Die Abtei

Erzählungen aus Tommelsbeuge

Ort: Burg Fischwacht und Wüstung Gänsehof in Freiherrlich Tommelsbeuge

Zeit: 19. Ingerimm 1045 BF

Dramatis Personae:


Der Auftrag

Geribold von Fischwachttal saß hinter seinem wuchtigen Schreibtisch, auf dem sich nebst Schreibmaterialien und einem aufgeschlagenen, mit den Seiten nach unten liegenden Buches aus der Reihe der Gespräche Rohals des Weisen, vier hölzerne Becher und ein Krug mit Wasser sowie einem mit leichtem Wein befanden. Neben den Krügen standen zwei Schalen aus gebranntem Ton, in denen sich jeweils Nüsse und Beeren befanden.

Vor dem Schreibtisch hatten seine Gäste, der Hohe Herr Gereon von Hauerberg, Edler von Rittergut Auroth, Ihre Wohlgeboren Irminella Ermine von Eberbach, Vögtin Gut Gräflich Bösalbentrutz' sowie Aleydis Lartes, Hauptmann der auf Burg Bösalbentrutz stationierten, gräflichen Gardisten, Platz genommen.

"Ich danke Euch für Euer Kommen, Hoher Herr von Hauerberg", nickte Geribold zunächst in Richtung Gereons.
Dann blickte er Irminella an.
"Und Euch danke ich, dass Ihr Euch freiwillig der Sache annehmen wollt - oder sollte ich Boso danken?", schob er grinsend nach.
Mit einem: "Seid auch Ihr bedankt", in Richtung Aleydis beendete er die Begrüßung.

"Wohlgeboren von Eberbach hat durch Ihren Herrn Schwiegervater einen Wissensvorsprung, den ich nun ausgleichen will", fuhr er fort und nickte dabei wieder in Richtung des Herrn von Hauerberg.
"Ich möchte, dass Ihr Euch in der ehemaligen Abtei Gänsehof umseht. Ich kenne die Gerüchte, gebe aber nichts darauf. Ich will sie wieder als Teil der Baronie wissen. Irgendwelche Fragen?"

Irminella nickte wissend, sagte aber nichts, um den anderen den Vortritt zu lassen.

Aleydis Lartes, ein schnittig auftretender Mittvierziger mit gepflegten, dünnen Oberlippenbart und ebensolchem Kinnbart - gemeinhin als Kaiser-Alrik-Bart bekannt -, saß kerzengerade beinahe schon auf der Kante des Stuhls. Das dunkle, schulterlange Haar hatte er hinter die Ohren gekämmt und der Glanz verriet, dass er dem Halt mit Pomade nachgeholfen hatte. Dennoch waren seine Geheimratsecken gut sichtbar.
Er trug einen kurzen Gambeson, auf dessen Vorderseite das gräfliche Wappen prominent auf Brusthöhe angebracht war. Aufgrund der Temperaturen im Ingerimm bildeten sich feine Schweißperlen auf seiner Stirn.
Ayledis Lartes nickte dem Baron knapp zu, dann richteten sich seine Blicke auf den Anführer dieser Expedition, den Ritter Gereon von Hauerberg.

Der solcherart angesprochene Gereon von Hauerberg, der bisher schweigend hinter den Stühlen der beiden anderen gestanden hatte entspannte seine Haltung etwas und begann nachdenklich mit der Federzier seines Jägerhutes zu spielen.
Von Kopf bis Fuß betrachtet ergab der jüngere Mann ein recht uneinheitliches Aussehen ab. Der firungefällige Hut mit Federzier und der kurze, zweckmäßige Schulterumhang hätten auch einem Jäger angestanden. Mit dem offen genestelten Wams aus dem das darunterliegende Hemd hervorlugte, hätte man ihn hingegen ebenso gut für einen höfischen Gecken halten können. Nur der Gürtel, mit nun leeren Schwert- und Dolchscheiden und seine zweifarbigen Beinlinge ließen auf eine kämpferische Natur schließen - auch wenn diese eher zu einem Söldner denn zu einem Ritter passen wollten.
Nach ein paar Sekunden antwortete er während er seinem Schwertherrn zulächelte.
"Ich danke Euch, Euer Hochgeboren, für Euer Vertrauen in der Sache."
Sein Lächeln wurde schelmisch. "In Travias Namen, meine Manieren! Mein Vater wäre erzürnt wenn ich seine Gastgeschenke nicht sofort überreichte. Er lässt Euer Hochgeboren Grüße ausrichten und hat mir diverse Spezereien sowie zwei Folianten für Euch mitgegeben. Er meinte, Ihr wüsstet die Traktate wohl zu schätzen?"

Geribold lächelte erfreut und nahm die gebotenen Geschenke entgegen und hielt die Bücher kurz in Händen, als er antwortete:
"So richtet dem Hohen Herrn bitte meinen vorzüglichsten Dank aus. Ich werde mir die Werke sicher in den kommenden Tagen ansehen."
Dann legte er sie auf die Seite. Er wollte zunächst das 'geschäftliche' erledigt wissen, bevor er sich dem Müßiggang hingab. Einen weiteren, kurzen Blick seinerseits auf die Bücher verrieten allerdings, dass man ihm mit diesen Gaben tatsächlich Freude gemacht hatte.

"Fürwahr gibt es einige Gerüchte, die über den Ort kursieren, doch sind sie sicherlich nichts anderes als Fantastereien. Dass sich dort Goblins eingenistet haben könnten, glaube ich ebenfalls nicht. Sie sind nicht gescheit genug, um sich über längere Zeit nicht sehen zu lassen. Da halte ich Wölfe oder Wegelagerer für wahrscheinlicher. Am wahrscheinlichsten dürfte aber sein, dass Ihr dort rein gar nichts mehr findet als Ruinen. Ich denke daher, dass die Anwesenden ausreichen werden. Solltet Ihr dort doch vor unlösbaren Aufgaben stehen, schickt nach Entsatz."

Er überlegte kurz, während er mit dem Nagel seines rechten Zeigefingers auf den Schreibtisch tippte.
"Ich gebe Euch meinen Hofmedicus mit", nickte er dann schließlich.

Eine avesgefällige Aufgabe also! Gereon straffte sich wieder und fuhr fort:
"Ich selbst kenne nur Sagen und Schauergeschichten über die Abtei. Geisterprozessionen oder verschwundene Jäger, die gar von Sumpfranzen geholt worden sein sollen. Am konkretesten sind für mich die Beschwerden der Köhler über ihre gerissenen Ziegen seit dem letzten Herbst. Wie ich von meinem Bruder höre, finden sich die Kadaver oft in Richtung Gänsehof. Kann etwas, aber auch nichts, bedeuten", sinnierte Gereon.
"Ich will aber nicht geringschätzig klingen, Euer Hochgeboren. Ich halte einen Bären oder Wölfe für nicht unwahrscheinlich. Aber eine kleine Schaar sollte dafür ausreichend sein."
Er nickte jedem in der Runde freundlich zu, während er sprach:
"Aber Euer Wohlgeboren von Eberbach hat neben Ihrem vortrefflichen Schwertarm sicherlich auch einiges beizutragen."

Irminella nickte.
"Was unser Vorhaben betrifft, meint Ihr sicher? Ich verstehe mich aufs Bogenschießen und das Lesen von Fährten. Doch dürfte letzteres nicht vonnöten sein. Immerhin ist die Wüstung nicht schwer zu finden - und das, was darin haust, vermutlich genauso wenig."
Ihre Stimme klang freundlich, dennoch wirkte sie ein wenig reserviert bis distanziert.

Gereon grinste Irminella vergnügt an.
"Da habt Ihr sicherlich recht, dennoch weiß ich die Tatsache, dank der Fährtenleserei bereits vor dem Betreten der Gewölbe zu wissen, ob ich es mit einem Bären oder Wölfen zu tun bekomme, sehr an dieser Kunst zu schätzen."
Der Gedanke die Aufgabe aus eine Art Jagdausflug zu betrachten schien ihn aufzuheitern.
"Aber bei Phex, wir wollen unseren taktischen Verstand nicht außer Acht lassen. Was meint Ihr, Hauptmann Lartes. Ein paar Eurer Gardisten zur Bedeckung?"

Der Hauptmann straffte sich und erhob sich schnell von seinem Stuhl, um sich zackig umzuwenden und den Ritter direkt anzublicken.
"Weitere Gardisten werden nicht vonnöten sein, Hoher Herr."
Die Stimme des Mannes war überraschend hoch, ein Eindruck, der durch seine schnelle Sprechweise eher noch verstärkt wurde. Es folgte ein Blick zum Baron und dann zur Vögtin von Bösalbentrutz.

"Wenn wir auf die Gerüchte etwas geben wollen, dann erwarten uns dort höchstens einige Wölfe, vielleicht auch nur zwei Landstreicher. Nichts, was drei Bewaffnete hoch zu Ross nicht verscheuchen könnten."

Gereon hob zwar eine Braue, sagte aber in der Sache nichts weiter.
"Gut, dann sind wir uns einig. Rondra zum Gefallen. Wir reiten zu viert."

Aleydis nickte und warf einen kurzen Blick zur Vögtin. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er etwas verschwieg.

Diese nickte ihm zu, so als ob sie ihn zum Aussprechen seiner Gedanken zu motivieren versuchte.

Der Blick des Hauptmanns wurde skeptischer. Er legte seinen Kopf leicht schräg und seine Augenbrauen schoben sich zusammen, als er Irminella musterte. Es schien, als sei er sich nicht sicher, was ihr Nicken zu bedeuten hatte.

Auf ihrem Gesicht zeichnete sich ein Lächeln ab, während sie leicht den Kopf schüttelte.
"Es scheint, als habt Ihr etwas auf dem Herzen, Aleydis?"

"Nein Euer Wohlgeboren."
Aleydis Lartes verbeugte sich knapp und sprach dann hastig weiter:
"Ich habe meiner Einschätzung nichts hinzuzufügen!"

"Gut", nickte Geribold dann knapp.
"Sollte den Herren - oder Euch -", dabei blickte er kurz zu Irminella, "noch etwas einfallen, lasst es mich wissen. Ich lasse nach Herrn Grabschaufler schicken. Er wird in Kürze zu Euch stoßen."
Er machte eine kurze Pause.
"In Waldeck ist man informiert, dass Hoher Besuch kommt. Man wird Euch entsprechend Empfangen und Euch - wenn nötig - eine ordentliche Unterkunft bieten."
Er hob seinen Becher und hielt ihn den Gästen entgegen.
"Auf gutes Gelingen."

Der Aufbruch

Nachdem die Hohen Herrschaften mit Seiner Hochgeboren auf ein gutes Gelingen der Unternehmung angestoßen hatten, verließen sie die Schreibstube und begaben sich in den Speisesaal der Burg. Hier genossen sie ein vorzügliches Mahl, das Ariana Simis, die Küchenmeisterin hier am Hofe, eigens für die Gäste zubereitet hatte.

Nach rund zwei Stunden führte sie ein Bediensteter in den Burghof, wo die Pferde bereits auf ihre Reiter warteten - offenbar hatte man sie bereits für den Ritt vorbereitet. Neben den Tieren der Hohen Gäste stand ein weiteres bereit, auf dem bereits ein Reiter saß.

Es war ein hoch aufgeschossener Mann von dünner, fast hagerer Statur. Sein blondes Haar hatte er zu einem Dutt gebunden und seine grünen Augen unterstützten das freundliche Lächeln des Mannes, mit dem er die Hohen Herrschaften bei ihrer Ankunft im Hof empfing. Etwas umständlich, ungelenk gar, stieg er von seinem Pferd.
"Ah, die Hohe Dame von Eberbach und ihr… Hauptmann, nicht? Sehr erfreut", hob er an.

