LH0-Prolog

Lützeltaler Hochzeit: Prolog – Familienprobleme

(bis zum 11. Travia 1045 BF)


Prolog zur Lützeltaler Hochzeit

Die Ritterin und der Magier

(10. TRAvia 1045)

Es war ein sonniger Tag im TRAvia, als der Anconiter Gudekar von Weissenquell in Albenhus am Kai des Hafens stand und auf den Flusssegler wartete. Endlich war das Schiff in der Flussbiegung zu sehen. Und tatsächlich, er entdeckte sie sogleich an Deck. Auch, wenn sie sich seit Elenvina im RONdra nicht mehr gesehen hatten, erkannte er sie sofort. Doch etwas war anders: Dort stand keine Knappin, sondern eine echte Ritterin an Deck. Freudestrahlend winkte Gudekar Meta Croy zu und lief zum Landeplatz des Schiffes.

“Meta, mein Schatz! Endlich! Ich habe so lange auf dich warten müssen.” Der Magier umarmte die junge Ritterin und gab ihr einen Kuss. Mit leuchtenden Augen sah er sie an. “und wie ich sehe hat sich Thymon endlich durchgerungen, dir den wohlverdienten Ritterschlag zu gewähren?”

Meta hatte Gudekar schon strahlend vom Segler aus gewunken. An Land, als er sie umarmte, sog sie seinen Duft ein und hielt ihn ganz fest (aber behutsam, Magier waren empfindlich). „Ja, endlich. Das kam ganz überraschend. Jetzt kann ich als würdige Leibwache zu Gwenns Hochzeit.“ Die junge Ritterin tätschelte stolz ihr Schwert. „Wie hast du das erklärt, dass du einen Leibwächter brauchst. Und, wart, ich bin schon arg aufgeregt, die alle zu treffen. Es weiß ja noch immer keiner was?“ Sie rollte mit den Augen. „Aber Imelda ist da, das ist schön. Da kenne ich schon jemanden. Ich bin grad noch etwas durcheinand, kannst du mich auf dem Weg bisschen instruieren, wie ich mich am besten verhalte?“

Gudekar schaute etwas verlegen. „Ehrlich gesagt habe ich es noch gar nicht erklärt, sondern einfach nur angekündigt. Ach, Imelda kommt auch, Imelda von Hadingen?“ Gudekar war überrascht. „Pass auf! Ich habe für heute im ‘Torkelnden Einhorn’ ein Zimmer für dich gebucht. Da kannst du dich von der Schiffsreise erholen. Morgen früh hole ich dich dort gleich nach Sonnenaufgang ab. Ich habe in Darrenbruck zwei Pferde geliehen, dann können wir gleich losreiten. In Darrenbruck machen wir eine kurze Rast und tauschen die Pferde. Wenn wir uns beeilen sind wir noch vor Einbruch der Dunkelheit in Lützeltal. Auf dem Weg erkläre ich dir alles.“

Skeptisch zog Meta die Augenbrauen zusammen. „Du hast noch gar nichts gesagt? Und dir nichts überlegt? Ach Gudi.“ Liebevoll aber verzweifelt patschte sie ihm mit der flachen Hand auf den Hinterkopf „Dann strengen wir uns eben gemeinsam an. Aber diesmal keine Ausflüchte. In Ordnung, du erklärst mir auf den Weg, wie ich mich verhalten soll und wer da sein wird. Imelda hatte es mir übrigens geschrieben.“ Die frische Ritterin konnte trotz allem ihre Freude nicht verbergen und bekam wieder rote Bäckchen mit Grübchen. Kurz strich sie beiläufig über den Amethyst an ihrer Kette, dann nahm sie Gudekars Hand und verhakte ihre Finger mit den seinen. „Ich bin aufgeregt.“

„Keine Sorge, mein Schatz. Ich werde es Vater und Kalman auf der Feier sagen. Gwenn und Mika wissen es eh schon. Aber Gwenn hat mich gebeten, es erst nach ihrer Zeremonie zu erklären. Sie will nicht, dass ich ihre Hochzeit ruiniere, weil Vater und Kalman einen Aufstand machen werden. Ich habe der Familie gesagt, dass mir wegen den Machenschaften des Pruchs eine Ritterin als Bedeckung zur Seite gestellt wurde. Das verstehen sie, zumal ich ja für das Lützeltal im letzten Jahr auch zwei Plötzbogener zur Bewachung beordert hatte. Eine Kriegerin von denen ist auch noch da und soll als Schutz für Gwenn die Augen aufhalten. Wir sollten also bis zum Praiostag, wenn die Hochzeit stattfindet, einfach so tun, als ob du zu meinem Schutz da bist. Dann wird niemand Fragen stellen, wenn wir ständig zusammen sind. Und nach der Zeremonie sagen wir allen, dass wir beide bald zusammen nach Tälerort aufbrechen.“

„Oh, Mika und Gwenn wissen es schon?“ Meta holte tief Luft und lächelte dann nervös. „Was haben sie dazu gesagt? Der Rest ist logisch, ich passe sowieso dauernd auf dich auf und ruinieren will ich niemandem was. Ach, das wird schon werden, bei Rahja nicht wahr?“

“Hatte ich dir das nie erzählt? Mika hatte es damals in Ishna Mur von Imelda erfahren und sich dann bei Gwenn verplappert. Was sie dazu gesagt haben?” Ein strahlendes Lächeln setzte sich in sein Gesicht. „Na, was denkst du, wenn sie es bis heute zu Hause nicht verraten haben?”

Erleichtert lächelte Meta. Wenn sich Imelda gut mit den Schwestern verstand waren sie sicher schwer in Ordnung.

(11.TRAvia 1045)

Meta und Gudekar verbrachten noch einen gemeinsamen Abend in Albenhus, an dem sie viel redeten und das Wiederzusammensein genossen. Er hatte seine vor Rahja Erwählte länger nicht gesehen, umso leidenschaftlicher wurde die Nacht. Meta hatte sich verändert. Es mochte an der Schwertleite, der langen Trennung oder einfach aus einer Laune heraus so sein. Noch nie hatte sie sich ihm dermaßen lustvoll, zärtlich aber auch unersättlich hingegeben. Spät kam ein Gudekar, der sich wie der beste Liebhaber Deres fühlte, völlig müde zur Ruhe. Am nächsten Morgen ritten sie kurz nach Sonnenaufgang durch den Morgennebel los in Richtung Lützeltal. Während des Ritts und während den wenigen, kurzen Rasten erzählte Gudekar, wen er alles auf der Hochzeit erwartete und was die beiden wohl erwarten durften. Am Abend vor dem Tag der Treue, kurz nach Sonnenuntergang, erreichten sie schließlich im letzten Licht der Dämmerung das Dorf, in dem Gudekar die ersten Jahre seines Lebens verbracht hatte. Obwohl die meisten Arbeiten für die Vorbereitungen des Festes für heute bereits unterbrochen waren, war zu erkennen, dass es noch einiges zu tun gab, bevor morgen die Festlichkeiten beginnen konnten. Gudekar lenkte das Pferd in Richtung des Brauhauses. Aus den Fenstern der Gaststube schien flackerndes Kerzenlicht auf den Dorfplatz.

Der Magier hielt sein Pferd an und rutschte sacht aus dem Sattel. “Schau Meta, das ist das Brauhaus Rodenbach. Hier soll ein Zimmer für dich freigehalten worden sein. Gwenn hat mir neulich gesagt, dass ich auf dem Gutshof bei der Familie schlafen soll.” Gudekar sah das entsetzt-enttäuschte Gesicht der Knappin - nein - der Ritterin! Er musste sich noch daran gewöhnen, dass sie nun endlich, endlich den Ritterschlag erhalten hatte! Noch bevor Meta etwas erwidern konnte, entschied er sich um. “Ach, was soll’s? Komm, wir reiten zusammen zum Gutshaus. Ist sowieso besser, wenn ich dich als meine Beschützerin vorstellen will, solltest du auch dabei sein!” Sogleich schwang sich der Magier wieder in den Sattel.

Erfolgreich hatte ihr Liebster Metas Gefühle erkannt und ihre Fragen ausgebremst. Nein, sie würde nicht eifersüchtig sein. Sollte er wirklich mit seiner Gattin Rahja opfern- was für ein beschämender Gedanke, sie hatten es nie ausgesprochen, aber Meta war ihm so lange schon treu geblieben. Sie wusste, wie dumm das war. Imelda wusste als einzige davon, sie schrieben sich oft- dann würde sie das auch mit anderen Männern tun. „Ja, so soll es sein.“ Mit gemischten Gefühlen folgte sie Gudekar.

~*~

Der Bräutigam

Rhodan Herrenfels war schon einige Tage zuvor angereist, um nach Kräften bei der Hochzeitsorganisation helfen zu können. Doch eigentlich kostete ihm dies wertvolle Zeit - die Ernte diesen Jahres war immer noch nicht komplett eingeholt worden. Wegen der andauernd warmen Temperaturen in Rosenhain hatte ein mutiger Bauer versucht, Weinreben anzupflanzen. Allen Widrigkeiten zum Trotz hatten diese Früchte getragen. Womöglich die erste Weinernte in den Nordmarken! Vinja Rankmann zur Freude, konnte die Rahja-Akolutin doch nicht verhehlen, dass Rosen und Weinreben sich in den Augen ihrer Göttin wunderbar ergänzten.

So war der Kontormeister mitten in der Ernte und Kelter-Saison nach Lützeltal aufgebrochen - weiß Aves nicht die kürzeste Distanz -, um im Wesentlichen rumzustehen. Sein zukünftiger Schwiegervater und die Familie von Weissenquell wussten seine Anwesenheit zwar sichtlich zu schätzen, doch hatten sie die Organisation der Hochzeitsfeierlichkeiten fest in ihrer Hand. Hier und da wurde der feiste Handelsmann eingespannt, einige Kleinigkeiten zu erledigen, geringfügige Entscheidungen zu treffen oder kurz mit anzupacken. Im Großen und Ganzen jedoch konnte Rhodan nur beobachten, wie um ihn herum „alles glattlief“. Das war nicht seine Art. Gut, Rhodan Herrenfels war nicht sonderlich bekannt dafür, Freund körperlicher Arbeiten zu sein. Wozu hatte man einen Kopf, wenn man ihn nicht benutzte? Aber Müßiggang war nun ebenfalls kein Charakterzug, den man dem Rodaschqueller zuschreiben hätte können. Wenn er nicht gerade delikat speiste, dann war er eigentlich immer geschäftig - einem guten Geschäftsmann sollte ja auch keine Gelegenheit für einen guten Abschluss entgehen. Seine Stimmung war deshalb Tag um Tag gesunken, was er jedoch wohl zu verhehlen wusste.

Als der Tag der Ankunft der Gäste nahte, besserte sich seine Laune rapide. Die Aussicht, die Gäste in Empfang zu nehmen und auf seiner - seiner! - Hochzeitsfeier begrüßen zu dürfen, das erfüllte ihn mit Freude. So hatte sich der großgewachsene, dicke Mann zurecht gemacht, seine feinen blonden Haare zu einer schicken Welle frisiert, seine beachtliche Körperfülle in ein modisches weinrotes Wams gepackt und wartete voller Spannung auf diejenigen, die der Einladung des Hauses Weissenquell und Mersingen gefolgt waren.

Neben ihm stand die ihm versprochene Frau, Gwenn von Weissenquell. Die bisherige Haus- und Hofmeisterin der albenhuser Gräfin hatte in den letzten Wochen noch die letzten Erledigungen durchgeführt, um ihre Amtsgeschäfte an ihre Nachfolgerin zu übergeben. Doch noch immer war sie nicht sicher, ob diese ihre Aufgabe auch nur annähernd so gut erledigen würde, wie es Elfgyva von Hardenfels verdient hätte und einfordern würde. Dennoch hatte sie, als Rhodan in Albenhus eintraf, den albenhuser Hof verlassen – dieses Mal für immer. Gemeinsam mit ihrem Bräutigam war sie nach Lützeltal gereist, um die letzten Vorbereitungen für die Feier zu organisieren, denn dies war es was ihr besonders lag.

Gwenn war mit ihren 29 Jahren deutlich jünger als Rhodan, dennoch liebte sie ihn von ganzem Herzen. In dem einen Jahr, das sie sich nun kannten, hatte sie gemerkt, dass sie viele Gemeinsamkeiten und gleiche Interessen hatten. Sie schätze das Geschick Rhodans bei allen geschäftlichen Belangen. Er hatte ein Verhandlungsgeschick, das sie sich während ihres Dienstes bei Elfgyva ebenfalls des Öfteren gewünscht hätte. Nun stand auch sie mit einem vornehmen Kleid und hochgesteckten und mit Bändern durchwebten Haaren im Hof des Gutshauses und freute sich, viele Familienmitglieder und Freunde wiederzusehen.

Der großgewachsene Handelsmann lächelte seiner Verlobten zärtlich zu. Hätte er vor Jahren gedacht, so ein Glück zu finden? Eine ehrbare Anstellung, eine liebende Frau? Seine Gedanken merkte man ihm nur an, weil er sich verträumt durch das Haar strich. „Bald werden unsere Gäste eintreffen. Ich danke dir und deiner Familie ganz herzlich für die vielen Mühen der Vorbereitung! Es wird ein Freudenfest zu deinen Ehren, meine Liebste!“

Gwenn schaute zu Rhodan und lächelte ihn an. “Aber ohne deine Unterstützung hätten wir das alles nicht geschafft! Und es ist ein Fest für uns beide. Ich hoffe, auch du wirst es genießen können.” Einen Moment schaute sie Rhodan liebevoll an. Dann bemerkte sie: “Hoffentlich hat dein Herr eine gute Anreise.”

Da lachte Rhodan ein tiefes, zufriedenes Lachen. „Ach sicherlich! Der Herr von Mersingen ist ein geübter Ritter und weitgereister Mann. Das Wetter ist gut, die Straßen sicher. Was soll da schon schief gehen. Ach ja: Sollte der Herr Lares ein wenig…schlechte Laune haben“, wobei der Händler kurz um das richtige Wort rang. „Mach dir keine Sorgen. Das gilt weder dir noch der Feier. Er ist momentan ein wenig sorgenvoll - wir sind alle dankbar ob der guten Ernte, aber es ist doch etwas ungewöhnlich warm. Der hohe Herr fürchtet, dass das nicht mit rechten Dingen zuginge. Na, habe ich ihm gesagt: Die Götter haben das zu unserem Wohlgefallen gefügt. Doch so richtig beruhigt hat ihn das nicht. Er ist insgesamt etwas nervös dieser Tage.“ Der Blonde wurde von Wort zu Wort nachdenklicher, dann aber wischte er die schweren Gedanken mit einer ausladenden Geste beiseite. „Das gibt sich schon: Ihm tut ein wirklich ausgelassenes Fest sicherlich gut! Nicht so, wie dieser halbe Wahnsinn in Herzogenfurt.“

Gwenn nickte verständnisvoll. “Das verstehe ich. Gudekar hat mir von den Ereignissen erzählt. Außerdem sehe ich ja, wie es Reto, dem Schwager meiner Schwester, geht. Ihn haben die Ereignisse auch gezeichnet.”

~*~

Familientreffen

(am Vorabend der Feierlichkeiten, 11. TRAvia 1045)

So wendeten Gudekar und Meta ihre Pferde und ritten zurück über den Dorfplatz, überquerten die Straße und folgten dem kurzen Weg, der zum Gutshof führte. Das Tor war bereits geschlossen. Gudekar stieg aus dem Sattel und klopfte mit seinem Magierstab kräftig an das Tor, denn auf der anderen Seite hörte er noch das Poltern des Knechts, der die Pferde versorgte. Sogleich lief Bernhelm Lützelfisch zur Tür. Als er im Schein einer Fackel das Gesicht des Magiers erkannte, grüßte er erfreut. “Herr Gudekar! Ihr seid nun doch noch heute gekommen? Die Herrschaften dachten schon, weil es bereits dunkel geworden ist, ihr reist doch erst morgen an.” Gleich öffnete er das Tor und ließ die beiden Reiter passieren. Als die beiden abgestiegen waren, nahm Bernhelm die Pferde entgegen und wies ihnen den Weg in das Herrenhaus. “Eure Familie ist im Speiseraum.”

Im Haus wurden die beiden sogleich von der Magd Wiltrud Bächerle in Empfang genommen und in den Speisesaal geführt. Dort saß an der langen Tafel Gudekars versammelte Familie: Der Edle Friedewald, Gudekars Bruder Kalman mit seiner Frau Ciala, ihre Kinder Morgan und Madalin, Gudekars Schwester Gwenn mit ihrem Bräutigam Rhodan Herrenfels und Gudekars Ehefrau Merle Dreifelder, auf deren Schoß ihre Tochter Liudbirg Rotrude saß. Unweit der Tafel, an welcher die kleine Sippe zusammengefunden hatte, stand eine weitere Frau, Herlinde von Kranickau, welche die beiden Neuankömmlinge kritisch betrachtete. Gudekar kannte sie zwar nicht, aber am Wappen auf ihrer auffälligen Lederrüstung und der Bewaffnung, die die Kriegerin trug - und das auch noch ohne den auf Festen üblichen Friedensknoten - war deutlich, dass es sich hier um eine Wache des Geleitschutz Plötzbogen handelte.

Wiltrud kündigte die beiden an. “Verzeiht Euer Wohlgeboren, Euer Sohn ist eingetroffen. Er ist in Begleitung der Hohen Dame Meta Croy.” Dann trat Gudekar in den Raum, gefolgt von Meta in gebührendem Abstand.

Friedewald erhob sich von seinem Platz und ging auf Gudekar zu. “Sei gegrüßt, Gudekar, Es freut mich, dass du es doch noch heute geschafft hast.” Dann wandte er sich an Meta, die er fragend anschaute. “Travia zum Gruße, Hohe Dame, es ist mir eine Ehre, Euch in meinem Haus begrüßen zu dürfen. Ihr habt sicher Hunger nach dem langen Ritt? Setzt Euch doch.”

Meta blickte emotionslos in die Runde und deutete dann eine Verbeugung vor Friedewald an. „Die Götter zum Gruße, Travia und Rahja voran. Habt Dank, ich habe tatsächlich Hunger. Wie Ihr sicher wisst, leben wir in Zeiten, die den Schutz gewisser Personen erfordern. Ihr habt mein Wort, dass ich alles tun werde, um Euren Sohn zu schützen.“ Meta fuhr sich durch ihre zwar schon über schulterlangen, aber dennoch widerspenstigen, gelockten Haare. Der Almadaner Zopf löste sich dadurch leicht und sie selbst spürte, dass sie schwitzte. Zudem schlug ihr Herz wieder viel zu schnell.

