaftspreis auszuhandeln, ohne dabei auf einen festlichen Gewinn zu verzichten. Dies war er seiner Familie, aber auch seiner Wohlgeboren schuldig. „Selbstverständlich wäre ich zur Feier Eurer Vermählung bereit, die beiden vorzüglichen Stücke für einen besonderen Preis von lediglich 5 Dukaten abzugeben. Wollt ihr vielleicht Eure zukünftige Gemahlin mit einer besonderen Pelzjacke erfreuen?“

Rhodans Gegenüber hatte wie erwartet angebissen. Manchmal brauchte es nur den richtigen Haken, dachte sich der Rosenhainer zufrieden. „Na, zur Feier des Tages! Zeigt her, was Ihr im Sinn habt!“

“Wie wäre es mit einem Pelzmantel aus dem Fell des Flussotters für die hohe Dame? Wie ich die junge Weissenquell kenne, würde ihr das sehr gefallen.” Gebbert Flusswieser hoffte, heute vielleicht noch ein weiteres weitaus lukratives Geschäft zu machen. “Oder sucht Ihr etwas ganz bestimmtes?”

„Nein, nichts Konkretes, sondern etwas Schönes. Meint Ihr, Ihr habt etwas, das besser zu dem Hermelinschal passt? Nicht ganz so kontrastreich?“

“Ihr sucht etwas ganz besonderes, habe ich recht. Etwas, was sonst nicht jeder seiner Braut zu schenken vermag, habe ich recht? Etwas, da ob seiner Seltenheit nicht überall zu erhalten ist? Habe ich recht.” Gebbert wurde immer aufgeregter. Sollte heute der Tag sein, an dem er dieses eine Stück endlich an den Mann bringen konnte, für dass er so lange die kleinen Felle ansammeln musste, um endlich genügend Material für einen Mantel zusammen zu haben?

„Ihr scheint es spannend machen zu wollen“, tat Rhodan gelangweilt. Der Gute hatte noch etwas in puncto Verkaufstaktik dazuzulernen. „Zeigt mir Euer Schmuckstück, dann werde ich sehen, ob es meiner Verlobten angemessen ist.“

„Wartet, hoher Herr!“ Gebbert bückte sich und zog unter dem Verkaufstisch eine Kiste hervor, die mit Wachstuch zugedeckt war, um sie vor dem Regen zu schützen. Als er die Kiste öffnete, holte er einen Mantel aus silbergrauem Feh hervor. „Es ist aus Kaiserhörnchen!“ präsentierte er stolz.

„Kaiserhörnchen sagt Ihr? Na, da brat mir einer einen Fuchs - wenn Ihr mich nicht auf den Arm nehmen wollt“, grinste Rhodan und ließ sich das Stück überreichen. Doch der Händler log nicht. Das war tatsächlich ein Kaiserhörnchenmantel - das letzte Mal hatte Rhodan so ein exquisites Stück in der Vinsalter Oper gesehen; auf den Schultern einer Comtesse.

“Und, habt Ihr Interesse an dem guten Stück? Ich erwarte noch vor dem Winter einen Handelsmann aus Albenhus, der sich für meine Ware interessiert. Ich denke, er wäre auch an diesem Stück interessiert.” Gebbert schaute Rhodan erwartungsvoll an, ließ dabei den Pelzmantel nicht aus der Hand, während Rhodan das Stück untersuchte.

„Das ist vom Preis abhängig, guter Mann.“

Der Flusswieser druckste ein wenig herum. Einerseits wusste er, was für ein wertvolles Stück er hier anbot. Andererseits wollte er den Herrn auch nicht verprellen, denn er hoffte, hier den Grundstein für weitere Geschäfte zu legen. “Also, Ihr wisst schon, was für eine Rarität dort gerade in Euren Händen liegt?”

“Deswegen frage ich nach Eurem Preis”, erwiderte Rhodan spitzfindig. “Sonst könnte ich Euch selbst sagen, was Ihr mir abverlangen würdet.”

Gebbert Flusswieser beugte sich zu Rhodan hinüber und hielt die Hand vor den Mund, in Richtung Rhodan Ohr gerichtet. “Hat die Kaiserin nicht ein wunderschönes Gesicht? Wäre solch ein besonderes Stück es nicht wert, dass ich mir göttergefällige dreimal zwölf mal ihr in Gold geprägtes Konterfei ansehen könnte?”

Rhodan lauschte dem Angebot, dann nickte er einen kurzen Moment. Man konnte meinen, dass er sich mit dem Preis einverstanden gab, doch antwortete er nur: „Das ist nur ein Stück, werter Herr. Nicht derer drei. Doch im Sinne des Füchsischen sollen es Dreimal Neun goldene Münzen sein.“

So sehr Gebbert auch versuchte, sich seine Freude nicht anmerken zu lassen, es gelang ihm nicht. Er hätte den Mantel auch für zweimal zwölf Dukaten hergegeben. „Einverstanden, 27 Dukaten für den Mantel und 5 für Mütze und Schal, macht dann deren 32. Und Ihr erhaltet drei exquisite Stücke.“

„Moment, das ist ein phexgefälliger Gesamtpreis, mein Herr. Ihr wollt doch nicht dem großen Fuchs freveln, indem ihr ‚obenauflegt‘, wenn seine heilige Zahl schon erreicht ist“, gab Rhodan zu bedenken.

Gebbert schüttelte den Kopf. „Ich dachte, wir verhandelten nur über den Mantel? Die anderen waren doch bereits besprochen. Wollt Ihr mich übervorteilen? Aber schön, Ihr wollt der Dame Gwenn eine Freude machen. Was der Herrin eine Freude ist, soll auch mir eine Freude sein. Dann einigen wir uns bei einer Summe von 30 Dukaten.“ Er sah langsam seinen lukrativen Gewinn dahin schmelzen.

„Gut, wir sind im Geschäft“, bestätigte Rhodan und streckte ihm die Hand hin, um das Geschäft zu besiegeln. Der Fellhändler hatte ein gutes Geschäft gemacht, das stand nicht in Rede. Aber auch er hatte einen guten, wenn auch teuren Schnitt gemacht. Hier ging fast ein Jahreslohn dahin - wenn man mal davon absah, dass Herrenfels bei Gelegenheit der Geschäfte für den Mersinger auch noch die eine oder andere Ocassion nutzte. Auf eigene Rechnung, verstand sich.

Freudestrahlend schlug Gebbert Flusswieser den Handschlag ein. “Es ist mir eine Freude! Ich werde die Pelze ins Gutshaus bringen lassen, wenn es euch recht ist?” Gebbert bückte sich und holte eine Steingutflasche sowie zwei kleine Becher hervor. “Wollen wir auf den Handel anstoßen?”

„Gerne!“

Gebbert goss den Schnaps ein und stieß mit Rhodan an. Es war dieser furchtbare Tannenwipfelgeist, den Rhodan schon vor ein paar Tagen von seinem zukünftigen Schwiegervater angeboten bekommen hatte. Die Öle der Tannennadeln in Verbindung mit dem hochprozentigen Alkohol brannten im Hals und Rachen bis in den Bauch. “Gut, vielleicht können wir auch in Zukunft Geschäfte machen, falls Ihr in Rosenheim Bedarf und Interesse an Pelzen habt?” “Bei den Zwölfen und ihrem langen Bart: Das machen wir!”, bestätigte Rhodan keuchend.

~ * ~

(Anfang Rahjastunde, 11:10)

Rhodan hatte sich eine Weile auf dem Markt umgesehen, als er von weitem seine Verlobte Gwenn den Dorfplatz am anderen Ende überqueren sah. Die Wachschützerin Herlinde von Kranickau hatte Gwenn also endlich gefunden und lief ihr hinterher, was Rhodan in Anbetracht der Panik, die auch die Weissenquells, aber vor allem sein Dienstherr Lares von Mersingen verbreitete, zutiefst beruhigte. Gwenn lief neben ihrer Schwägerin Merle, der Frau des seltsamen Magiers, vor dem ihn Herr Lares schon des Öfteren gewarnt hatte, nebenher. Aber für ihren Bruder konnte Gwenn ja nichts, dachte Rhodan. Die beiden Weissenquellerinnen unterhielten sich. Worüber konnte Rhodan durch das Markttreiben nicht hören.

Der feiste Händler entschloss sich, seiner Frau in spe zunächst unauffällig zu folgen. Er wollte ausloten, was sie gemeinsam mit ihrer Schwägerin besprach - schließlich hatte er versprochen, in Erfahrung zu bringen, was der Herr Magus für Schnitzer auf dem Kerbholz hatte. Eine zuvor erworbene Blume steckte er sich in den rechten Ärmel, dann würde er seine Verlobte überraschen können.

Trotz seiner Körpergröße und seiner guten Kleidung, die sich in Farbe und Stil von den übrigen Marktbesuchern abhob, gelang es dem Mann geschickt, in der Menge zu verschwinden. So blieb er in Hörweite und lauschte dem Gespräch der beiden Damen.

Und so konnte Rhodan einen Teil des Gesprächs mit anhören.

~ * ~

Alles hat sich geändert

(Anfang Rahjastunde, 11:10)

Merle hatte das Brauhaus verlassen und eilte zurück zum Gutshof. Die Frauen, die vor der Tür des Brauhauses standen, hatte sie ignoriert, denn sie war nicht in der Stimmung für ein Schwätzchen. Ihre Schwägerin Gwenn jedoch lief ihr hinterher, gefolgt von deren Wachschützerin Herlinde von Kranickau.

Merle sah die bohrenden Fragen in Gwenns Augen, wusste aber nicht, was sie zu ihrer Schwägerin sagen sollte. Ihre Gedanken gingen wild durcheinander; sie fühlte sich emotional ausgelaugt und erschöpft. Wie sollte sie das alles Gwenn erklären, noch dazu, wenn die Wachschützerin ihnen auf den Fersen war? Mit ausdrucksloser, wie versteinerter Miene stürmte sie schnellen Schrittes voran.

Gwenn lief ihrer Schwägerin hinterher und holte langsam auf. “Merle, warte! Ist alles in Ordnung? Erzähle mir, wie ist es gelaufen?” In Gwenns Stimme schwang ein Ton von mitfühlender Besorgnis mit, aber auch eine Spur von Neugier.

Herlinde folgte den beiden, hielt aber gebührenden Abstand. Sie behielt jedoch Gwenn genauso im Auge wie die Umgebung.

Merle schüttelte mit einem hastigen Schulterblick zu Herlinde den Kopf. "Nicht wie geplant. Ich meine, ich hab ihn schon… geküsst, aber…” Merles Gebaren wirkte unstet und leicht verwirrt, sie hetzte voran, auch um die Wachschützerin mehr abzuhängen. “Der Bund war schon geschlossen, als ich kam…” Als die Wirkung des Tharfs in der kühlen, feuchten Herbstluft mehr und mehr schwand, brachen die Emotionen sich ihre Bahn und Merle schossen Tränen in die Augen. Sie schluckte, bekam den bitteren Kloß aber nicht mehr aus ihrer Kehle heraus. “Sie haben sich vor Rahja vereinigt…”

Gwenns Augen wurden während Merles Bericht vor Schreck immer größer. Dann hielt sie Merle auf und schloss sie in den Arm. Mit sanfter Stimme versuchte sie zu trösten. “Vor deinen Augen? Das tut mir so leid. So etwas sollte eine Frau nicht sehen müssen.” Auch in Gwenns Augen bildeten sich Tränen.

Merle legte den Kopf kurz gegen Gwenns Schulter, seufzte traurig und versuchte, irgendwie die Fassung zu behalten. Dass Gwenn auch die Tränen kamen, half dabei nicht gerade. Sie unterdrückte ein Schluchzen und zwang sich, den Mund zu einem schwachen Lächeln zu verziehen. “Es war gut, dass der Geweihte dabei war. Und durch Rahjas Segen war alles irgendwie… friedlich. So konnten wir in einer geschützten Umgebung sprechen, ohne uns die Augen auszukratzen.”

„Meine arme Merle. Das tut mir so leid! Pass auf, ich werde da jetzt rein gehen und ihm sagen, er soll sich zu Lolgramoth scheren. Die beiden sollen heute noch Lützeltal verlassen. Und morgen sprechen wir mit deinen Eltern, was wir noch tun können.“ Gwenn war es zu viel mit Ihrem Bruder. Wenn er auf diese Art ihre Hochzeit stören wollte, dann konnte er ihr gestohlen bleiben.

"Warte, Gwenn." Beschwichtigend legte Merle ihrer Schwägerin die Hand auf die Schulter. “Gudekar hat zugestimmt, dass wir nachher offen reden. Das will ich noch abwarten, bevor ich die Pferde scheu mache." Ihr verzagter, verzweifelter Gesichtsausdruck bekam einen Zug von Entschlossenheit. "Wir werden verhandeln müssen, wie es weitergeht. Und er muss mir vernünftige Zugeständnisse machen."

Es wird gelauscht

Unbemerkt von Merle und Gwenn folgte ihnen Gwenns Verlobter Rhodan Herrenfels, der auf dem Markt nach guten Geschäften Ausschau gehalten und dann seine Verlobte entdeckt hatte. Er folgte ihnen unauffällig, aber so, dass er das folgende Gespräch mit anhören konnte.

Die Wachfrau Herlinde von Kranickau war aufmerksam genug, den Mann zu bemerken. Da er in ihren Augen jedoch keine Gefahr darstellte, sprach sie ihn nicht an. Er hatte ja wohl das Recht, seiner Zukünftigen zu folgen.

Gwenn blickte Merle skeptisch an. Doch das war eine gute Nachricht. Letztlich hatte Merle ihn mehr oder weniger in der Hand. Vielleicht konnte die Familie doch noch gerettet werden. “Das ist gut, denke ich. Sag ihm, wenn er dieser Ritterin nicht den Laufpass gibt, redest du mit Liudbirg und Reginbald. Er ist ein Feigling. Er wird tun, was du willst, um seine Haut zu retten.”

Merle nickte mit hart zusammengepressten Lippen. "Ich hab versucht, ihm klarzumachen, dass unser Traviabund unauflösbar ist. Und er hat sogar zugeben, dass er mich noch immer liebt, wenn auch nicht mit der gleichen Leidenschaft, die er für Meta hat. Ich denke, unter Umständen…", ihr Blick streifte nachdenklich über den Dorfplatz und sie atmete tief ein und aus,  "wenn - und ich betone wenn - ich mich dazu bereit erkläre, seine Gefühle für Meta und diese Liebschaft zu tolerieren, dann zu meinen Bedingungen." Merle wischte sich die Tränen aus den Augen. Die neu gewonnene Entschlossenheit half ihr, sich zu sammeln und ihre Gedanken zu ordnen. Sie seufzte leise. "Es ist wirklich unglaublich, mit welch absoluter Blauäugigkeit er hergekommen ist, oder? Was hat er denn bitte erwartet, das ich machen würde?! Sag mal, Gwenn", sie schaute ihrer Schwägerin ratsuchend in die Augen, "...meinst du, ich sollte einen unabhängigen Zeugen zu dem Gespräch dazuholen? Damit Gudekar nicht Versprechungen macht, die er nicht zu halten gedenkt?"

Das war eine interessante Frage, über die Gwenn einen Moment nachdenken musste. “Hm, an wen hättest du dabei gedacht? Es sollte niemand außenstehendes sein. Es ist besser, wenn so wenig Leute wie möglich davon Bescheid wissen. Außerdem muss es jemand sein, dem er vertraut, damit er sich nicht gleich verschließt. Da bleiben nicht viele übrig.”

"Vielleicht hole ich noch mal den Geweihten dazu, Seine Gnaden Rahjel. Er ist Gudekars Vetter und wirkte insgesamt recht neutral. Oder…", sie hob fragend die Augenbrauen, "...würdest du es vielleicht machen? Dir vertraut er auf jeden Fall." Merle zuckte mit den Achseln. "Eventuell könnte ich mir sogar vorstellen, Rhodan zu fragen. Ich denke, ich brauche jemanden, der sich mit geschäftlichen Verhandlungen, Verträgen und sowas auskennt…" Tatsächlich war Merles Stimme nun sehr nüchtern und emotionslos, fast geschäftsmäßig geworden. Sie straffte sich und setzte entschlossen ihren Weg ins Gutshaus fort, wenn auch weniger gehetzt als zuvor. Im Gehen warf sie Gwenn einen Seitenblick zu. "Aber ich weiß nicht, ob Gudekar das akzeptieren würde, mit ihm über seine Affäre, eheliche Pflichten oder dergleichen zu sprechen. Auch, wenn Rhodan jetzt zur Familie gehört. Was meinst du?"

Abwägend kratzte sich Gwenn an der Schläfe.”Ich weiß nicht. Rhodan ist ein integrer Mann. Aber gerade deshalb habe ich Sorge. Ihm sind die Werte Travias wichtig und teuer, das hat er Vater immer wieder versichert. Ich fürchte, er steht solchen Absprachen eher ablehnend gegenüber.” Und Gwenn hatte Sorge, dass diese Angelegenheit ein schlechtes Licht auf die ganze Familie, also auch auf sie, werfen würde. “Und was unseren Vetter Rahjel angeht, so denke ich, klingt dein Wunsch nach einer Vereinbarung doch zu sehr phexgefällig und zu wenig von Rahja geleitet. Insofern wäre Rhodan wohl doch der bessere Beistand. Ich könnte natürlich auf alle Fälle dabei sein, wenn du das möchtest.”

Merle dachte kurz nach. "Es ist sicher gut, den Kreis der Eingeweihten so klein wie möglich zu halten. So ein 'Arrangement' widerspricht dem Traviaglauben der meisten Leute hier… und auch allen Werten, mit denen ich aufgewachsen bin. Das ist mir schon klar." Sie seufzte resigniert. "Aber es scheint mir die einzige Möglichkeit, einen Weg für unser zukünftiges Leben zu finden, mit dem alle einigermaßen gut leben können."

Gwenn nickte. “Wenn du möchtest, frage ich Rhodan.”

"Ich denke drüber nach", nickte Merle. "Aber vielleicht reicht es, wenn du dabei bist. Es wissen schon viel zu viele Leute von Gudekars Untreue." Sie verzog unwillig das Gesicht. "Diskretion wird meine erste Forderung an ihn sein."

Gwenn lächelte. Das war auch, was sie wollte. Zumindest für die nächsten Tage. “Schön, wie du willst.”

“Ja, ich lasse mich definitiv nicht öffentlich als gehörnte, verstoßene Ehefrau von ihm demütigen! Keine Ahnung, wie er sich das vorgestellt hat…”, brachte Merle mit einem Anflug von Wut heraus und versuchte, sich durch einige langsame Atemzüge wieder zu beruhigen. Sie ballte die Fäuste, wie, um sich selbst Mut zu machen. Noch einmal atmete sie tief ein und aus. “Jetzt will ich erstmal nach Lulu schauen”, erklärte sie und blickte prüfend an sich herunter; der Saum ihres guten roten Gewandes war mit Matschspritzern gesprenkelt. “Ich werde das Kleid reinigen und plätten; ich muss es morgen ja wieder anziehen. Und dann bereite ich mich auf die Aussprache mit Gudekar vor.”

“Na gut”, stimmte Gwenn kopfnickend zu, “geh du erstmal nach Hause. Ich suche mir etwas zu essen. Das ganze hat mich hungrig gemacht. Habt ihr euch schon verabredet? Wann soll ich wo sein?” Die ehemalige Hofdame rieb sich ihren knurrenden Bauch.

Merle schüttelte den Kopf. "Nein, bisher nicht. Ich denke, er wird früher oder später auftauchen, um sein Gepäck zu suchen. Aber ich lass' mich erstmal zu keinen Zugeständnissen hinreißen und vertröste ihn auf heute abend. Und dann geb’ ich dir vorher Bescheid, oder was meinst du?"

“Einverstanden”, erwiderte Gwenn, “aber lass dich nicht von ihm zu etwas drängen. Sei standhaft, egal was er dir für Geschichten erzählt!”

“Darauf kannst du Gift nehmen!” Angesichts von Gwenns offensichtlichem Heißhunger kam für einen Moment Merles alte Fröhlichkeit wieder heraus und sie zwinkerte ihrer Schwägerin mit einem leichten Grinsen zu. "Du hattest übrigens schon Frühstück und zwei Krapfen... Aber lass' es dir schmecken und den Tag nicht von meiner Misere vermiesen. Du bist die Braut!" Sanft drückte sie Gwenns Schulter. "Und danke, Gwenn. Ich weiß immer noch nicht recht, warum du mir hilfst - aber ich weiß es zu schätzen." Nach einem kurzen Kopfnicken eilte Merle von dannen.

Gwenn schaute ihrer Schwägerin noch eine Weile hinterher. Hoffentlich würde das gut gehen. Vielleicht sollte sie Gudekar abfangen, wenn er zum Gutshof eilen sollte, und ihn irgendwie ablenken? Vielleicht wäre es besser, sie würde zuerst mit ihm reden? Aber erstmal brauchte sie etwas in den Bauch. Sie drehte sich um, um in Richtung der Bäckerei zu gehen. Dann könnte sie gleich noch einmal mit Brun wegen des Nachmittags reden.

Die Plötzbogner Wachschützerin folgte ihr in gehörigem Abstand.

Gwenns Verlobter hatte zwischenzeitlich das Gespräch gehört. Er hatte im Wesentlichen zwei Optionen: Entweder, er kümmerte sich jetzt und direkt um seinen Schwager in spe oder er sprach das weitere Vorgehen mit seiner Zukünftigen ab. Auch wenn er sich sicher war, dass er die besseren Karten in der Hand haben würde, wenn er sich den untreuen Mann direkt vorknöpfen würde, wollte er doch um keinen Preis die Bindung zu seiner Frau riskieren, bevor sie verheiratet sein würden. Er entschloss sich, Gwenn mit einzubeziehen. So löste er sich aus der Menge und eilte über den Platz auf seine Verlobte zu - ein breites Strahlen im Gesicht, die Arme weit geöffnet. „Meine Liebste, da bist du! Geht es dir gut?“, rief er ihr entgegen. Sobald er sie erreicht hatte, schloss er sie in die Arme und drückte sie.

“Rhodan, mein Herz!” Gwenn begrüßte Ihren Bräutigam mit einer herzlichen Umarmung und einem dicken Kuss auf die Wange. “Da bist du ja! Ich habe dich schon den ganzen Vormittag gesucht”, log sie in ihn schamlos an, ohne dass ihr dies anzumerken war. “Du musst mir verzeihen, dass ich die Nacht nicht bei dir verbracht habe. Ich war am Abend noch bei Mika in der Jagdhütte, und dann wurde es einfach zu spät, um in das Dorf zurückzukehren. Was machst du gerade?”

Nach einer herzlichen Umarmung hielt er sie noch etwas an den Schultern fest und schob sie doch leicht von sich, um ihr direkt in die Augen schauen zu können. „Ich war gerade auf der Suche nach deinem Bruder Gudekar. Ich glaube, wir sollten ein paar Worte mit ihm wechseln, meinst du nicht?“ Rhodan zwinkerte ihr aufheiternd zu, doch merkte sie, dass er beabsichtigte, ein ernstes Gespräch zu führen.

“Gudekar?” Gwenn war ebenso überrascht wie besorgt. “Was willst du denn mit ihm bereden, mein Schatz?”, fragte sie vorsichtig.

“Meinst du nicht auch, dass wir mit ihm darüber reden sollen, wie er sich das Familienleben in den nächsten Monaten vorstellt? Wenn du mit mir nach Rosenhain gehst, müssen wir dafür sorgen, dass es deinem Vater gut geht und er sich nicht Sorgen um seinen Sohn machen muss - und seine Schwiegertochter.”

Gwenn schaute Rhodan überrascht an. „Hast du denn Anlass zur Sorge, was Gudekars Familie angeht?“ fragte sie, sich unwissend gebend. „Aber vielleicht sollten wir so etwas nicht hier auf dem Dorfplatz besprechen. Ich wollte mir gerade etwas zu Essen holen. Bei den Runklers könnten wir die Kammer hinter der Backstube nutzen, um in Ruhe ein paar Stückle zu essen. Und dann kannst du mir erzählen, was dich bedrückt.“

Rhodan berührte sie zärtlich an der Schulter und führte sie in die Backstube. „Ja, da hast du natürlich Recht.“ Ihm war die kleine ‚Notlüge‘ seiner Zukünftigen nicht entgangen - aber wer war er, Transparenz einzufordern, wo er doch gerade lange Ohren hatte? Wenigstens war er sich spätestens jetzt sicher, dass er eine kluge, gewitzte und selbständig denkende Frau heiraten würde.

Als Gwenn und Rhodan in die Backstube kam, schauten Ulfried Runkler und sein Sohn Brun von ihrer Arbeit auf. “Gwenn!” begrüßte Brun sie, doch als er ihren Begleiter erkannte, korrigierte er sofort. “Hohe Dame von Weissenquell! Hoher Herr Herrenfels! Was können wir für Euch tun?”

Gwenn überging Bruns Fauxpas kommentarlos. “Wir hätten gerne eine kleine Auswahl eurer Süßwaren. könntet ihr bitte eine Platte zurechtmachen und in eure Stube stellen? Ich müsste mal ungestört mit meinem Liebsten sprechen. Wir können doch eure Stube nutzen?”

“Mengarde versucht gerade, Raxa und Cilia schlafen zu legen. Muss das jetzt sein?” protestierte Brun.

“Brun, bitte, es ist wichtig!” hakte Gwenn nach.

Ulfried, der sich sogleich daran gemacht hatte, einen Teller mit Leckereien zurecht zu machen, lenkte ein. “Brun, wenn die hohe Dame dies wünscht, wird Mengarde die Kinder genauso gut oben schlafen legen können. Schick’ sie hoch.” Dann wandte er sich an die hohen Gäste. “Selbstverständlich könnt Ihr unsere Stube nutzen, hohe Dame. Folgt mir.”

“Danke, Meister Runkler!” Gwenn ging zur Tür in den Nebenraum.

Rhodan lächelte und bedankte sich bei den Bäckersleuten. Er freute sich sehr, wie Gwenn mit den Bürgerlichen umging - respektvoll, freundschaftlich und wertschätzend. Und diese Wertschätzung schien wechselseitig. Er folgte Gwenn und Ulfried hinter die Kulissen.

Herlinde von Kranickau warf einen kurzen Blick in den Raum. Als sie sich davon überzeugt hatte, dass ihrem Schützling in dem Raum keine Gefahr drohte, ging sie jedoch zurück in die Backstube, nahm sich einen Krapfen, warf Brun dafür wortlos ein paar Kreuzer zu und stellte sich neben die Tür.

Ulfried stellte den Teller mit den Leckereien auf den Tisch in der Mitte des Raums und scheuchte seine Schwiegertochter und die Enkelkinder hinaus in den Flur, die Treppe hinauf. Danach verließ er ebenfalls das Zimmer. Beim Hinausgehen schloss er die Tür zur Backstube hinter sich.

Als Rhodan und Gwenn allein in dem Zimmer verblieben waren, setzte sie sich auf einen Stuhl und bediente sich von dem Gebäckteller. Genüsslich biss sie in das Teigstück und sprach Rhodan mit vollem Mund an. “So, mein Liebster, was bereitet dir Sorgen? Du meintest, Gudekar könne Vater Kummer bereiten?”

„Du hast ja Hunger“, freute sich Rhodan. Menschen, die Essen zu schätzen wussten, waren ihm schon immer sympathisch gewesen - besonders in der Zeit, als er davon kaum etwas hatte. „Meinst du nicht auch, dass es Schwierigkeiten geben könnte, wenn dein Bruder weiter fremdgeht? Wie muss das nur für seine Frau sein?“, stellte der Dicke das Biest in den Raum, um das alle herumtanzten.

Ohne das Kauen zu unterbrechen, schaute Gwenn zu Rhodan. „Ja, das ist nicht angenehm für Merle“, stellte sie fest, als hätte er eine Selbstverständlichkeit erwähnt. „Bei dir klingt das so, als würde er sich ab und an mit irgendeiner Magd vergnügen.“ Nun schaute sie Rhodan mit ernstem Blick in die Augen. „Da ist aber weitaus mehr.“

„So sehe ich das auch. Das ist kein verzeihlicher Fehltritt - so unnötig schon solch eine Verfehlung bei seiner lieben Frau ist! Dein werter Bruder kann seine Finger auf Dauer nicht bei sich behalten. Das wird nicht mehr lange gut gehen und dann einen Keil in eure Familie treiben und darunter werden am meisten Merle Dreifelder und ihr Kind zu leiden haben. Das ist ungerecht“, stellte Rhodan voll Überzeugung fest. Gwenn konnte sehen, dass das Schicksal der jungen Mutter in ihrem Verlobten eine Saite zum Klingen brachte, die sie bisher noch nicht kannte. Dem sonst gemächlichen, zunächst am eigenen Wohl interessierten Lebemann schien das Wohl Merles bedeutsam zu sein, vielleicht sogar nahezugehen?

Gwenn betrachtete ihren Verlobten eine ganze Weile. Was bewegte ihn? Was hatte er vor? Wie würde er wohl reagieren, wenn Gudekars Verfehlungen zu sehr öffentlich würden und tatsächlich einen Keil in die Familie treiben würden? Sie musste mehr über seine Intentionen erfahren. “Nun”, seufzte sie, “ich habe auch schon solche Befürchtungen. Ich habe erst vorhin mit Merle geredet, um mir ihre Sorgen anzuhören. Vielleicht sollte ich auch einmal mit Gudekar sprechen. Oder hast du eine bessere Idee?”

“Ich denke auch, dass wir mit ihm sprechen und abschätzen müssen, wie weit zu gehen er bereit ist. Erst dann können wir überlegen, wie wir Schaden für deine Familie am Besten abwenden können.” Rhodan machte eine kurze Pause. “Und ja: Mir tut Merle leid. Ich will nicht, dass sie am Ende die Leidtragende ist.”

“Pass auf, Liebster.” Gwenn nahm sich noch ein Stück Krapfen. “Merle erwartet Gudekar bei sich. Er wird ganz sicher zu ihr kommen, dafür hat sie gesorgt. Sie wird ihn dann hinhalten, ihn in Unsicherheit wegschicken und auf ein Gespräch am Abend vertrösten. Wir sollten abwarten, wie ihr dieses erste Gespräch mit ihm gelingt, um von ihr zu erfahren, was er gesagt hat oder vor hat, bevor wir mit Gudekar reden. Eines wirst du noch lernen, mein Schatz: Information ist ein wichtiges Gut, wenn du deine Ziele erreichen willst. Information ist wichtiger als Gold. Information ist Macht. Wenn du dies berücksichtigst, dann kann du stets erreichen, was du dir vornimmst.” Sie blickte zu Rhodans Augen, um zu ergründen, ob er diese Lektion begriffen hatte. “Bevor wir mit Gudekar reden, brauchen wir mehr Informationen.”

Der Händler nickte mit einem wohlwollenden Lächeln. Als ob er diese Information nicht schon vor Jahren gelernt hätte - bei Phex, das war die Regel des guten Kaufmanns. Doch wollte er ihr diesen ‚Sieg‘ gönnen. „Welchen Hort des Wissens gedenkst du anzuzapfen, Liebste? Sollen wir uns anhören, was Gudekar zu Merle zu sagen hat oder meinst du, seine Gespielin soll uns selbst erzählen, was passiert ist und noch passieren wird.“

Gwenn dachte über die Frage einen Moment lang ernsthaft nach. „Beides, mein Schatz. Ich werde mit Merle selbst reden, was er zu ihr gesagt hat. Sie vertraut mir. Anders sieht es bei der Ritterin aus. Ich hatte bereits beim Abendessen vor zwei Tagen das Gefühl, dass sie mir mit Skepsis begegnet. Aber vielleicht gelingt es dir, unverfänglich mit ihr zu reden und eine Beziehung zu ihr aufzubauen. Du weißt, was ich meine, nur auf der geistigen Ebene.“ Gwenn lachte schelmisch. „Nicht dass du glaubst, ich gebe dir die Einwilligung zu etwas Rahjagefälligem.“ Lachend legte sie ihm wie zur Drohung den Zeigefinger auf die Nase. „Meinst du schaffst das, sie unauffällig auszufragen?“

Der große Mann lächelte freundlich. „Natürlich.“ Dann streichelte er zärtlich ihre Hand. „Unbenommen, dass ich keine Einwilligungen in verkorkste Liebesabenteuer brauche. Ich habe ja dich.“

Gwenn strahlte vor Freude. Dennoch dachte sie: ‚Warten wir es ab, ob du dies ernst meinst oder vielleicht doch hinter anderen Rockzipfeln hinterher rennst.‘ Sie antwortete aber immer noch lächelnd: „Gut, Liebster. Wollen wir dann gehen und die beiden abfangen?“

„Lass uns keine Zeit mehr verlieren“, bekräftigte er den Tatendrang seiner Verlobten - doch übermannte ihn die Versuchung und er griff sich eines der Gebäckstückchen, um sie auf dem Weg zu verzehren. „Dann los.“ Er erhob sich und blickte aus dem Fenster der kleinen Stube. Wo die Jungritterin nur sein würde?

“Merle jedenfalls ist zum Gutshaus. Ich werde sie dort suchen. Aber nicht so schnell, mein Liebster!”, bremste Gwenn den Tatendrang. “Bekomme ich noch eine Kuss, bevor wir gehen?”

Rhodan antwortete nicht, sondern umfasste ihr Gesicht mit einer Hand und schlag die andere um ihre Taille. Dann zog er sie zu sich heran und küsste sie voll herzlicher Liebe - nicht stürmisch, nicht leidenschaftlich, sondern warm und zärtlich.

Gwenn schmolz förmlich dahin unter seinem Kuss. Auf dem Weg nach draußen bedankte sich Gwenn noch einmal bei der Bäckersfamilie und zwinkerte Brun kurz zu.

Herlinde von Kranickau folgte Gwenn und Rhodan bis zum Gutshof.

~*~

Tränen auf Stahl

(Anfang Rahjastunde, 11:05)

Imelda rannte mit Tränen in den Augen zurück zur Schmiede von Meister Limrog. Voller Wut und Verzweiflung knallte sie die Tür der Schmiede hinter sich zu, ergriff einen Rohling, legte diesen in ihre Esse, holte dann Kohlen und füllte den Schmiedeofen, bis nichts mehr raufpasste und die ersten Kohlestücke seitlich herunterfielen. Dann ging sie zum Blasebalg und presste diesen heftig mit dem Fuß auf und ab, während sie vor Zorn schnaubte. Sofort hatte die Esse ein glühendes Feuer entfacht und das Metall nahm eine rötliche Färbung an. Mit einem lauten, genervten Aufstöhnen nahm sie den Rohling heraus und schlug auf diesen kräftig ein, ohne zu wissen, was sie überhaupt schmieden wollte.

Limrog beobachtete Imelda seit ihrem Eintreten in die Schmiede. Nach ein paar ihrer Schläge ging er wortlos auf sie zu, trat von hinten an sie heran und legte seine Hände tröstend auf ihre Oberarme. “Ihr habt wohl nicht mehr verhindern können, dass Eure Freundin den Fehler macht?”

Imelda biss sich auf die Unterlippe und wog den Kopf hin und her. Dann lief ihr eine dicke Träne über die gerötete Wange herunter und ein grummeliges, knurrendes “Nein”, war die einzige knappe Antwort der sonst so gesprächigen Geweihten.

Der Angroscho nickte verstehend. “Aber Ihr habt mit ihr gesprochen. Habt ihr gesagt, was Ihr denkt. Und sie war böse auf Euch”, mutmaßte er.

Imelda schüttelte traurig den Kopf und wischte sich die Träne von der Wange. Ein schluchzendes, zartes “Nein.” war zu hören.

Limrog kramte in einer seiner Taschen und zog ein halbwegs sauberes Tuch hervor, das er Imelda reichte. “Sie war Euch also nicht böse? Wieso weint Ihr dann?” Er verstand wenig von Frauen. Von den Gigrimax aber noch weniger.

“Ach, nein…”, winkte sie traurig ab, ließ Hammer und Rohling auf den Amboss sinken und riss Limrog das Tuch aus der Hand. Laut schluchzend begrub sie ihr Antlitz darin und hockte sich an den Ständer des Amboss. “Sie tut Dinge, die ich nicht gutheißen kann… Aber ich will sie auch nicht verlieren.”

“Das ist gut! Ich vermute, wenn sie etwas tut, was schlecht ist, wird sie am Ende eine gute Freundin brauchen, die ihr Halt gibt. Wenn Ihr eine gute Freundin seid, musstet Ihr versuchen, sie vor einer Dummheit zu bewahren. Doch wenn Euch das nicht gelungen ist, dann ist dies nicht Eure Schuld. Aber dann müsst Ihr umso mehr für sie da sein. Ich weiß nicht, ob Eure Freundin weiß, welchen Fehler sie getan hat, ob sie ihn bereits bereut. Eines Tages wird sie ihn bereuen. Dann müsst ihr sie trösten, ihr wieder aufhelfen.” Limrog konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt so viele Worte am Stück zu den Gigrim gesprochen hatte.

Imelda blickte mit ihren großen blauen Augen zu Limrog und nickte entschlossen. “Ja, das muss ich. Das will ich. Sie ist schließlich meine Freundin und ich habe sie sehr lieb! Aber…”, das Gesicht der Geweihten verzog sich erneut in einer Mischung aus Schmerz und Wut, “...aber wenn sie gar nicht versteht, warum ich das alles für falsch halte und sie mich stattdessen hasst und nicht mehr länger meine Freundin sein will - was mache ich denn dann?!”

Was sollte Limrog der jungen Frau raten? Er wusste es nicht. Er hatte nur eine einfache Problemlösung parat. Mit schief angelegtem Kopf und einem Schmunzeln, das unter seinem angehängten Bart kaum zu erkennen war, antwortete er: “Dann schmiedet und trinkt Bier!”

Die Geweihte nickte traurig, trocknete sich mit Limrogs Tuch ihre Augen und nahm schwermütig den Schmiedehammer wieder auf. “Ja, das hilft eigentlich immer”, gab sie zu. “Danke, Meister Limrog!” Mit neuer Entschlossenheit begann sie, sich wieder der Esse zuzuwenden.

Die Ingrageweihte und der Zwerg schmiedeten noch eine Weile an dem Leuchter. Während Imelda die gröberen Stücke bearbeitete, fertigte Limrog einige der filigranen Rosen an.

Plötzlich öffnete sich die Tür der Schmiede und eine junge Dame trat hinein, die Limrog heute schon einmal hier gesehen hatte: Die Ritterin Meta Croy. Skeptisch beäugte er die Frau.

~ * ~

Der Bund ist geschlossen

(11:30)

Nachdem ihr Rahjabund geschlossen war, führte Meta ihren Geliebten durch die Hintertür des Schankraums leise auf ihr Zimmer.

Dort angekommen, setzte sich Gudekar auf das Bett und zog die Beine an sich heran. Er blickte zu Meta und lächelte sie an. “Es tut mir leid, dass Merle unsere Feier gestört hat. Das hätte nicht geschehen dürfen.”

Es hatte den Weg bis zu ihren Zimmer gebraucht, die Gespräche, so weit sie sich an alles erinnerte, wieder ohne Droge zu überdenken. Natürlich erstmal nur grob. Sie grübelte und setzte sich auf den Stuhl, den sie vor das Bett schob. Ernst sah sie Gudekar an. „Das war falsch. Vieles. Und es stimmt hier etwas nicht.“ Sie stand auf, öffnete kurz das Fenster, um frische Luft zu bekommen. „Aber trotz allen, wünsche ich dir das Erlebnis mit Merle, das du willst.“ Sie schloss das Fenster wieder und hob die Hand, er sollte noch nicht antworten „Mir fällt immer mehr auf, was wir besprechen müssen. Unter dem Tharf spricht man die Wahrheit? Korrigiere mich, wenn es nicht stimmt. Du hast da einiges gesagt, was ich nie gedacht hätte. Ich muss es erst ordnen, ich sage einfach, was mir einfällt. Das kann kein Zufall sein, dass Merle genau zum richtigen Zeitpunkt in der Montur in den Tempel kommt.“ Sie lachte und schüttelte den Kopf. „Wir wollten doch alleine sein. Der Anblick der Lust und des Begehrens in deinen Augen und wie du ihre vollen Brüste knetest, das hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Dann war natürlich noch mehr. Was, wenn sie noch eine Nacht will? Jeden Götterlauf eine, verpflichtet man sich dazu? Was, wenn sie wieder ein Kind empfängt? Ach Gudi, da sollten wir jetzt in Harmonie kommen. Hätte ich jemanden, der mich so wie ihr euch im Herzen tragt, dann würde ich mit ihm schlafen. Aber..., du hast mich so voller Hoffnung angeschaut.“ Sichtlich erschöpft setzte sie sich und wartete auf Gudekars Antwort.

Gudekar senkte den Kopf. “Ich weiß auch nicht, was da alles gelaufen ist. Es stimmt, es ist merkwürdig, wieso Merle dahin kam. Woher wusste sie, wo wir sind? Wieso hat sie mir keine Szene gemacht? Sie war so anders als ich sie kannte.” Er war verzweifelt, denn er wusste, wie sehr sein Handeln dort Meta verletzt hatte. “Meta, es tut mir leid. Ja, ich habe Merle nicht abgewiesen. Ich habe mich von ihr zu etwas hinreißen lassen, das nicht korrekt war. Ich möchte es gerne auf den Tharf schieben. Er verschleiert das Denken und lässt einen durchaus Dinge tun, die bei klarem Verstand niemals getan worden wären. Aber ja, es stimmt, ich empfinde noch immer etwas für Merle. Doch ohne den Tharf ist da kein körperliches Verlangen bei mir. Der Tharf hat meine Gefühle für Merle in eine völlig falsche Richtung verstärkt. Ich weiß nicht, was da passiert ist. Wieso war sie so… so… Ach, ich weiß nicht. Es klingt alles so einfach und doch so falsch. Ich würde es Merle so sehr gönnen, dass sie glücklich ist. Ich habe heute gesehen, wie sehr sie mich noch immer begehrt, nach all der Zeit, die ich nicht für sie da war. Sie hätte es verdient, dass ich mich noch einmal von ihr verabschiede. Aber ich habe es die letzten zwei Götterläufe nicht getan, so wie ich es dir versprochen habe. Ja, ich würde ihr gerne noch einmal meine Aufmerksamkeit schenken, aber nicht, weil ich sie begehre, nein, weil sie mir immer eine gute Frau war und sie mich dauert. Doch ich werde es nicht tun, weil mein Herz und mein Begehren nur dir gehört und ich weiß, wie sehr dich dies schmerzt. Und vermutlich stimmt es, was du befürchtest. Vermutlich wird sie eine Nacht nicht als Abschied sehen, sondern als einen Neuanfang. Aber was passiert, wenn ich sie nun verstoße, wenn ich ihren Wunsch abweise? Sie wird mich bei ihren Zieheltern diskreditieren. Ich – wir werden immer Ausgestoßene sein, als Frevler beschuldigt, verfolgt. Wir müssten vermutlich für immer auf der Flucht sein. Was, wenn ich ihrem Wunsch folge und sie sich damit zufrieden gibt? Vielleicht sagt sie die Wahrheit und akzeptiert unsere Liebe, wenn ich mich ab und an auch um sie kümmere?” Immer noch saß er auf dem Bett, die Knie umklammert.

Dieses Thema also zuerst, dann konnte sie weiterdenken. „Gut….. lass uns damit anfangen. Ich fasse es mal zusammen und du korrigierst.“ Meta lächelte, es fühlte sich besser an, nicht alles im falschen Schein des Rausches zu sehen. „Deine Frau liebt dich, war dir immer eine gute Frau und du hast auch noch Gefühle für sie. Dann willst du ihr zum Abschied noch eine leidenschaftliche Nacht schenken und ihr sagen, dass das jetzt aber das letzte Mal war. Oh, das hatte ich vergessen. Nach Tälerort kommt sie ja nicht mit, das wirst du sicher, da es ein guter Moment ist, gleich mal einfügen. Was wird dann wohl sein?“ Meta lehnte sich zurück und streckte sich. „Ja, sie wird natürlich noch öfter Abschied nehmen wollen. Schnell merkt sie, dass sie dich mit dem Traviaorden in der Hand hat und du eh machen wirst, was sie sagt. Du kümmerst dich uneigennützig um sie. Wie nett von dir, dass ich von solchen Gefühlen erst nach unserem langen Rahjabund erfahre. Ich vertraue dir ja und du hast immer wieder gesagt, dass du sie verlassen würdest. Jetzt wird’s schwieriger für mich, einen Anderen zu finden. Du hast dann deine zwei Frauen, wahrscheinlich machst du unsere Beziehung nicht öffentlich, und ich spiele dabei die Rolle der Konkubine. Was, wenn sie noch ein zweites Kind bekommt? Das sind meine Überlegungen. Aber ihr sollt eure Nacht haben. Ich weiß, wie sehr du das willst.“

„Nein, das war eine dumme Idee von mir. Ich will keine zwei Frauen.“ Es hielt Gudekar nun nicht mehr auf dem Bett. Er ließ seine Beine los, stand auf und fing an, in dem Zimmer auf und ab zu gehen. Sein Ton wurde energischer. „Das war doch nur ein Gedankenspiel. Und nach Tälerort nehme ich sie keinesfalls mit. Aber was soll ich denn tun? Meine Gefühle für sie kann ich doch nicht auslöschen. Aber sie sind nicht rahjagefällig. Ich sorge mich um sie, möchte sie und Lulu versorgt wissen, möchte, dass sie glücklich sind. Aber ich möchte an deiner Seite sein, des nachts neben dir liegen, nicht neben ihr. Mit dir Dere bereisen und für das Gute kämpfen, so wie wir es auf dem Elsternschloss getan haben.“

Meta betrachtete ihn lange nachdenklich, als er durch das Zimmer ging. Da war schon wieder etwas, worauf er nicht einging. Das ärgerte sie. Dennoch sprach sie sanft, fast wehmütig. „Ja, so will ich es auch. Aber beantworte erstmal alle Fragen. Wie hältst du sie davon ab, mehr von dir zu fordern? Sie hat dich bei den Eiern, würde man sagen, da sie immer zur Traviakirche gehen kann. Dieses Mal wirst du vorsorgen, damit sie nicht schwanger wird. Es ist ein seltsamer Abschied, den du dir da vorstellst. Und, das müssen wir hier noch lösen. Wer hat es ihr verraten? Was denkst du?“

Das waren Fragen, auf die er keine Antworten hatte. Und das machte den Mann nervös. Deshalb tigerte er weiter in dem Zimmer auf und ab. “Ich weiß es nicht. Sie wird bestimmt mehr fordern. Ich würde sie vertrösten, wenn wir beide fort sind und sie hier bleibt, kann sie denken, was sie will. Aber das würde bedeuten, dass wir weiter hinter einer Lüge leben. Und das wollten wir ja nicht mehr. Ich habe keine Idee.” Gudekar blieb am Fenster stehen und schaute hinaus. “Tja, wer könnte Merle gesagt haben, dass wir da gerade sind? Wer wusste alles davon? Deine Freundin Imelda. Aber die ist auf deiner Seite, sonst hätte sie dir nicht geholfen, diese wunderschöne Frisur zu flechten.” Er blickte zu Meta und lächelte sie verliebt an, bevor sich sein Blick wieder verfinsterte. “Rahjels Schwester, aber weder kennt sie Merle, noch hätte sie einen Grund, uns zu verraten, zumal ich eher das Gefühl hatte, sie fand es erregend, welches Geschenk Rahjel uns machen wollte. Mika ist ein niedliches kleines Plappermaul. Ihr wäre es zuzutrauen, dass sie uns versehentlich verrät. Aber sie ist auf der Jagd und hatte keine Gelegenheit, mit Merle zu reden.” Gudekar nahm seine Wanderschaft durch das Zimmer wieder auf. “Bleibt also eigentlich nur noch Gwenn. Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Sie hat doch immer zu uns gehalten. Ich vertraue ihr. Ich wüsste auch keinen Grund, warum sie uns hätte verraten sollen. Fällt dir sonst noch jemand ein, der oder die Zeit und Ort unseres Treffens kannte? Vielleicht war es ja einer der Rodenbachs? Der Junge, Vitold, vielleicht. Er hat ja schließlich mein Gepäck… WARTE MAL! Wo ist mein Gepäck?” Plötzlich fiel Gudekar auf, dass seine Taschen nicht mehr hier waren.  

„Vielleicht willst das mit Merle, wer weiß? Nein, im Ernst. Es wird klargestellt, dass es einmalig zwischen euch ist. Das wirst du hoffentlich schaffen. Während ihr euch vergnügt, werde ich mangels Alternative Schwertübungen oder Kraftübungen machen.

Hm, Imelda schließe ich erst aus, wenn ich mit ihr gesprochen habe. Sie freundet sich eigentlich mit jedem an und mag Merle. Bei den anderen gebe ich dir recht. Gwenn kenne ich kaum. Wenn jemand so intrigant ist, wird sie dich auch jetzt täuschen. Kannst du rausfinden, ob jemand lügt? Kannst du irgendeinen Zauber, der da nützlich wäre? Warum Vitold? Dem kann es egal sein.“

“Sag mal, Meta, hast du mir überhaupt zugehört? Meine Sachen, die ich heute früh habe von Vitold herbringen lassen, sind wieder weg. Ach so, das weißt du ja gar nicht, oder? Du warst ja schon los zu Imelda. Ich hatte den Jungen vom Rodenbach geschickt, meine Taschen aus dem Gutshof herzubringen, und das hatte er auch getan. Jetzt sind sie weg!”

„Meinst du gestohlen? Schau mal bei Gwenn im Zimmer, mein Zeug ist ja noch da. Oder Mika oder Merle. Die werden was gesucht haben, um dich noch mehr zu erpressen.“ Meta war voller Energie und zog sich geschwind die Stiefel an. Ihr Schwert nahm sie mit.

“Ich weiß es nicht.” Gudekar schüttelte den Kopf. “Mika kann nicht sein, die ist ja die ganze Zeit auf der Jagd. Und Gwenn würde das auch nicht machen. Ich vermute, Merle hat meine Sachen geholt, denn sie weiß, dass meine Sachen zu dir gebracht wurden.” Hoffte er, denn alles andere wäre noch schlimmer. Was, wenn jemand anderes, jemand ganz anderes, die Sachen – SEINE Sachen – geholt hätte. “Gehen wir doch runter und fragen Vitold oder Erlwulf?”

„Komm, lass uns keine Zeit verlieren.“

„Ach, warte, Meta!“ Gudekar hielt Meta am Arm fest. „Eigentlich ist das doch gar nicht so wichtig. Bestimmt hat Merle die Sachen geholt. Dann können die auch bis später warten. Du hattest noch soviel Fragen, so viele Sorgen. Lass uns erst aussprechen.“

Erschöpft, aber dankbar ließ Meta die Schultern sinken und setzte sich dann auf das Bett. „Du hast recht. Vorhin, da haben wir eigentlich nur geschimpft. Machen wir es abwechselnd. Ich habe Angst, dich an Merle zu verlieren nach dieser Nacht. Und ich habe furchtbar Angst vor mir. Was soll ich tun, während ihr lustvoll euren Abschied besiegelt? Ich dachte daran, mit einem anderen Krieger oder Kriegerin Schwertkampf zu üben, so lange es noch hell ist. Ihr werdet sicher auch viel reden, also wird es dauern. In der Nacht bin ich dann alleine mit mir.“

Gudekar kniete sich vor Meta auf den Boden. Mit dem Zeigefinger hob er ihr Kinn hoch,  so dass sie ihm in die Augen blicken musste. “Meta, wir haben dort unten alle Dinge getan und gesagt, die wir nicht so meinten. Der Schreck hat mich endlich wieder zu klarem Verstand gebracht. Ich habe kein Verlangen, mit Merle das Lager zu teilen. Vielleicht wird es passieren, vielleicht auch nicht. Das Gute ist, es ist endlich raus, Merle weiß endlich Bescheid. Ich werde nachher mit ihr reden, ich muss wissen, was sie wirklich will. Und du wolltest doch mit Imelda baden gehen. Das kannst du in der Zeit machen. Aber im Anschluss komme ich als erstes zu dir, um dir zu berichten.” Zärtlich streichelte er mit der freien Hand Metas Wange.

„Du redest also erstmal mit ihr, der Rest kommt später. In Ordnung, jetzt noch zwei Fragen von mir zu vorhin. Beschreib mir bitte genau deine Gefühle zu Merle. Und wie willst du sie davon abhalten, dich immer wieder mit der Traviakirche zu erpressen?“ Meta klopfte auf die Bettseite neben sich, zog ihre Stiefel aus und schlug die Beine unter. „Wir gehen doch nach Tälerort, damit du von deiner Familie weg bist und gegen Gezücht zaubern lernst. Ich werde das hoffentlich mit dem Schwert schaffen. Aber nach einem Jahr gehen wir sowieso weiter. Das ist am anderen Ende der Nordmarken, da kommt sie nicht hin.“

Metas Unbedarftheit brachte Gudekar zum Schmunzeln. Hatte sie in Linnartstein denn gar keine Stunden in Derographie erhalten? “Tälerort liegt doch in der Rabenmark, also in Darpatien. Da kommt Merle niemals hin.” Eigentlich wollte er ihr durch das Haar wuscheln, doch das war bei der wunderschönen Frisur, die ihr Imelda heute früh gesteckt hatte, nicht möglich, so strich er ihr lediglich über den Kopf. “Meine Gefühle zu Merle? Hm, das ist schwer zu beschreiben. Ich spüre Vertrautheit, eine gewisse Geborgenheit in ihrer Nähe. Es fühlt sich an, als ob ich zu Hause bin, wenn sie in meiner Nähe ist. Versteh das nicht falsch. Es ist so, wie es früher war, wenn mich meine Mutter in den Arm genommen hat, wenn ich nach langer Zeit mal wieder nach Hause kam. Du hast es mir gerade immer wieder vorgeworfen, aber ich spüre keine rahjagefälligen Gelüste für sie. Dennoch ist es mir ein Anliegen, dass sie glücklich wird. Ich bete dafür, dass sie das Glück finden kann, wenn sie begreift, dass sie mich gehen lassen muss. Ihr Herz muss lernen, mich loszulassen. Aber dies soll nicht mit Groll geschehen. Ich hoffe, dass wir eine Regelung finden, in der der Traviabund erhalten bleibt, denn wir können ihn nicht lösen, sie aber akzeptiert, dass wir getrennte Wege gehen. Dann wird sie mich auch nicht weiter erpressen.”

„Das beruhigt mich etwas. Auch, wenn ich dir wohl lange nicht mehr so vertrauen kann, wie zuvor. Versuch, das mit Merle zu lösen. Ich will sie nicht unbedingt unglücklich sehen. Sie ist so lieb und hübsch, alle werden sie hier mögen. Warte, ich muss meine Gedanken nochmal sortieren…“ Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort. „Es ist mir sehr wichtig, die Person zu finden, die es Merle erzählt hat. Dir ja auch, also werden wir am besten erstmal getrennt nachforschen. Und dann noch etwas. Wir sind seit zwei Jahren ein Paar, aber natürlich haben wir uns immer lange nicht gesehen, ich habe dir blind vertraut, das schaffe ich jetzt nicht mehr. Es wird, sollte es je heilen, etwas besonderes brauchen, ich weiß es nicht. Aber du bist hier völlig verändert. Wenn wir uns sonst getroffen haben war es mir auch, als hättest du Sehnsucht nach Leben und meiner Art, du weißt schon.“ Sie zwinkerte frech. „Aber hier trägst du mehr. Wie einen Sack, nein eine schwere dunkle Rüstung. Du hältst mich noch fest, doch es ist anders. Ich weiß, wie schwer es ist, die Beziehung zu mir öffentlich zu machen, alleine mein Stolz gebietet das (sie hätte es auf almadanisch gesagt, doch ihr war nicht danach). Vor wem in der Familie hast du solche Angst? Dein Vater?“

Mit immer besorgter werdender Miene hielt sein Blick in ihre Augen während ihrer Rede stand. Am Ende schüttelte er den Kopf. “Nein, Vater ist aufbrausend und ein Sturkopf. Er würde mich fortschicken, doch wenn ich eines Tages zurückkehrte, würde er mich mit offenen Armen willkommen heißen. Im Grunde seines Herzens ist er ein guter Mann. Wenn mir jemand Sorgen bereitet, dann ist das Kalman. Er ist so verbohrt in seinem Traviaglauben, man könnte meinen, er sei ein Gänseritter und kein rondrianischer Recke gewesen. Ihm traue ich es zu, dass er, wird unsere Beziehung bekannt, mich im Tempel in Albenhus diskreditiert. Er hat mich noch nie leiden können.” Gudekar schluckte und senkte nun den Blick. Kaum hörbar flüsterte er: “Doch Kalmans Wut ist nicht das einzige, was mir Sorge bereitet.”    