Die angesprochene Irminella nickte und lächelte.
"Es ist auch mir eine Freude, Euch wiederzusehen."
Aus der Körpersprache der beiden konnte man erkennen, dass sich die beiden durchaus bekannt waren.

"Herr Medicus!"
Der Hauptmann der gräflichen Garde von Bösalbentrutz, der zwischenzeitlich sein Schwert umgehängt und einen Kürass angelegt hatte, deutete eine Verbeugung an und musterte den neuen Begleiter mit einer nach oben gezogenen Augenbraue, ehe er sich behende auf sein Pferd schwang. Dann setzte er einen Eisenhut mit schmaler, herunter gezogener Krempe und einem kleinen Kamm auf, den er mit einer Schnalle unter dem Kinn befestigte.

"Seid auch Ihr herzlich begrüßt Hoher Herr von Hauerberg. Ich bin Drego Grabschaufler. Der Zuname ist weniger Prophezeiung als vielmehr Zeuge des langjährigen Tätigkeitsfeldes meiner Familie.", witzelte er.
"Ich hoffe Euch und Eurer Familie geht es gut?"

Gereon grinste den Neuankömmling an, während er zu seinem Pferd schritt, das von seinem Begleiter aus Auroth gehalten wurde.
"Die Göttin mit Euch, werter Herr, einen borongefälligen Namen habt Ihr da. Dann will ich es als Ausdruck Eurer Hingabe werten, dass Euer Ruf Euch schneller vorauseilt als Euer Familienname. Und seit der Nachfrage bedankt, alle sind wohlauf. Auch wenn Vater regelmäßig Satinav in die Knochen fährt, so ist dies doch kein Grund zur Klage."
Gereon gürtete den ihm entgegengehaltenen Schwertgurt mit dem Langschwert und wandte sich an seinen Begleiter, einen etwas kleineren aber stämmigen Mann in unauffälliger Reisekleidung. Kurz und knapp gab er die bisherigen Ereignisse wieder und beauftragte den nahezu gleichaltrigen Mann mit den Worten:
"Reit' nach Brinnmühle und gib Vater Bescheid, und informiere auf dem Weg nach Köhlbach meine Brüder. Dort hältst Du Dich bereit, bis ich komme."
Der Angesprochene nickte nur.
"Der Gambeson?",fuhr Gereon fragend fort.
Der dunkelblonde Mann nickte in Richtung der großen Rolle, die hinter dem Sattel des Pferdes verstaut war.
"Ist im Bündel".
"Gut ich danke Dir Berman", entgegnete Gereon, schwang sich auf das Pferd und wandte sich zu seinen Mitstreitern um, während der Angesprochene auf dem Maultier, das zuvor die Folianten transportiert hatte, auf das Burgtor zuritt.
"Nun? Wollen wir aufbrechen?", fragte er in die Runde.

"Voran, Hoher Herr!", antwortete Aleydis Lartes in militärisch knappem Ton und drückte die Schenkel zusammen, woraufhin sich sein Pferd schnaubend in Bewegung setzte.
"Bis zum Einbruch der Dunkelheit sollten wir es zum Gut Waldeck schaffen."

Und so ritten die vier vom Burghof durch den geöffneten Torturm auf den Weg, der sie zunächst durch den Marktflecken Tommelsbrück zu Füße der Burg und schließlich auf die Straße gen Rahja führte. Dieser folgten sie für rund zwölf Meilen und kamen dort, ganz wie es Hauptmann Lartes im Burghof prophezeit hatte, kurz vor Einbruch der Dunkelheit an.

Im Waldeck

Schon von Weitem hatte man die Hopfendolden sehen können, die entlang kunstvoll zu Rundbögen gearbeiteten Kletterhilfen wuchsen. Das größte Gebäude stellte das Gutshaus dar, das heute aus einer Brauerei sowie dem Gasthaus "Zum Eck" bestand. Weiters fanden sich etliche Ställe, aus denen Gegacker und Gegrunze drangen. Ein weiterer, recht großer Stall stand leer.

Die Reiter wurden von einer kleinen Delegation einfacher Leute empfangen, die sich jedoch die größte Mühe machten, den Hohen Herren sowie der Burgvögtin den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Man nahm ihnen die Pferde sowie das Gepäck ab, bot an, die Kleidung zu waschen und verwies darauf, dass man einen Zuber vorbereitet hatte, den die Hohen Gäste würden in Anspruch nehmen können, sollte ihnen der Sinn danach stehen, bevor man sie zum Essen bitten würde.

Doch zunächst zeigte man den Neuankömmlingen ihre Zimmer - allesamt sauber und ordentlich, nur nicht sonderlich geräumig. Die Möbel waren abgenutzt, sodass davon auszugehen war, dass die eigentlichen Bewohner der jeweiligen Stuben ihre Sachen gepackt und den Platz frei gemacht hatten, um sie den Hohen Herrschaften zu überlassen.

Nach gut zwei weiteren Stundenkerzen, in denen es den Herrschaften freigestanden hatte, sich nach eigenem Gutdünken auf dem Gut zu bewegen, rief man sie zum Essen.

Sonnhild und Folcrad Welhausen, die Betreiber des kleinen Gasthauses "Zum Eck", das man offenbar gänzlich für die Hohen Gäste reserviert hatte, servierten das Mahl mit vielen ehrerbietigen Verbeugungen und geizten auch nicht mit Danksagungen dafür, dass man sie mit solch einem Besuch beehrte.

Das Mahl bestand aus einem Rinderschmorbraten mit grobem, mit Kräutern verfeinerten Kartoffelstampf und Rotkohl mit Apfelstückchen. Dazu reichte man Wasser, Apfelwein und das "Waldecker Helle", das man hier braute.

Da der Gastraum für die Hohen Herrschaften reserviert war und die Gastgeber darauf achteten, sich so rar wie möglich zu machen, um den Gästen nicht zur Last zu fallen, waren die Reisenden nun unter sich und konnten ihr Abendessen in aller Ruhe genießen.

Aleydis Lertes kam sichtlich gut gelaunt in den Schankraum. Er hatte das Angebot, ein Bad zu nehmen, gerne angenommen und sicherlich ein gutes viertel Stundenglas in dem mit warmem Wasser gefüllten Zuber zugebracht. Danach hatte er offensichtlich auch seine längeren Haare wieder gepflegt, denn diese glänzten wie bereits am frühen Mittag bei der Audienz des Barons. Er trug eine knielange, hellblaue Tunika bar jeder Verzierung und darunter ein ungefärbtes Leinenhemd. Er blickte sich sichtlich überrascht in dem kleinen aber leeren Schankraum um und zuckte dann mit den Schultern. Als er an den Tisch trat, begrüßte er die dort bereits sitzenden Reisebegleiter schmunzelnd: “Mir scheint, ich reise mit dem Herzog höchstselbst, wenn man die Stube ganz für uns reserviert hält.”

Nur Drego saß bislang am Tisch und lachte ob der Bemerkung des Herrn Lartes kurz auf. "Jaja, die Vorzüge der Reise mit Hohen Herrschaften, nicht? Setzt Euch doch zu mir, die anderen beiden sind sicherlich auch bald da. Bis dahin können wir uns ein wenig kennenlernen, so Ihr mögt? Schließlich sind wir ja nun ein verschworener Haufen." Er grinste breit, zwinkerte mit dem rechten Auge und deutete mit einer einladenden Geste auf den Stuhl ihm gegenüber.

Schulterzuckend nahm der Hauptmann Platz und spach: “Gerne, dann können wir gemeinsam auf die hohen Herrschaften warten.”

Gereon betrat just in diesem Moment durch eine der Seitentüren den Schankraum, blieb abrupt stehen und sah sich überrascht um. Als sein Blick auf die bereits sitzenden Gefährten fiel, grinse er amüsiert:

"Was ist denn bitte hier nicht los? Habt Ihr den armen Leuten die Kundschaft vertrieben?"

Lachend wischte sich Gerion durch das noch feuchte kurze Haar. Er war offenbar gerade erst dem Badezuber entstiegen und war nur mit einem Leinenhemd sowie einer Filzhose und Pantoffeln gekleidet. Augenscheinlich kam er gerade aus Richtung der Stallungen zurück.

Gerion sprach laut in Richtung der Reisegefährten: “Ich Geselle mich gleich zu euch.” Schnell schlappte er in Richtung seines Raumes.

"Ausgesprochen gern, Hoher Herr." Drego nickte Gerion lächelnd zu. "Darf ich Euch bereits etwas zur Erfrischung bestellen?" “Gern werter Herr, Ich glaube ich lasse den Abend mit einem kühlen Gargelbräu beginnen.” rief Gerion Drego im hinausgehen zu.

“Gute Idee,” fügte der Hauptmann hinzu, “ich täte ebenfalls eines nehmen.” Mit einem breiten Grinsen nickte er dem Medicus zu.

Auf einen Wink Dregos hin brachte man den erlesenen Gästen die Getränke, wobei sich der Wirt mehrfach entschuldigte, kein 'Gargelbräu' servieren zu können, gleichsam aber versicherte, dass das hier gebraute 'Waldecker Hell' durchaus nicht zu verachten sei. Und dem Gesicht des Hauptmannes war nach dessen erstem Schluck deutlich zu entnehmen, dass der Wirt völlig richtig lag.

Nach 5 Minuten kehrte Gerion nun entsprechend in eine Leinenhose und grünes Wams gekleidet zurück. Um die Unterhaltung nicht zu unterbrechen setze er sich ruhig zu den anderen an den Tisch; nickte Drego dankend zu und begann sichtlich erfreut an seinem Gargelbräu zu nippen und sich - sichtlich hungrig - über die mittlerweile dargebotenen Speisen herzumachen.

Mit einem breiten Lächeln in Richtung von Folcrad - der von einer Ecke des Gastraumes aus die hohen Herren im Blick behielt - rieb sich Gerion sichtlich den Bauch. Was bei dem so signalisierten ein breites zufriedenes Gesicht entlockte.

“Nun,” wandte sich Gerion an seine Begleiter. “Die Pferde sind gut versorgt, das Waldecker kühl, das Essen bemerkenswert gut und der Zuber war warm. Ich bin vollends zufrieden mit dem Tagwerk und bereit mich einem ruhigen Abend hinzugeben. Wie sieht es bei euch aus?"

Drego nickte und hob den Becher voll Bier, den man ihm erst kürzlich gebracht hatte. "Wohl gesprochen, wohl gesprochen."

“Kann ich euch nach dem Essen zu der einen oder anderen Runde Boltan und ein paar Helle in der warmen Stube einladen? Ich müsste auch noch eine kleine Garadan Variante im Gepäck haben - falls mir die Figuren nicht wie so oft aus dem Bündel gefallen sind."

Wieder war es Drego, der zuerst antwortete. "Sehr gern. Ein wenig kurzweiligen Müßiggang begrüße ich. Doch bin ich weder in dem einen, noch in dem anderen Spiel sonderlich bewandert. Solltet Ihr also kein einfaches Würfelspiel spielen wollen, müsstet Ihr mir ein paar Dinge erklären!", lachte er.

“Bei Phex, das lässt sich einrichten” mit einem breiten Lächeln im Gesicht klopfte Gerion dabei kurz an an Tisch und zwinkerte Drego zu. “Wie steht es mit euch, werter Herr Lartes?” wandte sich Gerion an Aleydis. “Und wie sieht es mit ihro Wohlgeboren von Eberbach aus?”

Aleydis Lertes zwirbelte mit seiner rechten Hand an seinem akkurat gestutzten Kinnbart entlang und brummte. “Hmmm, meinen Männern und Frauen habe ich das Glücksspiel verboten.” Ein etwas verstohlener Blick ging zur Burgvögtin. “Doch weiß ich wohl, dass sie sich nicht immer daran halten. Daher wäre es nur angebracht, wenn ich selbst die Regeln verstünde.” Er rieb beinahe schon aufgeregt die Handflächen aneinander und setzte sich so nah wie nur möglich an den Rand des Tisches. “Also zeigt uns, wie das Spiel funktioniert, Wohlgeboren!”