Friedewald schaute skeptisch. Igendetwas stimmte hier nicht. Seit wann hatte Gudekar eine eigene Personenschützerin? War er inzwischen derart in Gefahr? Das musste Gudekar ihm erklären, doch nicht jetzt. Jetzt hieß es erst einmal, das Zusammensein der Familie zu feiern. Deshalb versuchte er, sich nichts anmerken zu lassen. “Dann freut es mich umso mehr, Euch kennenzulernen. Wir wollen ja nicht, dass dem Gudekar etwas zustößt auf seinen Reisen.”

Kalman rümpfte die Nase und stieß deutlich einen Luftzug aus.

Als die junge Frau den Neuankömmling sah, machte ihr Herz einen kleinen, fast schmerzhaften Sprung. Langsam erhob sie sich aus dem Stuhl und reichte mit einem bittenden Blick und leichten Ächzen die kleine - aber immer schwerer werdende - Liudbirg an ihre Schwägerin Ciala weiter, dann schob sie den dicken, dunkelblonden Zopf nach hinten auf den Rücken, um nicht in Versuchung zu geraten, nervös daran herumzuspielen. Oh ja, sie war nervös. Früher wäre sie ihrem Gudekar einfach entgegen gestürzt und in die Arme gefallen, damals, als sie jung waren - so unglaublich jung - und alles unbeschwert und leicht. Jetzt wusste sie nicht mehr, woran sie bei ihm war; ein dicker Kloß schien in ihrer Kehle festzustecken und ihr die Luft zum Atmen zu nehmen. Wie würde er ihr begegnen, was würde er zu ihr sagen? Merle zwang sich zu einem sanften, leichten Lächeln und strich ihr einfaches, taubenblaues Kleid glatt. ‘Mach’ dich nicht verrückt’, versuchte sie sich zu beruhigen. ‘Er ist da. Endlich. Jetzt und hier, unter Travias Segen, wird alles wieder gut.’ Vielleicht würde Gudekar sie gleich in seine Arme ziehen und herumwirbeln, wie er es früher immer getan hatte. Ihr Lächeln wurde breiter und strahlender, so dass die Grübchen an ihren Wangen deutlich hervortraten. Bewusst gerade und langsam trat Merle auf ihn zu, so dass sie sich direkt gegenüberstanden.

“Gudekar”, sagte sie leise und schaute ihren Ehemann mit großen braunen Augen an, halb erwartungsvoll und halb verunsichert.

Auch Gudekars Herz raste. Was hatte er sich nur angetan? Welch eine Dummheit hatte er begangen, hier mit Meta aufzutauchen? Er war ein Narr! Ach, wenn er doch nur wieder diesen Transversalis ausführen könnte, er würde sich sofort zurück in seine Kammer im Kloster teleportieren. Doch nun war er hier. Er stand vor Merle, die er so lange nicht gesehen hatte. Und sie schaute ihn, wie sie ihn schon so oft angesehen hatte, damals, zu einer anderen Zeit, in einer für sie besseren Zeit. Es tat ihm leid, was er ihr angetan hatte. Das hatte sie nicht verdient. Und dennoch. Hinter ihm stand Meta, die Frau, für die sein Herz schlug. Mit einem zärtlichen Lächeln und sanfter Stimme sprach er: “Sei gegrüßt, Merle! Es ist schön zu sehen, dass du wohlauf bist!” Verunsichert, aber dennoch mit einer gewissen Zärtlichkeit strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

“Ach der Herr Gudekar hat jetzt auch einen eigenen Wachhund!” In Gwenns Stimme lag ein freudig-ironisches Lachen und sie deutete hinter sich zu der Gerüsteten. Gudekars Schwester war ebenfalls aufgestanden und zu ihrem Bruder gelaufen, den sie nun mit einer Umarmung begrüßte. “Es tut gut, dich zu sehen. Schon, dass du zu meiner Hochzeit kommen konntest!”

Ciala musterte ihren Schwager skeptisch und noch skeptischer dessen Begleitung. „Jetzt hat er zufällig ein Weib dabei. Da müssen wir einschreiten. Schatz, das meinst du doch auch?“ Nichts desto trotz strich sie Lulu durchs Haar und ließ sie etwas auf ihrem Schoß reiten. Die Kleine liebte solch innige Spiele.

“Pst, Schatz!” Kalman flüsterte hinter vorgehaltener Hand zu Ciala. “Mir gefällt das auch nicht, aber wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen.” Er würde die Situation still beobachten. Viel hatte er seinem Bruder eh nicht zu sagen.

Meta fühlte sich so unwohl, wie schon lange nicht mehr. Sie wusste nicht, wie lange sie diese Charade mitspielen konnte. Jetzt kam sie sich wie eine billige Geliebte vor. Gwenn, die wusste doch Bescheid. Wenigstens sie wäre vielleicht auf ihrer Seite. Wie angeboten nahm sie etwas abseits Platz.

Merle lächelte, als ihr Mann ihr so lieb die Haarsträhne aus der Stirn strich, wie er es früher immer getan hatte. Sie war immer noch aufgeregt und unsicher, doch die vertraute, liebe Geste fühlte sich an, als würde er buchstäblich die Hand ausstrecken, um die Kluft, die zwischen ihnen entstanden war, zu überwinden. Sie zögerte kurz, dann legte sie ihre Hand sanft auf seinen Oberarm und zog ihn in eine Umarmung. “Ich bin auch sehr, sehr froh, dass du wohlauf bist”, flüsterte sie ihm leise zu.

Gudekar ließ Merles Umarmung einen Moment über sich ergehen. Dann erwiderte er die Geste, doch sein Zögern dauerte zu lange, als dass man es nicht wahrnehmen konnte. Auch war seine Umarmung nicht annähernd so herzig. Er tätschelte Merle leicht auf die Schulter, dann versuchte er, sich aus der Umarmung zu lösen. “Jetzt will ich aber erst einmal meine kleine Lulu begrüßen.” Er wandte sich zu Ciala und streckte die Arme aus. “Travia zum Gruße, Ciala! Kalman! Komm, reich’ mir meine kleine Prinzessin!”  

Ciala betrachtete Gudekar abschätzig. „Aber natürlich. Deine Frau und deine Tochter. Ihr sollt hier vereint sein.“ Sie wollte ihm Lulu reichen, doch diese weigerte sich und suchte herzzerreißend nach ihrer Mutter. „Mama!!“ Gleichzeitig klammerte sie sich an Ciala und dicke Tränen rannen dem hübschen Kind über die Wangen. „Sie kennt dich nicht, Gudekar. Sei ein guter Vater und setz dich doch mit Merle zusammen. Und deine Beschützerin sieht hungrig aus. Hier in diesem Raum glaube ich nicht, dass wir so viele Wachen brauchen. Friedewald, was hältst du davon, wenn wir der Ritterin bei der Küche Speis und Trank geben? Sie sollte sich etwas erholen.“

“Aber Ciala, wo ist deine traviagefällige Gastfreundschaft?”, monierte der Hausherr. “Diese junge Dame ist eine Dame von Stand, die schicken wir doch nicht zum Speisen in die Küche!”

„Bei Travia. Meine Manieren. Ich wollte der Hohen Dame nur etwas Ruhe gönnen“ Ciala fand selbst Gefallen daran. So konnte sie Gudekar und diese Ritterin in einem Raum beobachten.

“Ich denke, die hohe Dame Croy wird heute Nacht genug Zeit haben, sich von den Strapazen der letzten Tage zu erholen.” Gudekar zwinkerte Meta zu, so unauffällig, dass nur sie dies sehen konnte. Dann blickte er noch einmal enttäuscht zu Liudbirg, die ihm mit ihrem Fremdeln das Herz brach.

In diesem Moment kam Wiltrud in den Saal und stellte zwei neue Gedecke auf den Tisch, eines an den freien Platz neben Merle, das andere am anderen Ende der Tafel, dort wo Meta Platz genommen hatte. Wortlos tat sie Meta von dem Steckrübeneintopf in eine Schüssel und stellte einen Korb mit Brot neben sie. “Was möchte die Hohe Dame trinken? Ein Bier aus der lokalen Brauerei oder einen Becher Wein?” Dann flüsterte sie Meta ins Ohr: “Nehmt besser den Wein, das ist ein besonderer, sowas haben wir hier sonst nicht!”

Merle war hübsch. Das sah Meta sofort. Und sie hing so sehr an Gudi. Mit der niedlichen Tochter bildeten sie eine wunderbare Familie. Sie musste an Linny denken. Was hatte er gespottet, weil sie sich verliebt hatte. „Bitte den Wein. Den brauche ich.“

“Sehr gute Wahl!” bestätigte Wiltrud und goss Metas Becher fast randvoll. Als Meta den Wein probierte, erkannte sie den Geschmack. Es war eindeutig ein roter Linnarsteiner.

“Den Wein hat der Herr Herrenfels mitgebracht”, erklärte Wiltrud.

Peinlich berührt vom Weinen ihrer Tochter drückte Merle ihre Tochter eng an sich und versuchte Liudbirg mit sanftem Streicheln über das feine Haar zu trösten und zu beruhigen. Entschuldigend blickte sie zu Gudekar, der neben ihr Platz genommen hatte. "Tut mir leid", flüsterte sie ihm zu, "...ist alles ein bisschen aufregend für sie. Die vielen neuen Menschen...", Merle warf einen kurzen Blick zu der fremden Ritterin, die mit Gudekar hereingetreten war, "... aber sie war die ganze letzte Woche schon so aufgeregt, dass ihr Papa bald wiederkommt. Ist sie nicht unheimlich groß geworden?" Merle lächelte Gudekar an und fühlte, wie die Anspannung zu einem gewissen Teil von ihr abfiel. Der Tag, auf den nicht nur Lulu so lange hingefiebert hatte, war nun tatsächlich da. Er war da, bei ihr. Travia würde ihre behütende Hand über dieses Fest halten, über diese Familie. Über ihren Bund. Als Lulu sich beruhigt hatte und sich eher müde an sie schmiegte, griff Merle mit dem freien Arm nach der vor ihr stehenden Weißweinflasche und bot Gudekar wortlos an, ihm einzuschenken. Sichtlich glücklich und erleichtert lehnte sie sich zu ihm, musterte sein vertrautes Gesicht und blickte ihm innig in die Augen. "Schön, dass du da bist."

“Ja, es ist schön, wieder in der Heimat zu sein”, bestätigte Gudekar nickend. Er schaute die ganze Zeit auf Liudbirg und lächelte sie an. “Und noch dazu zu so einem schönen Anlass. Hoffen wir einfach, dass alles gut verläuft.” Auf Merles Geste hin entgegnete er: “Danke, Merle, aber ich würde lieber von dem Roten nehmen.”

“Wie du willst”, lächelte Merle, sich nur für einen Wimpernschlag eine leichte Irritation anmerken lassend. Sie wartete, bis Wiltrud Gudekar von dem Rotwein eingeschenkt hatte und prostete ihm andeutungsweise zu. “Auf ein wunderschönes Hochzeitsfest, was?”

“Sehr wohl! Auf ein wunderschönes Hochzeitsfest! Auf die Braut und den Bräutigam!” Dabei prostete er allen zu, angefangen bei Merle, dann Gwenn und Rhodan, dann reihum. Als letztes hob er den Becher in Metas Richtung, bei der sein Blick länger verweilte als bei den anderen.

"Auf die Braut und den Bräutigam", wiederholte Merle strahlend. Als Lulu, die nach ein paar neckischen Grimassen von Rhodan wieder lachte, sich zu winden begann und hinunter wollte, ließ sie ihre Tochter von ihrem Schoß gleiten, so dass diese unter der Tafel herumkriechen konnte, was sie vorhin schon mit Freude gemacht hatte. So lange sie nicht zu sehr an den Tischtüchern zerrte… "Ich freu' mich so auf das Fest", sagte Merle an Gudekar gewandt. "Hast du gesehen, wie alles geschmückt ist im Dorf? Oder war's eben schon zu dunkel?"

Gudekar trank von dem Wein, der in ihm sogleich Erinnerungen an die private Weinprobe mit dem Edlen vom Traurigen Stein wachrief. “Nein”, antwortete er. “Es war tatsächlich schon etwas dunkel, als wir ankamen. Aber ich bin sicher, die Lützeltaler haben sich wieder alle Mühe gegeben, ein besonders schönes Fest für Gwenn vorzubereiten.”

"Du wirst es ja morgen sehen… Alle haben sich unheimlich ins Zeug gelegt bei den Vorbereitungen." Ihr Blick ging kurz verträumt in die Ferne. "Es erinnert mich alles an damals, wo wir geheiratet haben…" Sie schaute ihn an und lächelte ihn liebevoll an, mit einer Spur Wehmut in den Augen. "Lange her, was?"

Gudekar blickte zu Merle und in seinen Augen lag Traurigkeit. “Ich bin gespannt, was ihr alles vorbereitet habt!” Dann schreckte er hoch und stand auf. “Ach je, apropos vorbereitet: Vater sag weißt du, wo Leodegar und Wulfhelm sind? Sind sie bei der Jagdhütte? Ich muss mit Ihnen doch noch wegen morgen Abend sprechen!”

Der Edle, der sich gerade mit Kalman unterhalten hatte, drehte sich zu Gudekar um. “Ja, sie müssten dort sein, sie wollten mit Seiner Gnaden Firumar und Mika die Details der Jagd durchgehen.”

“Mika ist auch dort?”, freute sich Gudekar. “Dann sollte ich mich eilen, bevor es ganz und gar zu dunkel ist, dort hinzureiten.” Gudekar war im Begriff, die Tafel zu verlassen.

Verwirrt hob Merle die Augenbrauen. Gudekar war doch gerade erst angekommen und wollte sofort wieder davonstürmen? Es lag ihr fast auf der Zunge, ihn zu bitten, zumindest noch sein Abendmahl zu essen, doch schluckte sie den Einwand herunter. Schließlich wollte sie ihren Mann nicht sofort nach seiner Rückkehr kritisieren und gängeln. So nickte sie nur verständnisvoll und schenkte Gudekar ein heiteres Lächeln. “Gut, dann bis später”, erwiderte sie gelassen. “Grüß Mika von mir! Du weißt ja, dass wir im Gesindehaus einquartiert wurden?”

“GUDEKAR SETZ DICH!” hörte man den harschen Befehl seiner Schwägerin Ciala. “Es ist eh schon viel zu dunkel. Das Pferd bricht sich sonst nur die Beine. Du kannst das morgen früh immer noch besprechen.” Ihr Misstrauen wuchs. Dabei hatte es so harmonisch begonnen. „Schämen solltest du dich. Merkst du nicht, wie deine Familie dich braucht?“ Ciala war in Rage und nahm erstmal einen ordentlichen Schluck. „Du hast vor Travia gesündigt, das weißt du genau.“ Sie beugte sich zu Gudekar und legte schützend seine Hand auf Merles Schulter. „Morgen werdet ihr zwei euren Bund erneuern. Sehen wir es als einen Neuanfang, was meinst du, Merle? Es wissen zu viele von dieser Frau und dem Kind. So werden sie sehen, dass es nur ein Versehen war.“

Merle war bei Cialas lautem Ausbruch sichtlich zusammengezuckt und rot angelaufen. Mit einem eindringlichen Blick versuchte sie ihre Schwägerin wortlos zu bitten, Ruhe zu geben und ihre Ehe mit Gudekar nicht hier beim Abendessen vor der ganzen Familie zu diskutieren. Noch dazu vor den beiden Wachfrauen. “Es ist schon gut”, sagte sie leise und beschwichtigend zu Ciala und wandte sich mit einem entschuldigenden Lächeln an Gudekar: “Vielleicht ist es wirklich besser, wenn du Mika erst morgen triffst. Es ist ja schon spät.”

“Aber ich muss”, wollte Gudekar ansetzen, als sich Kalman auch noch einmischte.

“Gudekar, Bruder, sei unbesorgt, Leodegar hat alles, so wie du es in dem Brief beschrieben hast, vorbereitet. Und wie Vater sagte, sie gehen mit seinen Gnaden die Jagd durch. Da kannst du nicht reinplatzen und stören. Mika wird morgen im Dorf sein, da hat ihr Firumar Ausgang gewährt, damit sie uns alle begrüßen kann.”

Enttäuscht und widerwillig setzte sich Gudekar wieder, woraufhin ihm Wiltrud nun endlich auch von dem Eintopf in die Schüssel auftat.

„Merle, Liebes, es tut mir leid. Ich hatte mich einfach so geärgert. Und das morgen ist das perfekte Zeichen. Wir sind ja fast unter uns.“

Immer noch peinlich berührt blickte Merle eine Weile starr nach unten auf ihren Suppenteller, bis sie schließlich wieder schüchtern zu Gudekar aufsah. “Tut mir leid”, wisperte sie ihm zu. “Alle sind so angespannt wegen der Hochzeit. Morgen wird’s bestimmt besser.”

Ciala war sichtlich betroffen. „Merle, natürlich.“ Sie sprach in normalem Tonfall zu den Beiden. „Ich hab doch gesehen, wie ihr euch begrüßt habt. Wie früher.“ Sie lächelte ehrlich und glücklich. „Na ja fast wie früher. Aber morgen, wenn ihr den Bund erneuert habt, ist das ein Zeichen Travias. Eine zweite Chance. Und ihr habt Lulu.“

"Ciala, lass' gut sein, bitte", brachte Merle heraus, immer noch sehr leise, mit einem fast flehenden Blick aus ihren braunen Augen. “Gudekar ist doch gerade erst angekommen, überfall’ ihn nicht so. Und lass’ uns über diese Sachen bitte nicht hier sprechen.” Sie schaute, im verzweifelten Versuch, endlich das Thema zu wechseln, zu Wiltrud. “Die Suppe ist wirklich köstlich! Findest du nicht auch, Gudekar?”

“Ja, da hast du recht. Zu Hause schmeckt es halt immer noch am besten. Aber ärgere dich nicht Merle, du hast doch nichts falsch gemacht. Ciala hat halt ihre eignen Sichtweisen.” Dann sinnierte er über das, was Ciala ihm an den Kopf geworfen hatte und schaute sie mit einem kalten Blick an. Dann verstand er. Glaubte er zumindest. Und innerlich musste er schmunzeln, was sich jedoch nur durch ein kaum wahrnehmbares Funkeln in seinen Augen zeigte. “Oh Ciala!” seufzte es. An Merle gewandt erklärte Gudekar: “Merle, Liebes, mach dir keine Sorgen wegen Tsalinde und ihrem Kind. Deswegen müssen wir doch unseren Bund nicht erneuern. Das habe ich dir doch erklärt. Das war ein Feenbann, dem ich damals erlag. Ich werde Tsalinde sicher niemals wiedersehen.”