“Kalman ist nervig, er versucht dauernd, dir seine perfekte Ehe vorzuhalten. Du hast nichts, womit du ihn unter Druck setzen kannst?“ Meta kaute auf ihrer Unterlippe, sie hielt immer weniger von dem Traviaglauben, der so viele Menschen unglücklich machte. Gastfreundschaft, Armenspeisung, das waren gute Dinge. Doch sie sollten sich nicht in die Betten anderer Leute einmischen. Die perfekte Familie, die sich nicht trennen durfte, nach außen hin zusammen bleiben musste, der Vater oder die Mutter in den Alkohol getrieben …. viele Kinder litten darunter. “Moment, was bereitet dir noch Sorgen?“  

“Es ist…” Gudekar legte seinen Kopf auf Metas Knie, dann flüsterte er. “Ich habe Angst.”  

Instinktiv streichelte sie ihm über sein Haar. Was war da los. Als würde er sich am liebsten wie ein Kind unter der Bettdecke verstecken, damit keine Monster ihn entdeckten. Meta bekam nun selber Angst. „Schatzi, was ist denn los? Das ist nicht Kalman, das ist keiner aus deiner Familie. Was fürchtest du hier, in deinem Heim so sehr? Diese Angst begann doch erst hier, oder?”

Die Streicheleinheiten waren Balsam für seine Seele. Dies war es, was er an Meta besonders liebte. Ja, beide konnten leidenschaftliche Nächte miteinander verbringen. Aber die liebevollen Zärtlichkeiten, die Meta ihm gab, wenn er Sorgen hatte, zeigten ihm, was sie tatsächlich mit ihm verband. Es war schade, dass sie in der Vergangenheit viel zu wenige dieser Momente miteinander hatten. Doch es würde sich ändern, sobald sie gemeinsam in Tälerort waren. “Nein, Schatz, das hat nichts mit diesem Ort zu tun. Obwohl es hier schlimmer geworden ist. Hier sind all die Menschen versammelt, an denen mir etwas liegt. Oder einst etwas lag. Ich sorge mich um sie, um euch. Um dich!”

So hatte sie ihren Gudi noch nie erlebt. Diese Seite war völlig neu, die Angst so real, dass Meta es kalt den Rücken herunterlief. „Warum gerade hier? Was soll uns hier geschehen? Und seit wann frisst es dich so auf? Wir waren gemeinsam auf der Schweinsfolder Hochzeit. Da hab ich gegen einen Dämon gekämpft. Mit dir. Und damals warst du nicht so, ganz sicher.“ Nach Metas Logik musste das Ereignis danach passiert sein.

“Weißt du, mein Schatz, damals haben wir uns ja eigentlich noch gar nicht gekannt. Da hast du mich noch nicht wirklich gekannt. Außerdem hatte ich damals noch nicht alles verstanden, was da vor sich ging. In dem Sumpf waren meine Gedanken die ganze Zeit darauf gerichtet, dich in Sicherheit zu bringen.” Gudekar schloss die Augen, um ihre Zärtlichkeiten zu genießen. Nach einigen Momenten sprach er weiter. “Ich wusste schon bald, dass Er wohl dahinter steckte, was an jenem Tag alles passierte. Doch begriff ich noch nicht, was dies alles für mich bedeuten würde. Und für die, die ich liebe.”

„Er, dieser falsche Ganter, der sich dann in einen Paktierer gewandelt hat und weg war? Hast du mit dem danach noch zu tun gehabt? Vorher? Und warum sollte er es auf dich abgesehen haben, und gerade hier?“

Gudekar seufzte. Er hatte geschworen, die Ergebnisse der Ermittlungen vertraulich zu behandeln, die Geschehnisse als Geheimnis zu bewahren. Aber er wollte, er musste Meta erzählen, was ihn bewegte. Er musste es ihr erklären. Er musste sie teilhaben lassen. Hatte Sie nicht auch gesagt, sie sollten sich Verbündete suchen, denen sie vertrauten? Und wem konnte er mehr vertrauen, als seiner Geliebten? “Ja, dieser falsche Ganterward. Oder Brin. Sein wahrer Name ist Jast-Brin von Pruch. Und er ist ein mächtiger, gefährlicher Lolgramoth-Paktierer, der schon seit mehreren Jahren sein Unwesen in den Nordmarken treibt, der die Nordmarken zerstören möchte. Er hatte schon versucht, die Herzogenmutter zu entführen. Oder zu ermorden. Er hat in Talwacht, der Heimat seiner Mutter, sein Unwesen getrieben. Darüber hatte sogar der Greifenspiegel berichtet. Und er hat ein wichtiges Artefakt zerstört. Das ist auch der Grund, weshalb ich ihm auf den Fersen bin. Denn vor zwei Jahren, während des Flussfestes, gab es einen Vorfall, bei dem uns das Flussvolk gewarnt hat und uns, das Menschenvolk, aufgefordert hat, den Paktierer zur Strecke zu bringen. Seitdem versuche ich mit meinen Helfern, ihn aufzuspüren und seine Pläne zu vereiteln. Das war es auch, was mich damals nach Schweinsfold brachte. Doch dachten wir nicht, dass wir dort sogar auf ihn treffen würden. Zu spät erkannten wir, wer dort sein Unwesen trieb. Und wir konnten ihn nicht aufhalten. Doch unsere Gruppe war nicht die erste, die ihm auf der Spur war. Die Ermittler, die Pruch damals in Talwacht aufspüren, hatten seine Gefährlichkeit bereits am eigenen Leibe erfahren. Und wir wissen, dass Pruch eine Liste mit den Namen seiner Häscher führt, um sich an uns, an unseren Familien zu rächen. Es gab bereits Opfer. Der Schwager meiner Schwester, der ebenfalls mit mir ermittelte, wurde von Pruchs Schergen entführt und seelisch gebrochen, so sehr, dass er inzwischen sein Lehen nicht mehr zu führen vermag.” Tränen hatten sich in seinen Augen gesammelt.

Sanft streichelte sie Gudekar weiter. Sie spürte, dass er diese Last endlich teilen musste. Gleichzeitig bekam auch sie Angst um das, was neben ihren, ebenso unheiligen Erfahrungen so gut wie unbemerkt an ihr vorbeigegangen war. “Es war dringend nötig, dass du mir davon erzählst. Es ist eine furchtbare Belastung für dich und ich hatte ja keine Ahnung. Aber lass mich nochmal überlegen. Woher wisst ihr von der Liste und du stehst wohl auch darauf? Wenn er sich rächen will, woher wisst ihr das? Deinem Schwager ist nicht mehr zu helfen, auch göttlich nicht? Kann das kein Einzelfall sein und er will euch mit dieser Liste verrückt machen? Wenn er so mächtig ist, kann er immer und überall auftauchen. Hm… woher soll man wissen, was er will? Nimmt er immer die Gestalt anderer an, oder gibt es vielleicht eine alte Zeichnung von ihm?” Meta hatte viele Fragen. Sie wollte mehr wissen und sich nicht von Angst fesseln lassen, so ging sie es jetzt zumindest aktiv an.

Meta spürte, wie er sich langsam entspannte. Waren es die Streicheleinheiten, oder dass er sich seine Sorgen endlich von der Seele reden konnte? Es war einerlei. “Sicher können wir uns bei ihm in keinem Punkt sein. Ich versuche, deine Fragen, so gut ich kann, zu beantworten. Ich hoffe, ich vergesse nichts.” Er holte tief Luft, drehte seinen Kopf und schaute Meta von unten an. “Also, es gab eine Liste der ersten Ermittlergruppe, die wurde in seinen Unterlagen gefunden. Und es gab da wohl auch schon Anschläge. Es wäre fatal, nicht davon auszugehen, dass auch unsere Namen draufstehen.” Mit ‘unsere’ meinte er die Namen der Albenhuser Ermittler. “Er war uns bisher immer einen Schritt voraus, obwohl wir ihm dicht auf der Spur waren. Und Retos Entführung war mit einer direkten Warnung gekoppelt, uns nicht weiter einzumischen. Beim Lichterfest vor zwei Jahren hat er fast vor unseren Augen seinen eigenen Vater ermordet und ein altes Artefakt”, Gudekar schluckte, “gestohlen.” Als wir letztes Jahr im Efferdtempel das vierte Fries entdeckten, schickte er ein Schiff mit seinen Schergen und hetzte uns erneut einen Dharai auf den Hals, wie im Schweinsfolder Sumpf. Er war also informiert. Nur mit Not konnten wir verhindern, dass er das Fries stehlen und die Metropolitin entführen konnte. Nivard und Doratrava hätten fast ihr Leben dabei verloren, hätte ich sie nicht gerettet. Immer wieder und wieder war er dort aufgetaucht, wo auch wir waren. Und nun sind so viele meiner Mitstreiter hier. Corwyn, der Mersinger, Eoban, Tsalinde, Nivard, Doratrava, Radulf, …” Gudekar schreckte auf. “Warum ist eigentlich Radulf nicht gekommen? Er sollte hier sein, aber ich habe ihn weder gesehen, noch von ihm gehört.”  

Meta streichelte ihn zwar weiter, aber zufrieden war sie noch nicht. “Warum weiß ich davon nichts? Die ganze Zeit bist du in Lebensgefahr und lässt mich unwissend? Diese Doratrava, die ich überhaupt nicht leiden kann, die ist aber dabei. Ihr wisst also nicht, wie er aussieht? Mist. Warum sind so viele aus der Gruppe hier? Gwenn muss sie eingeladen haben. Habt ihr eine Ahnung, wie viele Artefakte ihm noch fehlen?”

„Warum du noch nichts weißt? Warum ich dich da rausgehalten habe? Warum ich so lange versucht habe, unsere Liebe geheim zu halten? Ganz einfach. Lolgramoth ist der Zerstörer des Friedens und der Harmonie. Hätte Pruch erfahren, und er hätte es erfahren, was wir für einander empfinden, er hätte dich geholt, um mir zu schaden, mich zu erpressen, mich zu brechen. Er hätte dich genutzt, um meine Familie zu zerstören, die Gemeinschaft.“

“Moment”, hakte Meta ein. “Pruch hat einen Pakt mit Lolgramoth? Also Travias Gegenspieler. Warum war Merle nie das Ziel? Hat er vielleicht?... nein, er wird doch nicht mich zur Zerstörerin eures Heims benutzen? Ich war mit Ganter unterwegs, da war er aber noch er selbst, glaube ich. Der hat ja kaum seinen Mund aufgebracht.” Ihr Atem beschleunigte sich bei dem Gedanken. Für einen Kerl wie diesen Paktierer war es doch ein Kinderspiel, herauszufinden, wo die Lieben und Verwandten wohnten. Und anscheinend hatte Gudekars Gruppe keine Ahnung, was man gegen ihn unternehmen könnte. Sie hörte auf, zu streicheln, beugte sich über ihn und drückte ihn. Er spürte ihre Angst.

“Hab keine Angst, mein Schatz! Unsere Liebe ist aus Rahja entsprungen, nicht aus Lolgramoth. Und wir sind alle hier auf der Hut. Wir haben ja deshalb auch diese Plötzbognerin hier in Lützeltal als Schutz. Und Nivard, Eoban und die anderen Ritter sind auch da, es kann doch gar nichts passieren. Und wenn der kommt, dann vertreiben wir ihn wieder zusammen, wie in Schweinsfold.” Mit einem erzwungenen Lachen piekste er ein paar Mal mit seinen Fingern in ihren Bauch, als wollte er ihr zeigen, wie die Ritter mit Schwertern auf einen Dämon einstechen. Das kitzelte sie. Dann wurde er wieder ernster. “Wann genau hattest du mit diesem Ganterward gesprochen?”

Trotz des ernsten Themas musste Meta lachen, als sie gekitzelt wurde. „Hee… ich kann das jetzt viel besser, als damals. Ich werde immer besser.“ Kurz beherrschte ausgelassene Normalität die beiden, dann saßen sie dicht zusammen. „Ich habe ihn an dem ersten Tag getroffen, als es so einen Markt gab... im Park. In dem du am Abend dann mit Tsalinde rumgemacht hast.“ Besorgt sah sie ihn an und hob etwas sein Kinn. „Geht es dir etwas besser? Du teilst die Last, ich werde für dich da sein.“

„Ja es geht besser. Du bist lieb. Also, mach dir keine Sorgen. So, wie ich die Ermittlungsergebnisse von damals in Erinnerung habe, wurde Ganterward erst an dem Tag ermordet und von Pruch ersetzt, als wir uns kennen lernten. Dann kann es nicht sein, dass Pruch uns beherrscht hat, um uns zusammenzuführen. Unsere Liebe basiert, wie ich sagte, allein auf Rahjas Willen.“ Gudekar hatte während seiner Rede Metas Hände ergriffen und schaute ihr mit voller Überzeugung in die Augen.

Sie schluckte schwer. „Und was machen wir nun? Wäre es dir lieber, ich würde deine geheime Geliebte sein? Du müsstest es nicht öffentlich machen.“

Gudekar schüttelte den Kopf. “Ich weiß, dass du das nicht willst, und ich verstehe das. Ich will das auch nicht. Ich will dich nicht länger verstecken. Ich möchte da raus in die Welt gehen und allen zurufen: ‘Seht, was für ein Glück ich habe! Diese wunderbare, einmalige Frau hat sich für mich entschieden. Die Götter haben mich wahrlich beschenkt!’ Ich möchte auf das nächste Fest gehen und sagen: ‘Ich bin Gudekar von Weissenquell, und diese wunderschöne Frau mit den lockigen blonden Haaren und den Grübchen auf den Wangen beim Lächeln, diese tapfere, kleine Ritterin, diese Frau an meiner Seite, gehört zu mir und niemand kann uns trennen!’ Das ist es, was ich möchte.”

“Das ist sehr lieb, sowas hast du mir noch nie gesagt.” Gerührt hielt sie seine Hand, schaute aber nachdenklich zu Boden. “Das willst du. Aber kannst du das auch? Du wärst Frevler, ich weiß nicht, wie sich das auf den Paktierer auswirkt, doch wir werden wegen des Traviabundes nie so sein können, wie wir wollen.” Sie drehte ihren Kopf zu seinem und sah ihn an. “Du sprichst heute mit Merle. Was wirst du morgen tun? Angenommen, du lässt meine Wünsche sein. Wirst du es öffentlich machen, der Liebe wegen? Oder lässt du es, für Merle und die Ehre der Familie? Ich will wissen, was du tun wirst.”

Gudekar stand auf. Er wusste selbst nicht, was er tun sollte, was er tun würde. „Die Ehre der Familie ist mir egal. Kalmans heuchlerisches Ehrverständnis kann er sich sonst wo hinstecken. Wir müssen am Ende entscheiden, was für uns das Beste ist.“ Er tigerte wieder auf und ab. „Ich sollte als erstes herausbekommen, was Merle vorhat. Vielleicht kann ich sie ja ruhig stellen, dass sie es duldet, wenn wir zusammen sind, ohne uns verstecken zu müssen. Außerdem muss ich wissen, ob sie mein Gepäck geholt hat und woher sie das über uns wusste. Ich finde das raus! Und in der Zeit kannst du mit deiner Freundin Imelda reden. Ihr wolltet doch zusammen baden gehen. Das ist vielleicht eine gute Idee.“

Auch Meta stand auf. “Dann soll es so sein. Versuch, herauszufinden, wer es verraten hat. Mir war es immer wichtig, dass du eine Stütze bist, der ich voll vertrauen kann, meine Heimat für die Seele. Lass uns versuchen, das wieder herzustellen." Sie kniff noch einmal die Lippen zusammen und seufzte dann. “Wenn es so wichtig ist, des Frevlers wegen oder, weil es sonst keine Möglichkeit gibt, stelle ich dir frei, was du morgen sagen wirst. Darüber haben wir lange genug geredet.”

Gudekar blieb stehen und nickte nur stumm. Es dauerte eine ganze Weile, bis er etwas antwortete. „Meta, mein Schatz, ich liebe dich von ganzem Herzen. Ich wünschte, die Umstände wären andere.“

“Ich bin doch bei dir. Warum kann ich dir nicht mehr vertrauen? Ich will dir helfen, so, wie wir es vorhatten. Aber ich kann das hier bald nicht mehr.”

Gudekar ging auf Meta zu und nahm sie liebevoll in den Arm. „Ich weiß. Ich hoffe, es wird bald alles gut. Ich liebe dich mehr alles andere auf Dere.“ Die Tränen in seinen Augen konnte sie nicht sehen.

***

Die beiden Liebenden zogen sich Stiefel und Mantel an und verließen Metas Kammer, um nach den Rhodenbachs zu suchen. Am Ende der Treppe trafen sie auch sogleich auf Vitold, den Jungen des Braumeisters.

“Vitold, du hast doch meine Sachen heute Morgen hergeholt. Weißt du, wo die schon wieder hin sind?” Gudekar blickte den Jungen ernsthaft, aber nicht drohend an.

“Ja, natürlich!” gab der Junge zu. “Ich habe sie wieder in das Gutshaus gebracht. So wie Eure Frau es mir aufgetragen hat, Meister Gudekar.”

Meta dachte an Tharf, die Zeit und wie sie bald diese Sippschaft verlassen würde. Mit ihrem Mann. „Dann wird deine liebe Merle den Kram bei sich haben und du weißt, wo du sie findest. Ich muss zu Imelda, wir hatten uns zum Bad verabredet. Besprich das weitere Vorgehen mit Merle und gib mir Bescheid.“

„Ja, ich werde meine Sachen suchen und Merle zur Rede stellen. Sie muss mir erklären, woher sie wusste, wo wir waren und was das Theater bei Rahjel sollte.“

Zuversichtlich lächelnd verließ sie das Gebäude, gefolgt von Gudekar, der sich auf den Weg in Richtung Gutshaus machte.

~ * ~

Ciala mit Lulu

Sorgenfalten gruben sich in Cialas Stirn, während sie auf dem steinernen Sims lehnte und die düsteren Wolken inmitten des schlechten Wetters sah. Hinter ihr in der Kammer baute Lulu Türmchen aus Holzklötzen und hatte ein paar geschnitzte Tiere zur Auswahl. Noch wollte sich Ciala nicht zu ihr wenden, das Kind sollte ihre Angst nicht sehen. Sie wusste, spürte, dass dies kein normales Unwetter war. Natürlich kam ihr sofort der Gedanke an die Hochzeit und das familiäre fragile Verhältnis zu Travia. Ciala überlegte. Bisher war Gudekar derjenige gewesen, der auf Abwegen war. Das mit Tsalinde, da hatte er sich gut rausgeredet und die beiden Frauen schienen sich wohl gut zu verstehen. Aber zu Merle war er bisher nicht so aufgetreten, wie sie es gerne hätte. Kurz setzte Cialas Herz einen Schlag aus. Das war ihr Fehler gewesen. Wahrscheinlich war es zwischen den Eheleuten ganz anders, das musste man nicht öffentlich zur Schau stellen. Sie hatte am ersten Abend zu viel von Gudekar erwartet. Reuig, voller Einsicht, dass er das Familienglück, das er schon fast zerstört hatte, noch retten wollte, so hatte sie ihn sich vorgestellt. Und dann den Abend liebevoll bei Frau und Kind. Aber er war stets ein eigener Typ gewesen, der Vieles nicht so zeigte. Er hatte ihr etwas geschenkt, das war lieb. Ciala fuhr sich durch ihr Haar, sah im Augenwinkel, dass Lulu noch spielte, aber schon umherschaute und stützte sich nochmal am Stein des Fensters ab. Wenn sie so nachdachte, hatte sie selbst gegen Travia gehandelt. Eigensüchtig, da sie endlich Frieden und Familienheil erzwingen wollte hatte sie die heilige Gastfreundschaft außer Acht gelassen und ihm quasi aufgedrängt, was sie von ihm erwartete und gesagt, was sie ihm unterstellte. Warum musste er auch mit dieser Ritterin kommen? Und so, wie er sich seit der Sache mit Tsalinde benommen hatte, nur kurz war er zu Lulus Geburt erschienen und musste dann wieder auf diese dubiose Mission. Dennoch war ihr Verhalten von Misstrauen und Ablehnung geprägt gewesen. Lulu rief: „Ala, schau, Ala!“ nach ihr und anders als erwartet, deutete sie nicht auf ihr Spiel, sondern auf das Dunkle hinter dem Fenster. Ihre Augen wurden bereits wässrig. „Das ist ein mieses Wetter, Schatzi, aber die Burg hält das aus, hier bist du sicher.“ Gemeinsam mit dem kleinen Mädchen, dem sie die Geschichte vom tapferen Ritter Alrik erzählte, kuschelte Ciala sich eng an sie geschmiegt ins Bett.

~ * ~

Trautes Heim, Glück allein

Gudekar von Weissenquell war auf der Suche nach seinem Gepäck, das er bei seiner Frau Merle vermutete. Deshalb begab er sich direkt zum Gutshof und ging in das Gesindehaus, wo das Ehepaar eigentlich gemeinsam untergebracht war. Er klopfte an die Tür der Kammer, in der Merle versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.

„Merle? Bist du da? Darf ich eintreten?“

Nach einem kurzen Moment des Schweigens erklang Merles gedämpfte Stimme von drinnen. "Komm rein."

Gudekar öffnete vorsichtig die Tür, und trat langsam ein. Er schaute zu Merle, senkte aber sofort schuldbewusst den Kopf. „Hallo Merle“, kam es zögerlich aus seinem Mund. „Wir sollten reden.“

Merle, nun wieder in einem schlichten, blaugrauen Kleid gekleidet und mit ordentlich geflochtenem Zopf, saß auf dem Bett und nähte den Saum ihres roten Festkleides, der sich leicht aufgeräufelt hatte. Sie blickte zu Gudekar auf. Ihr Gesicht war sehr blaß, die Augen leicht gerötet, die Miene ausdruckslos. "Gudekar."

„Sag, Merle, du hast mein Gepäck wieder hierher bringen lassen.“ Es war eine Feststellung, keine Frage. „Warum?“

Sie zuckte nichtssagend mit den Achseln und setzte ihr Nähwerk fort. “Offensichtlich musste es ein Versehen sein, dass alles weggeschafft wurde, wo du dich doch bloß umziehen wolltest. Also hab ich deinen Kram wieder in Sicherheit gebracht.” Musternd blickte sie auf und schaute ihm in die Augen. “Wo liegt das Problem?”

Der Magier schüttelte den Kopf. „Kein Problem. Ich bin beruhigt, dass du es geholt hast und niemand anderes.“

"Gut." Sie feuchtete die Spitze eines neuen Fadens zwischen den Lippen an, zwirbelte diese ein wenig zwischen den Fingern, um das Garn dann hochkonzentriert in das winzige Nadelöhr zu fädeln. "Worüber möchtest du reden?"

Noch immer hatte er seinen Kopf gesenkt. Fast tonlos flüsterte er reuig: „Es tut mir leid, Merle!“

Merles Miene war wie verhärtet - so, wie sich auch ihr Herz anfühlte - doch legte sie jetzt die Näharbeit zur Seite und blickte ihn aufmerksam an. "Was tut dir leid?" fragte sie ruhig.

Der Magier, der noch nie ein Mann der vielen Worte war, antwortete schlicht: „Alles.“

"Nein, so einfach ist das nicht." Merle lachte bitter auf. "Eben im Schrein klang es für mich nicht, als würde dir besonders viel leid tun. Und ich glaube, dir ist auch nicht klar, wie sehr du mich verletzt hast." In ihren Augen sammelten sich erneut Tränen, die sie tapfer runterschluckte. "Also, was tut dir leid?"

Gudekar schluckte. „Es tut mir leid, dass ich dich so lange angelogen habe, dass ich dich hingehalten habe. Es tut mir leid, dass ich dir nicht mehr die Liebe geben konnte, die du verdient hättest.“ Er machte eine Pause. Sein Blick war weiterhin auf den Boden gerichtet, seine Stimme wurde wieder leiser. „Es tut mir leid, dass du das mit ansehen musstest.“

"Das war nun wirklich das geringste Übel." Merle verzog das Gesicht. "Ich war froh, dass der Geweihte da war und wir in Ruhe miteinander sprechen konnten. Ohne Hass und Vorurteile." Sie schloss kurz die Augen und seufzte müde. "Aber was mich wirklich traurig macht, ist die Art und Weise, wie du in den letzten zwei Jahren unseren Bund, unseren Schwur mit den Füßen getreten hast. Weißt du noch", sie starrte ihn intensiv an, "...wir hatten uns damals geschworen, zueinander zu stehen, für immer, was auch passiert. Und für mich bedeutet dieser Schwur, auch in schweren Zeiten um den Bund zu kämpfen. Sich wieder anzunähern, wenn man sich voneinander wegbewegt, sich um den anderen zu bemühen… Aber du hast dich nicht bemüht… Nicht ein kleines bisschen! Du hast unseren Bund beim ersten Gegenwind, bei der allerersten Versuchung verloren gegeben. Und mir hast du gar nicht die Möglichkeit vergönnt, mich um dich zu bemühen, die Hand nach dir auszustrecken. Alles, was wir zusammen hatten und alles, was wir hätten haben können, hast du achtlos wegflattern lassen wie ein Blatt im Wind." Nun lief doch eine Träne über ihre Wange, die sie mit einer unwirschen Handbewegung wegwischte. Fahrig griff sie erneut nach ihrer Nähnadel und versuchte vergeblich, den Faden wieder einzufädeln.

Nun hob Gudekar seinen Blick doch, langsam, vorsichtig. Er sah, wie sich Merle vor Aufregung mit dem Faden abmühte. Sanft bot er an: „Komm, gib her, ich helfe dir.“ Er streckte die Hand nach der Nadel aus.

“Danke, mein Herz”, kam wie automatisch aus ihrem Mund, als sie ihm Nadel und Faden herüber reichte. Forschend blickte sie in seine klugen, grauen Augen, die ihr so vertraut und lieb waren. Hatte sie die Arglist und Täuschung darin so lange nicht gesehen - oder nicht sehen wollen? “Sag mir, wie viel wert war dein Schwur? Wieviel wert sind deine Versprechen?” brachte sie mit gewisperter, kaum hörbarer Stimme heraus.

Mit ruhiger Hand war er dabei, das Garn einzufädeln, als Merle ihre Frage stellte. Erschrocken zuckte er zusammen und stach sich mit der Nadel in den Finger. „Autsch!“ Sogleich bildete sich ein Tropfen Blut auf seinem Finger, den er schnell in den Mund steckte und daran saugte. Dann schüttelte er ganz langsam den Kopf. Während er zu sprechen begann, versuchte er erneut, den Faden durch das Nadelöhr zu fädeln. „Es tut mir leid. Ich wollte nie, dass dies geschieht. Als wir uns den Schwur gaben, konnte ich nicht sehen, was die Zukunft bringt. Doch dir Leid zuzufügen, war das Letzte, was ich wollte.“ Fast tonlos bildeten seine Lippen die Worte: „Doch es gab keinen anderen Weg.“

"Soll ich mal pusten?" fragte Merle mit spöttischem Unterton und nahm ihm die Nadel wieder ab. "Nicht, dass du mir das Gewand vollblutest." Eindringlich blickte sie ihn an und stieß langsam die Luft aus, mühsam den aufsteigenden Ärger unterdrückend. “Keinen anderen Weg? Es gibt immer einen freien Willen und mehrere Wege. Deine Gefühle sind nicht das Problem. Die entscheidende Frage ist, wie man aufgrund dieser Gefühle handelt." Sie hatte ihren Faden selbst wieder eingefädelt und begann mit verbissener Miene, den Saum ihres Kleides zu reparieren. "Und dass es keinen Weg gibt... das hast du allein für uns beide entschieden? Du hattest unseren Bund also schon vor langer Zeit abgeschrieben, hast mich aufgegeben, ohne nur ein einziges Wort zu mir zu sagen? Du entscheidest dich und mir bleibt nichts übrig, als mich zu fügen?" Wieder blickte sie zu ihm auf, beschwörend und flehentlich. "Gudekar, ein Travienbund besteht aus zwei Menschen! Wir beide sind in den Bund gegangen in dem vollen Bewusstsein, dass es auf ewig ist. Wie willst du als Mensch einen Bund lösen, den die Gütige Mutter geschlossen hat?"

Wieder schüttelte er den Kopf. „Du verstehst das nicht. Ich wollte es niemals, dass unser Bund gelöst werden soll. Es ist ein Bund vor der Göttin. Ich weiß, dass wir ihn nicht lösen können. Ich muss dich schützen. Ich muss Lulu schützen. Um jeden Preis.“

Sie rollte leicht mit den Augen. "Die letzten zwei Götterläufe hast du dich nicht gerade wie ein verheirateter Mann gebärdet. Du hast mir kalt lächelnd Halbwahrheiten und blanke Lügen erzählt, bis ich halb wahnsinnig geworden bin vor Einsamkeit und Schmerz! Hab ich das verdient als Mutter deiner Tochter?" In Merles Blick spiegelte sich nur ein Bruchteil des Leides, das sie zwei Jahre lang hauptsächlich mit sich selbst ausgemacht hatte. "Nach all den Jahren, wo ich an deiner Seite war, da bin ich dir nicht mehr wert als ein Besitzstück, das du 'beschützen' willst? Zehn Götterläufe lang war ich dir treu, hab dich geliebt und unterstützt - und du hast offenbar kein allzu großes Problem damit, mich erbarmungslos anzulügen, hinzuhalten und klein zu machen? Jetzt willst du mich von dir stoßen, hier entehrt und gedemütigt zurücklassen und mit deiner almadanischen…”, sie zögerte, ein so böses Wort wie ‘Hure’ oder ‘Schlampe’ auszusprechen, auch wenn es ihr auf der Zunge lag, “...Geliebten lustig um das Dererund zu gondeln? Was…", ihre Stimme klang jetzt schneidend und bitter, "...was ist unser Bund vor der Göttin denn deiner Meinung nach noch wert? Kannst du mir das sagen, Gudekar?"

Tränen sammelten sich Gudekars Augen. „Merle, ich bin bereit, unseren Bund zu opfern, wenn dafür Er euch nicht bekommt. Ich wäre bereit, meine Seele zu opfern, wenn ich dich und Lulu dafür in Sicherheit wüsste.“

Langsam schüttelte sie den Kopf. "Ich glaube dir, dass du das glaubst. Aber ich bin auch nicht dumm. Ich weiß, dass du ganz selbstsüchtig unsere Ehe für dein Glück mit Meta opferst. Du willst vielleicht zu einem kleinen Teil fortgehen, um unsere Tochter und mich zu schützen. Aber zum allergrößten Teil geht es dir darum, mit Meta zusammensein zu können, ungestört von uns." Traurig und mit sichtlicher Enttäuschung presste sie die Lippen zusammen. "Du machst mir immer noch was vor, oder etwa nicht?"

„Merle, du kennst mich zu gut. Ich könnte dir nichts vormachen.“ Gudekar zog die Luft tief ein und versuchte, sich zu sammeln. Er legte seine Hände auf ihre und blickte in ihre Augen. „Es ist wahr, mein Herz verzehrt sich nach dieser Frau, mehr als ich mir dies je vorstellen konnte. Das ist nicht der Grund, weshalb ich dorthin gehen muss. Ja, doch, das ist der Grund. Aber nicht, weil ich mich mit ihr vergnügen möchte. Es gibt einen Grund, weshalb mein Herz dir entrissen und an sie gebunden wurde. Ich bin gewiss, Er steckt dahinter. Genau dies war sein Plan.“

Merle zuckte wie getroffen zusammen unter der Berührung seiner Hände, empfand diese fast intensiver, durchdringender, als den leidenschaftlichen Kuss vorhin in dem improvisierten Schrein. Für einen Moment schwieg sie und kniff ungläubig die Augen zusammen. "Das ist nicht das, was du ihr im Schrein gesagt hast. Und wenn es so wäre, hätte Rahjel euch wohl kaum vor Rahja verbunden. Du lügst also eine von uns beiden an", sagte sie feststellend, fast freundlich, "...oder uns beide." Wieder entwich ein leises, enttäuschtes Seufzen ihrer Kehle. “Gudekar, nach all den Jahren… lass’ uns doch bitte offen und ehrlich miteinander umgehen, ja? Zumindest das bist du mir schuldig, denke ich.”

Gudekar war nicht sicher, was Merle meinte. “Womit lüge ich? Was habe ich vorhin angeblich anders gesagt? Ich gebe zu, dass ich Meta liebe und begehre. Das habe ich vorhin gesagt, und das sage ich auch jetzt. Und ich weiß nicht, wie ich das ändern soll. Mein Herz verzehrt sich nach ihr.” Innerlich schüttelte Gudekar verständnislos den Kopf. Merle hatte wohl mit keiner Silbe verstanden, worin die Gefahr lag. Er musste es ihr später anders erklären. “Also schön. Seien wir ehrlich zueinander. Stell mir eine Frage, und ich werde sie beantworten.”

Sie hob die Schultern. "Du hast im Schrein darüber gesprochen, dass Meta deine Zukunft wäre. Dass du dich ihr zugewandt hättest im vollen Bewusstsein, was du tatest - anders als bei Tsalinde. Du hast behauptet, dass Rahja euch zusammengeführt hätte. Und jetzt erzählst du mir, dass es stattdessen der Frevler war?! Dass du ein Opfer seines 'Plans' wärst und nicht deiner eigenen Entscheidungen?" Ernst und durchdringend durchbohrte sie ihn mit ihren Blicken. "Ich bin ein naives Waisenmädchen, aber ich erkenne wohl, dass etwas nicht stimmt in dem, was du mir und Meta einreden willst. Und weißt du, was das Problem ist, mein Herz?" Ihre Stimme klang sanft und sehr ruhig, doch die Züge um ihren Mundwinkel waren hart und unnachgiebig geworden. "Wenn man so oft gelogen und seine Schwüre gebrochen hat, dann glaubt einem irgendwann keiner mehr. Dann magst du auch die Wahrheit sagen und dennoch sind deine Versprechen nichts wert." Merle fixierte seinen Blick mit ihren tiefen, braunen Augen und lächelte ihn bitter an. "Das ist eine Frage, die sich vielleicht auch deine Geliebte stellen sollte. Ja, jetzt versprichst du ihr das Dererund - aber sind deine ganzen schönen Worte am Ende mehr wert als der Schnee vom letzten Jahr?" Ihre Stimme brach, Merle warf sich aufs Bett und vergrub ihren Kopf zwischen ihren Händen. "Was soll ich dich denn noch fragen, wenn ich dir nichts mehr glauben kann?" brachte sie nach einigen Momenten des Schweigens schluchzend hervor.

Gudekar kniete sich neben das Bett und versuchte zögerlich, Merle zu trösten, indem er ihr über das Haar streichelte. Leise sprach er. “Es tut mir leid. Ich wollte niemals, dass es so kommt. Vermutlich versuche ich mir nur selbst einzureden, dass das alles nicht meine Schuld ist und dass Lolgramoth hinter allem steckt. Vermutlich ist es allein meine Schuld, aber Lolgramoth lacht sich deshalb ins Fäustchen. Es ist wahr, dass mein Herz für Meta schlägt. Es ist aber auch wahr, dass ich noch immer Liebe für dich empfinde, dass du ein Teil meines Lebens bist, immer ein Teil meiner Seele sein wirst. Ich wollte dir nie wehtun, und doch habe ich genau dies getan. Alles, was ich getan habe, war falsch. Es wäre alles so viel einfacher, wenn es unseren Bund nicht gäbe, ich hätte dir von Anfang an sagen können, dass ich eine andere Frau kennengelernt habe und ich mir seitdem meiner Gefühle zu dir nicht mehr sicher bin. Ich hätte dich bitten können, mich freizugeben und du hättest dir einen Weg suchen können, anders glücklich zu werden. Aber ich hatte zu viel Angst vor den Konsequenzen, wenn deine Eltern davon erfuhren. So habe ich die ganze Zeit versucht, es geheim zu halten. Gleichzeitig hat sich Meta so sehr gewünscht, dass ich mich öffentlich zu ihr bekenne. Auch ihren Wunsch verstehe ich. Sie will nicht die heimliche Geliebte eines verheirateten Mannes sein. Sie möchte offen mit ihrem Mann leben. Und dieser Mann soll ich sein. Doch beides ging nicht, und so habe ich euch beide hingehalten. Es tut mir leid. Für euch beide. Und dann ist da noch als drittes die ständige Angst vor dem Pruch und seinen Schergen. Ich wusste von Anfang an, was ich hier tue, gefällt seinem Herrn. Und dennoch konnte ich nicht davon lassen. Ich weiß auch, dass Pruch mich und die anderen seiner Häscher kennt und uns vernichten will, unsere Familien zu zerstören trachtet. Ich hatte deshalb stets Angst um dich und Lulu. Meine Hoffnung war, durch mein Verhalten hätte er keinen Grund, euch etwas anzutun. Solange ich meine Familie zerstöre, muss er nichts gegen euch unternehmen. Dies ist auch ein Grund, weshalb ich mit Meta fliehen will. Wenn ich dich und Lulu verlasse, noch dazu mit einer anderen Frau, dann gibt es für Pruch keinen Grund mehr, euch etwas anzutun. Das klingt für dich sicher nicht logisch, doch es hat bisher gut geklappt. Du und Lulu, ihr wart die ganze Zeit hier in Lützeltal in Sicherheit. Euch ist nichts geschehen. Ihr lebt.” Gudekar war in einen Redefluss verfallen, denn es tat ihm gut, seine Sorgen und Verzweiflung auszusprechen zu einer Person, der er zutiefst vertraute. Genauso wie es zuvor gut tat, Meta einzuweihen.

Sie drehte unter seiner Berührung den Kopf und schaute ihn lange mit tränenschimmernden Augen an. “Verdammt, jetzt hast du es wieder geschafft, dass ich dir glaube. Dabei wollte ich das nicht mehr...”, kam krächzend aus ihrer Kehle und sie rang sich ein trauriges Lächeln ab. Sanft strich sie ihm mit der ausgestreckten Hand über die Wange. “Ich will dich nicht bei der Traviakirche anklagen und ans Messer liefern… Ich will dir nicht wehtun… Aber du weißt, dass ich dich auch nicht freigeben kann. Wir sind im Traviabund und werden es immer sein.” Gudekar nickte wortlos. Merle richtete sich halb auf, wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen und versuchte, sich wieder zu fassen. “Weißt du, was ich in Rahjas Haus verstanden habe…”, murmelte sie mit leiser, tonloser Stimme, “...hinter all dem Schmerz und Zorn, hinter Angst, Wut und Enttäuschung… da ist am Ende immer noch Liebe.” Sie schaute ihm tief und zärtlich in die Augen. “Wenn wir drei es irgendwie schaffen, zu einer harmonischen Lösung zu kommen, zu einem Weg der Liebe statt des Hasses… wenn wir als Familie zusammenhalten, anstatt uns gegenseitig zu zerfleischen - dann durchkreuzen wir damit vielleicht mehr die Pläne des Frevlers und seines Herrn als mit allem anderen. Und das wäre doch gut, oder? Ich meine, du darfst nicht weiter auf einen Pfad gehen, der dich am Ende in die Dunkelheit und in seine Hände führt. Das kann ich nicht zulassen!”

Vorsichtig versuchte Gudekar zu lächeln, doch gelang es ihm nicht richtig. Zu groß war der Kummer. Nicht nur die Sorge davor, was Pruch Merle und Lulu antun könnte, nein es war vor allem der Kummer, den er Merle angetan hatte in den letzten beiden Jahren, und der Kummer, den er Meta angetan hatte. Er liebte beide Frauen, auf unterschiedliche Weise, aber er liebte sie. Doch sah er nicht, wie er eine von ihnen glücklich machen konnte, ohne die andere zu verletzen. “Es wäre schön, wenn es einen Weg gäbe. Denn, ja, wenn wir zusammenhalten, wenn wir Lolgramoth nicht in unsere Herzen lassen, dann tun wir Travia damit einen Dienst, mehr vielleicht, als wenn wir streng den Regeln ihrer Kirche folgen und Dinge tun, die unser Herz kalt werden lassen. Doch ich möchte Meta nicht verstecken müssen, nur um zum Schein mit dir zusammenzuleben. Ich möchte sie als gleichwertige Frau an meiner Seite wissen, auch vor anderen.”

"Wie sollte das denn gehen?" fragte Merle und runzelte verwirrt die Stirn. "Mal ganz abgesehen davon, was ich eventuell bereit wäre zu tolerieren... In dem Moment, wo du Meta als Frau an deiner Seite präsentierst, in dem Moment bekennst du dich öffentlich zum Ehebruch. Das kannst du nicht machen!" Ungläubig schüttelte sie den Kopf. "Vielleicht in Al'Anfa, aber nicht im Nordmärker Adel."

Gudekar senkte den Blick nach unten. “Ich weiß.” Er atmete tief durch. Einmal. Zweimal. Dreimal. Dann blickte er wieder in Merles Augen. “Was wärst du denn bereit zu tolerieren? Und noch viel wichtiger: Gäbe es eine Möglichkeit, in der auch du wieder glücklich sein könntest?” Ein verzweifeltes, selbstironisches, kurzes Lachen kam ihm über seine Lippen. “Ich meine, außer, dass ich Meta verlasse und alles wieder so wird wie früher?”  

“Tut mir leid, aber im Moment fühle ich mich nicht fähig, dieses Gespräch zu führen”, seufzte sie mit einem leisen Lächeln und wischte erneut mit der Hand über ihre verweinten Augen. – “Das verstehe ich”, gab Gudekar kleinlaut bei. – Sie schluckte schwer. “Wir müssen das aushandeln. Wie und zu welchen Bedingungen wir unsere Zukunft gestalten. Darauf muss ich mich vorbereiten und mir überlegen, welche Zugeständnisse ich machen kann und welche nicht. Und ich denke, wenn auch du zu Zugeständnissen bereit bist, können wir ein kluges Arrangement auf Augenhöhe finden, auch im Interesse von Lulu. Eine Lösung, mit der alle leben können. Ob glücklich oder nicht, das wird sich zeigen.” Gudekar nickte. Sie saß wieder auf der Bettkante und sprach mit ernster, ruhiger Stimme. “Ich würde vorschlagen, wir setzen uns heute am frühen Abend in Ruhe zusammen, wenn es dir recht ist?” Fragend, mit offenem Blick, schaute sie ihm in die Augen, legte aus einem Impuls heraus die Hand auf seine Schulter und knetete dort die verhärteten Muskeln und Sehnen. Er musste sich etwas entspannen, wenn er diese ganze Situation durchstehen wollte. Mit geschlossenen Augen genoss er ihre Massage. “Aber hey, mal rein aus Interesse: Selbst wenn ich mich absolut ruhig verhalten würde - was ich dir natürlich in keiner Weise vorab zusichern werde”, ihre Miene war fast leichtherzig, mit sanfter Ironie in den Augen, “dann könntest du doch trotzdem nicht offen mit Meta zusammenleben… Also, wenn du weiterhin als ehrbarer, göttertreuer Magus akzeptiert werden willst. Wie hattest du dir das vorgestellt, ganz konkret?”

Gudekar öffnete seine Augen und blickte kurz in ihre. Dann senkte er den Blick. Mit leiser, unsicherer Stimme antwortete er: “Ich weiß nicht. Vielleicht habe ich es auch deswegen so lange hinausgeschoben. Weil ich wusste, dass das, was ich will, was wir wollen, nicht möglich ist.” Nun schaute er wieder zu Merle hoch und seine Stimme nahm einen kräftigeren, aber durchaus freundlichen Ausdruck an. “Sag einmal, Merle. Du hast dir Ehrlichkeit von mir gewünscht. Jetzt wünsche ich mir dasselbe von dir. Bitte, sag mir, woher wusstest du vorhin, wo du uns finden konntest? Wer hat dir von unserem Rahjabund verraten?”

Sie hörte auf, seinen Nacken zu massieren, ließ aber die Hand warm auf seiner Schulter liegen und blickte ihm für mehrere Wimpernschläge ernst und ruhig in die Augen. "Gudekar, das möchte ich dir nicht sagen. Wenn du einmal darüber nachdenkst, kann daraus nur neuer Streit und neuer Hass entstehen. Vielleicht könntest du damit klarkommen, aber deine Meta scheint mir eine sehr temperamentvolle Frau zu sein. Die dazu mit dem Schwert umzugehen weiß. Willst du sie wirklich auf einen Rachefeldzug schicken?" Fragend hob sie die Augenbrauen. "Können wir uns nicht darauf einigen, dass du es nicht wissen willst? Und darauf, dass es gut war, dass wir drei dort, umgeben von Rahjas Nähe und Wärme, aufeinander getroffen sind? So habe ich Meta ohne Vorurteile und Zorn kennenlernen können und Verständnis für eure Situation gewonnen.” Wieder schlich sich ein zartes, sanftmütiges Lächeln auf ihre Lippen. “Vielleicht hat diese Begegnung den Grundstein gelegt, damit wir wirklich einen friedlichen und harmonischen Umgang miteinander finden. Ich bin dankbar dafür… und für das Wirken der Schönen.” Sie zuckte mit den Achseln und seufzte müde. “Belassen wir es dabei, dass ich ohnehin mit Seiner Gnaden Rahjel sprechen wollte, um mir Rat und Beistand zu holen. Bitte."

Gudekar schüttelte den Kopf. “Du willst Vertrauen. Du verlangst von mir Offenheit. Doch selbst bist du nicht offen zu mir. Wie soll ich da vertrauen?” Gudekar stand auf. Er war erschrocken, verärgert. “Du traust Meta wirklich zu, dass sie ihr Schwert benutzt, um Rache zu üben? Oh, du kennst sie nicht!  Meta ist ein herzensguter Mensch.” Er lief zum Fenster und schaute hinaus in Richtung der Streuobstwiesen, wo in einiger Entfernung das Zeltlager der fahrenden Händler aufgebaut war. Der Wind, der den Regen inzwischen begleitete, rüttelte an den Zeltplanen. Die Fahnen der Ritter wehten wild hin und her. ‘Wenn es heftiger wird, wird es Probleme geben’, dachte Gudekar für einen kurzen Moment abgelenkt. Dann schaute er zu Merle. “Ich werde dich nicht zwingen, mir das zu sagen. Aber früher oder später finde ich es eh heraus. Doch du verhinderst, dass wir mit offenen Karten spielen, obwohl du dies von mir verlangst.”

"Nein, natürlich glaube ich nicht, dass Meta mit dem Schwert auf jemanden losgeht!" seufzte sie genervt. "Und nein, ich kenne sie nicht näher. Aber ich traue euch beiden durchaus zu, dieses Hochzeitsfest mit noch mehr Streit und Zerwürfnis zu belasten. Etwas, das dem Feind sicherlich sehr gut zupass kommt, meinst du nicht auch?" Sie blickte ihn ratlos und ein bisschen trotzig an. "Wenn du es wirklich wissen willst, dann sage ich es dir. Dann musst du entscheiden, was du mit der Information anfängst. Deine Entscheidung."

Gudekar blickte seine Frau heraus- und auffordernd an.

"Es war Gwenn, die mir das erzählt hat. Vorhin auf dem Markt", sagte sie schlicht. "Sie hatte wohl ein schlechtes Gewissen, mich so lange angelogen zu haben. Und sie will verständlicherweise ein ruhiges Traviafest." Merle zuckte mit den Achseln. "So. Bist du jetzt zufrieden?"

Gudekar war sichtlich überrascht. Er ging zu dem Stuhl, der in dem Zimmer aufgestellt war, und setzte sich. “Gwenn. Aha. Das hätte ich nicht geglaubt. Sie wollte ein ruhiges Traviafest? Indem sie uns aufeinander loshetzt? Ich verstehe das nicht. Wieso hat sie das getan? Was will sie damit erreichen?” Er war auch über sich selbst überrascht. Er hatte erwartet, wenn er herausfinden würde, wer Merle von seinen Plänen erzählt hatte, würde er wütend werden. Doch das war er nicht. Er spürte eine Leere in sich. Vielleicht sogar eine Erleichterung. Dennoch verstand er es nicht. “Da steckt bestimmt ihr Bräutigam dahinter.”

Merle rollte leicht mit den Augen. "Na, eine kleine Kostprobe, wie es sich anfühlt? Von jemandem betrogen zu werden, den man liebt?" Sie ging zu ihm, stellte sich neben seinen Stuhl und legte ihm sanft und beschwichtigend den Arm um die Schulter. "Rhodan steckt nicht dahinter", versicherte sie ernsthaft. "Und ich bin mir auch sicher, dass Gwenn es nicht in böser Absicht getan hat. Zu ihren genauen Beweggründen müsstest du sie selbst fragen. Aber wie gesagt, es tat ihr leid, mich die ganze Zeit über deine Affäre belogen zu haben. Und ich glaube, sie wollte tatsächlich, dass wir uns lieber in einem geschützten Rahmen aussprechen, in Anwesenheit eines Geweihten, als dass es auf dem Hochzeitsfest zum Eklat kommt." Flüchtig verzog sie den Mund zu einem traurigen Lächeln. "Dadurch, dass du deine Sachen heute früh hast zu Meta holen lassen, war ich mir eigentlich schon fast sicher, was los ist. Da wusste Gwenn, dass sie die Sache nicht länger geheimhalten kann. Also eigentlich war es dein eigener Fehler, mein Schatz."

“Keine Angst. Ich hege keinen Groll.” Sanft legte er seine Hand auf ihre. “Weder auf Gwenn noch auf dich. Vermutlich ist es besser so. Gwenn hat es mit Sicherheit aus Güte verraten. Wenigstens hat sie es nicht Kalman oder Vater erzählt.” Er drehte den Kopf und blickte zu ihr. “Hat sie doch nicht, oder?”

"Nein. Sie liebt dich. Genauso, wie ich dich liebe. Aber sie war nicht einverstanden mit der Art und Weise, wie du mich behandelt hast." Merle musterte ihn fragend. “Ob du es Meta sagst, musst du selbst entscheiden. Du kennst sie ja besser als ich.”

Gudekar entspannte sich und lächelte liebevoll. “Es gibt keinen Grund, warum Meta das wissen müsste. Es wäre etwas anderes gewesen, hättest du es zum Beispiel von Imelda erfahren. Imelda ist ihre Freundin, die Frau der Meta am meisten vertraut. Dann hätte ich es ihr sagen müssen. Aber so… Ich möchte, dass Meta und Gwenn ein gutes Verhältnis zueinander bekommen. Warum sollte ich das damit belasten. Für Meta wird es immer so bleiben, dass du es selbst herausgefunden hast. So, wie du gesagt hast.” Gudekar schaute seine Frau, die er früher so sehr geliebt hatte, lange schweigend an. “Ich… ich danke dir. Ich liebe Meta wirklich. Ich hoffe, du kannst das akzeptieren und wir finden heute Abend eine Lösung. Sag mir, wohin ich kommen soll.”

Merle nickte verstehend und ein zartes, hintersinniges Lächeln huschte über ihr Gesicht. Anscheinend vertraute auch Gudekar nicht gänzlich auf die Sanftmütigkeit und Herzensgüte seiner Geliebten. "Tatsächlich hatte ich überlegt, ob es sinnvoll wäre, zu unserem Gespräch einen unabhängigen Zeugen dazuzuholen. Jemanden, dem wir beide vertrauen, der im Zweifelsfall vermitteln kann. Und verhindern, dass wir uns an die Gurgel gehen." Sie zwinkerte ihm zu, damit er wusste, dass die letzte Bemerkung ein Scherz war. "Da hatte ich tatsächlich an Gwenn gedacht. Ich weiß, du hast Grund, sauer auf sie zu sein. Aber ich denke, deine Schwester kann in dieser Sache neutraler und diskreter sein als die meisten anderen." Sie straffte sich und lächelte ihren Mann tapfer an. "Was meinst du, heute abend hier, zur Phexenstunde? Ist doch passend, oder?"

Gudekar nickte und lächelte Merle an. “Einverstanden, Gwenn soll dabei sein. Aber vielleicht nicht gerade in unserem…, ähm entschuldige, in deinem Schlafzimmer. Kann Wiltrud uns nicht eine Kammer richten, wo wir vier uns gemütlich, aber ungestört zum Gespräch hinsetzen können?”

Merle zuckte mit den Achseln. "Ich hatte eigentlich gedacht, den Ball flachzuhalten. Es soll doch niemand was davon mitkriegen, oder? So ein Gespräch geht absolut gegen den rechten Glauben und Anstand, gegen alle guten Sitten, das müsste dir auch klar sein..." Sie hielt inne. "Moment, wir vier?" Fragend kniff sie die Augen zusammen.

“Naja”, zuckte Gudekar mit den Schultern, “wir reden über unsere Zukunft. Und Meta ist Teil von meiner Zukunft. Ich denke, sie sollte auch mitreden dürfen. Sie ist jetzt, vor Rahja, ebenso meine Frau, wie du vor Travia. Gleichberechtigt. Wenn wir eine Vereinbarung treffen wollen, muss es auch in ihrem Sinne sein.”

"Es geht zunächst einmal um unseren Traviabund. Das ist ein Bund zwischen zwei Menschen", widersprach Merle. "Und offen gesprochen denke ich nicht, dass Metas Anwesenheit uns wirklich dabei hilft, konstruktive Lösungen zu finden. Sie scheint mir doch ziemlich... emotional zu sein. Und verzeih' mir die Bemerkung, aber auf mich wirkt sie dir gegenüber doch sehr besitzergreifend. Zumindest war das vorhin mein Eindruck."

“Das mag ja alles sein”, stimmte Gudekar zu. “Aber neben dem Traviabund besteht nun auch ein Bund vor der lieblichen Göttin. Du möchtest mir sagen, wie du dir unsere Zukunft vorstellt und wie ich dennoch mit Meta zusammen sein kann. Schön. Aber damit betrifft es auch meine tapfere kleine Ritterin. Und deshalb darf sie da mitreden. Du kannst nicht einfach über ihr Leben entscheiden.”

Merle rollte bei 'tapfere kleine Ritterin' leicht mit den Augen. "Lass' uns bitte nicht vergessen, dass ich zuallererst das Opfer eurer Untreue bin. Wenn - die Betonung liegt auf wenn! - ich deine Beziehung mit Meta in irgendeiner Form akzeptiere, dann ist das ein gewaltiges Zugeständnis! Dir müsste klar sein, dass die meisten Frauen das nicht hinnehmen würden. Es widerspricht allem, was mir hoch und heilig ist, meiner Erziehung und meinem Glauben." Merles Stimme klang hart und eisig, ihr Blick war fest. "Und selbstverständlich ist ein einjähriger Rahjabund in keiner Weise mit einer vor der Eidgöttin geschlossenen, rechtskräftigen Ehe vergleichbar. Aber das können wir gerne auch morgen mit Mutter Liudbirg und Vater Reginbald diskutieren, wenn dir das lieber ist." Das kurze Lächeln, das sie ihm zeigte, war freudlos und bitter.

“Du irrst, mein Schatz, du irrst dich gewaltig.” Gudekars Stimme wurde langsam lauter. ”Oh, du würdest dich wundern, wie viele Frauen oder Männer so etwas hinnehmen. Glaube mir, mehr als die Traviageweihten vielleicht sehen wollen. Oder zu sehen behaupten. Und es ist ein Rahjabund auf zwei Jahre, mein Schatz, auf zwei Jahre. Den Rahjabund auf ein Jahr haben wir bereits hinter uns.”

Sie schaute ihn konsterniert an und seufzte sichtlich genervt. "Ich rede nicht von Affären. Klar gibt es sowas. So naiv bin ich nicht, dass mir das nicht bewusst ist. Aber was du willst, ist etwas anderes. Du willst mich im Grunde verstoßen. Du willst mich als deine angetraute Ehefrau durch sie ersetzen. Und das werde ich nicht hinnehmen."

“Das habe ich sehr wohl verstanden!” Gudekar war verzweifelt ob der Borniertheit seiner Frau. “Du willst nicht akzeptieren, dass Meta jetzt und in Zukunft die wichtigste Frau in meinem Leben ist. Deshalb möchtest du mir Bedingungen stellen, unter denen du mir eine Beziehung zu Meta gestattest. Nach deiner Gnade. Und gleichzeitig wünscht sich Meta nichts sehnlicher, als dass ich sie als meine Frau an meiner Seite führe. Das geht nach Travias Gesetzen nicht. Das weiß ich sehr wohl. Also eine Situation, in der es nur Verlierer geben kann, keine Gewinner. Außer Lolgramoth persönlich. Wunderbar! Wollen wir dies lösen, so geht es nur gemeinsam. Deshalb, in Travias Namen, lass uns gemeinsam nach einer Lösung suchen. Auch du wirst Zugeständnisse machen müssen. Auch Meta wird Zugeständnisse machen müssen. Auch ich werde Zugeständnisse machen müssen. Anders geht es nicht. Glaube mir, ich bin nicht glücklich mit der Situation. Doch wollen wir uns einig werden, dann nur gemeinsam.”