"Ich werde den Herren gern dabei zusehen.", lehnte die Hohe Dame von Eberbach mit einem freundlichen Lächeln ab.

“Wie Ihr wünscht euer Wohlgeboren.“ bestätigte Gerion mit einer freundlich angedeuteten Verbeugung. “Nun denn Meine Herren, lasst uns beginnen.” Gerion packte sowohl Boltan-Würfel, als auch Karten auf den Tisch und begann in den folgenden Minuten einige Würfelpartien mit Aleydis und Drego, während der er Drego die Unterschiede und Ähnlichkeiten zur Kartenvariante näher erläuterte. Im Laufe des Abends ergaben sich daraus einige heitere Stunden, währenddessen immer wieder zwischen den Varianten gewechselt wurde, bis Gereon selbst begann - im angetrunkenen Zustand - die Unterscheide der Varianten zu verwechseln.

Was aber recht schnell offenbar wurde, war das Flunkern des Hauptmannes. Denn obwohl dieser völlig ahnungslos tat, schien er die Regeln recht gut zu beherrschen und schob dennoch jeden Sieg breit grinsend auf “Anfängerglück”.

“Wie ich bemerken muss, werter Herr Aleydis, stammt das Verbot für eure Männer von erfahrener Hand.“ Gerion blickte Aleydis mit gespielt strenger Miene an, aber dank der Hilfe des Waldecker begann aber direkt darauf zu ‘keckern’ wie ein Grolm.

Offenbar von der eigenen Fähigkeit zu solch Geräuschkulisse überrascht, hielt er kurz inne - und brach stattdessen über sich selbst amüsiert in ein brüllend herzhaftes Gelächter aus.

Drego hatte indessen offenbar über seine Unfähigkeiten in Brettspielbelangen nicht übertrieben, verlor er doch eine Partie nach der anderen. Seine schnelle Auffassungsgabe hatte zwar dazu geführt, dass er die grundsätzlichen Regeln der Spiele rasch begriffen hatte. Die Feinheiten, Kniffe und Strategien, die diesen Spielen aber augenscheinlich zugrunde liegen, blieben ihm ein Rätsel, sodass er seinen Mitspielern hoffnungslos unterlegen war.

Als Gereon von Hauerberg auf diese eigentümliche Art zu lachen begonnen hatte, musste er grinsen, konzentrierte sich aber darauf, nicht laut darüber zu lachen. Das wäre ihm unschicklich vorgekommen. Nun aber, da der Hohe Herr in schallendes Gelächter ausbrach, musste auch Drego laut lachen. Dass dies so ein ausgelassener Abend werden würde, hatte er nicht erwartet.

“Ich glaube….” - japsend versuchte Gerion sich zu beruhigen - “Isch glaube...ICH glaube” sichtlich erfolglos wurde er von erneutem Lachen geschüttelt: “Ich glaube werte Gesellschaft, so sehr ich den Abend genieße, sollte das, dass Zeichen sein - erneut musste er ein jucksen unterdrücken - “eben diesen zu beschließen bevor unser Aufbruch und Aufgabe morgen zu sehr in Verzug gerät.”

Irminella von Eberbach lächelte und nickte dem Herrn von Hauerberg zu. "Ihr sprecht wahr, Hoher Herr von Hauerberg. Die Zeit ist doch recht fortgeschritten. Und auch wenn ich den Abend durchaus genieße, war der Tag ein anstrengender - weshalb ich mich nun zurückziehen werde." Sie stand auf und neigte noch einmal leicht das Haupt vor Gereon, den anderen beiden nickte sie nur knapp zu.


"Bitte entschuldigt mich, meine Herren. Ich wünsche einen guten Abend und zu späterer Stunde einen geruhsamen Schlaf." Dann begab sie sich auf ihr Zimmer.

“Dann lasst es uns so beschließen.” Gerion sah Drego und Aleydis an. “Dann sehen wir uns morgen beim Aufgang des Praiosrund”. Er schüttelte beiden Männern noch kurz die Unterarme und begab sich - erfahrene Augen hätten das leichte Wanken wahrnehmen können - die Treppe hinauf zu den Schlafgemächern.

"Eine gute Nacht wünsche ich Euch, Euer Wohlgeboren von Hauerberg." Drego neigte sein Haupt vor dem trinkfesten Mann und erhob sich, nachdem dieser die Treppen emporgestiegen war, dann ebenfalls von der Sitzbank.

"Hauptmann!", nickte er Aleydis lächelnd zu und begab sich auf sein Zimmer.

Aleydis Lertes hatte sich den Abend über an einem einzigen Krug Bier geklammert. Entsprechend klar war sein Blick und seine Stimme, als er sich von der Burgvögtin verabschiedete. Auch den beiden anderen Herren nickte er freundlich zu, und wünschte diesen einen guten Schlaf, als sie den Schankraum verließen.

So ging der gemütliche Abend zu Ende. Noch eine Weile vernahmen die Gäste das gedämpfte Geklapper und Geklirre, das die Eheleute Welhausen beim Aufräumen und Säubern des Gastraumes und der Küche verursachten.

Als Ruhe in der Stube eingekehrt war und auch das Feuer im Kamin nur noch sacht vor sich hin glomm, entzündete er einen Span an der Glut und fachte damit eine kleine Pfeife an. Dann trat er vor die Türe, sog die klare Nachtluft ein und genoss die Stille ganz für sich.


Ansonsten verlief die Nacht ausgesprochen ruhig. Selbst die Geräusche aus den Ställen waren irgendwann erstorben, sodass die Hohen Herrschaften eine durchaus erholsame Nacht im Waldeck verbrachten.

Den nächsten Morgen leitete ein Hahn ein, der sich recht prominent im am Hühnerstall angrenzenden Gatter positioniert hatte. Aus einigen der Fenster konnte man das prächtige Tier sehen, wie es dort mit geschwollenem Kamm das Praiosmal begrüßte.

Erneut drangen Geräusche aus dem Gastraum auf die Zimmer. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass man den Hohen Herrschaften wohl ein ordentliches Frühstück kredenzen wollte.

Gut gelaunt kam der Hauptmann in den Schankraum geschlendert und seine ersten Schritte führten ihn wieder vor die Türe. Im Vorbeigehen grüßte er noch den Wirt, der ihm freudig lächelnd ebenso einen "Guten Morgen" wünschte, dann verließ er den Schankraum und machte sich auf den Weg zum Brunnen.

Draußen war es zu dieser Morgenstunde weitaus belebter, als in der vergangenen Nacht. Ein recht junger Mann kam gerade aus dem Schweinestall, die Henkel je zwei leerer Eimer in jeder Hand, auf den Hopfenfeldern stand eine Frau und begutachtete beinahe zärtlich die Dolden und eine weitere junge Frau, nein, sicher noch ein Mädchen, stand am Brunnen und schöpfte Wasser. Sie war von großem Wuchs, weshalb man sie auf den ersten Blick und aus weiterer Entfernung wohl regelmäßig älter schätzte, als sie war. Doch ihr kindliches Gesicht verriet ihr noch junges Alter. Sie mochte vielleicht dreizehn, vierzehn Lenze zählen. Aus der Nähe erkannte Aleydis dann auch die frappierende Ähnlichkeit des Mädchens mit der Wirtin, die er gestern Abend kennengelernt hatte.

Freundlich, aber wortlos nickte der Hauptmann der jungen Frau zu und wartete, bis diese ihre Verrichtungen am Brunnen vollendet hatte. Dann zog er sich selbst einen Eimer des klaren, kalten Wassers hinauf und stellte ihn auf den Rand des Brunnens. Zunächst hielt er seine Unterarme hinein. Nach einigen langen Augenblicken folgte dann sein Gesicht. So lange wie er sein Gesicht im Eimer vergrub, konnte man nur dank der unregelmäßigen Blubber-Geräusche erkennen, dass er noch am Leben war. Als er dann wieder auftauchte, war sein Gesicht ob des kalten Wassers gerötet, aber ein zufriedenes Lächeln zog sich über seine Lippen. Mit wenigen Handgriffen strich er sich das Wasser aus dem schmalen Bart und machte sich sodann an den kurzen Rückweg zur Schankstube.

Dort angekommen hatte sich Drego, Leibarzt des Barons, ebenfalls im Gastraum eingefunden und plauderte offenbar recht zwanglos mit dem Folcrad.

"Ja! Wenn ich's doch saach! So dick war'er de Finger, so dick!", lacht Folcrad und zeigt mit seinem Daumen und Zeigefinger einen Abstand an, der die gewöhnliche Dicke eines Fingers um mehr als das Doppelte übertraf.

Drego stimmte in das Lachen ein und antwortete: "Jetzt übertreibst du aber ein wenig, mein guter Folcrad. Eine solche Schwellung ist mir in den vielen Jahren, in denen ich nun schon praktiziere, noch nicht untergekommen."

Als er aus dem Augenwinkel den Hauptmann eintreten sah, nickte er ihm noch immer breit grinsend zu. "Guten Morgen, Hauptmann."

“Guten Morgen Herrschaften!” erwiderte dieser freundlich und setzte sich zu den beiden anderen Herren an den Tisch. “Wir wollten doch früh aufbrechen, wo sind die hohen Damen und Herren?”

"Ihrer Wohlgeboren von Eberbach habe ich vor geraumer Zeit Wasser aufs Zimmer gebracht. Ich rechne jeden Moment mit ihrem Eintreffen.", gab Drego zurück. Dann lehnte er sich zu Aleydis herüber, hielt sich die Hand vor den Mund und raunte: "Eventuell muss man Wohlgeboren von Hauerberg wecken. Das war… ein langer Abend." Das schelmische Grinsen, das er dabei zur Schau trug, verriet, dass er das, was er sagte, wohl nicht so ganz ernst gemeint hatte.

Der Hauptmann schmunzelte und zuckte mit den Schultern: “Dann werde ich diese undankbare Aufgabe übernehmen", ehe er sich erhob und zielstrebig in Richtung des Zimmers des hohen Herren schritt.

Durch einen Schrei schrak Gereon nach einer viel zu kurzen Nachtruhe aus dem Schlaf. Verwirrt sah er sich im Zimmer um, zog einen Dolch aus seinem Kleiderstapel neben dem Bett und näherte sich vorsichtig dem Fenster mit dem noch grauen Morgen.

Ein weiterer Schrei zerriss die Stille. Verursacht von einem riesigen Hahn, der es sich offenbar auf dem Stück Zaun direkt gegenüber dem Fenster gemütlich gemacht hatte.

Iritiert verzog Gereon das Gesicht, verstaute den Dolch und öffnete das Fenster um den Aufgang des Priosrunds abzuwarten und die kalte Luft einzulassen.

“Kein sterbendes Pferd - aber ein Schreidämon bist Du!” murmelte er dabei dem Hahn zu, querte den Raum und begann mit der morgendlichen Routine, um seinen Kopf von dem Nebel der letzten Nacht zu befreien.

Wie als Kommentar kotete der Hahn auf den Zaun, stieß erneut seinen Ruf aus, der Gereon zusammen fahren ließ.

Die nächsten Minuten vergingen im Zweikampf zwischen dem Prioslob des Hahns und den erfolglosen Mühen Gereons, sich auf seine Atem und Leibesübungen zu konzentrieren.

Sichtlich geschlagen wischte er sich mit den Fingern über das Gesicht und erhob sich missmutig. Der Raum war mittlerweile in morgendlich helles Licht gebadet, was den verkniffenen Gesichtsausdruck Gereon zur Folge hatte.

