Die Abtei

Erzählungen aus Tommelsbeuge

Ort: Burg Fischwacht und Wüstung Gänsehof in Freiherrlich Tommelsbeuge

Zeit: 19. Ingerimm 1045 BF

Dramatis Personae:


Der Auftrag

Geribold von Fischwachttal saß hinter seinem wuchtigen Schreibtisch, auf dem sich nebst Schreibmaterialien und einem aufgeschlagenen, mit den Seiten nach unten liegenden Buches aus der Reihe der Gespräche Rohals des Weisen, vier hölzerne Becher und ein Krug mit Wasser sowie einem mit leichtem Wein befanden. Neben den Krügen standen zwei Schalen aus gebranntem Ton, in denen sich jeweils Nüsse und Beeren befanden.

Vor dem Schreibtisch hatten seine Gäste, der Hohe Herr Gereon von Hauerberg, Edler von Rittergut Auroth, Ihre Wohlgeboren Irminella Ermine von Eberbach, Vögtin Gut Gräflich Bösalbentrutz' sowie Aleydis Lartes, Hauptmann der auf Burg Bösalbentrutz stationierten, gräflichen Gardisten, Platz genommen.

"Ich danke Euch für Euer Kommen, Hoher Herr von Hauerberg", nickte Geribold zunächst in Richtung Gereons.
Dann blickte er Irminella an.
"Und Euch danke ich, dass Ihr Euch freiwillig der Sache annehmen wollt - oder sollte ich Boso danken?", schob er grinsend nach.
Mit einem: "Seid auch Ihr bedankt", in Richtung Aleydis beendete er die Begrüßung.

"Wohlgeboren von Eberbach hat durch Ihren Herrn Schwiegervater einen Wissensvorsprung, den ich nun ausgleichen will", fuhr er fort und nickte dabei wieder in Richtung des Herrn von Hauerberg.
"Ich möchte, dass Ihr Euch in der ehemaligen Abtei Gänsehof umseht. Ich kenne die Gerüchte, gebe aber nichts darauf. Ich will sie wieder als Teil der Baronie wissen. Irgendwelche Fragen?"

Irminella nickte wissend, sagte aber nichts, um den anderen den Vortritt zu lassen.

Aleydis Lartes, ein schnittig auftretender Mittvierziger mit gepflegten, dünnen Oberlippenbart und ebensolchem Kinnbart - gemeinhin als Kaiser-Alrik-Bart bekannt -, saß kerzengerade beinahe schon auf der Kante des Stuhls. Das dunkle, schulterlange Haar hatte er hinter die Ohren gekämmt und der Glanz verriet, dass er dem Halt mit Pomade nachgeholfen hatte. Dennoch waren seine Geheimratsecken gut sichtbar.
Er trug einen kurzen Gambeson, auf dessen Vorderseite das gräfliche Wappen prominent auf Brusthöhe angebracht war. Aufgrund der Temperaturen im Ingerimm bildeten sich feine Schweißperlen auf seiner Stirn.
Ayledis Lartes nickte dem Baron knapp zu, dann richteten sich seine Blicke auf den Anführer dieser Expedition, den Ritter Gereon von Hauerberg.