"Mag sein. Dennoch, es ist meine Gnade, dass ich überhaupt zu Verhandlungen bereit bin", sagte Merle kalt. "Vergiss das nicht." In ihre harte, versteinerte Miene mischte sich ein Hauch Mitleid. "Wenn ich darauf verzichte, dich vor der Traviakirche anzuklagen, verzichte ich auch auf meine eigene Möglichkeit, mich neu zu verheiraten. Damit opfere ich für dich - für euch - mein persönliches Wohl und Glück. Ich muss auch an mich selbst denken! Ich möchte nicht als das arme, gehörnte, betrogene Eheweib bemitleidet werden. Mein Stand im Adel und in dieser Familie ist wegen meiner Herkunft ohnehin nicht der beste - deshalb will ich nicht, dass deine Untreue ein schlechtes Licht auf mich wirft. Für meine Toleranz verlange ich nennenswerte Zugeständnisse deinerseits. So ist es nun einmal." Merle atmete tief ein und aus, um sich zu beruhigen. "Mal ganz ehrlich, Gudekar. Du weißt im Grunde doch auch, dass wir ohne Meta sehr viel produktiver verhandeln könnten. Vermutlich hast du bloß Angst davor, ihr zu sagen, dass sie nicht dabei sein kann. Ich glaube, sie hält dich ganz schön an der kurzen Leine, was?"

Gudekar war empört. Er wusste nicht, was Merle mit ihren Vorwürfen erreichen wollte. Vielleicht wollte sie ihm ein schlechtes Gewissen einreden. Vielleicht wollte sie ihn klein machen. Aber so oder so, so würde sie ihr Ziel nicht erreichen. “Denkst du wirklich, ich würde mir von so einem jungen Ding, was noch grün hinter den Ohren ist, sagen lassen, was ich zu tun oder zu lassen habe? Glaubst du wirklich, ich stünde so sehr unter ihrer Fuchtel? Nein, mein Schatz, es ist allein meine Entscheidung, zu welchen Absprachen mit dir ich bereit bin. Ich habe das entschieden, dass Meta dabei ist. ICH allein! Meta wäre bereit gewesen, dass wir unsere Beziehung geheim halten. Aber, wenn du nicht bereit bist, mit Meta und mir über die Zukunft zu reden, dann.. dann… dann eben nicht!”

Merle lächelte süffisant. "Was ich über dein Verhältnis zu Meta denke, ist doch eigentlich egal, oder? Ich hab nur beobachtet, dass die Kleine anscheinend glaubt, dich nach ihren Vorstellungen formen und verändern zu können. Dass sie denkt, du wärst nur dank ihr stark, selbstbewusst und mutig... Aber das ist deine Sache, nicht meine." Angesichts von Gudekars Ausbruch immer noch sehr ruhig und konzentriert, hob Merle lässig die Schultern. "Nun, wenn es dir so wichtig ist, soll sie meinetwegen mitreden, deine 'kleine, tapfere Ritterin'... Aber ihr muss klar sein, dass dieses Gespräch kein Wunschkonzert für sie wird."

Na also! Merle wurde doch noch vernünftig. “Gut, dann zu viert”, bemerkte Gudekar ganz gelassen. “Aber dann sollte es wirklich in einem anderen Raum stattfinden. Das hier wäre wohl nicht angemessen.”

Merle unterdrückte ein entnervtes Aufstöhnen. "Wirklich? Darum sorgst du dich, ob der Raum 'angemessen' ist? Es geht um unsere Zukunft und du scherst dich ums Ambiente?" Gegen ihren Willen musste sie kurz auflachen. "Wenn, dann richte ich selbst eine Kammer. Halten wir Wiltrud da raus."

Gudekar zog die Augenbrauen hoch. “Meinetwegen. Mir egal, wer den Raum herrichtet. Ich dachte nur, es wäre nicht angebracht, Meta in dein Schlafzimmer zu bringen. Aber von mir aus, können wir auch hier reden. Nur, wenn du denkst, wir könnten dann zu dritt auf dem Bett kuscheln, dann irrst du dich.” Der letzte Satz hatte einen äußerst sarkastischen Unterton.

"Oh ja, der Anblick eines Bettes wäre sicherlich traumatisch für die arme kleine Meta", gab Merle ebenso sarkastisch zurück. "Schon vergessen, was ich mir heute anschauen musste?" Sie zog die Mundwinkel zu einem freudlosen Lächeln hoch. "Sonst noch Wünsche hinsichtlich der Dekoration?"

“Ich glaube, du nimmst das alles nicht ernst. Für dich scheint das vielleicht ein Spiel zu sein. Aber, … ach, was soll das? Wir reden heute Abend. Wir werden kommen.” Gudekar schüttelte den Kopf und strich sich an der Stirn beginnend mit der linken Hand über die Haare. “Ich hoffe, wir finden eine Lösung, die für alle akzeptabel ist.”

Sie trat näher an Gudekar heran und sah ihm direkt in die Augen. "Glaub mir, ich hab noch nie in meinem Leben etwas so ernst genommen wie das hier", sagte sie leise. "Mein Herz ist gebrochen und ich versuche, irgendwie weiterzumachen. Einen Schritt nach dem nächsten zu setzen. Und dabei weder zusammenzubrechen noch durchzudrehen." Ihre Stimme war schwach und tonlos geworden. "Also verzeih' mir bitte, wenn ich versuche, dieser absurden Situation einen winzigkleinen Funken Humor abzugewinnen. Ich glaube mich zu erinnern, dass du das auch gelegentlich zu tun pflegst."

Gudekar kam ihr noch einen Schritt näher, legte seine Hände auf ihre Hüften und zog sie an sich heran. Dann küsste er sie auf die Stirn. „Du hast recht. Es tut mir leid!“

Merle seufzte schmerzvoll und schaute Gudekar traurig an. Sie wirkte erschöpft, überfordert, unendlich verloren. Wortlos umarmte sie ihn, drückte ihn an sich und presste den Kopf an seine Schulter. "Frieden? Für den Moment?" murmelte sie in den Stoff seiner Robe herein.

Mit einem stummen Seufzer atmete Gudekar tief ein. “Frieden!” bestätigte er. “Ich werde dich dann jetzt erst einmal allein lassen. Ich habe ebenso wie du meine Gedanken zu sortieren. Ich hoffe, dass wir dann eine Lösung finden, die für uns alle akzeptabel ist. Vorsichtig löste er sich aus ihrer Umarmung. “Lass mich jetzt bitte gehen.”

Widerstrebend entließ sie Gudekar aus der Umarmung. Merle durchfuhr für einen Moment das Gefühl, ihn damit für immer loslassen zu müssen; ihr Herz zog sich krampfartig zusammen und floss gleichzeitig vor inniger Liebe zu ihm über… ein fast schmerzhaftes Ziehen, das bis in ihre Fingerspitzen ausstrahlte. Nicht unbedingt Verlangen nach seinem Körper, auch wenn das unterschwellig mit hereinspielte, sondern vor allem Sehnsucht nach seiner Aufmerksamkeit, Zuneigung und Wärme. “Ich hab solche Angst, dich ganz zu verlieren… vollständig und endgültig”, brachte sie mit belegter Stimme heraus und blickte verlegen nach unten.

“Ich weiß. Lass uns später darüber sprechen. Es ist besser, wenn wir beide erst unsere Gedanken sammeln.” Gudekar drehte sich langsam um und ging zur Tür.

“Gut. Dann bis nachher. Du sagst Meta Bescheid und ich Gwenn?” Sie atmete krampfartig aus, schluckte schmerzhaft und schaute ihn traurig an. “Gudekar!” rief sie ihm hinterher. “Ich liebe dich und ich werd’ dich niemals aufgeben! Wenn unser Bund ein sinkendes Schiff ist, dann werde ich damit untergehen. Das schwöre ich dir.”

Der Anconiter blieb stehen und lehnte seine Stirn an die noch geschlossene Tür. Er atmete tief durch. Dann straffte er sich. Wortlos öffnete er die Tür und ging hindurch. Erst als er bereits auf dem Flur stand, drehte er sich noch einmal zu Merle um. „Es tut mir leid! Wie schaffst du es nur, trotz allem, was ich dir angetan habe, ich dir noch immer antue, dein Herz so voller Güte und Liebe zu bewahren?” Er wartete keine Antwort ab, sondern schloss die Tür und ging langsam fort.

Merle starrte einige Wimpernschläge lang ausdruckslos die Tür an, ließ sich aufs Bett fallen und schlang die Arme um den Oberkörper, um sich selbst zu umarmen. In der bedrückenden Stille des Zimmers dachte sie fieberhaft über Gudekars letzte Frage nach. Warum konnte sie nicht aufhören, ihn zu lieben? Wäre es nicht leichter, wenn sie Gudekar hassen, ihn kaltblütig ans Messer liefern könnte? Dennoch tat das Herz ihr so weh bei der Vorstellung, ihren Liebsten irgendwie zu verletzen. Vielleicht waren es all’ die glücklichen, wehmütigen Erinnerungen, die guten Zeiten voller Vertrauen, Nähe und geteilter Freude, die immer noch den Schmerz aufwogen, den er ihr angetan hatte. Sie wusste, dass er ein guter Mann war und hoffte so sehr, dass auch er ihren Traviabund weiter achten würde. Sie erhob sich, ordnete ihre Kleidung und griff nach ihrer Tasche - in diesem Moment fiel ihr siedend heiß der Brief für Gudekar ein, den Bernhelm ihr heute früh gegeben hatte. Merle überlegte, ob sie ihrem Mann hinterherlaufen und ihn suchen sollte, doch vermutlich wäre Meta jetzt wieder bei ihm. Wäre es doch klüger, das Schreiben mit Gwenns Hilfe selbst zu öffnen? Vielleicht mochte das Wissen über den Inhalt ihr ja wirklich einen Vorteil beim Verhandeln verschaffen. Mit einem matten Seufzen machte sie sich auf, ihre Schwägerin zu suchen.

~ * ~

Das Bad im Gutshaus

(Imelda, Meta, Limrog, später Wiltrud Bächerle)

Die Ritterin Meta Croy betrat die Schmiede von Meister Limrog Kupferblatt, da sie dort ihre Freundin Imelda von Hadingen vermutete. Die beiden waren verabredet, um gemeinsam im Gutshaus ein Bad zu nehmen.

Der Schmied beäugte die Ritterin skeptisch, hatte die Ingrageweihte doch erst kurz vorher versucht, diese vor einem schlimmen Fehler zu bewahren, war aber gescheitert und weinend in die Schmiede zurück gelaufen.

Imelda sah herüber zu ihrer Freundin und blickte diese schwer atmend mit ausdrucksloser Miene an. Flüchtig verzog sie einen Mundwinkel und hämmerte dann umso kräftiger und schneller auf den Rohling vor ihr ein, welcher eine längliche runde Form angenommen hatte. Das hämmernde Geräusch ließ kaum eine normale Unterhaltung zu.

Mit seinem Schmiedehammer in der Hand hielt sich Limrog etwas abseits im Hintergrund. Er wollte die beiden Frauen ihre Differenzen selbst besprechen lassen. Er wäre jedoch bereit, falls es zu ärgeren Streitereien kommen würde.

Meta war es direkt beim Schmieden zu laut. Sie machte mit Handzeichen auf Imelda aufmerksam. Warum sah sie so grantig aus? War sie von ihrem Meister getadelt worden und musste das Teil, auf das sie eindrosch, fertig machen?

Imeldas Blick war auf den Rohling fixiert, den sie rund und immer länger schlug. Dann ging sie, ohne zu Meta aufzublicken, zur Esse, legte das Stück Metall in die glühenden Kohlen und stampfte zum Blasebalg herüber, um diesen mit dem Fuß zu bedienen. Umgehend schoss die heiß glühende Luft in die Esse und erleuchtete diese in hellem Licht. Abrupt sah sie zu Meta, doch schien die gute Stimmung, welche Imelda noch heute Morgen gehabt hatte, wie verflogen zu sein. Mit vorwurfsvoller Miene schaute sie ihre Freundin an. “Na? Wie war’s?”, rief sie laut zu ihr herüber und schritt zur heißen Esse, um die glühende Farbe des Rohlings zu begutachten. “Hat es Spaß gemacht?”

Völlig verwirrt starrte Meta ihre Freundin an. Hatte sie gesoffen? Oder hatte man ihr etwas verabreicht? „Imeda! Was ist denn los? Wir wollten uns doch wieder treffen und du weißt, wo ich war.“

Anstelle einer Antwort erklang ein lautes, stetiges Hämmern. Wütend schien Imelda wahllos auf den Rohling einzuschlagen. Als dieser an Farbe verlor, hielt sie das Stück Metall prüfend in die Höhe. Was es darstellen sollte, war schwer zu sagen; vielleicht ein länglicher Pilz, mit Fantasie konnte es aber auch an das beste Stück eines Mannes erinnern. “Der KerzenSTÄNDER ist noch nicht fertig und Meister Limrog benötigt meine Hilfe, da dieser…”, sie sah zu dem Angroscho herüber, “...da dieser Brodrom kein richtiges Geschenk für seine Schwester erworben hat.” Die Hadingerin wischte sich fahrig den Schweiß von der Stirn und strich die Hand an ihrem Leinenhemd unter der Schürze ab, welches zahlreiche rußige Flecken aufwies und klitschnass zu sein schien. “Also, hattest du Spaß, Meta?”

Limrog ging zu Imelda hinüber und nahm ihr den Schmiedehammer aus der Hand. „Ihr solltet für Eure Freundin da sein und sie nicht wie ein Lindwurm fressen!“ raunte er der Ingrageweihten leise zu. Dann ging er in den hinteren Teil des Schmiederaums.

“Imelda! Da stimmt doch was nicht. Du redest ganz anders als heute Früh. Komm, lass uns ins Bad gehen und das klären. Du weisst ja gar nicht, was passiert ist. Es lief nicht ganz so, wie ich wollte, es ging daneben.”

Imelda ließ sich den Hammer widerstandslos von Limrog abnehmen und starrte Meta einige Momente ratlos an. “Ich war da”, sagte sie leise und kraftlos. “Vor dem Brauhaus. Ich hab gesehen, wie Merle ganz erschüttert rausgestürmt ist, während ihr drinnen miteinander… geschlafen habt. Und…”, sie schluckte und schien mühsam die Tränen zu unterdrücken, “...ich ertrage es nicht länger, das mit anzusehen.” Sie presste die Lippen zusammen, dann stieß sie verzweifelt die Luft aus. “Eine kleine, heiße Affäre mit einem verheirateten Mann… Ja, den Gedanken fand ich immer aufregend und irgendwie auch… romantisch. Ich hab mich gefreut, dass ihr das hattet! Aber eine unschuldige Frau zu demütigen, sie zuschauen zu lassen, wie du ihren Mann vor ihren Augen…” Imelda brach ab und senkte den Blick. “Ich, ich kann das nicht… ich finde es falsch. Ich meine, wenn man die Affäre so öffentlich macht, dass alle es wissen… das ist…”, sie seufzte leise und ließ den Tränen jetzt freien Lauf. “Aber… ich weiß ja auch, wie sehr du ihn liebst und wie sehr du dir den Bund gewünscht hast. Und wie schwer das für dich ist! Ach, Meta! Wieso ist alles so kompliziert?!”

Und wieder war Meta perplex. Warum läuft Merle weinend raus? “Sie wird nächste Nacht mit Gudekar schlafen und sie werden über die Beziehung verhandeln. Ich will es öffentlich oder gar nicht, denn um eine heimliche Mätresse zu sein, dafür ist mein Stolz zu groß.“ Sie schluckte nochmal, um diese Bilder aus dem Kopf zu bekommen, näherte sich Meta und sprach leiser, damit der Angroscho nichts verstehen konnte. “Halbnackt lag sie neben mir und hat versucht, Gudi sehr eindeutig zu verführen. Sie hat sich auf ihn geworfen wie eine billige Nutte, ich weiß, dass er das so nicht mag, und ihre Brüste sind riesig, die hat mein Gudekar geknetet. Alles unter Tharf, aber das Bild bekomme ich nicht mehr aus dem Kopf. Sie hat gewonnen und ich habe ihn zwar zwei Jahre im Bund, aber Merle wird dafür sorgen, dass sie immer oder so oft wie möglich dabei ist.“ Sie streckte Imelda die Hand entgegen. „Komm, lass uns ins Bad. Ich brauche deine Hilfe. Irgendwer hat Merle gesagt, wann wir wo sind. Sie kam schon wie eine Gossengöre angezogen daher. Vielleicht hast du ja was gesehen….. Moment. DU warst da?! Warum? Du wirst doch nicht..,“ Meta beendete ihren Satz nicht. Es hatte alles aus ihr raus müssen und die Einzige, der sie vertraute, hatte sie hintergangen? Das durfte nicht sein.

Limrog kam aus der anderen Ecke zurück mit zwei Bierhumpen in der Hand, die er Imelda und Meta hin hielt. “Hier zwei mal ‘Limrog’s Spezial’. Das wird euch helfen.”

Ohne zu zögern ergriff die Hadingerin den Humpen und trank hastig von dem Bier.

Imelda war verwundert über den Geschmack. Das war eindeutig kein reines Bier. Hier war etwas stärkeres untergemischt.

Noch immer versuchte sie, die Worte ihrer Freundin in eine verständige Reihenfolge zu bringen, während sie sich den Schaum vom Mund wischte. Dabei schmierte sie sich schwarzen Ruß quer übers Gesicht, was fast so aussah, als hätte sie nun einen dunklen Bart. Sie schaute an sich herab, was war denn an großen Brüsten auszusetzen? Natürlich brachten sie Nachteile mit sich, doch ansehnlich waren sie... außer, es waren die Brüste des Feindes. Imelda seufzte. “Danke, Meister Limrog! Das war ganz genau das Richtige, was ich gebraucht habe.” Sie schenkte dem Angroscho ein sanftes Lächeln und fuhr sich durch die ungekämmten wilden Haare, die wirr in alle Richtungen abstanden. “Ich glaube, wir haben viel zu bereden, Meta. Tut mir leid, dass es nicht so gelaufen ist, wie du es dir vorgestellt hattest.”

Meta trank auch durstig von dem Bier. Der Hopfen darin mochte sie beruhigen.

Doch es war nicht nur Hopfen, der hier beruhigen sollte. Limrog, der sich umdrehte und sich wieder von den beiden entfernte, hatte hier wohl auch etwas Hochprozentiges verwendet.

„Ja, gehen wir. Aber die Einzelheiten fasse ich grob zusammen. Es war so viel und wir wollten einfach am Ende ruhige Zeit für zärtliche Zweisamkeit. Imelda. Warum warst du dort? Hast du jemanden gesehen, der mit Merle gesprochen hat ?“ Sie schlenderten Richtung Zuber. „Du bist meine Freundin. Woher kam der Sinneswandel? Hast du uns etwa hintergangen und es Merle erzählt?“ Meta kam sich schon nach einem Bierchen wie betrunken vor. Aber Imelda vertrug viel, sie hatte ihre Fragen schon verstanden.

Die beiden Damen waren noch nicht weit von der Schmiede entfernt, als Imelda abrupt stehen blieb und ihre Freundin ernst, sehr ernst ansah: “WAS?! Was sagst du da?”, erklang ihre Stimme laut und für die Einwohner der nächsten Häuser sicher gut hörbar. Sie versuchte ein wenig die Lautstärke zu dämpfen, doch schäumend vor Entsetzen hatte sie damit große Schwierigkeiten. “Hintergangen? Was meinst du damit?! Und was soll ich dieser Merle erzählt haben?”

Meta blieb ebenfalls stehen und unterdrückte den Zorn, der in ihr aufkam. „Von wem weiß Merle, dass wir den Bund schließen wollten? Sie kam genau zum rechten Zeitpunkt und war gekleidet, als würde sie jemanden verführen wollen. Wenn du da einfach so rumgestanden bist, wirst du sie gesehen haben. Oder jemanden, der bei ihr war.“ Skeptisch sah sie Imelda an. “Oder vielleicht ward ihr ja auch nur zu zweit. Was wolltest du dort gleich wieder?“

“Merle war schon im Brauhaus, als ich da angekommen bin”, erklärte Imelda zögernd. “Ich bin dir hinterher, weil ich Angst gekriegt hatte, dass du einen Riesenfehler machst. Davor wollte ich dich bewahren. Ich meine, ich bin eine Geweihte der Zwölfgötter! Ich versuche zu tun, was richtig ist. Und wie gesagt, heimliche außereheliche Affären gibt es sicherlich oft. Das ist nichts besonderes. Ihr beide wart so süß zusammen und ich hab euch immer alles Glück Deres gewünscht… Aber da war Merle auch nur ein Name für mich und keine lebende Frau. Und Gudekar will sich morgen öffentlich vor seine Familie stellen und sie verstoßen! Er will sich vor allen als Frevler bekennen!” Imelda hatte sich in Rage geredet und atmete ein paar Mal tief durch, um sich zu beruhigen. “Jedenfalls hab ich mich nicht getraut, zu euch reinzugehen. Schließlich ist es ja doch eure Entscheidung… Ach, es tut mir leid, Meta. Wirklich leid. Ich weiß doch auch keine Lösung.” Sie schaute ihre Freundin bittend, fast flehend mit ihren hellblauen Augen an. “Lass’ uns ein Schaumbad nehmen, was meinst du?”

Während Imeldas Erklärungen waren die beiden Freundinnen weiter gegangen und hatten das Tor zum Gutshof erreicht.

„Ja, so ist es. Sobald sie die rehäugige, hübsche und liebe Merle treffen, wechseln die Leute, auch du, ganz schnell die Seiten.“ Metas Stimme war voller Bitterkeit. „Dass es da Gründe geben könnte, warum jemand diesen Schritt wagt, das ist unvorstellbar.“

Da beide Sorge hatten, dass irgendjemand aus Gudekars Familie das Gespräch mit anhören könnte, unterbrachen sie kurz ihren Wortwechsel. Als sie den Hof betraten, wurden sie von der Magd Wiltrud Bächerle begrüßt. Imelda schilderte ihr, was die beiden wünschten und so führte Wiltrud sie in die Waschküche im Wirtschaftstrakt. Dampfige, warme Luft drang aus der Türe nach draußen. Denn in dem Raum war ein großer Badezuber für die Gäste aufgestellt, der mit lauwarmen Wasser gefüllt war. Meta nahm Imelda bei der Hand und sie betraten das Badehaus. Neben dem Zuber war jedoch ein großer Kessel über dem Feuer aufgehangen, voll mit kochendem Wasser, so dass die Temperatur im Zuber den Wünschen angepasst werden konnte. Wiltrud lud die beiden ein, einzutreten und die Kleider abzulegen. Sie würde in der Zeit aus dem Gutshaus frische Badetücher und etwas zu trinken holen. Sollten die Damen mit dem Wasser Hilfe benötigen, sollten sie einfach die Glocke läuten, die neben dem Zuber auf einem Tischchen stand. Dann würde ihr Sohn, der Stallbursche Marno herbei eilen.

Imelda prüfte erst vorsichtig mit dem Zeh, dann mit dem ganzen Fuß die Temperatur des Wassers. Für ihren Geschmack hätte es ruhig ein wenig wärmer sein können. “Äh, also für mich Rotwein, bitte! Was ist das denn für ein Duft, der ins Wasser getan wurde?”, fragte sie die Magd. “Und vielleicht dazu etwas Käse oder etwas ähnliches, was gut zum Wein passt?”

Wiltrud hatte an Imeldas Gesicht erkannt, dass ihr das Wasser zu kalt war. “Der Duft ist Rosenöl. Das hat der werte Herr Rhodan aus Rosengarten mitgebracht. Als Gastgeschenk. Und die Hohe Dame hat vorhin mit ihrer Tochter zusammen ein Bad genommen. Sollte das Wasser inzwischen zu sehr abgekühlt sein, kann ich gerne noch einen Eimer heißes Wasser nachgießen.” Sie ging zu dem Kessel, um einen Eimer mit dampfendem Wasser zu füllen. “Wein, Käse und etwas Räucherschinken? Haben die Damen sonst noch Wünsche, Euer Gnaden?”

“Macht es bitte etwas wärmer und noch etwas Rosenöl dazu. Wir werden hier länger verweilen.”

Imelda lächelte Wiltrud strahlend an. “Ah, das klingt ja ganz wundervoll! Nein, von meiner Seite ist alles perfekt.” Dass vorher schon jemand in dem Badewasser gewesen war, überhörte sie geflissentlich. Es war ja auch üblich so, aber sie wusste nicht, wie ihre ohnehin angespannte Freundin darauf reagieren würde. Imelda schaute wieder zu Meta und zwinkerte ihr zu. “Herrlich, oder? Wir werden hier richtig verwöhnt!”

“Sehr wohl, die Damen!” Sie schüttete den Eimer dampfenden Wassers in den Badezuber und kippte noch ein paar Tropfen des Badeöls hinterher. Dann verbeugte sie sich und ging Richtung Ausgang.

Als Wiltrud die Waschküche verlassen hatte, sprach Meta weiter.

„Liebe. Daran hab ich früher nicht geglaubt. Wir werden ein langes Bad brauchen, um die Differenz zu lösen, damit ich dich wenigstens um Rat fragen kann. Auch als Merle raus ist, so aufgelöst, war da niemand, der mit ihr reden wollte oder der ihr gefolgt ist? Anscheinend hat sie ja gewaltig Eindruck hinterlassen. Seltsam, wenn sie Gudekar doch völlig in der Hand hat und ihn zu sich holen kann, wann sie will.“ Imelda merkte, dass Meta nicht mehr die war, wie in der Früh. Es fehlten ihr Humor und ihre lustige Art. Als wäre sie innerlich gebrochen und sehr ernst.

“Ich habe nicht die Seiten gewechselt!” widersprach Imelda der Anschuldigung von eben. “Ich bin auf deiner Seite! Aber ich hoffe einfach, dass du dich nicht ins Unglück stürzt, indem du mit einem verfemten Frevler davonrennst. Denk doch mal nach, was das für euch beide bedeuten würde! Habt ihr euch keinen Alternativplan überlegt? Oder überhaupt einen Plan?” Imelda zuckte ratlos mit den Schultern. Die ganze Situation überforderte sie und sie hatte ein schlechtes Gewissen, Meta über Gwenn zu belügen. Doch wenn sie diese jetzt verriet, würde es mehr Streit geben; dann würde Meta wütend auf Gudekars Schwester losgehen. Und Gwenn war schließlich die Braut - nein, das konnte sie ihr einen Tag vor der Hochzeit nicht antun. “Also, draußen war niemand”, behauptete sie und nagte an ihrer Unterlippe. “Ah, doch, diese alte Dame… Caltesa von Immergrün. Die kennst du auch, oder? Aber die ist gleich wieder grummelnd abgehauen… und dann kam Merle plötzlich nach draußen.” Die Hadingerin stieg nun komplett ins Wasser und tauchte vollständig mit dem Kopf unter. Mit klitschnassen Haaren kam sie einige Momente wieder prustend an die Oberfläche und sah Meta mitfühlend an. “Also, Merle hat euch bei dem Bund gestört, aber ihr habt ihn vollzogen? Dann ging es ja nicht vollständig daneben; sehe ich das richtig?” sprudelte es aus Imelda nun neugierig heraus. “Hat Merle denn was gesagt? Habt ihr miteinander gesprochen? War sie sehr wütend auf Gudekar?”

Meta ließ sich nur bis zum Hals in das Wasser sinken. “Es war eine der schlimmsten Erfahrungen. Lieber hätte ich auf den Rahjabund verzichtet, den kann man immer nachholen. Wir wollten es einfach privat und gemeinsam. Wir waren dann vom Tharf in so einem seltsamen Rausch. Merle wird mit Gudekar reden, er hat gebeten, sich nochmal mit ihr zum Abschied vereinigen zu können. Merle war wohl schon so vom Tharf berauscht, dass sie nicht richtig wütend war. Am Ende eher, da haben sie und Gudi ausgemacht, dass sie über die Zukunft noch reden wollen. Sie wird aber sicher Teil seines Lebens bleiben.” Wieder machte Meta eine kurze Pause. “Wir haben Pläne für die Zukunft. Wir wollen nach Tälerort zu Hochgeboren Wunnemar und ihm gegen diverses Gezücht helfen. Ich will eine gute Kämpferin werden, das wird mir später helfen, Geld zu verdienen. Er will dort mehr über Dämonen lernen. Hauptsächlich aber aus dem Kreis seiner Familie weg. Hier, das musst du gemerkt haben, verfällt er wieder in eine untergebene Rolle. Ja, so war es zumindest geplant. Ich werde nur einen Götterlauf bleiben und dann nach Linnartstein gehen. Dort haben sie mich aufgenommen, als wäre ich ein Familienmitglied. Thymon habe ich es versprochen, Linny sehe ich sowieso kaum noch. Aber die Person, die es Merle verraten hat, die werde ich büßen lassen. Es war für uns alle nicht gut und niemand soll Gudekar hintergehen.”

MItfühlend schaute Imelda ihre Freundin an. "Tut mir sehr leid, dass es nicht so war, wie du dir erhofft hattest. Aber es klingt erst einmal gar nicht so schlecht - also, dass ihr alle drei in Rahjas Haus ruhig miteinander geredet habt. Das ist doch eigentlich gut, oder?" Bewusst ignorierte sie Metas Rachegelüste und blickte der Ritterin stattdessen fragend, aber freundlich in die Augen. “Was ich nicht verstehe - weshalb will Gudekar jetzt plötzlich mit Merle schlafen? Und sich am nächsten Tag trotzdem öffentlich von ihr trennen?!" Sie schüttelte verständnislos und sichtlich entsetzt über diese Vorstellung den Kopf. "Was soll denn diese Liebesnacht bringen, außer, Merle noch mehr zu demütigen? Das macht doch alles noch viel schlimmer… Vermutlich kam ihm diese Idee nur durch den Einfluss des Tharfs." Imelda begann, die verrußten Strähnen ihrer Locken gründlich auszuwaschen; dabei kräuselte sie nachdenklich die Stirn. "Wenn ihr beide ohnehin weggeht - warum den Streit mit seiner Familie heraufbeschwören? Wie gesagt, wenn Gudekar sich öffentlich zum Ehebruch bekennt, ist er danach ein ehrloser, geächteter Verbrecher”, erklärte sie mit leiser Stimme, während sie mit den Fingern ihr Haar entwirrte. “Das kann sein zukünftiges Leben ins Unglück stürzen und seine Karriere zerstören. Warum wollt ihr das so sehr?”

Stolz reckte Meta den Kopf aus dem Wasser. “Das ist mein Stolz und er respektiert ihn. Nicht umsonst passen wir so gut zusammen. Ich bin immer noch Almadanerin, ihm bringe ich manchmal etwas der ursprünglichen Sprache bei. Und ich werde nicht eine unbekannte Geliebte sein. Das ist beschämend.

Ja, ich verstehe seinen Wunsch auch nicht. Vielleicht entsprang er wirklich dem Tharf und der Lust, die er da gerade auf sie verspürte. Merle glaube ich, will hauptsächlich reden. Aber sie sollen ihre Nacht haben, das gestehe ich ihm zu.” Nach einer längeren Pause, in der auch Meta mit ihrer Flechtfrisur (diese hatte etwas gelitten) untergetaucht war, sprach sie weiter. “Bekommt man all die Nadeln wieder aus dem Haar?” Sie lachte kurz ausgelassen und wurde dann wieder ernst. “Travia ist grausam. Ist dein Bruder nicht auch in einem Bund mit einer Frau gefangen, hat ein Kind und findet, den Bund für die Ewigkeit unbedacht geschlossen zu haben?”

Zweifelnd zog Imelda die Stirn in Falten. "Dein Stolz gebietet es, ihn zu einem geächteten Dasein abseits der Gesellschaft zu verurteilen? Du willst lieber die Gefährtin eines Frevlers sein? Hast du dir das wirklich gut überlegt? Wenn du ihn so sehr liebst - warum zwingst du ihn, für dich sein Leben zu zerstören?!" Die Geweihte seufzte ratlos, winkte Meta mit einer Handbewegung zu sich heran und begann schweigend, die Nadeln und Zöpfe aus deren nassem Haar zu lösen. “Bei Hardomar war es anders… Auch Tante Coletta versucht ihre Affäre diskret zu behandeln…”, murmelte sie leise, ging aber nicht weiter ins Detail, “...und ja, die Regeln und Verpflichtungen unseres Standes können erdrückend sein, das weiß ich selber… Aber trotz allem, trotz unserem Streben nach Freiheit und Glück finde ich, sollten wir uns bemühen, nicht grausam zu anderen Menschen zu sein. Schon gar nicht als Ritterin sollte man sein Glück zu Lasten des Leids anderer beanspruchen. Wenn du deinen Gudekar Ächtung und Schande auf sich nehmen lässt - nur für deinen Stolz! - dann finde ich das ehrlich gesagt ganz schön selbstsüchtig.”

Meta verzichtete darauf, zu erwähnen, dass Gudekar darüber gesprochen hatte. Jeder würde es so sehen. Sie hielt brav ab, während Imelda die Nadeln entfernte. „Was schlägst du vor? Soll ich ihn verlassen? Soll ich ein Leben im Schatten seiner Frau führen? Ich finde keinen Weg, ihn aus dem Unglück, in dem er jetzt lebt, zu befreien. Dieser Bund ist eine Fessel für ihn.“

In diesem Moment ging die Tür auf. Dahinter stand Wiltrud, die nun ein Tablett hochhob, das sie kurz zuvor auf dem Boden abgestellt hatte. Sie betrat den Raum und stellte das Tablett auf ein Tischchen neben dem Zuber. Neben einer Weinkaraffe enthielt es eine Platte mit Käsewürfeln, Hartwurststücke, Schinkenstreifen und mit Frischkäse bestrichene Brotscheiben. Dann goss sie den Wein in zwei Becher und holte von vor der Tür einen Korb mit trockenen Tüchern. Sie wollte gerade den Raum wieder verlassen, als sie sich noch einmal umdrehte. „Ach, beinahe hätte ich es vergessen, Euer Gnaden. Bernhelm ließ mich ausrichten, dass der Hohe Herr Kalman Euch für heute Abend zum Essen im Gutshaus einladen lässt. Darf ich Herrn Kalman ausrichten, dass ihr kommt?“

"Ohh, das ist ja ausgesprochen nett. Richtet Eurem Herrn aus, dass ich sehr gerne komme!”

„Sehr wohl, Euer Gnaden.“ Mit einem Knicks verließ sie den Raum.

Als die Magd gegangen war, wandte sich die Hadingerin wieder ihrer Freundin zu. “Das ist durchaus ein Dilemma…”, sagte Imelda, während sie vorsichtig die Haarnadeln am Beckenrand nebeneinander aufreihte, ”...aus der Fessel des Traviabundes kommt er lebend nicht raus. Das ist wohl klar. Ich meine, Merle weiß es nun… die Frage ist...”, Imelda gönnte sich zwischendurch einen Schluck vom Rotwein und kaute auf einem kleinen Käsestück, "...mmmh, der passt wirklich ganz gut zum Wein. Äh, also… jetzt, wo es Merle weiß, ist doch alles in Ordnung, oder nicht? Ihr könntet nach Tälerort abreisen. Oder möchtest du Gudekars Frau noch vor der gesamten Gemeinschaft des Lützeltals entehren?”

“Ach, das ist alles so komplex. Ich hatte ihn gefragt, ob er es veröffentlichen will oder nicht. Er antwortete so, dass ich es als Zustimmung verstand. Dann habe ich noch einmal nachgefragt und er meinte, er müsse erst mit Merle reden.” Als die Nadeln endlich entfernt waren, kratzte sie sich erleichtert den Kopf. “Ich verstand das so, als wolle er offen mit mir zusammen sein. Aber er hat es nie in dem Wortlaut gesagt, dass er es öffentlich sagen wird. Versteh bitte… ich will Merle nicht so viel Leid zufügen. Aber die Ehe besteht nur noch durch den Bund. Sie hat so viele Möglichkeiten. Und am Ende habe ich Gudekar freigestellt, selber zu entscheiden, was er tun wird. Imelda, es wird immer schlimmer. Warum ist es bei Hardomar anders? Gibt es wirklich keinen anderen Weg? So halte ich das auf Dauer nicht aus.” Meta weinte nicht. Das tat sie fast nie, aber so verzweifelt hatte ihre Freundin sie noch nie gesehen.

“Mein Bruder hatte das ‘Glück’, dass der Bund von der Travia-Kirche offiziell annulliert wurde, weil die Geweihte die Zeremonie wohl fehlerhaft durchgeführt hat. Es wurde gesagt, dass der Bund nie richtig geschlossen wurde”, erklärte Imelda. “Aber sowas kommt extrem selten vor, denke ich. Das wird Gudekar nicht helfen. Normalerweise lässt ein Traviabund sich nicht lösen. Außer durch den Tod oder wenn halt einer wegen ganz schlimmer Taten geächtet wird. So wie ein Gudekar, wenn er sich als Frevler bekennt. Dann kannst du ihn jedoch auch nie selbst ehelichen… Ach Meta, meine liebe, arme Meta!” Imelda seufzte laut, legte sanft und tröstend den Arm um ihre Freundin und drückte diese an sich. Angestrengt dachte sie nach. “Mal ganz sachlich betrachtet: Wenn Gudekar als unbescholtener, ehrenwerter Mann und Magus weiterleben möchte, dann kann er eure Beziehung nicht öffentlich machen. Nicht als Adliger. Nicht, wenn er weiter seine Karriere verfolgen will. Öffentlichen Ehebruch wird in den Nordmarken niemand akzeptieren - auch wenn ihr es euch noch so sehr wünscht. Aber…”, liebevoll strich sie Meta übers Haar und ordnete dabei ein wenig deren wilde Locken, “...wenn ihr irgendwo in der Fremde seid, wo euch keiner kennt, dann könnt ihr den Leuten natürlich sonst was erzählen. Da könnt ihr quasi als Mann und Frau zusammenleben und behaupten, ihr wärt im Traviabund. Wäre das eine Situation, mit der du leben könntest?”

Meta war so gerührt, dass ihre Bäckchen erröteten und sie Imelda zärtlich ein paar nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht schob. „Jetzt muss ich dir nochmal was gestehen. Was du gesagt hast, war mein Wunsch - dein Bruder hat ja so ein unverschämtes Glück. Gudi und ich haben lange gesprochen und ich bin einverstanden, dass er es geheim hält und ich seine Geliebte bin. Ich will nur eine klare Trennung. Ich bin quasi seine Frau. Zu Merle hat er Kontakt, aber distanziert. Ich will nicht seine Zweitfrau werden. Er besucht sie wegen seiner Tochter, aber emotional muss es getrennt bleiben. So behalten alle ihren guten Ruf außer mir. Du kennst ja Linny.“ Sie griff nun nochmals zum Weinglas. „Das ist doch besser? Und ehrlich. Du warst vor dem Schrein, hast Merle gesehen, aber niemanden, mit dem sie gesprochen hat oder mit dem sie weg ist. Du hast keine Ahnung, wer ihr das verraten hat. Wenn es so ist, dann ist es so. Du bist meine beste Freundin, ich vertraue dir.“ Imelda sah in Metas Augen etwas, das man als Liebe, platonisch natürlich, bezeichnet hätte.

“Du bist was? Du bist damit einverstanden, nur seine geheime Geliebte zu sein???”, rief Imelda laut auf. “Aber du warst doch gerade vor einer Minute noch strikt dagegen!? Du sagtest, das ist unzumutbar und beschämend. Wegen deines almadanischen Stolzes.” Die Hadingerin sah zu dem Weinglas. Hatte dieser eine Schluck des Rebensafts Metas Meinung so schlagartig geändert oder waren das noch die Nachwirkungen des Tharfs? “Ähhh, also du bist auch meine beste Freundin, Meta.” Imelda holte tief Luft und sagte hastig: “Pass’ auf!” Dann tauchte sie unter… Es mochten sicher vierzig Herzschläge vergehen und Imelda tauchte nicht wieder auf. Nur ihr rotes Haar sammelte sich an der Wasseroberfläche. Dann kam sie plötzlich hoch und rang nach Luft. “Ich habe bis 46 gezählt. Mika kann noch länger, aber die ist ja auch regelmäßig an der frischen Luft.”

„Imelda, was sollte das? Ich hab doch zugegeben dass ich es dir nicht gleich gesagt habe.“ Zerknirscht fügte sie hinzu: „Ja, es war mir etwas peinlich, da ich schwach geworden bin. Aber, aber das verzeihst du mir doch? Und ich will nur diese eine Antwort. Ich werde dir glauben. Ich hab dich sehr gern.“

“Mmmhhh…”, Imelda musterte die Ritterin mit einem halb amüsierten, halb kritischen Blick, leerte ihr Glas Rotwein und goss sich nach, “...du sagst also, Merle hat es im Voraus geplant gehabt, weil sie am frühen Morgen, quasi noch halb in der Nacht, bereits verführerisch gekleidet war? Dann muss sie es zumindest gestern Abend schon geplant haben. Hast du eine Ahnung, wer alles davon wusste? Wobei du sicher niemandem einen Gefallen tun würdest, wenn du jetzt Rachepläne schmiedest. Das hilft dir nicht weiter und sollte momentan deine geringste Sorge sein.” Die Geweihte sah mit dem Weinglas in der Hand ihre Freundin streng an. “Ich helfe dir, wo ich kann und bin an deiner Seite, doch solltest du Rache üben wollen oder das Fest Travias stören oder gar verhindern, dann werde ich als eine Dienerin der Zwölfgötter dich aufhalten müssen. Und als Ritterin, die du jetzt bist, darf ich dich an die Tugenden des Rittertums erinnern: Geduld, Selbstbeherrschung, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit… Sie bilden das Fundament des Standes, den du jetzt repräsentierst.”

Nun sah Meta Imelda traurig an und sich etwas von ihr. „Ich kenne meinen Kodex. Vielleicht will ich von dieser Person auch nur wissen, warum. Ich war am ersten Abend bei Gwenn und habe ihr versprochen, dass ich auf keinen Fall ihre Feier stören will. Und den Rahjabund wollten wir extra in Ruhe und alleine. Wir sehen uns sehr selten. Das wird schnell vergessen.“ Meta stieg aus dem Zuber, um sich abzutrocknen. „Ich dachte, du weißt, dass ich aufbrausend sein kann. Unberechenbar und launisch, heiter und lustig. Aber ich bin nicht so dumm. Thymon hat mich zu Recht zwei Götterläufe nach der Schweinsfolder Hochzeit erst zur Ritterin geschlagen. Sag mir nun einfach, ob du jemanden gesehen hast, zu dem Merle ging oder ob ihr jemand gefolgt ist.“

“Ganz recht, du bist aufbrausend. Gerade in diesem Moment. Eben hast du noch gesagt, du willst die Person ‘büßen’ lassen. Und nein, ich halte dich nicht für dumm, wie kommst du nur darauf? Du bist nur… gerade sehr aufgebracht und handelst vielleicht nicht so rational, wie es ratsam wäre. Ich will dich doch nur schützen! Und dass du glücklich wirst. Aber dafür solltest du weise vorgehen und einen kühlen Kopf bewahren.” Imelda stellte ihr Glas neben den Beckenrand. “Du hast doch bereits gewonnen; du bist den Rahjabund mit Gudekar eingegangen. Da solltest du deinen Weg zum Glück nicht unüberlegt wieder kaputt machen.” Imelda wandte sich von Meta ab und seufzte leise. “Ich möchte dir doch nur helfen.”

Angespannt und still hatte diese sich inzwischen angekleidet. „Ich hab doch nicht gewonnen, nur, weil ich einen verpatzten Rahjabund mit ihm habe. Wenn er sich jetzt für Merle entscheidet, werde ich zwei Jahre lang leiden.“ Meta war noch von Imelda angewandt, die Stimme tonlos, dann etwas brüchig.“ Sie drehte sich um, wich Imeldas Blick aber aus. „Ja, du hast recht. Merle ist eine so tolle Frau und mit Gudekar eine wunderbare Familie. Gwenns Fest wollte ich nie stören. Ich bin die, die stört. Wer kann mich hier denn leiden? Und hinter unserem Rücken werden sie so intrigant und verpatzen das, was eigentlich eine schöne Zeit sein sollte.“ Sie zupfte unruhig an ihren Fingernägeln und hörte auf zu reden. Imelda meinte zu sehen, dass Metas Augen wässrig wurden. „Und du warst die einzige, die noch zu mir gehalten hat. Eine Freundin. Ich will diese Person finden, nicht, um sie zu strafen, ich will wissen warum. Warum gerade jetzt? Ich will der oder dem in die Augen sehen, auch, wenn man mich hämisch triumphierend ansieht. Aber dann weiß ich es. Ich kann niemandem vertrauen. Man kannte mich doch hier kaum. Und du willst dein nein nicht mal bestätigen. Dich hab ich auch verloren.“ Sie schluchzte nicht, es brach auch nicht aus ihr heraus. Aber aus beiden Augen rannen Tränen über ihr Gesicht. Meta war das sehr peinlich. Sie drehte sich zur Wand und stützte sich dort mit einer Hand ab.

Imelda hatte das Gefühl, dass sie Meta mit ihren Worten nicht erreicht hatte. Leicht genervt verdrehte die Geweihte ihre Augen und tauchte noch einmal kurz unter. Dann stand sie auf und stieg aus dem Badezuber, ergriff das Handtuch und trocknete sich notdürftig ab. “Ja, ja, ich komm’ ja schon!”, rief sie. Imelda wickelte das Tuch um sich herum, trat an Meta heran und legte dieser sanft die Hand auf den Rücken. “Bitte stelle meine Loyalität nicht in Frage”, bat sie eindringlich. “Wie ich schon sagte, werde ich das Fest Travias nicht gefährden, indem ich Zweitracht heraufbeschwöre. Doch sage ich dir soviel: Ich war es nicht, die mit Merle über euren Bund gesprochen hat.  Ich kann dir nur mit meinem Rat beistehen. Wenn du meine Hilfe brauchst, dann unterstütze ich dich, wo ich nur kann.“ Imelda seufzte leise. “Wenn du denkst, dass du es unbedingt herausfinden musst, dann frag’ Merle; ihr solltet eh noch mal reden, schätze ich… Aber mein ehrlicher Rat ist: Lass’ es auf sich beruhen! Stecke nicht noch mehr Energie in dieses Gefecht. Ein Streit auf diesem Fest nützt dir überhaupt nichts.” Imelda versuchte, Meta sanft herumzudrehen und deren Hand zu ergreifen. “Ich weiß doch, dass du viel durchmachst; du bist mit den Nerven am Ende. Deshalb konzentriere dich nicht auf die Suche nach Intrigen und Verrat - konzentriere dich auf dich selbst.” Die Hadingerin holte Luft. “Meta, willst du vielleicht mit mir beten? Vielleicht hilft dir das, wieder Frieden und Harmonie zu fühlen.”

Meta war die Situation peinlich. Sie hatte sich zu sehr gehen lassen und die Distanz zwischen Imelda und ihr spürte sie. Ihre Stimme klang ungeduldig und anscheinend verstand die Geweihte sie nicht richtig. Imelda hatte ihr die Hand auf den Rücken gelegt, Meta hatte ihre vermaledeiten Tränen schnell weggewischt, und gab ihr mit einer Hand Zeichen, sich umzudrehen. Meta gehorchte und nahm ihre Hand. „Imelda, ich bin mir sicher, dass du es nicht warst. Hatte ich vergessen, das zu sagen? Du würdest mich doch nie hintergehen?“ Sie machte eine Pause, die Ingrageweihte sollte wissen, dass sie gerne eine Antwort hätte. „Ich werde mich heute noch mit Merle treffen, wahrscheinlich wird Gudekar mich bald abholen, er hat eben mit ihr gesprochen. Wenn es klappt, wird sie nicht gedemütigt, sie bleibt seine Frau, ich bleibe geheim. Wir wollten nochmal darüber reden, wie das am besten geht. Vergiss nicht, Gudekar und ich sind vor Rahja verbunden.“ Kurz holte sie Luft und wirkte recht unsicher. „Es ist dir sehr wichtig, dass mir egal ist, wer Merle geschickt hat. Du warst es sicher nicht. Und meine Wortwahl mag wirklich seltsam gewesen sein, da ich in mir plötzlich alleine war. Sicher war nur, dass es einen Feind gab. Ja, lass uns beten. Ich weiß leider nicht, wie man das macht.“ Zum ersten Mal schmunzelte Meta verschmitzt. „Es kann aber sein, dass Gudi kommt. Und... Du hast gesagt, dass du es jedenfalls nicht warst. Du weißt es, lüg mich bitte nicht nochmal an. Ich werde versuchen, mich weiter zu beruhigen. Und wenn wir im Gespräch heute keine Lösung finden, mit der wir alle drei klar kommen, dann werde ich morgen abreisen.“

"WAS? Gudekar kommt hierher? Ins Bad!? Das sagst du mir erst jetzt?", fragte Imelda völlig überrascht und mit leicht panischem Blick.

„Du kennst ihn doch? Was ist denn daran so schlimm?“ Oder wollte sie nur von dem ablenken, was Meta eben gefragt hatte?

Es klopfte an die Tür, doch ohne eine Antwort abzuwarten wurde sie geöffnet. Hinein kam ein Mann in grüner Robe, der auch dann als Mitglied des Anconiterordens erkennbar gewesen wäre, wenn die beiden Frauen ihn nicht sowieso gekannt hätten.

Gudekar war nach seinem Gespräch mit Merle ein paar Minuten spazieren gegangen, um das Gemüt in der feuchten, windigen Herbstluft abzukühlen. Dann war er in den Gutshof zurückgekehrt, denn er hatte beim Losgehen Meta Stimme durch die Tür der Waschküche gehört. Vermutlich saß sie mit Imelda wie geplant im Badezuber. Gudekar wollte den beiden ihre gemeinsame Zeit lassen. Doch nun, fand er, war es Zeit, mit Meta zu reden. So ging er  zurück und trat in den Baderaum ein. Ihm schlug die warme, dampfige Luft entgegen, die ein wohliges Gefühl in ihm verströmen ließ. “Meta, störe ich? Ach, Euer Gnaden, Imelda! Es freut mich, euch beide zu sehen. Meta, wir sollten sprechen.”

Weiter kam der Anconiter nicht. Eine sehr, sehr laute Stimme schrie ihm entgegen: "RAUS, DU LÜSTLING! HIER BADEN ZWEI DAMEN, NACKT!!!" Imelda sah an sich herunter und erblickte das Tuch, dann zu der bereits angekleideten Meta. "Also quasi nackt! RAUS!" Kurz war sie versucht, nach einem Flakon zu greifen und diesen dem Perversen entgegenzuwerfen, dann hielt sie jedoch inne. "MOMENT! STEHENBLEIBEN!"

Gudekar wollte gerade wieder hinaus gehen, als Imelda ihn nun doch wieder zum Anhalten aufforderte. “Was denn nun, Euer Gnaden!” Die Anrede hatte einen leicht ironischen Unterton, da sie ja eigentlich schon längst beim ‘du’ waren.. “Ihr müsst Euch schon entscheiden. Und keine Sorge, ich habe bereits des öfteren nackte Damen in Badezubern gesehen. Das bringt meine Profession so mit sich.”

Imelda zog kritisch die Augenbraue hoch. "So, so, du siehst bei der Arbeit also nackten Damen beim Bade zu, wie?” Gudekar rollte mit den Augen. Wenn sie wüsste, was er im Hospital bereits alles gesehen hatte. “Das mag ja sein, jedoch sind wir bereits befreundet. Das ist doch was ganz anderes dann...", erklärte sie mit einer schnippischen Handbewegung. "Und kein Grund, einfach so ungefragt hier hereinzumarschieren! Lernt ihr keine Etikette auf der Magierschule?! Aber wo du schon hier bist... Ihr solltet tatsächlich dringend miteinander reden, denke ich. Wollt ihr es hier gleich im Bade machen?" Sie errötete leicht verlegen und räusperte sich. "Also, das Reden... Das Wasser ist sogar noch ein bisschen warm."

Trotz dem, was sich nun zwischen ihr und Imelda geändert hatte - sie war nicht mehr ihre beste Freundin, wenn sie überhaupt eine Freundin war - musste Meta bei dem Gedanken lachen, als Imelda sich unzüchtiges Treiben im Zuber vorstellte. „Ist schon gut, euer Gnaden oder wie man euch in dem Rang nun anspricht. Ich werde mit Gudekar zum Gespräch nach draußen verschwinden.“ Immer noch musste sie schmunzeln. Aber warum war Imelda nicht ehrlich gewesen? Und für ihre Verhältnisse relativ kalt, als sie sie tröstete? Ihre Freundin hatte sie so oft schon in den Arm genommen. Das hätte ihr in dieser peinlichen Situation gut getan.

Der Magier schaute etwas neidisch auf den inzwischen leeren Badezuber. Er wäre jetzt einem entspannenden Bad im warmen Wasser wahrlich nicht abgeneigt gewesen. „Ganz wie du magst, Meta, doch da draußen wird es gerade immer ungemütlicher. Nicht so schön warm und trocken wie in dem Bad.“ Gleich fiel ihm auf, welchen Unsinn er da redete. „Ich meine, es regnet dort draußen heftig und die Kleider sind durchnässt, kaum dass man zehn Schritte gelaufen ist. Und auch der Wind wird immer heftiger. Mir tut die Jagdgesellschaft leid, hoffentlich geschieht ihnen nichts.“

Unsicher zupfte Meta wieder an einem Fingernagel und sah betreten erst auf das grauselige Wetter, dann in das Zimmer mit den Zubern und einer Geweihten namens Imelda. „Ähhhh… ja. Theoretisch will ich hier bleiben, außer du kennst einen anderen ungestörten Raum. Immerhin hast du meine Stimme von draußen gehört. Ah, aber nicht, was ich gesagt habe. Außerdem macht mir das Wetter so richtig Sorgen, weißt du? Der Wind, es wird so grauu… so bedrohlich.“ Sie senkte ihre Stimme zu ihm. Imelda war ohnehin schwerhörig, deshalb redete sie oft so laut. Das hatte Meta putzig gefunden und ein kleiner Stich durchfuhr ihr Herz. „Ich traue Imelda nicht mehr. Ich hatte mich gefreut, sie zu sehen, aber plötzlich ist sie anders. Sie ist gegen unsere Verbindung, sie kennt nun Merle, der Rahjabund soll reichen. Wir sagen doch eh nichts, aber es fröstelt mich, wenn ich an die Verhandlung heute denke. Sie weiß auch, wer mit Merle zu tun hat. Sie war vor dem Rahjaschrein und muss da etwas gesehen haben. Ihre Stimme hat es verraten, sie hat auch einmal gesagt, dass sie es nicht weiß. Aber als ich sie ein paar Mal nochmal um Ja oder Nein, also ob sie eine Person gesehen hat, zu der Merle hin ist, oder die ihr gefolgt ist, wollte sie nicht mehr antworten. Sie lügt mich an, ich dachte, auf meine einzige Freundin hier könnte ich mich verlassen, aber sie will, dass ich es sein lasse. Ja, ich war etwas durcheinander und impulsiv, aber ich werde der Person nichts tun, da hat sie recht. Ich will aber wissen, wer mir die schöne, unbeschwert geplante Zeit mit dir nach dem Bund genommen hat. Wir sehen uns selten. Ich will wissen, wer warum mein Feind ist und das getan hat. Wie willst du hier reden? Ich hab keine Freundin mehr.“ Den psychischen Zusammenbruch und Imeldas ungewöhnlich kühle Art ließ sie weg. Da war kaum Mitgefühl oder Trost gewesen. Es war beschämend genug.

Gudekar blickte fragend zu Imelda.

Diese stand mit versteinerter Miene neben dem Zuber; das Handtuch drohte ihr halb herunterzurutschen, ohne dass sie es bemerkte. Imelda war zwar leicht schwerhörig, doch hatte sie genug von Metas Getuschel hören können, um zu verstehen, dass es um sie ging. Bei harten Worten wie ‘...traue Imelda nicht mehr…’ oder ‘sie lügt mich an’ biss sie sich schmerzhaft auf die Unterlippe - und als Meta Gudekar ‘Ich hab keine Freundin mehr’ zuzischte, zuckte Imelda wie getroffen zusammen. Dennoch fühlte sie sich unfähig, ein Wort dazu zu sagen; schließlich hob sie in Richtung des Magus hilflos die Schultern.

Dann ging Gudekar zu Meta und nahm sie tröstend in den Arm. Er sprach mit sanfter Stimme, aber in normaler Lautstärke, so dass auch Imelda es hören konnte. „Alles ist gut, mein Schatz. Ich bin bei dir und wir stehen das gemeinsam durch. Zweifle nicht an Imelda. Sie ist deine Freundin, vertraue ihr. Nicht jedes Schweigen und nicht jede Lüge ist voll Boshaftigkeit. Manchmal entstammen sie auch der Liebe, um die geliebte Person zu schützen.“ Er küsste Meta auf die Stirn und streichelte ihren Rücken. Nun drehte er seinen Kopf zu Imelda. “Was ist denn genau vorgefallen?”