Sichtlich missmutig erhob er sich, entrollte eine kleine Holzstange aus seinem Bündel, beträufelte sie aus einem kleinen Holztiegel mit Nelkenöl, steckte sie sich in den Mund und begann darauf herumzukauen.

Er kleidete sich soweit nötig an. Nahm eines der Leinentücher und machte sich auf den Weg zum Brunnen. Nur wenige Schritte vor seiner Zimmertüre entfernt traf er stattdessen auf einen offenbar sehr gut gelaunten Aleydis Lartes.

“Hauptmann” nuschelte Gereon mit zusammengekniffenen Augen und nickte ihm zu, ging aber schnurstracks an dem so ‘begrüßten’ vorbei.

Ein paar Schritte, dann schien er sich anders zu entscheiden, drehte sich um und Sprach - den Nelkenstab noch im Mund - den jetzt leicht verwirrt wirkenden Hauptmann an: “Sheid Ihr auch von dieshem Oga von einem Hahn geweckt worden? - schlürf - Dash Vieh wollte gar keine Ruhe mehr geben!.

Aleydis Lertes sah den Ritter verdutzt an und kratzte sich dabei an der Stirn: “Ähm…ja, hoher Herr.” Dann schien ihm noch etwas einzufallen, denn mit großen Augen und erhobenem Zeigefünger fügte er hinzu: “Frühstück…es gibt Frühstück!”

“Wundeebaa!” kommentierte Gereon die Information, besann sich darauf und nahm endlich den Nelkenstab aus dem Mund. “Ich stoße gleich zu euch; will nur noch kurz zum Brunnen.” Damit beeilte er sich, durch die Hoftüre zu kommen. Die kühle Morgenluft duftete noch nach Moos, als Gereon zielstrebig den Platz überquerte um den Brunnen zu erreichen. Dort angekommen legte er sein Kleidungsbündel zur Seite und begann Wasser heraufzuholen.

Noch immer waren die beiden Hausherren damit beschäftigt, das Frühstück zu bereiten. Offenbar hatten sie nach dem langen Abend nicht mit einem so frühen Erwachen der Hohen Herrschaften gerechnet. Deshalb beeilten sie sich, die letzten, für ein ausgiebiges Frühstück benötigten Dinge bereitzustellen. Nach wenigen weiteren Augenblicken war der ohnehin bereits gedeckte Tisch mit vielen kleinen Leckereien versehen. Neben Brot und Butter warteten Eier mit Speck, Käse und Wurst auf die Verspeisung durch die Gäste.

Zwischenzeitlich war auch Irminella von Eberbach die Treppe heruntergekommen - sie hatte sich offenbar schon auf ihrem Zimmer zurechtgemacht. “Guten Morgen, die Herren.”, hatte sie die Mitreisenden knapp begrüßt. Aleydis kannte die Wortkargheit Irminellas nur zu gut. Ganz im Gegensatz zu ihrem Mann, Balther, der jedwede Gelegenheit nutzte, um ein ausladendes Gespräch zu führen. Doch wusste Aleydis ebenso um die Tatsache, dass sie, sobald sie ein wenig “aufgetaut” war, durchaus auch für den ein oder anderen Plausch zu haben war.

Der Hauptmann nahm stumm Platz und griff sich ein Stück des noch warmen Brotes, in welches er herzhaft biss. Noch während er kaute, frug er in die Runde: “Machen uns gleich auf, oder?”

Irminella bedachte die Frage ihres Gardehauptmannes lediglich mit einem Nicken, während Drego nervös vom Hauptmann zu seinem Teller blickte, auf dem sich noch Br

Der Gänsehof

Das verfallene Kloster lag ein wenig abseits des Weges auf einem sanften Hügel, umgeben von den Ausläufern des Treuklinger Waldes. Letzterer hatte schon vor langem begonnen, sich den ehemaligen Kulturort wieder einzuverleiben. Die bis auf die Grundmauern zerfallene Abtei Gänshof, die einst Sinnbild für Gastfreundschaft, Familie und Beständigkeit war, ist nun kaum mehr zu sehen. Man musste sich schon anstrengen, um zwischen all den Büschen und Bäumen in unterschiedlicher Größe eben jene Mauerreste zu erkennen. Immerhin hatten die Reisenden die Strecke recht zügig hinter sich gebracht. So stand die Praiosscheibe noch hoch am Himmel und würde auch nicht allzu zeitnah untergehen.

“Da wären wir.”, sprach Hauptmann Lertes das Offensichtliche aus und tätschelte gedankenverloren den Hals seines Pferdes.

Gereon führte sein Pferd nach vorne und besah sich die Szenerie : “Sieht nicht so aus als kämen wir auf den Pferden wesentlich näher heran. Schade.” Seufzend saß er ab und begann sich an dem Bündel auf dem Rücken seines Reittiers zu schaffen zu machen.

Zum Vorschein kamen dabei: ein im Kosch üblicher Gambeson, ein Paar metallene Beinschienen und der Kopf einer Mordaxt sowie eine wattierte Gugel mit sehr langem Zipfel.

Routiniert legte die Rüstung an, um dann den Kopf eines der beiden - an der Seite des Rosses - mitgeführten “Jagdspeere” gegen den der Mordaxt auszutauschen.

“Was meint Ihr?” sprach er dabei zu den anderen und prüfte die Festigkeit der “Mordaxt” am Schaft: “Sollten wir uns aufteilen, oder uns einfach umsehen?”


Zu guter letzt verstaute er sein Schwert wieder im Bündel und behielt nur den Dolch; zog die Gugel über und sicherte diese am Kopf mithilfe des Zipfels als eine Art Stoffhelm - auch wenn dieser mehr dazu geeignet schien einem echten Helm als wattierung zu dienen.

Die Frage ist also: “Erwarten wir Probleme?” Grinsend sah Gereon seine Begleiter an - wieder einmal selbst sehr amüsiert über die Diskrepanz seiner Tätigkeit und Frage.

Hilfesuchend sah Aleydis Lertes zur gräflichen Burgvögtin, nachdem er dem Ritter etwas verwundert bei dessen Verrichtungen zugesehen hatte. Er saß noch immer auf seinem Pferd und frug zögerlich: “Er…erwarten wir denn Pro…Probleme?”

Während der Hohe Herr von Hauerberg sich gerüstet hatte, hatte Drego still die Umgebung betrachtet. Irminella hingegen hatte die Geschäftigkeit des Hohen Herren von Hauerberg beobachtet. Dabei hatten Stirnrunzeln, leichtes Kopfschütteln, das Hochziehen der rechten Augenbraue aber auch immer wieder ein kleines Lächeln Zeugnis ihres Innenlebens gegeben.

Als sie nun direkt angesprochen wurde, lächelte sie deutlicher. "Ich denke nicht, dass wir uns für den Krieg rüsten müssen", antwortete sie. In ihrer Stimme schwang dabei ein deutlich ironischer Unterton mit und nun lächelten auch ihre Augen. Aleydis kannte diesen Ton 'seiner' Burgvögtin. Das, was sie da sagte, meinte sie humorvoll.

"Aber was uns dort tatsächlich erwartet, weiß ich nicht - von Brombeersträuchern und Brennnesseln einmal abgesehen." Langsam ließ der Hauptmann sich vom Pferd gleiten und nahm dieses dann an den Zügeln. Mit zusammengezogenen Augenbrauen starrte er zu den Ruinen hinüber und strich sich mit der linken Hand gedankenverloren über seinen schmalen Oberlippenbart. “Hmmm…finden wir es heraus!”

"Muss ja, nicht?", seufzte Drego beim Anblick der vielen Sträucher und saß ab. "Die Hohen Herrschaften mögen auf die Brombeeren aufpassen." Er hängte sich seine lederne Tasche um und schickte sich sodann an, auf die Ruinen zuzustapfen.

Irminella lachte bei diesem Anblick laut auf. "Ja, ja. Ins Unbekannte sollten wir allen voran unseren Herrn Medicus schicken." Kopfschüttelnd und noch immer grinsend gürtete sie sich im Gehen ihr Schwert um, um nicht den Anschluss an Drego zu verlieren. Nach wenigen Schritten wandte sie sich noch einmal um. "Die Herren?"

Der Hauptmann folgte wortlos und führte sein Pferd nach wie vor am Zügel mit sich. Sein Blick aber striff rastlos über die vor ihm liegenden Ruinen.

Jetzt, da der Frühling machtvoll Einzug gehalten hatte, erwachte auch die Natur um die Ruine herum in lebendiger Pracht. Die Bäume, die einst die Abtei umgeben hatten, blühten in verschiedenen Grüntönen und bildeten einen starken Kontrast zum tristen Anblick der Ruine. Auf den weitläufigen Wiesen wuchsen wilde Blumen und Kräuter, die nicht nur das Auge erfreuten - denn es lag ein deutlich wahrnehmbarer Blumen- und Kräuterduft in der Luft. Vögel sangen fröhlich in den Bäumen, und das Summen, Brummen und Zirpen von Insekten umgab die Hohen Herrschaften.

Die ehemalige Abtei selbst war jedoch ein trauriges Zeugnis vergangener Zeiten. Die ehemaligen Steinmauern des Klosters waren nun von Moosen, Ranken und Efeu überzogen, und zahlreiche Lücken und Risse zeugten von Satinavs Zahn, der hier im Laufe der vergangenen Jahrhunderte seinen Dienst getan hatte. Dennoch strahlte die Ruine noch immer eine gewisse Atmosphäre der Ruhe und des Friedens aus. Nun, da die Sonne durch die Baumkronen schien und das Grün der umgebenden Natur die grauen Steinmauern umrahmte, konnten sich die Hohen Herrschaften gut vorstellen, wie hier einst Priester, Novizen und Tommelsbeuger an diesem Ort der Gemeinschaft verweilten. Die Vögel, die die Ruine heute als Nistplatz gewählt hatten, trugen zur lebendigen Kulisse bei und, auch wenn sie nicht in der Lage waren, den Verfall aufzuhalten, hielten sie, ganz ohne es zu wissen, noch immer die Prinzipien Travias in Ehren: Heim, Familie, Fürsorge und Gemeinschaft.

Somit war die ehemalige Abtei Gänsehof ein Ort der Kontraste - zwischen der Schönheit der erwachenden Natur und dem langsamen Verfall eines einst wichtigen Gebäudes. Es war ein Ort, der die Vergänglichkeit des Menschen und seiner Werke in eindrucksvoller Weise darstellte.

Aleydis suchte nach einem Baum oder Strauch, an welchem er sein Pferd festbinden konnte. Kopfschütteln übersah er dabei die verfallenen und überwachsenen Mauern. “Glaub’ ja nicht, dass wir hier irgendwas finden.”

Schnell hatte Aleydis einen passenden Baum ausgemacht, an dem er sein Pferd festmachen konnte. Irminella von Eberbach und Drego hatten es ihm gleichgetan, wobei Drego das Festbinden Tamas, die Stute Ihrer Wohlgeboren von Eberbach, übernommen hatte. Je näher Aleydis daraufhin der Ruine kam, desto lauter wurde zunächst das Gezwitscher der Vögel, die kurz darauf dann letztlich doch ihr Heil laut protestierend in der Flucht suchten. Aus der Nähe betrachtet machten die Ruinen im Grunde denselben Eindruck wie aus der Ferne, nur dass man von hier die verschiedenen Blumen, Pflanzen, Sträucher und Bäume voneinander unterscheiden konnte - so man denn wollte.