“Dafür möchte ich meine Hand nicht ins Feuer legen!” erschallte die kräftige Stimme von Friedewald. Als sich alle zu ihm umdrehten ergänzte er: “Ich habe die Dame von Kalterbaum und ihre Familie zur Feier eingeladen. Sie werden morgen eintreffen.”

“DU HAST WAS?” riefen Gwenn und Gudekar gleichzeitig schockiert.

***

Gwenn ging nicht zurück zu ihrem Platz, sondern drehte den Stuhl vor dem Platz, auf dem Meta saß, ein wenig in Metas Richtung und setzte sich, so dass sie den Gast gut anschauen konnte. “Ich bin Gwenn, die Schwester von Gudekar, die in drei Tagen den Traviabund eingehen wird. Meta Croy ist Euer Name? Sagt, das ist in diesen Landen ein ungewöhnlicher Name, wo kommt ihr her?”

„Danke“ wisperte Meta. „Er macht es mir nicht gerade leicht. Es zerreißt mich.“ Lauter erklärte sie Gwenn, nachdem sie ihr zugeprostet hatte ihre komplizierte Herkunft. „Nacio y vivio en Almada, Cres“ Sie schmunzelte. Gudekar hatte es immer gefallen, wenn sie almadanisch gesprochen hatte. „Eine Mixtur seltsamer Zufälle hat mich genau dorthin geführt, wo dieser Wein unter Praios Schein gedeiht. Bei Thymon vom traurigen Stein wurde ich endlich zur Ritterin geschlagen. „Euer Bruder hat mir schon viel von Euch erzählt. Ihr scheint das Glück weniger Menschen zu haben, mit einem Mann den Bund zu schließen, für den Euer Herz schlägt. Und seines für Euch.“ Gudekar hatte soeben mit einem Trinkspruch allen zugeprostet. Als er Meta länger in die Augen sah, hielt sie ihm mit unbewegter Miene stand. Eisig, so kalt, enttäuscht und verletzt hatte er sie noch nie gesehen. „Wo waren wir? Ach genau. Diese Glück scheint es in Eurer Familie öfter zu geben. Ciala und Kalman und jetzt diese hübsche, vereinte Familie.“

Zunächst strahlte Gwenn zu ihrem Rhodan, als Meta über ihr Glück sprach. Ja, sie hatte Glück. Doch dann verstand sie, worauf Meta hinaus wollte. Es musste schrecklich für die junge Frau sein, ansehen zu müssen, wie sich ihr Geliebter hier um seine Familie kümmerte. Was hat sich Gudekar nur dabei gedacht, sie hierher zu bringen und ihr dies anzutun? Sie wusste von Gudekar, dass es ihm mit Meta ernst war, das war ihm anzusehen, wenn er mit Gwenn über die junge Frau sprach. Und sie akzeptierte es, auch wenn sie Merle ebenfalls mochte und das Schicksal von Gudekars Frau sie dauerte. Doch sie wusste auch, dass man seinem Herzen folgen konnte. Und es tat gut, Gudekar derart glücklich zu sehen, wenn er von Meta sprach. So glücklich hatte sie ihn noch nie erlebt. "Seid unbesorgt! Natürlich liebt er seine Tochter. Und er ist froh sie wieder zu sehen. Doch sein Herz gehört allein einer Frau.“

“Welcher Frau? Na selbstverständlich dir, meine Liebste!”, erklärte der Händler aus dem Brustton der Überzeugung, als er in die Unterhaltung platzte. Zuvor hatte er versucht, die kleine Lulu aufzuheitern. Er konnte schon immer gut mit Kindern - die Aufrichtigkeit und Freundlichkeit dieser kleinen Wesen war bestechend. Wenn eines weinte, dann war sein Herz verloren und nichts ging darüber es wieder zum Lachen zu bringen. Merle gegenüber mochte das vielleicht etwas übergriffig wirken, doch hatte sie diesen Charakterzug des großen Handelsmanns bereits kennenlernen dürfen. Als er sich nun wieder an seinem Platz neben seiner Braut setzte, hatte er also nur das Ende des Gesprächs mitbekommen und wollte die Chance nutzen, auch sie aufzuheitern - merkte er doch, das Gesprächsthema auch dort nicht wirklich heiter war.

Gwenn lächelte Rhodan dankbar an. Sie hatte bemerkt, dass Ciala wohl einige Wortfetzen mitangehört hatte und kritisch zu den beiden hinüber blickte. Betont laut sprach sie deshalb weiter, so dass Ciala sie auf alle Fälle hören konnte. “Ich weiß, mein Liebster! Das habe ich der hohen Dame auch gerade sagen wollen. Die Dame Croy kommt übrigens aus Almada, wenn ich ihre Worte richtig gedeutet habe. Stell dir vor! Habt ihr, du und dein Herr Lares, nicht auch Geschäftsbeziehungen in dieses Land, wegen des Rosenöls?”  

Ciala, Kalman und Friedewald, das waren die Personen, die hier gegen sie waren. Aus verständlichen Gründen. Also spielte Meta in ihrer Rolle weiter. “Wohlgeboren Lares von Mersingen. Den kenne ich sogar sehr gut. Er ist wohl auch hier? Da wird er sich freuen, mich zu sehen.” Wieder nahm sie einen ordentlichen Schluck Wein. Er stieg Meta bereits zu Kopf, aber er beruhigte sie so schön und erinnerte sie an das, was sie für Gudekar bereit war, alles aufzugeben. “Phex zum Gruße. Gwenn, wer weiss alles Bescheid?” Sie flüsterte wieder und tat, als würde sie locker zurückgelehnt gestenreich über Wein parlieren. Ihre Züge waren aber hart und ernst. “Gudi ist sein eigener Herr. Die Entscheidung liegt bei ihm und schien mir immer klar. Warum ist man sonst so dumm und bleibt zwei Jahre einem Mann unter diesen Umständen treu? Ich habe ihm vertraut-----Ah, das Rosenwasser. Und der Wein. Rahjaman erledigt das meist und Durinja soll ihm dabei helfen.”

„Ja doch, Herr Lares ist ebenfalls hier und wird sich sicher freuen!“, erklärte Rhodan aus dem Brustton der Überzeugung. „Genau meine Liebste, wir importieren die feinsten Weine aus dem Norden des Horasreichs und insbesondere aus Almada und reichern diese dann mit Rosenblüten an. Ein Hochgenuss, ich sage es euch!“ Insgeheim hoffte der Händler nur, die wilde Knappin - von der der junge Herr doch einiges zu berichten wusste - verwickelte seine Liebste nicht in katastrophale Verschwörungen.

Gwenn flüsterte zunächst zu Meta zurück. „Hier im Haus? Niemand, soweit ich weiß.“ Sie schaute Rhodan abschätzend an. Ob er es vielleicht doch wusste? Sein Herr kannte also die junge Ritterin. Vielleicht wusste er dann auch von ihrer Liaison mit Gudekar und hatte seinen Kontormeister darüber in Kenntnis gesetzt? Und Rhodan war zu höflich, um Gwenn darauf anzusprechen? Das musste sie ihn später fragen. Jetzt jedoch versuchte sie wieder, die Aufmerksamkeit von ihrem Getuschel abzulenken. „Mein Schatz, Almada soll so schön sein. Wenn du wieder einmal dorthin musst, nimmst du mich dann mit?“

„Wenn das dein Wunsch ist, meine Liebste, dann selbstverständlich. Die Reise ist zwar etwas beschwerlich, die sanften Hügel, das Temperament der Leute und das wunderbare Essen entschädigen dafür allemal!“

Scherzhaft provokant und zu Meta blickend schlug Gwenn etwas vor, was sie nicht ernst meinte. “Sag Rhodan, sollte uns dann nicht diese Ritterin begleiten, wenn sie eine solch hervorragende Beschützerin ist und die dortigen Gegebenheiten kennt?

Meta hörte kaum zu. Sie war von der anderen Seite des Tisches, dem gar so perfektem Paar und dieser Ciala, dem furchtbaren Weib, abgelenkt. Sicher würde sich Gudi wie früher wieder alles gefallen lassen. Diesmal nahm sie den Becher mit Wasser und tastete wie so oft nach ihrem einzigen Schmuckstück.

Dann hörten sie Friedewalds sonore Stimme. “Dafür möchte ich meine Hand nicht ins Feuer legen!” erschallte die kräftige Stimme von Friedewald. Als sich alle zu ihm umdrehten ergänzte er: “Ich habe die Dame von Kalterbaum und ihre Familie zur Feier eingeladen. Sie werden morgen eintreffen.”

“DU HAST WAS?” riefen Gwenn und Gudekar gleichzeitig schockiert.

Merle schluckte heftig und sah fast panisch von einem Gesicht zum anderen. Warum konnten nicht alle einfach in Ruhe essen und für ein Stundenglas über unverfängliche Sachen reden; warum musste das, was Gudekar getan hatte, hier so offen und schonungslos auf der Tafel ausgebreitet werden? "Bitte!" sagte sie in die Runde, viel lauter, als es sonst ihre Art war. “Es ist alles in Ordnung, lasst uns nicht streiten!” Sie wandte sich freundlich an Friedewald: “Ich bin absolut damit einverstanden, dass die Dame von Kalterbaum zur Hochzeit kommt. Gudekar hat doch schon erklärt, was… passiert ist.” Obwohl ihr schon wieder ein dicker Kloß die Kehle zuzuschnüren schien und sie kaum atmen konnte, zwang sie sich zu einem heiteren, gelassenen Lächeln. “Und Lulu wird sich bestimmt freuen, ihren Bruder einmal kennenzulernen.”

Ciala wollte Merle nicht weiter weh tun. Aber an den noch fassungslosen Magier lehnte sie sich an und wisperte: “Du brauchst mir nichts vormachen. Den Bund wirst du wegen der anderen Frau, wer es auch sei, oder deinen flüchtigen Geliebten ablegen. Merle hat mir erzählt, wie du dich benommen hast, Adelmann XI ist mein Bruder. Da war nicht nur Tsalinde.“

Rhodan blickte von einem zum anderen und verfluchte sich, nicht mehr Recherche in die Verwicklungen der Gäste gesteckt zu haben. Offensichtlich ging hier etwas ganz an ihm vorbei. So entschied er, lieber zu schweigen und durch Zuhören zu lernen.

“Andeutungen, meine Liebe, nichts als Andeutungen. Und Vermutungen.” Gudekar funkelte Ciala an. “Ich sehe nicht, was dein ehrenwerter Bruder mit dieser Angelegenheit zu tun hat!”

“Nun haltet doch endlich ein! Ciala! Gudekar! Was denkt ihr euch eigentlich? Was soll denn Rhodan von unserer Familie halten?” Gwenn strich ihrem Bräutigam liebevoll durch das Haar. “Am Ende überlegt er es sich noch, und es gibt gar keinen Traviabund in diesem Mond”, scherzte sie. “Vielleicht sollten wir uns alle ein wenig besinnen, und den Abend begehen, wie wir dies eigentlich wollten: als…” Gwenn stockte, fast hätte sie es so ausgesprochen, dass es hätte mißverstanden werden können. “... als ruhiges Beisammensein, bevor morgen der Trubel der Feierlichkeiten losgeht.”

„Gwenn, was auch immer sein mag, es ist mir wichtig, dass Eure Feier dadurch nicht gestört wird.“ Meta flüsterte es leise, aber auch Rhodan konnte es hören. Sie stand selbstbewusst auf und da die Anwesenden gerade perplex oder einfach nur still waren, konnte man sie gut verstehen. „Gelehrter Herr Gudekar. Es scheint mir zu wenig Harmonie zu herrschen. Ihr ward vorhin so versessen darauf, Eure Familie endlich wieder zu sehen, dass wir etwas Wichtiges vergessen haben.“ Lässig ruhte die Hand der Ritterin auf ihrem Schwertknauf. Sie sah den Mann, mit dem sie eine Nacht zuvor so leidenschaftlich und innig Rahja geopfert und liebevoll geredet und ihre Körper endlich wieder gespürt hatten, fest in seine grauen Augen, die sie so sehr mochte. Hart und voller Enttäuschung war ihr Blick. Selbst Gudekar wurde es bewusst, dass Meta schrecklich litt. „Es wird nicht lange dauern. Kommt bitte mit.“

Gudekar blieb für einen Moment das Herz stehen, als er Metas Blick sah. Es war alles ein Desaster! Er hatte so gehofft, Meta einen Gefallen zu tun, indem er sie in das Haus seines Vaters brachte, indem er sie nicht vor den anderen versteckte. Aber dennoch hatte er alles falsch gemacht. Was hatte er sich nur gedacht? Was war er für ein Esel? “Ähm, ja, natürlich”, stammelte er. Er drehte sich zu seinem Vater. “Bitte entschuldigt mich einen Moment, ich bin sofort zurück!” ‘Oder lieber nicht!’, dachte er. Ohne eine Antwort abzuwarten folgte er eiligen Schrittes Meta, die bereits Richtung Tür ging. Kurz vor dem Ausgang des Saals hatte er sie eingeholt und beeilte sich, ihr die Tür zu öffnen.

Perplex musterte Merle die Ritterin, die mit Gudekar hereingekommen war. Sie hatte die Frau bisher kaum beachtet. Gudekar war im Rahmen seiner Ermittlungsarbeit immer mit vielen ihr zumeist unbekannten Leuten unterwegs und leider hatte er zunehmend auch bewaffnete Begleitung nötig. Doch warum ergriff die Unbekannte, die eigentlich nur für Gudekars Sicherheit sorgen sollte, in diesem angespannten Moment innerhalb eines ihr fremden Familienkreises so offen das Wort? Die Frau von Kranickau beobachtete eigentlich immer nur alles, aber sagte kaum etwas, schon gar nichts zu inneren Familienangelegenheiten. Was konnte diese Ritterin so plötzlich von Gudekar wollen? Merle nickte ihm nur kurz zu, da war ihr Gemahl schon aufgesprungen. Sie seufzte erschöpft und hob das Tischtuch, um nach Liudbirg zu sehen, die immer noch unter der Tafel herumkroch, dann blickte sie Gudekar stirnrunzelnd nach. Hoffentlich gab es keine neuen Gefahren und Probleme.

Gwenn wusste genau was los war. Doch konnte und wollte sie nichts sagen. Merle tat ihr genauso leid, wie Meta ihr gerade leid getan hatte. Nein, eigentlich tat ihr Merle noch viel mehr leid, sie konnte ja für die ganze Sache nichts. Sie hatte Merle immer gern gemocht. Doch Gudekar war ihr Bruder. Sicher, es war falsch, was er tat. Es war falsch, was er Merle antat, ohne es ihr zu sagen. Und es war falsch, Meta so lange hinzuhalten. Aber es war ihr Bruder. Und konnte seine Entscheidung zugunsten von Meta so falsch sein, wenn er sie wirklich liebte? Gwenn hoffte, dass Gudekar es schaffte, Meta zu beruhigen, wenn ihm wirklich so viel an ihr lag, wie er immer behauptet hatte. Und sie hoffte, dass er Merle bald Gewissheit geben würde.

Merle rückte mit dem Stuhl näher an ihre Schwägerin heran. “Ciala, können wir kurz sprechen?” wisperte sie so leise, dass es möglichst niemand sonst hörte. “Ich… ähm… ich bin dir unendlich dankbar, dass du mich so unterstützt”, begann sie langsam und zögernd, sich sehr genau die Worte überlegend. “Und für deine Ehrlichkeit. Du hast damals offen gesagt, wie falsch du es findest, dass Gudekar mich… eine Gemeine heiratet. Doch ebenso bist du jetzt immer ehrlich und hilfst mir so viel”, Merle schaute Ciala leicht verlegen mit ihren großen braunen Augen an. “Aber”, sie zögerte, es fiel ihr schwer, ihrer älteren Schwägerin von Stand gegenüber so frei zu sprechen, “...bitte dränge ihn nicht so sehr dazu, den Bund zu erneuern. Der Gudekar ist doch gerade erst wieder zurückgekommen… wenn du ihn so angehst, dann jagst du ihn vielleicht erst recht wieder fort… Er soll sich doch wohlfühlen hier bei uns, oder?” Merle schaute unweigerlich kurz zu der Tür, durch die Gudekar so hastig verschwunden war und warf Ciala einen freundlichen, bittenden Blick zu. “Bitte, liebe Ciala, sprich’ das Thema mit dem neuen Treueschwur erstmal nicht bei ihm an. Lass’ mich das bitte machen, wenn ich allein mit ihm rede. Tust du mir den Gefallen?”

“Natürlich, Merle, ich war einfach so in Rage. Weißt du, dein Mann und ich hatten Briefkontakt. Und da hat er sich …hm nicht von der netten Seite eure Beziehung betreffend gezeigt, wie heute. Es ist sicher besser, wenn du ihn fragst. Eben, wenn Gwenn nicht dauernd gestört hätte, war er fast so, wie früher.”

Rhodan hatte einen Moment gebraucht, um das Komplott zu durchschauen. Dann lehnte er sich zurück und betrachtete das Gesicht seines Schwiegervaters. Der Familienfrieden hing definitiv schief. Und zu viele Frauen hingen an diesem. Was der dicke Händler nicht - und damit meinte er so gar nicht - leiden konnte, das waren Abhängigkeiten. Mit einem zufriedenen Lächeln trank und aß er und lauschte dem Gespräch beiläufig.

In Friedewalds Gesicht bildeten sich tiefe Sorgenfalten unterhalb des Ansatzes seines ergrauten Haares. Er hatte auf eine harmonische Familienzusammenkunft gebaut, doch er hatte die Spannungen unterschätzt, die sich in den letzten Monden und Götterläufen aufgebaut hatten. Gerade zwischen Ciala und Gudekar schien sich seit seinem Ausrutscher etwas angestaut zu haben. Friedewald war vergleichsweise offen mit Gudekars Affäre zu der Edlen von Kalterbaum umgegangen, was ungewöhnlich war für einen traviafürchtigen Mann wie ihn. Aber für Ciala war die Angelegenheit immer noch nicht aus der Welt. Jetzt schien es ihm fraglich, ob es klug war, die Edle und ihre Familie einzuladen. Würde Ciala sie ebenso angehen, wie sie es bei Gudekar tat? Das hätte die Dame nicht verdient.

So lehnte er sich mit bedrückter Miene zurück in seinen Stuhl und ließ den Wein in seinem Becher kreisen.