Erneut zuckte Imelda ratlos und völlig überfordert mit den Achseln. Die Hadingerin konnte nicht glauben, dass ihre Freundin sich so sehr in die Sache hineinzusteigern schien, dass sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand. Sie hatte versucht, für ihre Freundin da zu sein und diese vor schlimmen Fehlern zu bewahren, doch scheinbar vergebens. Ja, sie hatte ihr nicht verraten können, dass Gwenn mit Merle geredet hatte - und dafür fühlte sie sich schlecht - doch zuzulassen, dass Meta die Braut aufgebracht zur Rede stellte oder gar wütend anschrie und Gwenn damit vielleicht das Traviafest zerstörte, das konnte sie als Geweihte einfach nicht zulassen. Nein, sie musste Meta wieder beruhigen. Die Hadingerin schlang das Handtuch nochmal fester um ihren Oberkörper und sah hilfesuchend zu dem Anconiter. “Ich glaube, für deine Liebste ist es etwas viel… die ganze Sache. Immerhin hängt von diesen Tagen hier in Lützeltal ihr, also euer zukünftiges Schicksal ab… Würdest du mit uns beten?” Auffordernd nickte sie Gudekar zu und lief zu dem Stapel ihrer Kleidung und Sachen.

“Beten?” fragte Gudekar. “Naja, warum nicht, wenn du meinst, dass dies hilft.”

Es war nicht klar, ob Meta richtig zugehört hatte oder in ihrer selbst gebauten Wirklichkeit aus Verrat, Lüge, Misstrauen und Angst versunken war. Sie hatte sich fest an Gudekar gehalten und geschwiegen. „Ja. Lasst uns doch beten. Aber… ich weiß weder, wie es geht, noch, wie Ingra helfen kann.“

“Wartet!”, sagte Imelda, kam mit ihrer kleinen Laterne zurück und platzierte diese mittig der drei Freunde auf dem Fußboden. Imelda ergriff nun die Hand Gudekars und Metas und bedeutete ihnen, sich um das im Dampf flackernde Licht herum auf den Boden zu setzen. Sie schloss die Augen, konzentrierte sich ganz auf die Präsenz ihres Gottes und begann leise zu sprechen: “Ewiger Herr des Feuers und der Glut, erhöre mein Bitten. Zeige uns im Licht Deiner heiligen Flammen und Deiner Hitze Weisheit und Erkenntnis, gibt uns den Mut und die Stärke, die wir einfachen Sterblichen brauchen, um ohne Zaudern, ohne Zögern unseren Weg beschreiten zu können.” Im Raum war die Temperatur deutlich gestiegen; das Feuer unter dem Kessel brannte nun lichterloh und die kleine Laterne in der MItte der drei war von einem heißen, prasselnden Feuer hell erleuchtet. Die Geweihte drückte die Hände der beiden Liebenden fest und sie konnten spüren, wie ein pulsierendes, warmes Gefühl in ihrem Inneren entstand. Diese angenehme, wohlige Wärme des Glücks und der Harmonie fuhr durch ihre Körper hindurch, strahlte vom Kopf durch alle Glieder bis hin zu den Zehen. “Die Glut ist ewig, nichts kann sie löschen. Herr über Erz und Feuer, erhöre mein Gebet, schenke uns Zuversicht und Kraft. Es sei.” Zufrieden nickte Imelda zu sich selbst und schlug mit der Hand das Zeichen Ingras. Ein glückliches, warmes Lächeln umspielte das Gesicht der Geweihten.

Auch Gudekar lächelte, zunächst zu Imelda in Dankbarkeit für das Geschenk, das sie den Dreien gerade gemacht hatte. Ein so kraftvolles Gebet hätte er der jungen Frau nicht zugetraut. Sie hatte sich soeben seinen Respekt verdient. Dann blickte er zu seiner Geliebten hinüber. Er wusste, nun würde alles gut werden. Meta würde sich beruhigen. Die Geschehnisse, die Eindrücke des Vormittags würden sich nun auch für sie relativieren und sie würde sich beruhigen. Nun konnten sie den gemeinsamen Bund endlich sorglos genießen und sich aneinander erfreuen. “Meta, meine Liebste, sorge dich nicht länger darüber, was Merle getan hat oder wer sie zu uns geschickt hatte. Dies ist nicht wichtig. Wir haben uns. Der Bund ist vollzogen und niemand kann nunmehr unsere Herzen voneinander trennen. Ich habe erfahren, wer von unserem Bund wusste und Merle eingeweiht hat. Es ist nicht notwendig, einen Groll auf Imelda zu haben. Sie hat nichts damit zu tun und meinte es nur gut mit dir. Es war meine Schwester, die sich um das Seelenwohl von uns allen gesorgt hat. Doch hege auch gegen sie keinen Groll! Auch sie wollte nur versuchen, einen Bund, der bereits bestand, zu wahren. Doch ich werde mit ihr reden, sie davon überzeugen, dass unser beider Bund den gleichen Wert hat und sie auch uns in Frieden lassen soll. Ich werde sie dazu bringen, dass sie nicht weiter versucht, uns auseinander zu bringen. Unsere Liebe ist stärker als alles andere.”

Imelda, leicht entrückt von der Nähe ihres Gottes und immer noch glücklich strahlend, blickte verwundert zu Gudekar. Hatte er gerade einfach so das Geheimnis ausgeplaudert, das sie seit einer Stunde verzweifelt zu bewahren suchte? Ihr Lächeln entglitt ihr leicht und sie warf ihm einen kritischen Blick zu; dennoch hoffte sie, dass Meta erfüllt von Wärme und Zuversicht davon absehen würde, Gwenn zur Rede stellen zu wollen. Aufmerksam wartete sie die Reaktion ihrer Freundin ab.

Gebannt beobachtete Meta die Flamme und konnte ihren Blick nicht davon lösen. Auch die Glut war wunderschön und von innen, dort, wo die Angst saß, breitete sich stetig ein warmes, gutes Gefühl aus. Nicht mehr dunkel und böse sondern orange, rot, viele Farben wie das Feuer. Es war gut, so wie es war. Das Misstrauen zu Gudekar und Imelda wich. Gudi hatte es so schön erklärt. Sie hatte ihr nicht schaden wollen, sie war nur von den falschen Leuten gut überzeugt worden. Sie selbst war leider zu schwach gewesen und so hatte das Böse fast gewonnen. Meta tat ihr Handeln leid, sie nahm Imeldas Hand und bettete sie zwischen ihre. „Lass uns wieder Freunde sein. Wir verzeihen uns gegenseitig.  Ich hatte Gwenn wohl falsch eingeschätzt. Sie ist eine Menschenfischerin. Zu mir war sie anfangs so nett. Ich hatte ihr auch so viel versprochen. Dann habe ich sie nicht mehr gesehen.“ Sie fasste nun Gudekars Hand. „Wir werden es heute schon schaffen. Auch, wenn sie dabei ist. Hilf mir, ich will mir nicht alles gefallen lassen. Merle wird alles wollen, so viel wie möglich. Ich darf nie aufhören, dir zu vertrauen. Aber ich glaube, dass du deine Schwester falsch eingeschätzt hast.“

“Ja, das ist wahr”, stimmte Gudekar Meta lächelnd zu. “Ich habe mich in Gwenn getäuscht. Sie hatte mir einen Schwur gegeben, keinen heiligen, aber einen, der mir wichtig war, dass wir zusammenhalten. Diesen Schwur hat sie gebrochen. Aber das spielt nun keine Rolle mehr, denn unser Bund vor Rahja ist besiegelt. Und Gwenn wird uns nicht auseinanderbringen.” Er legte seine Arme um die Ritterin und zog sie an sich heran. “Auch Merle wird es nicht schaffen, unsere Herzen zu trennen. Hören wir uns an, was sie möchte. Wir werden uns heute Abend mit ihr und Gwenn treffen, zur Phexenstunde. Dann wollen wir in Ruhe gemeinsam besprechen, wie wir Frieden miteinander schließen können, so dass wir beide zusammen sein können, ohne fürchten zu müssen, von der Traviakirche verfolgt zu werden.”

“Das wird schon, da bin ich mir ganz sicher. Ihr könnt ja die kommenden Stunden nutzen, um euch zu überlegen, wie ihr bei dem Gespräch vorgehen wollt.” Imelda wurde schwer ums Herz und sie bekam leicht feuchte Augen. Spontan umarmte sie ihre Freundin und strich Meta sanft übers Haar. “Wenn ich dir oder euch helfen kann, sagt gerne Bescheid.” Sehnsüchtig blickte sie zu dem Wein, dem Käse und dem warmen Bad. “Ihr beide könnt ja nochmal reinspringen; ich denke, ich sollte mich besser anziehen. Bin ja wieder sauber.” Sie kniff die Augen zusammen, fixierte Gudekar und machte eine wedelnde Handbewegung. “Dann dreh’ dich mal flugs um, Herr Magus, wenn ich jetzt mein Handtuch ablege! Sonst fallen dir nachher noch die Augen raus!“

Seine Geliebte kicherte und stieß dem Magier leicht den Ellbogen in die Seite. Merle war wie Imelda mit einer sehr weiblichen Oberweite gesegnet und so ging sie davon aus, dass Gudekar in der Art wohlgeformte Frauen wohl recht zusagten. Meta fand den weiblichen Körper durchaus ästhetisch, aber nur der Schönheit wegen. Sexuelle Gefühle würden bei ihr da nicht ausgelöst. „Danke, Imelda. Aber wenn du schon so lieb bist, und uns den Zuber alleine lässt, solltest du dir Speis und Trank mitnehmen. Wir haben übrigens nicht vor, das Wasser irgendwie zu versauen oder so.“

“Hej, wird mir denn jetzt gar kein Vergnügen gegönnt?” scherzte Gudekar, während er sich umdrehte. “Erst darf ich nicht gucken, und dann soll mir Imelda auch noch den Käse und den Wein wegnehmen? Da draußen gibt es genug zu essen und zu trinken. Am Ende geht ihr zwei dann wohl auch noch gemeinsam raus, um zu tratschen, und ich bleibe ganz alleine zurück.”

„Keine Angst, Gudi. Du sollst nur nicht abgelenkt sein. Wie gesagt, zu essen gibt es da draußen genug. So kannst dich entspannt treiben lassen. Und du musst mir ja noch erzählen, wie der Besuch bei Merle war. Sie weiß, dass sie erst nach dem Gespräch bei dir darf.“  Meta grinste dazu. Da wollte sie ihn ja noch etwas fragen.

Derweil war Imelda zu ihren Kleidern gerannt und kleidete sich hinter einem großen Wäschestapel so schnell um, wie es ihr möglich war. Unsicher schaute sie immer wieder über die Schulter, nicht, dass dieser Magier heimlich schmulte.

Dieser war jedoch zu dem Tisch neben dem Zuber gegangen und hatte sich einen der beiden Becher genommen, um nun selbst einen kräftigen Schluck Wein zu trinken. Das viele Reden hatte ihn durstig gemacht.

Dann drehte sie sich den beiden wieder zu und wickelte sich das Handtuch um die nassen Haare. “Ein paar Häppchen nehme ich noch mit…” Die Hadingerin lief zu den angerichteten Leckereien herüber und goss sich nochmal vom Wein nach. “Habt ihr schon eine Strategie für später?”, mischte sie sich ungefragt in die Unterhaltung ein, während sie ein Stück Käse in Räucherschinken einwickelte. “Und was darf Merle nach dem Gespräch?”

Gudekar blickte fragend zu Meta. Er wollte auf diese Fragen nicht antworten, besonders nicht auf die letzte. Auf die erste Frage hatte er hingegen noch keine Antwort.

Meta zog sich ungeniert aus und ließ sich mit einem wohligen Seufzer in den Zuber gleiten. Da Gudekar nur glotzte, antwortete sie Imelda. „Wir haben nur die Strategie, dass wir zusammenhalten. Den Rest müssen wir besprechen. Merle darf Gudekar sehen, ganz normal mit ihm umgehen, wie sie es bei... hm ja, Kalman machen würde.“

Gudekar war überrascht. “Wie sie was bei Kalman machen würde?” Was hatte denn nun Kalman mit der Sache zu tun? “Naja, ich möchte erst einmal abwarten, was sich Merle eigentlich vorstellt. Sie scheint ja selbst Interesse daran zu haben, dass sie nicht als die gehörnte Ehefrau dasteht, aber sie weiß auch, dass ich mit Meta zusammen sein mag.” Gudekar streckte seinen Hals über den Zuberrand, um Meta zu küssen. Dann zog er seinen Mantel und die Kutte aus, legte die Schuhe und die Hose ab und kletterte ebenfalls in den Zuber.

„Ach, du weißt schon. Dieses dauernde Händchen streicheln und halten, küssen usw.“

Nun war Gudekar noch mehr verwirrt. “Merle hält Kalman das Händchen, streichelt und küsst ihn?”

„Mann, das war doch nur ein Vergleich. Sie soll dich nicht so berühren, oder du sie, als wäre die Ehe noch intakt. Andere kurze Affären gönne ich dir.“

Die Geweihte hörte eine Weile schweigend und mit großen Augen zu, was eher daran lag, dass diese Unterhaltung zu spannend war, als dass Imelda nicht zu Wort gekommen wäre. Sie rückte sich einen Hocker zurecht, nahm die Käsehäppchen mit Schinken auf den Schoß und gönnte sich einen Schluck vom Rotwein. “Also, Merle wird ja wohl schon einige Bedingungen stellen. Ihr solltet euch im Klaren sein - bevor das Gespräch beginnt - wieviel ganz genau für euch akzeptabel ist und was ihr wollt. Vergesst nicht, dass Merle am längeren Hebel sitzt.”

“Ja, das weiß ich, Imelda”, bestätigte Gudekar. “Aber warte, Meta, du meinst, wenn ich mit irgendeiner fremden Magd meinen Spaß hätte, könntest du das eher akzeptieren, als wenn ich mit Merle eine Nacht verbringe, um sie ruhig zu stellen? Habe ich das richtig verstanden?” Gudekar konnte das nicht glauben, fand die Idee einfach nur lustig und lachte. “Das heißt, wenn du und Imelda jetzt vielleicht gemeinsam spazieren geht, und ich rufe Harka herbei, würde dir das nichts ausmachen?”

Die Hadingerin verschluckte sich am Wein. “Ähh, wie?” Imelda glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. “Gudekar, hast du gerade gesagt, es wäre euer Plan, dass du Merle anbietest, eine Nacht mit ihr zu verbringen, um sie ‘ruhig zu stellen’!? Wie soll denn das funktionieren? Glaubst du, sie wird überhaupt darauf eingehen? Und sie wäre nach einer Nacht mit dir für den Rest ihres Lebens glücklich und befriedigt? Du willst ihr doch keine falschen Versprechungen machen!?”

“Nein, keine falschen Versprechungen mehr. Die Zeit muss nun endgültig vorbei sein.” Gudekar war fest entschlossen, Merle nicht länger zu täuschen. “Aber wir müssen eh abwarten, was Merle nun eigentlich will. Sie wird ihre Bedingungen stellen. Wir werden unsere Bedingungen stellen. Ich hoffe, es wird harmonisch ablaufen.”

„Mein Herz ist an deines gebunden. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt. Jetzt wäre ich dir natürlich bös, da wir grad um uns kämpfen. Ich will damit sagen, dass eine Nacht mit einer oder einem Fremden in meinem Fall nur die Lust befriedigt. Das Gefühl, die Liebe, die bleibt für uns… das soll nicht heißen, dass ich es darauf anlegen will. So wie die letzten zwei Jahre. Ich bin dir treu geblieben, obwohl ich nicht musste.“

Verwirrt runzelte Imelda die Stirn und schaute zu Meta. “Ich meine, eigentlich sollte in einem Rahjabund doch kein Platz für Eifersucht sein… warum ist es dann ein Problem, wenn Gudekar seiner Frau einen Schmatzer auf die Wange verpasst? Ich versteh’ das alles nicht…”

„Imelda, sie ist die, der ich ihn weggenommen habe. Aber er war zuvor schon unglücklich. Merle wird nie aufhören, darum zu kämpfen, ihn wieder für sich zu gewinnen.“

Eines ließ Gudekar noch nicht die Ruhe. Er spürte wieder dieses Gefühl in sich, dass er schon immer spürte, wenn Meta von diesem Bannstrahler sprach. Doch er war gerade in so aufgekratzter Stimmung, dass er einen Scherz daraus machte. Er lachte und kitzelte Metas Rippen. “Also Meta, eines sage ich dir. Wenn du deine Lust an einem anderen als an mir befriedigst, an dem Marno zum Beispiel, du, ich sag dir, den findet man tags drauf mit dem Gesicht nach unten im Lützelbach!”

Immer noch sichtlich gefesselt folgte Imelda der Unterhaltung und zog dann skeptisch eine Augenbraue hoch. “Äh, wieso müsst ihr überhaupt mit anderen Leuten schlafen? Ihr habt doch euch? Reicht euch das nicht?”

“Nö, von mir aus nicht. Meine Frage bezüglich Harka war rein hypothetisch.” Gudekar schüttelte den Kopf und blickte dann zu Meta.

„Ich muss auch nicht. Aber Merle weiß, dass er es dürfte und wird versuchen, ihn, sagen wir mal, zu überraschen oder seine Selbstbeherrschung zu brechen. Wir überlegen nur hypothetisch.“ Meta sah Gudekar an. „Sind wir uns da einig? Jetzt erzähl mal, wie das bei ihr war. Wie hast du sie dazu gebracht, von Gwenn zu erzählen?“

Jetzt musste Gudekar lachen. “Ehrlich gesagt, so wie das Gespräch gelaufen ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass Merle noch vorhat, mich zu verführen. Ich glaube, du musst dir da wirklich keine Sorgen machen. Und wegen Gwenn, ich habe Merle gefragt, woher sie wusste, wo wir sind, und sie hat mir geantwortet.”

Das überraschte sie. „Du hast ihr die Meinung gesagt? Das hat sie sich einfach so gefallen lassen und dann von Gwenn erzählt?“ Meta klopfte ihm patschend im Wasser auf die Schulter. „Das überrascht mich, Respekt. Sie hat sicher wieder geweint und gejammert. Da konntest du sonst nicht leicht widerstehen. Erzähl genauer. Ja, das sind doch sehr gute Voraussetzungen für unsere Verhandlung.“

„Ja, geweint hat sie. Verzweifelt war sie, weil sie gesehen hat, wie sehr wir uns lieben und sie niemals eine Chance haben wird gegen unsere Liebe. Angefleht hat sie mich, dass ich sie nicht bloßstelle vor der ganzen Familie. Doch ich habe ihr gesagt, dass ich zu dir stehen werde und du die Frau an meiner Seite sein wirst. Dann hat sie mich fortgeschickt, weil sie sich Gedanken machen muss, wie sie sich eine Zukunft für sich und Lulu ohne mich vorstellt, so dass sie ihr Gesicht wahren kann. Dies habe ich ihr gewährt.“

„Oh. Das hätte ich dir nie zugetraut, dass du nicht schwach geworden bist, sie trösten oder beschwichtigen wolltest. Das hast du, seit ich euch hier gesehen habe, noch nie geschafft. Hat sie erzählt, warum Merle das unbedingt wollte?“

“Nun”, versuchte Gudekar zu erklären, “Merle hatte wohl selbst herausgefunden, was zwischen uns beiden läuft. Es war wohl ein Fehler, meine Sachen zu dir bringen zu lassen. Gwenn hat dann wohl lediglich verhindern wollen, einen öffentlichen Eklat vor ihrer Trauung zu verhindern, in dem sie Merle in den Rahjaschrein schickt. Ich denke, sie wollte Merle ablenken, um sie ruhig zu stellen, ihr Hoffnung geben, dass sie mich zurückgewinnen kann. Und vermutlich wird das auch Ziel von Merle in dem Gespräch sein, doch ich habe ihr gesagt, dass meine Zukunft an deiner Seite ist, und deshalb habe ich auch darauf bestanden, dass du bei unserem Gespräch dabei bist, so wie Merle Gwenn dabei haben will. Denn wenn Merle mit mir über meine Zukunft reden will, gehörst du dazu, denn meine Zukunft ist auch deine Zukunft. Das hat Merle nicht geschmeckt, aber ich habe ihr deutlich gesagt, dass ich nur so zu einem Gespräch bereit bin. Letztlich musste sie nachgeben.”

“Es wäre auch nicht gerecht, wenn sie zu zweit und du alleine wärst und verhandelst, was ich für Eingeständnisse machen soll. Was wer darf.” Meta plätscherte mit den Füßen etwas im Wasser. “Lass uns noch etwas warmes Wasser bringen, hier ist es angenehm und draußen nicht schön. Imelda als Geweihte und Freundin ist sicher auch eine gute Beraterin. Ich muss eh etwas loswerden.” Lag es an der Nähe der Götter, die sie vor kurzem gespürt hatte und neuem Mut, aber Gudekar merkte, dass Meta schon länger ein Thema auf dem Herzen lag, das sie bisher nicht richtig angesprochen hatte. Oder falsch.

“Lass nur, wir müssen nicht extra Wiltrud rufen.” Gudekar stieg aus dem Zuber und holte in seinem Tsagewand zwei Eimer voll heißes Wasser aus dem dampfenden Kessel, die er vorsichtig in den Zuber goss. “Ist es so besser? Sag halt, wenn es zu warm wird.”

“Danke, zwei Eimer sind genug. Imelda? Du hast noch genug zu essen? Ich könnte etwas Wein gebrauchen, reichst du mir bitte etwas?

Imeldas Augen weiteten sich und sie sah peinlich berührt in eine andere Richtung als die des Anconiters. Weshalb musste er denn jetzt so plötzlich aus dem Bad stapfen? Hatte der Mann gar keine Manieren? Nicht jeder war schließlich darauf versessen, seine Blöße zu bewundern! “Ähh, ich hätte doch auch…”, begann sie, Gudekar zu antworten und ging dann doch lieber schnell auf die Fragen Metas ein. “...ja, alles bestens!”, rief sie und hielt die Hand vor ihr Gesichtsfeld, um abzuwarten, bis der Magier wieder sicheres Wasser erreicht hatte, so reichte sie Meta den gewünschten Wein. “Gudekar, hast du eine Vorstellung, was Merle euch als Bedingungen für ihr Schweigen stellen könnte?”

Schmunzelnd blickte Gudekar zu Imelda, die doch in Anbetracht seiner Nacktheit so verklemmt wirkte. Sie waren in einem Badehaus. Was erwartete sie hier? “Nein, Imelda”, gab er auf ihre Frage hin zu. “Ich habe leider keine Ahnung, was sie für Pläne hat. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie es selbst weiß.”

Schließlich kletterte der Anconiter wieder in den Zuber und setzte sich dicht an Meta heran. “Na los, meine kleine, tapfere Ritterin, dir liegt etwas auf dem Herzen. Lass es raus.”

Zuvor nahm Meta einen kräftigen Schluck Wein. “Eigentlich ist es einfach und logisch. Wir haben aber nie richtig darüber gesprochen und da jetzt Imelda so gefragt hat und wir sowieso über so viel zwischen uns reden müssen… na, ich fange einfach mal an.” Sie lächelte aufmunternd zu Gudekar. “Ich war dir seit der Schweinsfolder Hochzeit treu. Alles andere hätte sich seltsam angefühlt und ich will auch keinen Anderen, also keine Affäre oder einen Mann, wenn du fern bist. Wir werden nie den Traviabund schließen können und sicherlich werde ich heute zu vielen Zugeständnissen gezwungen werden, da sie sonst drohen, es der Traviakirche zu melden.” Sie kaute verlegen auf ihrer Unterlippe und sah Gudekar weiter aufmerksam und konzentriert an. “Es macht mich zu mehr, als einer Geliebten. Wir sind verbunden, auch wenn es eine andere Göttin ist. Aber dann bist du mit dem Wunsch gekommen, nochmal eine Nacht mit Merle zu verbringen. Ich habe Angst, dass du das zur Gewohnheit machen könntest, wenn du sie besuchst. Und heute… was soll ich da tun? Theoretisch sollte ich mich auf die Suche machen, ob es hier, es muss ja nicht der Stallknecht sein, mich wenn schon nicht aus Liebe aber körperlich auf andere Gedanken bringt. Gleiches Recht für beide, sonst fühle ich mich ausgenutzt.”

Nun wurde es wieder richtig spannend für die junge Hadingerin. Gebannt hing sie an Gudekars Lippen. Warum nur hatte der Magier gemeint, noch eine letzte Liebesnacht mit seiner Gemahlin verbringen zu wollen, um sie ‘ruhigzustellen’, wo er doch gerade dabei war, ihr das Herz zu brechen und Merle offenbar vorhin schon wieder zum Weinen gebracht hatte? Imelda verstand nicht, wieso und weshalb das jetzt überhaupt diskutiert wurde, aber die kommende Antwort des Magiers würde sicher Aufschluss bringen.

Gudekar legte seinen Arm um Metas Schultern und zog sie dichter an sich heran. “Meta, mein Schatz, du hast mich vollkommen falsch verstanden. Nicht ich bin es, der sich wünscht, noch einmal das Lager mit Merle zu teilen. Es war vielleicht der Einfluss des Tharfs, doch hatte ich das Gefühl, Merle würde sich wünschen, dass ich noch einmal meinen ehelichen Pflichten nachkomme. Es wäre etwas, zu dem ich ein letztes Mal bereit wäre, um sie davon abzuhalten, morgen sofort zu den Dreifelds zu laufen. Aber ich würde von vornherein klarstellen, dass es keine Wiederholungen gäbe.” Er drehte vorsichtig ihren Kopf zu sich, so dass sie tief in seine Augen sehen konnte. “Und da musst du mir vertrauen, denn schließlich war auch ich dir in den letzten zwei Götterläufen stets treu, auch gegenüber Merle.” Ihre letzte Bemerkung zu Marno oder einem anderen ignorierte er bewusst, doch Gudekar spürte, wie sein Puls stieg.

“Der Tharf, so so.” Meta schmunzelte leicht. Wofür dieses Getränk wohl noch herhalten musste. Aber immerhin hatte er sich vorhin wohl so verhalten, wie sie es sich gewünscht hätte. "Ich glaube dir, das habe ich dir gesagt. Erst durch die Ereignisse jetzt muss es wieder völlig heilen. Natürlich warst du mir treu und ich glaube dir, dass du keine Wiederholung anstrebst.” Es war sein Wunsch, auch, wenn ihr nicht ganz klar war, warum. Sollte Merle hoffen, ihn öfter wieder zu spüren, würde er sie nicht davon abhalten können, zu den Dreifelds zu gehen, wenn er nicht mehr mochte. Ursprünglich hatte sie Schwertübungen machen wollen, aber es würde mit dem Gespräch bei den Beiden sicher länger dauern. “Das habe ich dir versprochen. Aber es bleibt bei dem, was ich vorhin gesagt habe. Was der eine darf, das gilt auch für den anderen. Es scheint mir eh ein guter Zeitpunkt, unsere beziehungsweise meine Zugeständnisse und unser Leben zu planen… nein, das kann man ja nicht. Aber du weißt schon. Wie wir jetzt weitermachen wollen. Wo werden wir leben, erstmal in Tälerort zusammen bei Wunnemar. Das ist ein weiter Weg. Wie oft wirst du deine Tochter sehen?”

“Lulu?” An seine Tochter hatte Gudekar die ganze Zeit nicht gedacht. Es ging in seinen Gedanken eigentlich immer nur um Meta, ihn und Merle. Und die Frage, wie er mit seiner Geliebten zusammen sein konnte, ohne Merle zu sehr gegen sich aufzubringen. Lulu war dabei für ihn kein Faktor gewesen. Wie dumm! Aber wieso brachte ausgerechnet Meta sie ins Spiel? Würden die beiden erst in Tälerort sein, hätte er keine Gelegenheit mehr, Lulu zu sehen. Doch solange Merle hier in Lützeltal weilte, wäre Lulu in guter Obhut und gut versorgt. Sein Vater würde für Lulu sorgen, da war er gewiss. Und selbst Kalman würde nicht zulassen, dass es Lulu schlecht erginge. “Nun, sind wir erst in Tälerort, …”

“Gudekar!” Meta kannte diese Art, zu reden. Er würde ihr eigentliches Anliegen aus dem Hirn verlieren. “Eins nach dem anderen. Wenn du deine Nacht mit Merle hast, dann werde ich mir einen Mann suchen, mit dem ich diese Nacht schlafen kann.”

Gudekar stockte, überrascht von der direkten Ansage seiner Geliebten. Mit groß aufgerissenen Augen schaute er sie an. “Was… was soll das, Meta?” Er spürte das Blut in seinen Adern pulsieren. “Ich mache das doch nicht zum Vergnügen! Wenn ich… Nein! Das kannst du mir nicht antun! Du kannst doch nicht mit irgendeinem Dahergelaufenen das Lager teilen, nur so, nur zum Vergnügen. Oder noch schlimmer: nur, um es mir heimzuzahlen! Ich dachte, … ich dachte… ich… Nein, Meta! Das lasse ich nicht zu!” Seine Aufregung - oder war es Rage - war deutlich in seiner Stimme zu hören.

Da in dem Zuber sowieso nicht zu viel Platz war, fiel es Meta leicht, seine Hände zu fassen. Sie zitterten leicht und der Ausdruck in seinen Augen berührte ihr Herz auf eine bisher unbekannte Art, die sie nur von sich selbst kannte. “Gudi, ruhig. Du bist der einzige, der mich im Herzen hat. Linny und ich sind nur noch platonisch befreundet. Mit ihm wäre es gerecht. Du hast zwei Frauen, die dich lieben.” Sie strich ihm beruhigend am Nacken und flüsterte zu ihm. “Bist du etwa eifersüchtig? Dann weißt du doch, wie ich mich fühle. Ich will keinen anderen, aber Merle und du, ihr liebt euch noch. Das zerreißt mich. Da brauche ich jemanden, der mich hält und für den ich zumindest einmal die wichtigste Frau des Momentes bin. Ich habe dem mit Merle zugestimmt, weil du es so gerne wolltest.”

Als Meta seinen Hals berührte, schloss der Anconiter seine Augen und atmete tief durch. Langsam beruhigte er sich. „Es tut mir leid! Es war so ungerecht von mir, solch einen Gedanken zu haben. Ich wollte es doch nicht für mich, ich hätte es getan, damit wir - damit ich danach frei bin von Merle. Aber wie konnte ich erwarten, dass du dein Einverständnis dazu gibst? Du hast es aber zugelassen, obwohl es dich zerreißen muss. Größer kannst du mir deine Liebe nicht beweisen. Aber nein, wenn es bedeutet, dass auch du dir jemanden für die Nacht suchst, dann werde ich keinesfalls diese dumme Idee weiterverfolgen. Ich werde nicht zulassen, dass du dich einem anderen hingibst.“

Meta war verzweifelt. Was hatte er denn gedacht. „Sag, du bist doch klug. Ist dir schon der Gedanke gekommen, dass Merle dich in der Hand hat? Sie kann immer wieder mit dir Sex haben und drohen, es sonst der Kirche zu melden.”

„Natürlich ist mir das klar.“ Gudekar zog Meta näher an sich heran. Was Imelda, die vor dem Zuber saß, nicht sehen konnte, spürte Meta nun umso deutlicher. Allein der Gedanke, Meta könnte sich mit einem anderen Mann vergnügen, bewirkte in ihm etwas, das über kalte Eifersucht hinausging. Vielmehr erwachte in ihm ein Verlangen, Meta an Ort und Stelle zu beweisen, dass sie für ihn immer die wichtigste Frau war. „Sag mir, was ich tun soll!“

Dies, hauptsächlich Gudekars Eifersucht und seine Angst, sie in irgendeiner Weise zu verlieren, rührten Meta und sämtliche  Zweifel verflogen. Meta gab ihm einen Kuss, sanft aber eindeutig. “Ein anderes Mal”, flüsterte sie. “Ich kann das nicht, ich werde Schwertübungen machen und dann Wein trinken. Oder ich verbringe die Zeit nach den Übungen mit Imelda.” Ihr Magus war manchmal so unbedarft aber, so glaubte sie es zumindest, in dem was er sagte und tat ehrlich zu ihr. “Hilf mir bitte. Ich habe Angst, dass Gwenn und Merle meine Lage ausnutzen und ich am Ende nicht mit dir zusammen wohne, du Merle so behandelst, wie man es bei einer Geliebten machen würde. Gwenn ist so gerissen und ich bin emotional viel zu angeschlagen und darin verwickelt, ich würde wohl alles akzeptieren. Hilf mir bitte, setz dich für mich ein.”

Durch Metas Vertröstung auf später, wurde Gudekar bewusst, was er gerade im Begriff war, vor den Augen der in den Wein vertieften Geweihten zu tun. Instinktiv rückte er ein Stück von Meta weg. Zärtlich strich er mit dem Handrücken über Metas Wangen. “Aber natürlich, mein Schatz. Deshalb habe ich ja darauf bestanden, dass du bei dem Gespräch dabei bist. Denn weder möchte ich, dass Merle und Gwenn über dein Schicksal entscheiden, noch möchte ich dies alleine tun. Wir stehen das zusammen durch. Und gemeinsam werden wir dieses Tal verlassen.”

Es war Meta etwas peinlich. Als sie aber aus dem Zuber sah, saß die Geweihte entspannt auf ihrem Stuhl, trank Wein und knabberte Käse, und beobachtete die Szene recht interessiert. Als würde sie in einem Theater sitzen. “Imelda, es tut mir leid, dass ich dir soviel Zeit gestohlen habe. Ihr Zwei seid aber meine Verbündeten und Freunde. Ich brauche deinen Rat.” Meta stieg aus dem Zuber und trocknete sich ab. “Du siehst es nochmal anders. Wie kann ich mich deiner Meinung nach gegen Gwenn und Merle am besten halten? Ich habe Angst, dass sie mir, da sie ein Druckmittel haben, mich dazu bringen werden, ihre Bedingungen restlos anzunehmen. Ähm… du hast es vielleicht gehört. Darf ich, wenn Gudekar sein eigenes Gespräch mit Merle hat, etwas zu dir? Wir sitzen gemütlich zusammen und du zeigst mir, was du Schönes gearbeitet hast?”

Imelda schreckte leicht aus ihrer Weinseligkeit hoch. “Es gibt noch ein weiteres Einzelgespräch zwischen Gudekar und Merle?” fragte sie leicht verwirrt nach. “Wann wäre denn das? Und ja, du kannst doch immer zu mir kommen!” Imelda lehrte den Becher Wein und nahm sich ein letztes Stück vom Käse. “Strategie, hm? Also, Merle sitzt offensichtlich am längeren Hebel. In einer Schlacht würde man aus der Defensive arbeiten, abwarten und das Vorgehen des Gegners studieren, ihn erst einmal kommen lassen und dann… kontern.” Imelda schlug sich kräftig mit der Faust in die Hand. Sie war unter Rittern aufgewachsen und glaubte daher einiges von Kriegsführung zu verstehen. Eilig schluckte sie den Käse herunter und sah flüchtig in den leeren Becher. “In eurem Fall würde das bedeuten, erst zu schauen, was Merle vorhat und fordert, ihre Druckmittel zu verstehen, um schließlich einen Kompromiss auszuhandeln. Zumindest ein Druckmittel hättet ihr auch: eine offizielle Auflösung des Bundes durch die Traviakirche würde für Merle bedeuten, dass sie ihren Status im Adelsstand aufgeben müsste. Außerdem könnte Gudekar androhen, allein über Lulu zu bestimmen, also dass die Kleine zum Beispiel auf eine Magierakademie am anderen Ende Deres geschickt wird.” Imelda seufzte; sie sah die beiden mit einem traurigen Blick an. In ihren hellblauen Augen stand die sichtliche Angst, dass Gudekar tatsächlich auf solche Mittel zurückgreifen würde, wie einer Mutter ihr Kind wegzunehmen. Die Hadingerin zog die Stirn zusammen und schluckte. “Aber das Beste ist immer, wenn man einen Krieg gewinnt, ohne kämpfen zu müssen. Diplomatisch so auf den Gegner einzuwirken, dass es gar nicht erst zur Schlacht kommt.” Die junge Geweihte zuckte ratlos mit den Achseln. “Und das wünsche ich euch von ganzem Herzen. Denn Krieg ist grausam und am Ende leiden alle. Versucht daher, wenn möglich, eine friedliche, freundliche Lösung mit Merle zu finden. Das wäre mein Rat.”

Gudekar schüttelte den Kopf. “Imelda, dein angebliches Druckmittel hat nur einen Haken, oder zwei. Den Traviabund kann nur das heilige Paar lösen, und die werden dies nur unter besonderen Umständen tun. Sollte es dazu kommen würde ich als Frevler verurteilt, und dann würde man mir das Kind keinesfalls anvertrauen.” Er machte eine Pause und sprach dann leiser weiter. “Außerdem weiß ich ja gar nicht, ob Lulu das Mandra in sich trägt. Es ist also gar nicht sicher, dass sie auf eine Akademie kommt.”

Imelda schmunzelte. “Natürlich weiß ich das. Beides…”, sagte sie kühl, “...beides  sind Drohgebärden, unabhängig voneinander. Die Frage ist, wie glaubwürdig du diese in einem Gespräch anbringen und zu deinen Gunsten verwenden kannst.” Die Hadingerin seufzte. “Es geht hier um euer beider Leben und ihr seid im Krieg. Ihr könnt doch nicht einfach so blauäugig in das Gespräch hineinlaufen, so völlig ohne Plan! Habt ihr in den letzten zwei Jahren überhaupt nicht über die Zukunft nachgedacht!? Darüber, was an dem Tag passieren würde, wo Merle es erfährt?”

Gudekar schluckte. Darüber nachgedacht hatte er schon oft. Doch zu einer Lösung war er nie gekommen. Dies war auch der Grund, warum er diesen Tag immer weiter hinausgezögert hatte. Er schwieg.

“Da bist du uns jetzt eine große Hilfe, Imelda. Man hätte dieses Problem viel früher angehen müssen und ich hab geglaubt, dass das Verhältnis zwischen Merle und Gudekar längst nicht mehr so sei, wie es war. Immerhin hat er sie immer wieder besucht, ihre Nähe abgelehnt und war wohl eher schroff. Wie blöd ich war, wie unbedarft.” Ja, sie war einfach davon ausgegangen, dass Gudekar das mit seiner Frau regeln würde und dass längst klar war, dass es den Bund nur noch zum Schein gab. Meta nahm sich vor, nicht mehr zu viel vorauszusetzen. Sie senkte den Kopf. “Nein, das Kind wegnehmen will ich ihr nicht, das wäre zu grausam. Lulu kann nichts dafür. Und jetzt bin ich wieder zu weich für so eine Verhandlung. Gwenn wäre das nicht.” Dann hob sie interessiert den Kopf. “Das wollte ich auch mal fragen, selbst, wenn es mich nicht betrifft. Kinder von Mensch und Elf werden Halbelfen und können immer zaubern. Kinder zwischen Zwerg und Mensch gibt es nicht, warum auch immer. Aber Kinder, bei denen ein Elternteil magisch begabt sind, haben die eine höhere Chance, auch später diese Fähigkeit zu bekommen?"

„Nein“, schüttelte der Magier den Kopf. „Im Allgemeinen sind die Kinder von Magiern nicht häufiger magisch begabt als die Kinder von Nichtmagiern. Es gibt nur wenige Magierdynastien, bei denen die Gabe von den Eltern auf die Kinder übergehen. Allein, dass auch Morgan die Gabe hat, grenzt an göttliches Wunder der Hesinde.“

Imelda zog überrascht die Augenbrauen hoch. “Halbelfen können immer zaubern, wirklich? Dann müsste Doratrava das auch können?! Ist euch da außer der Augenfarbe schon mal was aufgefallen?” Sie dachte für einen Moment sichtlich abgelenkt nach und lachte. “Na, vielleicht erklärt das ihre zauberhaften Darbietungen…”

„Imelda, das stimmt sicher so. Das weiß ich doch von Danilo. Aber stimmt. Außer der Augenfarbe und ihrem unglaublichen Talent hat sie noch nicht gezaubert. Gudi könnte sicher prüfen, ob die es kann.“

Aber warum sollte er das tun, fragte er sich.

Als die Hadingerin in die bedrückten Mienen von Gudekar und Meta sah, wurde sie schnell wieder ernst. Auch wenn sie immer noch nicht verstand, wie die beiden derart unvorbereitet zu dieser Hochzeit hatten anreisen können, taten sie ihr leid, besonders ihre Freundin Meta. “Also, ich für meinen Teil halte es nicht für sonderlich hilfreich, dass Gudekar seine Frau zwei Jahre lang schroff und abweisend behandelt hat”, wandte sie vorsichtig ein. “Im Gegenteil. Ich meine, Merle hat ihm ein Kind geboren - und er ist kalt und ablehnend zu ihr?!” Imelda warf einen kurzen, missbilligenden Blick in Richtung des Magiers, der nachdenklich und schweigend ihren Worten zuhörte. “Ein Traviabund ist nun mal unauflöslich - unabhängig davon, ob man dabei nett zueinander ist oder nicht. Selbst wenn das Verhältnis der Eheleute noch so schlecht ist, einen Bund ‘zum Schein’ gibt es nicht. Der ist auf ewig.” Imelda rubbelte noch einmal mit dem Handtuch ihr Haar trocken, schüttelte dieses und fuhr mit den Fingern hindurch, um die Locken ein wenig zu ordnen. Die junge Geweihte hob erneut die Schultern. “Was ich sagen will… je schlechter und unzumutbarer Merle sich von ihrem Mann behandelt fühlt, um so mehr wird sie sich doch bei der Kirche über ihn beschweren wollen? Oder seht ihr das anders? Wenn ihr nichts habt, womit ihr ihr drohen könnt, gibt es dann vielleicht etwas, das ihr Merle zur Güte anbieten könntet?”

Nun ließ Meta erschöpft und enttäuscht den Kopf hängen. „Nein, nicht soweit ich weiß. Gudekar fällt vielleicht etwas ein. Wenn wir nichts haben, dann werde ich mich in allem nach ihr richten müssen und mein Gudi stände auf Abruf für sie bereit. So lange, bis sie uns länger trennt und ihn an sich bindet. Mit einem zweiten Kind wahrscheinlich.“ Niedergeschlagen wandte sie sich an Gudekar. „Was meinst du dazu?“

„Hm, das ist eine schwierige Sache. Ich sehe ein, sexuell sollte ich ihr nicht nachgeben. Das bewirkt weitere Gelüste bei ihr für etwas, was ich nur dir geben mag. Es wäre natürlich optimal, wenn Merle ihr Verlangen bei einem anderen stillen könnte, der ihr Herz berührt. Ich werde ihr klar machen, dass ich dies bei ihr dulde, wenn sie Gleiches bei uns duldet. Andererseits müssen wir ihr sagen, dass sie, solange sie über uns schweigt, den Familiennamen und ihr Reputation behält. Können wir ihr die Türen an einen adeligen Hof öffnen, wo sie und Lulu es besser hätten als in den kalten Klostermauern?“

"Das ist eine sehr gute Idee, Gudekar!", lobte Imelda den Anconiter. Sie freute sich, dass die beiden begannen, so langsam in den richtigen Bahnen zu denken. Es schien, als ob der von Hesinde Gesegnete glaubte, von selbst auf diese Idee gekommen zu sein. Zufrieden prostete sie ihm mit dem leeren Glas zu.

Meta sah auf und setzte sich gerade hin. „Ich habe leider kaum Beziehung zu adligen Höfen. Die vom traurigen Stein könnte ich fragen, aber die sind wie eine Familie für mich, außerdem wohl nicht das richtige. Merle bräuchte einen größeren Hof, wo sie sich verwirklichen kann. Verema, meine Junkerin, arbeitet beim Herzog, sie ist Zuchtmeisterin für seine Pferde auf dem Elenviner Gestüt.“

„Nein, Meta, es sollte ein Hof sein, zu dem du eher weniger Beziehung zu hast, der aber Merle gut gewogen ist, ohne uns beide gleich zu verteufeln.“ Gudekar hatte jedoch selbst keine Idee, wo das sein könnte.

Imelda sah ratlos zum Anconiter. “Vielleicht hat ja jemand aus deiner Familie Kontakte zu einem hohen Haus?” Sie biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. “Ich könnt’ mir aber auch vorstellen, dass sich Merle einfach ein gutes und friedliches Leben mit ihrer Tochter wünscht. Und vermutlich, dass du dich regelmäßig um die Kleine kümmerst. Wenn ihr beide irgendwann nach Linnartstein zieht, wär’ es vielleicht gar nicht so schlecht, ihr dort einen Platz zu verschaffen? Dann bist du in Lulus Nähe, während sie aufwächst.“ Imelda zuckte unschlüssig mit den Achseln. “Aber das müsst ihr mit Merle im Gespräch klären.”

“Rahjaman handelt mit Wein. Der könnte jemanden kennen. Und dann gibt es natürlich noch Durinja, Linnarts Frau… aber nun ja, das klappt wohl nicht.” Sie schmunzelte trotz der ernsten und aussichtslosen Lage und strich Gudekar die Haare glatt bis zu seinem Nacken. Meta tat er jetzt sehr leid. Er hatte dies alles auf sich genommen, den Streit mit der Familie, die Lösung von seiner Frau und der Traviakirche. Ihretwegen. Es hatte sich anfangs so einfach angehört, aber sie sah, wie er litt und was ihr Vorhaben für Wellen unter den Gästen schlug. Sie räusperte sich. Nein, sie waren zu tief darin verwickelt, aber es wäre wohl besser gewesen, sie hätte es nie so weit kommen lassen. Sie selbst hätte gelitten. Furchtbar, gerade nach seinem überraschenden Besuch, der ihr so gut gefallen hatte. Aber nur sie. Gudekar wäre wieder in sein bekanntes Umfeld zurückgekehrt. “Fällt dir noch etwas ein, Gudi?” Zu der Hoffnungslosigkeit hatte sich das schlechte Gewissen gesellt. Es war aber nicht der rechte Zeitpunkt dafür.

“Hm, vielleicht benötigt ja eine der Gäste hier eine neue Zofe. Vielleicht diese Kaldenberg  oder die Galebfurtnerin, wobei die dem Baron Wunnemar zu nahe steht, das könnte Komplikationen bringen. Aber was wäre mit der Baronin von Rodaschquell? Sie mag es mit dem Traviabund vielleicht nicht ganz so eng sehen.”

"Die Baronin von Rodaschquell, ja!", rief Imelda begeistert aus und musste unweigerlich an die schönen Lichter denken, welche diese bei der Nachtwanderung hatte entstehen lassen. "Na, mal schauen, was Merle überhaupt von dem Vorschlag hält."

„Imelda, dir fällt immer wieder was ein. Tsalinde und sie verstehen sich doch auch so gut.“ Meta seufzte und sah erst ihren Mann, dann ihre Freundin an. „Ähm... Imelda? Wäre, nein, würdest du uns, mir besonders, den Gefallen tun und bei dem finalen Gespräch mit Merle und Gwenn dabei sein?“

"ICH???", rief Imelda überrascht aus. "Wieso das denn? Wollt ihr das nicht eher unter vier... ähm, acht Augen klären?" Kurz lief es der Hadingerin kalt den Rücken runter. Das Gespräch würde sicher alles andere als angenehm werden. Schon gestern bei dem Volksfest und heute vor dem Schrein war ihr die Situation mit Merle nahe gegangen; eigentlich wollte sie nicht tiefer in Gudekars Eheprobleme verstrickt werden. "Was soll ich als Außenstehende denn bei dem Gespräch? Ist das nicht was sehr familiäres?"

Gudekar musterte Imelda einen Moment überlegend. “Naja, Imelda, du bist eine Geweihte. Du könntest als Unbeteiligte eine schlichtende Rolle einnehmen. Vielleicht ist das keine so schlechte Idee.”

„Ja, ich stimme ihm zu. Und du bist ja nach Gwenns Wissen auf ihrer Seite. Und mir hast du deine Meinung ja auch sehr direkt gesagt. Ich glaube, du wärst sicher eine große Hilfe. Traust du dir zu, auch etwas für mich zu unterstützen?“

Imelda seufzte und starrte nachdenklich an die Decke. “Wenn ihr darauf besteht… Aber ich weiß nicht, ob dies eine gute Idee ist. Ich würde auch gleich zu Beginn Merle um Erlaubnis bitten.” Sie sah zu dem Liebespaar und musterte die Beiden. “Natürlich möchte ich, dass ihr glücklich seid, jedoch würde ich als Geweihte im Dienste der Götter handeln. Und du weißt, Gudekar, dass Frevler und Eidbrecher in den Augen der Zwölf nicht gerne gesehen sind. Ich kann euch anbieten, Streit zu schlichten und Kompromisse zu fördern. Doch werde ich dann keine Partei einnehmen und mich im Sinne meines Glaubens neutral verhalten.” Imelda sah eindringlich zu Meta. “Das könnte unsere Freundschaft sehr belasten. Willst du wirklich, dass ich bei dem Gespräch dabei bin?”

Das sah auch Gudekar ein. Vielleicht war es doch keine gute Idee, Imelda dabei zu haben. Egal, wie das Gespräch ausging, Meta würde danach eine gute Freundin brauchen. Wer weiß, wie die temperamentvolle Almaderin reagieren würde, wenn auch Imelda im Gespräch nicht vollständig ihrer Ansicht folgte? Gudekar wollte es sich nicht ausmalen. Nein, wenn Imelda sich fern hielt, könnte sie Meta vielleicht im Anschluss leichter beruhigen, weil Meta nicht wieder das Gefühl bekäme, Imelda als Freundin verloren zu haben. Der Anconiter blickte fragend zu Meta.

Meta überlegte unzufrieden. Warum musste sie gerade jetzt so sehr darauf hinweisen, was sie als Geweihte nicht machen würde. Ja, natürlich Travia verteidigen, so, wie Praios einen Magus Hesinde wegen vereidigt? Das war ihr gerade zu kompliziert. “Also… ich hätte dich nicht als Freundin dabei oder jemanden, der mir Kraft gibt, so wie Gudekars eigene Schwester Gwenn es bei Merle tut? Wenn es am Ende wegen deiner Profession so weit führen würde, dass wir unsere Freundschaft endgültig zerstören, dann lass es bleiben. Natürlich wirst du dich gegen uns stellen müssen. Das, was wir wollen ist ein Kompromiss, den sture Traviaanhänger als Grund für diverse Strafen nutzen würden.”

Imelda sah ihre Freundin mitfühlend an. “Dein Gudekar hat mich gefragt, ob ich als unbeteiligte Geweihte eurem Gespräch beiwohnen möchte und meine Antwort war, dass ich dies als sehr schwierig empfinde. Natürlich bin ich auf deiner Seite, doch als Dienerin des Ewigen Herrn des Feuers, welcher dem Göttervater sehr nahe steht, müsste ich neutral sein.” Imelda legte ihre Hand auf die Schulter ihrer Freundin. “Das ist euer Leben und du bist eine erwachsene Frau, die gerade zur Ritterin geschlagen wurde. Gudekar, ein gelehrter Herr, ist die Stütze an deiner Seite, wer sonst? Ich kann nicht für euch sprechen oder argumentieren. Das musst du für dich beziehungsweise ihr für euch schon selbst tun.” Intensiv sah die Hadingerin Meta in die Augen. “Süße, was hältst du davon, wenn ich während eures Gesprächs draußen vor der Tür warte? Und wenn du mich brauchst, dann holst du mich einfach rein, einverstanden?”

“Warte nicht direkt dort. Wo wird es überhaupt sein? Keine Ahnung. Lass uns irgendwo treffen, wo wir Wein bekommen. Den werde ich brauchen.” Man sah Meta an, wie unangenehm ihr diese Aussprache war. “Verteidigen kannst du uns nicht. Gwenn wird es für Merle tun, da sie zu zweit gut darin sind, die Leute zu täuschen und ihnen Mist einzureden. So, wie sie es bei dir gemacht hat. Es wäre eine Rückendeckung gewesen. Auch wie im Kampf. Man hat Verbündete um sich, auch, wenn sie schweigen.”

“Ach, nun, das wird schon. Merle wird ihre Vorstellungen offenlegen, wir unsere. Entweder wir finden gemeinsam einen Weg, wie wir uns arrangieren können, oder eben nicht. Dann gehen wir beide halt nach Tälerort. Dahin wird sie uns wohl kaum folgen.” Gudekar war es langsam egal. Er merkte, wie ihn die ganze Scharade anstrengte. Er wollte keine Spiele mehr spielen. Es hatte ihm einen Schlag versetzt, dass sich Gwenn eingemischt und gegen ihn gewandt hatte. Das wurde ihm immer mehr bewusst. Er wollte reinen Tisch machen. Und dann mit Meta verschwinden, weg von Lützeltal, weg von Gwenn, weg von allem, was ihn an die Vergangenheit erinnerte. Weg von den heuchlerischen Travia-Fanatisten. Er versuchte zu lächeln und seine trüben Gedanken zu verscheuchen. “Hinterher gemeinsam einen ordentlichen Schluck Wein zu trinken, halte ich für eine gute Idee. Vielleicht können wir ja auch die Vorräte des Rodenbachs ein wenig plündern.”

“Nun, wenn du jetzt mit der Familie brichst, Gudekar, dann wird es vermutlich keinen Weg zurück für dich geben”, gab Imelda zu Bedenken. “Aber ja, Wein danach klingt gut.” Die junge Geweihte wirkte angespannt und müde, als sie sich wieder Meta zuwandte. “Merle hat Gwenn und Gudekar hat dich dabei. Eigentlich ist das nur gerecht. Aber…”, Imelda schloss die Augen und seufzte innerlich. Dann sah sie ihre Freundin an. “Also gut. Ich bin zuvor noch vom Herrn Kalman beim Abendessen eingeladen. Da werde ich Merle unauffällig fragen, ob sie etwas dagegen hat, wenn ich an der Unterhaltung teilnehme. Würde ich dir damit einen Gefallen tun?”

“Du isst zusammen mit Kalman und Merle und der ganzen Sippe?” Gudekar war überrascht.

Imelda nickte. “Ja, die Wiltrud hat mir vorhin die Einladung überbracht.”

Gudekar nickte. “Vermutlich wird mich Kalman dann auch erwarten. Ich kann mir wirklich etwas angenehmeres vorstellen. Aber ich werde Meta heute nicht allein lassen. Meta, wir essen am besten im Gasthaus.”

Imelda runzelte die Stirn und sah fragend zur Ritterin.

“Geh ruhig, ich habe keinen Hunger. Wenn, dann hole ich mir bei einem Stand oder dem Bäcker etwas.” Sie lächelte Gudekar so lieb an, wie es ging. “Gudi, endlich bist du auch soweit. Mich hat das sehr schnell hier gestört. Aber das habe ich dir ja oft genug gesagt.” Zeichen des Zusammenhaltes und Zuversicht. Aber Gudekar wusste, dass er etwas zu lange gewartet hatte, sie zu lange hingehalten oder sogar belogen hatte. Noch einmal würde er es nicht mehr schaffen.

“Willst du mich wirklich den Wölfen zum Fraß vorwerfen?” Gudekar wirkte nervös. “Gwenn und Merle werden auch dort sein. Sie werden keine Gelegenheit auslassen, mich vor der Familie und erst recht vor den Gästen auflaufen zu lassen.”

„O Mann. Sag das doch gleich. Wir wollen beide nicht hin. Dann gehen wir gemeinsam essen. Ein bisschen was.“ Sie verdrehte schmunzelnd die Augen. Gudekars Herz schmolz dahin, als er ihren niedlichen Gesichtsausdruck sah. „Du kannst mir die Wahrheit sagen, auch, wenn du Angst hast. Das gehört dazu. — Und bei deiner Familie ist es egal, ob du jetzt beim Essen bist, oder nicht. Gwenn wird vielleicht eine neue Intrige drauf haben. Warum wurdest du eigentlich eingeladen, Imelda?“

“Du warst doch eben dabei, als Wiltrud reinkam, Meta. Der hohe Herr Kalman würde mich zum Essen ins Gutshaus einladen. Mehr hat sie nicht gesagt. Vielleicht interessiert er sich für die Schmiedekunst?” Die Geweihte zuckte mit den Achseln. “Also, soll ich Merle nun fragen, ob ich dabei sein darf bei eurem Gespräch?”

„Ja, frag und stell gleich dar, dass du unparteiisch bist. Und eine Geweihte, die sollten sie so weit respektieren, dass sie uns körperlich nichts antun. Ich traue denen von der Traviakirche alles zu.“

"Ähhh...", brachte Imelda heraus und sah Meta konstatiert an, "...ich glaube, so schlimm wird es nicht. Aber ja, ich versuche mein Bestes, Meta."

„Dann wünsche ich dir so viel Erholung wie möglich.“ Das miese Wetter ging ihr auf den Geist. „Hoffentlich ist die Jagdgesellschaft dann da und Mika, zu der ich immer noch hoffe, ein liebes Verhältnis aufzubauen, ist nichts passiert. Tja..., wir wissen nicht, wie lange das Essen dauert, aber ich werde dich danach schon finden. So groß ist es hier ja nicht.“

“Meinst du, Mika holt sich bei dem stürmischen Wetter einen Schnupfen?”, wunderte sich Imelda und blickte aus dem Fenster heraus. “Ach, mach’ dir keine Sorgen. Als wir uns kennengelernt haben, da ist sie mal in einen zugefrorenen Eissee gesprungen und hat sich pudelwohl gefühlt. Mika kann als Firun-Novizin einiges ab.”