Drego schien sich offenbar tatsächlich für die Fauna hier zu interessieren. So kniete er sich hier und dort vor ein Gewächs, um es zu befühlen oder daran zu riechen. Den Ausruf des Gardehauptmanns schien er gar nicht vernommen zu haben, so vertieft war er in seine Betrachtungen - wobei er dessen Einschätzung ohnehin nicht geteilt hätte, bei dieser Fülle an Leben. Irminella hingegen schritt, nachdem sie Drego die Zügel ihrer Tama übergeben hatte, mit auf dem Rücken verschränkten Händen durch und über die Mauerreste. Hin und wieder blieb sie stehen und schien etwas auf dem Boden zu suchen, nur um dann wieder weiterzugehen. Erst, als sie an den Mauerresten vorbei ein wenig weiter in Richtung des Treuklinger Waldes geschritten war, verweilte sie ein wenig länger und trat mit dem Fuß gegen etwas auf dem Boden. “Hier war auch mal was.", rief sie dann über die Schulter.

Gereon betrat als letzter die Wiese und musterte die Überreste. Sich sichtlich entspannend zog er sich die Kapuze seiner Gugel wieder vom Kopf und lauschte den anderen und der vielfachen Vogelstimmen in der Umgebung. Was seinen Argwohn offenbar so weit besänftigte, dass sich ein Lächeln in sein Gesicht schlich. Nahestehende hätten in diesem Moment ein leises Pfeifen vernehmen können, das den empörten Ruf einer aufgeschreckten Totenamsel nachahmte: ”Bei Travia, entschuldige bitte.”, flüsterte er vor sich hin.

Zwischen den überwucherten Mauerresten erkannte Gereon zwar Wildpfade, bisher schien sich aber nichts durch dieses Unterholz bewegt zu haben, was größer wäre als ein Eber. Der Ausruf Irminellas unterbrach seinen Gedankengang und brachte die Vorsicht zurück in sein Gesicht: “Was genau meint Ihr euer Wohlgeboren?”

"Ein weiteres Gebäude, ebenfalls komplett verfallen.", antwortete sie, ohne aufzusehen. "Wesentlich kleiner." Dann zuckte sie mit den Achseln und wandte sich zu den Herren um. "War's das schon?"


“Ich denke nicht Euer Wohlgeboren”. antwortete Gereon, “ich meine wir sollten das Gelände einmal organisiert untersuchen und eventuell auch eine Nacht hier verbringen?"

Lauter und an die anderen gerichtet rief er: “Was halten die Herren davon, das Gelände organisiert von Aves nach Efferd zu untersuchen und uns dabei eine Stätte für das Nachtlager auszusuchen?”.

“Hmmm, von mir aus können wir das gerne machen!”, pflichtete der Hauptmann dem Ritter bei, sein Gesichtsausdruck verriet im Gegensatz zu seinen Worten jedoch, dass er nicht viel von diesem Vorschlag hielt. “Also, ich meine, wir sollten das Gebiet absuchen, ja. Wenn wir nichts finden, dann könnten wir es aber heute noch zurück zum Waldecker Hof schaffen!” Unschuldig zuckte er mit den Schultern. Und machte sich daran, in die Richtung zu schreiten, die der Ritter ihm gewiesen hatte.

Auch Irminella willigte nur zögernd in Gereons Vorschlag ein. “Auch ich würde vorschlagen, dass wir, sollten wir nichts finden, zum Hof zurückkehren. Dort können wir weitere Überlegungen, ohne dass wir von irgendwelchen Insekten gefressen werden", stellte sie missmutig fest, während sie mit der Hand nach irgendetwas in der Luft schlug. Doch schickte auch sie sich alsdann an, das Gebiet systematischer zu untersuchen.

“Dann wollen wir es so halten edle Gefährten!” entgegnete Gereon mit einem schiefen lächeln. ”Ich bin überstimmt und will mich wohl einem weiteren Abend mit einem kühlen Waldecker nicht verschließen. Lasst uns noch sicher gehen und dann zurück Reiten zum Hof.”

Drego indessen schien tatsächlich nur für den Fall mitgekommen zu sein, dass sich jemand verletzte. Noch immer beobachtete er die Flora und Fauna an diesem Ort beinahe laut- und reglos. Wenn er sich bewegte, dann eher ungezielt - er folgte einem Duft, einem Vogelflug oder einem Rascheln in einem nahegelegenen Strauch in der Hoffnung, etwas Spannendes zu entdecken.

Nur kurz nachdem Gereon begonnen hatte, das Gebiet zu durchkämmen, stieß er auf einen kleinen Schrein. Wobei Schrein beinahe zu viel gesagt war, denn das, was er hier fand, waren der Herrin Travia gefällige Opfergaben, die jemand auf einem Baumstumpf abgelegt hatte, in den man eine stilisierte Gans geschnitzt hatte. So lagen hier zwischen zwei teilweise herabgebrannten Kerzen, mit deren Wachs man selbige am Baumstumpf befestigt hatte, einige Kartoffeln und Möhren, sowie ein ganzer Kohlkopf.

“Also bei mir hier ist nichts!”, rief Aleydis hinter einem großen Busch hervor, der ihn vollständig verdeckte. “Es liegen nur überall verfluchte Steinbrocken herum, die von Gebüsch und Gräsern überwachsen sind. Richtige Stolperfallen sind das!”, fügte er empört hinzu.

"Hier dasselbe. Herr Grabschaufler, habt Ihr mehr Glück?", fragte sie Drego, der einige Meter weiter im Gras umherschritt. Als dieser nur mit einem: "Hm? Wie meinen, Euer Wohlgeboren?", antwortete, winkte sie ab. "Herr von Hauerberg?"

“Nein, abgesehen von einem kleinen Schrein der Peraine, wie mir scheint, ist nichts erwähnenswertes; und das ist ein göttergefälliges Zeichen will ich meinen.” antwortete Gereon. “Nun gut! Meinem Argwohn ist Genüge getan, wollen wir seinen Niedergang mit einem guten Mahl und Trunk in Waldeck beschließen.", lachte Gereon ”Ich danke euch für euren Langmut!”, fuhr er zwinkern in die Runde fort.

"A-a-aba n-n-n-nich' anfass'n, ja!", tönte es plötzlich aus Richtung des Waldes. Nur wenige Herzschläge später schälte sich ein eingefallenes Gesicht aus dem Blattwerk eines Baumes, das sich kurz danach als zu einem hageren Mann zugehörig entpuppte. Dieser machte sich unter lautem Ächzen daran, den Baum ein Stück herabzuklettern und blieb schließlich auf rund zwei Schritt Höhe auf einem dicken Ast sitzen und ließ die Beine baumeln. "W-w-was wo-wo-wollt'n ihr hier an mei'm Sch-Schrein, hä?", stotterte der Mann in recht unhöflichem Ton. Dabei entblößte er kurz seine lichten Zahnreihen. Das, gepaart mit seinen langen, wirr vom Kopf abstehenden Haaren, seinem ungepflegten, langen Bart und seine abgerissene Kleidung, erweckte den Eindruck, es mit jemandem zu tun zu haben, der keinen sonderlich großen Wert auf Reinlichkeit legte.

Mit weit aufgerissenen Augen lief Hauptmann Lertes um den großen Busch herum zu seinen Gefährten, wobei sein Blick nach oben auf den Baum gerichtet war, sodass er einmal kurz stolperte, sich davon jedoch nicht aufhalten ließ. Instinktiv ging seine Hand an seinen Schwertgriff, welchen er jedoch wieder fahren ließ, als es sah, dass der Mann auf dem Baum unbewaffnet war. “Was zum…”, entfuhr es ihm, als er näher kam.

Gereon fuhr sichtlich einen Satz weg vom Baum als die Stimme des Mannes erklang, und fasste instinktiv seine Waffe mit beiden Händen. Er schien sich aber schnell wieder zu beruhigen und sprach den auf ihn herabblicken Mann mit säuerlicher Miene an: “Die Zwölfe zum Gruße, Herr Baumschreck! Wir wollten auch nichts verändern. Ich dachte nur selbst an eine kleine Opfergabe, wäre das erlaubt? Immerhin ist es ein Schrein der Gütigen.” Wohl um seine guten Absichten zu bedeuten, lehnte Gereon sogar die Mordaxt an den nächsten Baum und beobachtete den Angesprochenen genau.

“Tut euch k-k-kein'n Zwang an.” Ächzend ließ sich der Mann nun vom Baum herab. Hierfür hielt er sich zunächst mit allen Vieren am Baum fest, löste dann die Beine und ließ diese einen Moment baumeln. Schließlich ließ er auch mit den Händen los und plumpste recht wenig elegant auf den glücklicherweise weichen Boden. “B-B-Baumschreck heiß’ ich n-n-nich, ne! Severin is’ m-m-mein Name, Severin, jawohl!”


“Hallo, Herr Severin,” sagte Gereon, “wir sehen uns hier im Auftrag des Barons nur etwas um.” Er drehte sich zur Seite und begann auf die Gefährten zu deuten: “Das ist Ihre Wohlgeboren Irminella von Eberbach, Burgvögtin von Bösalbentrutz, das ist Aleydis Lartes, Hauptmann der gräflichen Garde, das ist Drego Grabschaufler bekannter und begnadeter Heiler und ich bin Gereon von Hauerberg, der Herr zu Auroth.” Mit den letzten Worten ging Gereon auf Severin zu und bot ihm seine Hand beim Aufstehen. “Und was hat euch hierher geführt?”

“Hoho! Ho-hoher Besuch, mhm. Ja, hoher B-B-Besuch.” Dann ergriff er die Hand und zog sich hoch. “Danke.” Er klopfte sich mit seinen schmutzigen Händen ein wenig Dreck vom Hosenboden, bevor er weitersprach. “Tu’ hier m-m-mein’ Dienst, jawohl! Pass’ auf, d-d-dass er hier bleibt, mhm. W-w-wichtige Aufgabe.”

Nach der Nennung seines Namens durch den Ritter hatte der Hauptmann dem Fremden kurz zugenickt. Sein Blick blieb trotz dessen Ausführungen allerdings skeptisch und immer wieder sah er sich um, so als erwarte er, dass gleich der Rest einer Räuberbande aus dem Dickicht hüpfen könnte, die aber ebensowenig auftauchte wie weitere, merkwürdige Personen - wobei dieser Severin wohl an Merkwürdigkeit für ein ganzes Dorf ausreichend war.

Nun trat auch Irminella an die Seite der Herren, selbst Drego hatte sich, offenbar neugierig geworden, vom Anblick der hiesigen Flora loseisen können und war der Burgvögtin gefolgt. “Der hat sie ja wohl nicht mehr alle…”, raunte Irminella ihrem Hauptmann zu, der bestätigend nickte. Drego, der diesen Satz wohl ebenso vernommen hatte, stämmte die Fäuste in die Hüften und sah die Dame säuerlich an. “Solcherlei Beleidigungen verbitte ich mir!”, schimpfte er. “Ja, schon gut, entschuldigt.”, gab Irminella überraschend kleinlaut zurück und hob abwehrend die Hände.

Aleydis war überrascht davon, dass der Herr Medicus der Hohen Dame so den Mund verbat, ohne dass diese darauf entsprechend reagierte, auch wenn die beiden sich wohlbekannt waren. Drego war schon einige Male auf Burg Bösalbentrutz zugegen gewesen - und nicht nur dann, wenn einer der Eberbacher fiebernd im Bett lag. Es war auch schon vorgekommen, dass selbiger mit der Burgherrin oder ihrem Gatten davon geritten und erst am Folgetag wieder aufgetaucht war - und die Hohen Herrschaften dabei jedes Mal auf Bedeckung verzichtet hatten. Über die genauen Gründe hüllten sich die Herren der Burg immer in Schweigen. “Aber ist doch so!”, nuschelte der Hauptmann daher kleinlaut vor sich hin, ohne dass der Medicus es hören konnte.

Doch nun war nicht der Moment für weitere Spekulationen oder Theorien, davon gab es auf der Burg ohnehin bereits genug.

