Burg Fischwacht

Beschreibung

Schwer atmend sitze ich nun vor dem Torturm der Baronsburg Fischwacht und blicke auf die Dächer der Häuser des Marktfleckens Tommelsbrück herab. In den vergangenen Minuten ging es stetig bergan, die felsige Anhöhe hinauf, auf der man die Burg vor etlichen Jahrzehnten errichtet hat, doch beharrlich ist der Wanderer. Dennoch notiere ich mir im Geiste einen erneuten Aufstieg nicht auf Schusters, sondern auf einem tatsächlichen Rappen zu wagen.

Auch wenn ich weiß, dass niemand diesen Weg geht, nur um den Ausblick an dessen Ende zu genießen, möchte ich an dieser Stelle dennoch erwähnen, dass er ein guter Lohn für die hinter mir liegende Mühsal ist. Damit meine ich nicht ausschließlich das Städtchen zu Füßen der Burg, sondern auch die rauschende Tommel, das bunte Treiben der Tommelsbrücker und den weiten Blick über den Tommel hinweg bis Aran.
Ist dieser Ausblick durchaus ein die Seele beflügelnder, vermittelt bereits der erste Blick auf die Baronsburg dem Betrachter von außen den Eindruck, sehr massiv und alt¹ zu sein. Dies ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass beim Bau weniger auf eine ausgefeilte Architektur denn auf Wehrhaftigkeit geachtet wurde. Schmucklos und simpel preist ihr Äußeres die kalte Funktionalität einer Wehranlage. Ein Eindruck der sich im Inneren dank der Generationen währenden, starken Glaubens des Geschlechts der Fischwachttaler an die Herrin Rondra sogar noch verstärkt. Das traditionell kriegerische Naturell des Baronsgeschlechts und die Natur selbst spiegeln sich in den spärlich gesäten Wandteppichen, Schmuck- und Prunkintarsien.
Nun durchschreiten ich den gen Aran ausgerichteten Tortum, an den sich linker Hand der Marstall anschließt und betrete den Burghof. Kurz verharre ich und lasse meinen Blick über den Platz, die Gebäude und Gesichter schweifen – ganz zur Verwirrung meines Schattens in Form eines Gardisten, der mich am Tor in Empfang genommen und mir nun als Burgführer zu dienen scheint. Seine Hochgeboren hat ihm augenscheinlich aufgetragen, mir die Burg zu zeigen, so wie er mir aufgetragen hatte, dies Buch zu schreiben, in dem das Herzstück des Barons Geschlechts natürlich nicht fehlen darf.

„Hoher Herr, so Ihr wollt…“, hob mein Schatten an.
„Gebt mir einen Moment“, erwiderte ich und ließ meine Umgebung auf mich wirken.

Lasst mich Euch, hoch geschätzter Leser, in einigen Worten beschreiben, was ich vernahm:
Zuvorderst war da der Geruch nach frischem Heu und altem Mist, in das sich der den Pferden eigene, kräftig-animalische Duft mischte und so das vertraute Odeur großer Ställe ergab. Doch war da noch mehr. Jemand hatte Brot gebacken, es wurde gekocht. Über allem lag der unverkennbare Geruch nach brennendem Holz, immerhin hätte ich die Burg im Winter besucht.
Die Ohren nahmen, nachdem ich meine Augen geschlossen hatte, zunächst ein Lautgemisch wahr, das ich erst nach einigen Herzschlägen in seine Bestandteile zu trennen vermochte. Da waren die schweren Schritte der Gardisten, unter denen der frisch gefallene Schnee knirschte. Hinter mir aus dem Marstall zeugte das gelegentliche Wiehern von Pferden von deren Anwesenheit. Dann waren da noch die knappen Befehle, die hier und dort gegeben wurden und ein an den Nerven zerrendes Gebell eines Hundes, der am Ende seiner Leine einen Gardisten durch den Schnee schleifte – auch wenn dies sicherlich anders herum gedacht war. All diese Geräusche wurden vom rhythmischen Klopfen von Hammer auf Stahl untermalt, der ungewollt dem Treiben den Takt vorzugeben schien.
Nun mag man sich fragen, wozu die Beschreibung dessen, was meine Sinne wahrnahmen, als ich Burg Fischwacht betrat, gut sein sollen. Nun, wie es bei Menschen der Fall ist, will ich auch bei solch prominenten Gebäuden mehr einfangen, als die Gebäude oder den bloßen Stein, aus dem selbige errichtet wurden. Ich will auch all das Flüchtige einfangen, den Puls spüren, der die Burg antreibt. Ich bin einfach ein heillos verlorener Romantiker.