Gudekar lachte. “Ja, das klingt ganz und gar nach meinem kleinen Schwesterlein."

Nun war zumindest dieser Teil der unangenehmen Wahrheit besprochen. Gudekar würde wohl mit Gwenn reden. „Imelda“, richtete Meta das Wort an ihre letzte und beste Freundin. „Hast du noch etwas Zeit? Ich weiß, das Wetter ist sakrisch saumässig. Mich interessiert, was du machst, und wo du untergekommen bist. Wirklich.“ Sie lächelte sanft, aber mit Grübchen und etwas röteren Backen. "Sollte ich je zwei Ringe brauchen, dann will ich, dass sie von dir sind. Zudem brauche ich einfach mal Ablenkung. Mindestens das halbe Dorf weiß über mich Bescheid und ich merke, dass sie Merle nicht betrübt und leidend sehen wollen. Egal, wie lange sie diese Frau kennen. Ob ich leide, das scheint kein Thema zu sein. Darf ich mit? So lerne ich auch diesen Zwerg kennen, der dich so beeindruckt.“

“Meister Limrog, meinst du?” fragte Imelda und zog überrascht die Augenbrauen hoch. Wirkte sie so beeindruckt von dem Angroscho? Ja, er war ein guter Schmied und sie mochte seine grummelige, doch herzliche Art, doch eigentlich hatte sie nicht viel über ihn gesprochen. Leicht abgelenkt nickte sie. “Ähh, eigentlich wollte ich mich nochmal hinlegen, aber ich kann dir auch die Schmiede zeigen, wenn dich das interessiert, wobei wir ja auch gerade gebadet haben und jetzt sauber für die Feierlichkeiten sind.” Die Hadingerin wog den Kopf hin und her. “Bis zum Abendessen sind es noch etwa fünf Stundengläser. Wir könnten zwischendurch Mika empfangen, wenn sie von der Jagd zurückkommt oder wir basteln an diesen Booten? Wir können ein großes und schnittiges Bötchen bauen, was besonders schnell fährt!” Begeistert von diesem Gedanken zog sie vielsagend die Augenbrauen hoch. “Was meinst du?”

„Oh, daran hab ich nicht gedacht. Du hast Recht, wir sind noch sauber - so dreckig wird man in der Schmiede, wenn man es sich nur anschaut? Ich will nicht, dass du meinetwegen müde bist. Leg dich bitte hin. Ich wollte sowieso ein Boot bauen. Gudi? Wollten wir nicht gemeinsam eines auf die Reise schicken?

“Ach, das geht schon…”, sagte Imelda und hielt sich gähnend die Hand vor den Mund. “So müde bin ich auch wieder nicht, ehrlich”, sie schmunzelte belustigt und stellte ihren Becher beiseite. “Was meinst du, Meta, erst die Schmiede oder doch lieber gleich ein Boot basteln? Du bist doch auch ganz gut in Holzarbeiten, oder?”

Ach ja, dieses leidliche Boote basteln. Ursprünglich hatte sich Gudekar sehr darauf gefreut, Gwenn und Rhodan alles Gute für die Zukunft zu wünschen. Doch nachdem sich Gwenn so unerfreulich in seine Liebesdinge eingemischt hatte, hätte er ganz spezielle Wünsche an sie, die er lieber für sich behielt. “Ja, Meta, lass uns das Basteln hinter uns bringen. Es würde sich wohl nicht schicken, wenn von ihrem allerliebsten Bruder keine Wünsche auf die Reise zum Flussvater geschickt würden.” Der Ärger über Gwenn stieg nun wieder in Gudekar auf. Er stand auf und kletterte aus dem Zuber, um sich abtrocknen und seine Tunika überzustreifen. Die Lust auf ein entspannendes Bad war ihm gerade vergangen.  

„Genau“. Die frische Ritterin ließ ihre Handknöchel knacken. „Wir machen es gemeinsam. Ha, so ein Boot ist sicher noch nicht auf einer Hochzeit ausgesetzt worden. Stimmt, ich habe mir früher bei Danilo durch Schnitzen etwas Geld dazuverdient. Kommt, gehen wir.“

Gudekar nickte nur zustimmend und zog sich weiter an.

Imelda trat näher an Meta heran und legte freundschaftlich den Arm um Meta. “Und lass’ dich nicht runterziehen… Du darfst nicht vergessen, wie traviagläubig die Menschen hier sind. Ehe- und Eidbruch sind ja auch wirklich keine Kavaliersdelikte”, die Geweihte starrte kurz in Richtung Gudekars, “...und auch wenn du unbedarft in die Sache reingeschlittert bist und alles aus Liebe tust, musst du damit rechnen, dass die meisten Nordmärker schockiert auf eure Beziehung reagieren und automatisch Merle in Schutz nehmen.” Sanft strich Imelda über Metas Haar. “Glaub’ mir, Meta, ich sage das nicht, um dich zu strafen oder zu quälen - aber es ist die Realität, dass du… ihr… einen harten, steinigen Weg gewählt habt. Ihr könnt nicht erwarten, dass die Leute euch verstehen oder sich groß für euer Leid interessieren. Das hier sind immer noch die Nordmarken. Aber…”, aufmunternd klopfte die junge Geweihte ihrer Freundin auf die Schulter, “...die Meta, die ich kenne, der ist das Gerede der Leute doch auch schnurzpiepegal! Du kannst und musst nicht allen gefallen und von allen gemocht werden. Wenn du am Ende dein großes Glück findest, muss dich das alles nicht mehr kratzen, oder?”

Meta sah Imelda glücklich an, sie freute sich, ihre Freundin noch zu haben. „Das stimmt, wenn diese blöde Verhandlung um Zugeständnisse und so vorbei ist, ist mir von fast allen die Meinung einfach wurscht. Es ist nun mal passiert, das dachte ich selbst nie. Liebe hab ich immer für Schmarren gehalten.—— Sag doch mal, wie wir es besser hätten machen können.“

Imelda zuckte auf Metas Frage mit den Schultern. "Nun, ich hätte nicht geplant, ausgerechnet bei einer Hochzeit der ganzen Welt zu verkünden, gegen Travia zu sündigen und mich als Frevler darzustellen. Schätze, ich hätte mich von vornherein damit abgefunden, eine Geliebte zu sein, wenn ich mich in einen verheirateten Mann verliebt hätte." Es war sicherlich keine hilfreiche Antwort und die Hadingerin wusste nicht so recht, was sie dazu sonst sagen sollte. "Ich glaube, ich selbst ziehe daraus die Lehre, mich nie mit einem gebundenen Mann einzulassen." Betreten sah Imelda zu Boden, hatte sie bisher doch in der Liebe noch nicht das große Glück gefunden.

„Ach Imelda.“ seufzte Meta. “Die Sache mit der Hochzeit ist nun mal leider Gudis Fehler. Weißt du noch, als wir uns getroffen hatten? Damals hab ich nicht an Liebe geglaubt. Man bekommt einen, am besten eine gute Partie, der von höherem Stand ist, Geld hat und nicht so ein Kotzgesicht, wie der Eisensteiner. Deshalb wollte ich mich beeilen, da am Ende nur seltsame Kerle mich nehmen würden.“ Sie biss sich auf die Unterlippe und nahm Imeldas Hand. „Du hast alle Chancen. Du bist sehr gut in deinem Beruf, sehr hübsch und die Männer mögen dich. Das hast du wahrscheinlich einfach noch nicht so gemerkt. Ich wollte nie einen Mann, der schon verheiratet ist - von den Kindern wusste ich damals nix - wir haben uns nett unterhalten. Aber dann hat Rahja mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Und Gudekar muss es auch so gegangen sein. Wir haben gemerkt, wie sehr wir aneinander hängen. Ich wollte es erst als Affäre einmalig belassen, aber ich musste immer wieder an ihn denken. Das hat in mir gekribbelt und der Tag war gleich viel schöner. Na ja, so ging es los. Ich konnte wenig dagegen machen. Ihm ging es ja auch so.“ Meta drückte die Hand etwas fester und sah Imelda fast flehend an. „Ich wollte nie Geliebte sein. Ich wollte keinem weh tun. Ich war immer meine eigene Herrin, etwas frech und anders. So bin ich nun mal. Das hier ist sicher für andere schlimmer, aber die Liebe ist doch nicht nur sexuell. Es ist Verständnis, Vertrauen und das Gefühl, als würde man heimkommen. Jetzt muss ich mir Vorschriften machen lassen und diese wahrscheinlich alle akzeptieren. Mal schauen, ob das geht. Mal sehen, was sie alles fordert und ob ich damit klar komme.“

“Das Problem ist, dass dein Geliebter bereits einer anderen Frau den heiligen Schwur geleistet hat, ihr das Gefühl eines vertrauten, warmen Heims zu geben. Immer für sie und ihr Kind da zu sein.” Imelda strich sanft über Metas Wange und sah sie sehr traurig an. “Ich weiß, dass es schwer ist. Und dass dein Herz dir schmerzt. Egal, wie das hier ausgeht - es wird einen Preis kosten.” Die junge Geweihte seufzte leise. “Alles, was ich dir raten kann, ist, bedacht und gut vorbereitet in dieses Gespräch zu gehen. Du bist Ritterin. Sei nicht unüberlegt und emotional in deinen Entscheidungen, sei weise. Das ist es, was des Ritters Herz vom einfachen Söldner unterscheidet.” Nachdenklich kaute die Hadingerin auf ihrer Unterlippe. Sie wusste nicht, was sie ihrer Freundin sonst noch sagen konnte. Dann riss sie Meta stürmisch in ihre Arme. “Ich bin jedenfalls immer für dich da und dir immer eine gute Freundin! Ich hab dich lieb, Meta!”

Gudekar lächelte. Genau das war es, was Meta wohl brauchte: eine Freundin, die zu ihr hielt, auch wenn sie nicht mit allem einverstanden war, was Meta tat. Hoffentlich nahm sich die Ritterin die Worte der Geweihten zu Herzen.

Als sich Gudekar und Meta fertig angezogen hatten und die drei Freunde zum Haus des Dorfschulzen aufbrechen wollten, um Boote mit Grußbotschaften für das Brautpaar zu basteln, klopfte es kurz an die Tür und Wiltrud trat ein. “Hohe Dame Croy? Ich soll Ihnen ausrichten, dass der Herr Herrenfels kurz mit Euch zu sprechen wünscht. Er sagt, Ihr würdet ihn von früheren Gelegenheiten kennen, und er möchte Euch noch einmal in Ruhe begrüßen, weil es neulich dazu keine passende Gelegenheit gegeben hätte.“

Gudekar schaute seine Geliebte fragend an. “Na, vielleicht sollten wir ihm den Gefallen tun? Du wolltest doch eh mit ihm reden. Soll ich dich begleiten?”

„Natürlich. Ich wollte ihn wegen einer bestimmten Sache sprechen, puta, den Gordito hab ich vergessen. Wir kommen gleich mit. Gudi, wenn du willst, dann komm mit mir. Das Schiff hat noch Zeit.“

Waren das almadanische Worte? Ein wenig Gefühl für Metas Muttersprache bekam der Magier langsam, doch waren ihm diese Worte fremd. Er hatte jedoch das Gefühl, dass beide nicht nett gemeint waren. „Aber nur, wenn du wirklich willst.“ Natürlich würde er mitgehen. Schließlich musste er wissen, woher Meta seinen zukünftigen Schwager kannte.

Wiltrud hatte das Badehaus sofort wieder verlassen, nachdem sie die Nachricht übermittelt hatte. Sie wollte gar nicht wissen, was der Sohn ihres Herren dort im Bad mit den beiden jungen, fremden Damen trieb.

"Also, dann bis später! Ich lege mich kurz hin und werde versuchen, Mika in Empfang zu nehmen, wenn sie von der Jagd zurückkommt!" Die Hadingerin winkte den anderen zur Verabschiedung. "Bestimmt hat Mika ein ganzes Dutzend Wildschweine erlegt. Die essen wir dann heute Abend sicher!" Sie schenkte Meta und Gudekar ein fröhliches Lächeln. "Und vielleicht können wir nachher trotzdem noch gemeinsam an den Booten basteln."

Bei dem Gedanken an Mika musste Gudekar schmunzeln. Er stellte sich vor, wie aufgeregt sie sich freuen würde. Vermutlich würde ihr Mundwerk den ganzen restlichen Tag nicht mehr stillstehen. “Wir können dich ja bei Limrog abholen. Dann kann ich gleich mal nachsehen, ob der faule Hund auch die Arbeit ordentlich erledigt, die ich ihm aufgetragen habe, oder ob er wieder den ganzen Tag nur Bier gesoffen hat.”

Im Gehen zog Imelda auf Gudekars Bemerkung hin zornig die Stirn kraus, was der Anconiter jedoch nicht sehen konnte. Was fand Meta nur an diesem Kauz? Leise seufzend schluckte sie, tat so, als hätte sie die letzte Bemerkung überhört und lief eilig zur Schmiede.

Von neuem Tatendrang erfüllt wartete Meta, bis die beiden anderen vorausgingen und folgte ihnen dann.

(Übergang zu ‘Wir haben auch zu reden!’)

Die Waschküche, in der der Badezuber aufgestellt war, lag im Wirtschaftsgebäude des Gutshofs, direkt neben den Pferdestallungen. Ab und an hatten die Badenden ein leises Wiehern hinter der Wand gehört. Was die drei jedoch nicht bemerkt hatten, war, dass sie die ganze Zeit vom Stallburschen Marno, dem 17-jährigen Sohn der Magd Wiltrud, durch ein kleines Loch in der Holzwand beobachtet wurden.

~ * ~

Wir haben zu reden!

(12:30; Merle, Gwenn und Rhodan)

Rhodan Herrenfels und Gwenn von Weissenquell hatten die Bäckerei verlassen, um die Gespräche mit Merle, Meta und vielleicht auch Gudekar zu suchen. Gemeinsam waren sie zunächst zum Gutshaus gegangen und dort von Bernhelm und Wiltrud abgefangen worden, die noch dringende Fragen zum Ablauf der morgigen Traviafeier und des anschließenden Empfangs zu klären hatten. Insbesondere das schlechte Wetter, das aufgezogen war und gerade immer schlimmer wurde, machte einige kurzfristige Umplanungen notwendig.  

Die Wachschützerin Herlinde von Kranickau hatte sich davon überzeugt, dass auf dem Hof keine akute Gefahr drohte. Sie hatte Gwenn das Versprechen abgerungen, das Gut in nächster Zeit nicht zu verlassen. Daraufhin zog sich Herlinde für eine Ruhepause auf ihr Zimmer im Gesindehaus zurück.

Als alles soweit geklärt war, verließ das Brautpaar das Herrenhaus, um sich endlich um ihre anderen Sorgen bezüglich des Familienzusammenhalts zu kümmern. Vor der Tür trafen sie auf Merle Dreifelder von Weissenquell, die selbst gerade auf der Suche nach Gwenn war. Merle sah aufgelöst aus. Sie hatte scheinbar geweint und war völlig neben sich.

“Merle! Kindchen, ich wollte gerade nach dir schauen!” Gwenn war besorgt. “Sag, mein Schatz, was ist geschehen? Hat er dir etwas angetan?”

"Nein, alles in Ordnung..." Merle schüttelte abwesend den Kopf und blickte vorsichtig zu Rhodan. Die junge Frau in ihrem schlichten, graublauen Kleid wirkte sehr blass; ihre großen braunen Augen waren rot umrandet, auch wenn sie sich sichtlich bemühte, nach außen die Fassung zu wahren. Vielleicht war es ein Wink der Götter, dass Gwenn in Begleitung ihres Verlobten kam. Merle zögerte kurz, entschloss sich aber spontan, Rhodan zu vertrauen. Wenn dies ein Krieg war, brauchte sie Verbündete. “Die Zwölfe zum Gruße”, nickte sie ihrem zukünftigen Schwippschwager höflich zu und strich sich verlegen den langen, dunkelblonden Zopf nach hinten. "Wollen wir bei dem Wetter lieber drinnen reden?"

“Ich glaube, das ist am Besten”, lächelte der große Mann freundlich. “Dann haben wir zunächst Gelegenheit, die Tränen zu trocknen.” Rhodan verabscheute es, wenn arrogante, großkotzige Menschen auf das Schicksal der Niederen spien. Und genau das war hier der Fall.

Merle nickte Rhodan mit einem schwachen, aber sichtlich dankbaren Lächeln zu.

“Ja, Harka hat gerade im Salon ein Feuer angezündet. Lasst uns ins Trockene gehen und am Kamin reden”, schlug Gwenn vor.

So gingen sie zu dritt wieder in das Herrenhaus und setzten sich vor den Kamin. Es roch etwas rauchig im Salon, denn obwohl der Schornstein vom Feuer des letzten Abends noch nicht vollständig ausgekühlt war, drückte das Herbstwetter den Qualm langsam in die Stube. Die junge Magd Harka brachte jedem einen Becher mit wärmendem Tee und ein paar Decken. Dann öffnete sie das Fenster einen Spalt breit.

“So, Schätzchen. Rhodan weiß soweit Bescheid.” Rhodan nickte bedächtig. Gwenn trank vorsichtig einen Schluck von dem Heißgetränk. “Nun erzähl mal, was hat dein Göttergatte gesagt?”

Merle hielt den Tee zwischen beiden Händen, um ihre - nicht nur von der Kälte - zitternden Finger zu wärmen. Wieder blickte sie schüchtern zu Rhodan. Es war ungewohnt, mit ihm, den sie kaum kannte, offen über diese privaten Dinge zu sprechen, doch gab sie sich innerlich einen Ruck, nahm einen Schluck Tee und seufzte leise. "Zuerst war er eigentlich ganz lieb und hat mir versichert, dass es ihm leid tut. Ich tue ihm leid. Aber er hat nicht verstanden, dass ich nicht sein Mitleid will." Sie zog die Stirn kraus und ihre Miene verhärtete sich. "Insgesamt wirkte er doch ziemlich selbstgefällig und trotzig. Zwischenzeitlich hat er sogar versucht, mir weiszumachen, es wäre dieser Frevler gewesen, der ihn in Metas Arme getrieben hat. Als wäre das alles nicht seine Schuld; als hätte er keine Wahl gehabt! Aber ich glaube, er merkt, dass er mich nicht so anlügen kann, wie er vielleicht Meta und sich selbst belügt.”

“Das heißt also, Euer - dein? - Mann hintergeht dich auch mit der jungen Ritterin? Die Geschichte mit dem Frevler kommt ihm dabei sehr gelegen, doch scheint mir das Problem tiefer zu sitzen, wenn ich ehrlich sein darf.” Der Händler wählte seine Worte vorsichtig. Er wollte Merle nicht verschrecken. “Wenn er Mitleid für dich empfindet, dann scheint jedenfalls sein Schamgefühl noch nicht völlig verloren zu sein, doch ist Mitleid nicht wirklich dasjenige, was eine Familie braucht.” Die Stimme des großen Mannes war weich und tief. Von ihm ging eine Aura der Ruhe aus, auch wenn sein Gesicht sorgenvolle Falten warf. Nach einer Pause stellte er die große Frage: “Was ist seine Vorstellung, wie es weitergehen soll?”

„Ja, das ist die Frage“, wollte auch Gwenn wissen, die sich eine der Decken um die Schultern wickelte. „Hat er dazu irgendetwas geäußert?“

Merles Herz schmolz bei so viel Freundlichkeit und Anteilnahme dahin, obwohl sie sich vorhin eigentlich vorgenommen hatte, weder Gwenn noch irgendwem sonst mehr vollständig zu vertrauen. Vorsichtig blies sie über den heißen Tee und nahm einen weiteren kleinen Schluck. “Er will mit ihr auf Nimmerwiedersehen in die Rabenmark verschwinden”, berichtete sie mit müder, kraftloser Stimme. “Die beiden haben eine Anstellung beim Baron von Tälerort erhalten." Sie atmete tief ein und aus in dem Versuch, den ziehenden Schmerz in ihrem Herzen ein wenig zu lindern. “Gudekar tut so, als hätte er ein persönliches Anrecht darauf, mit seiner ‘tapferen kleinen Ritterin’ zusammen zu sein.” Als sie den blöden Kosenamen für Meta über die Lippen brachte, verzog Merle sichtlich gequält das Gesicht. “Er hat in keiner Weise vor, mit dem Ehe- und Eidbruch aufzuhören und behauptet, Meta wäre ‘seine Zukunft’. Und er denkt, der Rahjabund mit ihr hätte den gleichen Wert wie sein Traviaschwur mir gegenüber. Es ist fast, als gäbe er mir die Schuld, dass er nicht frei und unbeschwert leben darf - als wäre meine und Lulus bloße Existenz eine Zumutung für ihn. Er drängt mich dazu, ihn freizugeben, ihn gehen zu lassen, damit er fröhlich mit ihr durchs Dererund gondeln und Unzucht treiben kann!" Die junge Frau presste wütend die Lippen aufeinander und stellte den Teebecher mit einem kleinen Knall neben sich ab, der sie selbst zu erschrecken schien. Peinlich berührt wischte sie mit der Hand ein paar übergeschwappte Tropfen weg. Mit einem schmerzvollen Seufzen schlug sie die Augen nieder und schlang, immer noch zitternd, die Arme um ihren Oberkörper. "Was denkt ihr, was ich jetzt tun soll? Was ich tun kann?"

Gwenn stand auf und legte die vorgewärmte Decke um die zitternde Merle. Dann drückte sie ihre Schwägerin tröstend an sich, während sie hilfesuchend zu Rhodan blickte. “Was will er bloß in der Rabenmark?”

“Na das frage ich mich auch. Dort lässt sich momentan nicht viel gewinnen, aber einiges verlieren. Die Schwester meines Herrn, die Dame Miranda, die ebenfalls hier zu Gast ist, weilt aktuell am Hof der hohen Dame von Rabenmund. Sie könnte sich umhören, was hinter dieser Tälerorter Abirrung steckt. Maßgeblich ist jedoch nicht, was er dort will - sein Verhalten ist eidbrüchig, egal aus welchem Grund es ihn fortzieht. Wir müssen überlegen, ob es einen Weg gibt, diesen Eidbruch zu verhindern.”

"Gudekar sagt, dass er in der Rabenmark lernen will, gegen das Böse zu kämpfen", warf Merle stirnrunzelnd ein. Dankbar kuschelte sie sich in die Decke und lehnte sich sachte an Gwenn. "Und er behauptet, damit den Feind von mir und unserer Tochter ablenken zu wollen. Wenn er mich mit seiner Buhle verlässt, so seine Logik, wären wir hier keine Zielscheibe mehr.” Sie zuckte matt mit den Achseln und schaute fragend zu Gwenn und Rhodan, ob die beiden Gudekars Ausflüchte irgendwie nachvollziehen konnten, dann stieß sie verärgert die Luft aus. “Er tut geradezu so, als würde er ein heldenhaftes Opfer vollbringen, indem er mich weiterhin mit dieser Ritterin betrügt.”

“Ha!” Gwenn lachte verächtlich auf. “Was das für ein Opfer sein muss, das Lager mit diesem jungen Küken teilen zu müssen, kann ich mir gut vorstellen. Er kann mir richtig leid tun!” kommentierte Gwenn ironisch. “Nur gut, Rhodan, dass du mich hast und dir solch ein Schicksal erspart bleibt”, zwinkerte sie ihrem Verlobten neckisch zu.

Der sonst eher heitere Mann strich nur kurz über die Hand seiner Verlobten, doch konnte er über den Witz nicht lachen. "Nein, mein Mitleid erregt das nicht. Ich fürchte, dein Mann hat den Ernst der Lage noch nicht wirklich begriffen. Oder ist er tatsächlich dergestalt naiv?"

“Ja, naiv war er schon immer”, stellte die Schwester des Magiers fest.

Merles Kehle entwich ein kurzes, humorloses Lachen. "Früher hab ich ihn für seinen scharfen Verstand bewundert. Aber jetzt…", sie blickte Rhodan traurig in die Augen, "...ich glaube, er betrügt sich selbst und redet sich die Dinge schön. Ich hoffe immer noch, dass er aufwacht und erkennt, was er hier eigentlich gerade tut."

“Irgendwie müssen wir diese Frau loswerden, wenn du deinen Gudekar wieder haben willst. Du willst ihn doch noch immer wiederhaben, oder?”, fragte Gwenn sicherheitshalber.

Merle senkte traurig den Blick. “Ich liebe ihn. Egal, was er mir angetan hat oder noch antun wird - ich liebe ihn so sehr. Wenn er mir in die Augen schaut, wenn er lieb und sanft zu mir ist, dann schmelze ich immer noch dahin.” Die blasse junge Frau unterdrückte ein Schluchzen und zog die Decke enger um sich. Nachdenklich starrte sie ins Leere. “Und er liebt mich auch noch, das hat er selbst gesagt. Vorhin im Schrein, unter dem Einfluss von Rahjas Harmonie, da hab ich mir kurz vorstellen können, dass vielleicht eine friedliche Lösung für uns drei möglich wäre. Dass ich mich sogar mit Meta anfreunden könnte…” Sie dachte an Tsalindes liebevolle, harmonische Familie und merkte, wie sie leicht errötete. Verlegen senkte sie den Blick, da sie nicht einschätzen konnte, was Rhodan von solchen Ideen hielt. “Aber tatsächlich glaube ich jetzt nicht mehr daran. Meta ist anscheinend unglaublich eifersüchtig und will die einzige Frau an seiner Seite sein. Und er steht so unter ihrem Bann, dass er mich lieber verstößt und verletzt, als zu riskieren, sie zu verlieren.”

"Es ist deine Entscheidung, wie du dir deine Zukunft vorstellst. Es ist dein Mann, der seine Versprechen bricht. Du musst dich nicht nach seinem Willen richten. Er will etwas von dir, dass du ihm geben kannst oder nicht, zu deinem Preis."

Merle nickte langsam. Ihre Gesichtszüge waren hart geworden, versteinert wie bei einer Statue. "Grundsätzlich ginge es mir darum, dass er mich behandelt, wie es mir als seiner vor Travia angetrauten Ehefrau gebührt. Aber wie soll das gehen, wenn er irgendwo in der Rabenmark seine kleine Almadanerin vögelt? Was wird er mir groß anbieten können, irgendwelche Almosen? Einen Trostpreis?" Sie presste die Lippen zusammen und ballte die Fäuste, sichtlich bemüht, alle Stärke und Tapferkeit zusammenzunehmen, die sie aufbringen konnte. “Nein. So, wie er eben war, wie er geredet hat… Ich denke, ich muss morgen mit meinen Eltern sprechen und ihn bei der Traviakirche anklagen. Ich glaube, ich kann so nicht leben… ihm für den Rest meines Lebens beim Freveln zusehen, immer und immer wieder von ihm zurückgewiesen zu werden…" Wieder liefen Tränen der Verzweiflung über ihre Wangen, doch der Ausdruck in ihrem Gesicht war bitterernst und entschlossen. "Ich brauch' mir nichts vormachen; es gibt keinen anderen Weg. Letztendlich hab’ ich nichts mehr zu verlieren. Wenn mein Mann unbedingt frei von unserem Bund sein will, dann soll es so sein. Als offener Frevler und Eidbrecher muss er sich keine Sorgen mehr um die Zwänge seiner Ehe machen. Wer bin ich, ihm diesen Herzenswunsch nicht zu gewähren?” Mit mattem, leblosen Blick schaute sie erst zu Rhodan, dann zu Gwenn. "Der kommende Aufruhr in der Familie tut mir leid. Und dass eure Hochzeitsfeier davon überschattet wird."

Gwenn war schockiert. Nein, dies musste auf alle Fälle verhindert werden. Sie sog ganz tief die Luft ein und verkrampfte innerlich. Nach außen hin versuchte sie jedoch, die Ruhe zu bewahren. Sie schaute zu Rhodan, suchte seine Augen und schüttelte mit einer minimalen Bewegung ganz langsam den Kopf. Nur ihr Verlobter konnte es sehen, doch die Botschaft war eindeutig: Das darf Merle keinesfalls tun! Und Rhodan verstand sie sofort, war er doch zum selben Schluss gekommen. Gwenn kniete sich zu Merle hinunter und ergriff ihre Hände. Liebevoll sprach sie ihre Schwägerin an. “Schatz, ich kann deine Gefühle verstehen. Dein Wunsch ist vollkommen verständlich. Aber überlege dir das genau. Ein solcher Schritt ist sicherlich berechtigt, aber er ist auch unumkehrbar. Natürlich wäre es nur rechtens, dies zu tun. Doch bedenke, dass auch für dich dies nicht folgenlos bliebe. Auf dir würde der Makel der gehörnten Frau liegen, der Frau des Frevlers. Stell dir vor, das hohe Paar würde sogar die Anklage deiner Eltern zum Anlass nehmen, euren Traviabund zu lösen. Du würdest den Namen der Familie verlieren, du wärst wieder nichts weiter als ein Mädchen aus dem Waisenhaus, noch dazu von einem Mann verlassen. Bedenke, was dies auch für Lulu bedeuten würde! Nein, soweit sollten wir es nicht kommen lassen. Wir müssen uns etwas anderes ausdenken. Deine Eltern einzuweihen sollte wirklich der allerletzte Schritt sein, wenn es gar keine Hoffnung auf Rettung für Gudekar gibt.”

"Ich habe keine Hoffnung mehr!" brachte Merle mit erstickter Stimme heraus. "Gwenn, wenn du gehört hättest, wie er von ihr spricht - der wichtigsten Frau in seinem Leben, seiner ach so wundervollen, herzensguten Meta... wie er verlangt hat, dass sie unbedingt beim Gespräch über unsere Ehe dabei sein soll..." Sie schob trotzig den Kiefer vor und blickte Gwenn unbewegt in die Augen. "Er will es nicht anders. Er will die Brücken einreißen. Gut, dann gibt es kein Zurück mehr. Ich hab genug."

Rhodan schüttelte ganz langsam den Kopf, wie es ein liebevoller Vater tut, der mit den Entscheidungen seines Kindes nicht einverstanden ist. „So sehr ich dich verstehen kann: Mit diesem Schritt bestrafst du dich selbst, nicht ihn. Du bist diejenige, die alles zu verlieren hat. Meinst du, man wird Gudekar aus dem Kreis der Familie und der Gläubigen verstoßen?“ Wieder das langsame Kopfschütteln. „Das wird nicht passieren. Mit deinem rechtschaffenen Zorn verlierst du und dein Kind alles und er wird einfach davonkommen. Das ist nicht gerecht.“ Rhodan legte die Hände aufeinander und hielt kurz inne. „Wenn Gudekar in die Ferne ziehen will, um mit seiner Buhle zu leben, dann braucht er deine Zustimmung und die Zustimmung seines Vaters. Die Zustimmung seines Vaters wird von deiner Einwilligung - und von dem guten Wort Gwenns abhängen. Warum es ihm einfach machen?“

Merle versuchte mehrmals tief durchzuatmen, dennoch blieb ihr Blick skeptisch und voller Zorn. Unwillig schüttelte sie den Kopf. "Wie ich es verstanden habe, will er ohne Vater Friedewalds Zustimmung abreisen. Im Schrein hat Meta davon geredet, dass er sich viel zu lange dem Willen seiner Familie und meiner Zieheltern gefügt hätte. Dass er mit Metas Hilfe stärker werden würde, sich dagegen zu behaupten.” Sie starrte düster in die Ferne. “Ich glaube, Gudekar wird ohnehin mit seinem Haus brechen. Egal, was ich sage."

Gwenn schüttelte den Kopf. “Nein, das glaube ich nicht. Auch wenn er es nach außen nicht zeigt, er liebt und bewundert seinen Vater, trotz all ihrer Differenzen. Gudekar hatte immer versucht, es Vater recht zu machen. Und er liebt Mika heiß und innig.” Sie blickte zu Rhodan. “Also, als kleine Schwester, nicht dass du etwas falsches befürchtest. Mika ist sein Ein und Alles. Er liebt sie vielleicht mehr als…” Gwenn brach den Satz schnell ab und redete weiter. “Und selbst Kalman, der es Gudekar noch nie leicht gemacht hat, selbst ihn hat Gudekar tief in seinem Herzen verankert. Dabei hätte Gudekar jeden Grund, Kalman zu verachten, wie er von klein auf mit seinem magisch begabten Bruder umgegangen ist. Und mir vertraut er. Mir hat er immer vertraut. Ich glaube einfach nicht, dass Gudekar mit der Familie bricht. Jedenfalls nicht, solange er nicht von uns verstoßen wird.”

"Ja, natürlich liebt er seine Familie", gab Merle zu. "Aber ich kenne meinen Mann. Er scheut direkte Konflikte, immer schon. Ich sag euch, er wird hier still und heimlich verschwinden, ohne um Erlaubnis zu fragen oder sich zu verabschieden. Vielleicht morgen schon, glaubt mir. Und dann kommt irgendwann ein Brief aus der Rabenmark mit ein paar leeren Ausflüchten." Merle dachte an den verlogenen Brief, den Gudekar ihr vor einiger Zeit geschickt hatte, um sie in Sicherheit zu wiegen und weiter hinzuhalten. Schlagartig kam ihr der Brief in den Sinn, den sie von Bernhelm erhalten hatte und in der Tasche trug. Sie nahm sich vor, Gwenn und Rhodan gleich darauf anzusprechen, wollte aber erst den Gedanken zu Ende führen. "Und ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sehr er unter dem Einfluss dieser Ritterin steht. Mein Eindruck ist, dass Meta denkt, sie könne ihn verändern, ihn so formen, wie sie sich einen richtigen Mann vorstellt. Und er tut alles, um ihr zu gefallen." Merle rollte sarkastisch mit den Augen und seufzte traurig. “Auch wenn er anscheinend glaubt, die Liebschaft mit dem jungen Ding würde ihn frei und unbeschwert machen - im Grunde steht er ganz schön unter ihrem Pantoffel.”

Mit einer Sache hatte ihre Schwägerin recht, dachte Gwenn. Gudekar scheute schon immer Konflikte, wich ihnen aus, wo es ging, sprach anderen nach dem Mund. Das machte ihn manipulierbar, formbar. Gwenn hatte das früh gelernt und wusste, dies zu ihrem Vorteil zu nutzen. Insofern waren Merles Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen. Dies durfte nicht geschehen, denn Gwenn wusste nicht, ob ihr Bruder nicht auch in Zukunft noch das eine oder andere Mal nützlich sein könnte. Und genau deshalb war aber auch zu verhindern, dass Gudekar als Frevler an die Traviakirche ausgeliefert würde. Ein Magierbruder, der stets Angst vor einer Verfolgung haben müsste, war wertvoller als ein Magierbruder, der bereits öffentlich verfolgt wurde.

„Diese Ausgangslage ist doch ausgezeichnet. Wenn dein Mann so viel Angst vor Konfrontation hat, dann müssen wir ihn nur zur Konfrontation zwingen. Spätestens dann wird er einen widerstandslosen Ausweg suchen; und den bekommt er dann nicht durch Flucht.“

Gwenn nickte. “Merle, es hängt halt davon ab, was du WIRKLICH willst. Willst du ihn zerstören, für immer vernichten? Oder willst nur, dass er diese elende Frevelei beendet? Wenn das erste dein Ziel ist, dann sind deine Eltern der richtige Weg. Wenn dir aber noch irgendetwas an ihm liegt, dann ist der Weg, den Rhodan meint, der richtige, dann müssen wir ihm eine Möglichkeit geben, diese Situation von selbst lösen zu können. Es ist wie mit einem wilden Tier. Fühlt es sich in die Ecke gedrängt und sieht keinen Weg zur Flucht, wird es unkontrolliert angreifen. Gibt man ihnen eine Chance, so wird er sich zurückziehen.” Naja, so richtig zufrieden war Gwenn mit ihrem Vergleich nicht. Es waren die Worte ihres Vaters, die sie in der Kindheit so oft gehört hatte.

Doch Rhodan nickte bestätigend. Er sah die Parallele. „Wir müssen ihn nur zwingen, seine Pläne vor seinem Vater zu rechtfertigen. Dem Druck wird er nicht standhalten.“

Gwenn strahlte Rhodan an. “Du bist raffiniert, Liebster! Man könnte meinen, du hättest ebenfalls am Hofe gewirkt.” Gwenn musste lachen.

Der große Mann lächelte freundlich und zuckte die Achseln. „Geschäftssinn, meine Liebste.“

Merle verzog den Mund zu einem traurigen Lächeln. Sie freute sich, dass Gwenn und Rhodan sich so gut verstanden. "Natürlich will ich ihn zurück. Ich sehne mich nach dem Mann, der er einmal war." Sie schluckte, um gegen den harten Knoten in ihrer Kehle anzukämpfen. "Aber ich habe keine große Hoffnung, dass von ihm noch viel übrig ist. Inzwischen traue ich ihm zu, dass er seinem Vater kalt lächelnd Lebewohl sagt. So unrettbar, wie er Meta scheinbar verfallen ist.”

„Wenn er soweit ist, dann ist er eh nichts mehr wert. Dann ist er nicht mehr der Mann, den du liebst, sondern nur noch ein trauriger Schatten der Begierde.“

Merle dachte einen Moment über Rhodans Worte nach. “Ja. Vielleicht. Vielleicht muss ich das erst herausfinden, bevor ich ihn wirklich ans Messer liefern kann.” Sie trank noch einen Schluck Tee und nickte langsam. “Dann sag’ ich ihm nachher, er soll nicht in die Rabenmark gehen… Obwohl er vermutlich glaubt, dass ihn alles nicht kratzen muss, wenn er erst mit seiner süßen Meta über alle Berge ist.“ Sie blickte mit pessimistischer Miene zu ihrer Schwägerin. “Bestimmt baut er darauf, dass ihr - du, Mika, Eilada und Morgan - ihn weiterhin in die Arme schließen werdet, selbst wenn Kalman und Vater Friedewald ihn verstoßen. Gudekar denkt gerade nur an seine Liebschaft, ohne Rücksicht auf Verluste.” Die junge Frau hob resigniert die Schultern und blickte die Brautleute ratlos an. “Aber auch wenn er auf Vaters Druck nicht nach Tälerort gehen sollte - zur Traviatreue kann ich ihn letztlich doch nicht zwingen. Nicht, solange die Ritterin im Spiel ist. Oder was meint ihr?"

„Das mag wohl sein. Diese Ritterin ist das Problem. Sie muss weg. Er muss wollen, dass sie weg ist. Oder er muss irgendetwas tun, dass sie ihn verlässt. Wenn sie kein dämonisches Weib ist, wird sie ihre Grenzen haben, was sie sich gefallen lässt. Überschreitet mein geliebter Bruder diese, wird sie ihm die Augen auskratzen, diese kleine Wildkatze, und sich vom Acker machen.“ Gwenn schaute Merle fragend an.“Sag, Schatz, du hast uns noch gar nicht erzählt, wie diese Almadanische Golfa reagiert hat, als du die beiden vorhin bei ihrer Verabredung besucht hast.“

Sie lächelte kraftlos. "Schwer zu sagen. Als ich in den Schrein kam, war da eine junge Novizin. Sie sagte, ich darf eintreten, wenn die Göttin meine Aufrichtigkeit und Liebe erkennt. Dann gab sie mir vom heiligen Tharf zu trinken und schickte mich hinter den Vorhang.” Merle errötete leicht und senkte verlegen die Lider. “Ich war plötzlich erfüllt von Freude und Harmonie, vom Verlangen nach Nähe… Wir alle haben das Wirken der Göttin direkt in und um uns gespürt. Und der Geweihte, Seine Gnaden Rahjel, hat darauf gedrungen, dass wir ruhig und freundlich miteinander sprechen. Deshalb kann ich Metas Reaktion gar nicht so richtig einschätzen." Nachdenklich blickte Merle mit ihren braunen Augen ins Leere. "Sie ist halt sehr jung. Eigentlich ganz süß und… reizvoll. Man merkt, dass sie hoffnungslos verliebt in ihn ist. Doch wirkt sie gegenüber Gudekar auch ziemlich besitzergreifend, bevormundend und eifersüchtig... Und das sage ich als seine Ehefrau!" Merle rollte leicht mit den Augen. "Nach der Unterredung im Schrein war ich trotzdem noch zuversichtlich, dass wir drei eine harmonische Lösung finden können. Ernüchtert hat mich das Gespräch mit Gudekar danach."

Diese Einschätzung machte Gwenn sehr nachdenklich. Gudekar schien sehr stark im Bann dieser Frau gefangen zu sein, wenn es stimmt, was Merle sagt. Sie musste herausfinden, wieviel Gudekar noch in Gudekars Handeln steckte. „Und mein Bruder selbst? War er dir gegenüber nur abweisend?“

Merle verzog das Gesicht. "Er sagte, dass er mich liebt - aber nicht mit der selben Leidenschaft wie Meta. Mehr so, wie seine Schwestern. Ich würde ihm ein Gefühl von Geborgenheit und Zuhause geben… Aber als ich ihn geküsst hab”, sie warf Gwenn einen kurzen Seitenblick zu, mit sichtlichem Stolz, zumindest ansatzweise dem ursprünglichen Plan gefolgt zu sein, "... da hat ihm das schon gefallen, das hab ich gemerkt. Da wollte er mehr. Wenn der Geweihte nicht eingeschritten wäre…" Sie hob vielsagend die Augenbrauen und lächelte hintersinnig, wurde aber schnell wieder ernst. "Keine Ahnung, ob dieser kurze Anflug von Leidenschaft nur durch den Tharf und die rahjagefällige Stimmung in dem Schrein entfacht wurde. Ich fürchte es fast. Er hat sich ja die letzten zwei Götterläufe nicht mehr groß für mich interessiert. Also eigentlich nur einmal. Allerdings war da ja auch Lulu schon da und er war ohnehin fast immer unterwegs…" Ratlos zuckte sie mit den Achseln.

Rhodan schüttelte missbilligend den Kopf. Männer, die nicht wussten, wohin ihnen der Kopf stand, konnte er nicht ausstehen. “Sein persönlicher Fahnenmast scheint sich also nach dem Wind zu richten. Nun gut, dann scheint mir nicht alle Hoffnung verloren. Das heißt: Er braucht Druck und weniger Ablenkung in Gestalt der Dame Croy. Gwenn, meine Liebste, wer bezahlt eigentlich die Ritterin für ihre ‘Dienste’?”

Anders als ihr Verlobter freute sich Gwenn über Männer, denen Standhaftigkeit fehlte, denn diese waren umso leichter manipulierbar. Zumindest sah sie nun ihre Einschätzung vom vorletzten Abend bestätigt, dass Gudekar durchaus noch immer für Zärtlichkeiten von Merle empfänglich war. Das war gut, auch wenn Gwenn an jenem Abend dies noch zu unterbinden versuchte. Aber da waren auch ihre kurzfristigen Ziele noch andere. ”Tja, das ist eine berechtigte Frage. Das Haus Weissenquell jedenfalls nicht. Vater und Kalman waren genauso überrascht wie ich, als Gudekar hier mit einer persönlichen Beschützerin auftauchte.” Dass ihre Familie kaum die Plötzbognerin zu bezahlen vermochte, wollte Gwenn ihrem zukünftigen Gemahl nicht unter die Nase reiben. “Und dass Gudekar sie selbst bezahlt, halte ich für ausgeschlossen. Als Ordensmitglied erhält er kein regelmäßiges Einkommen, um sich eine eigene Ritterin leisten zu können. Es sei denn, er hätte auf seinen Missionen ein heimliches Vermögen angehäuft. Es liegt also die Vermutung nahe, dass der Baron, dem die beiden dienen wollen, bereits jetzt die Ritterin finanziert.” Gwenn ahnte, was Rhodan vor hatte.

“Mir gegenüber hat sie behauptet, dass Gudekar sie entlohnt.” Merle stieß schnaubend die Luft aus. “Ich kann mir schon vorstellen, wie.”

Verächtlich lachte Gwenn auf. Auch, wenn er ihre almadanische Zunge zu gießen wusste und vielleicht ihren Mund ausfüllen konnte, würde die Kleine davon wohl kaum satt werden. Und Ihr Pferd erst recht nicht. Gwenn behielt diese Gedanken für sich, um Merle nicht noch weiter in die Verzweiflung zu treiben.

"Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing", betonte Rhodan und sprach damit Offensichtliches aus. "Dass dein Bruder seine Bedeckung", er schmunzelte ob seines eigenen Witzes, "selbst bezahlt, bezweifle ich. Wenn dein Vater dem Baron von Tälerort zur Kenntnis gibt, dass er die Beschäftigung nicht billigt, so wird auch diese Geldquelle austrocknen. Das wird ein hartes Leben…", heuchelte er Mitleid.

“Das stimmt sicherlich. Allerdings hatte ich gehofft, die Angelegenheit regeln zu können, ohne Vater in die Angelegenheit zu ziehen.” Gwenn rutschte nervös auf ihrem Platz hin und her. “Aber, wenn es gar nicht anders geht… Oder fällt uns noch etwas anderes ein?”

Ratlos zuckte Merle mit den Achseln. "Denke, das müsste Vater Friedewald schon selbst machen, damit es den Baron irgendwie beeindruckt."

"Oder Herr Lares. Doch brächte das unnötigen Zwist."

Merle seufzte. "Wenn das hier alles böse endet, dann werde ich den Herrn Lares vielleicht fragen, ob Lulu und ich mit nach Rosenhain kommen dürfen. Ich hab mit Vinja gesprochen und würde gern bei der Rosenernte helfen…" Die junge Frau stützte traurig das Kinn mit den Händen ab. "Aber selbst wenn ich mir irgendwo ein Auskommen schaffe - ich will Gudekar und seiner almadanischen Buhle das süße Leben dennoch verderben und durchkreuzen. Meint ihr, das macht mich zum schlechten, rachsüchtigen Menschen?" In Merles tränenfeuchten Augen war zu sehen, dass sie die Frage durchaus ernst meinte.

“Nein, mein Schatz, das macht dich nicht zu einem schlechten Menschen. Du hast allen Grund dazu, ihm seine Pläne zunichte machen zu wollen. Schließlich hat er ja auch aus einer unbedachten Laune heraus eure gemeinsamen Pläne mit Füßen getreten.”

Der Händler nickte. „Lade nicht seine Schuld auf deine Schultern. Für seine Fehlentscheidungen kannst du nichts. Es ist nur recht und billig, ihn spüren zu lassen, was er dir antut.“

"Er soll einfach nicht damit durchkommen", murmelte Merle düster.

Gwenn wandte sich schließlich noch einmal an ihre Schwägerin. “Jedenfalls, Merle, Gudekar war in den letzten Tagen so oft schon kurz davor, dir erneut zu verfallen, dass ich nicht glaube, dass bei ihm die rahjagefälligen Gefühle für dich vollends erloschen sind. Es war also die richtige Taktik, mit den Waffen einer Frau zu kämpfen. Das sollten wir ausbauen. Überlege dir, wozu du bereit bist. Wenn es dir gelingt, Gudekar vor ihren Augen zu mehr als nur einem von dir initiierten Kuss zu verführen, dann wird sie das zur Weißglut bringen und früher oder später wird sie ihn aus ihrem Bett jagen.”

Merle zog ungläubig die Stirn kraus und seufzte. “Ich fürchte eher, dass er kurz davor ist, mich endgültig wegzustoßen. Und nicht, mir zu verfallen… Schön wär’s. Aber er wirkt schon höchst vorsichtig und kontrolliert mir gegenüber. Gerade, wenn Meta in der Nähe ist. Denke, er fürchtet ihren Zorn.” Nachdenklich spielte Merle mit dem langen Zopf, der ihr über die Schulter fiel. Sie blickte zu Gwenn. “Was meinst du mit ‘wozu ich bereit bin’?”

“Ich meine, ihn zu locken, ihn dazu zu bringen, von sich aus etwas zu tun, was der Kleinen nicht gefallen würde. Du kennst ihn in der Beziehung besser als ich. Was hat ihm früher gefallen? Wie hast du bisher seine Aufmerksamkeit auf dich gezogen?” Gwenn wusste, es musste von Merle selbst kommen, damit es wirkte und damit es authentisch und nicht einstudiert wirkte. “Sei einfach du selbst. Du musst in dem Moment vergessen, dass es eine Meta gibt. Und ihn das ebenfalls vergessen lassen.”

"Früher, als ich zum ersten Mal seine Aufmerksamkeit wollte, da war ich auch so ein naives, blutjunges Ding..." Merle lachte leise in sich hinein. "Da mochte er es, wenn ich wild und lustig war und ihn geneckt habe; wenn wir uns zusammen vor Lachen bekringelt haben." Mit wehmütigem, verträumten Blick starrte sie ins Leere. "Und gleichzeitig hab ich gespürt, dass er in mir gern die unschuldige, holde Maid sehen mochte, die er verführt und verzaubert hat, die ihn bewundert und verehrt." Sie zuckte fast entschuldigend mit den Achseln. "Inzwischen bin ich auch erwachsen geworden und nehme ihm nicht mehr alles ab, was er so erzählt. Und ich weiß auch nicht, wie ich ihn bei dem Gespräch heute abend betören soll, wenn Meta direkt daneben sitzt."

Rhodan lauschte schweigend - diese Strategie war privat, dazu würde er sich nur äußern, wenn seine Meinung als Mann gefragt würde.

“Nein, nein”, überlegte Gwenn. “Wenn wir heute Abend mit den beiden reden, dann sollten das deutliche Verhandlungen sein. Du solltest da deine Forderungen stellen. Du solltest ihm klar machen, was du von ihm erwartest, um deine – unsere Eltern herauszuhalten. Überlege dir das bis dahin in Ruhe. Es sollte so aussehen, als gäbe es eine Möglichkeit für die beiden, zusammen zu sein. Aber deine Forderungen müssen so bedeutsam sein, dass sie nicht darauf eingehen können, ohne dass ihre Beziehung daran scheitert.” Gwenn trank ihren Teebecher leer, der inzwischen auf eine angenehme Trinktemperatur abgekühlt war. “Das Betören muss außerhalb dieses Gesprächs erfolgen. Am Besten vorher. Hast du damit Erfolg, kannst du dir das unangenehme Gespräch ersparen.”

"Vorher?" fragte Merle zweifelnd. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie das gehen soll, wenn er die ganze Zeit an Metas kurzer Leine hängt... Am besten wär's, wenn wir durch äußere Umstände dazu ‘gezwungen’ wären, Zeit zu zweit zu verbringen…”, überlegte sie laut. “Wie zum Beispiel ein Mangel von Schlafkammern im Forsthaus”, sie warf Gwenn ein gutmütiges Lächeln zu, um zu signalisieren, dass sie ihr den Verkupplungsversuch letzte Nacht nicht übel nahm. “Da fällt mir was ein… im Rahja-Schrein, da hat Gudekar am Ende was gesagt…”, Merle biss sich überlegend auf die Unterlippe, “...er hat behauptet, dass er eine letzte Nacht mit mir verbringen würde, um einen Abschluss zu finden, um mit mir ‘ins Reine’ zu kommen…”, sie wedelte abwinkend mit der Hand. “Großer Unsinn, ich weiß. Er hat nicht verstanden, dass es nicht um Abschied geht, sondern darum, wie wir unseren Traviabund in Zukunft weiterführen. Ich bin da überhaupt nicht drauf eingestiegen. Aber…”, ihre Augen begannen zum ersten Mal während dieser Unterhaltung wieder lebendiger zu funkeln, “...da hab ich durchaus mitgekriegt, wie schrecklich Meta allein die Vorstellung fand. Also, was wäre, wenn ich ihn beim Wort nehme und ihm mitteile, dass ich seinen Vorschlag akzeptiere? Oder wird ihn das zu sehr verschrecken?”

"Das klingt nach einem verwegenen Garadanzug", bestätigte Rhodan anerkennend. "Allerdings bietet er die Gefahr der Missinterpretation. Nicht, dass er damit meint, diese 'durchstehen' zu müssen, dann sei es geschafft. Aber ja, könnte klappen. Oder aber ich zwinge seine Gespielin dazu, sich mit mir zu beschäftigen?"

Dankbar lächelnd nickte Merle Rhodan zu. "Vermutlich würde es wirklich helfen, wenn Gudekar mal eine Weile aus Metas Spinnennetz raus käme. Und das andere…", sie zog einen Mundwinkel hoch, "...ich hätte immerhin eine Nacht, um ihm in Erinnerung zu rufen, was ihm in Zukunft entgehen würde…" Entschlossen presste sie die Lippen zusammen. "Es ist nicht viel. Aber es ist eine Chance."

“Moment, Moment!" warf Gwenn ein. “Rhodan, was meinst du damit, du willst dieses Luder dazu zwingen, sich mit dir zu beschäftigen? Du denkst doch wohl nicht, solange wir den Bund noch nicht geschlossen haben…” Gwenn wirkt nicht gerade belustigt von Rhodans Vorschlag.

Rhodan erwiderte ihre Empörung mit einem fragenden Blick. Was hatte er gesagt, das sie auf die Palme brachte? Langsam dämmerte es ihm und mit jedem Gedanken wich die Ahnungslosigkeit im Blick wachsender Belustigung. „Ach Gwenn, doch nicht so! Meinst du wirklich, diese klettige Ritterin ist so sprunghaft, dass… Ne! Ich meine, ich könnte sie möglicherweise mit einer vorrangigen Aufgabe betrauen, die sie so lange bindet, bis Merle… das Nötige getan hat“, ließ Rhodan unspezifisch offen.

Mit einem hörbaren Pusten atmete Gwenn tief aus, als sie sich entspannte. Nun musste die ehemalige Hofdame doch lachen. Warum war sie ihrem Zukünftigen gegenüber nur so misstrauisch. Sie hatte doch keinen Anlass, von anderen auf ihn zu schließen. Rhodan schien ihr tatsächlich treu ergeben zu sein. „Das ist eine hervorragende Idee! Wenn diese Ritterin hier als Bewachung meines Bruders auftritt, dann soll sie mal zeigen, was siet diesbezüglich drauf hat und sich ihren Soldaten verdienen. Du könntest sie beauftragen, heute Abend mit Herlinde zusammen noch einmal alle Sicherheitsvorkehrungen für morgen zu überprüfen. Wir wollen ja nicht, dass Witta, also der gräflichen Vögtin, oder den Tsageweihten, also deinen Eltern, Merle, etwas zustößt, wenn sie morgen kommen. Ich wüsste zwar nicht, was passieren sollte, aber man kann ja nie wissen.“

"Ja, soll die hohe Dame mal zeigen, was sie kann. Wie eine ernsthafte Ritterin und professionelle Wachschützerin ist sie ja bisher nicht gerade aufgetreten." Merle lächelte ironisch. "Soweit ich das beurteilen kann."

„Tja - jede hat so ihre Herangehensweise an spezielle Aufgaben“, scherzte der Kontormeister. „Das wäre schon einmal ein Anfang. Vielleicht ist mir der junge Herr von Mersingen unfreiwillig dabei behilflich: Schließlich betont er wiederholt, dass akute Gefahr eines mächtigen Feindes droht.“

„Ja, das ist eine gute Idee! Vielleicht kannst du deinen Herren überzeugen, dass er die Unterstützung dieser Ritterin braucht, Rhodan.“ Man sollte die Schwächen der Leute nutzen, wo man konnte, dachte Gwenn. Hier konnte die Paranoia des Mersingers nützlich sein.

Ihr Verlobter nickte.

"Egal was passiert, ich danke euch", sagte Merle und blickte voller Wärme zu Rhodan und Gwenn. Tatsächlich war sie sich bewusst, dass das Brautpaar ihr sicherlich nicht aus purer Freundlichkeit half, sondern durchaus eigene Interessen verfolgte. Dennoch war sie unendlich dankbar, in den beiden Verbündete gefunden zu haben. "Wann soll die wackere Ritterin denn dann tätig werden?"

„Zu welcher Zeit habt ihr euch eigentlich für ein Gespräch verabredet?“, fragte Gwenn nach, da ihr plötzlich etwas Wichtiges eingefallen war. Sie wirkte mit einem Mal nervös, verunsichert. Ließ sich der Plan überhaupt zeitlich umsetzen?

"Zur Phexensstunde, nach dem Abendessen", antwortete Merle. "Erschien mir passend. Außerdem ist dann Ruhe hier im Haus." Fragend blickte sie zum Brautpaar. "Also, dann müsste das mit der Spezialaufgabe für Meta am späten Nachmittag oder am frühen Abend laufen, oder?"

‘Verdammt!’, dachte Gwenn. “Ähm, ja, nun, ist das alles nicht etwas spät? Ich meine, zum einen, dann sind alle vielleicht ein wenig müde, und…”, Gwenn brach den Gedanken ab. Sie konnte wohl kaum jetzt hier in Rhodans Gegenwart verraten, dass sie am Abend wohl kaum Zeit für das Gespräch hatten. “Vielleicht sollten wir das Gespräch doch früher führen. Viel früher.”  