Severin hatte den Satz Irminellas wohl nicht vernommen, denn er lächelte nun erneut und trat auf Irminella und Drego zu, wohl in der Absicht, ihnen die Hand zu schütteln - zumindest legte der ausgestreckte Arm, mit dem er auf die beiden zuging, diesen Schluss nahe.

Tatsächlich bezog Severin vor der Burgvögtin Stellung und hielt ihr die Hand hin. Diese machte allerdings nicht die kleinsten Anstalten den dargebotenen Gruß zu erwidern, sodass Drego in die Bresche sprang und die Hand stattdessen ergriff. “Sehr erfreut, Herr… Severin, richtig?”

Der wiederum schüttelte kräftig Dregos Hand und nickte. “Ja. Ja, genau. Ganz genau!” Dann schaute er Irminella noch einmal irritiert an und blickte anschließend zu Gereon. “Dann m-m-macht der Herrin mal eure A-A-Aufwartung, sonst w-w-wirds noch dunk'l.” Dabei klatschte er zweimal auffordernd in die Hände und nickte mit dem Kopf in Richtung des Baumstumpfes.

“Recht habt ihr” Gereon ging kurz entschlossen zurück zu den Pferden und kam nach 1-2 Minuten mit zwei gebundenen Beuteln zurück, in dem er zu kramen begann. Aus dem einen - ein einfacher Lederbeutel - entnahm er ein Paar Wirselkräuter. Aus dem anderen Beutel - gewebt und verziert - brachte er einige Münzen und Muscheln zum Vorschein, von denen er die 2 hübschesten Muscheln und ein 1 Silbertaler auswählte.

Als sich Gereon der Blicke der anderen gewahr wurde hielt er ihnen grinsend die offenen Hände entgegen: “Ich unterhalte mit den Kindern in Brinnmühle und Auroth einen regen Handel an Kräutern und schönen Muscheln die ich dann gegen Naschwerk tauschen kann und die Schreine in Auroth zieren.”

Aleydis Lertes hob abwehrend die Unterarme und die offenen Handflächen vor seine Brust, so als wollte er gar keine weiteren Details hören.

Mit diesen Worten begab sich Gereon zum Baumstumpf, ließ sich auf ein Knie hinab und verbrachte eine kurze Zeit in stiller Andacht, bevor er die Gaben auf den Stumpf verteilte. Er erhob sich, neigte nochmals das Haupt und kehrte zur Gruppe zurück.

“Nun, Herr Severin, Ihr sagtet, ihr haltet hier Wacht über jemanden, wenn ich euch recht verstanden habe? Von wem spracht ihr da, lebt hier noch jemand?”

Severin blickte nach oben und tippte sich wiederholt mit dem Zeigefinger der linken Hand an die Unterlippe. Dabei gab er ein leises Brummen von sich.

“Ja, ja und nein.” Dann kicherte er.

Das brachte ihm einen offen missbilligenden Blick ein: “Severin, jetzt werdet nicht schelmisch! Bei Praios drückt euch verständlich aus! Ihr antwortet einer Gesandtschaft des Barons!!” sprach Gereon mit bestimmender aber ruhiger Stimme. “Ja und nein, aber ihr wacht über ‘jemand’? Bedeutet was? Euer ‘Mitbewohner’ lebt nicht ständig hier? Geht es etwas klarer als irgendwas zwischen Hüter des Schreins, Zellenwächter, Tierbändiger oder Geisterbeschwörer?”

“H-h-habe ehrlich geantwortet. Ja, ich w-w-wache und ja, Ihr ha-ha-habt richtig verstanden. Aber n-n-nein, der über den ich wach l-l-lebt nicht. Nicht mehr. B-B-Beschwören? Geht s-s-sowas?”

“Aha!”, entfuhr es dem Hauptmann, so als sei gerade ein Verdächtiger geständig gewesen. Er reckte sein Kinn nach oben und hakte nach: “Und warum lebt er nicht mehr?”

“W-w-weil'er gesch-sch-storben ist!”, ko

Die Heimkehr

So ging es für die illustre Runde wieder eiligst zurück. Die Dämmerung hatte mittlerweile längst eingesetzt. Der Hunger, das Dräuen einer ungemütlichen Nacht auf den Wiesen oder in den Wäldern Freiherrlich Tommelsbeuges und das im starken Kontrast dazu winkende, als gemütlich in Erinnerung gebliebene Bett im Gasthaus der Welhausens, hatte die Herrschaften dazu veranlasst, ihre Pferde ordentlich anzuspornen. Dennoch hatten sie das Gasthaus “Waldeck” erst zu später Stunde erreicht, nachdem es sich das Praiosmal längst hinter den sanften, waldbewachsenen Hügeln gemütlich gemacht hatte.

Doch hatte man offensichtlich mit der Rückkehr der Hohen Gäste gerechnet. Es hatte noch Licht im Schankraum gebrannt, als Irminella, Gereon, Drego und Aleydis von ihren Pferden abstiegen. Wenig später hatten sie bei einem wärmenden und sättigenden Eintopf gesessen, den man für sie warm gehalten hatte. Um die Familie nicht noch länger von ihrem verdienten Schlaf abzuhalten, hatten sich die Hohen Herrschaften nach dem Essen und einem Nachttrunk schnell verabschiedet - außerdem hatte ihnen der heutige Tag viel zugemutet, sodass dem einen oder der anderen die Lider bereits beim Essen zugefallen waren.

Am nächsten Morgen hatten die Gäste ein wenig länger in ihren Betten verbracht, als sie dies für gewöhnlich taten, zu anstrengend war der Vortag, zu kräftezehrend die Erlebnisse gewesen. Als man schließlich beim Frühstück zusammengesessen und es sich erneut schmecken lassen hatte, wiederholte Gereon seinen Wunsch, einen Brief aufzusetzen.

Als auch dies erledigt war, hatte man sich rasch verabschiedet, für die ausgezeichnete Unterbringung und Verpflegung gedankt und sich auf den Weg gen Fischwacht gemacht, um dem Baron den erfolgreichen Abschluss der Mission zu vermelden. Und so fanden sich Gereon, Irminella, Drego und Aleydis nach weiteren rund dreieinhalb Stunden im Burghof wieder, wo man ihnen die Pferde abnahm und ohne großes Aufheben zu Geribold führte - oder viel mehr ins Empfangs- und Besprechungszimmer der Burg, in dem man die Rückkehrer bat, es sich bis zum Eintreffen des Herren gemütlich zu machen.

Der Raum maß rund sieben auf sieben Schritt und war damit quadratisch. Auf der gegenüberliegenden Seite der Tür, direkt an der Wand, hingen zwei Wandteppiche, von dem einer mit rondragefälligen Symbolen bestickt war, während der andere das Wappen derer zu Fischwachttal zeigte.

Mittig im Raum stand ein wuchtiger runder Holztisch, der den eigentlich recht großen Raum klein erscheinen ließ. Um den Tisch herum standen ein knappes Dutzend Stühle. Alle Stühle waren von guter Qualität, doch fanden sich nur auf einem dieser Sitzmöbel aufwendige Schnitzereien. Dieser Stuhl stand so am Tisch, dass der Eintretende nicht nur direkt auf ihn blickte, sondern die darauf sitzende Person von den beiden Wandteppichen sozusagen flankiert wurde.

An der Wand linker Hand befand sich eine Kommode, auf der, neben ein paar Blumenvasen, Schreibutensilien lagen.

An der rechten Wand befand sich eine offene, hüfthohe Anrichte mit kleinen Aussparungen auf der linken Seite, in denen sich je eine Flasche unbekannten Inhaltes befand. Auf der Anrichte ein kleines, aus Holz gefertigtes Kästchen mit Silberbeschlägen.

Blickten die Herrschaften direkt an der Wand, in der die Tür eingelassen war, durch die sie den Raum betreten hatten, entlang nach rechts, sahen sie zwei gemütlich aussehende, gepolsterte Sessel in blauer Farbe, vor denen ein kleiner Tisch, kaum höher als ein Hocker, stand. Die Sessel waren so ausgerichtet, dass man von ihnen sowohl die Anrichte mit den Flaschen, als auch das gegenüber der Sessel liegende Regal im Blick hatte, in dem einige Bücher standen.

Insgesamt machte das Zimmer einen aufgeräumten Eindruck. Doch auch hier hatte alles seinen Zweck. Bis auf die Wandteppiche und die Vasen suchte man auch hier aufwendige und teure Dekorationen vergeblich.

Gereon wies mit offener Handfläche zu den Sesseln und sah Irminella fragend an “Darf ich Euer Wohlgeboren den Sessel überlassen? Ich ziehe eine gerade Rückenlehne vor und werde einen der Stühle mit meiner Anwesenheit zieren.” Dann blickte er zu Aleydis und Drego: “Und was sagen die Herren?”

Irminella antwortete mit einem knappen: “Zu großzügig”, wobei nicht klar war, ob sie die Antwort ironisch meinte oder ehrlich dankbar war. Trotzdem setzte sie sich langsam in die entsprechende Richtung in Bewegung. Drego ging indessen raschen Schrittes auf eine der bequemen Sitzmöbel zu und ließ sich mit einem wohligen Seufzer hineinsinken. “Diese ganze Reiterei ist schrecklich…” Kurz nachdem der Medicus saß, ließ sich die Vögtin auf dem zweiten Sessel nieder, während der Hauptmann mit erhobener Hand abwinkte und dann eine Augenbraue hob, als Drego an ihm vorbei auf einen der Sessel zu marschierte. Dann gesellte er sich neben Irminella, und nahm dort stehend Haltung ein.

Gereon beobachtete die beiden erst verwundert, ob der Bedeutung von Irminellas Bemerkung - dann amüsiert, als er Dregos Reaktion bemerkte. Dann begab er sich zum Tisch, hängte seine Umhängetasche über die Lehne und nahm auf einem der Stühle Platz. Er drückte, hörbar entspannend, seinen Rücken gegen die Lehne.

Nur wenige Augenblicke nachdem sich die Herrschaften gesetzt hatten, öffnete sich die Tür, die bislang lediglich angelehnt war, erneut. Statt des Hausherren traten einige Bedienstete ein, die Speisen und Getränke brachten. Neben Brot, Butter, Schinken und Käse gab es Wasser und Bier. Wie beiläufig stellte man alles auf den Tisch und die Bediensteten zogen sich ebenso unaufdringlich wieder zurück.

Einige Zeit später trat Geribold von Fischwachttal ein, nickte den Anwesenden einmal zu und begab sich direkt zur Anrichte, wo er eine Flasche entnahm. Mit der freien Hand ergriff er das hölzerne Kästchen und stellte letztlich beides auf den Tisch. Das Kästchen offenbarte sechs kleine Schnapsgläschen. “Schön, dass Ihr wohlbehalten wieder hier seid.” Er öffnete die Flasche und goss sich selbst ein. Anschließend blickte er fragend in die Runde.

Aleydis biss sich auf die Unterlippe und kniff die Augen zusammen. Man konnte ihm ansehen, dass er mit sich rang. Dann entfuhr ihm ein Seufzer und er erwiderte knapp: “Vielen Dank Euer Hochgeboren, aber ich muss ablehnen.”

Auch Gereon sah die Flasche mit einiger Sehnsucht an, schüttelte aber schließlich ebenfalls den Kopf: “Danke, Euer Hochgeboren, aber auch ich muss ablehnen.”

Als er jedem, der wollte, eingeschenkt hatte, hob er das Gläschen und leerte es, nachdem die anderen seine Geste wiederholten, mit einem Zug. Dann setzte er sich auf den verzierten Stuhl und lehnte sich mit aufgestellten Ellenbogen und verschränkten Händen nach vorne. Neugier spiegelte sich in seinem Blick. “Berichtet bitte.”