Gemeinsam mit dem mich begleitenden Gardisten überquere ich den Hof und schreite direkt auf den Palas zu, der Heimstatt Seiner Hochgeboren Geribold von Fischwachttal und all seinen Altvorderen. Ein erhebender Anblick voller Vergangenheit und Zukunft.
Rechter Hand des Palas befindet sich, direkt an die die Burg umgebende Ringmauer gebaut, der Bergfried, der monumentalste Bau der gesamten Burg. Er ist ein Fanal der Uneinnehmbarkeit, das weithin in die Lande ruft: „Versucht es nur.“ Doch leben wir, den Zwölfen sei Dank, in Zeiten des Friedens, sodass das Fanal hoffentlich noch lange nicht auf den Prüfstand kommt, wenn geneigter Leser weiß, was ich meine?

Wie im Gegensatz zum Bergfried mit dessen kriegerischen Implikation, befindet sich linker Hand des Palas ein Manntor in der Mauer, durch das man in den Burggarten gelangt, der, dies sei der Vollständigkeit halber erwähnt, ebenfalls ummauert ist.
Der Burggarten, hach, da werden Erinnerungen wach. Es kommt mir vor wie gestern, dass Seine Hochgeboren hier Ihre Wohlgeboren Tsaja Eberwulf von Tannwirk ehelichte. Wenn sich auch am Tage meines Besuches kein Blick lohnt, ist doch alles unter einer schweren Schneedecke erstickt, was einst blühte und dereinst wieder auferstehen wird. Und doch staune ich nicht schlecht, dass der Pavillon, in dem das hochgeborene Paar sich die ewige Liebe versprach, heute zu einem Schrein der Herrin Hesinde umgebaut worden ist.² Einige Zeit schwelge ich in Erinnerungen und wende mich dann wieder zum Gehen. Ich überquere erneut den Burghof und halte auf den Brunnen rechts des Torturmes zu, um mich auf dessen Ummauerung zu setzen und erneut das Treiben der Burg in ihrem Winterkleid in mich aufzusaugen, während sich hinter mir, das Tor und den Weg dorthin in stiller Wacht beschützend, ein Ringturm mit Ringmaueransätzen erhebt.
Nun erkenne ich auch, wo das Brot gebacken wurde, denn an den südöstlichen Teil der Ringmauer schmiegen sich das Gesinde- sowie Küchenhaus und eine kleine Backstube, aus deren Kamin es beständig qualmt.