Merle schwieg für einige Zeit nachdenklich, dann legte sie sanft ihre Hand auf Cialas Oberarm. “Dankeschön Ciala… für alles”, sagte sie leise und voller Wärme. “Ich wollte vorhin auch nicht undankbar sein. Du unterstützt mich so lieb und ich merke ja, dass dir das alles auch nahe geht…” Im Gesicht der jungen Frau war zu erkennen, wie bedrückt und verunsichert sie war, auch wenn sie tapfer versuchte, die Fassung zu bewahren. “Doch auch wenn es dich aufregt, bitte halte dich bei Gudekar zurück. Wenn du ihm so viele Vorwürfe machst und zu etwas drängst, wird er erst recht abweisend reagieren oder wieder wegrennen.” Sie dachte kurz nach und lächelte traurig. “Und wenn er das mit der Erneuerung des Bundes nicht will, möchte ich ihn auch nicht dazu zwingen. Wenn, dann soll die Geste von ihm kommen, aus freien Stücken - nicht weil die Familie ihn überrumpelt. Es ist ja wirklich nur eine Geste, oder? Schließlich sind wir vor Travia verheiratet und brauchen diese Erneuerung eigentlich nicht.” Sie biss sich zögernd auf die Unterlippe und ergänzte mit schüchternem, fragenden Blick: “Aber könntest du heute Nacht vielleicht Lulu zu dir nehmen? Dann hätten Gudekar und ich Ruhe zum Reden. Nur, wenn es dir keine Umstände macht?”

Ciala nahm Merle liebevoll in den Arm. “Sicher mache ich das. Ich halte es für eine Geste von großer Bedeutung. Schließlich musstest du so viel ertragen.” Sie biss sich auf die Unterlippe und nickte langsam. “Ab jetzt werde ich auch versuchen, nett zu ihm zu sein. Du kennst seine Art und wie er mit der Angelegenheit umgegangen ist, das hat mich geärgert. Damals hat er alles getan, um den Bund mit dir schließen zu können. Es ist der Bund vor Travia, den kann er jetzt nicht einfach ignorieren, weil ihm danach ist. Ich werde mich um die anderen Gäste kümmern und in der Küche mithelfen.”

"Danke, Ciala, du bist lieb." Merle drückte ihre Schwägerin und lächelte mit neuer Zuversicht. "Ja, die letzten zwei Götterläufe waren schwer... Aber ich habe mich entschlossen, ihm zu verzeihen und danach werde ich auch handeln. Was geschehen ist, ist Vergangenheit; ich werde mich nicht mehr darüber grämen.” Sie nickte, wie um sich selbst davon zu überzeugen. “Ich glaube fest, dass dies ein neuer Anfang ist.”

***

Gwenn derweil legte ihre Hand auf Rhodans Schulter. Ihr Liebster hatte die Unterhaltung bisher still verfolgt. Wieder fragte sich Gwenn, was er wusste oder ahnte. „Schatz, ich würde gern kurz mit dir sprechen. Könnten wir bitte mal eben nach nebenan gehen?”

Immer noch mit einem ungerührten Lächeln nickte er. Vorsichtig erhob er sich vom Tisch und tupfte sich dabei mit einem Taschentuch die Mundwinkel ab. „Hoher Herr Friedewald, verzeiht - ich bin kurz unpässlich. Noch hatten wir keine Gelegenheit, uns heute Abend länger zu unterhalten. Das würde ich im Anschluss gerne nachholen.“

Friedewald nickte. “Sehr wohl, Herr Rhodan. Ich freue mich auf ein offenes Gespräch.”

Gwenn erhob sich ebenfalls von ihrem Platz. “Vater?”, wollte sie ansetzten, doch er antwortete sogleich mit einem verständnisvollen “Geh nur, Kleines!”

Der gestandene Händler wartete einen Moment auf seine Verlobte und begleitete sie vor die Tür des Speisesaales des Herrenhauses. Er schenkte ihr ein herzliches Lächeln. “Schön, bei deiner Familie zu Gast sein zu dürfen”, versuchte er, ihre Sorgen zu zerstreuen. Wahrscheinlich dachte sie, ihm wäre dieser Konflikt peinlich. Dabei hatte der Rosenhainer schon ganz anderes gesehen.

Ein verzweifeltes Lachen verließ ihre Kehle. “Du bist wirklich lustig, Rhodan! Da war ja die reinste Katastrophe.” Sie führte Rhodan in die Küche und schickte Wiltrud für einen Moment hinaus. Als sie alleine waren, setzte sie sich auf eine Bank und klopfte mit den Fingern auf den Platz daneben. “Hier können wir ungestört reden”. In Gedanken, ergänzte sie: ‘zumindest so lange Mika nicht im Haus ist und über den Kamin lauscht.’ Sie musste bei dem Gedanken an ihre kleine Schwester schmunzeln. “Sag, was weißt du über diese Ritterin, Meta Croy? Und sei bitte ganz offen, dann werde ich es auch zu dir sein.”

Bevor er sich setzte, fuhr ihr der große Mann zärtlich über die Nase und streichelte ihre Backe. Das sorgenvolle Gesicht stimmte ihn traurig, aber umso mehr musste er für sie heiter sein. “Selbstverständlich - ich bin immer offen zu dir. Selbst kenne ich die Dame nicht wirklich. Nur aus Erzählungen meines Herrn. Sie scheint etwas - unbedarfte - Umgangsformen zu pflegen. Dazu muss man allerdings wissen, dass der junge Herr in besonderem Maße sittenstreng ist und die eine oder andere ‘Übertretung’ für einen Eklat hält. Ansonsten scheint die Dame Croy jedoch das Herz am rechten Fleck zu haben und konnte sich wohl sogar in Linnartstein behaupten. Dort geht es…”, er schmunzelte, “etwas anders zu. Nicht unbedingt einer jungen Dame schicklich. Anders eben. Sie machen guten Wein, unbenommen, aber die Umgangsformen sind jedenfalls für den Nordgratenfelser eher horasisch.” Seine gewölbten Backen gingen etwas in die Höhe, dann fasste er ihre Hand und drückte sie vorsichtig. “Dein Bruder scheint es mir zu bunt zu treiben. Familiäres Porzellan ist manchmal dünn, aber er bringt sogar den irdenen Krug zum Bersten. Deine Schwägerin Merle ist ein gutherziger Mensch, deren Geduld - und Abhängigkeit - er ausnutzt. Kein Zeichen charakterlicher Stärke.” Bei den letzten Worten setzte er ein sorgenvolles Lächeln auf. Dass dies nicht in Gwenns Sinne sein konnte, war ihm klar.

Nach einem kurzen, fragenden Blick setzte die Braut in spe ein Lächeln auf. Sie war sich sicher, dass er nicht alles zu gab, was er wusste oder gehört hatte. Gwenn wusste, dass sich der Herr Lares und Gudekar bereits mehrfach begegnet waren. Sie vermutete, dass auch dieser etwas von Gudekars Beziehung zu Meta wissen konnte. “Weißt du, das stimmt, was du sagst, das bezüglich des Prozellans und des Krugs. Die Beziehung zwischen der Dame Croy und Gudekar… da ist mehr als nur, dass sie ihn bewacht. Sie sind… sie sind ein Paar.”

Rhodan zog die Augenbrauen hoch und lächelte entschuldigend. “Ja, das sieht man, wenn man es sehen will”, bekräftigte er. “Aber sie ist nicht die einzige Dame, sondern auch diese Edle von Kalterbaum, richtig?”

Das Herdfeuer im Kamin, über dem die Suppe gekocht wurde, war erloschen. Knisternd sackten die noch glühenden Holzscheite in sich zusammen. Ohne nachzudenken stand Gwenn auf und legte einige Scheite nach, denn die Abluft des Kamins heizte auch einige der oberen Zimmer. Und da die Nächte in dieses Traviatagen bereits kalt werden konnten, sollte das Feuer noch ein, zwei Stundengläser am Lodern gehalten werden. “Das ist Geschichte. Ja, es gab damals in Herzogenfurt wohl ein Zusammentreffen zwischen Gudekar und der Edlen, das nicht ohne Folgen blieb. Doch diese Geschichte ist allen bekannt. Seine Liaison mit dieser Meta versucht Gudekar hingegen geheim zu halten. Soweit ich weiß, sind nur ich und Mika darin eingeweiht.”

“Ob der Phexische hier der richtige Weg ist? Am Ende bricht er nicht nur das Herz seiner Frau, sondern zieht den Zorn der ganzen Familie auf sich. Die Wege des Fuchses sind unergründlich - und wer sie nicht aufrechten Herzens beschreitet, den führen sie gerne zum Anfang zurück.”

Gwenn wurde nachdenklich. So, wie ihr Verlobter hatte sie die Angelegenheit noch nie gesehen. “Und was schlägst du nun vor?” fragte Gwenn. “Würde er sich offenbaren, würde dann nicht genau jenes geschehen?”

“Möglich. Was meinst du: Würde sich dein Vater mehr grämen, würde er angelogen und entdeckte das Fehlen selbst oder würde es dein Bruder ihm ins Gesicht sagen? Ich hatte bisher den Eindruck, Herr Friedewald ist aufrechter Haltung gegenüber aufgeschlossen.”

“Er wäre sicher nicht entzückt, wenn er es selbst bemerken würde. Oder, wenn er es von einem dritten Mund erführe. Und das mit Tsalinde hat Vater schließlich auch in sein Weltbild eingebaut. Doch Merles Herz wird Gudekar so oder so brechen.” Nach einem Augenblick der Stille lachte Gwenn plötzlich herzhaft. “Ich stelle mir gerade vor, wie Vater zum nächsten Tag der Heimkehr Gudekar samt Merle, Tsalinde und Meta zum Dorffest einlädt!" Sie schlug vor Lachen mit ihrer rechten Hand auf Rhodans Oberschenkel.

Da musste auch der dicke Händler losprusten. “Oh ja, das wäre ein ‘Fest’!”

„Aber gut“, gab Gwenn nach, nachdem sie sich wieder gefangen hatte, „ich werde mit Gudekar reden, dass er endlich seine Pläne offen legen und Merle nicht länger hinhalten soll. Aber erst nach unserer Trauung.“

Rhodan nickte. “Eine Szene müssen wir nicht extra provozieren.”

~*~

„Los, zu den Satteltaschen, du elendiger Kerl. Ich hab genau gesehen, was da zwischen euch läuft. Wie zärtlich du plötzlich warst und ich helfe dir jetzt noch einmal.“ Meta ging schnell, Gudekar sollte die Träne auf ihrer Wange nicht sehen. Sie genierte sich. „Ich liebe dich, das ist mein Verhängnis. Aber ich bleibe nicht mit dir zusammen, wenn du auch deine Frau liebst und puderst. Das ist unter meiner Würde. Hast du jeh daran gedacht, was ich alles deinetwegen aufgegeben habe? Beeil dich. Noch können wir reden, später liegst du bei einer glücklichen Merle und ich alleine im Gasthof.“

Gudekar versuchte mit Meta schrittzuhalten, doch fiel ihm das schwer. Er war nicht so geübt wie seine Liebste. Als er sich sicher war, dass sie von drinnen nicht gehört werden konnten, rief er leise: “So warte doch! Meta, bitte! Es tut mir leid! Ich habe das alles nicht gewollt!”

Abrupt blieb Meta stehen. Enttäuscht, verletzt und traurig. „Erkläre es mir. Was ist los? Wie stellst du dir unsere Zukunft vor? Ich war dir wirklich zwei Götterläufe treu. Ich konnte nicht anders.“ Sie sprach ruhig und gefasst die Spur der Träne konnte man leider noch sehen. „Es ist meine erste Reise als Ritterin. Und ich will dich nicht mit Merle teilen. Und .. nein, erst du.“

Gudekar ging einen Schritt auf Meta zu und fasste sie an den Schultern. Er zog sie zu sich heran und küsste ihre Stirn. Dann umarmte er sie und drückte ihren Kopf an seine Brust. Er kraulte ihr durchs Haar, so dass sich ihre Frisur wieder auflöste. “Arme, kleine, tapfere Ritterin! Es tut mir so leid! Ich liebe doch nur dich! Ja, ich gebe zu, da war dieser eine Moment der Magie. Aber sieh doch, so viele Jahre war Merle an meiner Seite. Dies kann ich nicht einfach wegwischen, nicht einfach auslöschen. Etwas von Merle wird immer ein Teil meiner Seele bleiben. Aber sind es nicht die Erfahrungen der Vergangenheit, die uns zu dem machen, was wir sind? Ich wäre nicht ich, wenn es Merle nicht gäbe. Wichtig ist doch nur, was jetzt ist und was in Zukunft sein wird, nicht, was war. Und wenn du sagst, du warst mir in den letzten zwei Götterläufen treu, dann kann ich das nur erwidern. Und wenn du treu an meiner Seite stehst, so werde auch ich neben dir stehen.”

„Warum küsst du mich nur auf die Stirn? Es wäre jetzt auch hilfreich, wenn du mir irgendwas geschenkt hättest. Ach… es ist so schwierig. Gestern war alles noch in Ordnung. Egal, was ich früher gesagt habe. Eine kurze Affäre mit einer Frau, die dir emotional nichts bedeutet, ist tolerabel. Aber bei Merle nicht. Ich dachte, das zwischen euch wäre so gut wie beendet. Und dann, vor meinen Augen.“ Metas Stimme belegte sich und sie rang nach Fassung. „Ihr drei. Die perfekte Familie.“ Nun klammerte Meta sich doch an Gudekar, sie suchte Nähe und Geborgenheit. „Gudi, ich kann keine Kinder bekommen. Du hast genug Kinder, ich will jetzt keine, aber.. aber.“ Der Rest ging in kleinen Schluchzern unter.

“Pst!” Gudekar versuchte, Meta zu beruhigen. Mit seinem Finger unter ihrem Kinn hob er sanft ihren Kopf an, wie es seine Art war, wie er es schon mehrfach getan hatte, küsste ihre Lippen. Als sie sich lösten, wischte er mit seinem Umhang die Tränen aus ihrem Gesicht. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte es ihr doch schon so oft erklärt. So schaute er ihr ganz lange wortlos in die Augen. Er versuchte ihre Gedanken zu lesen, ihre tiefsten Gedanken und Gefühle. Nicht die, die sie ihm schon so oft offenbart hatte, sondern ihr Innerstes. Der Magier hätte dafür einen Zauber anwenden können, doch das wollte er nicht. Er wollte ihre Gedanken selbst deuten. Gudekar holte tief Luft. “Soll ich jetzt da rein gehen, und allen mitteilen, dass ich den Traviabund mit Merle endgültig breche? Ich werde es tun. Ich werde dort hinein gehen und es allen sagen!” Er löste die Umarmung und ergriff Metas Hand, um sie in Richtung des Herrenhauses zu ziehen.

Meta beruhigte sich, atmete tief durch und schalt sich selbst für diesen emotionalen Ausrutscher. „Nein, auf keinen Fall. Gwenn soll eine schöne Hochzeit haben.“ Gudekar lächelte Meta dankbar an. Sie zog ihn weiter in die andere Richtung. „Aber du brauchst dir deshalb nicht alles gefallen lassen. Dass ihr euch trennen werdet, davon sind die meisten der Eingeweihten wohl ausgegangen. Jetzt verhältst du dich, wie man es von dir erwartet. Merle macht sich noch mehr Hoffnungen. So wie in den Briefen, von denen du mir erzählt hast, so solltest du es machen, wenn du das schaffst.“ Die junge Frau verdrehte die Augen. Gudekar war überfordert. „Du bist da, aber auf Distanz. Und du bist dein eigener Herr. Wenn du zum Schein schon bei Merle schlafen musst, dann in getrennten Betten.“ Sie lachte humorlos auf. “Solltest du das schaffen. Die Feier muss perfekt für das Paar laufen, erst danach machst du es richtig öffentlich. Ich habe nur dein Wort, dass du der meine bleiben willst.“

“Meta”, Gudakar sah ihr sorgenvoll in die Augen, “ich habe Angst! Ich habe Angst, dich zu verlieren. Und gleichzeitig habe ich Angst, es meiner Familie zu sagen. Sie haben ihre eigenen Erwartungen, die ich nicht erfüllen kann, nicht erfüllen will. Es ist, wie es immer war. Am Ende sind sie enttäuscht von mir. Vater wird dennoch zu mir stehen, da bin ich mir ziemlich sicher. Obwohl, diesmal vielleicht nicht. Oder doch? Schließlich hat er ja sogar Tsalinde eingeladen. Das ist mir unverständlich. Aber Kalman wird sich wieder einmal bestätigt sehen. Und auch, wenn ich keine rahjagefälligen Gefühle mehr für sie empfinde, tut mir Merle leid. Sie macht sich noch immer Hoffnungen. Ich habe Angst davor, wenn ich hier bleibe, die Nacht in einem Zimmer mit ihr zu verbringen. Dies kann nur Schmerz und Leid verursachen.”

“Wenn ich dabei war, bist du so oft mutig gewesen.” Zuversichtlich nickte sie ihm zu.”Ha, und glaub mir, so wie ich dich kenne, wirst du es nicht schaffen, die arme Merle, die sich solche Hoffnungen macht, am Ende doch noch zu wärmen. Da muss ich dir vertrauen. Aber wie? Kaum warst du bei deiner Familie, hast du die Rolle erfüllt, die du seit Jahren gespielt hast und die dich unglücklich macht. Du warst nicht mehr stark, in meiner Vorstellung wärst du anders aufgetreten.” Er war so unglücklich, da konnte Meta nicht anders, als seine Hand zu nehmen. “Schau, ich wollte die Lage entschärfen und mit dir reden. Deshalb hab ich vorhin erwähnt, dass wir ein Geschenk von dir gut brauchen könnten. Wir schauen unseren Kram durch. Wir werden Mitbringsel finden. Extra für deine Familie. Du hast sie nur vergessen. Ich weiss, dass du irgendwann ein kleines Pferdchen aus Leder dabei hattest. Das schenkst du deiner Tochter und zauberst ihr noch ein Licht.” Meta begann, in ihrem Besitz zu kramen. “Meine Kette bekommst du nicht… aber, denk dir irgendeine Geschichte zu den Gegenständen aus und schimpf mich meinetwegen vor deiner Sippe, weil ich mich schlecht benommen habe. Mierda.” Verzweifelt durchsuchte sie ihr Gepäck weiter. “Ah, perfekt. Hier, den hab ich auf der Schweinsfolder Hochzeit von Durinja bekommen. Für Ciala vielleicht?” Sie hielt einen hübschen, ziselierten Kamm hoch. Er musste aus Horn und Silber sein.