"Ich dachte, es wäre gut, wenn es möglichst heimlich passiert. Also wenn keiner von uns mehr Aufgaben hat, wegen derer Kalman, Ciala oder Vater nach uns schicken könnten. Außerdem...", Merle zuckte mit den Achseln, "...wenn wir die Unterredung vorverlegen, dann habe ich vorher definitiv keine Gelegenheit, Gudekar, ähm, für mich zu gewinnen."

“Das stimmt wohl, aber es könnte auch sein, dass sich das Abendessen heute länger hinzieht als üblich, wenn so viele Gäste da sind, und dann können wir uns vielleicht nicht unauffällig zusammensetzen.” Gwenn war es gar nicht recht, dass Merle da eine Zeit mit Gudekar vereinbart hatte, ohne diese mit ihr abzusprechen. “Aber lass uns dies zu unserem Vorteil nutzen. Wenn wir die Zeit kurzfristig ändern, sind wir im Vorteil und Gudekar kann sich mit seiner kleinen Süßen nicht so gut absprechen.”

"Ja, es mag einen Vorteil haben, die beiden durch unvorhergesehene Planänderungen aus dem Konzept zu bringen", gab Merle zu. "Ich vertrau' da deinem Urteil, Gwenn. Schlag gerne eine Zeit vor. Wobei ich glaube, dass Gudekars einziger Plan eh darin besteht, morgen ganz schnell abzuhauen und nicht mehr zurückzublicken. Da gibt es nicht viel aus dem Konzept zu bringen." Merle leerte ihren Teebecher und seufzte resigniert. "Er wird wieder weggehen, verbunden mit einem Schwall neuer leerer Versprechungen, um mich weiter hinzuhalten, während er mit seiner Gespielin ins Glück reitet. Aber das lass' ich mir nicht länger bieten. Mir reicht es jetzt. Bisher war ich viel zu lieb und geduldig; hab mir alles von ihm gefallen lassen. Aber die Zeiten sind vorbei. Damit darf er nicht durchkommen." Entschlossen straffte sie ihren Körper und stieß die Luft aus. "Wenn ich nicht verhindern kann, dass die beiden zusammen abreisen, ist ohnehin alles verloren. Dann soll ganz Dere erfahren, was er für ein Lügner und Frevler ist…" Die junge Frau rang sich ein trauriges Lächeln an. "Ihr merkt, ich setze keine großen Hoffnungen mehr in dieses Gespräch. Ganz egal, wann es nun stattfindet."

“Warten wir es ab, vielleicht haben wir ja doch noch Erfolg.” Gwenn ärgerte sich, dass jetzt alles so schnell gehen musste. Aber zur Traviastunde hatte sie eine Verabredung, die nicht ausfallen durfte. Schließlich war morgen die Vermählung. Und dies war ihr wichtigstes Ziel, dass die Feier ohne Störungen wie geplant ablief. Wenn Merle morgen zu ihren Adoptiveltern rannte, dann würde dies die Harmonie von Gwenns Ehrentag stören. Also musste vorher eine Lösung her. Sollte das Gespräch mit Gudekar nicht so laufen, wie erhofft, wäre noch genügend Zeit, sich zu überlegen, wie man Merle anders davon abbringen könnte, die Frevelei vor dem Traviafest zu melden. “Was haltet ihr davon, wenn wir ihn und seine Buhle zur Efferdstunde zur Rede stellen? Das sind noch gut zwei Stundengläser bis dahin.”

Merle hob nur indifferent die Schultern.

“Sag Rhodan, du wolltest noch mit dieser Ritterin sprechen. Wenn du sie jetzt zu dir einbestellst, könntest du ihr gleich sagen, dass wir das Gespräch vorverlegen. Würdest du das tun?”

“Das mache ich gerne!”, bestätigte er und nahm sich vor, Hinderungsgründe für späte Gespräche zu überprüfen. Er hoffte doch, dass sein Eheleben nicht erschreckend langweilig würde, weil er eine Frühschläferin heiratete. Wo er doch den Schein der Sterne so liebte.

"Danke, Rhodan", sagte Merle mit sanfter, warmer Stimme. "Hast du einen Ratschlag, wie ich mich in dieser Unterredung verhalten soll? Sicherlich vor allem versuchen, ruhig zu bleiben und mich nicht provozieren lassen, nicht wahr?"

„Genau das. Aber nicht zurückstecken!“

Sie seufzte. "Es fällt mir schwer zu entscheiden, was eine angemessene Forderung ist und was nicht. Ich meine, eigentlich ist es doch überhaupt nicht akzeptabel, dass er von mir verlangt, seine Geliebte zu tolerieren." Nachdenklich zog sie die Stirn kraus. "Aber ich merke schon, dass er mich in die Position einer Bittstellerin drängen will."

„Deswegen bist du die Einzige, die die Bedingungen zu setzen hat. Die Einzige, nicht er. Er kann dir auf Knien rutschend danken, wenn es eine einvernehmliche Lösung gibt.“

"Er behauptet, dass Meta jetzt, durch den Rahjabund, ebenso seine Frau wäre wie ich. Dass sie seine Zukunft wäre und deshalb gleichberechtigt mitreden und mitentscheiden müsste. Aber er kann den nun bereits zwei Götterläufe währenden Ehebruch doch nicht einfach durch einen Rahjasegen sanktionieren, oder? Es so hinstellen, als wäre ich die böse, garstige Furie, die sein wundervolles Glück zerstören will..." Merle blickte Rhodan und Gwenn sichtlich verzweifelt und verunsichert an.

“Natürlich nicht!” Gwenn war entrüstet, gab aber zu bedenken: “Allerdings, in Rahjas Augen ist dieser Bund vermutlich gleichwertig. Es ist erstaunlich, dass mein Vetter den Bund überhaupt bei einem verheirateten Mann durchgeführt hat, hier in den Nordmarken. Ist der Bund vor Rahja erst einmal geschlossen, so gilt er für seine Dauer ebenso, wie der Traviabund. Nur dass der Traviabund für ewig gilt.” Gwenn schaute fragend zu Merle und holte Luft, um eine Idee zu äußern, schüttelte dann aber den Kopf.

Merle dachte einige Wimpernschläge über Gwenns Worte nach. "Ich bestreite nicht, dass der Rahjabund vor der schönen Göttin Gültigkeit hat. Dennoch... den Traviaeid - welcher eheliche Treue gebietet - den hat Gudekar zuerst geschworen. Und zuerst gebrochen." Sie suchte den Blickkontakt zu ihrer Schwägerin und starrte dieser intensiv in die Augen. "Was wolltest du sagen, Gwenn? Sprich, bitte."

Rhodan blickte aus dem Fenster. „Technisch gesehen ist dein Mann ein Eidbrecher“, konstatierte er beiläufig.

“Ja, mein Schatz, aus der Sicht der Kirche auf alle Fälle”, stimmte Gwenn zu. “Doch leider ist das Leben nicht so einfach, nicht so einschichtig, wie die Lehre Travias es gerne hätte. Rahja ist manchmal mal so launisch wie ihr Bruder Efferd und so verschlagen wie ihr Bruder Phex. Und was ist eine leibliche Treue nur des Eides wegen wert, wenn diese nicht vom Herzen begleitet wird? Mit dem Rahjabund, da er nun vollzogen ist, ist Gudekars für die nächsten zwei Götterläufe an diese Ritterin gebunden. Das Berufen auf den Traviabund allein wird sein Herz nicht zu dir, Merle, zurückbringen. Im Gegenteil, es könnte ihn weiter in die Fänge des Rastlosen treiben. Zwei Götterläufe. Dies erscheint dir eine Ewigkeit. Aber diese Zeit wird es für dich nicht möglich sein, sein Herz zurückzuerobern. Dies wäre etwas, das du in die Verhandlung mit ihm nehmen könntest. Diese zwei Jahre, die für dich eh verloren sind, gewährst du ihm. Danach muss er sich entscheiden: er muss sich dann entscheiden, zurück zu dir und seiner Tochter zu kommen, zu seiner Familie zu halten für alle Zeit, oder er geht in die Verdammnis.” Gwenn blickte zu Merle und sah das Erschrecken in ihren Augen. “Natürlich darfst du ihm dieses Zugeständnis nicht einfach schenken. Es wäre das äußerste Entgegenkommen, das du ihm zu gewähren bereit sein solltest, falls er ansonsten bereit ist, zu kooperieren. Und auch in dieser Zeit soll er regelmäßig beweisen, dass er seine Familie nicht aufgegeben hat. Er muss euch regelmäßig besuchen, sich um dich und Lulu sorgen. Was genau er tun soll, das musst du entscheiden. Er soll euch in dieser Zeit ja nicht vergessen. Er soll nicht vergessen, dass es sich lohnt, zu euch zurückzukehren. Und er und seine Gespielin sollen leiden für das, was sie dir antun. Aber du solltest ihm die Gelegenheit geben, sich für dich zu entscheiden.”

Merle schüttelte heftig den Kopf. "Nein. Nein, Gwenn. Vergiss es. Ich will das nicht. Auf gar keinen Fall gewähre ich ihm zwei weitere Jahre, in denen er mich wie Dreck behandelt, während er sich munter mit ihr verlustiert!" Unwillig kniff Merle die Lippen zusammen. "Ich glaube auch nicht, dass es unmöglich ist, ihn zurückzugewinnen in der Zeit. Ein Herz kann für mehrere Menschen gleichzeitig schlagen; Freiheit ist das Wesen eines Rahjabundes. Und jeder Mensch, auch Gudekar, kann sich bewusst entscheiden, das Richtige zu tun." Entschlossen richtete Merle ihren Oberkörper ganz gerade auf und atmete langsam aus. “Wenn Gudekar mich nachher nicht mit Reue und Einsicht überrascht, dann spreche ich morgen mit meinen Eltern. Mein Mann ist ein Eidbrecher und Frevler… und unter den Augen der Gütigen Mutter ist es meine Pflicht, ihn anzuklagen. Wenn ich dabei ebenfalls zugrunde gehe, dann soll es so sein.” Merle schluchzte gequält auf und ließ ihren Tränen jetzt wieder freien Lauf. Gwenns sicherlich gut gemeinter Vorschlag hatte ihr die Ausweglosigkeit ihrer Situation wieder direkt vor Augen geführt. “Sein Name und Adelstitel waren mir immer schon egal. Ich bin gern wieder das einfache Mädchen aus dem Waisenhaus”, brachte sie mit erstickter Stimme heraus. “Lulu und ich, wir kommen schon klar, ihr werdet sehen… Alles ist besser, als weiterhin so behandelt zu werden. Ich werde nicht mehr geduldig auf ihn warten, nie mehr. Ich mach' das nicht länger mit, nicht einen einzigen Tag! Und schon gar nicht zwei verdammte Jahre! Es reicht mir. Ich hab genug.”

Gwenn schluckte. Das lief auf eine harte Konfrontation hinaus. Da sie die Sturheit und den Trotz ihres Bruders kannte, würde es vermutlich am Ende auf eine Eskalation hinauslaufen, die ihr Traviafest in Gefahr bringen würde. Und Gwenn sah nun keinen Ausweg mehr. Dennoch nahm sie ihre Schwägerin tröstend, wenn auch wortlos, in den Arm. Auch wenn für sie selbst viel auf dem Spiel stand, wollte Gwenn nicht, dass Merle leidet. Merle hatte es nicht verdient, eine Kamele-Figur in solch einem Intrigenspiel zu sein.

Rhodan betrachtete die zwei Frauen in ihrer wortlosen Umarmung. Wie sehr er es hasste, wenn einfache Menschen litten, weil Sturköpfe mit Privilegien ihren Willen durchsetzten. Er beschloss, dagegen etwas zu unternehmen. Er würde gleich einen ersten Aufschlag machen, wenn er mit dem Magus und seiner Gespielin sprach. Dann würde er den Herrn von Mersingen ins Boot holen. Auf seine Weise.

Merle drückte die andere Frau eng an sich, presste ihr Gesicht an Gwenns Schulter und krallte sich mit zitternden Fingern in deren Gewand fest. Ihr Herz schmerzte so sehr, nein, ihr ganzer Körper tat entsetzlich weh. Warum tat der Mann, den sie liebte, ihr das an? Erst nach langen Momenten des leisen, unterdrückten Schluchzens hob sie schließlich zögerlich den Blick und schaute Gwenn an; in ihren tränenglänzenden Augen standen Verletzlichkeit, Erschöpfung, Überforderung und Angst. "Ich kann nicht mehr", brachte sie schließlich mit kaum hörbarer Stimme heraus. "Ich kann das einfach nicht."

„Komm, Merle, du brauchst erst mal was warmes in den Bauch.“ Gwenn führte Merle in die Küche.

~ * ~

Suppe gut, alles gut?

(12:55)

Nach dem gemeinsamen Gespräch mit ihrem Bräutigam führte Gwenn die völlig verzweifelte Merle in die Küche des Gutshauses. Zum einen wollte Rhodan im Salon in Ruhe mit der Ritterin, die gleichzeitig die Geliebte von Merles Mann war, reden. Zum anderen war Gwenn der Meinung, Merle sollte erst einmal ordentlich etwas essen, das würde ihr Kraft und Ruhe für das anstehende, schwierige Gespräch mit Gudekar und seiner Buhle geben.

In der Küche stand Wiltrud am Herd und rührte in einem großen Kessel Eintopf, den sie als Mittagsimbiss für die Herrschaften und deren Gäste zubereitet hatte. Es roch nach Rüben, Zwiebeln und ausgelassenem Speck. “Oh, die  hohen Damen! Setzt Euch, wenn ihr Hunger habt. Der Eintopf ist gerade fertig.”

“Danke, Wiltrud”, antwortete Gwenn und schob Merle auf einen Schemel, der vor dem Tisch stand. Dann ging sie an ein Regal, aus dem sie zwei Schüsseln und Löffel holte. Die Schüsseln füllte sie mit einer großen Kelle warmen Eintopfs und stellte sie auf den kleinen Tisch. Dann füllte sie aus einem Fass einen Krug Wein ab und goss davon zwei Becher ein. Dann setzte sie sich neben Merle. “Iss, mein Schatz, das wird dir gut tun.” Schließlich wandte sie sich an die Magd. “Trude, wenn es dir nichts ausmacht und du die Suppe eine Weile allein lassen kannst, lässt du uns dann eine Weile allein? Ich glaube, Rhodan hat einen Auftrag für dich.”

Wiltrud schaute Gwenn etwas ärgerlich an. “Das kann ich schon machen, aber Ihr müsstet ab und an in dem Topf umrühren.”

“Na, wenn’s sonst nichts ist… Danke, Trude!” Gwenn lächelte die Köchin an.

“Wie ihr meint, hohe Dame.” Wiltrud verbeugte sich leicht und verließ die Küche.

Gwenn stand auf und ging zur Anrichte. “Willst du auch etwas Brot zum Tunken, Merle?”

Merle nickte Wiltrud mit einem dankbaren, leicht entschuldigenden Blick zu, dann schaute sie zu Gwenn und zuckte gleichgültig mit den Achseln. Woher sollte sie wissen, ob sie Brot wollte; war jetzt nicht ohnehin alles egal? Dennoch nahm sie folgsam den Löffel in die Hand und brachte einen Schluck Suppe herunter, dann einen zweiten. “Du hast Glück, Gwenn”, sagte sie mit sanfter Stimme zu ihrer Schwägerin und lächelte matt. “Der Rhodan, der ist wirklich einer von den Guten.”

Merles Schwägerin schmunzelte. “Ich denke, er ist ganz in Ordnung. Aber manchmal durchschaue ich ihn nicht. Und du weißt ja selbst: nur weil man anfangs denkt, jemand ist der Richtige, kann man sich nicht sicher sein, wie er sich in den nächsten Jahren entwickelt. Ich werde bestimmt auf der Hut bleiben.” Gwenn war inzwischen mit ein paar Scheiben Brot zum Tisch zurückgekommen und löffelte sich nun Suppe in den Mund. “Schmeckt es dir?”

Wieder hob Merle kraftlos die Schultern. Sie hatte das Gefühl, nie wieder mit Appetit essen zu können. "Hätte ich ihn nur nicht zu dieser Hochzeit nach Herzogenfurt reisen lassen", murmelte sie bedrückt und trank einen Schluck von dem Wein. Den Geschmack des Rebensafts nahm sie ebensowenig wahr wie den der Suppe, doch immerhin ließ er ein Gefühl von Wärme entstehen, das die schmerzende Leere in ihrem Inneren überstrahlte.

“Das war nicht deine Entscheidung. Witta hatte ihn damit beauftragt. Da konnte er nicht nein sagen. Falls du dich erinnerst.” Gwenn nahm einen weiteren Löffel Suppe. “Da fehlt noch etwas Majoran, meinst du nicht?”

"Ja, Majoran", stimmte Merle ausdruckslos zu und nahm noch einen Löffel, dann zog sie leicht einen Mundwinkel nach oben. "Aber passt schon. Solange Wiltrud keinen Baldrian reingetan hat."

Gwenn lachte auf. “Das wäre dann ein interessantes Mittagsmahl für die Baronin. Keine schlechte Idee!” Gwenn wurde wieder ernst. “Du weißt, dass du eigentlich gar keinen Grund zur Trübsal hast. Du hast Gudekar völlig in der Hand, will er nicht für immer die Nordmarken auf der Flucht verlassen. Er muss doch tun, was du willst. Sei dir dessen bewusst!”

"Mag sein." Merle seufzte und versuchte die Tränen herunterzuschlucken. "Aber er hat mir das Herz gebrochen, nein, herausgerissen... Ich hätte ihm so was nie zugetraut, Gwenn, niemals. Ich hab ihm absolut vertraut. Jetzt bin ich einfach nur unendlich enttäuscht von ihm." Sie trank noch einen großen Schluck von dem Wein. "Und ein Teil von mir hofft immer noch, dass ich aufwache und alles einfach nur ein langer, böser Traum war."

Auch Gwenn griff nun zu dem Weinbecher und nahm einen tiefen Schluck. “Dieser Wein aus Linnartstein, den Rhodan da besorgt hat, der ist schon richtig gut, oder?” Gwenn trank noch einmal. “Merle, du hast allen Grund dazu, enttäuscht zu sein. Doch ich fürchte, ein böser Traum ist es nicht. Zahl es ihm heim! Du hast ihn in der Hand. Mach dir das zu Nutzen. Du wärst nicht die erste Frau, die von den Fehlern ihres Gatten zu profitieren weiß.”

"Ja, das werde ich wohl tun müssen", stimmte Merle zu, ein kleines bisschen kraftvoller. "Trotzdem, es tut einfach weh. Dass Gudekar sein eigenes Glück und Verlangen so ganz und gar, so selbstsüchtig über mein Wohlergehen gestellt hat. Er wusste genau, dass er mich verletzt - und hat es ohne Skrupel dennoch getan. Das kann ich immer noch nicht richtig fassen..." Ohne es zu merken, hatte Merle den Weinbecher vollständig geleert und stellte diesen mit leicht überraschter Miene auf dem Tisch ab. "Jetzt muss ich ihn verletzen. Obwohl ich das eigentlich gar nicht will."

“Doch, Merle, du willst es! Du musst es wollen. Du musst ihm alles nehmen, was ihn von dir weggetrieben hat. Du musst ihm das Vertrauen seiner Gefährten nehmen, so dass sie ihn aus ihrer Gemeinschaft ausschließen. Er muss seine angebliche Mission verlieren. Wir müssen mit der Sippe des Barons, bei dem er wirken will, sprechen, dass diese wilde Ehe dort nicht geduldet wird. Und nicht zuletzt, wie wir geplant haben, musst du ihn verführen, um das Vertrauen dieser Ritterin zu ihm zu erschüttern.” Gwenn trank auch ihren Becher leer. Während sie weitersprach, goss sie weiteren Wein aus dem Krug in die beiden Becher. “Wenn er dann alles andere verloren hat, was ihm etwas bedeutet, dann wirst du für ihn da sein. Und dann bleibt ihm nichts anderes übrig, als für dich da zu sein.”

Merle löffelte mechanisch ihre Suppe und rang sich ein gequältes Lächeln ab. “Er ist so ein Arsch geworden… selbstgerecht, rücksichtslos und kaltherzig… Fast, als wäre er stolz drauf, wie geschickt er mich betrogen hat! So einen scheiß-netten Brief hat er mir noch geschrieben! Und selbst jetzt zeigt er überhaupt keine wirkliche Reue!" Merle nahm noch einen Schluck von dem Wein und stützte ihr Kinn frustriert mit der Hand ab. "Also werd' ich all das machen müssen, um ihn zu verletzen. Um ihn zu zerstören, wie er mich zerstört hat… Obwohl ich mir eigentlich bloß wünsche, dass wir beide wieder gut zueinander sind."

Gwenn strich ihrer Schwägerin tröstend über das Haar.

Die junge Frau wischte sich mit einer fahrigen Handbewegung über die Wange und griff erneut nach dem Wein, zog dann aber die Hand zurück. Sie musste einigermaßen bei Sinnen bleiben vor dem Gespräch. Stattdessen stand sie auf, um die Suppe umzurühren. "Was meinst du, mit welchen seiner Gefährten sollte ich reden?" fragte sie mit einem müden, resignierten Blick zu Gwenn. "Eoban wird sicherlich keinen reuelosen Frevler in der Gruppe dulden, oder? Und Nivard wird… Oh!" Merle riss alarmiert die Augen auf und zog aus ihrer kleinen Ledertasche den Brief, den sie vorhin von Bernhelm erhalten hatte. Fragend hielt sie ihn Gwenn hin. “Öffnen wir ihn?”

Gwenn nahm den Brief und betrachtete ihn von allen Seiten. “Aus Flusswacht. So, So. Von Radulf von Grundelsee also. Ja, wir sollten ihn öffnen. Aber erst nach dem Essen. Nicht, dass wir ihn volltropfen. Außerdem brauche ich dazu noch das richtige Werkzeug, wenn wir versuchen wollen, dass man es nicht merkt.” Sie legte den Brief neben sich auf den Tisch und schaute Merle an. “Was ist mit Nivard? Ich denke, er wird auch keinem Frevler an Travia trauen, schon allein wegen seiner Gemahlin. Ihn sollten wir überzeugen, dass Gudekar eher eine Gefahr als ein Hilfe gegen den Paktierer darstellt.”  

"Nivard hab ich gestern erst kennengelernt", berichtete Merle, "...und auch den Eindruck, dass er sehr fest im Traviaglauben steht", sie erinnerte sich mit einem verstohlenen Grinsen an seinen schockierten Gesichtsausdruck heute morgen, "...vielleicht fester als wir alle zusammen. Tatsächlich hatte er bei der Wanderung sogar schon versucht, mit Gudekar zu sprechen und ihm ins Gewissen zu reden... ohne Erfolg." Sie leerte schnell ihre Suppenschale, jetzt ungeduldig darauf brennend, den Brief endlich zu öffnen. Skeptisch betrachtete sie das Siegel und sah sich unschlüssig in der Küche um. "Wie kriegen wir das unauffällig auf? Vielleicht Wasserdampf? Oder sollten wir ein Messer heiß machen und damit unter das Siegel stochern? Ich hab keine Ahnung."

“Wasserdampf durchweicht nur das Pergament. Und wenn wir Pech haben, zerläuft die Tinte. Ich würde es am ehesten mit einer warmen Klinge versuchen. Aber sie darf nicht zu heiß sein, damit das Wachs nicht vollkommen schmilzt, und auch nicht zu kalt, damit es nicht bricht. Außerdem muss sie hauchdünn und breit genug sein.” Gwenn machte den Eindruck, als wüsste sie genau, was zu tun ist. “Und wir brauchen für danach noch ein ganz klein wenig Siegelwachs, um den Brief wieder zu verschließen.” Gwenn löffelte beim Sprechen noch ein paar mal von ihrer Suppe.

"Eine Klinge finden wir sicherlich hier in der Küche." Merle begann sich nach einem breiten, aber dünnen Messer umzusehen und musterte flüchtig ihre Schwägerin. Sie wollte gar nicht wissen, durch welche höfischen Intrigen Gwenn solcherlei Fähigkeiten erworben hatte, doch stellte sie diese nicht in Frage. "Hättest du Siegelwachs? Ansonsten müssten wir bei Kalman oder Vater Friedewald im Zimmer nachschauen."

“Genau”, bestätigte Gwenn. “In Vaters Schreibstube finden wir alles, was wir brauchen. Die Küchenmesser haben meist alle eine zu dicke Klinge. Komm, iss noch etwas von der Suppe, oder schmeckt sie dir nicht?”

"Nein, danke." Abwehrend schüttelte Merle den Kopf. "Seit ich gemerkt habe, dass Gudekar seine Sachen hat holen lassen, ist mir übel. Ich kann nichts mehr essen." Sie setzte sich wieder und rang sich ein sanftes, liebevolles Lächeln ab. "Aber iss du ganz in Ruhe fertig, Gwenn. Ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich für deine Unterstützung bin."

“Nichts zu danken. Ich tue es doch für den Zusammenhalt in der Familie.” Nachdem Gwenn noch ein Stück Brot in die Suppe getunkt hatte, stellte sie fest: ”Ach, ich sollte vielleicht auch nicht zu viel essen. Nicht, dass mich am Ende die Jagdgesellschaft noch für eine der Wildsäue hält!”

In dem Moment öffnete sich die Küchentür und Gudekar betrat die Küche.

Der Magier war überrascht, seine Schwester und seine Frau hier in der Küche zu sehen und blieb wortlos in der Tür stehen.

Gwenn, ebenso überrascht, reagierte jedoch sofort besonnen und ergriff den Brief, der auf dem Tisch lag. Sie steckte den Umschlag schnell in den Ausschnitt ihres Kleides, bevor ihr Bruder ihn registrieren konnte.

Innerlich atmete Merle tief durch, dass Gwenn so geistesgegenwärtig war, versuchte ihre Miene aber unbewegt zu halten. "Gudekar", sprach sie ihren Mann mit bemüht neutraler Stimme an. "Möchtest du auch einen Teller Suppe?"

“Ähm”, stammelte der Anconiter, bemüht, seine Fassung zu bewahren. “Ich hatte nicht erwartet, euch hier zu sehen. Suppe? Ich weiß nicht.” Unwillkürlich musste er wieder an die Suppe auf der Schweinsfolder Hochzeit denken, und was sie ausgelöst hatte. “Ich glaube, mir ist nicht wirklich nach einer Suppe vor der Hochzeit.”

Gwenn schaute ihren Bruder mit erhobener Augenbraue fragend an.

Merle wies mit den Augen auf den Krug. "Wein?"

Gudekar nickte langsam. “Ja, ein Schluck Wein kann wohl nicht schaden.” Natürlich wusste er, dass der Wein ebenso gut vergiftet sein konnte, wie die Suppe, doch wollte er keine Paranoia aufkommen lassen, wie sie der Herr Lares hatte. Alles konnte vergiftet sein oder gar nichts. Doch an eine Hochzeitssuppe hatte er einfach zu schlechte Erinnerungen. Gudekar nahm sich einen Becher aus dem Regal und setzte sich zu Gwenn und Merle an den Tisch. “Darf ich?”

Gwenn beobachtete weiter.

"Klar. Du sitzt ja schon." Auch Merle schaute ihren Mann durchdringend an, erst hart und vorwurfsvoll, dann wurde ihr Blick etwas weicher. "Möchtest du ein Brot statt Suppe?"

“Ja, etwas Brot wird gut tun”, antwortete Gudekar mit ruhiger Stimme. Dann stellte er fest: “Die Suppe riecht gut.”

Gwenn blickte genervt zu Gudekar. “Möchte mein geliebter Bruder vielleicht Kochrezepte austauschen?”, fragte sie bissig.

Merle stand auf und holte von der Anrichte etwas Brot und Käse, was sie vor ihrem Gatten abstellte, dann wandte sie sich erneut dem Suppentopf zu, um diesen wie von Wildtrud gewünscht erneut umzurühren. Mit einem schnellen, wortlosen Blick fragte sie Gudekar, ob er es sich doch anders überlegt hatte.

Gwenn blickte zu Merle, während sie Gudekar das Brot brachte, und schüttelte sacht den Kopf. “Merle, du musst deinen Mann wirklich nicht bedienen. Wenn er etwas zu essen haben will, kann er es sich auch selbst holen.”

“Ja, Gwenn hat recht”, stimmte Gudekar zu und stand auf. Er nahm sich eine Schüssel aus dem Regal und ging dann zum Suppentopf hinüber. “Du musst mich wirklich nicht bedienen.”

Mit ausdrucksloser Miene, aber leicht zitternder Hand gab Merle ihm die Kelle, hielt für einen Moment seinen Blick, dann setzte sie sich wieder an den Tisch. "Lass es dir schmecken", sagte sie zaghaft, ohne Emotion, wie ein Echo aus vergangenen Zeiten.

“Danke, Merle!” Gudekar tat sich etwas Suppe in die Schüssel und roch daran. Da er nichts verdächtiges wahrnahm, ging er auch zum Tisch zurück und setzte sich. Er hob den Löffel, doch bevor er den ersten Schluck Suppe zu sich nahm, legte er den Löffel wieder zurück. “Ich hätte Euch nicht stören sollen. Es tut mir leid. Ich glaube es ist nicht richtig, dass ich vor unserem wichtigen Gespräch hier bei euch sitze.” Der Anconiter machte Anstalten, wieder aufzustehen.

"Gudekar." Merle seufzte und rollte leicht mit den Augen. "Du störst nicht. Das hier ist die Küche, kein Privatgemach. Nun iss' schon deine Suppe." Sie zog einen Mundwinkel ironisch nach oben. "Oder glaubst du, ich will dich vergiften?"

“Nein, natürlich nicht.” Gudekar lächelte Merle an. “Du nicht.” Er setzte sich wieder hin und begann die Suppe zu essen. “Aber es wäre nicht das erste Mal, dass eine Suppe auf einer Hochzeitsfeier vergiftet wurde.” Gudekar blickte warnend zu Gwenn, die aber regungslos weiter beobachtete. Sie wollte sich nicht auf Gudekars Spielchen einlassen.

"Oh ja, die berühmte Schweinsfolder Hochzeit, wo du quasi im Alleingang die Lage gerettet hast", kommentierte Merle mit triefendem Sarkasmus. "Ich glaube, ich hab davon gehört."

Gudekar nickte, während er weiter aß. Er blickte wieder zu Gwenn. “Ich hoffe sehr, dass hier nichts Ähnliches geschieht. Besonders viel Sicherheitsvorkehrungen habt Ihr ja nicht getroffen.”

“Wenn hier jemand meine Hochzeit stört”, Gwenn funkelte Gudekar an, “dann ist das ja wohl eher ein anderer Frevler!”

Gudekar verdrehte die Augen. “Du warst doch selbst damit einverstanden, dass ich bis nach Eurer Hochzeit damit warte, meine Liebe zu Meta zu gestehen, und danach gleich nach Tälerort abreise.”

"Scheinbar hast du dir nicht allzu große Sorgen darüber gemacht, ob ich mit deinem Fremdgehen einverstanden bin”, warf Merle mit einer gewissen Schärfe ein. "Also, Überraschung, mein Schatz: Ich bin nicht einverstanden.” Sie lächelte ihn strahlend und selbstsicher an, mit funkelnden Augen, geröteten Wangen und deutlich hervortretenden Grübchen, liebreizend wie eine Braut vor dem Altar. “Aber mir scheint, du weißt vieles nicht von mir. Abgesehen davon, wie ich mich in den letzten zwei Götterläufen verändert habe.” Ungefragt schenkte sie ihm und sich selbst noch etwas Wein ein und prostete ihm mit dem Becher zu, seine Augen über den Becherrand hinweg intensiv fixierend. “Wer weiß… vielleicht könnte es ganz interessant für dich sein, mich noch mal näher kennenzulernen.”

„Wir haben uns in den letzten Jahren alle verändert.“ Der Magier blickte bei den Worten, die an Merle gerichtet waren, seiner Schwester tief in die Augen. „Kennen wir uns selbst überhaupt noch?“ Gudekar führte den Becher und trank einen Schluck, ohne den Blickkontakt zu Gwenn zu unterbrechen.

Merle schmunzelte leicht, scheinbar unbeeindruckt, auch wenn sie sich insgeheim fragte, ob er seine Schwester meinte oder sich selbst. Sie legte ihm zart, wie zum Trost, die Hand auf den Oberarm. "Wenn wir uns alle vollständig kennen würden, dann wäre das Leben doch langweilig. Meinst du nicht auch, Gudekar?" hauchte sie mit sanftem, fast heiteren Unterton, legte all ihre Zuneigung und Wärme in die Art, wie sie seinen Namen aussprach. "Ist es nicht eine Chance, sich ohne Masken und Falschheit, mit neuer Offenheit zu begegnen? Wie ich schon sagte, es wird interessant."

Gudekar nickte. “Ohne Falschheit, mit neuer Offenheit”, bestätigte er und schaute nun zu Merle. “Darauf baue ich. Ich hoffe, dass dies für alle gilt.” Wieder warf er einen kurzen Blick zu Gwenn, die diesen harsch erwiderte.

Merle stand auf und schenkte ihrem Mann noch ein flüchtiges, vielsagendes Lächeln. “Gwenn, ich glaube, wir sollten dann mal, was? Bis später, Gudekar. Denk dran, die Suppe von Zeit zu Zeit umzurühren.”

Gudekar sprang von seinem Platz auf, um Merle die Tür aufzuhalten. Er wollte ihr noch einmal kurz in die Augen schauen, bevor sie ging und er sie erst abends bei dem gemeinsamen Gespräch über ihre Zukunft, über seine Zukunft wiedersehen würde. “Bitte Merle, ich weiß, ich kann das nicht von dir verlangen, denn du hättest allen Grund dazu genau das Gegenteil zu tun. Aber ich bitte dich dennoch darum: Gehe nicht zu hart mit Meta ins Gericht. Das hat sie nicht verdient. Das was geschehen ist, ist nicht Metas Schuld. Allein ich war es, der dich verraten hat.” Er hielt die Klinke der noch immer geschlossenen Tür fest, öffnete sie aber noch nicht. Zunächst wollte er Merles Reaktion abwarten.

Für einige Momente starrte Merle ihm tief in die Augen und dachte über seine Worte nach. "Ich hab nichts gegen Meta", sagte sie schließlich. "Und ich stimme dir zu, dass es vor allem deine Schuld ist... Also keine Sorge, ich werd’ die kleine Ritterin schon nicht zerfleischen. Auch wenn ich etwas am Urteilsvermögen des Mädchens zweifle..." Sie lächelte sanft und melancholisch. "Ja ja, ich weiß, dass du im Moment hoffnungslos verliebt in sie bist. Aber ist es nicht offensichtlich, dass sie dich auf Dauer nicht glücklich machen kann? Und du sie nicht. Klar, sie liebt dich. Aber eigentlich mag sie dich gar nicht. Nicht so, wie du bist. Meta braucht einen ganz anderen Mann und denkt, sie kann dich nach ihren Vorstellungen formen und verändern. Willst du das wirklich?" Merle trat sehr nah an ihn heran, so dass er ihren Duft wahrnehmen musste, reckte sich hoch, um ihm mit rauher, dunkler Stimme ins Ohr zu wispern: "Gudekar. Du bist der Mann, den ich will. Und ich liebe dich genauso, wie du bist. Egal, wohin dein Weg dich führt, ich bin an deiner Seite. Für immer und ewig." Gudekar schluckte deutlich spürbar. Nach einem fast lautlosen Seufzen straffte sie sich sichtlich und bedeutete Gwenn mit einem auffordernden Blick, ihr zu folgen, trat auf die Tür zu, entschlossen, sich nicht aufhalten zu lassen. "Wir reden dann später. Denk an die Suppe."

Gudekar öffnete die Tür, um die beiden hinauszulassen.

Doch direkt vor der Tür stand Harka, Wiltruds Tochter, die Hand als Faust in Augenhöhe erhoben, bereit, um an die Tür zu klopfen. “Meister Gudekar, die Herrschaften im Salon haben nach Euch gerufen.”

“Ähm, danke Harka. Ich gehe gleich.” Gudekar schaute verdutzt. “Würdest du bitte auf die Suppe acht geben und gelegentlich umrühren, damit sie nicht anbrennt, bis deine Mutter zurück ist?”

“Selbstverständlich, Meister Gudekar. “ Harka verbeugte sich leicht.

“Ach, Harka”, seufzte Gudekar, “du musst dich doch vor uns nicht jedes Mal verbeugen.”

Merle nickte Harka freundlich und leicht entschuldigend zu, dann warf sie Gudekar über die Schulter ein geheimnisvolles, hintergründiges, vielleicht sogar herausforderndes Lächeln zu. Schnell entfernte sie sich mit Gwenn in die andere Richtung. Erst als sie außer Hörweite waren, wandte sie sich im Plauderton an ihre Schwägerin: “Ach, ich wünschte, Gudekar würde sich einfach nur mit Harka vergnügen; das würde alles so viel einfacher machen. Findest du nicht auch, er hat ein bisschen einen Narren an ihr gefressen?”

„An Harka?“ Gwenn lachte sichtlich amüsiert auf. „Wir kennen uns doch schon so lange, nein, da mach dir mal keine Sorgen. Und wenn er es versuchen würde, würde er von Willtrud mit dem Kochlöffel eins hinter die Löffel bekommen.“

Auch Merle musste bei der Vorstellung lachen. "Sorgen? Nein! Ich hatte nur den Eindruck, er würde Harka ein wenig beäugen. Und das würde mich ehrlich gesagt beruhigen. Weil es hieße, dass der Rahjabund keinen so starken Zwang auf ihn ausübt, dass er an Meta gefesselt ist und keine anderen Frauen mehr begehren kann. Und das heißt wiederum, dass er - früher oder später - unweigerlich irgendetwas tun wird, was die Ritterin zur Weißglut treibt." Sie grinste, nun sichtlich entspannter. Wein und Suppe hatten tatsächlich gut getan. "Ne, wegen meiner soll er der Harka sehr gerne schöne Augen machen!"

Schmunzelnd bewunderte Gwenn ihre Schwägerin. “Mensch, Merle, solch eine Verschlagenheit hätte ich dir überhaupt nicht zugetraut! Aber ich fürchte, da muss ich dich enttäuschen. So, wie ich es einschätze, hat Gudekar schon lange kein Interesse mehr an Harka.”

Merle hob bei ‘mehr’ eine Augenbraue, zuckte aber abwinkend mit den Schultern. “Verschlagenheit? Realismus vielleicht. Weißt du Gwenn, unter uns gesprochen… wenn wir eine liebe- und vertrauensvolle Ehe hätten, er mir Aufmerksamkeit und Zuneigung schenken würde, dann könnte ich auch - sofern mir das gleiche Recht gewährt wird - das eine oder andere Techtelmechtel mit einer süßen Magd oder meinetwegen längere Affären akzeptieren. Aber so wie Gudekar von seiner armen, kleinen, zartbesaiteten Ritterin säuselt, dass einem fast übel wird von soviel Zuckerwerk”, sie verzog das Gesicht und verdrehte übertrieben die Augen, “...da muss ich hart und unnachgiebig bleiben.” Sie sagte dies mehr zu sich, wie um sich selbst Mut und Stärke zuzusprechen, dann blickte sie wieder zu Gwenn und schaute ihr fragend in die Augen. “Hätten wir ihm was von der Vorverlegung des Gesprächs sagen sollen?”

Für einen winzigen Augenblick wirkte Gwenn erschrocken. „Oh, daran hatte ich gar nicht gedacht.“ Doch dann fasste sie sich wieder.“Nein, vermutlich ist es besser so. Rhodan wird es ihnen schon sagen, ich hoffe, erst am Ende ihres Gesprächs. Je später die beiden Verräter von der Planänderung erfahren, umso weniger Zeit haben sie, sich darauf einzustellen und sich abzusprechen.“

Merle nickte. "Ich möchte Gudekar nicht übers Ohr hauen oder so. Aber ich will, dass er aufhört, mich zu ignorieren. Das ist, was mich am meisten verletzt… dass er sich frohgemut in diese Affäre gestürzt hat, ohne darüber nachzudenken, wie sehr er mir mit seiner Untreue wehtut! Als würden Lulu und ich überhaupt nicht richtig existieren für ihn! Wenn, dann nur als lästiges, nerviges Hindernis, als ärgerliche Störung seines ach so wertvollen Glücks mit Meta! Mein Schmerz - den er mir zufügt! - ist diesem Dreckskerl immer noch absolut egal! Aber dann kommt er an, von wegen ich soll gefälligst nett zu seiner blöden Buhle sein! Nicht, dass der tapferen Frau Ritterin von dem kleinen Waisenmädchen noch ein Härchen gekrümmt wird! Oder ihr, Götter bewahrt, gar die Tränchen kommen!" Sie lachte bitter auf, ballte leicht die Fäuste und blickte mit erzwungener Ruhe zu Gwenn. "Also, probieren wir's bei Vater oder bei Kalman im Studierzimmer?"

“Wir gehen natürlich zu Vater in die Schreibstube. Vater ist auf der Jagd und kann uns nicht stören. Außerdem sind dort die richtigen Utensilien. Du weißt doch, Kalman betritt seine Kammer eher zum Lesen und um in Ruhe einen Wein trinken, wenn wichtige Korrespondenz zu erledigen ist, dann nutzt er auch Vaters Stube.” Gwenn ging zielstrebig die Treppe des Gutshauses hoch und folgte dem Gang bis ans Ende, wo auf der rechten Seite Friedewalds Arbeitszimmer und gegenüber, linker Hand Kalmans Lesestube lag.

“Gut, dann geschwind.” Merle nickte bestätigend, blickte vor der Tür noch einmal in Gwenns Augen und legte ihr die Hand sanft auf den Oberarm. “Ich bin dankbar, dass du hier bist, Gwenn. Du gibst mir Ruhe und Kraft, das alles durchzustehen”, raunte sie ihrer Schwägerin mit ernster, aufrichtiger Stimme zu. “Sonst wär’ ich schon heulend zusammengebrochen oder völlig durchgedreht.”

“Ach Schatz!” Gwenn öffnete die Arme und lud ihre Schwägerin zu einer Umarmung ein. “Dafür ist Familie doch da, dass man sich Halt in schweren Zeiten gibt. Und ich weiß doch, dass du auch für mich da wärst, wenn ich deine Hilfe bräuchte. Ich hoffe nur, dass wir das ganze nicht viel zu stürmisch angegangen sind. Ich meine, das was du heute schon alles hast ertragen müssen… “ Gwenn war beunruhigt, wie blass die junge Frau aussah. Dunkle Augenringe zeichneten sich langsam in ihrem Gesicht ab. “Ich hab Sorge, dass es irgendwann zu viel für dich wird. Nicht dass du mir hier noch zusammenbrichst. Willst du dich vielleicht lieber noch ein wenig hinlegen, bevor wir mit Gudekar und Meta reden? Ausgeruht verhandelt es sich einfach besser.”

"Nein." Merle drückte Gwenn noch einmal seufzend an sich, schüttelte aber energisch den Kopf. "Ich will jetzt wissen, was in dem Brief steht. Wer weiß, vielleicht gibt es mir irgendeine Information, die uns bei dem Gespräch hilft." Sie zuckte müde mit den Achseln. "Viel Hoffnung habe ich ohnehin nicht. Aber wenn der Brief mir einen Vorteil verschafft..."

“Gut, dann auf. Bringen wir es hinter uns.” Gwenn öffnete die Tür zur Schreibstube ihres Vaters und schaute kurz hinein. Als sie sich versichert hatte, dass das Zimmer leer war, trat sie ein und hielt die Tür für Merle auf. Als auch sie eingetreten war, schloss Gwenn die Tür hinter ihr. Die Tochter des Edlen ging zum Schreibtisch ihres Vaters.

Auf dem Schreibtisch waren verschiedene Pergamente verteilt. Einige Bücher lagen aufgeschlagen, beschrieben mit Auflistungen und Zahlen. Ein geöffnetes Tintenfass und eine Schreibfeder standen daneben, ebenso ein Trinkpokal aus Ton, halb gefüllt mit Rotwein. Ein halb geöffnetes Fenster schlug im Wind auf und zu und der Vorhang wehte hin und her. In einem kleinen Kamin brannte ein Feuer. Die Flammen züngelten wild an einem Holzscheit.

Merle trat zum Fenster, um dieses zu schließen und schaute sich um. "War Kalman hier gerade drin?" Sie kniff nervös die Lippen zusammen. "Vielleicht sollten wir nur schnell holen, was wir brauchen. Nicht, dass er gleich zurückkommt."

„Ja, sieht ganz so aus. Warte mal, ich schaue nur mal kurz, woran er gerade arbeitet.“ Gwenn las interessiert in den Aufzeichnungen. Ihre Augen weiteten sich erschrocken. Sie blätterte in den Büchern ein paar Seiten zurück. „Oh, weh. So viel?“, redete sie gedankenverloren vor sich hin.

"Die Kosten der Hochzeit? Mach' dir darüber keine Gedanken, Gwenn! So ein Fest muss richtig gefeiert werden", winkte Merle ab und suchte den Schreibtisch nervös nach Siegelwachs oder einem Brieföffner ab. "Schnell, schnapp dir die Sachen und lass' uns verschwinden. Er ist bestimmt nur auf dem Abort und kommt gleich wieder."

“Gwenn, Merle? Was macht ihr denn hier?” fragte Kalman interessiert.  

Merle blickte Kalman mit einem strahlenden, liebenswürdigen Lächeln in die Augen. "Wir wollten uns gerade Vaters Siegelwachs ausborgen, wenn's recht ist. Gwenn möchte dem Rhodan noch einen, ähm... ganz persönlichen Liebesbrief schreiben. Den sie ihm dann heute Nacht aufs Kopfkissen legt", sie rückte ein bisschen näher an ihren Schwager heran und zwinkerte ihm vielsagend zu, damit er eine Vorstellung bekam, was für eine Art Brief das sein würde. "Also, ähm… als Vorgeschmack auf die Hochzeitsnacht...", kicherte sie schüchtern und senkte verlegen den Blick, in der Hoffnung, dass er nicht weiter nachhaken würde. "Aber wir wollen dich gar nicht weiter stören, Kalman." Entschlossen trat sie in Richtung der Tür und bedeutete Gwenn mit einem auffordernden Blick, ihr mit den Utensilien zu folgen.

„Ah, ich verstehe“, schmunzelte Kalman. „Habt ihr denn Pergament, Tinte und Feder? Und, wo wollt ihr den Brief schreiben? Wäre es nicht am einfachsten hier auf dem Schreibtisch? Ich mache euch gleich Platz.“ Er ging zum Schreibtisch, um die Bücher zuzuschlagen und wegzuräumen.

„Mach dir bitte keine Mühe, Kalman“, winkte Gwenn ab. „Wir gehen in Merles Kammer. Da haben wir Ruhe und alles, was wir brauchen.“ Als sie sah, dass Kalman protestieren wollte, lenkte sie ab: „Sag mal, Kalman“, sprach sie in ruhigem Ton auf die Bücher zeigend, „könnt ihr das alles bezahlen? Wenn ich die Zahlen so überfliege, scheint mir das mehr als gedacht zu sein.“

Kalman seufzte. „Es sind einige hochrangige Gäste mehr gekommen, als wir gedacht hatten. Überraschende Zusagen, bei denen es ein Affront gewesen wäre, hätten wir nein gesagt. Aber ich hoffe, wenn die Gäste sich wohlfühlen und amüsieren, bekommt das Lützeltal endlich einen Namen über das Grafenland hinaus. Ich hoffe, wir bleiben in guter Erinnerung, wenn wir ein frohes, friedliches Fest ausrichten. Und dann kann es sich rentieren, um bessere Handelsbeziehungen aufzubauen. Wir hoffen, dein Gemahl kann uns dabei helfen. Dann war es das wert.“

„Aber könnt ihr die Rechnungen denn bezahlen?“ hakte Gwenn nach.

Kalman nickte, doch wirkte er nicht sehr überzeugt. „Vater hatte für deine Hochzeit ein wenig angespart. Und wir hatten eine kleinere Rücklage. Solange kein größeres Unglück geschieht und Mika sich noch etwas Zeit mit der eigenen Hochzeit lässt, sollten wir über die Runden kommen.“

Gwenn lachte kurz auf. „Die kleine Mika? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die so schnell unter die Haube kommen will.“

„Das kann schneller kommen, als man glaubt“, warf Kalman ein.

Gwenn wurde wieder ernst. Sie beugte sich über den Schreibtisch, reckte sich und gab ihrem Bruder einen Kuss auf die Wange. „Ich danke euch! Das wird bestimmt ein wunderbares Fest. Wenn doch nur das Wetter bis morgen besser wird.“

„Ich denke schon.“ Kalman war froh, dass das Gespräch das leidige Thema der Finanzen verlassen hatte. „Bernhelm sagte, seine Gnaden Firumar schätzt, dass das Unwetter nur heute kurz über das Tal zieht. Die Anzeichen deuten wohl darauf hin, dass es morgen wieder sonnig wird.“

„Hoffen wir das Beste.“ Gwenn drehte sich um und ging in Richtung Tür. „Ich werde die Ruhe nutzen, bis die Sippe von der Jagd zurück ist, um mich um den Brief zu kümmern.“

Gedankenverloren hatte Merle das Gespräch der beiden Geschwister verfolgt. Inzwischen mochte sie Kalman, auch wenn er früher gegen sie gewesen war und ihr Mann stets seine Probleme mit ihm hatte. Wie einfach es wäre, ihm jetzt die Wahrheit über Gudekar zu gestehen und den Stein ins Rollen zu bringen. Die Dinge würden sich unaufhaltsam verselbstständigen; die Familie müsste in irgendeiner Form mit der Sache umgehen. Sie würde nicht mehr lügen und ein zermürbendes Intrigenspiel mitmachen müssen, das sie gar nicht wollte. Es wäre vorbei - ihr und Gudekars Schicksal lägen in Travias Hand… und vielleicht würde sie dann endlich zur Ruhe kommen und wieder Frieden finden. Merle öffnete halb den Mund, schluckte, presste die Lippen zusammen. Nein, das konnte sie Gwenn und der ganzen Familie nicht antun. Das Fest war so wichtig. Die junge Frau winkte ab und strahlte ihren Schwager mit leuchtenden Augen an. "Ja, Tinte haben wir! Blutrot wie Rahjas Schleier.” Sie lachte heiter. "Gwenn wird den Brief bei mir in der Kammer schreiben, mit Duftwasser bestäuben und einen Abdruck aus Lippenrot draufsetzen. Das wird Rhodan bestimmt gefallen, meinst du nicht auch, Kalman?" Sie lächelte unschuldig und blickte ermunternd zu Gwenn. "Dann los, meine Liebe! Bevor die Inspiration wieder weg ist."

Kalman stutzte. Er kannte seine Schwägerin. Er konnte bei ihr inzwischen zwischen echter Fröhlichkeit und aufgesetztem Lachen  unterscheiden. Er schaute sie an. “Merle, ist bei dir wirklich alles in Ordnung?”

“Natürlich ist alles in Ordnung”, versuchte Gwenn ihren Bruder abzuwimmeln, doch dieser schaute unbeirrt zu Merle.

Merle stieß langsam und mühsam die Luft aus. Sie sehnte sich förmlich danach, die Charade hier und jetzt zu beenden und Kalman alles zu sagen. Warum ließ sie sich überhaupt vor den Karren von Gudekars Lügengebilde spannen? Aus Liebe und Loyalität ihrem Mann gegenüber? Aus der trügerischen Hoffnung heraus, er würde noch etwas für sie empfinden und ihre Ehe wäre zu retten? Machte sie sich nicht auch vor Travia schuldig, wenn sie Gudekars Frevel weiterhin deckte und verschleierte? Doch nein, eine friedliche, schöne Hochzeitsfeier war jetzt wichtiger als alles andere. Es ging um den guten Eindruck, den die Familie in Adelskreisen vermitteln musste, um wertvolle Kontakte und Handelsbeziehungen, das hatte Kalman selbst gesagt. "Ja, alles in Ordnung." Sie blickte ihrem Schwager tief in die Augen, wusste genau, dass er es ihr nicht abnehmen würde, versuchte ihm aber mit ihrem bittenden, eindringlichen Blick wortlos zu signalisieren, nicht weiter nachzufragen. "Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt. Du hast genug um die Ohren", setzte sie sehr sanft und leise hinzu.

Für einen schier endlos wirkenden Augenblick herrschte Stille, während Kalman Merles Blick schweigend erwiderte. Dann löste er die Spannung. “Na gut, Merle, wie du möchtest. Aber du weißt, wir sind für dich da. Du bist ein Teil der Familie. Du bist eine Weissenquell. Die Familie ist für dich da, wenn du uns brauchst.”

Gwenn blickte mit einem milden, zufriedenen Lächeln von Merle zu Kalman und wieder zurück zu Merle.

Ein leises, unterdrücktes Seufzen entwich Merles Kehle und sie zog Kalman aus dem Impuls heraus in eine kurze, wortlose Umarmung. In all den Jahren war so etwas höchst selten vorgekommen; ihr Verhältnis zu ihrem Schwager war immer ein wenig distanziert gewesen... doch jetzt war sie ihm einfach unendlich dankbar für seine Freundlichkeit. Verlegen senkte sie den Blick, nickte ihm zu und geleitete Gwenn zur Tür. "Bis nachher dann."

Gwenn folgte Merle und zwinkerte im Türrahmen noch einmal Kalman zu. “Danke, Bruderherz. Rhodan wird sich über mein Geschenk sicherlich sehr freuen. Verrate ihm bitte nicht, dass du davon weißt!” Dann ging sie hinaus und schloss hinter sich die Tür. Die Weissenquellerin lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und stieß mit einem Pusten die Luft aus ihren Lungen. “Das ist ja noch einmal gut gegangen.”

“Danke dir.” Merle lehnte sich zu Gwenn herüber und hauchte ihr einen zarten Kuss auf die Wange. “Danke, dass du bei mir bist.” Dann atmete sie tief durch, straffte sich und legte ihre Hand auf Gwenns Rücken, um ihre Schwägerin zum Aufbruch zu drängen. “Auf in meine Kammer, was? Hoffe nur, der ganze Aufwand lohnt sich. Nachher steht in dem Brief bloß belangloses Geschwätz von diesem Herrn Radulf drin.”

“Mich würde aber schon interessieren, warum er nicht zur Hochzeit gekommen ist. Na gut, lass uns gehen.“ Gwenn stieß sich von der Wand ab und machte sich auf, die Treppe hinunterzugehen.

"Wissen über Gudekars Gefährten könnte vielleicht helfen", murmelte Merle, während sie Gwenn folgte. "Wobei ich mir noch nicht sicher bin, was besser ist - zu erreichen, dass die Gruppe ihn aus ihrer Mitte ausschließt, damit er allein, ohne Freunde und Unterstützung dasteht - oder zu hoffen, dass er schon recht bald wieder auf geheime Mission ziehen muss. Dann wäre er von Meta getrennt, die Pläne in der Rabenmark würden sich in der Zwischenzeit zerschlagen und seine Gefährten könnten einen guten Einfluss auf ihn ausüben.” Sie zuckte mit den Achseln. “Was meinst du?"

Gwenn hielt vor dem Treppenabsatz an und drehte sich zu Merle. “Hm, du hast schon recht. Eoban und dieser Herr von Tannenfels scheinen einen guten Einfluss auf Gudekar zu haben und sind so etwas wie seine Stimme der Vernunft.” Gwenn ergriff Merles Hände. “Es könnte natürlich sein, dass, sollte Gudekar ihren Rückhalt verlieren, dass er dann einfach endgültig mit der Ritterin durchbrennt. Was schlägst du vor?”  

“Ach, ich weiß auch nicht. Bisher hat der traviagefällige Einfluss seiner Gefährten ja nicht viel bei ihm bewirkt, oder?” Sie zwang sich zu einem tapferen Lächeln und schluckte hart. “Andererseits, vielleicht ist es wirklich besser, wenn Gudekar eine Aufgabe behält - ein Ziel, dem er folgen kann. Die Anstellung in der Rabenmark werden wir mit Hilfe des Herrn Lares schon platzen lassen; da schien Rhodan ja ganz zuversichtlich zu sein. Und mit Nivard und Eoban werde ich vielleicht sprechen und sie bitten, ein noch schärferes Auge auf ihn zu richten.” Sie drückte liebevoll Gwenns Hände und bedeutete ihr, weiter die Treppe hinunter zu eilen. “Weißt du, Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Unterredung nichts bringen wird. Gudekar ist zu sehr seiner Geliebten verfallen, als dass er unseren Traviabund noch achten will oder kann. Was hab ich von einem Ehemann, wenn er einer anderen zu Willen ist? Aber…", sie warf Gwenn einen besorgten, fürsorglichen Seitenblick zu, “...natürlich warte ich bis nach dem Fest, bevor ich meinen Eltern, Vater Friedewald und Kalman etwas sage. Das versichere ich dir!”