Gereon setzte sich gerade und räusperte sich. “Euer Hochgeboren, wenn Wohlgeboren von Eberbach erlauben?” Er blickte Irminella kurz auf Zustimmung wartend an. Irminella, die, genau wie der Medicus, mit Seiner Hochgeboren getrunken hatte, nickte lediglich knapp. Doch hatte sie für Gereon ein kleines Lächeln übrig. “Natürlich.”

“Euer Hochgeboren, wir konnten an den Ruinen des Klosters eine außergewöhnliche Entdeckung machen.” Gereon erhob sich und zog aus der Tasche über der Rückenlehne die mit einem Tuch umhüllte Schatulle, die er auswickelte und vorsichtig auf einen der Beistelltische abstellte, wo jeder der Anwesenden sie sehen konnte, bevor er sich wieder setze.

“Oberhalb des Bodens haben sich nur karge Reste der einstigen Mauern erhalten. Die gute Nachricht ist, dass wir weder gefährliches Getier noch dunkles Gesindel antreffen konnten,” fuhr Geron fort. "Allerdings trieb sich in den Resten des Gemäuers ein Bewohner Brinnens herum, der dort einen kleinen Schrein der gütigen Mutter errichtet hatte. Er hatte sich zuerst aus Furcht bei unserem Eintreffen versteckt, wir konnten ihn aber doch recht schnell aufstöbern.” Gereon erhob sich erneut von seinem Platz und begann bei seiner Erzählung durch den Raum zu streifen. “Durch ihn wurden wir nun fürdermehr auf unterderische Gewölbe aufmerksam gemacht. Ehemalige Keller, so will mir scheinen, die sich über die Zeit erhalten haben und in denen ein Geist sein Unwesen treiben sollte. Wegen diesem hatte er den besagten Schrein errichtet.”

"Offenbar stammte das alles aus der Zeit eines Überfalls auf das Kloster vor über einhundert Götterläufen.”

Gereon unterbrach sich und blickte zum Baron. “Hier können uns Euer Hochgeboren vielleicht weiterhelfen. Ich war mir der Geschichte des Klosters und des Überfalls nicht gewahr. Wisst Ihr etwas über die damaligen Vorkommnisse? ”

Geribold hatte während Gereons kurzer Ausführung gelegentlich verständig geknickt und bei der Erwähnung des Brinners die Stirn in Falten gelegt. Auf die Frage des Hauerbergers hin wanderte sein Blick zur Decke und er rieb sich Wange und Kinn mit der linken Hand, wie er es oft tat, wenn er nachdachte. “Sicherlich muss ich Euch nicht über die grässlich wütenden Zorganpocken zu jener Zeit aufklären. Was ich weiß, ist, dass die Menschen sich damals in ihrer Verzweiflung bisweilen der Gebote der Götter nicht mehr zu erinnern vermochten, so macht es zumindest den Anschein. Sicherlich kennt Ihr die Geschichten: Überfälle auf Gutshöfe, Raub, Plünderungen.” Wieder fuhr er sich über Wange und Kinn. “Offenbar blieb auch der Gänsehof nicht verschont - unfassbar, welche Abgründe eine Katastrophe in einzelnen Herzen keimen lässt. Doch noch heute weigere ich mich zu glauben, dass sich damals mehr als ein Dutzend Menschen zu solch götterlästerlichen Taten hinreißen lassen haben. Ein Überfall auf ein Kloster? Seid Ihr Euch sicher?”

Der Zorn über solch eine Tat war in seinen Fragen deutlich zu vernehmen.

“Es spricht alles dafür, Euer Hochgeboren. Der Geist eines ehemaligen Gänsleins namens Arsan schilderte den Angriff entsprechend und verlor offenbar zu diesem Zeitpunkt sein Leben. Sein Wunsch, den Gänsehof vor den Plünderern zu schützen, hinderte ihn jedoch daran, Golgari in die Hallen Borons zu folgen. Er erwähnte auch einen Gefährten. Rurik von Fischwachttal, Euer Hochgeboren, der offenbar abgeschickt worden war, um Hilfe zu holen. Über seinen Verbleib konnten wir zunächst nichts weiter erfahren.”

Geribold zog bei der Erwähnung eines Geistes die Stirn kraus. Als der Name Rurik von Fischwachttal fiel, lag Erkenntnis in seinem Blick. Diejenigen, die am Tisch saßen, sahen, dass er etwas sagen wollte, doch da hatte Gereon schon weiter gesprochen. Anstatt den Herrn von Hauerberg zu unterbrechen, schenkte er sich erneut einen Schnaps ein und lauschte dabei weiter den Ausführungen des Hohen Herrn.

“Der Umstand, dass unsere Zusicherung in der Quaestio nachzuforschen, den Gänsehof und damit vermutlich auch die Schatulle zu schützen…”, Gereon wies auf den Beistelltisch, “... den Geist von Arsan in die Hallen Borons erlöste, spricht für die Korrektheit seiner Darstellung und dafür, dass die Sache zumindest das Wohlwollen der Götter hat.”

Gereon führte das Gläschen zum Mund, trank es erneut in einem Zug aus. Dabei blickte er über den Rand Irminella an, die seinen Blick aufging und ein Nicken andeutete. Als der Baron das Glas wieder senkte, nickte auf er leicht. “Noch etwas?”, frug er dann, woraufhin Gereon von Hauerberg nickte und weiter ausführte.

“Da ich in der Angelegenheit einen persönlichen Schwur auf die gütige Mutter geleistet habe, habe ich bereits vor Ort den Brinner verpflichtet, als zeitweiliger Wächter des Gänsehofes und des Schreines zu fungieren. Ferner habe ich - Eure Zustimmung vorbehalten - ein Schreiben mit weiterer Anweisung nach Hauersroth zu meinen Verwandten geschickt. Sie sollen - natürlich auf Kosten des Hauses Hauerberg - den Schulzen mit Knechten, Baumaterial sowie Gänse zum alten Kloster entsenden, den Schrein entsprechend aufwerten, sowie eine Hütte für den 'Wächter' und einen Pferch errichten. Sollte das nicht in eurem Sinne gewesen sein, Euer Hochgeboren, werde ich sicherlich auch eine andere Lösung finden."

Geribold hob die Hand und unterbrach damit den Redeschwall des Hauerbergers. “Ich möchte Euch zunächst danken, dass Ihr Euch auch unter den von Euch beschriebenen, überderischen Umständen dieser Sache angenommen und sie offenbar auch zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht habt.”

Er räusperte sich kurz und setzte dann fort: “Eure Idee halte ich für gut und will sie umsetzen. Ihr habt genug getan, sodass ich in den kommenden Tagen alles nötige in die Wege leiten und die ersten Männer und Frauen gen Gänsehof schicken werde.”

“Selbstverständlich, Euer Hochgeboren. Ich danke euch.” Gereon neigt kurz demütig den Kopf gegenüber dem Baron bevor er zum Ende kam:

“Damit bliebe nur noch die Frage wie es Rurik von Fischwachttal ergangen ist sowie was mit der Schatulle geschehen soll - wir diskutierten die Übergabe an einen Traviatempel. Aber alles weitere obliegt nun natürlich Euer Weisung und Urteil, Euer Hochgeboren.”

Am Ende seiner Ausführungen angekommen, nickte Gereon noch einmal knapp und nahm abwartend Platz.

Aleydis hatte das Gespräch sehr aufmerksam verfolgt und sah den Baron fragend an. Die Neugier, was es mit diesem Rurik auf sich hatte, war ihm sichtlich anzusehen, auch wenn er es versuchte zu verbergen.

“Ich denke, da kann ich Abhilfe schaffen. Obschon ich sagen muss, dass sich die Geschichte auch für mich erst durch Eure Informationen erschließt. Die Familie von Fischwachttal ist, ich denke, da verrate ich keine Geheimnisse, in den vergangenen Jahren stark dezimiert worden. Ich nutze dieses Wort absichtlich, denn nicht zuletzt mein Vater und mein Bruder starben auf dem Schlachtfeld. Doch auch zuvor waren wir kein großes Geschlecht im quantitativen Sinn. Nicht zuletzt deshalb war - und ist - uns Zusammenhalt, Einigkeit und Treue der Familie gegenüber wichtig.”

Er machte eine kurze Pause und schenkte sich erneut ein. Auf seinen fragenden Blick hin schob Irminella ihr Gläschen zu ihm herüber. Als auch dieses gefüllt war, sprach er weiter.

“Das ist der Grund, warum wir Fischwachttaler immer wussten, wo sich ein anderer von uns aufhielt - bis zum letzten Atemzug. Ich könnte Euch den genauen Ort, den Tag und die Stunde des Todes meines Vaters und meines Bruders nennen. Kein Kunststück, will man meinen.” Geribold lächelte, doch spiegelte sich darin noch immer tiefe Trauer.

“Doch könnte ich Euch dies auch über weitere Ahnen sagen. Das mag morbide wirken, doch sehe ich das ein wenig anders. Aber das ist für den Moment nebensächlich.” Er leerte das Gläschen, das er zuvor befüllt hatte, und die Burgvögtin tat es ihm gleich. Geribold verzog das Gesicht und erzählte weiter.

“Von Rurik, dem Bruder des Ur-Großvaters meines eigenen Herrn Vaters, kann ich das nicht.” Er stellte die Ellbogen auf dem Tisch ab und faltete die Hände. “Was genau hat dieser… Arsan… erzählt?”, frug er nach.

Gereon verzog nachdenklich das Gesicht und ergriff das Wort: “Ich fürchte, Euer Hochgeboren, aus seinen Aussagen ergab sich für uns keine zusammenhängende Geschichte. Leider. Ich denke, wir können dem Gesagten jedenfalls entnehmen - meine Gefährten mögen mich korrigieren - dass es einen Angriff einer Räuberbande auf das Kloster gab. Dieser wurde wohl auch dank der Hilfe von Rurik zurückgeschlagen. Vermutlich war das der Zeitpunkt, an dem Arsan seine Verletzungen erlitten hat.”

Gereon erhob sich bereits wieder von seinem Platz und begann erneut durch den Raum zu wandern: “Seinen wütenden Schilderungen nach, ist Rurik dann aufgebrochen oder wurde entsandt, um Hilfe zu holen. Arsan scheint einige Zeit auf die Rückkehr Ruriks gewartet zu haben, während er seinen Verletzungen erlag. Er war jedenfalls entsprechend… emotional… und beschuldigte Rurik daher auch, ihn im Stich gelassen zu haben.” Gereon blieb stehen und sah alle kurz fragend an, bevor er fortfuhr; etwas hilflos mit den Schultern zuckend: “Mehr nicht. Keinerlei Hinweise auf das Ziel oder Schicksal von Rurik von Fischwachttal.”