Gudekar legte seine Hand auf den Arm der Ritterin, um sie in ihrem Tun aufzuhalten. “Meta, das ist lieb, aber lass es. Meine Familie kennt mich und weiß, dass ich für gewöhnlich keine Geschenke dabei habe. Wenn wir jetzt damit ankommen, werden sie wissen, dass dies nicht von mir ist. Außerdem möchte ich nicht, dass du deine Sachen für diese Familie hergibst.” Er blickte in ihre Augen. Nach einer Weile ergänzte er. “Die Idee mit dem Lederpferdchen ist gut! Das bekommt Lulu.” Während die junge Frau ihn noch immer anstarrte vor Verwunderung, dass er ihren Vorschlag der Gastgeschenke zurückwies, bewegte er seinen Kopf in ihre Richtung und presste seine Lippen auf die ihren.

Zärtlich und liebevoll erwiderte Meta den Kuss. Länger, aber nicht fordernd sondern genussvoll. Sie fasste erst mit beiden Händen seinen Hinterkopf und zog ihn fest an sich. Auf seinen Hals und besonders die Kutte-ein furchtbares Gewand, auf das Magier so stolz waren, musste sie acht geben. Sollte er ausnahmsweise über genug Zauberkraft verfügen, solte er die für hübsche Lichtkugeln aufbewahren. Dann gab sie ihn frei, die Backen gerötet und die Augen strahlend vor Glück. Trotzdem, sie wollte es wissen, strich Meta mit ihrer flachen Hand über seinen Unterbauch. “Ich wollte dir helfen. Dachte, dass sie sich vielleicht freuen würden. Und ich beschütze dich. Ich musste dich aus der Runde holen. Was erzählen wir denen jetzt? Gib ruhig mir die Schuld.”

“Ich weiß Meta, das war auch sehr lieb von dir. Lass mich drinnen einfach reden. Mir fällt schon etwas ein.” Nun drehte er sich zu seinem Pferd um und kramte in der Satteltasche. Schließlich holte er drei Dinge hervor: das bereits erwähnte Lederpferdchen, ein Tiegelchen und eine Binde. Er streichelte die Schulter des Tieres, um es zu beruhigen. Nun kniete er sich neben sein Pferd und schmierte etwas aus dem Tiegelchen auf die Binde. Dann band er das Tuch um das Fesselgelenk des Hengstes. Er begutachtete sein Werk und nickte zufrieden. “Das wird reichen. Lass uns wieder reingehen, und dann verabschieden wir uns von allen für heute.”

“Endlich hast du wieder gute Ideen. Ich werde das Spiel so lange mitmachen, bis du den Zeitpunkt für geeignet hältst.” Sein Körper hatte leider nicht so auf ihre Berührung und den Kuss reagiert, wie erhofft. Also musste sie ihn direkt fragen. “Die ganze Zeit über habe ich nur dein Wort. Und das hat, so gern ich dich habe und so leid es mir tut, vorhin etwas gelitten. Wie kann ich dir vertrauen? Ich weiss, ich muss es einfach tun, trotzdem werde ich nachts grübeln, was ihr wohl treibt. Ich kann es Merle auch nicht verübeln. Hast du da auch eine gute Idee?”

“Na, ganz einfach: ich werde nicht hier bleiben heute Nacht.” Er blickte zu Meta, als könnte er nicht verstehen, wie sie solch eine Frage stellen konnte, wo doch die Antwort offensichtlich war.

“Aha..” Mit großen Augen und offenem Mund sah Meta ihn völlig verwirrt an. “Ich, also das geht doch nicht. Aber das ist ein Beweis.” Sie schüttelte den Kopf. “Lass es uns hinter uns bringen und wieder rauf gehen.” Ein hinterhältiger, böser Gedanke kam und setzte sich in ihr fest. Was, wenn er sie verzaubern würde? Wie verrückt. Der Gudi, der sie liebte, der würde soetwas nie tun.

Der Magier nahm ganz kurz ein Funkeln in Metas Augen wahr, das ihn beunruhigte. “Schatz, was ist los? Was hast du gerade gedacht?”

„Ein Mann, der mich ausnutzen, aber bei Laune halten will, kann das so machen: Er kommt zu mir, ist zärtlich und lieb, dann spricht er den Zauber um den Rest der Nacht mit seiner Frau verbringen….“ Meta sah Gudekar lange an. „Sowas machst nicht. Sonst hätte ich mich nicht in dich verliebt.“

Der Magier erschrak. Mit schockierten Augen schaute er Meta an. „Hast du wirklich Angst, ich könnte dich verhexen?“ In seiner Stimme lag keine Wut, kein Zorn und keine Enttäuschung. Er wusste, dass viele Menschen in den Nordmarken so empfanden, wenn sie Leuten seiner Profession begegneten. Und Meta war vermutlich auch durch den Bannstrahler besonders zur Vorsicht geprägt. Sie musste in seiner Gegenwart vermutlich immer mit einer Angst gekämpft haben, er könnte sie auf die eine oder andere Art manipulieren. Und dennoch ging sie das Risiko ein, sich ihm hinzugeben. Deshalb lag ein Hauch von Mitleid in seiner Stimme. Er nahm sie in den Arm, drückte sie tröstend ganz fest an sich und kraulte zärtlich durch ihre Haare. “Arme, kleine, tapfere Ritterin! Ich würde dir soetwas nicht antun. Das wäre doch… wie eine geistige Vergewaltigung. Nein, du brauchst vor mir keine Angst haben.“

Meta dachte länger nach, nahm Gudekar aber derweil wieder bei der Hand und machte sich auf den Weg zurück. Sie fasste ihn vor der letzten Tür mit beiden Händen an der Schulter. „In Ordnung. Ich werde weiter mitspielen, bis du es entscheidest. Und ich nehme dein Wort als Sicherheit. Das ist viel Vertrauen, ist dir das klar?“ Ihre Augen blitzten wieder schalkhaft und sie zwinkerte kurz.

“Ich danke dir!” Mehr musste er nicht sagen. Der Tonfall in seiner Stimme brachte alles zum Ausdruck, wie sehr er ihr dankbar war und wie sehr er sie dafür liebte.

~*~

Als Gudekar, gefolgt von Meta, den Speisesaal wieder betraten, hatte Wiltrud inzwischen das Essen abgeräumt. Friedewald war gerade dabei, jedem der Anwesenden aus einer Karaffe einen Albenbluth in ein Becherchen einzugießen. Er reichte auch seinem Sohn einen Becher. Meta, die Wachfrau seines Sohnes, ging ebenso leer aus, wie Herlinde, die Geleitschützerin der Braut.

“Auf die Verdauung!” rief der Edle und hob seinen Becher. “Mögen es drei fröhliche Tage werden, zu Ehren von Gwenn und Rhodan, den ich schon bald meinen Schwiegersohn nennen darf!”

“Auf das Brautpaar! Travia zu Ehren!”, bestätigte auch Kalman.

Merle fiel deutlich zurückhaltender in den Trinkspruch ein, dann trat sie mit besorgter Miene zu ihrem Gemahl. “Alles in Ordnung?”, fragte sie ihn leise. “Gibt es ein Problem? Oder irgendeine Gefahr?”

“Nein, mein…”, er schaute ganz kurz entschuldigend zu Meta, “Liebes. Mach dir keine Sorgen. Es ist alles in Ordnung. Ich musste nur kurz nach dem Pferd sehen.”

“Deinem Pferd geht’s nicht gut?” fragte sie überrascht. “Sollen wir Marno holen?”

„Auf meine Liebste und ihre wunderbare Familie! Auf Euch, Herr Friedewald und Eure fruchtbaren Lande!“, schallte die sonore Stimme des Händlers durch den Raum. Nur wer genau hinsah, konnte erkennen, dass er sich leicht in Richtung von Merle und Gudekar gewandt hatte - mit dem Ziel, das Getuschel zu unterbinden. Jetzt war nicht die Zeit, um den Missstand auszubügeln, den Gudekar verursacht hatte.

Gudekar verstand jedoch Rhodans Geste nicht und antwortete Merle mit der Geschichte, die er sich zurecht gelegt hatte. “Mein Pferd ist auf dem Weg hierher gestrauchelt und hat sich den Vorderlauf verstaucht. Ich konnte die Verletzung zwar sofort heilen, so dass ihm keine Gefahr mehr droht, aber dennoch wollte ich das verletzte Gelenk noch rasch einsalben und einen Verband anlegen. Die Dame Croy hat mich dankenswerter Weise an mein Versäumnis erinnert. Nun ist alles erledigt. Lass dem armen Marno nur seine Ruhe. Morgen wird ein anstrengender Tag für ihn, wenn alle Gäste anreisen.

Ein ganz leichtes, fragendes Stirnrunzeln ging über Merles Gesicht, dann nickte sie und lächelte wieder. “Schön, dass du wieder da bist.” Sie bemerkte, dass die kleine Liudbirg näher gekommen war und, am Tisch abgestützt, ihren Vater etwas müde, aber neugierig anschaute. “Gudekar”, raunte Merle ihm zu, “...ich glaube, jetzt wär’ ein guter Moment, um Lulu zu begrüßen…” Sie zwinkerte ihm aufmunternd zu und hoffte im Stillen, dass die Kleine nicht wieder fremdeln würde. Wie verletzt Gudekar vorhin bei Lulus Greinen zusammengezuckt war, hatte ihr auch einen Stich ins Herz versetzt. Sie ging neben Liudbirg in die Knie und strich dieser sanft über den Rücken. “Schau, da ist dein Papa”, flüsterte sie dem kleinen Mädchen sanft zu. “Na, geh’ schon, geh’ zu ihm hin!”

Gudekar lächelte Liudbirg an und streckte die Hände nach ihr aus. “Na, komm, Lulu, mein Schatz!” Als sich die kleine tatsächlich näherte, hob er sie hoch und setzte sie liebevoll auf seinen Schoß. Gudekar strahlte über das ganze Gesicht. “Hallo, meine Süße! Ich habe dich ja so sehr vermisst.” Dann griff er in die Tasche seines Umhang und holte ein kleines aus schwarzem Leder gefertigtes Pferdchen heraus, das er Liudbirg in die Hand gab. Er warf Meta einen kurzen, dankbaren Blick zu. Fast hätte er ihr einen Kussmund gestreckt, verkniff sich dies aber im letzten Moment. “Schau, Lulu, das Pferdchen ist für dich.”

Merle strahlte, so dass die Grübchen an ihren Wangen deutlich hervortraten. Ihre glücklich funkelnden braunen Augen suchten den Blickkontakt mit Gudekar, als sie näher an die beiden herantrat. "Schau, Lulu ein Pferd!" Sie sprach das Wort 'Pferd' absichtlich laut und deutlich aus, in der Hoffnung, dass Liudbirg es vielleicht wiederholen würde, doch das Mädchen gluckste nur etwas unverständliches, während sie das Lederpferdchen herumschwang und mit großen staunenden Augen anstarrte. "Sag Bescheid, wenn ich sie wieder übernehmen soll", sagte Merle zu Gudekar. "Unsere kleine Lulu ist in letzter Zeit sehr, sehr schwer geworden... Wie ein kleiner Troll." Merle lachte, stupste Lulus Näschen mit dem Zeigefinger an und strich ihrer Tochter vorsichtig das feine, lockige Haar hinters Ohr. Wieder suchte sie Gudekars Blick und schaute ihn mit leuchtenden Augen an, schien dazu anzusetzen, noch etwas hinzuzufügen, trat dann aber scheinbar verlegen einen Schritt zurück und betrachtete nur schweigend und liebevoll ihren Mann und ihr Kind.

Meta hatte sich unauffällig und leise wieder an ihren Platz zu Gwenn und Rhodan gesetzt. Die Szene mit der Kleinen war wirklich allerliebst. Etwas an Rhodan irritierte sie. Meta lächelte, als Gudekar zu ihr sah. Sie wollten optisch immer wieder Kontakt halten und sie freute sich, dass das Kind das Spielzeug nicht auf den Boden geschmissen hatte. Aber zurück zu Rhodan. Die Ritterin musterte ihn nun genauer. „Wir kennen uns, werter Herr.“

“In der Tat”, bestätigte der Händler leise, aber höflich. “Ihr wart an der Suche nach den Sternenfragmenten beteiligt”, konstatierte er wertungsfrei.

"Genau, Ihr auch. Ich wusste, dass ich Euch von irgendwo her kenne, aber es ist mir jetzt erst eingefallen. Sagt, Gwenn, Rhodan, wie habt Ihr zusammengefunden? Ihr macht einen so glücklichen Eindruck, sowas würde ich mir auch wünschen.”

Gwenn schaute Rhodan verliebt an. “Ach, das war letzten Sommer auf dem Pelura-Turnier in Albenhus. Rhodan stellte sich derart geschickt dabei an, da habe ich mich sogleich in ihn verguckt. Aber sag, Schatz, du hast mir vorhin gar nicht erzählt, dass du die Hohe Dame kennst. Hast du etwa Geheimnisse vor mir?” Sie knuffte ihm neckisch in die Seite und schmunzelte. Es war offensichtlich, dass die Frage keine böse Unterstellung war.

„Kennen ist, denke ich, zu viel gesagt. An diesem Unterfangen waren recht viele Menschen beteiligt. Auf der Suche nach dem gefallenen Stern hat sich die Gruppe aufgeteilt. Ich kann dir sagen: Es war ein heilloses Durcheinander. Eine düstere Geschichte.“ Und eine, die mir einen Haufen wilder Jugendlicher eingebrockt hat, die wahrscheinlich gerade mein Heim verwüsten, dachte er im Stillen.

“Oh, das klingt spannend! Das musst du mir bei Gelegenheit erzählen!” Gwenn liebte solche Geschichten. Der Händler nickte mit einem liebevollen Lächeln. ‚Ja, das würde er allerdings’, dachte er im Stillen. Am Hofe hatte sie oft Gelegenheit , Abenteuern heldenhafter Recken zu lauschen. Zuletzt hatte auch Gudekar ihr immer wieder von seinen Erlebnissen bei der Jagd nach dem Paktierer erzählt. Er vertraute ihr Geheimnisse an, die er sonst niemandem erzählte. Sie hoffte, Rhodan würde eben solch ein Vertrauen zu ihr entwickeln.

“Da muss ich Eurem Künftigen Recht geben. Das war wirklich ein Durcheinander. Bei mir hats ja auch gedauert, bis ich ihn erkannt habe.” Sie lachte und hob ihren Becher mit Wein, um mit den Beiden anzustossen.

Auch Gwenn hob ihren Becher und stieß mit ihrem Knie verschwörerisch gegen das von Meta. “Gut, dann werde ich euch glauben, dass die Dame kein Interesse hat, mir meinen Rhodan auszuspannen. Ich freue mich, dass Ihr dazu beitragt, unsere Hochzeit zu einem schönen Fest werden zu lassen, indem Ihr meinen Bruder im Zaum haltet.” Sie zwinkerte Meta zu.

Die junge Frau schmunzelte etwas verlegen und senkte den Blick. “Ich passe so weit auf ihn auf, wie ich kann. Und bei mir ist er auch immer ganz lieb, nicht durcheinander oder unbeherrscht. Aber es gibt gewisse Grenzen, die ich, gerade für euch, nicht überschreiten darf. Das bereitet mir selber Sorgen, er wird sich entscheiden, wie er es will. Und ich bin die Frau, die gerade dabei keinen Einfluss haben darf, da ich als Ritterin hier bin.” Sie seufze schwer. “Vielleicht lernen wir uns später, irgendwann, unter anderen Umständen kennen, wenn ich ich selbst als Privatperson bin.”

„Das würde mich sehr freuen.“ Gwenn lächelte Meta aufmunternd an.

„Darauf trinken wir“, bekräftigte Rhodan voll Sorge, dass dieser Familienzwist das Herz seiner Zukünftigen belasten konnte. Da würde er noch ein paar Fäden ziehen müssen.

***

Auch Ciala, die ihre Nerven und Gefühle bei etwas Linnartsteiner Rotem beruhigt hatte, ging das Herz auf. Mika war so etwas wie eine Tochter für sie und seit diese nicht mehr bei ihr weilte, vermisste sie sie so sehr und Lulu war zu ihrem kleinen Liebling geworden. Es war doch egal, warum Gudekar diese Ritterin dabei hatte. Wahrscheinlich hatte er einfach Angst, mal wieder kein Geld und konnte sich grad mal eine leisten, die gerade erst die Schwertleite empfangen hatte. Sicher wollte er damit auch zeigen, dass er jetzt unabhängiger war. Endlich gab er Merle, was sie brauchte. Zuneigung. Er war ja eben erst von einer schwierigen Mission zurückgekehrt. In der Nacht würde Merle für ihn da sein.

Kalman blickte zufrieden zu seiner Frau und drückte ihre Hand. Auch er bemerkte das Knistern zwischen seinem Bruder und dessen Frau. Sicher würde nun endlich alles gut werden. „Liebes“, richtete er das Wort an Ciala, „wir sollten noch überlegen, wie wir morgen unseren Schwur erneuern wollen.“ Er sprach bewusst laut und deutlich.

Seine Gattin strahlte ihn glücklich an. “Ach, ist das schon lange her. Ich weiss noch, wie aufgeregt ich damals war. Dabei habe ich den besten Mann bekommen.” Sie drehte ihren Ring hin und her und überlegte. “Es ist zwar alleine unsere Sache, aber in diesen unsicheren Zeiten soll es ein Zeichen sein, auch für unsere Dorfbewohner, um ihnen etwas Vertrauen zu geben und Angst zu nehmen. Mir fällt nur gerade nichts genaues ein.”

“Es wäre eine symbolträchtige Geste, wenn wir Travias Schutz für uns, die Familie und das ganze Tal erbitten. Und mach dir keine Sorgen, was wir sagen, überlegen wir in Ruhe nachher in der Kammer. Da fällt mir schon etwas ein.”

Seine Gattin seufzte erleichtert und drückte liebevoll Kalmans Hand: “Bin froh, dass du das auch so siehst.”

***

‚Merle ist so wunderhübsch‘, dachte Gudekar als so direkt vor ihm stand, ‚ihre Augen, ihre Haare, ihre Wangen! Und sie ist derart lieb. Wie kommt es nur, dass ich für sie nicht mehr das empfinde, was ich einst für sie empfand? Was ich jetzt für Meta empfinde?‘ Und wieder tat es ihm Leid, was er Merle angetan hatte. Er verstand nicht, warum Merle nach Allem, was geschehen war, noch immer um ihn kämpfte. Und sie kämpfte stark! Und er bedauerte, dass er seine Tochter so selten zu Gesicht bekam und bald vorerst gar nicht mehr würde sehen können. Aber die Entscheidung war gefallen. Er würde mit Meta weggehen. „Keine Sorge, Merle, das geht schon. Im Waisenhaus muss ich oft deutlich größere Kinder heben. Das bin ich noch gewohnt.“

"Wenn du das sagst", lachte Merle, wurde aber schnell wieder ernst. "Gudekar, eine Sache…”, flüsterte sie leise und warf einen schnellen Blick zu Ciala und Kalman, “...wegen dieser Schwurerneuerung morgen… Es tut mir leid, dass die beiden dich deswegen so unter Druck setzen”, sie sah ihm sehr offen und ernst in die Augen, “...ich will, dass du weiß, dass das nicht von mir kommt. Ich hatte sie nicht darum gebeten, so was zu sagen, das versichere ich dir." Sie hob verlegen die Schultern und lächelte ihn schüchtern an. "Also, wegen meiner müssen wir das nicht machen, wirklich nicht.”