Der solcherart angesprochene Gereon von Hauerberg, der bisher schweigend hinter den Stühlen der beiden anderen gestanden hatte entspannte seine Haltung etwas und begann nachdenklich mit der Federzier seines Jägerhutes zu spielen.
Von Kopf bis Fuß betrachtet ergab der jüngere Mann ein recht uneinheitliches Aussehen ab. Der firungefällige Hut mit Federzier und der kurze, zweckmäßige Schulterumhang hätten auch einem Jäger angestanden. Mit dem offen genestelten Wams aus dem das darunterliegende Hemd hervorlugte, hätte man ihn hingegen ebenso gut für einen höfischen Gecken halten können. Nur der Gürtel, mit nun leeren Schwert- und Dolchscheiden und seine zweifarbigen Beinlinge ließen auf eine kämpferische Natur schließen - auch wenn diese eher zu einem Söldner denn zu einem Ritter passen wollten.
Nach ein paar Sekunden antwortete er während er seinem Schwertherrn zulächelte.
"Ich danke Euch, Euer Hochgeboren, für Euer Vertrauen in der Sache."
Sein Lächeln wurde schelmisch. "In Travias Namen, meine Manieren! Mein Vater wäre erzürnt wenn ich seine Gastgeschenke nicht sofort überreichte. Er lässt Euer Hochgeboren Grüße ausrichten und hat mir diverse Spezereien sowie zwei Folianten für Euch mitgegeben. Er meinte, Ihr wüsstet die Traktate wohl zu schätzen?"

Geribold lächelte erfreut und nahm die gebotenen Geschenke entgegen und hielt die Bücher kurz in Händen, als er antwortete:
"So richtet dem Hohen Herrn bitte meinen vorzüglichsten Dank aus. Ich werde mir die Werke sicher in den kommenden Tagen ansehen."
Dann legte er sie auf die Seite. Er wollte zunächst das 'geschäftliche' erledigt wissen, bevor er sich dem Müßiggang hingab. Einen weiteren, kurzen Blick seinerseits auf die Bücher verrieten allerdings, dass man ihm mit diesen Gaben tatsächlich Freude gemacht hatte.

"Fürwahr gibt es einige Gerüchte, die über den Ort kursieren, doch sind sie sicherlich nichts anderes als Fantastereien. Dass sich dort Goblins eingenistet haben könnten, glaube ich ebenfalls nicht. Sie sind nicht gescheit genug, um sich über längere Zeit nicht sehen zu lassen. Da halte ich Wölfe oder Wegelagerer für wahrscheinlicher. Am wahrscheinlichsten dürfte aber sein, dass Ihr dort rein gar nichts mehr findet als Ruinen. Ich denke daher, dass die Anwesenden ausreichen werden. Solltet Ihr dort doch vor unlösbaren Aufgaben stehen, schickt nach Entsatz."

Er überlegte kurz, während er mit dem Nagel seines rechten Zeigefingers auf den Schreibtisch tippte.
"Ich gebe Euch meinen Hofmedicus mit", nickte er dann schließlich.

Eine avesgefällige Aufgabe also! Gereon straffte sich wieder und fuhr fort:
"Ich selbst kenne nur Sagen und Schauergeschichten über die Abtei. Geisterprozessionen oder verschwundene Jäger, die gar von Sumpfranzen geholt worden sein sollen. Am konkretesten sind für mich die Beschwerden der Köhler über ihre gerissenen Ziegen seit dem letzten Herbst. Wie ich von meinem Bruder höre, finden sich die Kadaver oft in Richtung Gänsehof. Kann etwas, aber auch nichts, bedeuten", sinnierte Gereon.
"Ich will aber nicht geringschätzig klingen, Euer Hochgeboren. Ich halte einen Bären oder Wölfe für nicht unwahrscheinlich. Aber eine kleine Schaar sollte dafür ausreichend sein."
Er nickte jedem in der Runde freundlich zu, während er sprach:
"Aber Euer Wohlgeboren von Eberbach hat neben Ihrem vortrefflichen Schwertarm sicherlich auch einiges beizutragen."

Irminella nickte.
"Was unser Vorhaben betrifft, meint Ihr sicher? Ich verstehe mich aufs Bogenschießen und das Lesen von Fährten. Doch dürfte letzteres nicht vonnöten sein. Immerhin ist die Wüstung nicht schwer zu finden - und das, was darin haust, vermutlich genauso wenig."
Ihre Stimme klang freundlich, dennoch wirkte sie ein wenig reserviert bis distanziert.