“Danke, für Eure Ausführungen.” Dann wies er auf den Stuhl, auf dem Gereon zuvor gesessen hatte. “Setzt Euch, dann will ich Euch meinen Teil erzählen.” Gereon nickte knapp und beeilte sich, zu seinem Stuhl zurückzukehren. Als sein Vasall ihm Folge geleistet hatte, sprach er weiter: “Die Geschichte um den Tod Ruriks von Fischwachttal ist nun vollständig. Ich setze dort an, wo Ihr endetet.” Er räusperte sich, als wolle er sich damit auf einen längeren Monolog vorbereiten und setzte sich gerade. “Rurik ritt vermutlich vom Gänsehof aus direkt nach Burg Fischwacht. Dort wusste er sichere Verbündete in Familie und Garde zu finden. Er blutete aus mehreren Wunden, der Medicus, der ihn damals fand, machte die schlimmste unter dem rechten Arm aus. Doch will ich nicht vorgreifen. So schnell es ihm sein Zustand erlaubte, musste er die Strecke in einem fort zurückgelegt haben, denn sein Pferd, dessen Namen mir leider entfallen ist, schnaubte und hatte Schaum vorm Mund, als es in Tommelsbrück stehenblieb. ‘Doch warum im Städtchen unterhalb der Burg und nicht im Burghof?’, mögt Ihr Euch nun fragen. Die Antwort ist recht simpel. Weil Rurik von Fischwachttal, kaum hatte er Tommelsbrück erreicht, aus dem Sattel rutschte, auf dem Boden aufschlug und nimmermehr aufstand.” Er machte eine Pause, in der er sich erneut etwas vom Schnaps nachgoss. “Ihr seht, dass Rurik von Fischwachttal in Ausübung seiner Pflicht und mit nichts als Treue im Herzen demjenigen Gegenüber, dem er Hilfe versprochen hatte.” Er leerte das Gläschen. “Ich danke Euch dafür, dass Ihr mir so unverhofft einen blinden Fleck in meiner Familienhistorie füllen konntet. Bislang kannte meine Familie nur Ort und Tag des offensichtlich gewaltsamen Todes Ruriks. Das hat sich heute geändert…”

Kurz schien er in Gedanken versinken zu wollen, schüttelte dann aber knapp den Kopf und blickte zur Schatulle. “Habt Ihr hineingesehen?”

Gereon schüttelte den Kopf: “Nein, Euer Hochgeboren.”

Geribold gab ein leises, nachdenkliches Brummen von sich. “Hm, hm, hm…” Dann stand er auf, ging zu dem Beistelltisch, auf dem Gereon die Schatulle abgestellt hatte, nahm sie auf und wog sie in Händen. “Der nächste Travia-Tempel befindet sich in Stadt Vairningen. Dies hier ist allerdings ein historisches Relikt Tommelsbeuges und gehört zurück an seinen angestammten Platz - sobald er erneuert wurde.”

Geribold ging rasch die wenigen Schritte zum großen Tisch, an dem sie Hohen Herrschaften versammelt saßen und stellte das Kästchen darauf ab.

“Ich bin mir sicher, das gehörte einst Bruder Herdan, einem der tapfersten Tommelsbeuger, wenn Ihr mich fragt. Gelebt und gestorben in Ausübung seiner Dienste an der Herrin Travia. Genau wie der verstorbene Novize, den ihr erlöstet. Der erste Schritt wird nun sein, dessen Gebeine zu bergen und gebührend zu bestatten. Ich werde nach unserer Unterredung einen Brief an Ihre Gnaden Borada schicken und ihr den Sachverhalt schildern. Ich denke, sie wird bei der Bergung helfen - und die Beisetzung durchführen. Gab es Hinweise auf den Verbleib der Gebeine?” “Dazu, mhm”, räusperte sich Drego, der der Unterhaltung bislang schweigend zugehört und offenbar gegen die Müdigkeit angekämpft hatte, denn seine Stimme klang kraftlos und seine Wangen und Augen waren deutlich gerötet. “Wir sprechen hier von über einhundert Jahren, Euer Hochgeboren. Und von nicht sachgerechter sowie göttergefälliger Bestattung. Es würde mich wundern, wenn wir viel mehr fänden als einzelne Knochensplitter.” Geribold zog eine Braue hoch, sagte aber nur: “Dann korrigiere ich mich. Wir bestatten die nach all’ den Jahren noch auffindbaren, sterblichen Überreste des jungen Novizen.” "Das, was wir finden, muss nicht zwingend von Arsan stammen. Sicherlich ist in den über hundert Jahren auch das ein oder andere Tier dort unten verendet. Ganze Knochen könnte ich vermutlich auseinanderhalten, aber Teile? Unmöglich”, fuhr Drego dem Baron erneut in die Parade. Der Baron ließ sich wieder auf seinem Stuhl nieder und rieb sich nachdenklich das stoppelige Kinn, was ein leises Kratzen hervorbrachte. “Dann warte ich auf die Weisung Ihrer Gnaden Borada in dieser Sache. Ich entsende derzeit einige Männer und Frauen, die das Areal vernünftig begehbar machen.”

Dann wandte sich Geribold wieder Gereon zu. “Haltet Ihr den Brinner für vertrauenswürdig? Er kennt das Areal wie vermutlich derzeit kein anderer und könnte uns nützlich sein, wenn wir den Wiederaufbau beginnen. Ich will Eurem Fingerzeig in dieser Sache folgen.”

Gereon nickte knapp: “Ich würde mich seiner Bedienen, Euer Hochgeboren. Der Mann scheint nicht aus niederer Absicht, sondern nur einer hesindianischen Neugier auf die Ruine gestoßen zu sein. Er scheint zwar… sprachlich und vielleicht auch geistig etwas beeinträchtigt, zumindest eigenbrötlerisch.” Gereon begann sich nachdenklich über das Kinn zu streichen. "Aber gottesfürchtig ist er. Er hat den Travia-Schrein errichtet, um Arsans Geist zu besänftigen.”

Gereon wippte nachdenklich mit dem Kopf um dann schelmisch zu lächeln. “Lasst es mich so sagen: Ich traute dem Mann zu, mir aus einer Grube zu helfen, würde aber sicher gehen, dass ich ihn anweise, das Seil festzuknoten, bevor er es mir zuwerfen soll.”

Geribold runzelte die Stirn. “Wie soll ich das verstehen? Ihr vertraut ihm also im Kern nicht? Oder zweifelt ihr lediglich an seiner Kraft?”

Gereon neigte den Kopf zu einer entschuldigenden Geste: “Entschuldigt wenn ich mich zweideutig geäußert haben sollte, Euer Hochgeboren. Ich vertraue dem Mann, ich zweifle nur an seiner Fähigkeit, ohne klare Anweisung selbstständig zu arbeiten."

Geribold nickte. “Auch in diesem Falle sollten wir ihn sobald wie möglich ersetzen. Für's Erste aber, soll er bleiben. Alles weitere wird sich weisen. Doch nicht mehr heute.” Er stand auf und ging zur Kommode an der Wand und nahm sich dort alles, was er für das Aufsetzen eines Briefes benötigte. “Ich schreibe Ihrer Gnaden Borada noch und ziehe mich dann zurück. Den Herrschaften ist ein jeweils ein Zimmer bereitet, ein Zuber ließe sich selbstredend ebenso füllen. Fühlt Euch wie Zuhause.” Er ging noch einmal zum Tisch zurück und sah die Anwesenden der Reihe nach an. “Ich möchte Euch allen noch einmal meinen Dank aussprechen. Das war gute Arbeit.” Er nickte, umrundete den Tisch und öffnete die Tür. Sogleich traten zwei Bedienstete ein. “Bitte zögert nicht nach dem zu verlangen, was ihr benötigt.” Irminella von Eberbach war mittlerweile aufgestanden und neigte den Kopf. “Danke für Euer Angebot, Euer Hochgeboren. Doch werden Herr Lartes und ich bald den Rückweg antreten.” Der Hauptmann nickte beiden knapp zu und sah dabei zufrieden aus. Geribold nickte. “Wie Ihr wünscht.” Drego stand ebenfalls bereits und ergriff das Wort nach der Vögtin. “Ich könnte den Brief an Ihre Gnaden morgen mitnehmen. Ich wollte ohnehin nach Borada sehen.” “Gut, macht das, Grabschaufler.” Dann blickte der Baron noch einmal zu Gereon, als erwarte er auch von diesem eine Reaktion.

“Euer Hochgeboren, ich nehme das Angebot dankend an und werde morgen in aller Frühe ausgeruht den Rückweg nach Auroth antreten.” Gereon nickte dem Baron dankend zu und wählte einen der Bediensteten mit stummem Blick aus, um den Weg zu weisen, sobald der Baron sie entlassen hatte.

“Wenn Euer Hochgeboren es wünschen, kann ich morgen auch zusätzliche Weisung gen Gänsehof über Hauersroth überbringen. Ich plane auf dem Rückweg nach Auroth selbst dort noch nach dem Rechten zu sehen, und mich vom Schulzen auf den neuesten Stand bringen zu lassen, was die von mir Angewiesenen Tätigkeiten beim Gänsehof betrifft.”

“Natürlich, tut das. Aber geht sicher, dass dieser Severin auch tatsächlich weiß, was von ihm verlangt wird. Er steht jetzt, wenn auch temporär, direkt in meinem Dienst. Bläut ihm das ordentlich ein, Gereon.” Dann wandte er sich zum Gehen, blieb aber noch einmal stehen. “Ich lasse Euch heute Abend zum Mahl rufen. Dann besprechen wir die Einzelheiten bezüglich des Neuaufbaus.” Noch ein letztes Mal blickte er in die Runde und nickte dann. “Nochmals meinen Dank. Ich werde draußen Weisung geben, damit man Eure Abreise vorbereitet, Vögtin. Grüßt mir Euren Gemahl und Euren Sohn.” Dann war er aus der Tür. Zufrieden sah Aleydis in die Runde und nickte Gereon zu. “Ihr habt gut gesprochen, Euer Wohlgeboren. Nun findet diese Angelegenheit doch noch ein versöhnliches Ende. Nach all der Zeit…”. Kopfschüttelnd sah er dann zu Irminella und lächelte schmal: “Wann wollen wir abreisen?” Die Vögtin wandte sich ihrem Hauptmann zu, Geribold gegenüber hatte sie sich bereits zur Genüge erklärt, wie sie fand. “Wir gönnen unseren Tieren noch einen Moment der Ruhe und reiten dann zurück. Ruht Euch einen Moment aus, ich lasse Euch wissen, wenn es losgeht.” Aleydis nickte knapp, salutierte mit rondrianischem Gruß vor Gereon und verließ dann zügig den Raum.

Gereon seuftze: "Schade, dass Ihr bereits heute abreißen wollt.” Er blickte jeden der Anwesenden nochmal an. “Habt Dank, für eure Begleitung, Hilfe und Einsicht in der Angelegenheit.“ Er pausierte kurz bevor er weitersprach: “Und nicht zuletzt Eure Gesellschaft. Ich bin froh, dass ich der Aufgabe nicht allein gegenübertreten musste. Das wäre anders ausgegangen.” Er lächelte Irminella an. “Ich hoffe, Euer Wohlgeboren können mir meine joviale Impertinenz nachsehen.”

Irminella lächelte knapp und nickte. “Sie sei verziehen.”

Dann verzog er etwas spöttisch den Mund, als er sich umsah. “Und ruft bitte auch mein Lob und Grüße für unsere rondrianische Begleitung, dem vom Difar getriebenen Hauptmann Aleydis, nach", frotzelte er und kicherte in sich hinein. "Keine Ruhe, der Mann”.

An dieser Stelle musste Irminella tatsächlich kurz lachen und schüttelte dabei den Kopf. “Unglaublich, der Mann”, dachte sie, sagte aber nichts.

“Habt nochmal Dank und - falls ihr in der Nähe sein solltet oder einfach nur den Wunsch verspürt - seid herzlich auf Gut Auroth eingeladen. Ich freue mich darauf, Euch dann entsprechend zu bewirten.”

“Vielen Dank für die Einladung. Sicherlich werde ich eines Tages auf selbige zurückkommen. Auf eine entsprechende Bewirtung bin ich bei all’ der jovialen Impertinenz bereits jetzt sehr gespannt.” Nun begab es sich, dass sich auf Irminellas Gesicht ein seltenes Schauspiel ereignete. Sie zwinkerte Gereon zu und ein schelmisches Grinsen umspielte ihre Lippen. “Auf bald, Hauerberg.”

Gereon schüttelt noch einmal jedem die Hand und nickt dann einem der Bediensteten zu: “Dann werde ich den versprochenen Zuber in Anspruch nehmen.”