Der Magier kannte seine Schwägerin, deshalb war ihm das auch mehr als klar. Er flüsterte zu Merle. „Schon gut Merle, das habe ich auch nie angenommen. So ein Schritt ist mit Bedacht zu gehen, auch wenn der Bund vor Travia bereits geschlossen ist und somit besteht. Ich denke, so, wie letzten Monde gelaufen sind, wäre es eine Verhöhnung der guten Göttin, jetzt den Schwur zu erneuern, selbst, wenn keine ihrer Geweihten anwesend sind, um dies zu bezeugen.”

"Du weißt hoffentlich, dass ich dich nie zu so etwas zwingen würde. Ich bin ja froh, dass du wieder zurück bist", wisperte Merle nachdrücklich und legte nach kurzem Zögern ihre - wie immer ein bisschen raue Hand - auf seinen linken Handrücken, mit dem er Liudbirg am Rücken hielt. "Außerdem kennst du mich ja…”, sie blickte kurz scheu nach unten und verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln, “...ich mag es ohnehin nicht, vor vielen Leute was zu sagen. Vor allem, wenn so viele hohe Herrschaften dabei sind… Da steh’ ich nicht gern im Mittelpunkt.”

Gudekar schloss bei Merles Berührung seine Augen und atmete tief durch. “Gut, dann ist dies geklärt.”

"Außerdem sind wir ja verheiratet und brauchen diese alberne Erneuerung nicht, meinst du nicht auch?" erwiderte sie leichthin und strich erneut sanft über Lulus Haar.

Plötzlich hob Gudekar Liudbirg hoch und reichte sie seiner Frau. “Sag, Merle, es ist schon spät, solltest du Lulu nicht langsam zu Bett bringen? Du weißt, wie wichtig ausreichend Schlaf für die gesunde Entwicklung eines Kindes ist.”

Merle nickte, lächelte aber leicht in sich hinein. Er ging immer alles auf eine so ungemein hochgelehrte Weise an, selbst die Versorgung eines Kindes… "Ich hab Ciala gebeten, die Kleine heute Nacht zu sich zu nehmen", sagte sie leise. "Dann können wir vor dem Schlafengehen noch etwas reden. Also, in Ruhe." Mit einem flüchtigen, verunsicherten Blick streifte sie die Menschen im Raum, die Familienmitglieder und die zwei Wachfrauen. Sie hatte das Gefühl, dass alle mehr oder weniger ungeniert zu ihnen hinüber starrten. "Es gibt noch etwas, das ich mit dir besprechen muss. Heute noch."

Der Magier hatte seinen Weinkelch ergriffen, nachdem er Liudbirg abgegeben hatte. Gerade wollte er zu trinken ansetzen, als er Merles Worte hörte. Vor Schreck verschluckte er sich derart, dass ihn ein massiver Hustenanfall überkam. „Luft, ich brauche Luft!“

Merle setzte Lulu geistesgegenwärtig auf dem Boden ab und klopfte Gudekar mehrmals kräftig mit der Hand auf den Rücken, damit die Flüssigkeit aus der falschen Kehle herauskam. “Geht’s wieder?” fragte sie besorgt. “Komm’, wir gehen kurz raus vor die Tür, da kannst du frische Luft schnappen.” Sie suchte Blickkontakt mit Ciala und wies mit dem Kopf zu Liudbirg, um ihre Schwägerin zu bitten, auf das Kind aufzupassen. Dann legte sie den Arm um Gudekar und schob ihn sanft, aber bestimmt Richtung Ausgang.

Wie den Meisten im Raum, war auch Meta diese Szene nicht entgangen. Sie blieb aber ruhig sitzen. Etwas Wein noch. Sie vertraute nach dem letzten Gespräch ihrem Geliebten und hielt sich daran, ihre Rolle zu spielen. Zärtlich strich sie über ihren Amethysten an der Kette und gab diesem heimlich sogar einen Kuss.

***

Gudekar ließ sich anstandslos von Merle hinaus in den Hof führen. Die kühle Abendluft an diesem Windstag im Traviamond tat ihm gut. Sogleich beruhigte sich sein Husten. Der Mann legte seine Hände auf Merles Schultern und schaute sie mit ernstem Blick an. „Merle, du wolltest mit mir reden. Was gibt es?“

Merle erwiderte seinen Blick ebenso ernst und ordnete kurz ihre Gedanken, bis sie leise zu sprechen begann: "Ach, es gibt vieles, was ich dir sagen will... Ich hatte ja viel Zeit nachzudenken..." Sie verzog den Mund zu einem leisen, traurigen Lächeln. "Aber das drängendste zuerst. Die Dame von Kalterbaum. Du hast vorhin so bestürzt reagiert, als dein Vater sie erwähnte", ihrem Mund entwich ein kaum hörbares Seufzen und sie musterte ihn prüfend, wie er jetzt auf den Namen reagierte. "Ich möchte dich bitten, ihr gegenüber keine Szene zu machen, wenn sie morgen eintrifft. Auf gar keinen Fall um meinetwillen."

Gudekar nickte verständnisvoll mit dem Kopf. “Das hängt nicht nur von mir ab. Du weißt, wir sind nicht in Freundschaft auseinander gegangen. Sie hat mir Dinge vorgeworfen, die einfach abwegig waren. Und stets gab sie mir die Schuld für alle Unbill, selbst wenn ich versuchte, ihr gegenüber mit Respekt zu begegnen. Aber wenn dies dein Wunsch ist. Dann versuche ich, dir diesen Wunsch zu erfüllen.”

Merle kniff zweifelnd die Augen zusammen. “Was hat sie dir für Dinge vorgeworfen? Du hast mir das nie erklärt und Friedewald wollte auch nichts genaues sagen. Ich werde ihr bei der Hochzeit ja sicherlich begegnen. Hilf mir bitte, das Ganze besser zu verstehen.”

Gudekar zog einen Mundwinkel zusammen und biss sich auf die Wange, während er eine Antwort abschätzte. Schließlich antwortete er: “Sie warf mir vor, ich hätte versucht, unseren Gefährten schlimme Dinge anzutun. Sie war dabei leider äußerst uneinsichtig. Und irgendwann ist der Disput aus dem Ruder gelaufen.” Wie sehr er Tsalinde noch immer nachtrug, dass sie ihm ihre Schwangerschaft zunächst verheimlichte und dann nur preisgab, um dies gegen ihn zu verwenden, verschwieg er gegenüber Merle.

"Schlimme Dinge anzutun", wiederholte Merle mit einem leicht ironischen Lächeln. "Kannst du das so erklären, dass es ein dummes Dorfmädchen versteht? Was für 'schlimme Dinge'? Hatte sie vielleicht Angst, du verwandelst alle deine Gefährten in warzige Koschkröten?" Sie merkte, dass er dies nicht lustig fand, seufzte und lächelte ihn entschuldigend an. "Lass' dir doch nicht alles aus der Nase ziehen... Ich möchte einfach wissen, wie ich morgen auf die Dame zugehen soll - ob ich ihr die Hand reichen oder lieber Abstand halten sollte? Ich meine, wenn sie dich so extrem verleumdet hat, warum hat dein Vater sie dann trotzdem eingeladen?"

“Merle, ich kann dir nicht alles sagen, leider. es gibt Dinge, die ich weiß, die ich nicht offenbaren kann, die ich nicht offenbaren darf. Doch vor Tsalinde brauchst du dich nicht fürchten. Auch, wenn sie einen unerklärlichen Groll gegen mich hegt, so wird sie dies nicht an dir auslassen. Da bin ich mir sicher. Eigentlich ist sie kein böser Mensch. Das ist etwas persönliches zwischen uns.” Dann flüsterte er ihr zu, als ob sie von jemandem gehört werden konnten: “Ich vermute, sie hat es nicht verwunden, dass ich nach dieser unsäglichen Nacht nichts mehr von ihr wissen wollte. Vielleicht hat sie sich mehr erhofft.” Nach einer kurzen Pause beantwortete er wieder in normalem Tonfall Merles letzte Frage. “Ich verstehe es auch nicht. Vielleicht will er mich damit einfach nur strafen. Vielleicht will er mir den größten Fehler meines Lebens vor Augen führen.”

Merle legte den Kopf schief. Sie war jetzt zehn Götterläufe mit diesem Mann zusammen und hatte gedacht, dass sie ihn kennen würde. Doch obwohl sein Tonfall normal klang, stimmte etwas nicht. Früher hatte er ihr offen von seinen Gedanken, Gefühlen und Ängsten erzählt; jetzt schien es, als ob er verzweifelt versuchte, genau das zu vermeiden. “Der größte Fehler deines Lebens?” fragte sie provokant nach. “Ich dachte, du hättest unter einem Feenzauber gestanden und konntest deshalb nichts dafür… genausowenig wie die Dame von Kalterbaum?” Ihre Stimme war gelassen und gleichmütig geblieben - er sollte merken, dass sie vernünftig über diese Dinge sprechen konnte, ohne sich gleich aus der Fassung bringen zu lassen. Sie selbst hatte sich auch verändert seitdem - und seit Lulu. Vielleicht war ihm das noch nicht klar. “Gudekar, mein Herz, das ist zwei Götterläufe her. Ich habe das Gefühl, dass es dich mehr belastet als mich. Was meinst du, wollen wir nicht die Vergangenheit ruhen lassen und an die Zukunft denken?”

‘An die Zukunft denken’? An welche Zukunft? Seine Zukunft? Ihre, Merles Zukunft? Nein, sie meinte die gemeinsame Zukunft. Doch es gab keine gemeinsame Zukunft. Wie sollte er ihr dies sagen? Er wollte es ihr sagen, doch konnte er es nicht. Er könnte es ihr sagen, doch er wollte nicht. “Merle, es gibt keine Zukunft ohne die Vergangenheit. Das ist Satinavs Weg. Wie soll ich in dieser Gegenwart, zu der uns die Vergangenheit geführt hat, an die Zukunft denken? Wie soll ich entscheiden, welchen Weg ich in der Zukunft gehen soll, wenn ich nicht einmal weiß, welche Wege sich mir offenbaren werden?”

"Mit so gelehrtem Palaver hast du früher schon versucht, mich zu beeindrucken." Sie lachte hell auf und knuffte ihn spielerisch in den Oberarm. "Hat noch nie geklappt! Aber vielleicht verstehe ich sogar, was zu meinst..." Abwesend spielte Merle an ihrem langen, nachlässig geflochtenen Zopf herum und schaute nachdenklich zum Nachthimmel hinauf. "Was passiert ist, ist passiert. Du hast einen Sohn, mit dem du verbunden bist. Und natürlich wirst du auch immer mit Tsalinde verbunden sein - über das Kind, das aus eurer Verbindung entstanden ist. Genauso, wie wir beide über Liudbirg verbunden sind. Ich glaube, ein Kind, das ist ein Band, das sogar stärker ist als ein Traviabund…” Sie wandte sich Gudekar zu und blickte ihn mit in der Dunkelheit funkelnden Augen intensiv an. “Und… und selbstverständlich fällt es mir schwer zu akzeptieren, dass dich dieses Band nun auch mit ihr verknüpft…”, ihre Stimme wurde leiser und brüchiger, “... aber es ist nun einmal so. Dein Sohn und dessen Mutter sind mit unserer Familie verbunden, ob mir das gefällt oder nicht.” Für einen Moment schwieg sie, verschränkte die Arme und lehnte sich mit dem Rücken ein wenig gegen seinen Oberkörper, während sie wieder grüblerisch in die Dunkelheit starrte. “Also lass’ uns versuchen, aus der Vergangenheit das Beste für die Zukunft zu machen, hmm?”

“Da ist kein Band. Ich habe meinen Sohn nie gesehen, sie hat es mir untersagt. Und wenn ich nicht das Glück habe, ihn in den nächsten Tagen hier zufällig zu sehen, werde ich wohl keine weitere Gelegenheit dazu bekommen.” Gudekar Worte waren kalt. Emotionslos. Selbst Merle, die ihn so gut kannte, gelang es nicht zu ergründen, ob eine Enttäuschung oder die Abneigung gegen Tsalinde die Ursache der Kälte war – oder etwas ganz anderes.

Merles Herz zog sich krampfhaft zusammen, als sie diese Verbitterung, diese Kälte in seiner Stimme hörte. Warum war da so wenig Hoffnung, so viel Dunkelheit in ihm? Sie schüttelte heftig den Kopf, drehte sich um, so dass sie eng vor Gudekar stand und ihn direkt anstarrte. “Nein, das stimmt nicht!” beschwor sie ihn eindringlich und mit für sie ungewöhnlicher Schärfe. “Warum, denkst du, kommt sie dann her? Wenn sie keinen Kontakt wollte, dann würde sie das nicht tun, oder?” Merle fasste mit beiden Händen seine Oberarme, so, als wollte sie ihn zur Besinnung schütteln. “Dass sie deinen Sohn hierher bringt, damit streckt sie die Hand nach dir aus. Damit gibt sie dir eine Chance, dein Kind kennenzulernen. Und diese Chance solltest du nutzen, um deinen Sohn in deinem Leben zu haben! Um nicht zu verpassen, wie er heranwächst! Dafür musst du aber über deinen Schatten springen, deinen Groll herunterschlucken und der Dame den Friedenszweig reichen!” Sie seufzte, erschöpft von der leidenschaftlichen Rede. “Tsalinde hatte es mit Sicherheit auch schwer. Und das Kind, dein Sohn, kann am allerwenigsten für alles.”

Mit großen Augen blickte Gudekar Merle an. “Ja, du hast wieder einmal Recht.” In solchen Dingen hatte Merle immer die besseren Argumente als er. In solchen Dingen kannte sie sich aus. Früher war sie stets seine Stütze, wenn es um Fragen des zwischenmenschlichen Miteinanders ging. “Ich werde mit Tsalinde sprechen. Ich werde sie fragen, ob ich meinen Sohn sehen darf. Ich danke dir für deinen Rat.” Noch immer wirkte er nachdenklich, doch nicht mehr so kalt. “Komm Merle, es wird frisch, lass uns wieder hinein gehen, bevor du dir noch die Keuche holst.” Der Magier führte seine Frau zur Eingangstür des Hauses. Doch bevor sie hineingehen konnte, hielt er sie noch einmal an und drehte sie zu sich.

Merle lächelte und nahm seine beiden Hände fest in ihre, wie sie es schon so oft getan hatte, wenn er sich viel zu viele Gedanken machte. Und das hatte er schon immer, selbst als junger Mann, frisch nach der Ausbildung… Sanft strich sie mit dem Daumen über den Rücken seiner Hand und Finger. “Lass’ dir das Herz nicht so schwer machen! Glaub’ mir, es wird sich alles fügen.” Sie drückte seine Hände, um ihm Mut zu machen und ihm zu zeigen, dass sie an seiner Seite war.

Gudekar ließ seine Hände in den ihren, doch erwiderte er die Geste nicht. „Merle, sag mir ganz offen, geht es dir und Liudbirg gut hier? Sind alle gut zu dir?“

Sie wollte erst bestätigend nicken, dann dachte sie kurz über die Antwort an und legte nachdenklich den Kopf schief. "Ja, alle sind gut zu mir", bestätigte sie mit leiser Stimme und starrte in den dunklen, stillen Hof hinaus. "Es ist nur", sie zögerte und senkte die Stimme zu einem tonlosen Flüstern. "Ganz so richtig gehöre ich halt doch nicht dazu. Ich meine, sie vergöttern und umsorgen Liudbirg... und alle sind so unheimlich lieb zu mir! Aber Mika ist fort und Gwenn mit ihrer Hochzeit beschäftigt..." Sie schluckte und presste die Lippen aufeinander. "Ich glaube, mir fehlt jemand, um mal mein Herz auszuschütten... jemand, der mich wirklich versteht, so wie ich bin." Verlegen zuckte sie mit den Achseln. "Ein Freund halt, schätze ich." Die junge Frau verzog ihren Mund zu einem traurigen Lächeln. "Deswegen bin ich so froh, dass du wieder da bist."

Der Anconiter hörte genau zu. Überging in seiner Antwort jedoch Merles offensichtliches Flehen. „Gut, hier seid ihr am besten aufgehoben. Hier seid ihr in Sicherheit. Du weißt, ich hatte befürchtet, der Feind könnte sich bei uns im Dorf eingenistet haben. Doch dies scheint nicht der Fall gewesen zu sein. Dennoch ist die Gefahr noch nicht gebannt, und solange ist niemand sicher, schon gar nicht die, die seinen Häschern am nächsten stehen. Deshalb wirst du hier in der Obhut der Familie bleiben, die auf euch Acht geben. Und ich werde gehen. Das ist das Sicherste für alle.“

Sie seufzte und versuchte die Sehnsucht und Einsamkeit, die sie fühlte, wieder tief in sich einzuschließen. Natürlich würde er wieder fortgehen. So wie stets. Wie immer war er mit seinen Gedanken bei seiner Arbeit und seiner Mission. Es war für sie schwer vorstellbar, welche Last da tatsächlich auf seinen Schultern lag, mit was für schrecklichen Dingen er sich auseinandersetzen musste. Sie schluckte den Kloß in ihrer Kehle hinunter und lächelte ihn liebevoll an.

Gudekar griff in seinen Umhang und holte eine kleine Phiole heraus. „Dies habe ich dir aus Elenvina mitgebracht. Es ist das Duftöl, dass du immer so mochtest. Es sollte zu deinem Tsatag sein, doch konnte ich Albenhus nicht verlassen.“

Merle nahm das kleine Ölfläschchen und betrachtete es nachdenklich. “Danke, mein Herz”, sagte sie leise. “Das wäre nicht nötig gewesen. Du weißt doch, dass ich eigentlich gar keinen Tsatag habe.” Ihre Stimme klang warm, aber immer noch traurig. “Und du weißt, dass du mir nichts mitbringen musst. Ich kenn’ dich doch, Geschenke beschaffen ist für dich eine Last. Aber wirklich, vielen vielen Dank.”