“Dankeschön, mein Schätzchen!” Gwenn lächelte sie an. “Nur Mut! Ich bin mir sicher, früher oder später wird er einsehen, dass diese Ritterin vielleicht ein nettes Abenteuer war, aber nichts für ihn auf Dauer ist. Und dann wird er reumütig angekrochen kommen. Dann kannst du ihn Buße tun lassen, wenn du das dann noch willst. Andererseits, wenn du Travias Gebote ernst nimmst, dann bleibt dir nicht viel anderes übrig, als auf seine Einsicht und Reue zu warten, selbst wenn deine Eltern ihn verdammen. Es sei denn, sie schaffen es, beim Hohen Paar die Ehe aufheben zu lassen. Aber das ist unwahrscheinlich, solange er nicht mit der Rastlosen paktiert.”

"Ich wünschte, es wär’ so. Dass er es einsieht und zu mir zurückkommt. Du wirst lachen, Gwenn - und ich weiß, wie dumm es ist - aber ich liebe ihn noch immer so sehr, so verzweifelt." Merle seufzte resigniert. “Gudekar ist kein perfekter Mann, ganz sicher nicht. Aber er ist der Mann, den ich will.” Sie lächelte traurig und zuckte nachdenklich mit den Achseln. "Doch wenn er sich wirklich von mir abwendet, er Meta als seine Zukunft sieht, wie er sagt, dann kann ich in diesem Spiel nichts gewinnen, was für mich von Wert ist. Dann scheint es mir ehrlicher und rechtschaffener, bei der Traviakirche vorzusprechen und die Dinge beim Namen zu nennen. Alles andere ist doch scheinheilige Augenwischerei…” Sie beschleunigte ihre Schritte, während sie sichtlich aufgebracht weiter redete. “Weißt du, wie ich’s verstanden habe, kann ein Bund durchaus gelöst werden, wenn einer offen und schamlos der Göttin frevelt und keine Hoffnung auf Reue und Sühne besteht. Und ich fürchte, auf genau diesem Weg ist Gudekar jetzt.” Sie presste die Lippen zusammen, um nicht wieder in Tränen auszubrechen. “Ach Gwenn, ich glaube, ich will, dass die Kirche, das Heilige Paar in Rommilys und letztendlich die Gütige Mutter selbst über unseren Bund richten. Vermutlich brauche ich das, um mich selbst wieder im Spiegel anblicken zu können. Ich sehne mich nach Travias Nähe und Geborgenheit.” Sie schluckte und senkte die Stimme. “Und nach meinen Eltern.”

“Das verstehe ich”, sagte Gwenn mit sanfter Stimme. Sie hatte fast den Fuß der Treppe erreicht, als sie von oben Kalmans Stimme hörte.

“Gwenn! Merle!” rief er ihnen nach und eilte zum Treppenabsatz. Als sich Gwenn und Merle umblickten, wedelte er mit einem Briefumschlag. “Könnte es sein, dass ihr etwas auf Vaters Schreibtisch vergessen habt?” fragte er mit strenger Stimme.

Gwenn fasste sich sofort an ihren Ausschnitt. Der Brief war weg. Natürlich! Gedankenverloren hatte sie ihn abgelegt, als sie in der Schublade nach Siegelwachs suchte, damit er nicht geknickt wurde. Und dann kam überraschend Kalman hinein und hatte sie abgelenkt. “Oh!”, gab sie lediglich von sich.

Leise stöhnend stieß Merle die Luft aus. Warum konnte nicht einmal etwas glatt gehen heute? Sie schaute zu Kalman, lächelte ihn dankbar an und eilte die Treppen wieder hoch. "Ach, der Brief. Den hat mir Bernhelm vorhin überreicht, weil er Gudekar nirgends finden konnte", erklärte sie, un. "Geb ich ihm nachher, wenn ich ihn sehe."

Kalman schüttelte verwundert den Kopf. “Ihr beiden solltet wirklich vorsichtiger mit den Briefen für andere Personen sein, vor allem, wenn sie vertraulich zu sein scheinen. Gwenn, dass solltest du am Gräfinnenhof doch gelernt haben. Man kann nie wissen, wenn er in falsche Hände gerät, wer so einen Brief heimlich öffnet und Dinge liest, die nicht für seine Augen bestimmt sind.” Kalman zögerte einen Moment, Merle den Brief auszuhändigen. “Ich habe eben, als ich von draußen kam, Gudekars Stimme gehört. Er redet, glaube ich, mit Rhodan. Ich denke, ich werde meinem Bruder den Brief selbst bringen.”

Gwenn ärgerte sich maßlos über ihre Unachtsamkeit, so etwas ist ihr sonst nie passiert. “Mach dir keine Mühe, Bruderherz”, wiegelte sie ab. “Wir gehen eh hinunter, ich kann ihn gleich unten abgeben.”

"Ja, wir bringen ihm den Brief jetzt gleich", nickte Merle bestätigend. "Der Bernhelm hatte ja ein ganz schlechtes Gewissen, weil er ihn Gudekar längst hätte geben sollen. Da hab ich gesagt, ich übernehm' das." Sie schaute ihrem Schwager mit einem aufrichtigen, freundlichen Lächeln in die Augen. "Keine Sorge, wir erledigen das sofort, damit es nicht wieder vergessen wird. Vielleicht kann Gudekar uns dann nachher beim Abendessen einen Anhaltspunkt geben, was drin stand", sie senkte die Stimme, "...falls es nicht zu geheim ist.”

“Danke, Merle!” Kalman lächelte seine Schwägerin an und gab ihr den Brief. “Ich weiß, auf dich ist Verlass.” Gwenn drehte sich um und pustete erleichtert die Luft aus den halb zusammengepressten Lippen. Sie wollte gerade die Treppe weiter hinabsteigen, als Kalman sie noch einmal ansprach. “Gwenn, wenn du eh gerade hier bist… Dein Brief an Rhodan muss noch einen Moment warten.” Die morgige Braut schaute ihren Bruder fragend an. “Das Wetter macht mir Sorgen. Bei dem Unwetter können wir heute wohl kaum auf dem Dorfplatz feiern. Könntest du bitte kurz mit mir besprechen, wie wir umplanen?”

Gwenn schaute zu Merle und zog genervt die Mundwinkel nach unten. “Tut mir leid, Merle, das muss wohl noch etwas warten.” Sie reichte Gudekars Frau die Klinge und das Siegelwachs. “Nimm das schon mal mit auf dein Zimmer, ich komme dann nach.”

"Natürlich, kein Problem", entgegnete Merle betont heiter und legte Gwenn kurz die Hand auf die Schulter. "Mach' dir keine Sorgen. Du bist die Braut, alles muss sich eh nach dir richten." Sie lächelte beide an, neigte kurz den Kopf vor Kalman und ging schnellen Schrittes herunter. Nicht, dass ihrem Schwager noch mehr einfiel. In ihrer Kammer würde sie schon einmal versuchen, mit der Klinge das Siegel sauber zu trennen. So viel fummeliger als das Nähen einer Wunde konnte es nicht sein. Schwieriger dürfte es sein, das Siegel anschließend wieder zu reparieren, aber das konnte Gwenn dann ja später versuchen.

Übergang zu 5. Akt: Schlechte Nachrichten

~ * ~

Wir haben auch zu reden!

(13:00; Meta, Rhodan, Gudekar)

Rhodan Herrenfels hatte nach dem Gespräch mit Gwenn und Merle noch einmal kurz mit der Magd Wiltrud geredet und erfahren, dass Meta Croy zur Zeit in der Waschküche ein Bad mit der Geweihten Imelda nahm. Rhodan hatte daraufhin Wiltrud gebeten, Meta zu einem Gespräch in den Salon einzuladen. Es dauerte gar nicht lange, bis Meta tatsächlich in dem kleinen Nebenraum des großen Speisesaals erschien, allerdings in Begleitung ihres Geliebten Gudekar von Weissenquell.

Diese Konstellation überraschte - und störte - den großen Händler. Er hatte es sich in einem Sessel des Salons bequem gemacht und nippte an einem Glas goldfarbenen Brandes. Er hatte eigentlich genug Grund, mit der jungen Ritterin allein zu sprechen - schließlich hütete sie, wie er wusste, eines der Sternenkinder. “Oh, der Herr Magister und Frau Croy. Danke Euch für Eure Zeit”, meinte der Herrenfelser, die Contenance bewahrend.

„Seid gegrüßt, Meister Herrenfels, Schwager, falls ich das bereits sagen darf.“ Der Anconiter deutete eine leichte Verbeugung an und lächelte freundschaftlich. „Verzeiht mein uneingeladenes Erscheinen. Die Dame Croy bat mich, sie zu begleiten.“ Ungefragt ließ der Magier sich ebenfalls in einem der Sessel nieder.

“Selbstverständlich, selbstverständlich - das sind die Lande Eurer Familie, Schwager. Hier habt Ihr keinen Anlass, Euch zu rechtfertigen”, konstatierte er, doch schwang in dem Satz eine unausgesprochene Frage mit. “Dass Ihr zusammen mit der Dame Croy reist, kann nur eine Folge dieser latenten Bedrohung sein, von der Herr von Mersingen immer spricht. Ein tapferes Schwert an seiner Seite zu wissen, das beruhigt den Geist.”

“In der Tat, werter Bräutigam. Das Böse ist immer und überall. Das wissen wir ja schon.” Sie hob ihre Hand, damit der Händler nicht mit einem Schwall Worte von dem eigentlichen Thema ablenkte. “Gudekar, wir haben kurz etwas unter vier Augen und Ohren zu besprechen. Du bist doch so lieb und wartest im Nachbarraum, bis wir mit dem Thema fertig sind.---Was für ein Sauwetter.”

Die junge Ritterin überraschte den Magier immer wieder. Eben noch bittet sie ihn, sie zu dem Gespräch zu begleiten, und kaum hatte er es sich gemütlich gemacht, komplimentierte sie ihn wieder hinaus. Skeptisch guckend prüfte sein Blick seine Geliebte für mehrere Herzschläge. Dann stand er gemächlich auf. “Ganz wie es beliebt. Ich werde in der Küche mal nach dem Rechten schauen. Nicht, dass jemand auf die Idee kommt, der Hochzeitsgesellschaft eine vergiftete Suppe unterzujubeln.”

“Mach das, es soll sich nicht auch noch jemand den Magen verderben.” Seine Leibwache zwinkerte ihm zu und schmunzelte leicht. “Todo bien. No te enjoces.” Er mochte es, wenn sie ab und zu so mit ihm sprach und Gudekar bemühte sich ehrgeizig, den alten Dialekt zu lernen. Nur beherrschte der feiste Händler den Dialekt bereits, ließ sich aber nichts anmerken.

Der Anconiter ging zur Tür, blickte beim Öffnen derselben noch einmal auf Rhodan und Meta. Es wunderte ihn, dass Meta ihn hinaus schickte, noch bevor sie seinen zukünftigen Schwager begrüßt hatte. Es wirkte, als seien die beiden mehr miteinander vertraut, als Gudekar wusste. Das machte ihn skeptisch. “Du weißt, wo du mich findest.” Ganz langsam verließ er den Raum und schloss die Tür hinter sich.

Als er gegangen war, wandte Meta sich wieder Rhodan zu. “So, Rhodan. Ihr wurdet als unser Ansprechpartner auserwählt, also reden wir gleich Tacheles. Zaina hat sich plötzlich manifestiert und nimmt gerade am Leben hier teil. Wie geht es Eurem Haufen?”

Mit einer solchen Botschaft hatte der Händler nicht auch nur im Ansatz gerechnet und das warf ihn aus seiner gut vorbereiteten Bahn. Er verschluckte sich an seinem Schnaps, prustete und setzte das Glas nur mit Mühe ab, ohne eine Sauerei zu veranstalten. „Ah, was?! Bei allen Zwölfen - und ihr sitzt noch immer seelenruhig da und tut nichts? Habt Ihr schon mit ihr gesprochen, sie dazu bewogen, sich einen anderen Tag oder besser einen anderen Ort auszusuchen? Das ist ein wahrlich schlechter Zeitpunkt! Wo befindet sie sich?“

„Sie ist in Sicherheit. Ansonsten, wenn es hier zu gefährlich wird, werde ich mich um sie kümmern.“ Meta hob kurz ihre Kette. „Das ist ihr Ort. Sie kam recht plötzlich und hat keine Ahnung, was sie wirklich ist. Mich hält sie für eine gute Freundin. Hm, hattet Ihr schon mal Kontakt mit einem von uns, der ein Problem hatte?“ Sie sah kurz zur Tür, hinter der Gudekar wartete. „Soll ich versuchen, sie zu überreden, dass es unmanifestiert gerade am sichersten ist heute. Am frühen Abend will ich sie aber auflesen…“

„Nein, bisher nicht. Bisher ist nur mein Haufen umtriebig. Sie als gute Freundin zu betrachten und so mit ihr umzugehen, das ist sinnvoll. Doch Ihr müsst ihr klarmachen, was sie ist und was für besondere Regeln deshalb gelten. Die jetzige Situation ist so ein Moment, in der besondere Regeln greifen.“ Er deutete auf die Tür. „Die Familie Weissenquell muss erst an diese Ausnahmesituation herangeführt werden. Sollte ich womöglich ein Gespräch mit Zaina führen?“

“Was bitte hat die Familie Weissenquell mit Zaina zu tun. Ich passe auf sie auf und es werden sie so wenig Leute wie möglich sehen. Das kläre ich mit ihr bei Alegretta, unserer Rahjani in Linnartstein.” Was faselte der Rhodan daher? Grad diese Familie wollte sie heraushalten. “Gwenn weiß also über deinen Haufen schon Bescheid, oder?”

„Wir haben keine Geheimnisse“, antwortete er kryptisch. „Ihr seid doch aktuell berufen, einen Angehörigen der Familie Weissenquell zu beschützen, nicht wahr? Dann wird es kurz oder lang dazu kommen, dass Eure Verantwortung zur Bürde wird, wenn Ihr nicht mit offenen Karten spielt. Oder ist der Herr Magus in Kenntnis gesetzt?“

Meta schmunzelte und betrachtete den großen Mann mit einem eigenartigen Blick, dann lupfte sie die Augenbrauen. „Wahrscheinlich so sehr wie Eure Gattin in Spe. Wichtiger ist doch jetzt, sich zu überlegen, was mit den Geschöpfen passiert. Werden sich die anderen auch verwandeln? Und warum? Ich habe sie gut untergebracht, ihr wird nichts geschehen, bis ich sie abhole. Dann… wie haltet Ihr eigentlich zu den anderen Kontakt? Ronan ist so flauschig geworden.“

Der dicke Mann lachte ein wenig ob der Vorstellung des kleinen Füchschens. “Gab es einen Auslöser für die Manifestation hier?”, stellte Rhodan eine Gegenfrage. Er hatte seine Mittel und Wege, mit den Geschenken seines himmlischen Herrn in Verbindung zu treten. Aber die gingen die Ritterin nichts an.

Den Kopf leicht schräg und den Blick in unbekannte Ferne überlegte sie. “Hm. Schwer zu sagen. Wenn es bei deinem Haufen vorgekommen ist, was war denn da der Auslöser? Ich kann mir darunter nichts vorstellen.”

"Nein. Unser Kontor ist so anonym, hier können sie sich austoben, solange unser Schatzmeister in seinem Kämmerchen bleibt - und das ist so gut wie immer. Aber das hier ist etwas anderes!"

„Deine sind ja eine ganze Horde und noch kleiner. Das ist sicher nicht einfach.“ Meta zuckte mit den Schultern. „Schad, ich hätte euch für den großen Tag morgen ein besseres Wetter gewünscht.“ Sie lachte neckisch. „Und ihr werdet doch sicher bald noch mehr Kindchen haben, auf die ihr aufpasst. Bevor ich wieder in dieses Wetter raus muss, noch eine Frage. Wie werdet ihr es machen, sollte Gwenn ein Kind bekommen? Bleibt sie mit Amme und Zofe daheim, oder wird sie mit dir durch Aventurien ziehen?“ Meta nutze die Zeit, die Rhodan brauchte und rief Richtung Küche. „Gudekar, kannst kommen!“

Da die Küche, in die Gudekar gegangen war, vom Salon durch den Speisesaal und einen Flur getrennt war, konnte Gudekar Metas Rufen nicht hören.

Der Händler sah die Ritterin durchdringend an. Seine Körpersprache wechselte zu seriöser Verbindlichkeit. "Ich werde meine Frau nicht mit unseren Kindern zuhause sitzen lassen, während ich die Weiten des Landes bereise. Ich werde für sie da sein - und bei ihnen bleiben. Sobald sie können, werden sie mich begleiten, wenn meine Pflicht ruft. Ich werde keine Familie auseinanderreißen."

Meta verdrehte die Augen, als aus Richtung Küche niemand kam. Dann war sie wieder bei Rhodan. „Das verstehst du falsch. Auch Verema, meine Junkerin lässt ihre Kinder in Obhut einer Amme, wenn sie fort ist. Anders geht es nicht und ihr werdet euch doch eine Gute leisten können?

Gudekar ist es wahrscheinlich fad geworden, oder er fürchtet, dass du auch mit ihm ein Gespräch suchen wirst. Von meiner Seite ist das geklärt, ich danke dir vielmals, dass du meine Sorgen um Zaina angehört hast. Sicher kommen die Träger immer wieder auf dich zu. Und was für ein Zufall, dass du anwesend warst… wart’, vielleicht ist das eine verspätete Reaktion Zainas darauf, das wäre kein Problem. Ach, wir haben uns ja da beim Abendessen getroffen. Und Gwenn auch. So wisst ihr, dass wir auf keinen Fall euer Fest stören wollten.“ Beschämt sah sie auf den Boden und zwirbelte eine Haarsträhne um den Zeigefinger. „Ihr habt ein glückliches Fest voll Harmonie und Liebe verdient. Wir werden versuchen, es weiter dabei zu belassen. Schickt eine Rechnung - ich will sie zuerst sehen - zu Thymon vom traurigen Stein. Eine Kiste Wein wird viele Leute besänftigen. Schade, dass wir beim Sternenfall so gut wie nie gequatscht haben. Aber so ist es nun mal. Hast du noch Fragen?“

Die Tür zum Salon öffnete sich und der Anconiter trat hinein. Zielstrebig setzte er sich in einen Sessel, stützte die Ellenbogen auf die Armlehnen und führte die Fingerspitzen der beiden Hände zusammen. “Harka teilte mir mit, dass nach mir gerufen wurde. Nun, hier bin ich.”

Meta drehte sich um und lächelte. „Ich hab eben gefragt, ob Rhodan noch etwas von mir wissen will.“

„So“, kommentierte Gudekar und blickte fragend zu Rhodan. „Und? Will er?“

Rhodan lächelte freundlich und blickte vom Einen zur Anderen. „Werter Schwager, wir - das heißt Frau Croy und ich - haben uns gerade über den störungsfreien Ablauf der Feier unterhalten. Wir, das heißt Gwenn und ich, freuen uns natürlich auf die morgigen Feierlichkeiten und wünschen uns Harmonie und Frieden für die Familie Weissenquell und die Hofhaltung hier. Doch sieht ja aktuell alles so aus, als würde dem nichts entgegen stehen. Was plant Ihr zu unternehmen, sobald die Feierlichkeiten rum sind?“ Ohne das ‚Ihr‘ näher zu spezifizieren, blickte der Händler zwischen seinen Gesprächspartnern hin und her.

Gudekar musterte den Kaufmann eindringlich. „Wenn es während dieser Feier zu Störungen und Unfrieden kommt, oder gekommen sein sollte, so liegt das wohl nicht in der Verantwortung der Dame Croy oder von mir. Ich sagte bereits im Vorfeld zu Gwenn, dass auch mir an einem harmonischen Ablauf des Festes gelegen ist. Auch das ist der Grund, warum mich die Dame Croy als Bedeckung begleitet. Während die Familie Weissenquell in gemütlicher Runde Euer Traviafest feiert, müssen andere darüber wachen, dass es zu keinen Zwischenfällen wie in Herzogenfurt kommt. Da die Dame Croy mit den damaligen Vorfällen vertraut ist und sich mir gegenüber bereits des Öfteren als fähige Schwertgesellin bewiesen hat, hielt ich es für angemessen, sie auch hier um weiteren Schutz zu bitten. Das Haus Weissenquell scheint dies ja nicht für notwendig zu halten, haben Vater und Kalman ja bereits einen der beiden Plötzbogner, die ich zur Sicherheit des Lützeltals herausgehandelt hatte, wieder fortgeschickt.“ Der Magier blickte ins Kaminfeuer und beobachtete, wie ein fast vollständig abgebrannter Scheit knisternd in sich zusammen fiel. „In der Zeit nach der Hochzeit werde ich in Albenhus meine Abreise vorbereiten. Sobald Firun seinen Atem wieder vom Land nimmt, werden wir in die Rabenmark reisen. Ich nehme dort die Anstellung als Hofmagier vom Baron von Tälerort auf. Und auch die Dame Croy wird ihr Schwert in seinen Dienst stellen.“

Der Kontormeister nahm zur Kenntnis, dass Gudekar Störung und Unfrieden unmittelbar mit sich - und seiner Gespielin - verband. Das zeugte von einer fragilen Selbstachtung und zugleich einem Schimmer von Selbsterkenntnis. Der erste Weg zur Besserung. „Ach ja, Herr Lares spricht unablässig von den Schrecken dieser Festivität - und warnt vor weit Schlimmerem. Ihr tut gut daran, auf der Hut zu sein. Die Feinde der Rechtschaffenen sind immer fleißig - und vernageln einem so manche Freude“, bestätigte Rhodan. „Die Rabenmark ist fern Eurer Heimat, gelehrter Herr. Was verschlägt Euch in diese fernen Lande? Ihr werdet mit Euren gefragten Fähigkeiten doch sicher eine Anstellung an einem hiesigen Hof finden! Wer würde die Dienste eines aufrechten Kenner der magia curativa ausschlagen? Ein Familienmitglied zu gewinnen und sobald schon an die Ferne zu verlieren - das ist ein Jammer!“

„Nun“, holte Gudekar aus, „die Zeit, die ich dem Orden zu dienen hatte, göttergefällige zwölf Jahre, sind nun um, und es ist an der Zeit, neue Wege zu gehen. Um meiner neuen Berufung gerecht zu werden, sind neue Kompetenzen erforderlich, und das Zusammentreffen mit seiner Hochgeboren in Klippag bot die Gelegenheit, dort neue Erfahrungen zu sammeln, die später im Einsatz für das Wohl der Nordmarken von Vorteil sein könnten. Um die Schrecken, von denen seine Wohlgeboren von Mersingen spricht, und denen wir nicht nur einmal gemeinsam begegnet sind, bekämpfen zu können, muss ich mehr über sie erfahren. Und wo ginge dies besser, als in der Rabenmark, einem Landstrich, der auf bestem Wege ist, solche Schrecken zu verbannen?“

Bis hierhin hatte Meta den beiden Herren zugehört. Jetzt zog sie den Stuhl eines kleinen, hübschen Tischleins zu sich und setzte sich. „Gudekar, warte einen Moment. Du kannst mich vor ihm Meta nennen. Rhodan weiß Bescheid. Am ersten Abend habe ich kurz mit Gwenn geredet. Recht offen.“ Sie schmunzelte, als sie ihn direkt ansah. „Und Dame Croy, das ist so ungewohnt… wieder Meta.“ Sie drehte sich zu Rhodan. „Was wolltet ihr gleich mit mir besprechen?“

Der Kontormeister verbarg seine Verwunderung über das Verhalten der jungen Ritterin geschickt - waren sie schließlich nicht beim unförmlichen Umgang, doch schadete es nicht. „Ich bin mir nicht sicher, ob die Rabenmark schon so weit ist, die Schrecken der Vergangenheit abzuschütteln. Der Hof Ihrer Hochwohlgeboren von Rabenmund bemüht sich nach Kräften, die Dunkelheit abzuschütteln, die das Land noch immer versehrt. Und so viel man hört, macht sie beachtliche Fortschritte. Aber von ‚verbannen‘ kann noch keine Rede sein. Ein gefährlicher Landstrich; nichts für einen wie mich, muss ich gestehen. Man kann sich seiner Geschäfte nicht sicher sein; nicht einmal der Unversehrtheit seiner Haut! Und immer diese Streitigkeiten zwischen den neuen und den alten Herrschern. Ihre Wohlgeboren Miranda scheint selbst die Beziehungen noch nicht entwirrt zu haben.“

Metas Einwurf öffnete Gudekar die Augen. Rhodan wusste also tatsächlich von Gudekars Beziehung zu Meta. Dies rückte dessen Fragen und Bemerkungen natürlich in ein ganz anderes Licht. “Lassen wir doch einfach diese Wortspiele, werter Schwager. Es geht doch nicht darum, wie weit oder nicht weit der Schrecken in der Rabenmark tatsächlich bereits zurückgedrängt werden konnte. Das ist doch lediglich Wortklauberei. Auch kann ich dies nicht selbst beurteilen, solange ich noch nicht dort war. Tatsache ist, dass der Baron für meine Unterstützung äußerst dankbar ist, kann dort wohl noch immer jede helfende Hand gebraucht werden. Und Tatsache ist, dass das, was ich dort über den Kampf gegen die Dämonenbrut lernen kann, äußerst hilfreich auch hier im Kampf gegen den Lolgramothpaktierer sein kann.” Gudekars Augen fixierten nun den feisten Händler. “Aber darum geht es Euch doch im Grunde gar nicht. Habe ich recht? Ihr macht Euch Sorgen um die Verhältnisse der Familie, in die Ihr morgen einheiraten wollt. Ihr macht Euch Sorgen um den Ruf dieser Familie und damit um Euren Ruf. Sehe ich das richtig? Immerhin hat sich hier für Euch eine Tür zum Adelsstand geöffnet, auch wenn Eure Gattin nicht selbst ein Lehen erben wird. Und vielleicht besteht für Euch die Hoffnung, dass Gwenn aufgrund Ihrer Beziehungen zum Gräfinnenhof irgendwann doch selbst belehnt wird. So ist es doch?” Gudekar beobachtete jede Reaktion des Mannes.

“Seid unbesorgt, ich habe nicht vor, Euren Ruf zu beschädigen, oder den meiner Schwester. Deshalb hatte ich Gwenn auch zugesichert, meine Pläne - unsere Pläne erst nach Eurer Vermählung offenzulegen. Es sollte so wenig Aufsehen wie möglich erregen.” Gudekar ergriff Metas Hand und drückte sie, gab ihr einen zärtlichen Kuss auf den Handrücken. “Es war jedoch scheinbar Eure geliebte Braut, die letztlich entschieden hat, meine Gemahlin schon vorab von meinen Gefühlen zu Meta in Kenntnis zu setzen, und die versucht hat Unfrieden zu stiften, indem sie Merle in unserem intimsten Moment auf uns gehetzt hat.”

Rhodan verzog das Gesicht zu einem mitleidigen Lächeln und versuchte den Magus in seinem Wortschwall mit offenen Händen zu beschwichtigen. „Aber, aber - ich glaube, Ihr scheint mir gerade Schlüsse zu ziehen, die übers Ziel hinausschießen. Wenn man Euren Worten lauscht, könnte man gar vermuten, Ihr wolltet mich beleidigen. Aber dem ist bekanntlich nicht so. Also legen wir diese Vermutungen doch beiseite und kehren zu dem zurück, was ich sagte: Wohlgeboren Miranda berichtet, seit sie am Hof der Markgräfin weilt, von großen Konflikten zwischen den jungen Häusern, die sich im ehemaligen Darpatien Land und Ruhm erkämpft haben und den alten Häusern mit großem Einfluss, die das Land tatsächlich regieren. Zu Letzteren zählt die Familie von Mersingen. Das Haus hat durch den Sphärenschänder und die wilden Kriegsfürsten viel verloren - und holt sich seine Pfründe nunmehr Stück für Stück zurück. Niemand wagt es, sich in der Rabenmark mit dem Meister der Golgariten und seiner Hausmacht anzulegen. Deswegen ist es dem Haus meines Herren ein besonderes Anliegen, über alle Geschehnisse informiert und über jeden Mann in Kenntnis zu sein, der auf darpatischem Boden weilt. Und dessen Beweggründe und Ziele.“

Gudekar verzog keine Miene. “Werter Schwager, wenn man Euren Worten lauscht”, ahmte er Rhodan nach, “könnte man gar vermuten, Ihr wolltet mir vorschreiben, wo ich hinzugehen habe und wohin nicht. Aber dem ist bekanntlich nicht so. Ich denke, und ich bin mir nicht sicher, ob mich dies nicht noch mehr beunruhigen sollte, es ist Euer Anliegen, mich um einen Gefallen für Euren Herren zu bitten, sollte ich nach Tälerort gehen.”

„Ach, mein Herr hat keine Gefallen nötig. Seine Familie ist, wie ausgeführt, in der Rabenmark fest verwurzelt. Aber womöglich der Baron von Tälerort - oder Ihr? So ganz allein in der Ferne.“ Der dicke Mann zuckte die Achseln. Langsam ging ihm der aggressive Ton des Magus auf die Nerven. Herablassend, irrlichternd, uneinsichtig. So einer fiel immer sehr tief.

“Allein? Solange wir beide Gäste des Barons sind, sind wir nicht allein. Ich wüsste nicht, was Ihr uns bieten könntet, das wir nicht auch von seiner Hochgeboren geboten bekommen.” Warum musste dieser Mann so lange um den heißen Brei herum reden? Was wollte er nur?

“Na dann seid Ihr wohl bestens versorgt, wie ich feststellen darf.” Rhodan trank genüsslich seinen Schnaps aus und erhob sich von seinem Sessel. “Die Zwölfe zum Gruße und Aves voran”, verabschiedete er sich. Als er bereits im Türrahmen war, drehte er um und meinte beiläufig: “Ich vergaß Euch auszurichten, dass Eure Frau Euch bereits zur Efferdstunde zu sprechen beabsichtigt.”

“Wartet, werter Schwager!” Gudekar stand hastig auf und ging auf Rhodan zu, nicht drohend sondern freundlich, um Rhodan deutlich zu machen, dass für ihn das Gespräch noch nicht beendet war. “Verzeiht, aber Ihr habt nicht ohne Hintergedanken den Einfluss des Hauses Mersingen in der Rabenmark erwähnt. Was war Eure Intention dabei?” Den Hinweis auf die Vorverlegung ignorierte Gudekar, wobei es nicht offensichtlich war, ob er dies absichtlich tat, oder ob er dies gar nicht registriert hatte.

Die rechte Hand in läppischer Geste erhoben meinte der Händler: „Na Frau Miranda von Mersingen weilt jetzt am Markgrafenhof und dient ihrer Hochwohlgeboren von Rabenmund höchstpersönlich. Sie wird sich dafür interessieren, wen die Lehensleute ihrer Herrin beschäftigen und warum sie die darpatischen Lande aufsuchen. Das gehört schließlich zu ihrer Verantwortung.“

“Nun, ja.” Der Magier wusste noch immer nicht, was er davon halten sollte. “Ich gehe davon aus, dass das Haus Mersingen unsere Anwesenheit dort mit Wohlwollen betrachten wird. Schließlich ist es unser Anliegen, den jungen Baron in seinem Kampf gegen das Dämonengezücht zu unterstützen. Kann ich mir der Unterstützung durch die Schwester Eures Herren gewiss sein?”

„Oh, das müsst ihr sie selbst fragen. Und den Herrn Lares noch dazu! Ich bin schließlich nur der Kontormeister“, erwiderte Rhodan leichthin.

“Das wohl”, brachte Gudekar hervor. “Jedoch könntet ihr im Sinne Eurer Zukünftigen, im Sinne des familiären Zusammenhalts ein gutes Wort für uns bei Eurem Herren einlegen.”

„Im Sinne meiner Zukünftigen und des Hauses Weissenquell - das werde ich wohl“, bestätigte der Händler - und nutzte die Zweideutigkeit bewusst, die ihm sein Gegenüber offenließ. „Und den Termin nicht vergessen!“ Rhodan zog ein wertvolles Vinsalter Taschenei aus seiner Weste und prüfte demonstrativ die Uhrzeit. „So spät schon?“

Gudekar deutete eine Verneigung an. “Habt Dank für Euer Wohlwollen, werter Schwager.” Er blickte Rhodan noch einmal tief in die Augen. Wäre es nicht der Verlobte seiner Schwester gewesen, wäre der Magier in die Versuchung gekommen, sein Anliegen mit einem Bannbaladin zu unterstreichen. Aber innerhalb der Familie gehörte sich dies nicht. “Noch einmal: Ihr könnt gewiss sein, dass es nicht in Metas oder meiner Absicht liegt, die Harmonie auf Eurem Traviafest zu beeinträchtigen.” Gudekar legte ein schelmisches Schmunzeln in sein Gesicht. “Ich wünsche Euch nun noch einen angenehmen letzten Tag in Freiheit.”

Meta hatte dem Gespräch zwischen Rhodan und Gudekar gelauscht und kurz einen Funken Hoffnung verspürt. Doch dieser war erloschen. Natürlich, dachte sie. Alle Wege für uns sind Sackgassen. Leise flüsterte sie: “Gudi, lass uns zum Gasthaus gehen. Seine Reaktion verwundert mich schon nicht mehr. Nichts und niemand ist auf unserer Seite.“

“Wir sind auf unserer Seite. Das muss uns reichen. Lass uns die Hoffnung nicht verlieren.” Gudekar legte seinen Arm um Meta und führte sie hinaus in das Unwetter.

~ * ~

Schlummern in der Schmiede

Imelda von Hadingen hatte ihre Freundin und deren verschrobenen Liebhaber nach dem Bad im Gutshof zurückgelassen, um sich in ihrem Quartier in der Schmiede für einen Mittagsschlummer hinzulegen. Als sie das Haus betrat, schaute Limrog zu ihr und sofort zog sich ein Lächeln über sein Gesicht. “Eure Gnaden! Wie war Euer Bad?” Bevor Imelda antworten konnte, lief er mit einem fast fertigen Leuchter zu ihr hin. “Seht, ich muss nur noch die Rosen schmieden und anschweißen.”

Imelda hatte die Tür hinter sich kräftig zugeschlagen und wollte gerade müde in ihr Gemach hochschlurfen, als Meister Limrog ihr den Leuchter entgegenhielt. Sofort leuchteten die Augen der jungen Hadingerin auf. “Oh, großartig!”, rief sie aus und riss dem Angroscho das gute Stück aus der Hand, um dieses genauer zu begutachten. Sie schaute, ob alle Füße die gleiche Länge hatten, die gleiche Form oder der geschmiedete Stahl Fehler aufwies. Erst nachdem sie alles genauestens unter die Lupe genommen hatte, nickte sie Meister Limrog zufrieden zu. “Das ist erstklassige Arbeit. Ganz ausgezeichnet! Und so schnell, Ihr seid ja quasi fast fertig.” Imelda ging zu dem Bierfass und goss dem Schmied und sich selbst einen Krug ein. “Hier, für Eure fleißige Arbeit. Darf ich Euch Gesellschaft leisten, bis Ihr fertig seid? Ich sage Euch, ich hatte noch nie in meinem Leben ein so anstrengendes Schaumbad wie gerade eben.”

Der Zwerg beobachtete genau, wie Imelda den Leuchter untersuchte. Er blieb einen Moment stumm, bevor er zu Imelda blickte und herzhaft zu lachen begann. “Ich habe ja noch nie gehört, dass ein Bad anstrengend sein soll. Ich hielt dies immer eher für entspannend. Ihr habt einen wunderbaren Humor!” Vorsichtig nahm er Imelda den Leuchter wieder aus der Hand. “Ja, es ist ein Meisterstück. Viel zu schade, es dem Magier zu übergeben. Aber es soll ja ein Geschenk für die Dame Gwenn werden. Sie soll sich in der Ferne in Freude an die Heimat erinnern. Nun, das schwierigste und langwierigste kommt aber noch mit den Rosen.” Dann wurde dem Angroscho bewusst, dass Imelda ihre Bemerkung ernst meinte. Mit väterlichem Wohlwollen lud er die Geweihte ein. “Wenn es tatsächlich so anstrengend war, dann setzt Euch doch einfach dort auf den Schemel. Dort auf der Esse, in der Pfanne schmoren Wurzeln mit Karnickel. Probiert doch mal, ob es noch ein paar Kräuter oder Salz braucht. Wenn es gut ist, müsste noch der Rahm untergerührt werden, der dort im Krug am Fenster steht. Nehmt Euch dann eine Schale und etwas Brot. Und vergesst nicht, mir auch etwas aufzutun!”

Die Hadingerin schaute neugierig in den Topf, nahm sich einen der Löffel, pustete und probierte vorsichtig. “Mmmh, sehr lecker!”, rief sie. “Salz ist genug, aber ich nehme noch ein bisschen was von den Kräutern!” Es dauerte nicht lange und die Geweihte kam mit zwei dampfenden Schüsseln zum Esstisch, wo sie auch die Krüge abgestellt hatte. “Sieht nach einem guten Mahl aus. Und? Seid Ihr mit den Rosen weitergekommen?”, fragte sie und probierte im gleichen Moment von dem Pfannengericht. “Schön würzig, nicht wahr? Das Kaninchen ist auch wirklich lecker!”, versuchte sie kauend gleich ihre Meinung kund zu tun.

Limrog legte den Schmiedehammer beiseite und wischte sich die Hände an der Schürze ab. Er ging zu Imelda hinüber und setzte sich ihr gegenüber. Neugierig steckte er sich einen Löffel voll in den Mund. “Oh ja, das habt Ihr gut abgeschmeckt! Das Wichtige ist, die Kräuter nicht zu früh und nicht zu spät zuzufügen. Kommen sie zu spät, entfalten sie nicht ihr Aroma, kochen sie zu lange, werden sie bitter.” Plötzlich stand er auf und schlurfte zum Fenster. “Aber Ihr habt den Rahm vergessen!” Mit dem kleinen Krug kam er zurück und goss sich einen kräftigen Schuss Sahne in die Schüssel. “Wollt Ihr auch?”

“Oh ja, gerne. Den Rahm hatte ich übersehen”, sagte sie freudig und hielt ihm ihre Schüssel entgegen. Imelda dachte über Limrogs Worte bezüglich der Kräuter nach. “Auf meiner Walz habe ich ab und zu gekocht, wenn es Fleisch gab. Da habe ich wohl meist die Kräuter zu früh dazugegeben. Aber ich war oft froh, wenn es überhaupt etwas gab. Die meiste Zeit in der Wildnis habe ich mich von rohen Möhren ernährt, die ich auch meinem Grautier gegeben habe.” Mit einem Lächeln nahm sie den nächsten Happen von dem Eintopf. “Wirklich lecker, ganz hervorragend!”, befand sie erneut nuschelnd. “Ansonsten war ich immer, wenn sich die Gelegenheit ergab, irgendwo essen. Ich wollte ja auch die Spezialitäten der verschiedenen Regionen kennenlernen.”

Limrog lächelte amüsiert. “Dass Ihr Eurem Esel das Futter wegessen musstet, das tut mir wirklich leid. Aber man muss ja nicht alles essen, was irgendwo auf den Tisch gestellt wird. Da bleib ich lieber hier im Lützeltal. Das Essen schmeckt doch recht gut. Der Schmied machte eine kurze Pause. “Wenigstens etwas, das die Gigrim hier ganz manierlich hinbekommen.”

“Die Vorlieben sind gewiss ein wenig verschieden, aber auf meiner Pilgerreise durfte ich auch einige wirklich leckere Speisen Eures Volkes probieren. Einiges würde den meisten Gigrim nicht munden. Aber ich mag so ziemlich alles und fand es großartig.” Einige Momente sah Imelda den Angroscho an und vergaß dabei fast zu kauen. “Sagt, Meister Limrog, wie lange lebt Ihr schon unter den Menschen und wie kam es dazu?”

Der Schmied kaute in Ruhe auf einem Bissen Kaninchenragout, das er sich noch in den Mund schob. dann brach er sich ein Stück Brot ab und trank einen großen Schluck Bier. Erst dann antwortete er. “Ich war schon hier, als der Herr Friedewald noch ein Bub war und der Herr Hartuwal hier das Sagen hatte. Das ist eine lange Geschichte. Ich hatte Hartuwal damals auf einer Queste kennen gelernt und ihm am Ende viel zu verdanken. Schließlich bot er mir an, dass ich mich hier in seinem Lehen niederlassen und meiner Profession nachgehen konnte. Ich versprach ihm dafür, ein Auge auf seinen Sohn zu werfen.”

“Oh, das klingt spannend… Was denn für eine Queste?” fragte Imelda neugierig nach. “Habt Ihr etwa gegen einen Drachen gekämpft?”

Limrog musste lachen. Doch dann blickte er traurig. “Nein, keine Drachen. Es war nur eine Horde elender Goblins.”

Auf die Reaktion Limrogs schmunzelte Imelda. “Wäre Euch denn ein Drache als Gegner lieber gewesen?” Die Hadingerin setzte den Krug ab. “Ich kann mir vorstellen, dass das schon sehr gefährlich war. Ich bin zu meinem Glück noch nie einem Rotpelz begegnet.” Die Geweihte schaute in ihren Becher. “Dann seid Ihr also schon recht lange hier im Lützeltal... Hat es Euch denn je interessiert, noch mehr zu reisen und vom Dererund zu sehen? Wart Ihr schonmal in Herzogenfurt oder der Baronie Schweinsfold?” Imelda schlang den letzten Happen Gulasch herunter, wischte sich den Mund ab und nahm sich noch mehr vom Bier.

Limrog blieb ernst und stocherte lustlos in seinem Ragout. “Sie haben alle niedergemetzelt. Alle. Einfach so”, gab er mit eintöniger Stimme von sich. “Nein, nicht alle. Die jungen Mädchen haben sie verschleppt.”

“Das muss sehr schlimm gewesen sein”, murmelte Imelda leise. “Ich bin dankbar, dass es tapfere Recken gibt, die für das Gute einstehen.”

Limrog blickte wieder zu Imelda auf und sie sah eine Träne in seinem Auge. Er schob die trüben Erinnerungen beiseite, um auf ihre Fragen zu antworten. “Hier weggehen? Nun, hier ist mein… mein Zuhause. Hier werde ich gebraucht. Ich habe es dem alten Hartuwal versprochen, mich um Friedewald zu kümmern. Was sollte das Dorf ohne einen Schmied tun? Mika hat mir berichtet, was Ihr dem Mädchen über Hadingen erzählt habt, von Eurem Tempel, den sie gerne einmal besuchen würde. Ich vermute, die Kleine würde eine Begleitung auf ihrer Reise brauchen, der auf sie aufpasst. Aber was würde das Dorf in der Zeit ohne einen Schmied tun? Und außerdem, solange die Kleine bei dem Eisigen im Noviziat ist, wird sie Euch wohl kaum besuchen können. Erzählt mir doch ein wenig von Eurer Heimat!”

Die Hadingerin ließ sich entspannt zurückfallen und starrte nachdenklich an die Decke. “Hm, ja, also meine Heimat liegt an der Folde, einem kleinen Fluss, welcher von den Ingrakuppen firunwärts gen Herzogenfurt fließt. Es ist eine grüne und fruchtbare Landschaft; wir bauen viel Obst an, welches wir entweder essen oder zu Obstwein verarbeiten. Eine kleine Fahrstraße führt von der großen Stadt nach Hadingen, wobei der Weg immer entlang der Folde verläuft und man an diversen Bauerngehöften vorbeikommt. Das Dorf selbst ist nicht besonders groß, aber dank der Gaben Tsas mit Wohlstand gesegnet; wir haben sogar das Marktrecht. Vom Gutshof führt ein kleiner Pfad zum Tempel und den Schmieden. Wir haben eine Grob-, eine Huf- und eine Goldschmiede.” Imelda biss sich etwas auf die Unterlippe und lachte dann auf. “Also, ich bin mehr für das Grobe zu haben.”

Neugierig blickte Limrog zu Imelda. Es war schön, Imeldas Stimme zu folgen, um dabei die dunklen Erinnerungen aus dem Kopf zu vertreiben. “Und was hat das mit dem Tempel auf sich? Mika hat da mal was erzählt, aber das klang so unglaublich.” Der Schmied schmunzelte bei dem Gedanken an die jüngste Tochter seines Herrn.

“Achso?”, fragte Imelda zunächst etwas überrascht, auch wenn es für die Geweihte nur allzu verständlich war, dass die Weissenquellerin vom Hadinger Tempel erzählt hatte. “Was hat Mika denn berichtet?”

“Sie sagte so etwas, dass sich dort im Inneren des Tempels die Erde auftut und man Angroschs Blut sehen würde.” Der Zwerg schüttelte lachend den Kopf. “Also, wenn ich ihr aufgeregtes Geschwafel richtig gedeutet habe. Bitte, lacht mich nicht aus, wenn das absoluter Blödsinn ist.”

Imelda schmunzelte. “Nun, auftun tut sich nichts, jedoch kann man sich weit unter dem Tempel auf die Spuren Ingras begeben. Unser Heimattempel ist nämlich über einer tiefen Kaverne mit heißem, flüssigen Gestein gebaut und alle paar Jahre - oder Jahrzehnte - schießt da die Lava nach oben… Das ist ein großartiges, unglaubliches Spektakel, das ich als kleines Mädchen einmal mitansehen durfte! Das ist nochmal etwas ganz anderes als das Feuer der Esse…”, sagte sie schwärmerisch und starrte wieder verträumt an die Decke. “Übrigens leiten wir einen kleinen Teil der Hitze auch in unsere Essen. Wir schmieden also tatsächlich mit der heißen Glut Ingras!”

Limrog nickte anerkennend. “Sollte ich mir mal anschauen. Wenn ich hier nicht mehr gebraucht werde.” Limrog nahm einen kräftigen Schluck Bier. “Wie lang dauert die Reise von hier zu Eurem Tempel? Ach egal, ich werde hier eh noch gebraucht. Was sollten die Lützeltaler denn ohne einen Schmied machen? Und ich hab’ es ja dem alten Hartuwal versprochen. Ein solches Versprechen ist bindend.”

“Mmmhhh…”, murmelte Imelda zunächst. “Aber denkt daran, dass ich nur kurzlebig bin. Wenn Ihr mich erst in 50 Götterläufen oder so besucht, dann werdet Ihr mich kaum wiedererkennen!” lachte sie laut auf und winkte amüsiert ab. “Ach, ein paar Tage mal neue Luft schnuppern, das würde Euch sicher gut bekommen. Ihr wart doch schon seit langer Zeit nicht mehr in einer so richtig großen Schmiede und die unterirdischen Kavernen sind wirklich beeindruckend. Und Ihr habt so viele Dinge auf Vorrat geschmiedet, dass es keinem auffällt, wenn Ihr mal ein paar Tage nicht daheim seid.” Die Hadingerin lehnte sich nun nach vorne, stützte sich dabei auf ihren Ellenbogen ab und sah den Angroscho verschmitzt an. “Dann wissen die Lützeltaler Eure Arbeit auch viel mehr zu schätzen, wenn Ihr wieder zurück seid.” Müde streckte sie sich, versuchte ein Gähnen zu unterbinden und rieb sich dann kurz die Augen. “Wenn Mika mich besucht, dann solltet Ihr sie begleiten. Die Reise dauert auch nur eine knappe Woche, wenn man gemütlich unterwegs ist. Also, was meint Ihr, Meister Limrog, abgemacht?”

Der Schmied blickte seinen Gast intensiv an. Dann schlich sich langsam ein Lächeln in sein Gesicht. “Naja, auf die junge Dame würde ich jetzt nicht setzen, die wird erst ihren Weg zu Firun suchen. Aber ich werde mit Friedewald sprechen, vielleicht darf ich Euch ja nach Hause geleiten.” Limrog legte seinen Kopf schief. “Ihr seht müde aus. Geht doch nach oben und legt euch ein wenig hin. Wenn heute Abend das Fest losgeht, werde ich Euch wecken. Vielleicht schenkt ihr mir die Ehre, Euch einmal zum Tanz führen zu dürfen. Falls das Wetter sich überhaupt bessert.”

“Ich bestehe darauf, dass Ihr mir die Gunst eines Tanzes gewährt”, rief Imelda amüsiert aus. “Aber vorher etwas Schlaf würde mir ganz gut tun nach all dem Stress.” Die Hadingerin leerte eilig den Becher und wischte sich den Mund ab. “Das mit meiner Freundin erzähle ich Euch besser in einer ruhigen Minute. Könntet Ihr mich vielleicht wecken, wenn Mika von der Jagd heimkehrt? Ich möchte sie gerne gebührend in Empfang nehmen.” Zufrieden sah Imelda den Angroscho an und runzelte leicht die Stirn. “Seid Ihr eigentlich Früh- oder Spätaufsteher?”

“Natürlich, wenn ich mitbekomme, dass die Junge Dame zurückkehrt, werde ich Euch Bescheid geben”, nickte Limrog Imelda bestätigend zu. “Ich selbst? Das kommt darauf an. Wenn es etwas zu tun gibt, stehe ich früh auf. Die Dörfler mögen es nicht, wenn ich bis in die Nacht hinein den Hammer schwinge. Wenn es die Arbeit erlaubt, schlafe ich aber auch schon ab und an, bis sich Xomschog wieder senkt. Und wie ich heute gesehen habe”, lächelte der Schmied zu Imelda, “handhabt Ihr es ähnlich.”

Imelda schmunzelte: “Naja, wenn ich frei habe, dann schlafe ich richtig lang. Es gibt nichts besseres, als wirklich so lange auszuschlafen, bis man von allein aufstehen möchte! Aber normalerweise, unter der Woche, muss ich leider schon früh raus. Der Tempeldienst beginnt schon zu unsagbar früher Stunde.” Die Hadingerin zog die Schultern hoch. “Abends bin ich dann meist völlig fertig, schlurfe zum Abendessen mit meiner Familie und will mich früh hinlegen. Mache ich aber nicht”, sie grinste leicht verlegen. “Ich geh’ viel zu spät schlafen, so dass ich am nächsten Morgen wieder schrecklich müde bin.” Imelda seufzte und gähnte erneut. “Der Tempeldienst ist das Beste, was es gibt, aber auch ganz schön anstrengend.”

„Ihr habt Familie?“ Lag da eine Spur von Enttäuschung in Limrogs Stimme? „Wieso hat sie Euch nicht hierher begleitet?“

“Häh, wie? Begleitet?” Imelda blickte für einen Moment verwirrt, dann hellte sich ihre Miene verstehend auf. “Achso! Nein, nein, ich hab meinen Onkel gemeint, und meinen Großvater, meine Geschwister und so… Eine eigene Familie hab ich nicht. Ich, äh…”, sie schaute leicht verlegen, “...also, ich habe den Richtigen noch nicht gefunden, denke ich. Aber ich glaube fest an die große Liebe! Und außerdem bin ja noch jung.” Die junge Dame sprang auf, rannte halb die Treppe hoch in Richtung ihres Gemachs und rief herunter: “Also, Meister Limrog! Weckt mich dann, bitte!”

Limrogs Gesicht entspannte sich und für einen kurzen Augenblick schien er zu lächeln. Doch dann kamen alte Erinnerungen wieder auf. Während Imelda die Treppe hochlief, blickte er ihr hinterher und sprach leise, so dass Imelda es nicht mehr hören konnte: “Ich wünsche Euch, dass Ihr diese Liebe findet, und dass Ihr sie nicht vor der Zeit wieder verliert!”

Müde schlurfte Imelda in ihr Zimmer und ließ sich erschöpft in ihr Bett fallen. Vor dem Abend musste sie sich noch ordentlich zurechtmachen, doch das wollte sie erst dann tun, nachdem sie Mika und die anderen der Jagdgesellschaft in Empfang genommen hatte. Ehe sie sich versah, war sie, quer auf ihrem Bett und alle Viere von sich gestreckt, in ihren Kleidern eingeschlafen.

Imelda fiel in einen tiefen Schlaf, der sie in einen Traum führte. Sie war wieder unterwegs auf Walz, ritt auf Hilbertio, doch dieses Mal in Richtung Firun, entlang des Ufers des Neunaugensees. Sie hoffte, alte Freunde zu treffen.

~ * ~

Eine Stärkung vor der Schlacht

(13:20)

Meta und Gudekar hatten das Herrenhaus nach ihrem Gespräch mit Rhodan verlassen. Sie waren mit der überraschenden Nachricht von Gudekars zukünftigem Schwager zurückgelassen worden, dass das klärende Gespräch mit Merle und Gwenn auf den Nachmittag vorverlegt wurde. Kaum mehr als ein Stundenglas blieb ihnen, ihre gemeinsame Strategie für die Verhandlung mit Merle zu besprechen, um zu sich selbst und zueinander zu finden. Viel zu wenig Zeit, befand Gudekar. Die beiden Liebenden entschlossen sich, sich vor dem Gespräch im Wirtshaus noch etwas zu stärken und dort ihre Gefühle füreinander zu besprechen. Sie waren nur ein paar Schritte vor die Tür gegangen, als sie schon fast durchnässt waren von dem starken Regen. Der Wind pfiff durch die Häuser, die um den nun völlig verlassenen Dorfplatz verteilt standen.

Ein Teil der Familie sowie speziell geladene Gäste gingen also abends zum Essen zu Kalman. Die Auserwählten, dachte sich Meta, und diese Sippe wurde ihr noch unsympathischer. Der liebe Gudekar, erstaunlich, dass er sich bei dem Umfeld trotzdem recht gut gehalten hatte. Er ging in Gedanken versunken zum Gasthaus und sie fischte sehr zärtlich seine Hand und begann, ihre Finger mit seinen zu verschränken. Er stand unter solchem Druck. Mika lag ihr auch am Herzen. Sie hatten sich zwar nur kurz getroffen, aber sie war sich sicher, dass die lebensfrohe Schwester sich mit ihr vertragen würde. Wenn die Jagdgesellschaft doch endlich hier war. Die Wolken machten ihr zunehmend Sorgen. Und warum Imelda in den hohen Kreis aufgenommen worden war, konnte sie sich nicht erklären. Wahrscheinlich hatte es irgendwas mit der Intrige zu tun, in die sie ihre Freundin verwickelt hatten. “Komm, geh du vor und such dir den Platz, der dir am liebsten ist.” Meta hielt Gudekar die Türe auf und folgte ihm.

Gudekar schaute sich im Gastraum kurz um, um sicher zu gehen, dass keine anderen unerwünschten Gäste anwesend waren. Dann ging er zielstrebig auf einen Tisch in einer Nische zu, in der sie unbeobachtet von anderen Gästen blieben. Gudekar nahm Meta den nassen Mantel ab und zog einen Stuhl vom Tisch und bot Meta den Platz an. Als sie saß, zog auch er seinen Umhang aus, hängte beide Kleidungsstücke an einen Haken an der Wand und setzte sich ihr gegenüber.

Ein trockener Platz und sie konnten endlich sitzen. Endlich eine Pause, auch, wenn das Schlimmste noch bevorstand. Sie seufzte tief und hielt ihre Stirn mit beiden Händen. Wie würden sie verbleiben? Sonst so sicher, in dem, was sie wollte oder nicht wollte, kämpften zwei Metas in ihr. Die eine wollte Gudekar einfach nur glücklich sehen, ohne auf sich selbst Rücksicht zu nehmen. Er war ein so besonderer Mann, er hatte es verdient. Die andere Seite war kritisch. Warum konnte sie Merle nicht leiden? Das war ihr klar. Nie hätte sie gedacht, dass es so weit führen würde. Und er gehörte Merle, sie würde auch immer versuchen, ihn wieder zu bekommen. Meta würde in ewiger Unsicherheit leben. Das Einzige, was sie hatte, war seine Liebe. So sagte er, aber dessen war sie sich nicht mehr sicher, ob er nicht genauso für Merle fühlte. Gudi und sie hatten einander stets vertraut. Das war ihr wichtiger, als die Zahl, wie oft er mit ihr ins Bett ging. Zärtlichkeit, auch kleine Gesten, dann rahjagefälliges Spiel und mehr, das gehörte ihr. Wieso war das Vertrauen darauf, dass er nicht ehrlich zu ihr war oder einfach machen würde, was er wollte und was vor allem sein Recht war, nicht mehr da?

Meta kniff die Lippen zusammen. Das Gespräch mit Imelda vorhin und all die nüchternen Tatsachen waren zum Verzweifeln. Jetzt bräuchte sie Gudekar, sie könnten sich gegenseitig stützen. Verflucht, dachte sie. Ich kann ihm nicht mehr so vertrauen wie zuvor. Er schon, ich hab ihm seine letzte Nacht erlaubt, damit er Abschied nehmen konnte. Abschied von der hübschen, niedlichen und so weiblichen Merle zu ihr. Meta. Sie schluckte hart und legte die Arme auf den Tisch. Es bräuchte etwas, dass das wichtige Vertrauen wieder herstellte. Etwas, das er für sie tat und sich nicht von Merle lenken ließ. Meta sah kurz zu ihrem Liebling und wollte fragen, was er essen würde, da war es zu spät. Er war ihr Mensch. Sie musste, durfte auch die verletzliche Seite zeigen. Doch das dachte sie nicht mehr, es waren da nur Enttäuschung, Trauer und ein Meer von Schmerz. Sie schluchzte, so hatte er sie noch nie gesehen, und dicke Tränen rannen stetig über ihr Gesicht.