Plötzlich erschreckte mich etwas dergestalt, dass ich, wäre der Brunnen nicht abgedeckt gewesen, mit Sicherheit rücklinks hingefallen wäre. Denn während ich das Burgleben beobachtete, nahm ich meine direkte Umgebung kaum mehr wahr, sodass mich beinahe der Schlag traf, als sich etwas in mein Hosenbein krallte. Ich zog die Beine erschrocken an und gab einen formidablen Schreckensschrei von mir und blickte zum Fuß des Brunnens, wo nun eine silbergraue Katze saß und mich missmutig anblickte, als wolle sie mich dafür schelten, dass ich so laut geschrien hatte. Das Tier trug neben besagter, silbergrauer Fellfarbe fast schwarze Abzeichen und hatte eine durchaus ansehnliche Größe. Ich kramte, nachdem sich mein Herzschlag beruhigt hatte, etwas von meinem Reiseproviant hervor und warf sie dem Tier hin, woraufhin dieses es gierig verschlang. Ich denke, dass uns das zu Freunden gemacht hat, denn anschließend wich sie kaum mehr von meiner Seite.
Von dem Gardisten, der sich während meiner Zeit auf dem Brunnenrand neben mir positioniert und stillschweigend dagestanden hatte, erfuhr ich, nachdem er sich von seinem Lachkrampf erholt hatte, dass diese Tiere einst ein Geschenk der inzwischen verschiedenen Nachbarbaronin von Vairningen war, deren Nachkommen sämtliche anderen Katzen aus den Mauern der Fischwacht vertrieben hatten. Ich muss sagen, dass ich mich ausgesprochen schnell an die beinahe ständige Anwesenheit dieser Katzen gewöhnt habe und sie von jenem Tag an bis heute immer, wenn ich auf Burg Fischwacht zugegen bin, auch in meinem Zimmer und Bett geduldet. Irgendwie beruhigt mich die Gegenwart dieser Tiere, die der Welt mit einer beinahe solch arroganten Selbstherrlichkeit begegnen, dass es mir Respekt abnötigt – außerdem hilft mir das Schnurren beim Einschlafen.
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¹ Ich denke es ist angeraten einmal eine Lanze für das Alter zu brechen. Ein Vorrecht der Jugend scheint es zu sein, das Alter bisweilen gleichzusetzen mit Langsamkeit, Trägheit, Senilität und Schrulligkeit. Etwas nicht Erstrebenswertes, etwas, das man zwar eines Tages sein wird, von dem man aber hofft, es möge einem noch eine Weile erspart bleiben. Eine nicht entrinnbare Fährnis der menschlichen Existenz, auf die man unaufhörlich zusteuert, die man aber tunlichst aus dem Bewusstsein zu verbannen versucht.
Doch lässt sich dieser, von der Hybris und der körperlichen Hochkultur des eigenen Körpers verstellte Blick der Jugend auf das Alter auch umdeuten. Nach einem ereignisreichen, teilweise knochenharten Leben voller Herausforderungen und Erfolgen, voller Verzweiflung und Hoffnung, voller Trauer und Freude, voller Hass und Liebe, ist das Alter da nicht ein sicherer Hafen, auf den das stets aufgeregte Gemüt zuhält wie ein vom Sturm gebeuteltes Schiff? Ist er nicht ein Ort, der der geschundenen Seele Ruhe prophezeit?
Was, wenn die Alten nicht langsam sind, sondern einfach keinen Grund mehr haben, sich ständig beeilen zu müssen, um sich selbst oder anderen etwas beweisen zu müssen? Dass sie nicht träge sind, sondern gelernt haben, die Ruhe und die von der Jugend ach so verschriene Langweile zu umarmen wie einen alten, beinahe vergessenen Freund?
Natürlich glaube auch ich nicht, dass die Weisheit notwendigerweise mit dem Alter einhergeht, doch bin ich davon überzeugt, dass das Alter weder etwas ist, vor dem man sich fürchten muss, noch etwas ist, das man verlachen darf. So sollte auch das Attribut ‚alt‘ bei der Beschreibung der Baronsburg nicht mit jenen wie ‚baufällig‘ oder ‚verfallen‘ verwechselt werden. Nur Burgen, die solide gebaut, wehr- und standhaft sind, schaffen es ins hohe Alter, will ich meinen. Daher mag Burg Fischwacht zwar den ästhetischen Sinn nicht in besonderem Maße ansprechen, doch nötigt das die Zeit überdauernde Gemäuer mir großen Respekt ab – und Hand aufs Herz: was ist eine besonders ästhetisch gestaltete Burg, die nach wenigen Jahren Satinavs Zahn erliegt oder vor dem ersten Beschuss in die Knie geht? Nein, an dieser Burg ist alles am rechten Platze.

² Als ich hier stand, fiel mir eine Unterhaltung mit Seiner Hochgeboren Geribold von Fischwachttal ein, die ich mit ihm an seiner Hochzeit führte. Vornweg sollte ich wohl die Tatsache erwähnen, dass ich, sobald ich den ein oder anderen Wein verköstigt habe, zum Philosophieren neige. In dem Bräutigam fand ich einen interessanten Gesprächspartner – wenig überraschend, ist sein Interesse auf dem Gebiet der Philosophie nicht wirklich ein Geheimnis.
Das Gespräch selbst ist allerdings für dieses Werk nicht von Relevanz, sodass ich es – so viel Eigenwerbung sei mir an dieser Stelle erlaubt – in meinem Werk „Einander begegnen“ veröffentlichen werde, gemeinsam mit einigen anderen.
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Auszug aus "Zwischen Dörfern und Burgen: Eine Entdeckungsreise durch Tommelsbeuge" von Rahjaehr

Zusammenfassung

Geschichte

Offizielle Quellen

Inoffizielle Quellen