„Ein Jeder hat Tsatag. Irgendwann. Möge es Trost in den schwersten Stunden geben und Freude in den schönsten.“ Gudekar gab ihr einen kurzen, freundschaftlichen Kuss auf die Wange. „Es ist spät. Ich muss los, ins Dorf.“

Verwirrt starrte sie ihn an. “Ins Dorf? Wieso ins Dorf?”

Der Magier schaute besorgt. „Zwar gibt es keine Hinweise, dass der Frevler in der letzten Zeit aktiv war oder dass er tatsächlich Lützeltal im Blick hatte, doch sind in den nächsten Tagen viele seiner Häscher im Ort. Ich muss mich einfach vergewissern, dass niemandem eine Gefahr droht während der Feier. Deshalb möchte ich noch einmal alles überprüfen, bevor die Gäste eintreffen.

Sie kniff die Augen misstrauisch zusammen. "Der Frevler kann uns genauso hier im Haus überfallen. Und es ist stockfinster da draußen. Was willst du da überprüfen?"

„Für das, was ich sehen muss, brauche ich kein Licht. Ich hoffe, Meister Adelchis ist auch bereits eingetroffen wie besprochen. Er könnte mir zur Seite stehen.“

“Irgendwann musst du auch mal schlafen”, warf sie ein.

„Ich werde erst wieder ruhig schlafen, wenn das hier alles vorbei ist und ich alle in Sicherheit weiß.“ Merle spürte zwar, dass seine Sorge echt und ernsthaft war, aber auch, dass da noch mehr war, etwas, das er ihr verheimlichte.

“Ich hoffe, dass das bald ist”, sagte sie langsam. Fragend musterte sie sein so vertrautes Gesicht. “Hast du eigentlich noch irgendwo Gepäck oder bist du gekommen wie Nachbar?” fragte sie nach kurzem Zögern. “Soll ich dir als erstes das Gemach im Gesindehaus zeigen, wo wir untergekommen sind? Dann kannst du schonmal dein Zeug reinbringen.”

“Mein Gepäck? Oh, dass ist noch in den Satteltaschen, wenn Bernhelm es nicht bereits in die Kammer gebracht hat.” Gudekar blickte in Richtung des Stalls, in dem die Pferde, seines und Metas, untergestellt waren. “Wenn nicht, kann er es gleich nachholen, während ich noch einmal durch das Dorf gehe und alles überprüfe. Dann kann ich gleich die Ritterin Croy zu ihrem Quartier geleiten, sie kennt den Weg nicht und in der Dunkelheit findet sie sich vielleicht nicht zurecht in dem fremden Dorf.”

"Hm", nickte sie. "Gut." Sie runzelte die Stirn und betrachtete ihn mit regloser Miene. Der Gedanke, der Verdacht war plötzlich da und sie konnte diesen nicht wieder aus ihrem Kopf verbannen. “Warte, Gudekar.” Fast flehend schaute sie ihn an. “Gudekar, du würdest mich doch nicht anlügen, oder?”

Der Magier schaute perplex. Diese Frage hatte Merle ihm noch nie gestellt. „Was meinst du?“

"Sei nicht böse", versuchte sie ihn zu beschwichtigen. "Ich wollte nur wissen, ob zwischen uns alles gut ist. Ist es doch?"

“Oh, Merle!” Gudekar schaute seine Frau mitleidig an. “Sei nicht naiv! Du bist eine starke, intelligente Frau, du musst lernen, deinen eigenen Wert nicht zu unterschätzen.” Es dauerte ihn, nicht mehr das für sie zu empfinden, dass er noch vor wenigen Götterläufen für sie empfand, und was sie verdient hätte. “Du spürst doch selbst, dass nicht alles in Ordnung ist. Das ist es schon lange nicht mehr. Ich spüre, wie sehr du dich um mich bemühst. Aber ich habe mich verändert. Zu viel ist geschehen in den letzten zwei Götterläufen, dass ich nicht wegwischen kann. Und auch, wenn du es nicht direkt begreifen kannst, betrifft es auch dich. Es wird der Zeitpunkt kommen, an dem ich mich dir gegenüber erklären kann. Doch heute ist dieser noch nicht gekommen. Ich wünschte, der Weltenlauf wäre anders, doch es ist, wie es ist. Verzeih mir!”

Als Merle etwas erwidern wollte, hörten sie die sich öffnende Terrassentür sowie Schritte, die aus dem Haus kamen.

***

Gwenn schaute besorgt zu Rhodan und Meta. „Ich mache mir so langsam Sorgen. Merle und Gudekar sind schon so lange da draußen. Sollten wir einmal nachsehen, ob bei denen alles in Ordnung ist?“

Meta blickte sich um. “Stimmt, da habt Ihr Recht. Und ich bin seine Wächterin.” Sie zwinkerte Gwenn kurz zu. “Geehrtes Brautpaar, es war mir eine Freude. Nun muss ich wieder an die Arbeit.”

„Habt Dank für Eure Zeit!“, entließ der Händler sie wohl etwas förmlicher als nötig. Er sah sich nach Kalman und Friedewald um. Endlich würde sich eine Gelegenheit finden, mit der Kernfamilie in Ruhe zu sprechen - im Beisein von Gwenn natürlich.

Nachdem Meta den Raum verlassen hatte, schaute Gwenn ihren Liebsten besorgt an. “Ob das gut geht?”

“Ob was gut geht?” mischte sich nun Friedewald ein, der sein Gespräch mit Kalman gerade beendet hatte. “Bei Euch ist doch alles in Ordnung?“ Friedewald stellte sich hinter das Paar und schaute über dessen Schulter seinen Schwiegersohn in spe an.

„Oh ja, Friedewald! Bei uns ist alles in bester Ordnung. Wir unterhielten uns nur gerade darüber, ob die Jagd gut verlaufen würde. Ihr wisst doch, hin und wieder kommt es zu Verletzten und Toten auf so einer Jagd. Es würde mich schwer reuen, würde Menschenblut auf unserer Feier vergossen, nicht wahr Liebste?“, log der Händler, ohne mit der Wimper zu zucken.

„Ja, genau, so war es“, bestätigte Gwenn eifrig nickend.

„Ach so. Da kann ich euch beruhigen, denn Firumar überwacht doch die Jagd. Er wird schon aufpassen. Weißt du Rhodan, 1043 auf dem Lichterfest in Liepenstein, da hat er auch die Jagd geleitet. Da waren dein Herr Lares und ich auch anwesend.“

„Richtig, richtig!“, bestätigte Rhodan. Er konnte sich tatsächlich daran erinnern, dass Lares von dieser Begebenheit erzählte. „Im Vertrauen auf das Wohlwollen der Götter und der Gnade des Grimmigen können wir uns auf die Feierlichkeiten freuen. Eure Tochter ist Euch sehr dankbar, wisst Ihr das? Und sie liebt Euch sehr - wie es ein ehrbarer Vater verdient.“

Friedewald lächelte über das Lob, es freute ihn, aber eigentlich wollte er es sich nicht anmerken lassen. “Ja, ich weiß”, sagte er deshalb. “Aber ich bin sicher, dass sie Euch genauso lieben und ehren wird. Nicht wahr, mein Täubchen?”

Gwenn nickte.

“Na, dann sollten wir vielleicht noch einmal auf das Gelingen der Feier anstoßen. Wiltrud? WILTRUD! Schenk doch bitte noch einmal allen ein!”

Der dicke Händler war zufrieden. Das lief doch alles wie am Schnürchen. Er reckte der Magd seinen Becher hin und stieß dann mit seinem Schwiegervater in spe und seiner Verlobten an. „Auf den Ausrichter dieser wunderschönen Feier und meinen Anlass der Freude!“

“Auf den Sohn, den ich in meiner Familie willkommen heißen darf!” stimmte Friedewald ein.

“Auf die beiden wichtigsten Männer in meinem Leben!” bestätigte auch Gwenn den Trinkspruch. Die drei waren inzwischen - abgesehen von Wiltrud - allein im Raum. Ciala brachte Liudbirg und Madalin ins Bett, und Kalman hatte sich mit Morgan zurückgezogen, um mit seinem Sohn über dessen Ausbildung zu sprechen.

~*~

Die Ritterin Meta Croy betrat die Terrasse, auf der Merle Dreifelder ihren Mann Gudekar von Weissenquell gerade über ihre Beziehung zur Rede stellte. Gudekar drehte sich zu seiner Geliebten um.

Innerlich verdrehte sie die Augen. Es hatte schon einen Grund gegeben, warum sie so spät die Schwertleite erhalten hatte. Nicht nur ihr damaliges Defizit im Schwertkampf, auch ihre Goschn. Sie scheute nicht, selbst hochrangige Personen mit ihrem oft hintergründigen Humor etwas zu erwidern, das wurde als frech angesehen. Ansonsten war sie eigentlich sehr gesprächig, neugierig und amüsant. Diese Kombination war es wohl, an einem Abend, an dem Phex oder Rahja zufällig an einem Tisch gesessen hatten (bei dieser Schweinehochzeit) dass Gudekar sein Herz an sie verlor. Nach und nach war eines zum anderen gekommen, trotz des Bannstrahlers. Und nun spielte sie brav mit. „Entschuldigt die Störung, aber Eure Schwester Gwenn hatte sich Sorgen gemacht und wollte euch nicht so lange ungeschützt im Dunkeln lassen. Hohe Dame, ist alles in Ordnung?“

Merle blickte flüchtig zu der Ritterin und nickte mechanisch auf Metas Frage, stand aber ansonsten stumm da, das Gesicht selbst auf der dunklen Terrasse totenbleich und die Miene versteinert. Warum fühlte sie sich so, als wäre ihr übel? Sie starrte zu Gudekar mit einem undefinierbaren Blick, irgendwo zwischen traurig und vorwurfsvoll; die Hände hatte sie abwehrend vor dem Oberkörper verschränkt, als würde sie einen Schlag erwarten.

„Merle, es liegt nicht an dir. Du bist eine wundervolle Frau!“ Gudekar legte seine Hände auf ihre Schultern und gab ihr einen kurzen Kuss auf die Stirn. „Ich glaube, wir sollten jetzt gehen.“ Der Magier drehte sich um, in Metas Richtung, und nickte ihr kurz zu.

Merle wollte etwas erwidern, brachte aber keinen Ton aus ihrer wie zugeschnürten Kehle. Sie rang sich so etwas wie ein flüchtiges Lächeln ab und trat einen Schritt zur Seite, wandte sich von Gudekar ab, damit er nicht sah, dass sie kurz davor war, an Ort und Stelle in Tränen auszubrechen. Immer noch presste sie verkrampft die Arme an ihren Oberkörper.

„Es ist wohl besser, wir bringen Eure Frau auf ihr Zimmer, es scheint ihr nicht gut zu gehen. Eure Schwester hat ein gutes Gespür… auch, wenn ich nur Euch beschützen soll.“ Meta ging zu den beiden, aus ihrer Mimik konnte man nichts lesen, am ehesten schien sie von der Arbeit genervt. „Hohe Dame, in dem Zustand macht Ihr mir keinen guten Eindruck. Ihr solltet auf Euer Zimmer und Euch ausruhen. Die nächsten Tage werden noch anstrengend. Euer Mann ist ja Heiler, der wird dafür sorgen, dass Ihr eine ruhige Nacht habt.“ Meta sah nach Gudekar und verdrehte die Augen. „Das berechne ich Euch aber extra. Es war abgemacht, dass ich auf Euch acht gebe, nicht auch noch auf Eure Frau. Entweder der Wein oder vielleicht ist sie ja schwanger? Das rauszufinden ist aber nicht meine Aufgabe.“ Eindringlich sah Meta, der die Situation in dem Spiel irgendwie nicht ganz so behagte, am besten sollte man diese Posse vor Merle beenden und sie bis zum Ende der Hochzeit an angeblichen Frauenbeschwerden leidend auf dem Zimmer lassen, reden und zaubern oder so, zu Gudekar. „Ich erwarte Euch wie vereinbart. Aber glaubt bloß nicht, dass Ihr mich bei meinem Lohn übers Ohr hauen könnt. Wie ausgemacht. Täglich und nur bar.“

Die Ansprache der fremden Ritterin riss Merle aus ihrer Lethargie. Verwirrt starrte sie Meta an und versuchte aus deren Wortschwall schlau zu werden. "Schon gut", sagte sie mit matter Stimme zu ihr. "Es geht mir gut." Sie musterte diese seltsam hektisch wirkende Frau mit fragendem Blick, den sie dann zu Gudekar weiterwandern ließ. Sehr professionell, vor allem im Vergleich mit der Frau von Kranickau, wirkte diese Ritterin nicht, wenn sie das überhaupt war, zumindest war sie ganz anders als alle Ritter, die Merle kannte. Und was maßte sich diese Fremde an, öffentlich darüber zu spekulieren, ob sie schwanger war?! Was für eine billige, grobe Söldnerin hatte ihr Mann da aufgegabelt? "Gudekar, es ist alles in Ordnung", winkte Merle schließlich entnervt und müde ab. "Wenn du ins Dorf musst, lass' dich nicht aufhalten."

Gudekar war einfach perplex. Er wusste, dass Meta diese ganze Scharade nicht lag. Aber dennoch bemühte sie sich so sehr, das Spiel mitzuspielen. Dafür liebte er sie, sie vertraute ihm. Nur schade, dass sie sich dabei ausgesprochen ungeschickt anstellte. Aber auch so kannte er sie. Er hätte innerlich geschmunzelt, wenn da nicht auf der anderen Seite Merle gewesen wäre, deren Gefühle er gerade zu tiefst verletzt haben musste. Auch sie hatte er geliebt. Und war diese Liebe auch verblasst, so hegte er keinen Groll gegen Merle. Er wollte, dass es ihr gut ging, hatte aber keinen blassen Schimmer, wie er seine Wünsche und Gefühle mit denen von Merle in Einklang bringen sollte. Wie konnte er es schaffen, Merles Schmerz zu lindern, ohne seine eigenen Wünsche und Pläne opfern zu müssen? Und würde er Merle nachgeben, dann würde er auf der anderen Seite Meta verletzen. Das wollte er noch weniger. Er saß in der Falle, und das beunruhigte ihn.

“Merle, ich rufe Ciala. Sie soll sich um dich kümmern. Hohe Dame Croy, würdet ihr schon einmal Euer Pferd aus dem Stall holen? Ich werde Euch gleich zu Eurem Quartier führen und noch einmal im Dorf nach dem Rechten sehen.” Er wollte zur Eingangstür gehen, drehte sich dann jedoch noch einmal zu Merle um und blickte sie wortlos und mitleidig an.

„In Ordnung, Herr. Ich gehe vor und warte auf Euch.“ Merle konnte es nicht sehen, wie sehnsüchtig und hilflos die derbe Söldnerin Gudekar ansah. Meta wandte sich nochmal zu Merle und hielt diese an beiden Schultern. „Seht, was auch immer gerad war, Ihr seid nicht alleine. Eure äähhh... Schwägerin hat Euch wohl sehr gerne und ist für Euch da. Ich bin eigentlich nur für den hohen Herren…“ Sie rung mit sich, da Ihr Merle leid tat..., “aber ich werde es auch für Euch sein, so Ihr beide es wünscht. Ich bin nicht wie die anderen, das hat auch Vorteile. Wenn Ihr mich brauchen solltet, klärt das mit euren Mann, dann bin ich da.“

Merle presste die Lippen zusammen; sie spürte den Drang, die Hände der Frau abzuschütteln, die ihr viel zu nahe rückte und viel zu vertraulich mit ihr sprach. Sie zwang sich jedoch zu Beherrschung und einem freundlichen Lächeln. Die Ritterin meinte es augenscheinlich nur gut, auch wenn Merle es hasste, dass die Fremde ihre dumme Gefühlsaufwallung so deutlich mitbekommen hatte. ‘Sei stark und reiß dich zusammen’, beschwor sie sich selbst und nickte Meta gefasst zu. “Hohe Dame, habt Dank für Eure Besorgnis, doch diese ist unbegründet. Mir geht es gut. Wie Ihr schon vermutet habt, der Wein…” Sie rückte ein Stückchen von der Ritterin ab und hoffte, dass diese sie endlich in Ruhe lassen würde.

„Meta, bitte!“ entgegnete Gudekar, dem es unangenehm war, dass Merle von seiner Begleiterin weiter in Bedrängnis gebracht wurde. „Lasst uns nun endlich aufbrechen, Dame Croy!“ Er wies der Ritterin den Weg, wartete selbst aber, dass Meta auch tatsächlich die Terrasse verließ.

„Wie Ihr wünscht.“ Meta ließ die beiden auf der Terrasse alleine. Diese Rolle musste sie noch üben. Dass es so kompliziert wäre, hatte sie nicht gedacht. Vor allem musste sie noch mehrere Tage durchhalten. Wäre sie nicht als Wächterin hier, würde sie Imelda suchen und mit ihr lästern. Sie ging in den Stall und setzte sich auf einen Ballen Stroh.

Merle blickte Gudekar scheu an, peinlich berührt, dass die Ritterin sie in einem so verletzlichen Moment erwischt hatte. Sie wusste ja selbst nicht recht, was mit ihr los war. "Na dann, bis später", sagte sie betont leichtherzig zu ihrem Mann. "Und hab nochmals Dank für das liebe Geschenk!"

Gudekar sprach ganz leise, den Blick zum Boden gesenkt. „Es tut mir so leid!“ Dann ging er ins Haus, um Ciala zu schicken.

Merle blickte überrascht auf. Der letzte Satz hatte anders geklungen, wirklich aufrichtig. Aber da war er schon wieder weg.

Es dauerte nicht lange, da kam Ciala mit einer Decke auf die Terrasse. Diese legte sie wortlos Merle um die Schulter und drückte sie ganz fest. „Ich weiß ja nicht, was los ist, aber ich bringe dich jetzt zu mir rein.“ Sie führte Merle wieder ins Haus. „Erzähl mir, wenn dir danach ist. Wenn nicht, musst du auch gar nichts sagen.“

Dankbar lächelte Merle ihre Schwägerin an und drückte diese kurz an sich. "Ach Ciala, eigentlich ist gar nichts", seufzte sie erschöpft. "Ich bin einfach nur enttäuscht, dass er gleich wieder ins Dorf muss. Und dass er schon angekündigt hat, bald wieder auf die Jagd nach diesem Frevler zu ziehen."