Gereon grinste Irminella vergnügt an.
"Da habt Ihr sicherlich recht, dennoch weiß ich die Tatsache, dank der Fährtenleserei bereits vor dem Betreten der Gewölbe zu wissen, ob ich es mit einem Bären oder Wölfen zu tun bekomme, sehr an dieser Kunst zu schätzen."
Der Gedanke die Aufgabe aus eine Art Jagdausflug zu betrachten schien ihn aufzuheitern.
"Aber bei Phex, wir wollen unseren taktischen Verstand nicht außer Acht lassen. Was meint Ihr, Hauptmann Lartes. Ein paar Eurer Gardisten zur Bedeckung?"

Der Hauptmann straffte sich und erhob sich schnell von seinem Stuhl, um sich zackig umzuwenden und den Ritter direkt anzublicken.
"Weitere Gardisten werden nicht vonnöten sein, Hoher Herr."
Die Stimme des Mannes war überraschend hoch, ein Eindruck, der durch seine schnelle Sprechweise eher noch verstärkt wurde. Es folgte ein Blick zum Baron und dann zur Vögtin von Bösalbentrutz.

"Wenn wir auf die Gerüchte etwas geben wollen, dann erwarten uns dort höchstens einige Wölfe, vielleicht auch nur zwei Landstreicher. Nichts, was drei Bewaffnete hoch zu Ross nicht verscheuchen könnten."

Gereon hob zwar eine Braue, sagte aber in der Sache nichts weiter.
"Gut, dann sind wir uns einig. Rondra zum Gefallen. Wir reiten zu viert."

Aleydis nickte und warf einen kurzen Blick zur Vögtin. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er etwas verschwieg.

Diese nickte ihm zu, so als ob sie ihn zum Aussprechen seiner Gedanken zu motivieren versuchte.

Der Blick des Hauptmanns wurde skeptischer. Er legte seinen Kopf leicht schräg und seine Augenbrauen schoben sich zusammen, als er Irminella musterte. Es schien, als sei er sich nicht sicher, was ihr Nicken zu bedeuten hatte.

Auf ihrem Gesicht zeichnete sich ein Lächeln ab, während sie leicht den Kopf schüttelte.
"Es scheint, als habt Ihr etwas auf dem Herzen, Aleydis?"

"Nein Euer Wohlgeboren."
Aleydis Lartes verbeugte sich knapp und sprach dann hastig weiter:
"Ich habe meiner Einschätzung nichts hinzuzufügen!"

"Gut", nickte Geribold dann knapp.
"Sollte den Herren - oder Euch -", dabei blickte er kurz zu Irminella, "noch etwas einfallen, lasst es mich wissen. Ich lasse nach Herrn Grabschaufler schicken. Er wird in Kürze zu Euch stoßen."
Er machte eine kurze Pause.
"In Waldeck ist man informiert, dass Hoher Besuch kommt. Man wird Euch entsprechend Empfangen und Euch - wenn nötig - eine ordentliche Unterkunft bieten."
Er hob seinen Becher und hielt ihn den Gästen entgegen.
"Auf gutes Gelingen."

Der Aufbruch

Nachdem die Hohen Herrschaften mit Seiner Hochgeboren auf ein gutes Gelingen der Unternehmung angestoßen hatten, verließen sie die Schreibstube und begaben sich in den Speisesaal der Burg. Hier genossen sie ein vorzügliches Mahl, das Ariana Simis, die Küchenmeisterin hier am Hofe, eigens für die Gäste zubereitet hatte.

Nach rund zwei Stunden führte sie ein Bediensteter in den Burghof, wo die Pferde bereits auf ihre Reiter warteten - offenbar hatte man sie bereits für den Ritt vorbereitet. Neben den Tieren der Hohen Gäste stand ein weiteres bereit, auf dem bereits ein Reiter saß.