“Meta!” rief Gudekar aus. Er sprang von seinem Stuhl auf und kniete sich neben ihren Platz. Er schlang seine Arme um sie und zog ihren Kopf an seine Schulter. Zärtlich strich er über ihren Hinterkopf. “Meine arme, kleine, tapfere Ritterin! Weine nicht!” Er suchte nach tröstenden Worten, doch wollten ihm keine passenden einfallen. Er wusste, sie hatte nach diesem Tag voller Gipfel und Täler allen Grund zu weinen. Und er wusste, alles, was er sagen konnte, würde es nicht besser machen. Manchmal tat es Frauen gut, einfach den Frust in Formen von Tränen aus sich herauszulassen. Deshalb korrigierte er sich. “Weine ruhig! Das wird dir gut tun. Ich bin da. Ich bin für dich da.”

Genau das tat Meta. Sie hielt ihn ganz fest und ließ dem angestautem Schmerz freie Bahn. Es tat so gut. So nah und lieb. Dann lächelte sie mit verweinten Augen, so gut es ging,  hielt aber noch Körperkontakt zu Gudi. „Danke, mein Schatz. Ich halte sowas immer zurück, aber bei wem kann ich ich sein, wenn nicht bei dir?“ Sie wischte die Tränen etwas weg, aber ihre Stimme zitterte noch. „Gudi. Bitte. Du sagst immer, dass du mein seist, und du weißt, wie sehr ich dich liebe. Lüge mich bitte nie mehr an, ich will dir wieder so vertrauen, wie früher.“ Sie schmiegte eine tränennasse Wange an seine. „Und lass uns über Merle reden. Du weißt so gut wie ich, dass du sie noch liebst, dass sie so hübsch und hinreißend ist und dich jederzeit verführen kann. Aber…, aberr… Ich will nicht die zweite Frau sein. Travia bindet euch, aber für mich war der Rahjabund wie die kleine Hochzeit. Naja, hätte er sein können.“ Traurig biss sie auf ihre Unterlippe. „Wir könnten immer mal wieder einen schönen Tag für uns haben, wenn wir den Bund..., ach Gudi. Gib mir mein Vertrauen wieder.“

Gudekar überlegte, womit er Meta angelogen haben sollte. Ja, er hatte Dinge gesagt, die Meta zurecht nicht hören wollte. Aber gelogen? Doch er wollte dies jetzt nicht diskutieren. Zärtlich küsste er Metas Wangen, sog dabei mit den Lippen ihre Tränen auf. Sie schmecken so wunderbar salzig. Salz. Die Frage nach Lüge und Wahrheit würde nur weiteres Salz in ihre Wunden streuen. “Ich hatte nie die Absicht, dich anzulügen. Und ich habe nicht vor, dies jemals zu tun. Du hast doch Rahjels Worte gehört. Der Rahjabund ist vollzogen. Wir sind eins im Herzen. Du bist die Frau, die mein Herz ausgefüllt. Meine ‘Liebe’ für Merle ist anders geartet. Ich bin ihr dankbar für die Vergangenheit, die ich mit ihr verbringen durfte. Dies kann ich nicht aus meiner Geschichte tilgen. Aber das Entscheidende ist doch, was in der Zukunft sein wird.”

Meta hielt ihn an der Hand und stand auf. „Komm, setzen wir uns gemeinsam auf deine Bank rüber. —— “Ich sage dir ganz ehrlich, wovor ich Angst habe und was ich nur zuerst wünsche. Sei immer ehrlich zu mir, wir werden eine Lösung finden. Sei der Mensch, dem ich vollkommen vertrauen kann. Und..., und vor Merle hab ich Angst. Du gehörst ihr schon. Dann habe ich dir diese Nacht erlaubt, weil ich gesehen habe, wie wichtig sie dir ist. Ich habe Angst, dass es dir wieder so Spaß macht, dass du ab und zu an alte Zeiten mit ihr denkst. Sexuell. Dass sie dich verführt, sie war schon am ersten Abend kurz davor, und du gibst und nimmst Zärtlichkeiten, die ich bekommen sollte. Sie wird dich mir wegnehmen. Geistig und körperlich. Bei eurem Gespräch wird sie dich verführen wollen. Du hast nichts gesagt, aber sicher war das bei dem anderen Treffen auch so. Ähm..., wie siehst du das? Das eine Mal ist in Ordnung. Was glaubst du oder willst es gerne?“

“Das war eine ganz dumme Idee von mir.” Er legte seinen Kopf auf ihren, während sie händchenhaltend auf der Bank saßen. “Ich dachte, und das war dumm von mir, wenn ich ihr diese eine Nacht, diese letzte Nacht gebe, würde es ihr leichter fallen, mir der Vergangenheit abzuschließen. Ich wollte es nicht für mich tun. Ich habe kein Verlangen, mit ihr das Lager zu teilen. Denn sie könnte mir nichts geben, was ich nicht auch mit dir haben kann. Ich weiß nicht, was in mich gefahren war, als ich sie nach so langer Zeit wieder sah. Ich glaube, es war einfach die ganze Situation, die Aufregung, die Angespanntheit, der Versuch, ihr gegenüber etwas vorzugeben, was gelogen war. Und das Gleiche hat der Tharf ausgelöst. Nein, warte. Es stimmt wohl, ich sollte dich nicht belügen. Ich sollte mich nicht belügen. Ja, sie hat in mir etwas wiedererweckt. Etwas, von dem ich nicht wusste, dass es noch in mir war. Darauf war ich nicht vorbereitet. Deshalb hatte sie damit Erfolg. Doch nun weiß ich, in welche Gefahr sie unsere Beziehung bringen kann. Das wird mir nicht noch einmal passieren. Denn ich möchte dich nicht verlieren.” Er küsste ihre Stirn. Er hätte gerne ihren Mund geküsst, doch dafür hätte er seinen Kopf von ihrem nehmen müssen, und diese Nähe wollte er nicht aufgeben. “Ich liebe Dich!”

In diesem Moment trat Hagunald an den Tisch und stellte wortlos einen Topf dampfenden Gulaschs, einen Korb mit Brot sowie zwei Schüsseln auf den Tisch. Anschließend holte er einen Krug mit verdünntem Wein und zwei Becher, die er ebenfalls vor das Paar platzierte. Ihm war anzusehen, dass er es nicht guthieß, den Sohn des Edlen hier mit einer anderen Frau als seiner Angetrauten innig kuschelnd zu sehen. Doch wusste er, dass es nicht an ihm war, dazwischen zu gehen.

Meta ließ Gudekar etwas Platz, so dass sie sich sehen konnten und gab ihm einen zärtlich sanften Kuss auf den Mund. “Das ist erstaunlich, du bist so einzigartig. Ich hab mit dir geredet - leider, oder vielleicht war es gut, dass du mich so schwach gesehen hast - und du nimmst es dir wirklich zu Herzen.“ Aus einem Impuls, plötzlichen Glücksmoment, umarmte sie ihn ebenfalls zart, aber leidenschaftlich. Dabei strich sie durch sein Haar. „Du weißt, wie gut mir deine Augen gefallen. Und ich liebe es, nein, ich bin stolz, wenn du zauberst. Sag es mir bitte genauer, aus Neugier, wie weit du bei ihr schon gegangen bist. Bei dem Gespräch zwischen euch?“ Sie setzte sich so, dass sie weiterhin Kontakt hatten, aber einander gut sehen konnten. „Diese Nacht der Verabschiedung, wo willst du das machen? Und dauert es wirklich eine ganze Nacht? Hmm… sie will dich wahrscheinlich in der Nacht halten und berühren wollen. Es kann natürlich eine ganze Nacht sein, so wie früher. Ich will dich nicht traurig sehen. Hoffentlich wird sie nicht erneut schwanger, Rahjalieb könnte ich dir besorgen.“ Sie sprach nun ganz anders über diese Dinge mit ihm, als zuvor. Viel natürlicher, als ginge es um ein gemeinsames Abendessen. Gudekar spürte förmlich, wie aus ihrer Schwäche neues, viel tieferes Vertrauen wuchs.

Der Magier lächelte. Metas Gefühle sprudelten wieder aus ihrem Mund heraus und bevor er die eine Frage beantworten konnte, hatte sie schon drei neue gestellt, so dass sich in Gudekars Kopf förmlich alles drehte. Er liebte diese unstete Art an ihr. Deshalb lächelte er vor Glück und genoss ihre Zärtlichkeiten. “Ach Meta, langsam, langsam, ich kann dir so schnell gar nicht antworten. Also, zunächst einmal, du musst mir kein Rahjalieb besorgen.” Er wusste auch nicht, wo Meta hier auf die Schnelle das Kraut herbekommen sollte. “Ich bin Anconiter, ich kann die wichtigsten Kräuter selbst beschaffen. Wenn es überhaupt zu so einer Nacht kommt. Da bin ich mir nicht sicher. Aber wenn es den Effekt haben soll, den ich erhoffe, dass es ein Abschied von ihr ist, dann geht das nicht mit rein und raus. Ich werde dann hinterher noch in Ruhe und in Harmonie mit Merle sprechen müssen, um ihr klar zu machen, dass es mit ihr und mir nicht weitergeht und dass sie uns in Ruhe ziehen lassen soll. Vermutlich werde ich die Nacht bei ihr bleiben, sollte es dazu kommen. Und vorhin, bei dem Gespräch, ist nichts passiert, was dich eifersüchtig werden lassen sollte. Sie hat vielleicht zunächst versucht, mich zu verführen, aber ich habe es nicht zugelassen. Wir sind nicht in Harmonie auseinander gegangen.”

Meta hatte ruhig gelauscht und atmete entspannt in seinen Armen. „Das ist gut so. Ich bin davon ausgegangen, dass ihr Tat und Gespräch kombinieren werdet. Und ich suche mir derweil Beschäftigung und werde mich darauf freuen, dass ich da zwar durch muss, es dann aber geschafft habe. —Ja, es wurde vorverschoben. Was planst du oder würdest du am liebsten tun? Und hast du einen Tipp für mich, wie ich währenddessen auf andere Gedanken komme?“

“Was ich am liebsten tun würde?” Gudekar zog Meta noch näher an sich heran und drückte sie fest. “Am liebsten würde ich, sobald sich der Sturm ein wenig verzogen hat, mit dir losreiten, irgendwohin, wo niemand sonst ist, nur wir zwei.” Er wollte Meta küssen. Am liebsten wollte er vergessen, dass sie im Wirtshaus saßen, wo sie jeder sehen konnte. Doch er riss sich zusammen. Im Dorf kannte ihn ein jeder. “Aber das meintest du nicht. Ich weiß nicht. Wenn es uns hilft, wenn ich sicher sein könnte, dass es ein einziges Mal bliebe und von Merle als Abschied akzeptiert würde, dann wäre ich bereit, eine Nacht mit ihr über mich ergehen lassen. Ich wäre in Gedanken bei dir, ich würde mich fühlen wie ein Beschäler, aber ich würde es über mich ergehen lassen, wenn wir danach frei wären.” Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn. “Was könntest du tun? Vielleicht könntest du die Nacht bei Imelda verbringen, damit sie dich in der Zeit tröstet. Sie ist so eine liebe Freundin zu dir. Sie könnte dir Halt geben.”

Meta nahm sich den Becher mit Wein und trank ein paar große Schlucke. Sie hatte heute kaum gegessen und so setzte die leicht beruhigende Wirkung der Weinschorle schnell und angenehm ein. “So, wie du es sagst, ist es gut. Ich werde bei Imelda sein. Du tust deine Pflicht. Sie wird sich anstrengen, um dir diesen Abschied so zu bereiten, dass du dich nach ihr sehnen wirst. Vorher noch, bevor wir, also du so anders, so verständnisvoll warst.” Diesmal sah sie Gudekar tapfer ins Gesicht, es war ihr, als wäre er zu mehr als einem Geliebten geworden. Der Mensch, den sie immer gesucht hatte. “Und nachdem ich meine Schwäche gezeigt habe, davor noch, wäre ich jetzt schon dagegen. Aber selbst, wenn sie zärtlich wie ein Kätzchen, berauschend wie eine fleischgewordene Rahja wäre, es wäre nicht ich. Nicht, wie mit mir. Das zwischen uns ist besonders. Es wird an uns nichts ändern. Sie tut es, um dich an sie zu binden und um mir weh zu tun. Ich bin mir sicher, dass sie gerne sieht, wenn ich leide. Später, wenn euer Leben wieder zu der Routine geworden ist, vor der du fliehen musstest, da man von ihr erstickt wird, werden auch die rahjagefälligen Dienste anders sein. Aber es ist egal, ich bin die, zu der du gehörst.  Phex und Rahja haben uns geführt.” Sie lächelte lieb. “...und Hesinde auch. Wir werden Schulen und Akademien aufsuchen und dir die Chance geben, zu lernen.” Nach allem, was sie gesagt hatte, seufzte Meta erleichtert und glücklich. “Du empfindest körperliche Liebe zu ihr, oder? Sie ist ohne Zweifel in der Lage, einen Mann, der es nötig hat, oder irgendeinen Mann, der seinen Trieben nachgibt, dazu zu bringen, sie zu bespringen. Das hat nichts mit Liebe zu tun. Du bist so unglaublich nett, fürsorglich und lieb zu, ähm, zu ihr gewesen. Du verbindest sie melancholisch mit alten Erinnerungen. Aber sieh, zu was sie werden kann.” Meta war fertig und setzte sich etwas zurück, um ihn besser zu sehen.

“Ach, Meta”, Gudekar blickte sie liebevoll, aber auch mit einer Spur Mitleid an, “du machst dir viel zu viele Gedanken. Was ich für Merle empfinde, ist keine körperliche Begierde. Nicht mehr, das war früher einmal. Ja. Aber ich empfinde eine gewisse Vertrautheit bei ihr. Das kann ich nicht leugnen. Dennoch, das, was heute alles geschehen ist, ich weiß nicht, wie sehr ich mich noch bei ihr wohlfühlen könnte. Es ist plötzlich alles so anders.” Plötzlich fiel ihm etwas ein. “Warte mal!” Er kramte in seiner Umhängetasche, die er immer mit sich trug. ”Mach mal deine Augen zu!”

Meta lächelte, schloss die Augen und sprach noch etwas. „Das ist in Ordnung. Du bleibst mir treu und Merle kann keinen Keil zwischen uns bringen.“

“Psst!” machte Gudekar. Dann zog er ihr etwas über den Kopf. Sie spürte, wie sich ein Lederbändchen um ihren Hals legte. Als sie die Augen wieder öffnete, sah einen einen kleinen Delphin aus grünem Aventurin an ihrem Ausschnitt hängen.

“Den habe ich auf dem Flussfest für dich gekauft.” Gudekar lächelte Meta an.

Meta zog die Luft ein, als wäre sie erschrocken und ihre Hände legte sie leicht auf den Mund. Gudekar konnte sehen, dass sie etwas zitterte, ihre Augen waren weit geöffnet, als sie Ihn wieder anschaute. “Gudi…”, hauchte sie, das doch hübsche Gesicht war ihr rot angelaufen. Sie griff nach dem Becher Wein und trank ihn leer. “Ist… ist das für mich? Oder, nein, Merle hast du schon etwas geschenkt. Für mich?”

„Na, was denkst du denn?“ Gudekar lachte. Natürlich ist das für dich. Du wolltest doch immer, dass ich dir was schenke. Und als ich den hübschen Anhänger gesehen hatte, dachte ich, der passt so gut zu deinen wunderschönen Augen.“

Ein glückliches Lächeln breitete sich aus und Meta umarmte Gudekar fest und glücklich.  “Danke, du bist so ein Schatz.” Als sie dicht zusammen waren, küsste Meta ihn auf den Mund wie früher. Hätte er die Augen geschlossen, könnten sie auch auf einem Weg nach Linnartstein oder ihrem Zimmer dort sein. Er spürte ihre Freude, das klopfende Herz und eine Hand strich über seine Backe, die Robe entlang, immer weiter, um zu spüren, dass er wie sie fühlte. Voller Liebe und in Einklang mit ihm war Meta, das konnte Gudekar merken.

Meta spürte, wie auch Gudekars Herz pochte und immer schneller wurde, als ihre Hand langsam tiefer wanderte. Auch sein Atem wurde flacher und schneller. Als sie seinen Bauch erreichte, hielt er ihre Hand fest. Zu gerne hätte er sie weiter wandern lassen, aber er hatte Sorge, dass er sich dann nicht mehr hätte beherrschen können. So sehr begehrte er diese Frau, wollte ihr zeigen, wie viel ihm an ihr lag. Doch war hier nicht der richtige Ort dafür, noch hatten sie die Zeit.

„Entschuldigung, das war einfach so spontan von mir. —-Aber es würde nicht schaden.“ Meta ließ Gudekar los und nahm den kleinen Delfin in die Hand. Ihre Augen glänzen vor Glück. Gudekars Blick war nicht eindeutig einzuordnen. War es Erleichterung oder Enttäuschung, als Meta ihre Hand wegzog? „Oh Gudi. Damit hab ich überhaupt nicht gerechnet. Lass mich bitte dir heute, hier, ein paar Dinge sagen, die ich dir schon hätte sagen sollen, äh, also geheime Gefühle und ein großes Geheimnis noch. Was für dich gilt, das gilt auch für mich.“ Meta drehte sich um und beugte ihren Nacken vor ihm. „Sei so gut, und hilf mir, das Kettchen anzulegen. – Ach, das hab ich fast vergessen. Du hast recht. Aber heute wird es eine gefühlsbetonte und anstrengende Unterhaltung. Merle wird dich wuschig machen wollen. Dich also verführen. Du kannst dem besser widerstehen, wenn du, also ich, mich schon um dich gekümmert habe. Nicht falsch verstehen, du würdest dich auch so nicht von ihren Reizen und Versuchungen verführen lassen. Aber ich habe Vertrauen. Du wirst dich nicht schwach werden lassen. Du hast mich, denk an dieses wundervolle Geschenk, denk an mich. Außerdem hast du sie später. So oft du willst.” Vergeblich versuchte Meta mit neckischen Klapsen, ihn zu treffen.

Gudekars Herz raste. Er wollte nicht an Merle denken. Es gab für ihn doch nur noch Meta. Sie musste ihn daran nicht immer wieder erinnern. Doch er wollte auch nicht, dass Meta jetzt damit aufhörte, was sie gerade tat. „Warte! Nimm deine Hand nicht von mir!“ Seine Kehle war plötzlich ganz trocken und er nahm einen Schluck Wein. Endlich hatte er seine Meta wieder, jene Meta, die er so unbeschreiblich liebte.

“Der Kerl mit dem Essen, schaut der oft hier herein?” Sie drehte sich um, nestelte mit beiden Händen an der Kordel der Robe und ihr Blick war nicht zweideutig. Sehr eindeutig sah Meta ihn an. An den beiden Enden der Kordel dirigierte sie ihn zum leeren Nachbartisch als wären sie sowieso die einzigen Gäste.”Komm, heb mich auf den Tisch. Kannst du Türen magisch zumachen?” An ihrer rauen Stimme und ihrer verführerischen Erwartung in den Augen wusste er, dass es Meta wohl auch egal war.

„Nein, kann ich nicht. Komm mit!“ Statt sie auf den Tisch zu heben, führte er sie zu einer unauffälligen Tür, die den Zugang zu einem kleinen Nebenraum verbarg. Die Tür war nicht verschlossen, und so schlüpften sie hindurch.

Der Nebenraum war ein Separé für besondere Gäste oder besondere Gelegenheiten. Er war nicht besonders groß, lediglich ein Tisch mit sechs Stühlen fand hier Platz, doch waren die Stühle gepolstert und mit Samt bezogen. „Unseren Sachen wird nichts passieren, oder?“ Die Luft in dem Raum war stickig, man merkte, dass diese Kammer nicht oft genutzt wurde.

Nachdem auch Meta das Zimmer betreten hatte, schloss Gudekar die Tür und verkeilte eine Stuhllehne unter der Klinke. Er nahm eines der Sitzkissen von einem Stuhl und legte es auf die Tischplatte. Dann hob er Meta hoch und setzte sie auf das Kissen. Mit großer Begierde küsste er sie.

Nicht minder gierig wurde sein Kuss erwidert. Seine Frau schlang die Beine um ihn und beide hätten den Moment wohl zum Anfang einer besonderen Nacht gemacht. Leider war es eine kleine Insel mitten in einem Ozean ohne Hoffnung. Beiden war dies bewusstund unwillig lösten sie sich voneinander. “Deine Hose reicht, oder? Mit diesem…dieser.. Magiersack haben wir es noch die versucht.”Sie selbst war mit ihrer Hose beschäftigt.

Hastig zog Gudekar seine Kutte hoch und öffnete der Knoten an der Kordel seiner Hose, die er anschließend fallen ließ. Meta konnte sein erregtes Glied nun deutlich sehen. Er half nun Meta, ihre Hose über die Pobacken nach unten zu ziehen. Dabei kniete er sich vor sie und küsste wortlos ihre strammen Oberschenkel. Gierig wanderte sein Mund höher.

Meta legte sich auf den doch eher harten Tisch zurück, doch war ihr das gerade egal. Sein Atem an ihren Schenkeln kitzelte, sie fuhr mit ihren Händen durch sein Haar, wirr und genoss, wie weich es war und wie geschickt er mit seiner Zunge war. Dafür kannten sie sich beide lange genug, um zu wissen, wie man so etwas hinauszögern oder beschleunigen konnte. Welche Stellen den Partner paralysierten. Was, wenn es gerade das letzte Mal war? Schnell erkannte sie diesen Gedanken, wurde sich aber der begrenzten Zeit bewusst. “Komm, zieh mich weiter vor.”

Gudekar küsste nun ihren Bauch, spielte mit der Zunge an ihrem Bauchnabel, nachdem er ihre Bluse ein wenig nach oben geschoben hatte. Sanft und gleichzeitig bestimmt packte er sie an der Hüfte und zog sie mitsamt des Kissens näher an die Tischkante. Während er mit der rechten Hand noch immer ihre Hüfte hielt, ergriff seine Linke einen ihrer Arme und beugte ihn über ihren Kopf. “Oh, Meta, mein Ein und Alles! Schau mich an! Ich will deine almadanischen Augen sehen. Ich liebe die unergründliche Tiefe in deinen Augen. Dann kann ich bis in deine Seele blicken."

Das hatte sich seit dem ersten Mal nie mehr geändert  Meta schmunzelte und prägte sich genau seine Augen ein. Hier war sie eher still, ihm aber fiel so viel ein, was er reden wollte. “Komm, noch haben wir Zeit. Wer hier wohl das nächste Mal sitzen wird?” Sie kicherte bei der Vorstellung. “Was für eine Familienzusammenführung. Nicht im Traum hätte ich gedacht, mich dir im Gasthaus bei deinem Bruder auf einem der Tische hinzugeben, während die anderen in ihrem Gulasch löffeln. Hoffentlich putzen sie ordentlich.----ach, das Bett deiner Weiber hier, das wäre auch interessant.” Still und zart hauchte sie ihm ins Ohr. “Lass es uns noch oft machen.”

“Mir ist egal, wer nachher hier sein Gulasch isst. Ich will dich jetzt!” flüsterte er in Metas Ohr, bevor seine Lippen erneut mit ihren verschmolzen. Nun spürte Meta seinen prallen Schaft zwischen ihren Schenkeln. Langsam glitt er immer dichter an sie heran.

Meta ließ sich in dem Kuß fangen und kostete es aus, wie er wollte. Mit einer Hand kraulte, nein, kratze sie über seinen Rücken, diesmal so stark, dass es schmerzen würde. Mit geschickten Drehungen des Beckens spürte sie sein Lustschwert von außen und es dauerte nicht lange, da löste sie ihren Kopf von seinem und stöhnte wohlig. Sie war auf einem Plateau der Extase, sah ihn natürlich verführerisch an und nahm sein bestes Teil, um die Spitze an den feuchten, warmen Eingang zu führen. Sie wollte, dass er in sie eindrang. Immer schon hatte das ihr gefallen. Hart, fest und sicher. Eifersucht, Trauer oder Zorn spielten keine Rolle mehr. Auch die Bilder aus dem Rahjaheiligtum. Es gab nur noch sie beide und Gudekar wollte Sie. Jetzt und immer.

Metas Kratzen machte Gudekar verrückt. Es weckte ein tieferes Verlangen nach ihr. Er wollte, nein, er brauchte sie jetzt. Er konnte sich keine Zeit mehr lassen und drang in sie ein. Langsam, aber bestimmt. Vorsichtig, aber keine Gegenwehr zulassend. Als sein Schaft vollständig von ihr umschlossen war, verharrte er einen kurzen Augenblick, seinen Blick fest in ihre Augen gerichtet. Gerne hätte er sie nun geküsst, wäre mit seiner Zunge in ihren Mund eingedrungen, wie sein Glied in ihre Scheide eingedrungen war, aber zu fasziniert war er von ihren Augen, als dass er den Blick hätte abwenden können. So begann er, sein Becken rhythmisch zu bewegen. Sah ihr dabei zu, wie sie tief atmete und dabei ein sanften Stöhnen ausstieß und erfreute sich an jeder ihrer Reaktionen.

Meta gab sich ihm völlig hin. Sie stöhnte erregt und hielt ihn immer fester. Dann sprach sie kurz „Gudekar, weiter, das ist so schön“ Er merkte, dass sie zunehmend zitterte und sich wand. Interessant waren dabei ihre Augen. Voll auf ihn gerichtet aber als würde sie in eine andere Welt schauen.

Und je mehr Meta erregt wurde, je mehr er dies sehen konnte, um so aufgeregter wurde auch Gudekar. Es machte ihn stolz, dass er es schaffte, diese wundervolle Frau derart in Rahjas Paradies zu führen. Immer intensiver spürte er die Bewegungen seines Beckens, immer intensiver führte er diese Bewegungen aus, bis er kurz davor war, seine Lust nicht mehr bei sich behalten zu können.

In dem Moment konnte Meta auch ihre Lust kaum noch aufhalten „Gudi, komm“ rief sie und presste ihr Becken gegen seines. Sie verdrehte die Augen wie in Extase. Sein Glied wurde noch härter und dicker. Gudekar konnte sich kaum noch abstützen so sehr durchfuhr ihn Rahjas Geschenk. Meta stöhnte in dem Moment laut, als sie dies spürte. Sie bebte am ganzen Körper.

Als er sich erschöpft auf sie legte, hatte sie die Augen geschlossen, umarmte ihn aber sanft. Sie genoss die Stimmung und Befriedigung. Rahja hatte ihnen gleichzeitig das Glück geschenkt. Sie atmete tief und ruhig. Meta konnte von diesem Mann nicht lassen, das war beides, körperliche und geistige Liebe. Nie wollte sie einen Anderen an seiner statt.

Wie benebelt von dem Rausch der Ekstase waren Gudekars Sinne. Er spürte das, was er bereits am Vormittag in Rahjas Schrein hätte spüren sollen, als sie in ihrer Intimität durch Merle gestört wurden. Nun, das wusste er, war der Rahjabund endgültig besiegelt. Und nun konnte nichts und niemand sie dauerhaft auseinander bringen, solang der Rahjabund galt. Nun genoss er ihre Nähe, seinen Kopf auf ihrer Brust. Jedoch nicht lang, dann richtete er sich wieder auf. “Sollen wir wieder nach nebenan gehen, vielleicht ist es noch nicht aufgefallen, dass wir unseren Tisch verlassen haben?”

“Jetzt liegst du ja nicht mehr auf mir, da geht das schon, und in unserem Gewand sind wir auch schnell." Sie ließ sich vom Tisch gleiten und zwickte die Beine zusammen. "Schade, jede andere wäre längst von dir schwanger.”

Schnell zog sie ihre Hose hoch und lächelte ihn verlegen an. “Und hier werden wir das Gespräch schon nicht führen? Das eben hab ich noch nie gemacht.”

“Dafür wusstest du aber sehr gut, wie du es tun solltest”, schmunzelte Gudekar glücklich. “Aber, nein, ich hatte auch noch nie in einer Gaststube ein solches Erlebnis, während nebenan die Gäste nichtsahnend speisen. Aber ich muss sagen, das hatte seinen Reiz.” Der Magier zog seine Hose hoch und richtete seine Kutte. “Du kannst wenigstens noch schnell auf unser Zimmer gehen und dich umziehen, Meine Sachen sind ja wieder bei Merle gelandet. Aber egal, dann sollen sie doch riechen, wie sehr wir uns lieben. Was soll Merle schon sagen? Sie hat uns doch heute Morgen eh ineinander verschlungen gesehen.”

“Lass uns rüber gehen und noch etwas reden.” Sie hielt Gudekar die Tür auf und sah erleichtert, dass ihr Tisch noch nicht wieder besetzt war. Nachdenklich drehte sie ihren Becher, als sie wieder saßen. Gudekar sollte nicht in wohligem Schweigen versinken. “Ah, ähm, ich wollte dir noch so viel erzählen. Warte, gleich hab ich’s.” Sie beugte sich zu ihm, sah skeptisch nach rechts und links und rutschte ein Stück näher zu ihm. “Das Eine passt grad sehr gut. Es geht um unseren Rahjabund, den wir heute das erste Mal erneuert haben. Wir wollen ja von jetzt an zueinander anders sein. Und allen zum Trotz sind wir immer noch ein Paar, obwohl das kaum jemand geglaubt hat.” Sie lächelte mit roten Bäckchen und spielte mit dem Stein ihrer neuen Kette, dann sah sie mutig zu ihm auf. Gudekar lächelte sie an. Alles in Worte zu fassen hatte sie sich wohl einfacher vorgestellt. “Man bekommt im Leben selten, was man sich wünscht, das ist mir schon früh klar geworden. Also hatte ich einen realistischen Wunsch, ohne Liebe, an die hab ich nicht geglaubt. Du weißt doch, ich wollte einen Adligen, der Geld hat und mich nicht schlecht behandelt. Das wäre eine recht typische Ehe gewesen. Du hast eine hübsche Frau, ein Kind, Familie und Arbeit. Aber richtig glücklich warst du nicht. Ja, so war das, als wir uns getroffen hatten. Und wie schnell meine Meinung durch Rahja geändert wurde! Du wärst der gewesen, mit dem ich den Traviabund geschlossen hätte. Na ja… ich fand, wir seien mehr, als Geliebte. Das soll der Rahjabund ausdrücken. Er ist unsere Form des Traviabundes, auch, wenn das niemand versteht. Es geht mir nicht darum, mit wem ich mich sexuell alles vergnügen kann. Das will ich gar nicht. Ich wollte einen göttlichen Bund zwischen uns.”

“Weißt du, mein Schatz, das mit dem Traviabund wird überbewertet. Was spielt das für eine Rolle, wenn man sich von Herzen liebt. Ich glaube, die meisten schließen den Bund entweder viel zu früh, oder nur aus politischen Interessen. Im ersten Fall wird man vielleicht bereuen, weil die erste Liebe, und sei sie noch so heiß und innig, nicht immer bis in alle Ewigkeit hält.” Der Anconiter wusste, wovon er sprach. “Im zweiten Fall ist dies doch eh nur Heuchelei und Betrug an den Göttern. Ich denke, ein Traviabund sollte erst gestattet sein, wenn man sich lang genug geprüft hat, wenn man lang genug zusammen ist, vielleicht ein göttergefälliges Dutzend Götterläufe. Wenn man sich dann noch immer liebt, wenn man sich dann noch immer vertraut, und wenn es beide aus freien Stücken heraus wollen, dann kann man sich für alle Ewigkeit binden, um der Familie Sicherheit zu geben.” Gudekar griff zu seinem Becher und trank einen kräftigen Schluck. ”Anders ist es natürlich mit dem Rahjabund. Dies ist eine Entscheidung des Herzens, nicht der reinen Vernunft. Diesen kann man nicht früh genug und oft genug schließen, wenn das Herz für einen anderen Menschen schlägt. Ich denke, dieser Bund ist viel wichtiger. Rahja hat uns gesegnet. Damit gehören wir tatsächlich zu einander. Meinst du nicht?”

„Natürlich hast du Recht. Der Traviabund ist eine große Heuchelei.“ Meta fuhr mit dem Zeigefinger die Kontur seiner Hand auf dem Tisch ab. Als sie einmal rum war, streichelte und hielt sie diese. Währenddessen sprach sie: „Es war gut, den Bund diesmal auf zwei Jahre zu verlängern. Man sieht, dass es uns ernst ist. Und ein Bund ist eine schöne Geste.“ Sie nahm nun seine Hand fester, stellte den Ellbogen auf und verschränkte seine Finger mit den Ihrigen. Sie kicherte etwas scheu. „Na, mein Schatz, warte noch ein bisschen und wir machen ihn unbegrenzt.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, wahrscheinlich hatte sie Angst davor, stellte Meta Gudekar wieder eine Frage. „Oh, das passt auch so gut. Ich hab dir doch ab und zu erzählt, was ich an dir so mag. Vergessen habe ich die Zauberkunst. Das ist für mich fremd, ja exotisch. Und du kannst es uns damit auch so schön machen, also abgesehen, dass sie als Waffe und zur Heilung dient. Wenn das hier vorbei ist, und wir irgendwo in einem bequemen Bett liegen, lieben wir uns wieder im Schein magischen Lichtes. Aber sag, wenn dir was einfällt. Was gefällt dir an mir. Warum hatte ich das Glück?“

“Ach weißt du, so exotisch ist das mit dem Zaubern ja gar nicht. Das gibt es doch überall. Bei vielen kommt es nur nie zum Vorschein. Aber dass dich das so interessiert hat, das hat mich damals neugierig auf dich gemacht. Aber verliebt habe ich mich in dein Gesicht.” Er führte seine Hand an ihr Gesicht; mit der Handfläche streichelte er sie über die Wange, dann umkreiste er mit den Fingerspitzen ihre beiden Augen. “In deine Augen, deine unergründlich tiefen Augen, durch die man direkt in deine Seele blicken kann. Und ihr Farbenspiel, je nachdem, wie man schaut, ändern sie ein wenig ihre Farbe. Das passt so gut zu deinem blonden Haar.” Seine Fingerspitzen wanderten über die Stirn zu ihrem Haaransatz, wo er sie kraulte. “Als wir uns damals das erste Mal sahen, da war es wild und ungezähmt. Aufregend, wie deine almadanische Seele. Aber auch jetzt, wo es etwas länger ist, ist es so bezaubernd. Heute früh war es so schön geflochten, das hat Imelda wunderschön hinbekommen. Und dazu dein Lächeln, das so niedliche Grübchen auf deine Wangen zaubert.” Seine Finger wanderten langsam tiefer, hin zu ihrem Mund, zeichneten ihre Lippen nach, gingen vom Mundwinkel über die Wange hin zu ihrem Ohr, das er ebenfalls langsam abfuhr. ”Deine Lippen und deine Zunge, wenn sie Worte in deiner Heimatsprache aussprechen.” Ein schwärmerisches Lächeln lag auf seinem Gesicht. „Und ich liebe deine Neugierde und deine Spontanität. Du schaffst es immer wieder, mich zu überraschen, so wie eben.“

Meta kicherte und stupste seine Nase mit ihrer an. „Du mich auch.“ flüsterte sie. „Wer hätte je gedacht, dass wir so reden können? Wenn du sowas sagst, dann wird mir gleich ganz schwummerig. Früher hab ich über sowas gelacht. Aber da war ich noch nicht verliebt.“ Sie setzte sich wieder zurück und fuhr schmunzelnd mit der Hand durch ihr Haar. „Vielleicht wird es mal wieder geschnitten, dann kringelt es sich.“ Sie trank wieder etwas Wein und nahm sich ein Stück Brot dazu. „Hm... eine Sache noch, dann verrate ich dir mein Geheimnis. Leider wird’s jetzt unangenehm. Aber erzähl mir doch bitte, wie ich mich bei dem Gespräch nachher verhalten soll. Soll ich eher nichts sagen, oder nur, wenn es darum geht, Zugeständnisse zu machen? Und was sind für dich Sachen, die ich auf keinen Fall tolerieren soll und was sollte ich besser annehmen. Ich will mal deine Meinung dazu hören.“

Gudekar stand nach dieser Frage auf und lief nervös auf und ab. “Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht.” Gudekar schüttelte den Kopf. “Für mich bist du ein gleichberechtigtes Mitglied dieser Verhandlung. Es geht um unsere Zukunft. Du darfst natürlich auch deine Wünsche äußern.”

“Gut. Es geht ja auch um uns als Paar.” Meta strich sich ihre Haare nach hinten und band sie zu einem Pferdeschwänzchen. “Dann fange ich mal an. Ich will nicht, dass du, außer der besagten Nacht, mit Merle schläfst. Du sollst mir treu bleiben, ich bin das auch. Und ich will, dass wir zusammen sind. Zum Beispiel in Tälerort oder wo auch immer die Götter hinführen. Wie siehst du das? Ich bin mir sicher, dass sie über ähnliche Dinge verhandeln will. Mir fällt schon noch was ein.” Sie sah, wie verzweifelt Gudekar wurde und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. “He, wir werden eine Schlacht gewinnen, ohne Waffen, mit nichts. Wir machen das Beste daraus und feiern meine Schwertleite nach, wenn wir zusammen sein dürfen.” Ihr zog sich der Magen zu einem kalten Klumpen zusammen, wenn sie daran dachte, aber das sollte Gudekar nicht merken.

“Ja, keine Sorge, Eine Nacht ist das Höchste, was ich ihr gewähren mag. Aber ich denke, sie wird verlangen, dass ich sie und Lulu des Öfteren besuche und mich um sie kümmere. Und vermutlich werde ich ihr das gewähren müssen.“

„Ja, also das ist schon in Ordnung, solange ihr nicht rumknutscht. Und das Kind kann ja nix dafür.“ Kurz runzelte Meta die Stirn. Da war was, er hatte auf ihre Unfruchtbarkeit sogar positiv reagiert. Er wollte gar kein Kind mit ihr. Gut, Meta wollte jetzt auch keines, aber so für das gesamte Leben ausschließen würde sie es nicht. „Wie oft das ist und wie lange du bleibst, das wird sich schon noch regeln. Jetzt zu der leidigen Frage, ob wir es öffentlich machen, oder nicht. Ich hab darüber nachgedacht. Ich wollte einfach, dass Merle Bescheid weiß, das war fair ihr gegenüber. Und deine Familie sollte dein Handeln auch verstehen. Wenn wir nicht dort sind, wissen die Wenigsten, ob einer von uns im Traviabund steht. Das wäre wieder etwas, was ich ihr geben könnte. Sag du mal, was wäre für dich unvorstellbar?“

Gudekar setzte sich wieder neben Meta und ergriff ihre Hand. „In Bezug auf dich und Merle? Unvorstellbar für mich wäre, wenn ich für immer fest bei Merle leben müsste und dich nur ab und an heimlich treffen könnte. Das will ich nicht. Und ich weiß auch, wie sehr das dir weh tun würde. Das möchte ich dir nicht antun. Das würde ich nicht von dir verlangen.“ Er versuchte, Meta anzulächeln, doch es gelang ihm lediglich, einen Mundwinkel hoch zu ziehen, was zu einem sehr entstellten Lächeln führte.

Meta drückte seine Hand bei der Vorstellung. „Das wäre entsetzlich. Sie würde so gut wie alles behalten und ich müsste darauf hoffen, dass wir uns ab und zu sehen können. Ich glaube, was ich gesagt habe ist es schon. Wir sollen zusammen sein, du bleibst mir treu. Aber natürlich darfst du Lulu besuchen und unsere Beziehung hängen wir nicht an die große Glocke. Wir haben einen Rahjabund. Und die wenigsten werden groß fragen. Deine Freunde oder die, die du aus deiner Mission eingeladen hast, ach so, Gwenn natürlich, werden die zum Problem werden? Und glaubst du, dass Merle dich wirklich anzeigen würde?“

„Ich kann Merle gerade so gar nicht einschätzen. Aber vieles wird davon abhängen, wie sie handelt. Gwenn, z. B. wird es egal sein, solange Merle still hält. Sie ist eine Schlange, die es scheinbar so hält, wie es für sie am besten ist. Und die anderen können kaum etwas unternehmen, solange Merle sagt, unsere Ehe sei gerettet. Nivard und Eoban werden ständig auf mich einreden, aber das kann ich ignorieren.“

„Es hängt also alles an Merle…“ Tonlos erfasste Meta wieder völlig, wie aussichtslos ihre Lage war. Sie hielt nun mit beiden Händen die seine. „Sie kann verlangen, was sie will. Wir können nur darauf hoffen, dass sie merkt, wie du auch leiden würdest. Und später wäre auch sie frei. Sie kann jemanden kennen lernen. Also,  … das wäre furchtbar. Ich würde es hier nicht mehr aushalten. Immer müsste ich daran denken, was sie alles von dir hat. Und früher oder später wärst du wieder in deiner Familie und ich nur ein dummes Abenteuer, dass du mal hattest.“ Sie schluckte schwer und ihre Hände zitterten leicht. „Nein, das könnte ich nicht. Ab dem ersten Tag würde ich dich vermissen und leiden. Ich muss dann weg. Weit weg.“

Gudekar legte seinen Arm um ihre Schulter und zog sie näher an sich heran, so dass sie ihren Kopf auf seine Schulter legen konnte. „Nein, soweit lassen wir es nicht kommen. Sie darf keinen Keil zwischen uns treiben. Vielleicht können wir ihr die Vorteile aufzeigen, wenn sie uns unsere Freiheit gibt. Auch sie könnte das Joch der gesellschaftlichen Zwänge ablegen und Freiheiten genießen, von denen sie bisher nie zu träumen wagte. So könnte auch sie ihr wahres Glück finden, wie auch ich meines gefunden habe.“ Gudekar lächelte zufrieden. Es war doch so einfach. Sie mussten Merle nur überzeugen.

“Sie ist in der Hinsicht zu beneiden. So, wie sie ist, kann sie viel Spass haben, mit Mann und Frau, wie es scheint. Sie muss sich nur umsehen und wird jemanden finden, der zu ihr passt und für den auch ihr Herz schlagen wird”, seufzte Meta. Ihr Kopf lag so gut, wo er gerade war. “Außerdem ist sie gesellschaftlich anerkannt, sie hat dein Kind, und sie ist hübsch.” Trotzig kuschelte sie sich noch etwas näher. “Dafür habe ich dich.” Sie war froh, dass sie von diesem Zweifel befreit war, dass Gudekar der attraktiven Merle wieder verfallen würde.

“Du bist auch hübsch!” Gudekar drehte seinen Kopf zu ihr und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. “Und Schönheit ist nicht alles.” Er machte eine Pause, um seine Worte abzuwägen. “Sag mal, Meta. Wegen dem Kinderkriegen. Als du mir das gesagt hast… Ich weiß nicht, ob ich da richtig geantwortet hatte. Tut es dir sehr weh, dass du keine Kinder bekommen kannst? Ich meine, im Moment, jetzt wo wir zusammen nach Tälerort gehen wollen, ist es besser, wenn wir keine Kinder haben. Dort ist es viel zu gefährlich. Aber, später, wenn wir zurückkehren und wenn wir dann für immer zusammen leben wollen, vielleicht würdest du dann Kinder wollen?”

Nach ein paar tiefen Atemzügen antwortete Meta. „Du hast es eigentlich schon fast richtig formuliert. Ich will jetzt kein Kind. Aber wenn wir älter sind und etwas Geld haben, wünsche ich mir eines von dir. Bei den Götter werden wir getrennt sein. Dort bist du wieder mit Merle zusammen. So habe ich das immer verstanden. Vielleicht hilft unser Rahjabund. Aber ich komme vom Thema ab. Ja, ich will oder würde später, nicht sofort ein gemeinsames Kind mit dir haben. Das betrübt mich. Es geht nicht. Und sollte ich dich verlieren, jetzt oder in zwei Jahren, wenn wir unseren Bund erneuern wollen, du aber lieber etwas zu Merle schaust, dann ist das für mich fatal, einen Mann zu finden. Wer nimmt eine Frau, die ihm keinen Erben geben kann? Danke übrigens, dass du trotz allem so zu mir hältst.“

“Weißt du, ich hatte mir immer Kinder gewünscht. Nun habe ich zwei, aber ich werde sie so gut wie nie sehen. Vielleicht wäre es besser, diese Kinder nicht zu haben. Aber mit dir wäre es so wunderschön, wenn wir beisammen wären und uns um unsere Sprösslinge kümmern könnten.”

Meta gab ihm einen Schmatz auf die Backe. „Du kannst so lieb sein.“ Dann wurde sie wieder nachdenklich. Ich will dir ja noch was wichtiges sagen. Aber der Gedanke kommt mir dazwischen. Was, wenn Merle dich einfach nicht hergeben will? Sie hat dir anfangs immer gesagt, sie sehr sie dich noch liebt. Bei euren letzten Gesprächen auch noch? Oder glaubst du, dass sie für einen anderen Mann offen ist?“

„Ich glaube, sie würde das so jetzt nicht wollen. Sie denkt, es könnte für sie nur mich geben. Aber sie weiß ja auch nicht, was ihr entgeht. Wir müssten sie vielleicht einmal in Versuchung führen, so dass sie nicht widerstehen kann.“

Meta biss sich auf die Unterlippe und zitterte etwas. „Hoffentlich klappt es. Sie wird dich teilen wollen. Dagegen habe ich nichts, wenn ihr keinen Sex oder erotische Küsse und so habt. Aber das wird sie wollen. Und woher soll jetzt ein Mann für sie kommen?“ Sie wartete ein Paar Atemzüge, dann sprach sie weiter. „Gudi, vorhin, als ich Zeit hatte, das Schiffchen zu basteln, habe ich fast alles, was ich für die Rückkehr brauche, an die Waisenkinder gespendet. Einen Tropfen auf den heißen Stein. Aber ein kleines Zeichen für Travia. Wenn ich gehen muss, weil es nicht klappt und du bei ihr bleibst, dann ist es nur recht, wenn ich es beschwerlich habe.“

“Aber Meta, was redest du für einen Unsinn? Wir wollen doch zusammen nach Tälerort reisen. Dafür habe ich etwas gespart. Und unterwegs kann ich als Heiler immer etwas dazu verdienen.” Gudekar lachte Meta an, doch dann fror sein Lächeln ein, als er begriff, was Meta ihm sagen wollte. Er blickte sie ernst an. “Aber sag, du hast fast dein ganzes Geld ausgegeben? Du hast nicht einmal genügend, um zur Not bis nach Traurigenstein zu kommen? Pass auf, ich gebe dir erst einmal etwas.” Gudekar holte seine Geldkatze hervor und entnahm zwei Dukaten, die er Meta in die Hand drückte. “Viel habe ich nicht dabei, ich werde heute Abend Vater fragen, ob er dir ein wenig für deine Dienste für mich zahlen kann.”

Sie hielt seine Hand, mit der er ihr die Dukaten gegeben hatte, auf ihrer fest. “Nein, bitte nicht. Das ist unser Geld, wenn wir zusammen abreisen. Ich weiss, dass du dich für mich entschieden hast, aber wenn die Bedingungen inakzeptabel sind, was willst du dann machen?”

“Bitte behalte das Geld bei dir. Schau, wenn wir gemeinsam fortgehen, ist es besser, wenn nicht einer von uns alles Geld bei sich trägt. Was ist, wenn mir meine Geldkatze verloren geht. Oder…” Gudekar sprach den Satz nicht weiter, weil er Meta nicht beunruhigen wollte. “Jedenfalls, wenn Merle absurde Forderungen stellt, dann gehen wir halt ohne eine Einigung fort. Soll sie doch zu Mama und Papa rennen. Gut, ich kann dann wohl nicht mehr in die Nordmarken zurückkehren, zumindest nicht nach Albenhus. Aber das ist mir egal. Wir sind in Tälerort. Dort können sie uns wohl kaum hin folgen. Und wenn doch, dann gehen wir ganz woanders hin, nach Donnerbach, zum Beispiel, wo niemand von meiner Ehe weiß.”

„Na gut, dann behalte ich es so lange.“ Aufgewühlt, aber mit ruhiger Stimme stellte Meta Gudekar noch einmal zur Rede. Er hatte zwar jetzt alles gesagt, was sie sich immer gewünscht hatte, nur eines gar nicht. „So, jetzt sag du mir bitte, wenn Merle dich fragt, was du bereit bist, ihr zu geben und was nicht.“

Gudekar ergriff Metas Hände und blickte ihr in die Augen. Er wusste, dass die ganze Situation aus dem Ruder gelaufen war. Der ursprüngliche Plan war ihm entglitten, er war gestrauchelt. Fast hätte er alles verloren, was ihm etwas bedeutete. Fast wäre er wieder bereit gewesen, seine Freiheit aufzugeben und sich dem Joch seines Traviabundes zu unterwerfen. Doch die ungeplante Intimität eben im Nachbarraum hatte ihn wieder zurück in Metas Arme geführt, das, was er sich so sehnlich wünschte. Er war sich jetzt sicher. “Meta, ich bin nur das zu geben bereit, was du zu teilen bereit bist. Ich würde gerne mit Merle im Reinen sein, wenn wir Lützeltal verlassen. Ich möchte sie nicht länger verletzen. Ich möchte ihr die Gelegenheit geben, Abschied zu nehmen von dem Leben, was wir gemeinsam hatten. Ich möchte ihr jedoch nicht ihre Würde nehmen. Doch noch weniger möchte ich dich verlieren, dich verletzen. Deshalb möchte ich ihr nichts versprechen, das dir unermessliche Pein bereitet.”

Ihr Herz schlug schneller, bis zum Hals musste man es sehen. Wenn er sich wieder rausgeredet hätte, dann wäre das nicht ihr Gudekar gewesen, den sie liebte, mit dem sie lachen konnte und dem sie vetraute. „Das hast du sehr schön gesagt. Weißt, ich hatte plötzlich wieder Angst, es könnte dir egal sein.“ Meta nahm seine Hand. „Nein. Diesmal nicht. Ich bleibe bei dir. Wenn du mich wirklich gern hast, soll uns das nicht trennen. Es muss etwas geben, was Merle sich wünscht, außer dir. Und das werden wir finden. Ihre Tochter würde ohne Vater aufwachsen, wenn sie dich vertreibt.“ Kurz ging Metas Blick ins Leere. „Ich hab noch eine Idee. Die versuche ich weiter auszubauen. Was glaubst du, ist ihr wichtig? Sex mit dir? Deine Anwesenheit...?“

Gudekar dachte ernsthaft über Metas Frage nach. Er griff aus Nervosität nach einem Löffel, der auf dem Tisch lag und drehte diesen zwischen den Fingern. Meta spürte, dass sie ihm die nötige Zeit lassen musste, wollte sie eine ernsthafte und ehrliche Antwort. "Das ist eine berechtigte Frage. Die einfache Antwort, die uns aber nicht schmeckt, wäre: einfach alles. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das auch wirklich so ist. Ich denke, sie will von mir ernst genommen werden in ihren Bedürfnissen. Sie will respektiert werden. Sie will, dass ich sie so behandle, wie es mir durch den Traviabund auferlegt wurde, als mein Weib. Ob sie dabei auf Sex bestehen würde, kann ich nicht beurteilen. Anwesenheit? Vermutlich, zumindest regelmäßig. Dass ich mich um sie und um Lulu kümmere, sicherlich. Vermutlich, dass ich sie bei offiziellen Anlässen als meine Frau an meiner Seite führe, zumindest ab und an. Also, ich denke, sie will das Gleiche, wie du es dir wünschst, mein Schatz.” Ein schelmisches Lächeln schummelte sich auf seine Lippen. “Außer, dass ich weiß, dass du von mir auch den Sex willst.” Der Magier zwinkerte Meta zu.

Endlich ging das Gespräch fruchtbarer voran. „Gut...,” Meta ließ sie Finger knacksen, was Gudekar zusammenzucken ließ. “Und wenn sie das bekommt, außer dem Sex? Sie darf eine Person ihrer Wahl zur Hilfe einstellen, wenn du nicht da bist. Dann sind wir eh zusammen und du würdest offiziell hier wohnen. Weißt du, es sind gefährliche Zeiten. Zusammen leben können wir später immer noch. Du kommst jeden Monat hierher und kümmerst dich...“ Meta hob den Zeigefinger „…außer du weißt schon.” Gudekar musste unwillkürlich lachen, denn Meta sah mit dem erhobenen Finger aus wie eine seiner alten Lehrmeisterinnen an der Akademie. “Meinetwegen ist sie bei offiziellen Anlässen dabei. Wenn ich nicht verhindert bin, bin ich aber mit dabei. Leibwache.“ Gudekar nickte langsam. Sie lachte ihn positiv an. „Gib zu, wir brauchen uns. Und irgendwas ist hier am Anfang ganz schief gelaufen. Oder war das schon Gwenns Werk? Unter dem Einfluss dieser Schlange steht Merle ja gerade.“

“Jeden Monat wird von Tälerort aus nicht möglich sein, dann bin ich ja nur am Reisen, also keine Sorge.” Gudekar wurde ernst. “Meta, dies würde dir viel zu opfern abverlangen. Bist du wirklich dazu bereit? Das spricht alles gegen all das, was du dir immer von mir erwünscht hast. Letztlich würde es bedeuten, du wärst meine heimliche Geliebte und Merle nach außen mein Weib.” Gudekar griff nach einem der beiden Weinbecher. Als er ihn zum trinken ansetzte, war er sicher, dass es Metas Becher war, denn er hatte den Duft ihrer Lippen in der Nase. Er trank einen kräftigen Schluck. “Ich glaube nicht, dass Gwenn von Anfang an dahinter steckte. Am ersten Abend hat sie uns doch noch geholfen. Irgend etwas hat sie dazu gebracht, sich zu ändern. Aber ja, ohne Gwenn würden wir jetzt ganz anders da stehen. Gwenn hat keinen unerheblichen Anteil an unserem Unglück. Das werde ich ihr früher oder später vergelten.”  

„Soll ich mit Merle alleine mal reden? Hätte ich das gewusst, wäre ich nie auf die Hochzeit dieses Weibs gefahren. Du sollst dein Leben nicht wegwerfen. Ich dachte nicht, dass Merle und du… dass ihr noch solche Gefühle habt.“ Meta kaute in Gedanken wieder auf ihrer Unterlippe. „Ich werde es irgendwie durchziehen. Ich werde versuchen, was möglich ist. Sie hat dich doch schon so verloren, wie du früher warst. Aber versprich mir. Was auch passiert, stürze dich nicht ins Unheil.”

“Dafür ist jetzt keine Zeit mehr, mein Liebling.” Gudekar schätzte, wie spät es wohl sein würde. “Du kannst dich noch schnell umziehen, wenn du willst, dann müssen wir auch schon bald los zu Merle.” Gudekar war von Metas letzter Bemerkung irritiert. “Was sollte mir denn für ein Unheil widerfahren?”

Meta lächelte verlegen, sie war sich Gudis Liebe sicher. Und jeder durfte mal einen blöden Fehler machen. Jetzt zumindest sollte sein sexuelles Bedürfnis erstmal gestillt sein. “Du ziehst dich auch nicht um, oder?“ Sie kratzte sich etwa am Kinn. „Ich dachte nur für alle Fälle, falls sie darauf besteht, etwas zu verlangen, auf das ich nicht eingehen kann. Kämpfe weiter, wenn du der Meinung gewesen wärst, hätte ich mit dir gekämpft. Ich meine, nur für den Fall.“

Gudekar lächelte beruhigend. “Meine Sachen sind ja wieder in Merles Zimmer. Da kann ich mich nicht umziehen. Aber wir stehen das doch zusammen durch. Gemeinsam. Als Partner.”

Meta nickte stumm und kuschelte sich wie ein Kätzchen auf der Bank an Gudi. Wenigstens dafür war die Robe perfekt. „So ist es bequem. Lass uns hier warten und vergiss bitte nicht, dass ich Imelda nochmal frage.“

Der Magier legte seinen Arm um Metas Schulter und hüllte sie halb unter seine Robe, so dass sie es warm hatte. “Schlaf noch ein wenig, bis wir los müssen. Ruhe dich aus, es war ein anstrengender Tag. Dabei ist er erst halb herum.”

Während er merkte, wie Meta langsam ruhiger wurde, fing Gudekar an, ein altes Lied zu summen, dass ihm seine Mutter oft vorgesungen hatte, als er noch klein war.

“Schlaf ein. Es war ein langer Tag.

Bishdariel hat jetzt leichtes Spiel.

Lass alles los, was dir die Ruhe nimmt,

Such keinen Weg und such kein Ziel.

Schlaf ein. Es war ein langer Tag.

Und manches lief dir heute quer

Lass alles geh’n und ruh dich aus -

Schlaf ein und träum vom Meer.”

Meta fiel in einen seichten Schlaf. Ihre Gedanken führten sie in eine unerwartete Traumwelt.