Merle wurde von Ciala rasch in ihr Privatgemach gebracht. „Frevler, ja, da bin I sicher, dass da oana unterwegs ist.“ Die kleine Lulu schlief bereits in ihrem Bettchen. Ciala hatte es geschafft, sie von ihrem Zimmer in Merles zu verlegen, ohne, dass das Kind wach wurde. Beide Frauen setzten sich auf das Bett. „So, hier hast du erstmal deine Ruhe.“

“Danke Ciala, du bist lieb”, seufzte die junge Frau und versuchte ein Lächeln. “Wie gesagt, es gibt gar keinen Grund, dass ich dummes Ding hier rumsitze und mich selbst bemitleide. Schau”, sie holte die kostbare kleine Phiole mit dem Duftöl heraus und drehte diese gedankenvoll in den Fingern, “er hat mir sogar ein Tsatagsgeschenk mitgebracht.”

„Oh, daran hat er gedacht?“ Ciala lächelte freudig und sah das Fläschchen andächtig an. „Ich verstehe diesen Mann nicht. Er ist ein guter Heiler. Und diese geheime Mission…, die hat ihn vielleicht doch mehr verändert und geschadet, als er es zugeben will. Heiler gehen ja nie zu Heilern. Die wissen immer alles besser.“

Merle nickte mit einem liebevollen Lächeln. "Ich versuche ja, für ihn da sein, an seiner Seite - ihn bei allem zu unterstützen. So gut ich kann. Ich versuche ihm Zeit zu geben und ihn zu nichts zu drängen", sagte sie gedankenverloren, dann blickte sie zu Ciala auf. "Aber manchmal fühlt es sich an, als ob er mich am langen Arm verhungern lässt."

“Das ist seit zwei Götterläufen so. Damals hatte doch auch ein anderer seiner Gruppe mental sehr gelitten. Ich weiss leider nicht, was wir am besten machen. Können wir ihm diese Mission ausreden? Er wird dagegen sein.” Immer mehr fühlte sie sich zu Merle hingezogen. Obwohl sie anfangs dagegen war, gehörte sie schon so lange zur Familie und Travia nahm alle in ihrem Heim auf. Unerwartet drückte sie ihre Schwägerin nochmal. “Es tut mir Leid, wenn ich dir oft das Gefühl gegeben habe, dass du nur geduldet bist. Das stimmt nicht. Du gehörst zur Familie und wir sind deine Familie.”

Überrascht von diesen offenen, aufrichtigen Worten musterte Merle ihre Schwägerin. Sie war sich sicher, dass diese es ernst meinte und die Zuneigung in Cialas Augen echt war - trotzdem hatte Merle nicht vergessen, wie sehr gerade Kalman und auch Ciala einst gegen sie gewesen waren - als Eindringling, Zumutung, als schmutzige Gossengöre hatten sie sie bezeichnet. Wie oft hatte sie zitternd in ihrer Kammer gesessen, überwältigt von dem Gefühl, der einsamste Mensch auf dem Dererund zu sein. Ja, jetzt waren sie freundlich - auch oder insbesondere wegen Lulu - doch vor allem sah man sie mit Mitleid an. Sie hatte viele von ihnen lieb, vor allem Ciala, trotzdem merkte sie, wie sie immer aufpasste, nichts Falsches oder Dummes zu sagen, sich stets zurücknahm, um nicht unangenehm aufzufallen. War diese Familie wirklich ihre Familie? Merle wusste es nicht, hatte sie doch nie eine andere gekannt. So nickte sie nur dankbar und murmelte verlegen: "Schon gut, Ciala, danke dir."

„Wir brauchen Schlaf. Es stehen uns anstrengende Tage bevor. Bis morgen, Merle.“ Nachdem Ciala sich verabschiedet hatte, ging auch sie in ihr Schlafgemach.

Merle ließ sich aufs Bett fallen, drehte sich auf die Seite und betrachtete die kleine Phiole, die im fahlen Licht in ihrer Hand glänzte. Jetzt, wo sie mit Lulu ganz allein war, ließ sie den Abend Revue passieren, versuchte sich genau zu erinnern, was Gudekar gesagt hatte. Sie öffnete den Verschluss des Fläschchens und roch an dem kostbaren Öl, sog den wundervollen, reichhaltigen Duft ein. Sie merkte, wie sich schon wieder ein Tränenschleier in ihren Augen bildete. Wie sehr hätte sie sich statt des Geschenks etwas Wärme von ihm gewünscht, eine Umarmung oder ein Streicheln… doch war er nicht kalt und hartherzig gewesen wie ein Eisblock? Als sie gefleht hatte, dass sie ihn brauchte, als Freund und Vertrauten, hatte er ihr Dinge gesagt wie ‘du bist hier sicher’ oder ‘ich geh’ wieder fort’ - Worte wie Ohrfeigen, wie unsichtbare, kalte Messerstiche in ihr Herz. Ihr fröstelte, obwohl es nicht kühl im Zimmer war. Bildete sie sich alles nur ein? Eigentlich war Gudekars Begrüßung doch freundlich gewesen… und eben die Entschuldigung zum Abschied hatte auch echt gewirkt, wie der Gudekar, den sie von früher kannte. Seine Missionen waren so heftig, dazu die Sache mit Tsalinde und seinem Sohn… Natürlich belastete ihn das alles. War es nicht verständlich, dass er mit den Gedanken woanders war? Wie konnte sie unter diesen Umständen erwarten, dass er Sinn und Zeit für ihre albernen Wehleidigkeiten hatte? Wieso jammerte und klagte sie, schalt sie sich selbst, wo sie doch einen so wundervollen, kostbaren Schatz in ihrem Leben hatte? Sie stand auf, ging leise zu Liudbirgs Bettchen und drückte ihrer schlafenden Tochter einen zarten Kuss auf die Stirn. “Ach Lulu”, wisperte sie dem Kind ins weiche, blonde Lockenhaar, “...was ist nur los mit mir?”

~*~

Ein später Bote

Die Gesellschaft hatte sich bereits aufgelöst und die meisten Familienmitglieder waren schlafen gegangen. Lediglich Friedewald saß noch zusammen mit Bernhelm vor der Tür des Herrenhauses bei einem Becher Wein und einer Pfeife. Sie sprachen über die Ereignisse des vergangenen und die Pläne der nächsten Tage, als ein Reiter eilig in den Hof ritt. „Phex zum Gruße, hohe Herrschaft“, grüßte der Reiter. „Ich habe eine Botschaft für Meister Gudekar von Weissenquell. Ist er hier zu finden?“

Bernhelm schüttelte den Kopf. „Nein, er ist gerade aufgebrochen.“

„Aber er kommt sicher gleich wieder“, warf Friedewald ein. „Gudekar ist mein Sohn. Ihr könnt uns den Brief für meinen Sohn hierlassen. Bernhelm wird ihm den Brief später geben.“

„Verzeiht, dieser Brief ist vertraulich. Ich müsste genau wissen, wer Ihr seid, um zu entscheiden, ob ich Euch deine Nachricht aushändigen darf“, fragte der Bote nach.

Bernhelm antwortete: „Dies ist Friedewald von Weissenquell, der Edle von Lützeltal und Herr dieser Ländereien. Außerdem ist der Herr, wie bereits gesagt der Vater des Empfängers.“

„Gut“, gab der Bote nach, „das sollte reichen.“ Er übergab den Brief an Bernhelm, der ihm entgegentrat. Dieser überreichte dem Boten eine Münze als Anerkennung und bot ihm an: „Es ist schon spät, wenn Ihr wollt, könnt ihr in der Kammer des Stallburschen übernachten.“

„Habt Dank, ein wenig Ruhe täte gut.“

„Gut, Bernhelm“, erklärte Friedewald, „bring dem Mann etwas zu essen. Und sobald Gudekar kommt, gib ihm den Brief.“

~ * ~

Endlich zu zweit

Als Gudekar zum Stall kam, hatte sich Meta gerade auf einen Strohballen hingesetzt.

„Komm, ich bringe dich zu deinem Quartier! Wir reden unterwegs.“

Meta seufze. Mit einer der üblichen Strafpredigten von Linny konnte sie umgehen. Selbst, als sie sich noch sehr viel näher waren. Sie wusste nicht, was sie nun erwartete, ihr Kopf war wie leer. Sie erhob sich und folgte Gudekar. „Ja“ sagte sie nur, obwohl ihr mehrere frechere oder aufsässige Antwort eingefallen wäre.

Meta führte ihr Pferd am Zügel und Gudekar lief neben ihr. Als sie das Tor des Hofes passierten, ergriff er ihre linke Hand und verschränkte seine Finger mit ihren. Er ließ den Kristall in seinem Magierstab leuchten, um die Dunkelheit auf dem Weg zu vertreiben. “Ich danke dir! Ich weiß, wie schwer dir das alles fällt. Für mich ist es auch nicht leicht. Lass uns noch die wenigen Tage durchstehen. Dann sind wir frei.”

Meta blieb verdutzt stehen. „Warum nur bist du so lieb zu mir? Ich hab alles falsch gemacht, eine Katastrophe.“ Dann ließ sie seine Hand los und umarmte ihn fest.

„Du hast doch nichts falsch gemacht! Du warst so geduldig mit mir und hast getan, worum ich dich gebeten habe.“ Gudekar genoss die Umarmung der Ritterin. Seiner Ritterin! „Komm, lass uns eilen, ich bringe dich in dein Quartier, bevor der Rodenbach zu Bett geht und du nicht mehr in dein Zimmer kommst.“

Meta knöpfte entspannt ihre Uniform etwas auf. „Ja, schnell. Nicht, dass ich noch im Stall schlafen muss. Ich hab doch noch nichts ausgepackt.“ Glücklich und wieder zu sich selbst kommend, neckte sie Gudekar.

Gudekar blieb plötzlich stehen und schaute Meta an. Er dachte nach und war verwundert. Er dachte an einen Satz, den er vorhin zu Merle gesagt hatte: ‘Jede und jeder hat irgendwann Tsatag.’ Doch den von Meta kannte er nicht. “Sag mal Meta, wann ist eigentlich dein Tsatag? Kann es sein, dass du mir das nie verraten hast?”

„Ach, mein Tsatag?” Meta lachte ausgelassen. „Warum hast du mich nie gefragt? In Linnartstein nehmen sie das meist zum Anlass für ein ausgelassenes Fest. Das machen die gerne. Aber von dir hab ich noch nie was bekommen, zum Tsatag meine ich. Es ist aber auch nicht wichtig. Ich bekomme fast nie was geschenkt.“ Nach kurzer Pause merkte sie, dass sie das Datum gar nicht gesagt hatte. „Tschuldige, 27. Phex 1022“

Sie waren am Brauhaus angekommen. „Kommst du noch mit rein und wir reden etwas? Oder wann erwartet dich deine Frau?“

“Warte, das Haus ist ja ganz dunkel! Ist die Gaststube gar nicht offen?” Gudekar schaute verwundert, aber tatsächlich war die Stube, in der der Rodenbach gelegentlich sein frisch gebrautes ausschenkte, verschlossen. Gudekar ließ sich jedoch nicht verunsichern. “Vermutlich will er sich noch einen Abend ausruhen, bevor morgen der Trubel losgeht. Warte hier kurz.” Unbeirrt ging Gudekar um das Haus herum, wo er den Hintereingang zu Erlwulfs Wohnbereich wusste. Nach einigen Minuten kam er mit einem Schlüssel zurück. “Tata! Schau, ich hab’ den Schlüssel”, strahlte er Meta an. Sie lachte ausgelassen und froh. Es war nicht nur die körperliche Liebe, es passte auch so einfach. “Wir sollen hinten durch den Stall rein. Die Gaststube ist wohl belegt. Was immer das heißen mag. Aber dann können wir gleich dein Pferd unterstellen.”

Sie gingen zum großen Tor, das in den Stallbereich führte. Dort waren zwei Kutscherpferde untergebracht, aber eine Box war noch frei, wo sie den Wallach Lukas anbinden und versorgen konnten. Eine kleine Treppe führte hoch in den Flur, auf dem die provisorischen Gästezimmer hergerichtet worden waren. Gudekar half Meta, ihr Gepäck hochzutragen, obwohl das für ihn deutlich anstrengender war als für die durchtrainierte Ritterin. Schließlich erreichten sie das Zimmer, das für Meta hergerichtet worden war. Sie traten in die dunkle Stube. Kein Licht, außer dem, welches Gudekars Stab ausstrahlte, erleuchtete den Raum. Gudekar stellte das Gepäck auf den Boden in der Mitte des Raums. Dann zog er Meta in das Zimmer und stieß sie mit dem Rücken an die Wand neben dem Eingang. Mit einem Fuß stieß er die Tür zu. Mit einem leidenschaftlichen Kuss hieß er Meta in seinem Heimatdorf willkommen. “Ich will dich jetzt!”, flüsterte er in ihr Ohr.

„Wirklich?“ antwortete sie atemlos und verwirrt, „Den ganzen Abend dachte ich, dass du es mit mir bereust, zu viel aufgibst und Merle, die so hübsch und lieb ist, noch dazu mit deinem Kind, verfallen würdest. Nie warst du öffentlich an mich gebunden. Es wäre so einfach, mich loszuwerden.“ Sie stellte achtlos ihr Gepäck irgendwo ab und entledigte sich des Wamses. „Der Stab reicht nicht. Ich liebe es unter magischem Licht.“

“Ich habe dir doch gesagt, du musst mir vertrauen! Jetzt bin ich nur für dich da, mein Herz.” Der Magier umarmte sie und zog sie ganz dicht an sich heran. “Die Zeit ohne dich war eine endlose Qual. Nie wieder dürfen wir so lange getrennt sein. Ich wäre so gerne bei deiner Schwertleite dabei gewesen. Bei dem wichtigsten Ereignis in deinem Leben. Und ich habe es verpasst. So etwa darf uns nie wieder passieren!”

Meta seufzte. „So ist es nun mal. Aber es ist egal, wenn du das hier geschafft hast. Du liebst sie noch immer, sie ist die Mutter deines Kindes. Aber halte mich heute Nacht bitte einfach fest und lass es uns zärtlich und liebevoll tun.“

Noch einmal wiederholte Gudekar sanft aber bestimmt: „Ich will dich jetzt! So als gäbe es kein Morgen mehr!“

Meta hatte zu viel zu verarbeiten gehabt und schalt sich nun selber in Gedanken, weil sie mit Gudi gerne zärtlicher und lieber gesprochen hätte. „Schatz, das ist ein sehr großes Geschenk, dass du mir da machst. Und ungeheuer viel Freude.“ Er hatte sie auf das Bett gedrückt und sie sahen sich ganz nah in die Augen. „Hab ich es schon gesagt? Das kann man wohl nicht oft genug tun. Wenn du diese Hochzeit und die familiär öffentliche Trennung schaffst, ist das für mich gleich viel wert, wie ein Traviabund.“ Sie schlupfte unter die Decke und entkleidete sich. Gudekar tat es ihr gleich und sie wärmten einander. „Bsss, wart noch. Die paar Male, die ich dich mit Merle, mit oder ohne Kind, gesehen habe, warst nicht nur du anders. Sie schien vor Freude zu leuchten und so glücklich zu sein. Sie liebt dich. Aber ich kann nicht ohne dich. Nur… mach es nicht zu grob. Ihr werdet lange reden müssen. Ich kenne mich mit sowas nicht aus, aber wir sprechen dachte ja nochmal. Also wir zwei.“ Vertraut und liebevoll strich sie durch sein Haar und schmiegte Haut an Haut. Ja, auch Meta konnte empathisch sein. Gudekar schien ihr plötzlich sehr müde. Der Tag war sicher für ihn emotional auch sehr schwierig gewesen. Aber nun freute er sich, in trauter Zweisamkeit bei Meta zu sein. Er ließ Meta spüren, wie innig seine Liebe für sie war. An diesem Abend waren sie eins, eins in Rahjas Armen. Und obwohl er ursprünglich geplant hatte, die Nacht im Gutshaus zu verbringen, wo noch immer sein Gepäck auf ihn wartete, vermutlich inzwischen in Merles Kammer, konnte er nun Meta nicht verlassen. Er würde bei ihr bleiben. Sollte seine Familie doch morgen fragen, wo er war. Ihm würde schon eine Erklärung einfallen.

Sie lagen lange einfach nebeneinander. Schließlich, nachdem sie Rahja wieder vereint sehr nahe gekommen waren, überkam ihn die Erschöpfung, sein träger, halbherziger Versuch, sich noch einmal auf sie zu legen, scheiterte und er murmelte im Halbschlaf noch etwas Unverständliches. Dann sank er befreit von der Last dieses Tages in den Schlaf. Meta betrachtete ihn, deckte ihn zu und sah ihren Magier einfach nur an. „Gudekar, ich liebe deine Augen. Dieses hübsche Grau, mit dunklen Sprenkeln darin. Ich könnte darin versinken. Ich liebe deinen ganz eigenen Geruch. Auch, wenn du diese furchtbare Robe trägst. Deine Stimme ist so angenehm und ruhig, ewig könnte ich dir zuhören.“ Sie kicherte, wusste sie doch, dass er sie nicht mehr hörte. „Natürlich liebe ich es über alles, dich in mir zu spüren, so innig und du weißt genau, was mir gefällt. Ich mag deinen Samen in mir, auch wenn daraus leider kein Leben entstehen wird. Und noch etwas. Das hätte ich damals, es kommt mir ewig her vor, nicht gedacht. Aber du hast viel mehr Humor bekommen. Du bringst mich zum Lachen, wir lachen so oft gemeinsam und auch über dumme Dinge, die uns passiert sind. Du kannst über dich lachen und bist so intelligent. Das sind ein paar Dinge, die ich dir sagen wollte. Oh nein. Natürlich gibt es mir ein warmes Gefühl, wenn du mich bei der Hand nimmst. Das ist vertrauter, als ein Kuss von dir.“

Gudekar, der die Worte im Halbschlaf wahrgenommen hatte, hielt dies für eine entfernte Stimme aus einem wundervollen Traum.  

Dann kuschelte sie sich zu ihm unter die Decke und versuchte ebenfalls, die Sorgen des Tages abzustreifen.

~*~

Am nächsten Morgen stand Gudekar früh auf. Er fühlte sich ausgeruht und glücklich. Es fühlte sich an wie an jenem Morgen vor fast genau zwei Götterläufen, als er in der kleinen Gärtnerhütte das erste Mal in Metas Armen erwachen durfte. Doch heute ließ er Meta schlafen. Er hatte zu tun, und sie konnte ihm nicht helfen. Nachdem er sich leise bekleidet hatte, schrieb er auf ein Stück Pergament eine kurze Nachricht. “Meta, Geliebte, ich bin unterwegs. Ich sehe dich spätestens heute Abend zum Fest auf dem Dorfplatz. Schaue dir bis dahin das Dorf an. Dein G.”

Dann verließ er leise das Zimmer und machte sich auf den Weg zur Jagdhütte, um Mika zu sehen und mit den Häslers den Ablauf des heutigen Abends abzusprechen.