Es war ein hoch aufgeschossener Mann von dünner, fast hagerer Statur. Sein blondes Haar hatte er zu einem Dutt gebunden und seine grünen Augen unterstützten das freundliche Lächeln des Mannes, mit dem er die Hohen Herrschaften bei ihrer Ankunft im Hof empfing. Etwas umständlich, ungelenk gar, stieg er von seinem Pferd.
"Ah, die Hohe Dame von Eberbach und ihr… Hauptmann, nicht? Sehr erfreut", hob er an.

Die angesprochene Irminella nickte und lächelte.
"Es ist auch mir eine Freude, Euch wiederzusehen."
Aus der Körpersprache der beiden konnte man erkennen, dass sich die beiden durchaus bekannt waren.

Herr Medicus!”
Der Hauptmann der gräflichen Garde von Bösalbentrutz, der zwischenzeitlich sein Schwert umgehängt und einen Kürass angelegt hatte, deutete eine Verbeugung an und musterte den neuen Begleiter mit einer nach oben gezogenen Augenbraue, ehe er sich behende auf sein Pferd schwang. Dann setzte er einen Eisenhut mit schmaler, herunter gezogener Krempe und einem kleinen Kamm auf, den er mit einer Schnalle unter dem Kinn befestigte.

"Seid auch Ihr herzlich begrüßt Hoher Herr von Hauerberg. Ich bin Drego Grabschaufler. Der Zuname ist weniger Prophezeiung als vielmehr Zeuge des langjährigen Tätigkeitsfeldes meiner Familie.", witzelte er.
"Ich hoffe Euch und Eurer Familie geht es gut?"

Gereon grinste den Neuankömmling an, während er zu seinem Pferd schritt, das von seinem Begleiter aus Auroth gehalten wurde: “Die Göttin mit euch, werter Herr, einen borongefälligen Namen habt Ihr da. dann will ich es als Ausdruck eurer Hingabe werten, dass euer Ruf euch schneller vorauseilt als euer Familienname.

So seit der Nachfrage bedankt, alle sind Wohlauf. Auch wenn Vater regelmäßig satinav in den Knochen fährt so ist doch kein Grund zur Klage. ” Gereon gürtete den ihm entgegengehaltene Schwertgürtel mit dem Langschwert und wandte sich an seinen Begleiter, einen etwas kleineren aber stämmigen Mann in unauffälliger Reisekleidung. Kurz und knapp gab er die bisherigen Ereignisse wieder und beauftragte den nahezu gleichaltrigen Mann mit den Worten “Reit nach Brinnmühle und gib Vater Bescheid, und informiere auf dem Weg nach Köhlbach meine Brüder. Dort hälst Du Dich bereit, bis ich komme.” Der angesprochene Nickte nur. “Der Gambeson?” fuhr Gereon fragend fort. Der dunkelblonde Mann nickte in Richtung der großer Rolle die hinter dem Sattel des Pferdes verstaut war: “Ist im Bündel”.


“Gut ich danke Dir Berman”. entgegnete Gereon, schwang sich auf das Pferd und wandte sich seinen Mitstreitern um, während der angesprochene auf dem Maultier, das die Folianten transportiert hatte auf das Burgtor zuritt.

“Nun? Wollen wir aufbrechen?”

“Voran, Hoher Herr!”, antwortete Aleydis Lertes in militärisch knappen Ton und drückte die Schenkel zusammen, woraufhin sich sein Pferd schnaubend in Bewegung setzte. “Bis zum Einbruch der Dunkelheit sollten wir es zum Gut Waldeck schaffen.”

Und so ritten die vier vom Burghof durch den geöffneten Torturm auf den Weg, der sie zunächst durch den Marktflecken Tommelsbrück zu Füße der Burg und schließlich auf die Straße gen Rahja führte. Dieser folgten sie für rund zwölf Meilen und kamen dort, ganz wie es Hauptmann Lartes im Burghof prophezeit hatte, kurz vor Einbruch der Dunkelheit an.

Der Gänsehof

Die Heimkehr